Winrich Scheffbuch

 

Zum Leben hindurchgedrungen


 

Im Glauben und noch nicht im Schauen. 4

Mein Leben ist dauernd bedroht 6

Ganz in Schmerzen eingehüllt 8

Freude, die Mauern durchbricht 10

Wenn Gott tut, was einem nicht passt 12

In Nacht und Stürmen. 17

Eure Freude soll niemand von euch nehmen! 21

Wie Jesus mir die Angst vor dem Sterben nahm.. 23

Spuren Gottes in meinem Leben. 24

Von allem Grauen frei 28

Dann wird unser Mund voll Lachens sein. 32

Auf dem Friedhof fing es an. 34

Wir fallen nicht ins Ungewisse. 36

Das Geschenk am Heiligen Abend in Stalingrad. 37

Brief eines gefallenen Pfarrers an seine Konfirmanden. 38

Gott näher als an gewöhnlichen Tagen. 40

Verkrampfung und Qual lösen sich wundervoll 41

Im Dunkel nicht verzagen. 42

Dem Tod die Macht genommen. 44

In den schwersten Stunden war Jesus mir nahe. 46

Komm, Herr Jesu! 50

Das Ziel der Weltgeschichte. 52

Wie man nach der Heimat reist 54

Märtyrer in China. 56

Sie ist nach Haus gegangen wie ein müdes Kind. 58

...der uns die Hand unter den Kopf lege. 61

Dienst an Krankenbetten. 63


 

Im Glauben und noch nicht im Schauen

Umzüge haben es in sich. Wer schon in seinem Leben ein paar Mal den Wohnsitz gewechselt hat, weiß, was er geschafft hat.

Das behagliche Heim wird auseinander montiert. Der Teppich wird zusammengerollt, die Bilder abgehängt, der Schrank zerlegt. Die ganze Gemütlichkeit ist hin. Das Geschirr steckt gut verpackt in Kisten.

Dasselbe wiederholt sich täglich vor unseren Augen. Nur ziehen Menschen da nicht von einer Stadt in die andere, sondern von dieser sichtbaren Welt in Gottes Ewigkeit.

Auch bei einem solchen Umzug tut viel weh. Diesmal ist es ja nicht nur ein. Umpacken in Kisten, sondern wie das Abbrechen eines ganzen Hauses. Die Wände, die uns so vertraut und heimelig sind, müssen einstürzen. Der Boden, auf dem wir uns so sicher bewegt haben, bebt und fällt in die Tiefe.

Das Sterben ist einem Zerbrechen gleich. Unsere Zeit will es nicht wahrhaben. Bis ins hohe Alter flieht man. Das leidenschaftliche Festkrallen an die viele Arbeit ist ein törichter Fluchtversuch. Aber auch die großen Erwartungen an die Mediziner und ihr Können gehören dazu. Bis zum Ende hofft man auf völlige Gesundung.

Doch dann muss man das Abbrechen bis zum bitteren Ende durchleiden. Was nicht in Gottes neue Welt hineinpasst, muss hier zurückbleiben. So schwer es uns fällt, so traurig es uns auch stimmt: Fleisch und Blut kann das Reich Gottes nicht erben (1. Korinther 15, 50). Und doch ist das nur die eine, die sichtbare Seite.

Viel mehr spricht die Bibel von dem, was der Tod nicht zerbrechen kann. Wir täuschen uns, wenn wir meinen, der Tod reiße alles nieder.

Mit großem Nachdruck schreibt Paulus in einem seiner Briefe (2. Korinther 5, 1):

»Wir wissen: wenn unser irdisches Haus, diese Hütte, abgebrochen wird, so haben wir einen Bau, von Gott erbaut, ein Haus, nicht mit Händen gemacht

Wenige Verse vorher hat er noch von seinen Leiden berichtet, die er an seinem Leib zu ertragen hat: Er ist müde und schwach, kraftlos und elend. Überall an seinem Körper meint er das Sterben Jesu zu fühlen.

Und nun macht ihn dies glücklich. Wir wissen, da ist ein neuer Bau! Darum tut das Abbrechen der alten Bruchbude nicht so weh. Wenn nur das Neue nicht angetastet wird!

Wir müssen mehr auf das neue Heim hin leben. Darum sagen Christen: »Wir leben jetzt im Glauben und noch nicht im Schauen! « Das Sterbliche kann dann ruhig wie ein altes Gebälk zerstört, vernichtet oder entfernt werden. Dass dies trotzdem sehr weh tut, das wissen auch die Glaubenden. Der langsame Prozess des Sterbens setzt uns sehr zu. Die Füße werden matt. Die Kraft lässt immer mehr nach.

Dann müssen wir wissen, dass diese Not nur zeitlich ist und zu diesem Weltlauf gehört. Blickt durch das hindurch, was vergehen muss! Sucht nach dem, was nicht durch den Tod zerbrochen werden kann! In der Bedrängnis der Schwäche und Ohnmacht kann die Sehnsucht nach dem neuen Bau bei Gott richtig wachsen.

Einmal werden wir Jesus gleich sein. Und wir werden ihn sehen, wie er ist. Das wird herrlich sein!


 

Mein Leben ist dauernd bedroht

Wenige Wochen vor seinem Tod erzählte der39jährige Bezirksjugendreferent Günter Albrecht beim » Gemeindetag unter dem Wort« in Stuttgart von seiner schweren Krankheit. Er hatte das Thema »Ermutigungen in Krankheit und Sorge«:

Seit elf Jahren weiß ich um eine bösartige Erkrankung in meinem Leben. Zum ersten Mal brach sie aus ein Jahr nach unserer Hochzeit, kurz vor der Geburt unseres ersten Kindes. Inzwischen haben wir vier gesunde Kinder. Elf Jahre lebten wir in der Familie - trotz allem - in fröhlichem Glauben miteinander. Ich konnte meinen Dienst unter jungen Menschen - abgesehen von kurzen Unterbrechungen - tun.

Jeder Tag dieser Jahre ist im Rückblick ein Beweis für das Wort des Apostels Paulus: »Mitten im Leben werden wir immerdar in den Tod gegeben um Jesu willen, auf dass auch das Leben Jesu offenbar werde an unserem sterblichen Leibe« (2. Korinther 4, 11).

Oft haben wir in diesen Jahren vergessen, wie bedroht mein Leben war. Immer wieder hat Gott sich in Erinnerung gerufen durch neues Aktivwerden dieser Krankheit. Im Krankenbericht steht so schön drin: »Ein untypischer Verlauf der Krankheit Das ist eine medizinische Umschreibung für das, was Gott an Großem an uns tun kann.

Wenn man so bedroht lebt, lebt man intensiv. Man wird hineingeführt in ein intensives geistliches Leben. Auch der Dienst im Reich Gottes ist dann in jeder Situation Zeugendienst für den dreieinigen Gott.

Vor einigen Monaten wurde uns dann klar, dass wir aufs Neue mit der Krankheit werden rechnen müssen. Wir haben zuerst die Brüder aufgesucht. Wir feierten miteinander das Abendmahl. Sie beteten mit mir und haben mich gesegnet. Danach erlebten meine Frau und ich, was es heißt, nicht verzweifeln zu müssen, sondern - von dem lebendigen Gott getragen und gehalten - weiterleben zu können und auch den Dienst für Jesus weiter tun zu können. Nach einer bestimmten Zeit ging ich dann in die Klinik. Als die Untersuchungsergebnisse vorlagen, war klar, wie schwer diese Krankheit wieder zugeschlagen hatte. Nach dem Gespräch und dem Gebet mit den Brüdern und einem ausführlichen Gespräch mit dem Stationsarzt wurde ich aus der Klinik entlassen. Das Ganze ist nun drei Wochen her.

Ich möchte Ihnen aus meinem Erleben einige Gedanken und Hilfen für Ihre eigene Krankheitsnot, für Ihre eigenen Schwierigkeiten mitgeben.

1.         Sprechen und beten Sie ganz bewusst im Blick auf Ihre Krankheit den ersten Glaubensartikel. Beziehen Sie jede Aussage dieses Glaubensartikels auf Ihre Situation: »Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde Dann wird Sie nicht mehr die Krankheit beherrschen, sondern dann wird klar sein, wer der Herr über alles ist!

2.         Die Angst vor dem Tod, das krankhafte Festhalten am Leben ist ein Kennzeichen unserer Zeit. Und doch wurde das Leben noch nie so verachtet wie heute! Ich denke, wir Christen sind der Welt das Zeugnis schuldig, dass Christus durch seinen Tod den Weg zum Vater für uns frei gemacht hat. Für uns ist der Tod nicht die große Unbekannte. Für uns ist der Tod keine endgültige Strafe. Sondern der Tod ist der Durchgang zur endgültigen Erlösung.

 

3.         Gott will uns doch in Jesus Christus alles Gute schenken! Seien Sie bereit, zu Ihrer Lebensführung durch Gott »ja« zu sagen! Bleiben Sie offen für das große Wirken und Handeln Gottes in Ihrem Leben! Und denken Sie daran, dass es bei uns Christen doch immer nur darum gehen kann, dass der Name Jesu verherrlicht wird, es sei durch Leben, durch Krankheit oder durch Sterben.

 

4.         Zum Schluss ein Wort an die Gesunden unter uns: Für meine Frau und mich war in dieser Zeit etwas vom Schönsten das Leben in der Bruderschaft, in der Gemeinschaft. Für uns wurde etwas sichtbar von der Gemeinde Jesu. Für uns wurde etwas spürbar von dem Segen, der ausgeht, wenn Brüder und Schwestern im Gebet über einer Not eins werden. Tun Sie in Ihren Gemeinden diesen Dienst ganz bewusst füreinander!


Ganz in Schmerzen eingehüllt

Rosemarie Fohl starb im Alter von 37 Jahren. Schon als sie. 14 Jahre alt war, erkrankte sie schwer an Rheuma. Bald ging es nicht mehr ohne Krücken. Dann brauchte sie einen Rollstuhl. 24 Jahre lang litt sie unter meist heftigen Schmerzen. Oft sagte sie: »Ich bin ganz in Schmerzen eingehüllt'«

So weit sie es noch konnte, verfasste sie über viele Jahre hinweg Briefe an schwer leidende junge Menschen im Auftrag des Evangelischen Jugendwerkes.

In einem Brief an eine völlig gelähmte, stumme Bekannte schrieb sie:

 

»Ich wäre aus meinem Katzenjammer bestimmt nicht heraus gekomrnen. Ich bin traurig und bedrückt und kann es nicht verhindern. Aber es wird mir immer wieder weitergeholfen, und ich schäme mich nur über meinen Kleinglauben. Er taucht jedes Mal wieder auf, obwohl ich doch nun endlich wissen müsste, dass Gott mir immer im rechten Moment wieder Hilfe geschickt hat.

Aber nicht wahr? Es geht Dir nicht anders. So allmählich lernen wir doch, unserem Herrn mehr zuzutrauen als uns. Und das ist die Hauptsache. Dann sind unsere Jahre nicht vergeblich gelebt. Dass nur Christus geehrt werde auf mancherlei Weise! Hier habe ich noch viel zu lernen. Und gerade Du bist mir hier auch ein Vorbild und Ansporn

 

Aus einem Brief an einen ganz schwer leidenden jungen Menschen:

»Wie herrlich ist es, wenn Jesus Christus immer mehr der Mittelpunkt eines Menschenlebens wird. Und das heißt ja, den Menschen heilen. Ganz, innerlich gesund und froh zu sein, auch wenn der Körper noch so übel dran ist. So macht mich der Gedanke schon seit Jahren froh, dass Jesus der Herr und Mittelpunkt Deines Lebens ist. Deshalb darf ich meinen Wunsch so formulieren, dass Du immer mehr zu einer Kraftquelle für andere Menschen wirst, die innerlich krank und leer sind bei aller körperlichen Gesundheit.

Der Herr schenke Dir die Freude zur Fürbitte in immer größerem Ausmaß. Damit vermittelst Du eine ansteckende Gesundheit und erhältst für Dich selbst Freude und Kraft für Dein Leben. Und dies wünsche ich Dir ebenfalls so sehr

Aus einem Brief an eine Freundin:

»Gott gibt mir gerade so viel Kraft, wie ich bei vernünftiger Einteilung benötige. Wenn ich darauf nicht achte, habe ich große Schmerzen, die mir gleich Angst vor einer Verschlechterung machen. Aber es kann mir ja nicht mehr geschehen, als was Gott vorgesehen hat. Was der Herr noch an Wunderbarem und an Schwerem mit uns machen will, ist eigentlich gleichgültig. er ist ja dabei und vergibt alles Verzagtsein. Darüber bin ich besonders froh! «

In einem Rundbrief an kranke junge Leute schrieb sie:

»So ist einem. Menschen nichts Besseres zu wünschen, als dass er Gott lieben kann. Aber Gott hat uns zuerst geliebt. >Er hat seinen eigenen Sohn nicht verschont, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben. Wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken?< Wenn wir das >Für uns< Gottes in Jesus Christus annehmen - und es ist ein unverdientes Geschenk!, dann kann keine Macht der Welt wider uns sein. Wir können vernichtet werden, aber aus der Hand Gottes kann uns niemand reißen. Gott ist uns näher als uns Freunde sein könnten. Wir sind nicht verlassen. Wir sind in unserer Trauer getröstet. Sein Heil, ja sogar unsere Heilung sind realer als das Unheil unserer Krankheit

Und in einem anderen Rundbrief heißt es:

»Das andere scheint mir noch wunderbarer. Gottes. Geist führt zur inneren Überwindung auch in den größten Schwierigkeiten und Belastungen. Da geht äußerlich der Druck weiter. Die Hilfe, nach der wir ausgeschaut haben, wird uns nicht oder noch nicht zuteil. Aber die Verhältnisse beirren uns nicht. Wir wachsen über sie hinaus. Wir bleiben im Lieben Gottes. Ja, wir sind mehr als andere mit ihm verbunden, da wir im Leid gereift sind. Möchtest Du doch in allen Fragen immer von neuem ganz festhalten, dass unsere höchste Vollkommenheit nicht in irgendeinem Heldenmut und dem Können besteht, aus menschlichen Fähigkeiten und einem Naturtalent heraus alles zu schaffen, sondern darin, Gottes und seiner Kraft völlig zu bedürfen

 

In ihrem letzten Rundbrief schrieb sie:

»Es war und ist einfach großartig, wie in den größten Nöten, in die ich komme, ich dennoch immer getrost und ohne Furcht sein darf. Der Entschluss, Gott uferlos zu vertrauen, lohnt sich hundertprozentig. Warum lässt Gott das zu? Diese Barriere gibt es da nicht mehr. Ich kann Gott über aller Not meines Lebens recht geben

In den letzten Lebenstagen war sie so schwach, dass sie nicht einmal mehr die Bettdecke hochziehen konnte, sie sagte dann:

»Jesus hat mich durchgebracht! Ich kann mich jetzt ganz in seine Hand fallenlassen

 


Freude, die Mauern durchbricht

Als Jugendreferentin kam Ursel Aul, eine Diakonisse aus dem Aidlinger Mutterhaus, nach Freudenstadt. Schon nach wenigen Jahren Dienst erkrankte sie unheilbar. Kurz nach ihrem 35. Geburtstag wurde sie heimgerufen. Lange hoffte sie auf Genesung und Heilung. Doch dann konnte sie sagen:

»Wenn ich es Jesus überlasse, ihm meinen Willen bewusst ausliefere, kann ich gelassen und getrost sein. Ich möchte ja auch nichts anderes als in seinem Willen sein und den Weg, den er führt, mit ganzer Freude gehen. Nicht unser Tun für ihn ist entscheidend, sondern unser Leben bei ihm. Dass Jesus durch uns verherrlicht wird

Und dann dichtete sie, schon schwer von der Krankheit gezeichnet, das Lied, das rasch den Weg in viele Jugendgruppen fand:

Jesus, die Sonne, das strahlende Licht,

Jesus, die Freude, die Mauern durchbricht!

Die auf ihn schauen, werden sein wie die Sonne,

wie sie aufgeht in ihrer Pracht!

 

Als um mich war ein Gefängnis

von Angst und Traurigkeit, da

 führte aus der Bedrängnis mich

 Gottes Freundlichkeit.

 

Für Gott ist doch nichts unmöglich,

er will mir Gutes tun.

Durch ihn allein bin ich glücklich,

kann bei ihm sicher ruhn.

 

Gott lässt meinen Fuß nicht gleiten,

 nie schläft und schlummert er,

umgibt mich von allen Seiten

mit seinem Engelheer.

 

Es mögen sich freuen alle

und rühmen Gottes Gnad'

mit fröhlichem Jubelschalle,

weil er gesegnet hat.

 

Jesus die Sonne, das strahlende Licht,

Jesus, die Freude, die Mauern durchbricht!

Die auf ihn schauen, werden sein wie die Sonne,

wie sie aufgeht in ihrer Pracht!


Wenn Gott tut, was einem nicht passt

Helmut James Graf von Moltke war Jurist. Auf seinem schlesischen Gut in Kreisau sammelte er Vertreter des Widerstands gegen Hitler, den so genannten Kreisauer Kreis. Sie dachten darüber nach, wie ein Deutschland nach Hitler aussehen müsste. In das Attentat gegen Hitler willigte er als Christ und Politiker nicht ein. Schon im Jahr 1944 wurde er verhaftet. Ein Jahr später verurteilte ihn der Volksgerichtshof zum Tode. Das Urteil wurde am 23. Januar 1945 in Plötzensee vollstreckt.

Aus letzten Briefen an seine Frau


Tegel, den 10. Januar 1945

Mein liebes Herz, zunächst muss ich sagen, dass ganz offenbar die letzten 24 Stunden eines Lebens gar nicht anders sind als irgendwelche anderen. Ich hatte mir immer eingebildet, man fühle das nur als Schreck, dass man sich sagt: Nun geht die Sonne das letzte Mal für dich unter, nun geht die Uhr noch zweimal bis zwölf, nun gehst du das letzte Mal zu Bett. Von all dem ist keine Rede. Ob ich nun ein wenig überkandidelt bin? Denn ich kann nicht leugnen, dass ich mich in geradezu gehobener Stimmung befinde. Ich bitte nur den Herrn im Himmel, dass Er mich darin erhalten möge, denn für das Fleisch ist es sicher leichter, so zu sterben. Wie gnädig ist der Herr mit mir gewesen! Selbst auf die Gefahr hin, dass das hysterisch klingt: ich bin so voll Dank, eigentlich ist für nichts anderes Platz. Er hat mich die zwei Tage so fest und klar geführt: der ganze Saal hätte brüllen können wie der Herr Freisler, und sämtliche Wände hätten wackeln können, und es hätte mir gar nichts gemacht; es war wahrlich so, wie es in Jesaja 43, 2 heißt: »Denn so du durch Wasser gehst, will ich bei dir sein, dass dich die Ströme nicht sollen ersäufen; und so du ins Feuer gehst, sollst du nicht brennen, und die Flamme soll dich nicht versengen.« - Mir war, als ich zum Schlusswort aufgerufen wurde, so zumute, dass ich beinahe gesagt hätte: »Ich habe nur eines zu meiner Verteidigung anzuführen: >Nehmen sie den Leib, Gut, Ehr, Kind und Weib, lass fahren dahin, sie haben's kein Gewinn, das Reich muss uns doch bleiben<«. Aber das hätte doch die anderen nur belastet; so sagte ich nur: »Ich habe nicht die Absicht, etwas zu sagen, Herr Präsident

Es ist nun noch ein schweres Stück Weges vor mir, und ich kann nur bitten, dass der Herr mir weiter so gnädig ist, wie er war. Für heute Abend hatte Eugen uns aufgeschrieben Lukas 5, 1-11. Er hatte es anders gemeint; aber es bleibt wahr, dass dies für mich ein Tag eines großen Fischzuges war und dass ich heute Abend mit Recht sagen kann: »Herr, gehe von mir hinaus. Ich bin ein sündiger Mensch Und was haben wir, meine Liebe, gestern Schönes gelesen: »Wir haben aber solchen Schatz in irdenen Gefäßen, auf dass die überschwängliche Kraft sei Gottes und nicht von uns. Wir haben allenthalben Trübsal, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. Und tragen allezeit das Sterben des Herrn Jesu an unserem Leibe, auf dass auch das Leben des Herrn Jesu an unserem Leibe offenbar werde Dank, mein Herz, vor allem dem Herrn, Dank, mein Herz, Dir für Deine Fürbitte, Dank allen anderen, die für uns und für mich gebetet haben. Dein Mann, Dein schwacher, feiger, »komplizierter«, sehr durchschnittlicher Mann, der hat das erleben dürfen. Wenn ich jetzt gerettet werden würde - was ja bei Gott nicht wahrscheinlicher oder unwahrscheinlicher ist als vor einer Woche -, so muss ich sagen, dass ich erst einmal mich wieder zurechtfinden müsste, so ungeheuer war die Demonstration von Gottes Gegenwart und Allmacht. Er vermag sie eben auch zu demonstrieren, und zwar ganz unmissverständlich zu demonstrieren, wenn er genau das tut, was einem nicht passt. Alles andere ist Quatsch.

Darum kann ich nur eines sagen, mein liebes Herz: möge Gott Dir so gnädig sein wie mir, dann macht selbst der tote Ehemann gar nichts. Seine Allmacht vermag er eben auch zu demonstrieren, wenn Du Eierkuchen für die Söhnchen machst oder »Putschi« beseitigst, obwohl es das hoffentlich nicht mehr gibt. Ich sollte wohl von Dir Abschied nehmen - ich vermag's nicht; ich sollte wohl Deinen Alltag bedauern und betrauern - ich vermag's nicht. Ich sollte wohl der Lasten gedenken, die jetzt auf Dich fallen - ich vermag's nicht. Ich kann Dir nur eines sagen: wenn Du das Gefühl absoluter Geborgenheit erhältst, wenn der Herr es Dir schenkt, was Du ohne diese Zeit und ihren Abschluss nicht hättest, so hinterlasse ich Dir einen nichtkonfiszierbaren Schatz, demgegenüber selbst mein Leben nichts wiegt. Diese Römer, diese armseligen Kreaturen von Schulze und Freisler und wie das Pack alles heißen mag: nicht einmal begreifen würden sie, wie wenig sie nehmen können!

Ich schreibe morgen weiter, aber da man nie weiß, was geschieht, will ich in dem Briefe jedenfalls jenes Thema berührt haben. Ich weiß natürlich nicht, ob ich nun morgen hingerichtet werde. Es mag sein, dass ich noch vernommen, verprügelt oder aufgespeichert werde. Kratze bitte an den Türen; denn vielleicht hält sie das doch von zu argem Prügeln ab. Wenn ich auch nach der heutigen Erfahrung weiß, dass Gott auch diese Prügel zu nichts machen kann, selbst wenn ich keinen heilen Knochen am Leibe behalte, ehe ich gehenkt werde, wenn ich also im Augenblick keine Angst davor habe, so möchte ich das lieber vermeiden. So, gute Nacht, sei getrost und unverzagt.

 

 

11. Januar 1945

Meine Liebe, ich habe nur Lust, mich ein wenig mit Dir zu unterhalten. Zu sagen habe ich eigentlich nichts. Die materiellen Konsequenzen haben wir eingehend erörtert. Du wirst Dich da schon irgendwie durchwinden, und setzt sich ein anderer nach Kreisau, so wirst Du das auch meistern. Lass Dich nur von nichts anfechten. Das lohnt sich wahrhaftig nicht. Ich bin unbedingt dafür, dass Ihr sorgt, dass die Russen meinen Tod erfahren. Vielleicht ermöglicht Dir das, in Kreisau zu bleiben. Das Rumziehen in dem Rest-Deutschland ist auf alle Fälle grässlich. Bleibt das Dritte Reich über Erwarten doch, was ich mir in meinen kühnsten Phantasien nicht vorstellen kann, so musst Du sehen, wie Du die Söhnchen dem Gift entziehst. Ich habe natürlich nichts dagegen, wenn Du dann auch Deutschland verlässt. Tu, was Du für richtig hältst und meine nicht, Du seiest so oder so durch irgendeinen Wunsch von mir gebunden. Ich habe Dir immer gesagt: »Die tote Hand kann nicht regieren...«

Ich denke mit ungetrübter Freude an Dich und die Söhnchen, an Kreisau und all die Menschen da; der Abschied fällt mir im Augenblick gar nicht schwer. Vielleicht kommt das noch. Aber im Augenblick ist es mir keine Mühe. Mir ist ganz und gar nicht nach Abschied zumute. Woher das kommt, weiß ich nicht. Aber es ist nicht ein Anflug von dem, was mich nach Deinem ersten Besuch im Oktober, nein, November war es wohl, so stark überfiel.

Jetzt sagt mein Inneres: a) Gott kann mich heute genauso dahin zurückführen wie gestern, und b).und wenn er mich' zu sich ruft, so nehme ich es mit. Ich habe gar nicht das Gefühl, was mich manchmal überkam: Ach, nur noch einmal möchte ich das alles sehen. Dabei fühle ich mich gar nicht »jenseitig«. Du siehst ja, dass ich mich lieb mit Dir unterhalte, statt mich dem lieben Gott zuzuwenden. In einem Liede - 279,4 - heißt es: »Denn der ist zum Sterben fertig, der sich lebend zu dir hält Genau so fühle ich mich. Ich muss, da ich heute lebe, mich eben lebend zu ihm halten; mehr will er gar nicht. Ist das pharisäisch? Ich weiß es nicht. Ich glaube aber zu wissen, dass ich nun in seiner Gnade und Vergebung lebe und nichts von mir habe oder von mir vermag.

Ich schwätze, mein Herz, wie es mir in den Sinn kommt; darum kommt jetzt etwas ganz anderes. Das Dramatische an der Verhandlung war letzten Endes folgendes: In der Verhandlung erwiesen sich alle konkreten Vorwürfe als unhaltbar, und sie wurden auch fallengelassen. Nichts davon blieb. Sondern das, wovor das Dritte Reich solche Angst hat, dass es fünf, nachher werden es sieben Leute werden, zu Tode bringen muss, ist letzten Endes nur folgendes: ein Privatmann, nämlich Dein Mann, von dem feststeht, dass er mit zwei Geistlichen beider Konfessionen, mit einem Jesuitenprovinzial und mit einigen Bischöfen, ohne die Absicht, irgend etwas Konkretes zu tun, und das ist festgestellt, Dinge besprochen hat, »die zur ausschließlichen Zuständigkeit des Führers gehören«. Besprochen waren: nicht etwa Organisationsfragen, nicht etwa Reichsaufbau - das alles ist im Laufe der Verhandlung weggefallen, und Schulze hat es in seinem Plädoyer auch ausdrücklich gesagt (»unterscheidet sich völlig von allen sonstigen Fällen, da in der Erörterung von keiner Gewalt und keiner Organisation die Rede war«), sondern, besprochen wurden Fragen der praktisch-ethischen Forderungen des Christentums. Nichts weiter; dafür allein werden wir verurteilt. Freisler sagte zu mir in einer seiner Tiraden: »Nur in einem sind das Christentum und wir gleich: Wir fordern den ganzen Menschen Ich weiß nicht, ob die Umsitzenden das alles mitbekommen haben, denn es war eine Art Dialog - ein geistiger zwischen F. und mir, denn Worte konnte ich nicht viele machen -, bei dem wir uns durch und durch erkannten. Von der ganzen Bande hat nur Freisler mich erkannt, und von der ganzen Bande ist er auch der einzigste, der weiß, weswegen er mich umbringen muss. Da war nichts von »komplizierter Mensch« oder »komplizierte Gedanken« oder »Ideologie«, sondern: »Das Feigenblatt ist ab Aber nur für Herrn Freisler. Wir haben sozusagen im luftleeren Raum miteinander gesprochen. Er hat bei mir keinen einzigen Witz auf meine Kosten gemacht, wie noch bei Delp und bei Eugen. Nein, hier war es blutiger Ernst: »Von wem nehmen Sie Ihre Befehle? Vom Jenseits oder von Adolf Hitler!« - »Wem gilt Ihre Treue und Ihr Glaube Alles rhetorische Fragen natürlich...

Mein Herz, eben kommt Dein sehr lieber Brief. Der erste Brief, mein Herz, in dem Du meine Stimmung und meine Lage nicht begriffen hast. Nein, ich beschäftige mich gar nicht mit dem Iieben Gott oder meinem Tod. Er hat die unaussprechliche Gnade, zu mir zu kommen und sich mit mir zu beschäftigen. Ist das hoffärtig? Vielleicht. Aber er wird mir noch so vieles vergeben heute Abend, dass ich ihn schließlich um diese letzte Hoffart auch noch um Vergebung bitten darf. Aber ich hoffe ja, dass es nicht hoffärtig ist, denn ich rühme ja nicht das irdene Gefäß, nein, ich rühme den köstlichen Schatz, der sich dieses irdenen Gefäßes, dieser ganz unwürdigen Behausung bedient hat. Nein, mein Herz, ich lese genau die Stellen der Bibel, die ich heute auch gelesen hätte, wenn keine Verhandlung gewesen wäre, nämlich Josua 19-21, Hiob 10-12, Hesekiel 34-36, Markus 13 bis 15 und unseren zweiten Korintherbrief zu Ende, außerdem die kleinen Stellen, die ich auf den Zettel für Dich geschrieben habe. Bisher habe ich nur den Josua und unsere Korintherbriefstelle gelesen, die mit dem schönen, so vertrauten, von Kind auf gehörten Satz schließt: »Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen. Amen.« Ich habe das Gefühl, mein Herz, als wäre ich autorisiert, Dir und den Söhnchen das mit absoluter Autorität zu sagen. Darf ich da nicht den 118. Psalm, der heute Morgen dran war, mit vollem Recht lesen? Eugen hat ihn sich zwar für eine andere Lage gedacht, aber er ist viel wahrer geworden, als wir es je für möglich hielten.

Mein Herz, darum bekommst Du auch Deinen Brief trotz Deiner Bitte zurück. Ich trage Dich mit hinüber und brauche dafür kein Zeichen, kein Symbol, nichts. Es ist nicht einmal so, dass mir verheißen wäre, ich würde Dich nicht verlieren; nein, es ist viel mehr: ich weiß es... Der entscheidende Satz jener Verhandlung war: »Herr Graf, eines haben das Christentum und wir Nationalsozialisten gemeinsam, und nur dies eine: Wir verlangen den ganzen Menschen Ob er sich klar war, was er damit gesagt hat? Denk mal, wie wunderbar Gott dies sein unwürdiges Gefäß bereitet hat: In dem Augenblick, in dem die Gefahr bestand, dass ich in aktive Putschvorbereitung hineingezogen wurde - Stauffenberg kam am Abend des 19. zu Peter -, wurde ich rausgenommen, damit ich frei von jedem Zusammenhang mit der Gewaltanwendung bin und bleibe. - Dann hat er mich in jenen sozialistischen Zug gepflanzt, der mich als Großgrundbesitzer von allem Verdacht einer Interessenvertretung befreit. - Dann hat er mich so gedemütigt, wie ich noch nie gedemütigt worden bin, so dass ich allen Stolz verlieren muss, so dass ich meine Sündhaftigkeit endlich nach 38 Jahren verstehe, so dass ich um seine Vergebung bitten, mich seiner Gnade anvertrauen lerne. - Dann lässt er mich hierhin kommen, damit ich Dich gefestigt sehe und frei von Gedanken an Dich und die Söhnchen werde, d.h. von sorgenden Gedanken; er gibt mir die Zeit und Gelegenheit, alles so zu ordnen, was geordnet werden kann, so dass alle irdischen Gedanken abfallen können. - Dann lässt er mich in unerhörter Tiefe den Abschiedsschmerz und die Todesfurcht und die Höllenangst erleben, damit auch das vorüber ist. - Dann stattet er mich mit Glaube, Hoffnung und Liebe aus, mit einem Reichtum an diesen Dingen, der wahrlich überschwänglich ist. - Dann lässt er mich mit Eugen und Delp sprechen und klären. - Dann lässt er Rösch[1] und König entlaufen, so dass es zu einem Jesuitenprozeß nicht reicht und im letzten Augenblick Delp an uns angehängt wird. -- Dann lässt er Haubach und Steitzer, deren Fälle fremde Materie hereingebracht hätten, abtrennen und stellt schließlich praktisch Eugen, Delp und mich allein zusammen, und dann gibt er Eugen und Delp durch die Hoffnung, die menschliche Hoffnung, die sie haben, jene Schwäche, die dazu führt, dass ihre Fälle nur sekundär sind, und dadurch das Konfessionelle weggenommen wird, und dann wird Dein Mann ausersehen, als Protestant vor allem wegen seiner Freundschaft mit Katholiken attackiert und verurteilt zu werden, und dadurch steht er vor Freisler nicht als Protestant, nicht als Großgrundbesitzer, nicht als Adliger, nicht als Preuße, nicht als Deutscher - das alles ist ausdrücklich in der Hauptverhandlung ausgeschlossen, so z.B. Sperr: »Ich dachte, was für ein erstaunlicher Preuße« -, sondern als Christ und als gar nichts anderes. »Das Feigenblatt ist ab«, sagt Herr Freisler. Ja, jede Kategorie ist abgestrichen - »ein Mann, der von seinen Standesgenossen natürlich abgelehnt werden muss«, sagt Schulze. Zu welch einer gewaltigen Aufgabe ist Dein Mann ausersehen gewesen: all die viele Arbeit, die der Herrgott mit ihm gehabt hat, die unendlichen Umwege, die verschrobenen Zickzackkurven, die finden plötzlich in einer Stunde am 10. Januar 1945 ihre Erklärung. Alles bekommt nachträglich einen Sinn, der verborgen war. Mami und Papi, die Geschwister, die Söhnchen, Kreisau und seine Nöte, die Arbeitslager und das Nichtflaggen und nicht der Partei oder ihren Gliederungen angehören, Curtis und die englischen Reisen, Adam und Peter und Carlo, das alles ist endlich verständlich geworden durch eine einzige Stunde. Für diese eine Stunde hat der Herr sich all diese Mühe gegeben.

Und nun, mein Herz, komme ich zu Dir. Ich habe Dich nirgends aufgezählt, weil Du, mein Herz, an einer ganz anderen Stelle stehst als alle die anderen. Du bist nämlich nicht ein Mittel Gottes, um mich zu dem zu machen, der ich bin, Du bist vielmehr ich selbst. Du bist mein 13. Kapitel des ersten Korintherbriefes. Ohne dieses Kapitel ist kein Mensch ein Mensch. Ohne Dich hätte ich mir Liebe schenken lassen, ich habe sie z. B. von Mami angenommen, dankbar, glücklich, dankbar wie man ist für die Sonne, die einen wärmt. Aber ohne Dich, mein Herz, hätte ich »der Liebe nicht«. Ich sage gar nicht, dass ich Dich liebe; das ist gar nicht richtig. Du bist vielmehr jener Teil von mir, der mir alleine eben fehlen würde. Es ist gut, dass mir das fehlt; denn hätte ich das, so wie Du es hast, diese größte aller Gaben, so hätte ich dem Leiden, das ich ja sehen musste, nicht so zuschauen können und vieles andere. Nur wir zusammen sind ein Mensch. Wir sind, was ich vor einigen Tagen symbolisch schrieb, ein Schöpfungsgedanke. Das ist wahr, buchstäblich wahr. Darum, mein Herz, bin ich auch gewiss, dass Du mich auf dieser Erde nicht verlieren wirst, keinen Augenblick. Und diese Tatsache, die haben wir schließlich auch noch durch unser gemeinsames Abendmahl, das nun mein letztes war, symbolisieren dürfen.

Ich habe ein wenig geweint, eben, nicht traurig, nicht wehmütig, nicht weil ich zurück möchte, nein, sondern vor Dankbarkeit und Erschütterung über diese Dokumentation Gottes. Uns ist es nicht gegeben, ihn von Angesicht zu Angesicht zu sehen, aber wir müssen sehr erschüttert sein, wenn wir plötzlich erkennen, dass er ein ganzes Leben hindurch am Tage als Wolke und bei Nacht als Feuersäule vor uns hergezogen ist, und dass er uns erlaubt, das plötzlich in einem Augenblick zu sehen. Nun kann nichts mehr geschehen...

Mein Herz, mein Leben ist vollendet, und ich kann von mir sagen: er starb alt und lebenssatt. Das ändert nichts daran, dass ich gerne noch etwas leben möchte, dass ich Dich gerne noch ein Stück auf dieser Erde begleitete. Aber dann bedürfte es noch eines neuen Auftrages Gottes. Der Auftrag, für den Gott mich gemacht hat, ist erfüllt. Will er mir noch einen neuen Auftrag geben, so werden wir es erfahren. Darum strenge Dich ruhig an, mein Leben zu retten, falls ich den heutigen Tag überleben sollte. Vielleicht gibt es noch einen Auftrag.

Ich höre auf, denn es ist nichts weiter zu sagen. Ich habe auch niemanden genannt, den Du grüßen und umarmen sollst. Du weißt selbst, wem meine Aufträge für Dich gelten. Alle unsere lieben Sprüche sind in meinem Herzen und in Deinem Herzen. Ich aber sage Dir zum Schluss, kraft des Schatzes, der aus mir gesprochen hat und der dieses bescheidene irdene Gefäß erfüllt:

 

Die Gnade unseres Herrn Jesu Christi und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit Euch allen. Amen.


In Nacht und Stürmen

Nur32 Jahre alt wurde der China-Missionar Friedrich Traub aus Korntal. In den Wirren des Boxeraufstandes schrieb er heim nach Deutschland: Wenn Sie diesen Brief erhalten, bin ich nicht mehr unter den Lebenden. Man hat gesagt, dass diese Nacht die Aufständischen unser Haus anzünden und uns töten werden. Ich freue mich, den Herrn bald von Angesicht zu Angesicht zu sehen. «

Friedrich Traub schrieb einige Lieder nieder. Dazu meinte er, er sei sich der »unvollkommenen Form und Gedankenarmut wohl bewusst«. Er wollte aber von seinem Glauben zur Ehre Gottes singen.

 

Und dennoch, wenn's auch tobt und stürmt

und Dunkel mich umhüllt,

wenn Woge sich auf Woge türmt

und fast mein Schifflein füllt:

 

Ja, dennoch will ich stille sein,

nicht zagen in Gefahr,

will flüchten mich in Gott hinein

und ruhn da immerdar.

 

Gleich wie ein neugebornes Kind

liegt still im Mutterschoß

und trotz dem allerstärksten

 Wind ist froh und sorgenlos:

 

so will auch ich, mein treuer Hort,

mich dir fest anvertraun

und stille auf dein göttlich Wort

in Nacht und Stürmen baun.

 

So wüte nun, du wildes Meer,

und droh nur, Felsenriff,

es ist der allgewaltge Herr

in meinem kleinen Schiff.

 

Er ist der Mann, er führt's hinaus,

obwohl ich Staub nur bin;

er bringt mich durch des Meers Gebraus

zum Friedenshafen hin.

 

Drum dennoch, wenn's auch tobt und stürmt

und Dunkel mich umhüllt,

vertrau ich froh, dass Gott mich schirmt

und Sturm und Wetter stillt.

 

 

Wenig später, im Juli 1901, entstand das andere Lied:

 

Soll ich den Kelch nicht trinken,

den mir der Vater gab?

Soll ich nach eignem Dünken

umgehen Kreuz und Grab?

 

Mein Vater ist doch Liebe

und kennt mein armes Herz;

ist's möglich, dass er triebe

 mit mir nur blinden Scherz?

 

Nein, weicht, ihr Nachtgedanken

und kehrt nie mehr zurück!

Mein Glaube darf nicht wanken,

sonst wankt und fällt mein Glück.

 

Er ist der einzig Weise

und hat das volle Recht,

auf eigenem Geleise

zu führen seinen Knecht.

 

Ich halte dich gefangen,

berechnender Verstand,

und traue ohne Bangen

der treuen Vaterhand.

 

Das Beste alles Guten,

das ist dein Wille, Herr;

du machtest durch dein Bluten

für uns es nicht mehr schwer.

 

So darf ich ohne Zagen

mich überlassen dir,

darf freudig alles tragen,

was je du auflegst mir.

 

Ob Leben oder Sterben

dein Kelch für mich enthält,

du lässt mich nicht verderben;

drum gib, was dir gefällt.


Eure Freude soll niemand von euch nehmen!

Wer kann schon trösten? Die Wunden, die der Schmerz gerissen hat, können wir nicht heilen. Hilflos und ohnmächtig drücken wir still die Hand. So drücken wir unser Mitgefühl aus.

Aber Gottes Wort kann traurige Menschen aufrichten.

Wir saßen in einem Bibelkreis mit jungen Menschen und lasen in der Apostelgeschichte, wie Paulus einst im Gebiet der heutigen Türkei evangelisierte. Damals kam es unter den Zuhörern zu lauten Protesten. So tief waren sie aufgewühlt. Einige aber von ihnen kamen zum Glauben an Jesus Christus.

Wir hatten den Text kaum zu Ende gelesen, da wurde einer der jungen Leute plötzlich ganz aufgeregt: »Schaut bloß, was dasteht rief er. Und dann las er uns den Vers nochmals vor: »Als die Bewohner das Evangelium hörten, wurden sie froh, priesen das Wort des Herrn und wurden gläubig Zuerst muss man fröhlich werden, und erst dann kommt das Glauben.

Es wäre gut, wenn wir heute mehr damit rechnen würden, dass Gottes Wort uns auch in den traurigsten Augenblicken froh machen kann. Das soll geschehen, immer wenn wir das Evangelium hören. Wir können erleichtert aufatmen. Das, was wir von Jesus sagen, entmachtet den Tod jetzt und nimmt ihm seine Schrecken.

Es gab oft wirklich trostlose Augenblicke, wo ich selbst meinte, nicht auch nur ein einziges Wort herausbringen zu können. Da musste ich vor Jahren ein Kind beerdigen, das durch Arzneimittel schwer verkrüppelt geboren worden war. Nur die Eltern standen am Grab. Sie wollten unbedingt von mir eine Ansprache. Und ich konnte nicht reden in diesem großen Schmerz. Die Mutter weinte so erschütternd, als der kleine Sarg geschlossen wurde und konnte sich nicht lösen von dem geliebten Kind.

Und dann Ias ich aus der Bibel: »Gelobt sei Gott! Er hat uns nach seiner großen Barmherzigkeit neu geboren. Nun haben wir eine lebendige Hoffnung durch die Auferstehung Jesu Christi von den Toten

Auf einmal hatten wir alle wieder Boden unter den Füßen. Und ich verstand erst später, was Paulus seinem jungen Mitarbeiter Timotheus schrieb: »Jesus Christus hat dem Tod die Macht genommen und das Leben und unvergängliches Wesen ans Licht gebracht - durch das Evangelium (2. Timotheus 1, 10).

Kein Mensch kann dem Tod wirklichen Trost entgegensetzen. Aber der Gott, der Jesus aus dem Grab auferweckt hat, tröstet Trauernde und richtet sie auf. Man kann es nicht verstehen. Die Gefühle sind aufgewühlt. Das Herz ist verwundet. Bohrende Zweifel machen unsicher. Quälende Fragen und schwere Vorwürfe lassen nicht mehr zur Ruhe kommen. Doch wenn wir dann die gute Nachricht von Jesus hören, wie er den Tod am Ostermorgen besiegt, dann hat der Tod keine Macht mehr über uns.

Wir sollten mehr im Evangelium lesen, gerade dann, wenn wir völlig verzweifelt sind.

In meinem Leben habe ich bestimmt viele Menschen enttäuscht. Ich bin kein guter Tröster. Aber das Evangelium tröstet, viel besser als es Menschen können. Darum möchte ich allen das Evangelium von Jesus sagen.

Einmal musste ich zu einer Beerdigung. Eine junge Frau hatte sich das Leben genommen. Alle waren bedrückt. Ich wusste auch nicht, was ich sagen sollte. In meiner Not beschränkte ich mich auf ein Bibelwort: Ich erzählte, wie Jesus die schwere Last unseres Lebens mitträgt und darunter leidet. Und wie er uns mit großer Liebe sucht und uns die ganze schwere Not abnehmen will.

Anschließend hielt einer vom Personalrat einen Nachruf. Er sagte: »Kollegen! Keiner von euch wusste um diese große Not, die unsere Mitarbeiterin mit sich herumtrug. Ich kann Euch nur bitten, bringt heute Euer Leben mit Gott in Ordnung. Das, was wir eben von Jesus Christus gehört haben, ist wahr. Er kann alle Nöte lösen Plötzlich meinte man, ein tiefes Aufatmen hören zu können. Der Tod hat nicht das letzte Wort.

Das Evangelium von Jesus kann die unheimlichsten und dunkelsten Schatten des Todes vertreiben. Am schwersten wird uns allen das Singen an den offenen.Gräbern. Aber wenn wir es trotzdem tun, dann werden wir selbst am meisten beschenkt.

Noch heute bin ich dankbar, in meiner ersten Pfarrstelle einem ganz besonders liebenswürdigen Chefarzt im Krankenhaus begegnet zu sein. Wenn er mich auf dem Gang traf, konnte er auf ein Zimmer weisen: »Ich kann da nichts mehr machen. Jetzt sind Sie dran! « Was soll denn in solch einer Stunde ein Seelsorger können? Er kann das Evangelium von Jesus bringen. Er darf einem schwachen und kraftlosen Kranken auf seiner letzten Wegstrecke zusprechen (Jesaja 43, 2):

»So spricht der Herr: Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein

Dieses Evangelium ist eine Kraft Gottes, die des Todes Macht zerbricht. Und es macht selig alle, die daran glauben.


Wie Jesus mir die Angst vor dem Sterben nahm

Ralf Altenburger aus Schorndorf war ein fröhlicher Mensch, lebenshungrig und voll Vitalität. Als Betriebswirt arbeitete er in München, bereiste viele Länder und trieb aktiv Sport. Im November 1986 verunglückte er mit seinem Porsche tödlich. Wenige Monate vorher, im Mai 1986, hatte er in der Zeitschrift »Lebendige Gemeinde« den Artikel geschrieben: »Wie Jesus mir die Angst vor dem Sterben nahm«.

 

Mit etwa 15 Jahren kam ich in eine Lebensphase, in der ich allmählich eigene Gedanken entwickelte. Dabei ertappte ich mich immer häufiger dabei, dass ich die Frage nach dem Sinn des Lebens stellte. Mich interessierte vor allem, ob die insgesamt doch recht kurze Lebenszeit eines Menschen auf der Erde alles ist, oder ob es nicht noch mehr gibt. Wenn ich dabei auf mein bisheriges Dasein zurückblickte, so stellte ich fest, dass alles eigentlich sehr schnell vergangen war und die Uhr des Lebens langsam, aber beständig, gegen mich ablief.

Das regte mich nicht zu jugendlichem Tatendrang an, sondern es machte mir eher ein flaues Gefühl im Magen. Es verursachte in mir eine tiefe Unsicherheit, ja fast möchte ich sagen - Einsamkeit. Dabei war ich doch nie ein zurückgezogener und in sich gekehrter Mensch! Bedrückend waren die Zeitpunkte, wenn der tägliche Trubel, die ganze Ablenkung durch Freunde, Sport, Schule, Fernsehen und solche Dinge weg waren, und ich ganz für mich allein war. Vor allem abends, vor dem Einschlafen, erfuhr ich alles andere als ein sanftes Ruhen. Ich fühlte fehlende Geborgenheit meiner Seele.

Eines Tages jedoch erklärte mir ein Mitschüler mit einfachen Worten: »Dadurch, dass Jesus von den Toten auferstanden ist, hat er den Tod auch für uns überwunden und schenkt uns ewiges Leben. Christus spricht: >Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben; niemand kommt zum Vater denn durch mich.<«

Endlich einmal eine Antwort, mit der ich etwas anfangen konnte! Ich begann regelmäßig in der Bibel zu lesen und auch zu Jesus zu beten. Ich wollte einfach einmal das persönliche Leben mit Jesus, das er uns anbietet, ausprobieren und erfahren.

Heute, acht Jahre später, erlebe ich es jeden Tag neu, wie mich Jesus begleitet. Vor allem hat meine Seele Heimat und Frieden bei Gott gefunden. Seither darf ich mit einer tiefen, aufrichtigen Ruhe im Herzen leben. Ich weiß, dass mein Erlöser lebt und ich deshalb auch leben werde. Jesus nahm mir die Angst vor dem Sterben.

Praktisch zeigt sich dies im Alltagsleben durch Freude und Ausgeglichenheit. Ich versuche, mich nicht an den alltäglichen Kleinigkeiten und Problemen festzubeißen, sondern den Blick nach vorn zu richten auf den kommenden Heiland hin.

Der Psalmvers »HERR, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden« trifft genau auf mich zu. Gleichzeitig ist dies mein Wunsch für jeden Menschen, sich dieser Klugheit nicht zu entziehen und auf das große Angebot Gottes einzugehen.


Spuren Gottes in meinem Leben

Als bei Ingeborg Kammer die schwere Krankheit im Alter von 37 Jahren ausbrach, begegnete ihr viel Elend in den Krankenhäusern. Die Trostlosigkeit der hoffnungslos verzweifelten Kranken hat sie nicht losgelassen. Darum hat sie vielen von dem weitererzählt, was sie bei Jesus Christus im Glauben fand. So berichtete sie auch in der Gemeinde über ihr Erleben:

Es würde mir eigentlich leichter fallen, von den Spuren Gottes in besonders schönen Situationen meines Lebens zu berichten. Aber es ist auch kostbar, Gottes Spuren, sein Nahesein in schweren Zeiten zu erleben.

Anfang 1974, während ich mit unserem vierten Kind schwanger war, musste ich an Brustkrebs operiert werden. Drei Tage später trat die Stationsärztin an mein Bett und sagte: »Ihr Kind, das Sie erwarten, müsste den Kontrollwerten nach längst tot sein, zumindest ist es schwer hirngeschädigt Ich legte mich im Bett auf die andere Seite und betete immer wieder: »Herr, halt mich fest! Herr, lass mich jetzt nur nicht rebellisch werden gegen dich! « Nach einigen Stunden wurde ich wieder ruhiger. Viele beteten für das Kind. Nach einem weiteren Kontrollwertsturz sollte das Kind durch einen Kaiserschnitt geboren werden. Ich hatte zur Vorbereitung nur wenig Zeit und bat meinen Mann zu kommen. Wir gingen in die Krankenhauskapelle und weinten bitterlich. Dann gab ich meinem Mann das Losungsbüchlein und sagte:

 

»Vielleicht hat Gott einen Trost für uns Da las mein Mann die Tageslosung vom 2. April 1974:

»Als einer im EIend rief, hörte der Herr und half ihm aus allen seinen Nöten

Und dazu ein Vers von Paul Gerhardt:

»Wenn gar kein Einz'ger mehr auf Erden, dessen Treue du darfst trauen, alsdann will er dein Treuster werden und nach deinem Besten schauen. Er weiß dein Leid und heimlich Grämen, auch weiß er Zeit, dir's abzunehmen. Gib dich zufrieden

Ich bat immer wieder: »Lies noch einmal und noch einmal Vielmals musste mein Mann es lesen. Wie gut war es für uns, zu merken, dass Gott schon vor langer Zeit wusste, welches Wort wir an diesem Tag brauchten. Danach beteten wir miteinander und wurden ganz ruhig und getrost. Eine Stunde später kam ein völlig gesundes Büble zur Welt.

Knapp drei Jahre später wurde mir nach einer weiteren Operation gesagt, dass ich Metastasen in der Lunge hätte, die nicht zu operieren seien. Ich war wie erschlagen. Hieß das nicht, dass ich nur noch wenige Monate zu leben hätte? Drei Tage nach dieser Nachricht bekam ich im Silvestergottesdienst eine Karte mit folgendem Inhalt:

»Gelobt sei der Herr täglich. Gott legt eine Last auf, aber er hilft uns auch - »Fang nur einmal an zu loben fürs Vergang'ne, für die Proben seiner ewig festen Treu. Lass nur jetzt dein banges Flehen, preise, was für dich geschehen. Seine Güt' ist täglich neu

 

Also sollte ich nicht flehen für mich, ich sollte vielmehr Gott loben. Diese Erfahrung hatte ich schon öfter gemacht, dass es eine große Hilfe ist, Loblieder zu beten und zu singen, wenn man in Not ist. Aber diesmal konnte ich es nicht. Ich wusste plötzlich nicht mehr, ob Gott mich überhaupt noch lieb hat. Viele Sünden standen drohend vor mir im Gedächtnis, selbst solche, die ich in der Beichte im Beisein eines anderen Menschen vor Gott bekannt hatte. Nicht an eine gute Tat konnte ich mich erinnern, die ich Gott hätte vorhalten können. Ich weinte tagelang immer wieder.

Wenn Gott mich nun nicht mehr lieb hat und ich mich nun bald vor ihm verantworten muss nach meinem Tod, was dann?

Das waren die dunkelsten Tage meines Lebens.

Da fiel mir, während ich betete, der Spruch ein, der auf dem Grabkreuz unseres dritten Kindes steht. Wir dachten damals, der Spruch könnte eine Hilfe für andere auf dem Friedhof sein. Nun wurde er die Hilfe für uns.

»Gott selbst, der Vater, hat euch lieb

Ich sprang auf, holte die Bibel und las im Johannesevangelium nach. Jesus spricht zu seinen Jüngern (Johannes 16, 27): »Er selbst, der Vater, hat euch lieb, weil ihr mich liebt und weil ihr glaubt, dass ich von Gott ausgegangen bin

Ich betete: »Vater, also musst du mich lieb haben, denn das weißt du, dass ich Jesus Christus lieb habe und dass ich glaube, dass er als Sohn Gottes für meine Schuld am Kreuz gestorben ist. Danke, dass du mich lieb hast

So konnte mich keine alte Schuld mehr verdammen. Die Not und Depression war vorbei. Ich konnte wieder danken und Gott loben. Daran, dass Gott mich lieb hat, musste ich danach nie mehr zweifeln - auch nicht, als zwei Jahre später der Bub, der durch ein Wunder gesund zur Welt kam, in eine Spiritusexplosion geriet. Über zwei Drittel seiner Haut war verbrannt, der größte Teil drittgradig. Tagelang hatten wir keine Hoffnung, dass das Kind überleben würde. Monatelang bestand Lebensgefahr. Nach dreieinhalb Monaten Krankenhaus waren dann die meisten offenen Stellen transplantiert oder mit Narbenhaut überzogen.

In der ganzen Zeit waren wir oft mit unseren Kräften am Ende, zumal sich der Krebsbefund bei mir laufend verschlechterte. Ermutigend war, dass Gott uns immer wieder die Spuren seines Wirkens zeigte und wissen ließ, dass er die Hand über uns hält, und das machte immer wieder getrost. Zeiten der Niedergeschlagenheit blieben nicht aus; aber der lebendige Gott hat uns aus jeder vermeintlich hoffnungslosen Lage herausgeführt, nicht ein einziges Mal auf die gleiche Weise wie vorher. Es ist köstlich zu erfahren, wie fantasievoll Gott einem hilft. Eigentlich immer anders, als wir dachten, dass er helfen könnte; meistens ganz unvermutet; oft nach langer Wartezeit.

Traurig bin ich, dass ich mich trotzdem doch immer wieder niederdrücken lasse von neuen Schwierigkeiten, obwohl wir schon so oft das Handeln des lebendigen Herrn erlebt haben. Aber ich bin froh, dass der Vater im Himmel barmherzig ist mit mir und immer wieder verzeiht.

Nach ärztlicher Erfahrung ist mein Krankheitsverlauf über so viele Jahre ganz unerklärlich. Wie dankbar sind wir darüber! Trotzdem breitet sich der Krebs jetzt immer schneller aus.

Im Sommerurlaub verlor ich die Sehkraft meines rechten Auges. Die ärztliche Diagnose lautete: Metastase auf der Netzhaut. Vor einigen Wochen wurden schnell wachsende Metastasen an der Leber festgestellt, jetzt auch an einer Rippe.

Ich weiß seit Jahren an keinem Weihnachten, an keinem Geburtstag, in keinem Frühling, ob es der Ietzte ist, den ich erlebe. Aber in all diese Unbeständigkeit gibt Gott durch sein Nahesein Trost und Freude.

Ein Kardinal sagte einmal:

»Jesus Christus ist nicht in die Welt gekommen um das Leid zu erklären, sondern um es bis zum Rande mit seiner Gegenwart zu füllen

Das sind die Spuren Gottes, die wir erleben.

Diese Spuren Gottes laufen - auch wenn sie durch Leid hindurchführen - immer auf ein strahlendes Ziel zu: die Ewigkeit bei Gott.

Das wird besonders deutlich bei den Liedern von Paul Gerhardt, der sehr viel Leid erfahren hat. Die meisten seiner Lieder klingen aus mit dem Blick auf die Ewigkeit.

In einem seiner Lieder heißt es:

»Mich hat auf meinen Wegen manch harter Sturm erschreckt, Blitz, Donner, Wind und Regen hat mir manch Angst erweckt. Es muss ja durchgerungen, es muss gelitten sein. Wer nicht hat wohl gerungen, geht nicht zur Freud hinein.

 

Ich wandre meine Straße, die zu der Heimat führt, wo mich ohn alle Maße mein Vater trösten wird. Da will ich immer wohnen, und nicht nur als ein Gast, bei denen, die mit Kronen du ausgeschmücket hast. Da will ich herrlich singen von deinem großen Tun und frei von schnöden Dingen in meinem Erbteil ruhn

 

Nachtrag:

Ende November verschlechterte sich Ingeborgs Gesundheitszustand sehr schnell. Am 2. Dezember, als sie schon rechtsseitig gelähmt war und zeitweise Bewusstseinsstörungen auftraten, diktierte sie noch die letzten zusammenhängenden Sätze, die sie gesprochen hat:

»Es ist alles so schön. Es ist alles so schön. Ich hab' so ein schönes Leben gehabt. Noch die Bergtour im Sommer.

Es ist so schön, so dicht vor der Ewigkeit zu stehen.

Die Ewigkeit ist so schön! Ich gehe ganz arg gerne dorthin, wo die Engel im höhern Chor singen: >Heilig, heilig ist der Herr Zebaoth. Alle Lande sind seiner Ehre voll.<

Gott hat mich gewürdigt, in diesen Chor einzustimmen. Ich will ewig, ewiglich zu meines Herrn Lob und Ehre singen.

An meinem Leben ist nicht so arg viel. Alles, was an mir war, war Geschenk, war Geschenk von unserem großen, gütigen Herrn. Und wo ich jemand etwas sein konnte, so nur durch unseren gütigen Herrn. Es soll sich niemand an mich hingen, sondern nur an diesen großen Herrn. Dann kann er auch ein Leben führen, dass andere sich freuen an diesem Herrn. Ich bin voll Glück und Dank

Am 20. Dezember 1983 holte sie der allmächtige Gott zu sich in sein himmlisches Reich.


Von allem Grauen frei

Am 12. Oktober 1944 wurde Alexis Freiherr von Roenne in Berlin-Plötzensee durch den Strang hingerichtet. Er war 42 Jahre alt. Als Oberst im Generalstab warnte er vor dem Nationalsozialismus und machte sich bei vielen unbeliebt. Aus grundsätzlichen Gewissensbedenken konnte er beim Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 nicht mitarbeiten. Dennoch wurde er nach dem Attentat verhaftet, wieder freigelassen und dann wegen seiner persönlichen Freundschaften mit den Führern des Widerstands zum Tode verurteilt.

Er schrieb in der Nacht vor seiner Hinrichtung an seine Mutter:

 

Berlin, 11. Oktober 1944 abends

 

Meine einzig geliebte Mama!

Heute kam mir aus einem besonderen Anlass der Gedanke, Dir noch einmal zu schreiben, obgleich ein kurzer Brief an Dich schon meinen vorigen Abschiedsbriefen beiliegt. Ich weiß, dass Dich trotz Deiner großen Sehnsucht und Freude, zum Heiland zu gehen, mitunter die Todesfurcht einfach vor dem körperlichen Todesvorgang quälte. Und da wollte ich Dir so gerne sagen, dass unser Herr auch die ganz fortwischen kann, wenn wir Ihn darum bitten. Ängstige Dich also gar nicht, schon Papa sagte mir, dass unser Großpapa sterbend ein linderndes Mittel von sich wies mit den Worten: »Es muss alles ausgehalten werden So souverän stand er über dem Sterben, ganz herrlich!

Ich selbst nun erwarte seit einer Woche von Tag zu Tag den Tod, jetzt z.B. für morgen, und der Heiland hat in Seiner grenzenlosen Gnade mich von allem Grauen frei gemacht. Ich bete und denke tagsüber ganz ruhig und fast ausschließlich an Ihn und dabei natürlich an meine Liebsten, esse mit Appetit, freue mich am Sonnenschein und habe mich nur insofern ganz aus der Welt zu lösen versucht, als ich nicht mehr lese und mich auch möglichst von allen militärischen und politischen Gedanken fern und nur für den Heiland verfügbar halte. Ich gehe früh und betend zu Bett, schlafe ganz ruhig und fest die ganze Nacht wie ein Kind und wende mich erwachend gleich Ihm zu und bin dabei innerlich völlig frei und dazu, abgesehen von meinen Gedanken an meine kleine Schar (seine Frau und zwei kleine Kinder), ein vollkommen glücklicher Mensch, ein Vorgang, der hier schon oft auffiel und durch Hinweise auf Ihn erklärt wurde.

Ich hatte mir erst selbst Gedankengänge überlegt, die mir Kraft und Freudigkeit zum Sterben geben sollten. Da zeigte Er mir plötzlich zwei Mittel: Vor allem soll ich mir in aller Realität mein Sterben vergegenwärtigen und mit Seinem vergleichen. Das hat mir unendlich geholfen. Dort der Sündlose, freiwillig viele Stunden zum Tode gemartert, hier demgegenüber ein Augenblicksgeschehen eines Vorganges, der mir sowieso einmal und vielleicht viel qualvoller, nach langer Krankheit, bevorstehen muss. Den Hinweis hierzu erhielt ich durch die beiden schönen Verse: »Wenn ich einmal soll scheiden ...« und besonders aus dem Vers: »Und lass mich seh'n dein Bilde in deiner Kreuzesnot Da schämte ich mich aller Hemmungen und wurde furchtlos. - Und dann verwies er mich noch darauf, dass ja jeder Todesaugenblick zugleich der erste in Seiner seligen Ruhe, im Gottesfrieden, ist.

Diese Gedanken festhaltend, sehe ich seit Tagen stündlich der Abfahrt zu raschem Heimgang völlig ruhig und frei, mit ganz stillen Gedanken und Puls, entgegen und habe volle Zuversicht, dass das kurze letzte Geschehen ebenso von seiner unbeschreiblichen Gnade durchleuchtet sein wird. Ich schreibe es Dir so genau, meine geliebte Mama, weil ich Dir damit vielleicht in Seinem Auftrag eine kleine Hilfe geben kann.

Für mich besteht schon seit Anbeginn dieser letzten, ausschließlichen Gnadenzeit (zweieinhalb Monate) kein Zweifel daran, dass ich all diese unverdiente Barmherzigkeit zu einem großen Teil Deiner jahrzehntelangen Fürbitte verdanke. Ich kann Dir mit Worten gar nicht genug danken. Ich halte diese Deine Fürbitte für das weitaus Größte Deiner unendlichen Liebe zu mir, und wir werden in der Ewigkeit noch davon sprechen. Ich bitte Dich aber von ganzem Herzen, dass Du für den Rest Deiner Erdenzeit nun diese Fürbitte auf Ursel und meine zwei Kleinen überträgst. Ach, tu es doch bitte mit der gleichen Treue und Liebe! Es ist ein unvorstellbarer Schatz, den Du damit meiner kleinen Schar schenkst, die ihn so bitter nötig hat. Ich weiß genau, dass Du meine Bitte erfüllen wirst.

Ich habe natürlich auch unablässig die Meinen im Gebet vor Ihn gebracht, an manchen bereits erkannten Erhörungen Sein Wirken erkannt und bin von Ihm mit der Zuversicht erfüllt worden, dass, wer auf diesen Felsen sein Vertrauen setzt, nie zuschanden werden wird. Ich habe Ihn dabei nie um langes Erdenleben, sondern nur um Kraft und um Bewahrung vor Grauen, Not und Lieblosigkeit gebeten und um einen seligen Heimgang.

Der Tod jetzt bedeutet mir gar nichts, aber wie gern wäre ich mit der kleinen Schar hingegangen, die ich nun nicht hüten und schützen kann. Doch bei solchen irdischen Gedanken erinnert mich der Herr daran, dass ich ihr nach menschlichem Ermessen in schweren Zeiten ohnehin nicht zur Seite gewesen wäre, und dass vor allem Er ein weit besserer Schutz ist. Wie herrlich ist mir auch das Bewusstsein, so liebe Geschwister zu besitzen, die ihr gewiss, so sie nur können, wie ein Block zur Seite stehen. Aber sie selbst erleben auch schon viel Schweres, und es will mir scheinen, dass als erstes das liebe, vertraute Lappienen nun schon im Kampfgebiet liegt: Auch Hermanns Wirkungskreis ist sicher nicht einfach zu steuern. Und wie mag es dem lieben Ebo ergehen, bei dem ich so oft im Gebet bin? Diese nachrichtenmässige Trennung von Euch allen war mir wohl oft schwer, aber zugleich wuchs das Bewußtsein engster Verbundenheit vor Gottes Thron und vor allem der Bedeutungslosigkeit der Erdenzeit. Immer größer wurde die Freude auf die dortige Trennungslosigkeit. Wie unbeschreiblich herrlich wird es sein, und wie glücklich wäre ich erst, wüsste ich meine Liebsten und Euch alle nur schon im Gottesfrieden, leidentrückt!

Ich grüße Euch alle, die Ihr etwa jetzt in Rönkendorf seid, von ganzem Herzen und befehle Euch in Gottes Hand und Segen! Er führe Euch gnädig auf lindem Pfaden in Sein Reich wie mich, der ich dem Schächer gleich dorthin gelange! Ich weiß, dass Ihr nie von meinem Liebsten lassen und besonders seines so unendlich weichen, liebebedürftigen Herzens gedenken werdet, das Euch alle so lieb hat. Dafür und für all die unendliche Liebe von fast 42 Jahren danke ich Euch und vor allem Dir, meine unbeschreiblich geliebte Mama, aus tiefstem Herzen!

Reichere und innigere Liebe von seiner Mutter hat nie ein Kind empfangen als

Dein Alecci


Letzte Briefe an seine Frau - noch vor der Gefangenschaft geschrieben –

 

25. Juli 1944

Mein geliebtes Herz!

Du weißt, welche Ereignisse über Deutschland dahin ziehen, und kannst ihre Tragweite erahnen. Es ist bei meiner Stellung gut möglich, dass die Welle auch mich erfasst und in ihren Strudel zieht. Da will ich Dir nun ein Wort des Abschieds, aber nur für diese Zeit auf Erden, sagen und des heißen Dankes. Zunächst sollst Du und die Kleinen wissen, dass ich an dem Geschehen unbeteiligt und unschuldig war, was auch immer hernach gesagt werden mag. Alles andere ist daneben nicht wichtig. Aber einen ungeheuren Gewinn habe ich von der so überaus ernsten Zeit gehabt: Ich bin ganz und gar in die geöffneten Arme unseres Herrn und Heilands zurückgekehrt, die ich im Drang der Ereignisse oft genug vergessen hatte. Ich verbringe fast alle freie Zeit im Gebet, ein Gebet um Kraft für mich für alles Kommende und um Segen und Hilfe für Dich, mein Allerliebstes, und die Kinder. Und ich spüre das Geschenk der Kraft für mich so deutlich, dass ich mit der frohen Zuversicht in alles hineingehe, dass es doch nur enden kann am Herzen Gottes im ewigen Frieden; da scheint dann das Vorausgehende unwichtig genug und soll Dich auch gar nicht beschäftigen: Mein inneres Auge wird jeden Augenblick hinter allem nur die geöffneten Arme meines Herrn und Heilands sehen. Mein fester Trost und Grund sind die Sprüche: »Wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinaus stoßen« und: »Wenn eure Sünde blutrot wäre, so will ich sie doch schneeweiß machen« und dann noch die vielen Kernworte von Gottes Liebe als dem tiefsten Grund Seiner Einstellung zu uns. Daran halte ich mich fest und gewinne Kraft und vor allem auch die Gewissheit, dass mein heißes Flehen um Euch nichtvergeblich sein wird! Denn Euch gelten Gebete und Gedanken vor allem und umfassen in größter Liebe Euer ganzes kommendes Leben. Mein Allerliebstes, Du sollst in allem Schmerz immer wieder spüren, dass Du nicht allein dem Leben gegenüber stehst: Er ist bei Dir jeden Augenblick und mag auch meines Flehens für Euch gedenken, wenn Er hilft - so wie Deine und Mamas Gebete mir den Weg geebnet haben. Dann aber ist daneben die feste Zuversicht, dass wir beide einmal an Seinem Thron vereint danken und loben werden für alle unverdiente Gnade, von denen die größte ist, dass Er uns einst zusammenführte, wenigstens von den irdischen Gaben. Du sollst es ganz fest wissen, dass mein ganzes Herz nur Dir gehört, mit Banden, die im Leben nur einmal geschenkt werden können, weil sie über das Leben hinaus in die Ewigkeit reichen. Und neben dem Dank an den Herrn gilt mein heißester, unaufhörlicher Dir, mein geliebtes Herz, und wird der Begleiter meines Herzschlages sein. Dank für die unaussprechliche Liebe, die Du ohne Unterlass um mich breitetest wie einen goldenen Mantel. - Und nun unsere beiden geliebten Kinder, die ich nach Gottes Willen ohne mich lassen muss, aber in Seiner Liebe und Deiner Hut geborgen weiß. Sage ihnen, dass die heißen letzten Gebete ihres Vaters und seine größte Liebe sie auf der Erdenbahn begleiten und dass ich sie bitte, all ihre Liebe Dir zu schenken und immer, wenn sie meiner gedenken, Dir etwas besonders Liebes zu tun als Gruß von mir. Was sie einmal werden und tun, ist nicht wichtig. Wie sie es tun, nämlich an Gottes Hand, darauf kommt es an. Ihr Vater hat da viel gefehlt, aber des Herrn Hand hat ihn doch nicht losgelassen; sie will nur mit Inbrunst gesucht werden.

Sag meinen Dank auch allen anderen Lieben: Mama, den Geschwistern, den Eltern. Sie alle haben mir, vor allem meine geliebte Mama, viel, viel mehr Liebe geschenkt als empfangen und damit viel mehr Sonne in mein Leben getragen, das ein so reiches und glückliches war, als sie es gewusst haben.

Auch für sie gilt es: »Einst droben im Licht'«

 

 

Berlin-Plötzensee, 12. Oktober 1944

 Königsdamm 7

 

Mein Allerliebstes!

Gleich gehe ich nun heim zu unserem Herrn in voller Ruhe und Heilsgewissheit. Meine Gedanken sind in allergrößter Liebe und voll Dank bei Dir, bei Euch.

Ich bitte Dich als letztes: Klammere Dich nur an Ihn und habe in Ihm volle Zuversicht: Er liebt Dich.

Jeder Entschluss, den Du nach Gebet im Leben für Euch fasst, hat meine volle Billigung und meinen Segen. Wenn Du wüsstest, wie unvorstellbar treu Er mir im Augenblick zur Seite steht, wärst auch Du für Dein ganzes schweres Leben gewappnet und ruhig. Er wird Dir Kraft zu allem geben.

Ich segne die beiden geliebten Kleinen und schließe in mein letztes Gebet innig ein: Der Herr lasse sein Angesicht leuchten über ihnen und führe sie heim.

Innige Grüße und Dank meiner geliebten Mama, den Eltern und Geschwistern. Mögen sie, von Ihm behütet, im heiß geliebten Vaterland auch schwere Zeiten überdauern.

Dir, mein Allerliebstes, gehört meine heiße Liebe und Dank bis zum letzten Augenblick und seligen Wiedersehn. Gott behüte Dich.


Dann wird unser Mund voll Lachens sein

Hans-Bernd von Haeften war Vortragender Legationsrat im Auswärtigen Amt. Obwohl er aus Gewissensgründen den Tyrannenmord nicht unterstützen konnte, wurde er im Zusammenhang mit dem Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 verhaftet und im Alter von 39 Jahren hingerichtet. Kurz vor seiner Hinrichtung schrieb er an seine Frau nach der Verhandlung vor dem Volksgerichtshof am 15. August 1944:

 

Meine liebe, liebste Frau, meine gute Barbara, wohl in wenigen Stunden werde ich in Gottes Hände fallen. So will ich Abschied von Dir nehmen. Schnell ein paar äußere Dinge...

Barbara, in diesen Haftwochen habe ich Gottes Gericht stillgehalten und meine »unerkannte Missetat« erkannt und vor Ihm bekannt. »Gottes Gebote halten und Liebe üben und demütig sein vor deinem Gott« - das ist die Regel, gegen die ich verstoßen habe. Ich habe das fünfte Gebot nicht heilig gehalten und das Gebot der Demut, des »Stilleseins und Harrens« habe ich nicht ernst genug genommen. Vor allem habe ich nicht Liebe geübt gegen Euch, die mir anvertraut waren. Um Euretwillen, um Muttis und der Eltern willen hätte ich vor allem Abstand nehmen müssen. Bitte sage ihnen, zugleich mit meinem tiefsten Dank für all ihre Hilfe und Liebe, dass ich sie herzlich bitte, sie möchten mir verzeihen. Barbel, ich habe all dieses getan in der Meinung und in dem Willen, recht zu tun vor Gott. In Wahrheit war ich ungehorsam, obwohl ich ehrlich gefleht habe, Er möge mich auf Seinen Wegen leiten, dass meine Füße nicht gleiten; sie sind geglitten. Warum? Ich hab in all den Zweifeln wohl nicht still und geduldig genug gewartet, bis Er Seinen Willen mir unzweideutig kundtat. Vielleicht war es auch so Sein unergründlicher, heiliger und heilsamer Ratschluss.

Liebste Frau, ich sterbe in der Gewissheit göttlicher Vergebung, Gnade und ewigen Heils; und in der gläubigen Zuversicht, dass Gott all das Unheil, den Schmerz, Kummer, die Not und Verlassenheit, die ich über Euch gebracht habe und die mir das Herz abpresst, aus Seinem unermesslichen Erbarmen in Segen wandeln kann, dass Er Euch alle an Seinen Vaterhänden auf Euren Erdenwegen geleiten und endlich zu Sich ziehen wird. Der Herr, unser Erbarmer, wird auch Deinen Schmerz allmählich lindern, Deinen Kummer sänftigen, Dein Leid stillen, Seine Liebe wird die gleiche bleiben, denn »sie höret nimmer auf«.

Meine gute Barbara, ich danke Dir aus tiefstem Herzen für alle Liebe und allen Segen, die Du mir in den vierzehn Jahren unserer Ehe geschenkt hast. Bitte vergib mir allen Mangel an Liebe, ich habe Dich viel mehr lieb, als ich Dir gezeigt habe. Aber wir haben eine Ewigkeit vor uns, um uns Liebe zu erweisen. Dieser Gedanke sei Dir Trost in der Trübsal Deiner Witwenjahre. Ich bin gewiss -- sei Du es auch, dass wir beide mit allen unseren Lieben wieder vereinigt werden in Gottes unaussprechlichem Frieden (der vollkommenste Ruhe und zugleich seligste Bewegung in göttlichem Dienst ist), in der erlösten Seligkeit der Gotteskindschaft. Auch schon auf Erden gehörst Du zum Leibe Christi, dessen Gliedschaft aufs innigste erfahren wird im Sakrament des AItars, in der Gegenwart des Herrn, der alle die Seinigen - sie mögen vor oder hinter der großen Verwandlung stehen - auf wunderbare Weise zusammenschließt.

Betet für mich den 126. Psalm; über ihn ging die letzte Predigt, die ich am Tage der Verhaftung in unserer Dorfkirche hörte. Und dazu betet den 103. Psalm, lobet und danket!

Mein letzter Gedanke, liebste Frau, wird sein, dass ich Euch, meine Lieben, des Heilands Gnade und meinen Geist in Seine Hände befehle. So will ich glaubensfroh sterben. Und ich möchte, meine liebe Barbel, dass auch Du »die immer heitere Frau von Haeften« bleibst! Scherze und lache mit den Kindern, herze sie und sei fröhlich mit ihnen, sie brauchen Deine Frohnatur, und wisse, dass nichts mehr nach meinem Sinne sein könnte.

So grüße ich Euch, meine lieben Liebsten, mit dem alten Grußwort »Freuet Euch - freuet Euch in dem Herrn allewege und abermals sage ich: freuet Euch »Und der Friede Gottes bewahre Eure Herzen und Sinne in Christo

Grüße und küsse von mir unsere lieben Kinder, den lieben Janneman, den guten Dirkus, das treue Addalein, das köstliche Dörchen, das süße Ulrikchen. Und Dich selbst, meine liebe allerliebste Frau, meine gute herzliebste Barbara, Dich küsse ich und umarme Dich und halte Dich an meinem Herzen mit den tiefsten flehendsten Wünschen für Zeit und Ewigkeit!

Dein Hannis


Auf dem Friedhof fing es an

Ostern ist ein grandioser Tag.

Aber an diesem Tag sollten sich die Christen schämen. Seit dem ersten Ostertag blamieren sie sich fortwährend. Mit ihrem kleinen Kopf können sie die gewaltige Nachricht »Christus ist auferstanden gar nicht fassen. Mit ihrem Verstand können sie nicht begreifen, was da geschieht.

Es waren tapfere Leute, die mit Jesus umhergezogen waren. Ich denke, dass keiner von uns sich im Ernst mit den treusten Freunden Jesu messen möchte. Sie haben alles verlassen und sind Jesus nachgefolgt. Ihm haben sie die Treue gehalten, auch da, wo viele sich von Jesus abwandten.

Aber das Ostergeschehen konnten sie einfach nicht verstehen, obwohl Jesus es ihnen vorher angekündigt hatte. Sie konnten es nicht begreifen, dass Jesus ihr ganzes Denken aus den Angeln hebt in seiner Auferstehung von den Toten.

So erinnert uns die Ostergeschichte zuerst einmal daran, was für ungläubige, unverständige Leute wir doch sind. Man kann es auch so sagen: Wenn es nach den Christen ginge, dann wäre das Christentum schon lange verloren.

Wenn's nach uns ginge, gäbe es schon lange kein Ostern mehr. Was für lahme Worte machen wir um das Osterereignis herum! Man muss sich wundern, wie es überhaupt zum großen Osterjubel kommt. Das ist das Wunder: Jesus, der auferstandene und heute unter uns lebende Christus, erweist sich selbst als der Herr über Tod, Teufel, Hölle und alle Mächte dieser Welt. Er bricht auch ein in die Iaue Schläfrigkeit und den Unglauben der Christengemeinden. Er rüttelt seine Leute auf.

Da sind immer ein paar wenige, die verstehen und wach werden, die merken, dass die Auferstehung ihr Denken sprengt.

Aber das heißt ja auch, dass Jesus als der Sohn Gottes heute bei mir ist, ganz real. Er lebt! Er ist Tag und Nacht um mich. Und wenn ich einmal sterbe, darf ich mich seiner starken Hand ganz gewiss anvertrauen. Er führt mich völlig sicher durch das Todestal. Das weiß ich gewiss, weil Jesus Christus von den Toten auferstanden ist.

Dort auf dem Friedhof ist Jesus als der Auferstandene den Trauernden begegnet. Er hat den Friedhof ausgewählt, weil dort unsere Lebenshoffnungen begraben liegen. Dort bedrängen uns unheimliche Fragen und dunkle Zweifel.

Als aber die trauernden Frauen dem lebendigen Jesus Christus begegnen, sind sie völlig verwirrt. Sie begreifen überhaupt nichts. Sie erschrecken und können nicht fassen, was da passiert.

Das ist wichtig, denn heute wird in manchen Kirchen die Meinung verbreitet, der Osterglaube sei nur eine Erfindung der ersten Christengemeinden gewesen. Sie hätten damit etwas Symbolisches ausdrücken wollen und darum Jesus »hochgejubelt«.

Wenn man aber die Berichte des Neuen Testaments liest, fällt auf, dass da überhaupt nicht gejubelt wird. Da wurde gezweifelt, gedacht, gefürchtet. Niemand wollte es glauben. Alle, auch die treuen Jünger meinten, die Auferstehung sei ein »Märchen«. Ich wünschte mir, unter den Christen gäbe es mehr Jubel für Jesus. Aber genau das Gegenteil geschieht: Es wird nur ganz wenig vertraut. Man schweigt. Man kann nicht glauben. Bis in unsere Tage hinein ist das so geblieben. Aber Jesus tritt bis heute allen Menschen gegenüber, die zweifeln. Er überführt sie durch sein Wort und auch durch Zeichen. Er ist der lebendige Herr, der den Tod besiegt hat.


Wir fallen nicht ins Ungewisse

Mit 27 Jahren fiel im Krieg in Russland, südöstlich von Charkow, der Buchdrucker Otto Zaiser. Wenige Tage vorher bedankte er sich bei einem Kind seiner Heimatstadt Stuttgart für ein Päckchen:

 

Im Osten 30. Dezember 1941

Liebes Kind Emilie! Da wir uns ja nicht näher kennen, nehme ich an, dass Du noch ein Kind bist und dass ich Dich deshalb so anreden darf. Am zweiten Weihnachtstag traf bei mir in meinem Quartier im fernen großen Russland ein liebes Päckchen ein, und zwar, als ich näher hinsah, nicht nur aus der Heimatstadt Stuttgart, sondern sogar aus der Johannesgemeinde, mit dem schönen Namenszug Emilie St. versehen. Darüber freute ich mich so sehr, dass ich für einen Augenblick das ganze Bild meiner fremden Umgebung hier und überhaupt den ganzen Krieg mit all seinen Gefahren vergaß und mich im Geist nach Hause in die liebe und traute Johannesgemeinde versetzt fühlte. Für dieses reiche Geschenk danke ich Dir also recht herzlich und wünsche, dass Gott, der Herr, es Dir vergelten möge zu seiner Zeit. Ja ihn, den Vater aller Menschenkinder, brauchen wir heute besonders in dieser schweren Kriegszeit, und besonders der Soldat ist froh und steht tausendmal sicherer im Kampfe, wenn er weiß, dass er von einer starken unsichtbaren Hand geführt wird, welche auch stärker ist als der Tod auf dem Schlachtfeld. Wie reich sind doch wir Christen, zu wissen, dass, wenn wir sterben, so fallen wir nicht ins Ungewisse, sondern ja nur in die Hände unseres Heilandes, welcher bei dem Tod schon auf uns wartet. Ich selber bin bis jetzt vor allem Unheil der Schlacht bewahrt worden und werde es auch im kommenden Jahr durch die Güte Gottes weiterhin bleiben. Und dazu wird mir auch, liebes Kind, Dein sehr liebes, mit großer Mühe und Sorgfalt geschriebenes Büchlein »Waffen des Wortes« helfen, für das ich Dir ganz besonders danke. Zum Schluss aber möchte ich Dich und alle Kinder der Gemeindejugend aufrufen und bitten: Liebe Kinder, betet für uns Soldaten!

Dir und Deinen lieben Eltern ein recht gutes neues Jahr wünschend, grüßt Dich herzlich...


Das Geschenk am Heiligen Abend in Stalingrad

Ein 20jähriger Buchbinder aus Stuttgart-Obertürkheim schrieb am 24. Dezember 1942 aus dem eingekesselten Stalingrad seinen letzten Brief heim. Er ist seitdem vermisst.

 

Es ist Heiliger Abend. Fast bin ich zu elend, um diesen Brief schreiben zu können (50 Gramm Brot und 20 Gramm Fleisch bekamen wir noch zu essen). Wir sind am Verhungern. Der Kreis wird immer enger, und bald wird kein Flugzeug mehr uns etwas bringen können und auch keine Post und keine Schwerverwundeten mehr mitnehmen. So traurig war noch kein Heiliger Abend in meinem Leben. Das einzige, was mich noch aufrecht hält und mir das Herz leicht gemacht hat, war die Losung, die ich heute las, sie hieß: »Mein Vater und meine Mutter verlassen mich, aber der Herr nimmt mich auf« (Psalm 27). Das darf ich ganz persönlich als ein Geschenk am Heiligen Abend aus dem Himmel für mich nehmen...


Brief eines gefallenen Pfarrers an seine Konfirmanden

Der Korntaler Pfarrer Wilhelm Keller fiel am 2. Oktober 1942 im Osten. Da er zur Konfirmation keinen Urlaub bekam, schrieb er:

Russland, am 2. März 1942 Meine lieben Konfirmanden!

Gelt, das ist anders gekommen, als wir es uns dachten, dass Euer Pfarrer, anstatt mit Euch den Festtag und das Abendmahl zu feiern, verlaust und verdreckt in einem Erdloch der vordersten Linie sitzt und mit den Tausenden von Kameraden dafür sorgt, dass der Russe nicht durchbricht. Ich freu mich, dass ich so an meinem Teil dazu mithelfen kann, dass Ihr in der Heimat in Ruhe Euren Festtag feiern könnt. Aber schwer ist es mir schon gefallen, all die wichtigen Dinge, die wir noch miteinander zu bereden hatten, jetzt nicht mit Euch durchsprechen zu können. Und ihr dürft sicher sein, dass ich jeden Tag, und natürlich ganz besonders am Konfirmationstag, ah Euch denke und Gott bitte, dass Er auch jede Stunde Konfirmandenunterricht segnen möge.

Und so weit sind wir ja gar nicht voneinander entfernt, wenn auch rund zweitausend Kilometer dazwischen sind; denn ich lese ja seit unserer letzten Unterrichtsstunde am 20. Januar jeden Tag mit einer großen Zahl von Euch den Abschnitt der Bibellese. Ich habe sie im Transportzug gelesen, im Schneesturm, in einem kleinen Erdloch, während die Granaten einschlugen, hinter einer Schneemauer, vor der die toten Russen lagen. Und jedes Mal wusste ich mich dabei mit Euch und vielen anderen Christen in der Heimat und an der Front verbunden. Seht, da ist schon etwas von dem Spruch wahr, den wir am Anfang unserer Stunde allemal gesprochen haben: »Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende

Jeden Tag, wenn es irgend möglich ist, krieche ich mit einem der Kameraden zusammen aus unserem Bunker, in dem es meist zu dunkel ist zum Lesen, und hinter irgendeinem Schneewall gedeckt - sobald er einen Zipfel von uns sieht, schießt der Russe - lesen wir die Losung und beten miteinander und spüren dabei ganz genau, dass Jesus bei uns ist. Und vielleicht kommt bald auch noch ein dritter oder vierter Kamerad von den dreizehn Mann unseres Bunkers dazu. Sieh, darauf kommt's an, dass Du jeden Tag mit diesem Jesus zusammenkommst und zu ihm betest, wo es auch sei; und dass Du immer wieder einen Kameraden oder eine Kameradin findest, die die Hände mit Dir zusammenlegen, das wünsch ich Dir zur Konfirmation. Und dass Du Dich dann auch nach dem dritten oder vierten Mann umsiehst! Denn jeder Christ und jede Christin ist ein Missionar. Ich weiß, es ist nicht leicht - die Kameraden spotten gern, und man hat fast keine Zeit und ist faul- aber vergiss mir nicht dieses tägliche Beten; es gehört zu dem, was Du an der Konfirmation versprichst.

Am letzten Sonntag war's, kaum zwei Stunden vor Sonnenaufgang, da stand ich an der Brustwehr auf Beobachtungsposten. Draußen liegen viel Russen erschossen, zwei stecken gebliebene Panzer. Es ist unruhig, überall pfeifen und krachen die Granaten, die Leuchtspurmunition der Maschinengewehre und der Flak machen das schönste Feuerwerk. Ein paar hundert Meter drüben liegen die Feinde; vielleicht greifen sie schon in der nächsten halben Stunde an. Da geht über all dem Kämpfen und Schießen am hellen östlichen Himmel unglaublich groß und prächtig der Morgenstern auf und steht strahlend über dem allem. Jesus hat einmal gesagt: »Ich bin... der helle Morgenstern Er ist immer da, hell und strahlend, auch wenn's Kampf und Dunkel und Versuchung gibt in Deinem Leben. Und das wird's geben. Denn nicht nur von den Russen, auch vom Teufel wird scharf geschossen. »Er ist bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende Denk daran jeden Tag! Denk an den hellen Morgenstern, der sogar noch über den Toten steht und durchs Sterben helfen kann. Und lies einmal das Lied 48 durch: »Wie schön leuchtet der Morgenstern Und wenn Du mir eine Freude machen willst, so Iern's auswendig und bete es oft.

Siehst, es ist gar nicht so schlimm und so wichtig, dass Euer Pfarrer nicht da ist am Konfirmationstag. Aber das ist wichtig, dass Er, Jesus, bei Euch ist, am Palmsonntag und »alle Tage«. Und der ist da. Es fragt sich nur, wie Du Dich zu ihm stellst. Und das Schlimmste wäre, wenn ein Tag käme, wo Du sagst: »Jesus, ich will dich nicht mehr bei mir haben Aber los bekommst Du ihn auch dann nicht.

Und jetzt behüte Dich Gott, in der Schule, im Pflichtjahr, in der Lehre, wo Du auch bist. Und ich feiere Deinen Festtag mit, weil der gleiche Mann Jesus Christus bei mir und bei Dir ist, »alle Tage« und bis an der Welt Ende. Grüße Deine Eltern herzlich von mir. Ich wünsch Euch allen einen frohen und gesegneten Festtag und Dir ganz besonders!


Gott näher als an gewöhnlichen Tagen

Im Juli 1944 fiel Pfarrer G. Sch. aus Pfullingen in Russland. Im Januar 1944 schrieb er, eingekesselt von feindlichen Truppen:

 

Ein schwerer Morgen steht uns bevor. Ich weiß nicht, ob, nicht wie ich ihn überstehen werde. Viele Panzer stehen vor unserem Abschnitt. Wir halten schon seit Tagen einen Brückenkopf. Nun ist der Feind auf Einbruchsnähe umfassend an uns heran. Und wir sind nur noch ein kümmerliches Häuflein. Ich gehe im schweren Granathagel durch die dünnen Reihen und bringe zu meinen geduckten Männern eine Flasche mit Schnaps, Zigaretten, ein Stück meines Brotes, aufrecht und fröhlich und sage laut: »Es kann dir nichts geschehen, denn was Gott hat ersehen und was dir nützlich ist«, und manchmal sage ich: »Ich steh in meines Herren Hand und will drin stehen bleiben Wir haben wieder alle die Zehen, die Ohren erfroren. Das Hemd, die ganze Kleidung stinkt vor Dreck. Wir schneiden aus den heiligen Ikonentüchern Fußlappen und Wundenbinden. Mein Doktor hängt wie ein Gebirge an mir; er ist zusammengebrochen und weint nur noch. Es ist ein Kampf um Meter. Bitter ist das; aber auch groß, irgendwie ist Gott näher als an gewöhnlichen Tagen. - Es ist ein immerwährendes Gebären. Bewähren.

Er lasse mir das feste Herz erhalten! Ich bin Ihm dankbar, dass Er mir half. Und wenn ich falle, darfst Du meinem Sohn verkünden, dass Gott in den Schlachten einhergeht - wie ein Riese so groß, wie ein Vater so gut, wie ein Engel so hell. - Er nimmt Euch keinen Vater, ohne Euch sich selbst zum Vater zu geben. Die Lebensformen wechseln:. Wenn unsere Kinder andere Gewänder tragen werden - so ist Christus doch nie ans Zeitliche gebunden. Lehre sie weiter die Hände falten, dann werden sie für all ihr Leben gesegnet sein.


Verkrampfung und Qual lösen sich wundervoll

Im Alter von 20 Jahren fiel im 2. Weltkrieg, am 4. August 1943, der Student H.S. aus Oberesslingen. In einem seiner letzten Briefe aus Russland schrieb er im Juli 1943:

 

...Eben habe ich meine Morgenwache gehalten. Es ist doch einfach prächtig, und es hat mir wieder eine große Freude bereitet, dass mein Denken und Fühlen da ist, wo viele andere Lieben zur selben Zeit das Gleiche tun und sich an Gottes Wort aufrichten, die Eltern und Verwandten daheim, ich in Russland und so viel andere feine Menschen. Der Morgen ist sehr schön, wunderbar ging die Sonne auf. Alles ist wieder voll Schönheit, und auch ich bin wieder zuversichtlich und bin sehr ruhig. -

Die alten Choräle sind gleich neben die Bibel zu stellen. Die güldne Sonne z.B. hat mich heute so gefreut und getröstet. Es ist so, und ich zweifle nicht daran, dass dieser Zustand nicht immer dauern wird, sondern bald sich wieder in einen besseren verwandelt. »Nach Meeresbrausen und Windessausen leuchtet der Sonne erwünschtes Gesicht. Freude die Fülle und selige Stille darf ich erwarten im himmlischen Garten Darauf freue ich mich unsagbar.

Oder das wunderbare Lied: »Befiehl du deine Wege Da könnte ich jeden Vers herschreiben, so gut passen sie alle. »Der Wolken, Luft und Winden gibt Wege, Lauf und Bahn, der wird auch Wege finden, da dein Fuß gehen kann Auch wenn ich schon lange keinen Weg mehr sehe:

»Weg hast du allerwegen, an Mitteln fehlt dir's nicht » Gott wird dich aus der Höhle, da dich der Kummer plagt, mit großen Gnaden rücken, erwarte nur die Zeit Und dann der Vers, der immer gilt: »Auf, auf, gib deinem Schmerze und Sorgen gute Nacht; lass fahren, was das Herze betrübt und traurig macht. Bist du doch nicht Regente, der alles führen soll; Gott sitzt im Regimente und führet alles wohl Das löst einem doch alle Verkrampfung und Qual in wunderbarer Weise. Ja, Paul Gerhardt!

Bei solchen Verheißungen finde ich dann auch das ganz natürlich: »Er wird zwar eine Weile mit seinem Trost verziehn und tun an seinem Teile, als hätt in seinem Sinn er deiner sich begeben und solltst du für und für in Angst und Nöten schweben, als frag er nichts nach dir Das passt alles wie zugeschnitten auf meine Lage. »Wird's aber sich befinden, dass du ihm treu verbleibst, so wird er dich entbinden, da du's am mindsten gläubst; er wird dein Herz entladen von der so schweren Last, die du zu keinem Schaden bisher getragen hast

Und siehst Du, darauf freue ich mich mächtig, und darauf bin ich immer froher geworden, und ich hoffe, dass nun meine Niedergeschlagenheit endgültig vorbei ist. Ich will mich auch durch den Arger mit den Kameraden, der am Mittag wieder anfangen wird, jetzt nicht mehr beirren lassen und mich der Gnade Gottes freuen. Gott wird mir dabei helfen.


Im Dunkel nicht verzagen

In der Schlacht von Stalingrad 1942/43 ist auch der Landwirt aus dem württembergischen Hildrizhausen vermisst, der in seinen letzten Briefen nach Hause schrieb:

 

23. August 1942

Meine Lieben!

...Von Stalingrad sind wir noch vierzig Kilometer entfernt. ...Der Russe wehrt sich verzweifelt...Heute ist ja Sonntag...Wie schön wäre es doch, wenn man wieder einmal in die Kirche gehen und Gottes Wort hören könnte. Doch darf man ja auch hier den Segen des Wortes Gottes verspüren. In meinem Büchlein steht heute: »Seid allezeit fröhlich, betet ohne Unterlass. Seid dankbar in allen Dingen, denn das ist der Wille Gottes in Christo Jesu an euch« (1. Thessalonicher 5, 16-18). »Barmherziger Gott, lass mein Herz tönen, damit es dein Lob singe. Erlöse mein Leben von dem Missklang des Murrens und Klagens. Lass mir deine Gnade groß und herrlich werden, damit meine Lippen deinen Ruhm verkündigen Solche Worte können einem immer wieder Halt und Kraft geben.

Seid in herzlicher Liebe alle recht herzlich gegrüßt und Gott befohlen

Euer Gotthilf

 

1. November 1942

Heut ist ja wieder Sonntag. Doch hier ist bei Tag und

Nacht immer das beständige Schießen. Wenn die Bomben einschlagen, da zittert alles. Wenn die Kämpfe hier noch Iange dauern, so bleibt kein Stein auf dem andern. Wie gut ist es doch, wenn man weiß: »Ich steh in meines Herren Hand Da darf man ruhig und gefasst bleiben, auch wenn alles wankt und fällt. Es ist ein großer Trost, wenn man sagen kann: »Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum wir leben oder sterben, so sind wir des Herrn

 

4. November 1942

Unsere Division ist bereits aufgerieben, und mit so wenig Mann immer wieder angreifen, geht nicht mehr. Doch man hat täglich noch zu danken, wenn man noch nicht so erfrieren muss. In der Nacht kommen immer feindliche Flieger. Man sieht da am besten, wie man auf die Gnade und Barmherzigkeit Gottes angewiesen ist. Heute Abend war ich auf Wache mit unserem Sanitäter. Da haben wir am Gespräch gemerkt, dass ein jeder einen Gleichgesinnten gefunden hat.

 

31. Dezember 1942

In wie viel Gefechten stand doch ein jeder von uns im vergangenen Jahr, auch Ihr daheim seid ja durch die Fliegerangriffe sehr vielem ausgesetzt... Auch im neuen Jahr wollen wir wie im alten uns von der Hand unsres himmlischen Vaters führen lassen und wollen es immer mehr lernen, dass wir mit seinen Führungen stille und zufrieden sein können. So wollen wir uns auch für das neue Jahr zurufen lassen: Jesus Christus, gestern und heute, und derselbe auch in Ewigkeit. Wenn wir uns an ihn halten, so dürfen wir auch im neuen Jahr nicht verzagen, auch wenn es dunkel um uns her ist.

Wenn man zurückblickt am Schluss solch eines Jahres, so hat man viel zu danken und muss bekennen: »In wie viel Not hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet

 

 

Aus dem letzten Brief aus Stalingrad, als für die Eingeschlossenen nur noch die Luftverbindung möglich war:

...Lenkst du durch Wüsten meine Reise ich folg und lehne mich auf dich, du gibst mir aus den Wolken Speise und labest aus dem Felsen mich. Ich traue deinen Wunderwegen, sie enden sich in Lieb und Segen, genug, wenn ich dich bei mir hab'. Ich weiß, wen du willst herrlich zieren und über Sonn' und Sterne führen, den führest du zuvor hinab.


Dem Tod die Macht genommen

Das war ein gewaltiger Augenblick, als Jesus vom Tode auferweckt wurde. Der Felsbrocken, der das Grab verschloss, rollte zur Seite. Die Wächter fielen erschrocken zu Boden. Sie waren mutige und kampftrainierte römische Legionäre. Was da aber geschah, überwältigte sie. Und das sorgfältig angebrachte Siegel zerbrach.

Eine noch viel größere Erschütterung gab es in der unsichtbaren Welt. Bisher konnte der Tod unumschränkt wüten. Jetzt musste er seine sichere Beute hergeben. Der Tod wird bezwungen durch das Leben. Jesus bleibt nicht im Tod, sondern besiegt den Tod. Der Tod ist verschlungen in den Sieg!

Müsste Jesus jetzt nicht der ungläubigen Welt erscheinen? Der Kaiser in Rom müsste Jesus in seiner Herrlichkeit sehen! Dann würde er in seinem machtvollen Pomp erbleichen. Das riesige römische Weltreich ist doch nichts angesichts der Größe Jesu.

Wenigstens dem hochnäsigen Statthalter Pilatus müsste Jesus gegenübertreten. Dann würde sein spöttisches Lächeln verfliegen. Der Hohe Rat würde aufschrecken. Kaiphas müsste zusammenzucken.

Die Ungläubigen müssten den auferstandenen Jesus sehen. Ihm glauben sie nicht. Seiner spotten sie. Ihn lehnen sie ab. Sie wollen ihn als Herrn und Christus nicht einmal zur Kenntnis nehmen.

Aber Jesus erscheint nicht den Mächtigen der Welt - jetzt nicht. Wir wissen, dass er einmal in seiner Herrlichkeit erscheinen wird. Dann werden alle über Jesu Macht und Größe erschrecken. Das wird am Ende der Welt sein. Heute nicht. Jesus, der Ostersieger, verzichtet darauf.

Er erscheint seinen treuen Freunden. Er liebte sie bis ans Ende. Darum kümmert er sich jetzt auch zuerst um sie. Er sorgt sich um ihren Glauben.

Da hatten sie sich in einem kleinen Raum in Jerusalem versammelt. Aus lauter Angst verschlossen sie die Türe. Dorthin geht Jesus und spricht »Friede sei mit euch

Jesus sucht den Petrus auf. Dieser ist ganz schwermütig, weil er seinen Herrn verleugnet hat. Nun quält dieser leidenschaftliche Mann sich mit Vorwürfen! Ihm begegnet der Auferstandene. Er sucht auch die Maria Magdalena aus dem Dorf Magdala, die in ihrem Schmerz völlig verzweifelt ist.

Weinend steht Maria Magdalena vor dem Grab. Ich verstehe sie gut. Wer kennt nicht Trauer? Wer weiß nicht, wie das ist, wenn man den liebsten Menschen verloren hat? Und für Maria war Jesus nicht nur ein Mensch, sondern der Heiland und Retter. Kein Schmerz geht wohl so tief, wie wenn der Tod unsere liebsten Angehörigen wegreißt. Viele weinen Tränen der Verzweiflung, der Trauer und Hoffnungslosigkeit. Wer kann sie trösten?

Der Park des Josef von Arimathia war sicher besonders hübsch angelegt und gepflegt. Dort blühten herrlich die Büsche und bunte Blumenbeete waren angelegt. Doch davon steht kein Wort in der Bibel. Maria sieht das nicht. Sie kann an nichts anderes mehr denken als an jenen schweren Schmerz, den sie getroffen hat.

Wie lieb sind die Blumen an den Gräbern gemeint! Doch trösten kann das nicht. In ihrer Frühlingspracht kann die Natur unvergleichlich wunderbar sein. Aber das Grauen des Todes kann die Natur nicht wegnehmen. Vogelgezwitscher klingt wunderschön. Die Schrecken des Todes aber werden dadurch nicht verdrängt.

»Sie haben meinen Herrn weggenommen klagt Maria. In ihrem schweren Schmerz hat sie nicht einmal den Trost der Engel, der Gottesboten, verstanden. Das ging ganz über sie hinweg. So schwer kann Traurigkeit sein. Sie meint, die Leiche Jesu sei irgendwo versteckt.

Maria hing besonders an Jesus. Sie glaubte von ganzem Herzen an ihn. Es ist ja das Geheimnis des Glaubens, dass hier eine ganz tiefe und innige Liebesverbindung mit Jesus erwächst. Das ist die Mitte und der Kern eines Christenlebens. Wir sind nicht Christen, weil wir einen besonderen Lebensstil haben oder weil wir eine besonders geprägte religiöse Gemeinschaft suchen. Auch noch nicht allein deswegen, weil wir uns um soziale oder mitmenschliche Nöte kümmern, kann man uns Christen nennen. Wir sind doch nur Christen, wenn wir eine ganz persönliche und unmittelbare Beziehung zu Jesus haben.

Doch diese ist nun durch den Tod plötzlich abgebrochen. Darum weint Maria so verzweifelt.

Es gibt viele, die auch so sprechen könnten: »Einmal hatte ich eine enge Beziehung zu Jesus. Früher, als ich zum Glauben kam, hatte ich meine stille Zeit und betete viel. Dann aber haben sie meinen Herrn weggenommen

Da brachen Zweifel auf. Man konnte das Evangelium nicht mehr glauben. Kritik machte sich breit. Vielleicht waren auch andere daran beteiligt, die den Glauben ins Wanken brachten und die Zweifel schürten. »Sie haben meinen Herrn weggenommen Sie haben Jesus weggetragen wie jeden anderen Leichnam.

Nur die Erinnerung blieb, wenn auch ein wenig wehmütig. Jesus ist dann nur noch ein Überbleibsel aus längst vergangener Zeit, eine dunkle historische Figur. Auch Bücher können es gewesen sein, die das bewirkten: »Sie haben meinen Herrn weggenommen Viele Christen sind verzweifelt und verunsichert im Glauben, seitdem sie Jesus nicht mehr als Christus erkennen können.

Solche Leute lässt Jesus nicht im Ungewissen stehen. Darum tritt der Auferstandene zu Maria Magdalena: »Maria«! sagt er nur. Daran erkennt sie Jesus. So hat er damals zu ihr gesprochen, als er sie aus ihrer dunklen Nacht herausholte.

Genauso ruft heute Jesus Christus in unser Leben hinein und gibt sich uns zu erkennen. Das Bibelwort brennt da plötzlich in Herz und Gewissen. Und sein Reden erquickt, tröstet und macht Mut.

Maria von Magdala wurde eine treue Zeugin des Auferstandenen. Sie ging zu den Jüngern und erzählte ihnen vom Sieg Jesu. Das wird auch unsere Aufgabe sein, in eine ungläubige und gottlose Welt hineinzugehen und ihr weiterzusagen, dass Jesus heute Menschen begegnet und sie im Glauben gewiss macht.


In den schwersten Stunden war Jesus mir nahe

Der Pfarrer Werner Hennig aus Tüngental bei Schwäbisch Hall fiel in der schweren Schlacht bei Orel am 6. August 1943.

 

Im Osten, 28. September 1941

Es ging sehr hart zu, und die Hälfte meiner Batterie, soweit sie im Kampf war, ist ausgefallen. Und doch, in all dem habe ich nicht nur so viel bewahrende Güte Gottes erfahren dürfen, sondern was mir noch weit mehr ist: Ich habe mich gerade in den schwierigsten Stunden immer so geborgen und so reich in ihm wissen dürfen, dass mein Herz von einer ganz neuen tröstlichen Freude, ja fast möchte ich sagen: »Seligkeit« erfüllt ist. Weißt Du, »geborgen«, das meine ich nicht in dem Sinn, als könne mir nichts geschehen, sondern so: Mir kann alles geschehen, aber in allem kommt Gott zu mir, und in allem ist mein Heiland bei mir und bei den Meinen daheim. Auch heute weiß ich nicht, ob ich heimkehren darf noch einmal, aber ich bin frei von aller Unruhe und frei von allem Fordernwollen. Und ich bin so fröhlich im Wissen um die köstliche Perle!

In dieser unserer gemeinsamen Freude grüße ich Dich dankbar und treu

Dein Werner

 

Am Christfest 1941

Ihr lieben, lieben Eltern! Lasst Euch erzählen, wie schön der Heilige Abend war, trotzdem vorher alles so dunkel und so trübe aussah und auch ich fast am Ende meiner Kraft sein wollte. Am 23. entschied es sich erst endgültig, dass wir die nächsten Tage noch hier sind, und da bekam ich also endgültig den Auftrag, die Kirche zu richten für die Weihnachtsfeier und diese selber zu halten. Ich war nicht sehr glücklich darüber, denn an mir selber zehrte das Heimweh und der Überdruss. Es kostete auch ziemlich Mühe, Christbäume zu holen (vier Stunden lang mussten wir dabei durch achtzig bis hundert Zentimeter hohen Pulverschnee waten, und oft meinte ich, einfach nimmer weiter zu können), dann musste auch die Kirche gerichtet und geheizt werden (sie war ganz und gar ausgeräumt). Auch die geistliche Vorbereitung in der großen Unruhe des Quartiers war nicht leicht, aber je mehr es dem Heiligen Abend zuging, desto freier wurde ich, und meine innere Freude wuchs.

Und dann war alles so fein: In der dunklen, hohen Kirche standen unsere fünf Bäume in einem Halbkreis im sonst leeren Chor der Kirche inmitten vieler Tannenzweige. Drei hatten Kerzen. Und dann kamen die Männer und die Offiziere alle und füllten den Raum der Kirche, still und fast feierlich, und als wir dann miteinander sangen, das war so unsagbar fein in der dunklen, in den Lichterschein der Kerzen eingetauchten russischen Kirche. Ich las die Weihnachtsgeschichte, sprach kurz, und wir beteten, und alles war eingehüllt in unsere alten Weihnachtslieder. Dann gingen wir wieder in unsere Quartiere, still und froh. Das heißt, ich ging noch in das Haus, in dem die Kranken der Abteilung liegen, die auch ein wenig Weihnachten feiern wollten. Und als ich dann durch den Schnee und durch die kalte Winternacht wieder in mein Häusle ging, da war ich sehr, sehr froh und zugleich tief beschämt über meinen Kleinglauben.

 

Ostersonntag, 24. April 1942

Draußen scheint die helle Ostersonne und lässt zum ersten Male die kommende Wärme ahnen, lässt spüren, dass Gott diese Welt nicht verlassen hat und ihr neues Leben schenken will; 's ist wie ein Wunder.

Doch meine Freude heute darf noch tiefer gehen. Ich weiß nicht, ob Ihr solches verstehen könnt, was ich nun schreibe, als sei es etwas Besonderes. Und doch war es für mich etwas Erschütterndes - in einem so beglückenden Sinn. Am Morgen waren wir wieder draußen beim Schneeschippen, und meine Gedanken wanderten so hell in diesen Ostermorgen hinein. Auf einmal klang irgendwoher hinter den nächsten Wäldern hervor der Klang dreier Glocken - es mögen vielleicht auch nur Pflugscharen gewesen sein oder sonst ein klingendes Metall, aber es klang wie das Geläute eines Dorfkirchleins. Ob Ihr verstehen könnt, wie da eine unsagbare Freude mein Herz erfüllte? Ein Stückle Heimat tat sich vor mir auf, ja noch mehr: Meine Seele öffnete sich weit, und solches Läuten war mir wie ein Stück lang entbehrten Gottesdienstes. Weiß Gott, wenn ich gekonnt hätte, ich wäre dem Läuten nachgegangen, und wenn ich auch nur noch zum Schlussgebet eines Gottesdienstes recht gekommen wäre.

Vielleicht lud solches Läuten zu einem Feldgottesdienst, vielleicht feierten die Russen irgendwo ihr Ostern, ich weiß es nicht.

Ich weiß nur, dass meine Seele so glücklich und so fröhlich ward, und dass ich über allem Schweren den lebendigen Herrn so tröstlich stehen sah und dass ich nichts anderes zu tun wusste, wie unsere frohen Osterlieder zu singen - Ostern in Russland!

Ich kann nur danken und kann nur mit immer neuer tröstlicher Zuversicht in das kommende Schwere hinein gehen. Denn das steht in Eurem wie in meinem Leben so fest wie ein Fels, was da an Ostern geschah: »Siehe, ich bin bei Euch alle Tage ...«

 

28. Mai 1942

...Ich liege als Gefechtsvorposten in einem Dorf, von dem nur noch Aschehäufchen übrig sind. Im Halbkreis um uns liegt der Feind, und zwischen beiden Linien wie üblich zerschossene Panzer und Tote. Und doch grünen die Wiesen, grünen die Birken, und die Lerchen singen ihr helles Lied in jeden Tag hinein. Das Fragen nach der Rückkehr habe ich fast verlernt, und hineindenken, wie es dann wohl daheim wäre, kann ich mich fast nimmer. Jeder Tag ist ein Schritt auf dem Weg, den Gott mich führt, und ich kann nur mehr in aller Demut immer neu um den kindlichen Glauben bitten, der um den hellen Schein im Herzen weiß und dem Schwachen Kraft gibt.

Mir ist nicht schwer ums Herz. »Gottes Brünnlein hat Wassers die Fülle«, und ich will mich bescheiden in dem Weg, den Gott für mich bestimmt hat. So viel Liebe darf ich erfahren, dass mein Herz immer neu so reich sich weiß. Ich danke Dir von Herzen für die Treue, mit der Du an mich denkst. Das ist so viel wert für uns »Abgeschnittene«.


 

Aus Russland 1942

Ich habe hier in meinem Glaubensleben solche klare Höhen erklimmen dürfen, wie vorher nicht. Ich habe meinen Heiland sehen und erleben dürfen, ja, ich weiß von Stunden, da Er mir ganz nahe war, so dass ich Ihn bei mir wusste wie einen Lebendigen.

Aber weiter bin ich auch nicht gekommen, als zu dem, was Du mir in Deinem letzten Brief schreibst: »Ich habe dem Herrn nichts weiter zu bringen als meine totale Armut, mein Versagen auf der ganzen Linie. Ich kann ihm auch nur ganz leere Hände hinhalten mit der Bitte: »Nimm mir, was mich quält, und gib mir, was mir fehlt Ja, Mütterle, wir haben die gleiche Wanderschaft und wir wollen gleiche Wandergenossen bleiben. Ich will nur eines sein: so arm, dass ich Jesu Stimme hören kann, mit der Er die Mühseligen und Beladenen zu sich ruft, und so hungrig und durstig, dass Er mich erquicken kann. Hier ist der Friede für mich und für Dich. Ich bin nichts, Christus ist alles. Das sage ich nicht aus anerzogener Demut, sondern weil mein Leben nichts anderes sehen lässt.

Die Tage zerrinnen mir unter den Fingern. Ich bin nicht lebensmatt und nicht müde, aber ich freue mich von Herzen auf den Tag, der mir den Herrn bringen wird...

 

16. April 1943

... Ich danke Dir von Herzen, Mütterle, dass Du mich so teilhaben lässest an all dem, was Dich innerlich bewegt und segnet, dass ich Dich in Deine Bibelstunden hinein begleiten darf und mit Dir Trost und Kraft darinnen finden. Du machst mir eine große Freude damit. Die Kalenderzettel lese ich erst einmal selber - und wollte wohl, ich wüsste unter meinen Kameraden welche, denen ich mit dem Weitergeben eine Freude machen könnte, sie würden sie wenigstens ernsthaft lesen. Aber in dieser Beziehung ist es recht kalt um mich her: Menschen, die stumpf sind und keinen Zusammenhang mit dem Christentum haben, oder andere, die der Überzeugung leben, mit diesem Krieg beginne auch im religiösen Leben eine neue Zeit, und das Christentum sei am Sterben. Der Kreis der jungen Offiziere zum Beispiel, mit dem ich persönlich und kameradschaftlich sehr gut stehe und auskomme, ist überwiegend mindestens im stillen dieser Überzeugung und erwartet es als eine logische, mir gegenüber recht offen zugegebene Folgerung (wohlgemerkt, ohne dass sie parteimäßig eingestellt sind und ohne irgendwelches ablehnende Gefühl einem Christentum gegenüber, das einfach den natürlichen Weg des Absterbens geht), dass die Kirchen andern Zwecken zugeführt werden, dass mein Beruf aufhört, ein Beruf zu sein, dass die Gemeinden aussterben ...

 

Juni 1943

Der Abschied fällt mir nicht schwer, denn wir werden uns wieder sehen, dort, wo keine Not mehr sein wird und keine Tränen. Das ist Euer Größtes gewesen, dass Ihr mir allezeit und in allem geholfen habt, zu meinem Heiland zu finden. »Ich weiß, dass mein Erlöser lebt« - darum bin ich getrost und fröhlich und gesegnet. - Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes.

 

17. Juni 1943

Wir liegen immer noch in der gleichen Ecke, in der wir die Schlacht um Orel mitmachten und harren neuer Dinge. Es brodelt tüchtig unter der Decke bei uns, aber das, worauf wir warten, blieb noch aus. Doch »wie Gott mich führt, so will ich gehn«, und das Feine ist, dass auf dieser Straße die Freude und das Loben nie verstummen.

 

 

Abschiedsbrief an meine Gemeinde (geschrieben Oktober 1941 während des Vormarsches auf Moskau).

Wenn diese Zeilen zu Euch kommen, dann wisst Ihr, dass Gott mich zu sich gerufen hat aus Eurer Mitte heraus, denn ich habe mich bei allem Getrenntsein nie anders gewusst als einen der Euren. Ein kurzer, froher Gruß mag mein Letztes sein, was ich Euch geben kann.

Ich bin meine Straße fröhlich gegangen mitten durch alle Schrecknisse des Krieges hindurch und bin reich geworden in all der Armut des stillen Heimwehs. Mein. Letztes an Euch kann nichts anderes sein wie ein fröhliches Lobsingen, wie ein helles, jubilierendes Osterlied: »Ich habe seine Herrlichkeit gesehen«, Christus ist mir gewesen wie ein Fels, wie ein Bruder, und gerade in den schwersten Stunden war er mir so nahe, dass mir keine WeIt und kein Tod eine Erschütterung sein konnte. Wenn ich scheiden muss von Euch und von den Meinen, wenn ich nimmer heimkehren darf, dann weiß ich das eine so ganz gewiss: Ich darf in die Heimat, ich darf zu meinem Heiland!

Über ein Weilchen, dann darf ich wieder bei Euch sein, in jener Gemeinde, die über allem Erdenweh steht. Lasset Euch nicht beirren durch die Welt und nicht durch das, was von der Welt her noch auf Euch einstürmen wird. »Seid nüchtern und wachet und kämpft den guten Kampf des Glaubens Und »Was hülfe es dem Menschen, so er die ganze Welt gewönne und nähme doch Schaden an seiner Seele Mein Leben klingt nur in einem Ton aus und der heißt: »Lobe den Herren, o meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat

Meine Augen sind weit empor gerichtet, und über allem Schweren erfüllt mich das eine so fröhlich:

 

Gloria sei dir gesungen

mit Menschen und mit Engelszungen

mit Harfen und mit Zimbeln schön!

 

Gott befohlen, Euer Pfarrer W. H.


Komm, Herr Jesu!

Warum reden eigentlich Christen heute so wenig von der Ewigkeit?

Man könnte fast den Eindruck gewinnen, als ob die Gedanken an die Ewigkeit verdrängt würden. Wird nicht oft krampfhaft versucht, biblische Aussagen allein diesseitig zu verstehen?

Vielleicht meinen manche auch, es wäre unehrlich, ja unredlich, über die Grenzen der Sichtbarkeit hinaus zu hoffen.

Mit solchen Einwänden haben wir uns alle auseinanderzusetzen. Wir fürchten leere menschliche Wunschträume, die man sich selbst einredet. Wir alle sind von den Zweifeln irgendwie geprägt. Darum leuchtet es uns viel mehr ein, hier schon auf der Erde den neuen Himmel und die neue Erde zu schaffen. Und vor lauter Glauben an den menschlichen Fortschritt vergisst mancher die Ewigkeit.

Doch Jesus weist uns immer wieder auf sein Kommen am Ende der Welt hin. Dreimal spricht er im letzten Kapitel der Bibel: »Ich komme bald Man müsste schon vernagelt sein oder taube Ohren haben, um diese Ankündigung zu überhören.

Schonungslos hat Jesus in der Offenbarung des Johannes seiner Gemeinde die Leiden und Ängste und Schmerzen der aus allen Wunden blutenden Welt enthüllt. Die Gemeinde ist dennoch nicht fassungslos. Sie ist geborgen in Jesu Wort: »Siehe, ich komme bald

Und das tröstet! Kein Freund, kein noch so lieber Mensch, kann uns auf dem letzten schweren Weg begleiten. Niemand kann uns mehr auf dem letzten Weg hinab ins finstere Todestal halten. Doch die einzige Zuversicht im Glauben wird immer stärker: »Jesus kommt bald! « - In deine Hände befehle ich mich!

Warum hört man unter Christen so wenig von dieser Erwartung? Sind wir für sein Kommen noch nicht gerüstet? Sind wir nicht bereit?

Es scheint typisch menschlich zu sein, sich vor der Erscheinung Gottes zu fürchten. Die Christenheit hat sich immer leichter getan, sich mit den Mächtigen der Welt zu verbrüdern, als fröhlich des »lieben Jüngsten Tages« zu warten.

Es ist Gottes Geist, der in der wartenden Gemeinde Jesu ruft: »Amen, komm, Herr Jesus

Darum hat das sehnsüchtige Warten der Christen nichts mit Weltflucht oder egoistischen Träumen zu tun. Es ist ein gewaltiges Wirken des Geistes Gottes. Unser Glaube muss weit hinausgreifen über die Grenzen der sichtbaren Welt. Dafür ist Jesus in seinem Wort der verlässliche Zeuge. Er versiegelt das gültige Offenbarungswort.

Wie bittere Welterfahrungen wir auch gemacht haben: Am Ende der Weltgeschichte wartet Jesus auf uns. Für alle, die ihn lieb haben, muss am Ende alles gut werden.

Während über der Welt noch der Rauch der schrecklichen Weltbrände des Gerichtes Gottes liegt, sieht die glaubende Gemeinde in Jesus den Morgenstern, der den letzten Tag der Welterlösung ankündigt (Offenbarung 22, 16).

Und mitten auf dem beschwerlichen Weg der Gemeinde, durch die Leiden der Zeit, lädt Jesus Abgekämpfte und Erschöpfte ein: »Wen da dürstet, der komme Er möchte unseren Durst schon heute an seinen Quellen stillen.

Wie wunderbar wird das erst in der Ewigkeit sein!


Das Ziel der Weltgeschichte

Auf dem Pariser Friedhof Pere Lachaise stand ich vor dem Denkmal der Toten. Alt und jung, vornehm und gering, Mann und Weib - alle müssen durch die dunkle Pforte schreiten, willig oder unwillig, unentrinnbar. Ob der Künstler wohl angedeutet hat, was auf der anderen Seite ist? Nein, da war nur der rohe Stein... Weiß der Christ etwas von dem, was unser dort wartet?

Von London fuhr ich nach Cornwall. Drüben ragten die grauen Mauern vom Windsorschloß. Hatte nicht König Eduard VII. eben noch stark an der Spitze eines gewaltigen Reiches gethront? Jetzt lag sein Leib dort in der alten Gruft, und seine Seele stand vor Gott - nicht mehr König, nicht mehr Engländer - nur noch Mensch.

Auf dem Dampfer, der mich nach Amerika trug, hockte immer wieder auf derselben Stufe ein altes Mütterchen, nach Tracht und Aussehen wohl aus einem Balkandorf kommend. Entweder ging der Rosenkranz durch ihre zittrigen Hände, oder sie sang mit seltsam leiser Stimme wehmütige Weisen in einer mir unbekannten Sprache. Ob es nicht so war?

Ihr Sohn war ausgewandert und hatte es nun zu einer gesicherten Stellung gebracht, so dass er seine alte Mutter rufen konnte. Und sie hatte das große Wagnis unternommen, war mit der Bahn bis Bremerhaven gereist und hatte dann das Schiff bestiegen. Man merkte, dass ihr das alles unheimlich war. Vielleicht konnte sie sich von Amerika auch keine allzu klaren Vorstellungen machen. Aber eins hatte ihr den Mut zu der großen Fahrt gegeben: dass er da ist und auf sie wartet! - Wenn wir weiter nichts von der anderen Seite wüssten, als dass Jesus da ist, so wäre das schon genug.

Als ich todkrank in Maissur in Südindien lag, habe ich einmal lange vergeblich versucht, mich auf meinen Namen zu besinnen. Er fiel mir nicht mehr ein. Aber hell leuchtete mir der Name Jesus - ein Sinnbild dafür, dass uns im Sterben alles versinkt, wirklich alles - aber Er bleibt! Das war in jenen schweren Wochen mein wundersamer Trost: Du bist bei mir!

Wenn wir sterben, mögen liebende Menschen noch so hingebungsvoll um uns sein - den Schritt durch die dunkle Pforte müssen wir allein tun. Und doch nicht allein, wenn wir die Gewissheit im Herzen tragen: Du bist bei mir! - Du, dem ich ins Herz schaue, wenn ich auf das Kreuz von Golgatha blicke. Wie wird es sein, wenn der Christ drüben zum ersten Male stammelnd sagen kann: Du bist bei mir! - Das ist ja die seltsame Ähnlichkeit zwischen Sterben und Beten: in beidem tritt der Mensch allein vor Gott. Wer es im Beten gelernt hat, wird es im Sterben können.

Wir alle gehen dem Gericht entgegen. Da wird es sein, als ob der heilige Richter uns vor eine Waage führt. In die eine Schale legt er hinein, was er für uns getan hat; in die andere müssen wir das legen, was wir ihm bringen. Kommst du da mit deinen kirchlichen Papieren oder deinen frommen Stimmungen und Vorsätzen? »Gewogen und zu leicht gefunden!« -- Oder bringst du deine geistlichen Erfahrungen, deine Bekehrung und Heiligung oder deinen Dienst an Gottes Reich? »Gewogen und zu leicht gefunden!« - Aber da kommt ein schlichtes Menschenkind. »Eigenes kann ich dir nicht bringen. >An mir und meinem Leben ist nichts auf dieser Erd'. Aber -, was Christus mir gegeben, das ist der Liebe wert.< Und das lege ich in die Waagschale - deine gekreuzigte Liebe, du mein Herr und Heiland!« - Und siehe, das Gleichgewicht ist da; denn das ist es, was Gott in die andere Schale gelegt hat...

Mögen Kinder beschließen, dass morgen die Sonne nicht aufgehen soll - sie wird ihnen ins Gesicht lachen, wenn ihre Stunde gekommen ist. So mögen die Leute der Christenhoffnung spotten, dass der Herr wiederkommen wird, sein herrlich Reich zu vollenden. Aber ändern können sie nichts an der Wahrheit aller Wahrheiten, dass Jesus der ewige Sieger ist, der über jedem Menschenleben und jedem Volke und der Menschheit und aller Kreatur das letzte Wort sprechen wird in dieser und das erste, ewig die Richtung bestimmende in der kommenden Weltzeit. Wer im eigenen Leben etwas erfahren hat von der schöpferisch-erlösenden Macht des Auferstandenen und ein wenig zu Hause ist in der innersten Geschichte seiner Gemeinde, der treuen Schar der Armen im Geiste, derer das Himmelreich ist, der kennt das herrliche Ziel der Weltgeschichte:

»Wieder zusammengefasst unter einem Haupt wird all das in dem Christus, was in den Himmeln und auf Erden ist

Paul le Seur


Wie man nach der Heimat reist

Wehmütig klingt das Lied:

»Ich wäre ja so gerne noch geblieben,

aber der Wagen, der rollt!«

 

Nicht immer muss das traurig stimmen. Junge Menschen stürmen im Tatendrang davon. Sie brennen darauf, neue Entdeckungen zu machen. Darum freuen sie sich, wenn es vorwärts geht.

Wer aber den jähen Stillstand des rollenden Wagens fürchtet, der mag in seinen Gedanken immer wieder rückwärts träumen. War damals nicht das Leben herrlich? Nein! Wie leicht verdrängt das AIter Ängste und Schrecken der vergangenen Tage und verklärt sie golden.

Es muss sehr langweilig sein, immer nur rückwärts zu sinnen und von einst zu reden. Menschen, denen Jesus Christus begegnet ist, schauen gespannt vorwärts. Das Schönste kommt noch!

Die Bibel macht nicht viel Worte vom Sterben. Selbst bei den großen Gestalten des Glaubens findet man nur einen Satz: »Und Abraham verschied und starb in einem guten Alter, als er alt und lebenssatt war

Er war nicht gebrochen in seinem Lebensmut, nicht verbittert mit den Menschen.

Ein Leben lang wohnte er nur in Zelten. Eine feste Heimat kannte er nicht. Er war und blieb ein Wanderer zur großen Ewigkeit. »Er wartete auf die Stadt, die einen festen Grund hat, deren Baumeister und Schöpfer Gott ist«, heißt es im Brief an die Hebräer Kapitel 11, 10.

Gleichzeitig war er ein tüchtiger Weltmann von Format. Er verhandelte mit den Königen seiner Zeit und wurde von ihnen hoch geachtet. Doch sein Herz sehnte sich nach der neuen Welt Gottes.

 

Paul Gerhardt dichtete den Liedvers:

»So will ich zwar nun treiben mein Leben durch die Welt;

doch denk ich nicht zu bleiben in diesem fremden Zelt.

Ich wandre meine Straße, die zu der Heimat führt,

da mich ohn alle Maße mein Vater trösten wird

 

Meist wird das Alter missverstanden, als ob dort das Leben sich erschöpfe. Dabei vollendet sich in biblischer Schau im Alter häufig genug die Reife und die Erfüllung des Lebens.

Lebenssatt meint ja nicht den Überdruss an Leben. Satt sein bedeutet nun wirklich nicht, zu viel gekostet zu haben. Es ist das dankbare Genießen des Gehabten und die gestillte Sehnsucht, die nicht nach immer mehr verlangt.

Und dennoch verschweigt Gottes Wort nicht das Fremde am Sterben. Der Tod bleibt, auch im Leben der im Glauben Schauenden, der Feind. Im hebräischen Urwort für abscheiden klingt das Widernatürliche des Sterbens an, die Unnatur. Das Leben wird zerbrochen und zerstört.

»Herr, Iehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden

Der Schrecken des Todes und die Finsternis des Sterbens lasten schwer auf unserer Welt. Dass wir dennoch im Frieden heimgehen dürfen, das hat uns Jesus Christus möglich gemacht. Er legt sein Leben im Sterben in des Vaters Hände. Er allein kann auch uns aus der Gottesferne des Todes herausführen.

 

Jesus Christus spricht:

»Ich bin die Auferstehung und das Leben.

Wer an mich glaubt, der wird leben, auch wenn er stirbt.

Und wer da lebt und glaubt an mich, der wird nimmermehr sterben


Märtyrer in China

Die Zahl der Opfer an Missionaren hat sich nie genau ermitteln lassen, die in den Unruhen im Sommer 1900 in China umgekommen sind. Die chinesische Kaiserin erlaubte den geheimen buddhistisch-taoistischen Geisterkämpfern, meist Boxer genannt, Ausländer zu verfolgen und ihren Besitz zu zerstören. Es kam zu schweren Ausschreitungen. Häuser wurden niedergebrannt und viele Missionare umgebracht.

 

Jahre voller Glück

Die Missionarin Lizzie Atwater schrieb am 3. August 1900 an ihre Familie, 12 Tage bevor sie mit sechs anderen Missionaren im nördlichen Teil der Provinz Shansi ermordet wurde:

 

Meine Lieben,

ich sehne mich danach, Euch zu sehen, aber ich fürchte, dass wir uns auf Erden nicht mehr wieder sehen werden. Ich bin bereit zu sterben und sehe allem ruhig und gefasst entgegen. Der Herr ist mir ganz spürbar nahe, und Er wird mich nicht verlassen. Ich war sehr unruhig und nervös, als es noch eine Möglichkeit des Überlebens zu geben schien. Doch Gott nahm mir diese Hoffnung; und nun bete ich um Gnade, damit ich tapfer die Todesstunde durchstehen kann. Mein kleines Baby wird mit mir gehen. Ich bin gewiss, dass der Herr es mir im Himmel schenken wird, und meine geliebte Mutter wird sich sehr freuen, uns zu sehen. Ich kann mir nicht ausmalen, wie der Empfang des Heilands sein wird. Oh, dies wird all diese Tage des bangen Wartens aufwiegen. Meine Lieben, bleibt eng mit dem Herrn verbunden und hängt Euer Herz nicht an die vergänglichen Dinge dieser Welt. Anders ist es nicht möglich, den Frieden Gottes zu erhalten, der alles Denken übersteigt...

Ich muss Ruhe bewahren, gerade in diesen Stunden. Ich bedaure es keinesfalls, nach China gekommen zu sein, aber mir tut es leid, dass ich so wenig tun konnte. Die zwei Jahre seit meiner Hochzeit waren Jahre voller Glück. Mein geliebter Mann und ich werden zusammen heimgehen.

Ich hatte immer große Angst vor der Trennung. Falls wir dem allem hier entkommen sollten, wäre dies ein großes Wunder.

Ich grüße Euch und alle lieben Freunde, die an mich denken, in großer Liebe.

Seid nicht traurig!

 

Der schottische Missionar Duncan Kay und seine Frau versteckten sich zusammen mit einigen Missionarinnen auf Bitten chinesischer Freunde in Höhlen auf den Bergen. »Wir stehen euch bei, auch wenn es uns das Leben kosten sollte«, sagten die einheimischen Christen. - » Und wir bleiben hier, bis man uns hinauswirft erklärten die Missionare.

Aus ihrem Versteck konnte Frau Kay einen Brief an ihre drei Kinder, die in einer Missionsschule der China-Inland Mission waren, hinausschmuggeln lassen. Darin schrieb sie:

 

Wir werden täglich von zwielichtigen Gestalten belästigt, die unser Geld wollen. Nun haben wir keinen Pfennig mehr. Es bleibt uns nichts anderes mehr übrig, als zu versuchen, in die Stadt zurückzukehren. Dies wird aber sehr schwierig sein. Überall auf den Straßen sind diese Menschen, die uns an das Leben wollen. Ich schreibe diesen Brief, als ob es der letzte ist. Wer weiß, wir mögen vielleicht ja schon bald bei Jesus sein. Dieser Brief wird nicht lang, aber er soll Euch zeigen, wie sehr wir Euch lieb haben. Wir bitten Euch, nicht zu traurig zu sein, wenn Ihrr die Nachricht unseres Todes erhaltet. Wir haben Euch alle in die Hände unseres Gottes anbefohlen. Er wird sich jedem von Euch annehmen. Versucht, rechtschaffen zu sein. Liebt Gott! Glaubt an den Herrn Jesus Christus! Das ist der letzte Wunsch Eurer lieben Eltern.

In großer Liebe

Papa, Mama und die kleine Jenny

 

An den Leiden Christi teilhaben

»Wir stehen in Gottes Hand sagte Missionar Willie Peat, als er von chinesischen Christen in Höhlen zusammen mit seiner Frau, zwei Töchtern und zwei Missionarinnen versteckt wurde. »Ich fürchte kein Unglück, denn du, Herr, bist bei mir

Die Krankenschwester Edith Dobson schrieb in ihrem letzten Brief: »Wir wissen, dass nichts passieren kann, was Gott nicht zulässt. Darum brauchen wir uns nicht zu ängstigen. Gottes Gnade reicht für alles aus

In einem letzten Brief an seine Mutter schrieb Willie Peat:

»Die Soldaten sind uns dicht auf den Fersen, und mir reicht es gerade noch, Euch ein kurzes >Auf Wiedersehen< zu schreiben. Wir werden bald bei Jesus sein, was auch viel besser für uns ist. Uns tut es leid um Euch, die Ihr zurück bleibt, und um die lieben einheimischen Christen.

Auf Wiedersehen! Und dies wird nicht mehr lange dauern; spätestens, wenn der Herr Jesus wiederkommt. Wir freuen uns, an den Leiden Christi teilzuhaben, dass - wenn Seine Herrlichkeit offenbar werden wird - wir uns mit überschwänglicher Freude freuen werden. Gott, unser Vater, ist bei uns, und wir werden zu Ihm gehen. Wir werden Euch alle dort wieder sehen, um ewig vereint bei Ihm zu sein

Und seine Frau ergänzte noch: »Unser himmlischer Vater ist bei uns und wir gehen zu ihm. Wir vertrauen darauf, vor seinem Angesicht Euch alle wieder zu sehen und dann für immer beieinander bei Jesus zu sein

 

Am 30. August 1900 wurden sie alle ermordet.


Sie ist nach Haus gegangen wie ein müdes Kind

Lieber Freund und Lehrer! Ich will heute nur ein paar Worte schreiben, aber in den nächsten Wochen wird der Brief wohl fertig werden. Ich bin sehr traurig in meinem Herzen. Ich haben letzten Mittwoch, den 12. April, meine Mutter begraben. Ich soll Dich von ihr grüßen mit ihrem letzten Gruß, und sie lässt sich auch noch bedanken für alles Gute, was Du an ihr getan hast. Siehe, so will ich Dir das schreiben und ausrichten.

Mutter ist ihres Lebens alt geworden: 72 Jahre, 6 Monde und 5 Tage. Davon ist sie beinahe 6 Jahre hier bei mir gewesen. Als ich ihr die Freikarte rüberschickte, da ist sie ganz gern gefahren, weil wir uns über 30 Jahre nicht gesehen hatten und weil sie alt wurde und nicht mehr so recht arbeiten konnte. Aber es ist ihr hier so gegangen, wie den meisten, die alt rüberkommen. Sie ist das Heimweh nicht mehr losgeworden. Es ging ihr damit gerade so, wie dem alten Fehlandt. Der hatte es hier bei seinen Kindern auch gut; aber es fehlte ihm was, das konnte das Land Amerika ihm nicht geben, so groß und reich es auch ist. Alte Bäume verpflanzen sich schlecht. Sie fangen an zu quienen und gehen so nach und nach ein.

Mutter ist auch hier nie ganz zu Hause gewesen. Wir haben alles getan, was wir ihr an den Augen abgucken konnten. Wir haben sie auf den Händen getragen. Sie hat kein ungutes Wort zu hören gekriegt. Aber das Land war ihr fremd, das Haus war ihr fremd und die Wirtschaft zu weitschichtig. Unsere Kinder waren groß und brauchten nicht mehr auf dem Arm getragen zu werden. Auch gab es hier keine Gössel zu hüten und keine Küken, was sonst ja ganz gut ist für die Alten. Und den ganzen Tag Strümpfe stricken und stopfen, das ging doch auch nicht. Die Hände in den Schoß Iegen und still sitzen, das konnte sie nicht; denn sie hat es nicht gelernt, und im Schaukelstuhl hat sie nie recht gelegen. Sie sprach: Ich will mit dem Sitzen und Liegen auf meine alten Tage nicht mehr umlernen. Zum Sitzen bei Tag ist der Stuhl da und zum Schlafen bei Nacht das Bett, und mit so'n Mitteldings, was nicht mal feststeht auf seinen Beinen, damit will ich nichts zu schaffen haben.

Aber nun ist sie tot, und am letzten Mittwoch haben wir sie begraben.

Sie ist nicht lange krank gewesen. Wir hatten dies Frühjahr scharfen Wind, und da kriegte sie es auf der Brust. Ich holte den Doktor heimlich: denn das wollte sie auch nicht. Er sprach ihr gut zu. Aber draußen sagte er zu mir, dass sie wohl nicht mehr werden würde. Die Tropfen, die er ihr verschrieb, die hat sie willig eingenommen. Aber dabei ist ihr Essen immer weniger geworden, und sie wurde immer schwächer. Ihre Finger waren zuletzt ganz dünn und nichts als Haut und Knochen.

In der letzten Zeit habe ich oft und lange an ihrem Bett gesessen und ihre Hand gehalten, und wir haben viele gute Worte miteinander gesprochen. In den Wochen bin ich eigentlich, solange ich hier bin, zum ersten Mal so ganz zur Besinnung gekommen. Da bei meiner alten Mutter am Bett, da ist all der Arbeitskram und die Arbeitssorge von mir abgefallen wie ein fremder Rock, und ich bin bloß noch meiner Mutter ihr großer Jung gewesen. Sie hat zu mir gesagt: »Du bist zu scharf im Arbeiten. Du musst nicht so hart schaffen. Du musst dir Zeit lassen, dass du mal zur Besinnung kommst. Besinnung tut dem Menschen nötig, denn er ist nicht bloß zum Arbeiten da. Du hast deine meisten Sensen verbraucht und dein meistes Korn gedroschen. Deine letzte Ernte kommt früh genug. Da brauchst du gar nicht so doll zu laufen So hat Mutter zu mir gesprochen, denn ihr Leben war Arbeit und Mühseligkeit. Darum, so habe ich mir's aufmerksam in mein Herz genommen und mein Leben überdacht. Und siehe, sie hat recht. Eine Mutter hat immer recht, wenn sie zu ihren Kindern spricht. Denn sie sucht ihrer Kinder Bestes und findet es auch.

Meist aber haben wir von zu Hause gesprochen. Sie hat auch oft davon erzählt, dass Du den Alten im Dorf, die nicht mehr zur Kirche gehen konnten, Sonntag Abend in der Schule immer und all die Jahre eine Predigt von Harms oder Schleven vorgelesen hast, und von der Weihnachtsfeier, die Du den Kindern und Alten im Dorf in der Schule machst und wozu sich alle schon vom Herbst an freuen. Dabei sagte sie: »Für die Alten im Dorf war das Leben im Winter ohne Weihnachtsfeier und Predigt in der Schule wie eine griese Jacke Auch hat sie mir viel erzählt aus ihrer Kinderzeit, wo ich nichts von wusste. Denn es ist mit den Menschen also: Wenn sie alt werden und die Beine wollen nicht mehr vorwärts, dann fangen die Gedanken an zu wandern und wandern rückwärts.

Einmal hat sie zu mir gesagt: »Wenn ich an die alte Zeit zurückdenke und dann wieder an heute, das ist mir, als ob ich bloß aus einer Stube in die andere gehe. Bloß in der Tür ist das Dunkel. Aber da kommt man denn wohl auch durch Siehe, das sagte die alte Frau da in ihrem Bett. Da hörte ich in Ehrfurcht zu und streckte ihr die Hand entgegen und sprach: »Mudding, was du eben gesagt hast, das könnte ganz gut im Psalm stehen, bloß mit ein bisschen anderen Wörtern Unterdes war es schummerig geworden, aber Wieschen hatte draußen noch zu tun. Da sagte sie ganz leise, als wenn sie sich schämte: »Jürnjakob«, sagte sie, »du kannst mir mal einen Kuss geben. Mich hat so lange keiner mehr geküsst. Ich habe eigentlich bloß dreimal im Leben einen Kuss gekriegt. Einmal, als ich mit Jürnjochen Hochzeit machte. Das andere Mal, als du geboren wurdest. Das dritte Mal, als Jürnjochen starb. Nun will ich mich fertig machen und ihm nachgehen. So kannst du mir noch einen mit auf den Weg geben Ich aber sprach: »Mudding, das geht mir gerade so wie dir, und ich sehe, dass ich dein Sohn bin. Da haben wir beide was nachzuholen

So habe ich mich ganz sacht über sie gebückt und sie richtig geküsst, und sie hat mich über die Backen gestrakt, als wenn ich noch ein kleiner Junge war. Dann legte sie sich zurück und war ganz zufrieden. Als ich dann aber draußen beim Vieh stand, da war ich in meinem Herzen richtig erstaunt und sprach zu mir: »Jürnjakob Swehn, da liegt nun eine alte Frau und will sterben, und das ist deine Mutter, und du hast sie im Leben nicht kennen gelernt. Siehe, so lernst du sie im Sterben kennen

Als aber der Tag zu Ende war, da kam ein anderer, und das war der letzte. Es war ein Sonnabend. Ihr Essen und Trinken, das war nicht mehr, als wenn ein kleiner Vogel essen und trinken tut. Als die Arbeit fertig war und es schon schummerte, da saß ich wieder an ihrem Bett und hielt ihre Hand, und der Puls ging sehr schnell. Lange Zeit saßen wir da im Schummern. Es war ganz feierlich wie in der Kirche, wenn vorn auf dem Altar die beiden Lichter brennen, weil Abendmahl ist. Ja, daran dachte ich, als ich ihre Augen sah. Es waren sonst ganz gewöhnliche blaue Augen; aber an dem Tag ging ein Schein von ihnen aus, den sah ich sonst nicht in dieser Welt. Aber nun sah ich ihn mit meiner Seele. Wieschen machte Licht und gab ihr mit freundlichen Worten was zu trinken; denn die Lippen waren trocken. »So, Jürnjakob«, sagte sie dann, »nun lies mir was aus der Bibel vor

So las ich ihr die Geschichte vom Lazarus vor, und als es zu Ende war, sagte sie: »Da ist ein Psalm, den will ich noch gerne hören. Ich weiß nicht, woans er anfangen tut. Aber da ist was von Säen und Ernten drin - »Ich weiß schon, Mudding, welchen du meinst«, sagte ich und schlug den 126. auf und las: »Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, dann werden wir sein wie die Träumenden - »Hörst du, Mudding? Wie die Träumenden!« - »Ich höre, mein Sohn - Und ich las weiter bis zum Schluss: »Sie gehen hin und weinen und tragen edlen Samen und kommen mit Freuden - mit Freuden, Mudding! - »und bringen ihre Garben.« - »Ich hab man keine Garben, wenn ich ankomm - »Ja, Mudding, wenn's danach geht, dann kommen wir alle nackt an und haben nichts in der Hand Sie schwieg eine Weile. Dann sagte sie: »Nimm das Gesangbuch und lies: Christus, der ist mein Leben So las ich den Gesang, und sie hatte die Hände gefaltet und leise mitgesprochen, und als ich zu Ende war, da sagte sie: »Das ist schön. Das hat unser Lehrer auch mit den Schülern gesungen, als Jürnjochen gestorben war. Und nun lies noch: Wenn ich einmal soll scheiden! « So las ich die beiden Verse.

Dann gab Wieschen ihr wieder zu trinken, und sie nickte ihr zu und drückte ihr die Hand, und ein Küchelchen hat sie auch noch gegessen, und als ich sie nötigte, noch einen halben. Als sie den auf hatte, freute ich mich: »0 Mudding, wat is dat schön, dat du en beten eten hest. Du sast man seihn, wenn dat nu ierst warm ward, denn ward dat ok wedder beter mit di Da rakte sie leise mit der Hand über die Bettdecke, sah mich an und sprach: »Beter warden? Dor is nich an tau denken. Du mösst blot no beden, dat dat nicht mehr so lang' duert.« - Lieber Freund, als sie das so sagte, da ging mir das mitten durch meine Seele; denn ich hatte mich eben noch zu ihrem Essen gefreut.

Dann rakte sie wieder leise über die Decke, und ihre Seele war sehr müde. Ich aber überdachte ihr Leben, als es zu Ende ging, und fand nichts als Mühe und Not. Dann faltete sie die Hände wieder und sah mich still und fest an, und ihre Augen waren groß und tief. Da war schon etwas drin, was sonst nicht drin war. Das kann ich nicht mit Worten beschreiben. Da konnte man hineinsehen wie in einen tiefen See. Ich Iegte meine Hand ganz sacht wieder auf ihre Hände, und wir warteten. Aber nicht mehr lange. Dann sagte sie noch mal was. Sie sagte: »Ick wull, dat ick in'n Himmel wer. Mi ward de Tid all lang - Lieber Freund, das behalte ich mein Leben lang bis an meinen Tod. Das könnte, so wie es ist, ganz gut im Gesangbuch stehen. Dann betete sie ganz leise: »Hilf, Gott, allzeit, mach mich bereit zur ewigen Freud und Seligkeit. Amen!«

Als sie das Amen gesagt hatte, da drehte sie den Kopf so'n bisschen nach links rum, als wenn da wer kommen tat. Und da ist auch einer gekommen. Den habe ich nicht mit meinen Augen gesehen und mit meinen Ohren gehört. Der hat sie bei der Hand genommen und da ist ihre Seele ganz leise mitgegangen, richtig so, als wenn man aus einer Stube in die andere geht. So ist sie nach Hause gegangen, als wenn ein müdes Kind abends nach Hause geht. Und nun ist sie nicht mehr in einem fremden Lande.


...der uns die Hand unter den Kopf lege

»Nach schwerer, in glaubensvoller Tapferkeit getragener Krankheit wissen wir seit dem 16. Februar 1989 meine innig geliebte Frau, unsere beste Mama... in der Fürsorge unseres Heilands und Erlösers So formulierte ich in der Traueranzeige. Es war der Versuch, unser Geborgensein trotz allen schrecklichen Erlebens in Worten zusammenzufassen.

Hinter mir lagen zwölf Jahre Ehe mit einer ausgesprochen anmutigen Frau, aufopfernd und mütterlich im Umgang mit den Kindern, überaus ästhetisch begabt, eine mich in allen Belangen stützende und tragende Gattin. Gela hatte trotz ihres eher zurückhaltenden Wesens eine große Ausstrahlungskraft. Als 1984 die Krebserkrankung entdeckt wurde, war Miriam fünf, Benjamin drei Jahre alt. Trotz schwerer Operationen und Chemotherapie erlebten wir Wunder Gottes, so z.B.: Gela war äußerlich nahezu nicht gekennzeichnet von den Schlägen ihrer Krankheit. Wir konnten Urlaub machen, fast zwei Jahre konnte sie noch in unserem Haus wohnen, das sie mitgestaltet hatte. Doch von allem Materiellen, sogar von ihren geliebten Kindern konnte sie loslassen. Und sie konnte zu Hause sterben. Vorher schenkte uns Gott - entgegen ärztlicher Prognosen in ihrer letzten Lebensphase - noch sieben weitere gemeinsame Wochen.

Wenn ich meine Frau in diesen Wochen abends segnete und mit ihr betete, sprach ich ihr das Christus-Wort aus Offenbarung 1, 17 zu: »Fürchte dich nicht. Siehe, ich bin der Erste und der Letzte und der Lebendige, und ich sagte ihren Namen. Selbst, mit eigenen Worten, konnte ich keinen Trost geben. Auf meine gelegentliche Frage, ob sie sich fürchte, konnte sie mit einem klaren »Nein« antworten. Getröstet zu sein - das ging schließlich auf mich über, und es begleitet mich bis heute.

Das verhindert nicht klaffende Wunden in der Seele. Doch tiefer noch ist die Erfahrung, dass unser Erleben kein sinnlos, tragisches Schicksal ist, sondern dass Gott Regie führt. Davon möchte ich berichten. Schon kurze Zeit nach Entstehung ihrer Erkrankung 1984 wurde ich nachts telefonisch ins Krankenhaus gerufen, um Abschied von meiner Frau zu nehmen. Zwar rangen die Ärzte um ihr Leben, doch hatte wohl keiner mehr Hoffnung, dass Gela den Morgen erleben würde. Am Bett las ich Psalmworte vor, wir beteten, sie wartete auf das irdische Ende - und vorbei an allen Prognosen, Statistiken und Bulletins gab Gott ihr das Leben mit Hilfe bis dahin noch kaum erprobter Verfahren dank mutiger Arzte für weitere vier Jahre und drei Monate zurück. Beschämt hat mich, dass einer von ihnen in seiner eigenen Unsicherheit sich auf seine Weise an Gott wandte und für Geh eine Messe lesen ließ.

Wie exakt Gott Regie führte, erfuhren wir auch 1986 bei einem weiteren Eingriff. Tage nach der Operation war urplötzlich eine bedrohliche, schier ausweglose Situation entstanden. Doch im richtigen Moment stand die nötige Ärztekombination bereit. Telefon und Aufzug waren zur Stelle, ich saß als »Feuermelder« am Krankenbett. Minuten später wäre es zu spät gewesen.

Freunde, die mich, nachdem sich die Aufzugtüren geschlossen hatten, zeitlich passgenau vor der Klinik auflasen und beten halfen, bestätigten mir wieder, dass Gott die Finger im Spiel hatte.

Wie liebevoll begegnete uns Gott durch den Brief einer Diakonisse am letzten Abend, bevor Gela schließlich ins Koma fiel. Wenige Zeilen, aber wichtiger als ein Bücherschrank voller wissenschaftlicher Abhandlungen: »Will es dunkeln, lass mir funkeln deiner Gnade hellen Strahl; Gott der Klarheit und der Wahrheit, führe mich im dunklen Tal. Herr, ich suche, Herr, ich finde meine Ruhe nur in Dir; gib den Segen deinem Kinde und bewahre Du ihn mir Und sie fügte persönlich hinzu: »Wie oft haben wir dem Herrn gedankt, wenn Er Ihnen Besserung schenkte. Im Augenblick umbeten wir Sie sehr, liebe Frau Schön. Der Herr weiß, was er Ihnen zumuten kann. In diesem Leidens- und Läuterungsprozess ist Er Ihnen hebend nahe und lässt Sie keinen Augenblick allein. Es ist Gott ein Kleines, Sie anzurühren und zu heilen, das trauen wir Gott zu! Und möchte Er gern sein geliebtes Kind bald ganz bei sich haben, um es Seine ganze Herrlichkeit schauen zu lassen - dann bereitet er Sie wunderbar zu... Wie es der Herr auch macht, liebe Frau Schön, Sie sind und bleiben in Seiner liebenden Hand für Zeit und Ewigkeit...«

Wüsste ich nicht von diesem Trost, wäre ich längst zerbrochen. Er ist tausendmal mehr wert als die Gewerkschaftsproblematik, die seinerzeit ein Krankenhausseelsorger mit mir im Flur erörtern wollte.

Nicht immer ist es durchzuhalten, aber beschlossen zwischen meinen Kindern und mir ist es schon, dass wir in unserem Schmerz und der Sehnsucht nach der Mama ja eigentlich an uns denken, uns um uns selber drehen. Wir wollen uns aber vielmehr darüber freuen, dass sie es jetzt unendlich viel besser hat. Unser jetzt achtjähriger Sohn Benni bedauert »nur«, dass er jetzt noch ungefähr 60 Jahre zu warten habe, bis er Mama wieder sieht.

Mir selbst ist Jesus noch mehr zum Freund geworden, wenn ich ihn - für mich eigentlich ganz neu - als Weinenden anschaue, der angesichts des Todes von Lazarus mit leidet und sogar weint (Johannes 11). Er wird meine Tränen verstehen.

Weiteren Trost erfuhr ich später, als ich Gottes Wort selber las: »Bei Gott allein kommt meine Seele zur Ruhe« (Psalm 62, 2). Zum Glück hat man mich weitestgehend mit dummen Sprüchen, Floskeln verschont. Etliche christliche Kleinschriften zum Thema halfen nicht oder nur kaum weiter. Grundlegendes von Fritz Rienecker: »Das Schönste kommt noch«, sehr gut Siegfried Kettlings Buch »Du gibst mich nicht dem Tode preis«, verfasst nach dem Tod seines Sohnes, authentisch und über weite Passagen mit meinen eigenen Erfahrungen übereinstimmend. Wirkliche Antworten erhielt ich jedoch nur aus der Bibel selbst. Auch erinnerte ich mich an das Motto unserer Verlobung, den Ausschnitt eines Briefes von Matthias Claudius an seinen Sohn. Seine Zeilen sind ein Programm für Leben und Sterben: »Wer nicht an Christus glauben will, der muss sehen, wie er ohne ihn raten kann. Ich und du können das nicht, wir brauchen jemand, der uns hebe und halte, dieweil wir leben, und der uns die Hand unter den Kopf lege, wenn wir sterben müssen. Und wir wissen keinen, von dem wir's lieber hätten

Albrecht Schön


Dienst an Krankenbetten

D. Dr. Karl Hartenstein war lange Direktor der Basler Mission. Als Prälat der Württembergischen Landeskirche wirkte er besonders durch seine seelsorgerlichen Predigten und Bibelauslegungen. Wenige Jahre vor seinem Tod im Jahr 1952 erkrankte er schwer. Aus dieser Erfahrung schrieb er an seine Pfarrer:

 

Nun möchte ich wagen, einiges zum Ausdruck zu bringen, was ich als Leidender, Sterbender und wieder ins Leben Zurückgeführter erlebt habe.

»Jede Krankheit ist eine persönliche Angelegenheit zwischen Gott und dem einzelnen Dieses tiefe Wort des Paracelsus gilt für jeden Leidenden. Das Leiden ist tief hineingeordnet in unseren gesamten Lebensweg, in unser ganzes Lebensschicksal. Seine Zeit, seine Tiefen und seine Gnaden sind ein Teil und vielleicht der wichtigste Teil der geheimen Geschichte, die Gott mit jedem einzelnen hat. Jede lebensgefährliche Krankheit enthält ein hohes Maß von göttlichem Gericht. Es wird in den Stunden der völligen Ohnmacht, wo man in jedem Augenblick damit rechnen muss, die Augen endgültig zu schließen, das ganze Leben, das eigene und das mit den anderen zusammen gelebte, unerbittlich erleuchtet und durchrichtet. Wenn dazu Schmerzensqualen kommen, die man schwer aussprechen kann, und alle ärztlichen Mittel versagen, so ist beides zusammen, Gewissensgericht und leibliches Leiden, eine erdrückende Last. Bedenken Sie aber, dass Sie es an Ihren Krankenbetten immer mit Menschen zu tun haben, denen Gott die große Gnade schenkt, schon auf Erden von ihm gerichtet und darum auch gereinigt und zubereitet zu werden. Offenbar ist das Leiden auf dieser Welt eine Vorwegnahme jener Läuterung, die uns allen bevorsteht und von dem uns nichts geschenkt wird. Helfen Sie darum Ihren Leidenden und Sterbenden zur Beichte und scheuen Sie sich nicht, im Angesicht des Gottes, dem wir alle begegnen werden, Hilfe zu geben, dass Lasten schon hier abgelegt, Sünden hier gebeichtet und vergeben werden.

Ein besonderes Erlebnis dessen, der den Weg zum Tod bei völlig wachem und hellem Bewusstsein geführt wird, ist das, was Paulus in 2. Korinther 5 mit Ausgezogenwerden, mit Nacktsein bezeichnet. Diese Worte treffen den Tatbestand mit unnachahmlicher Klarheit. Und das Gefühl des leibIich-seelischen Nacktseins ist furchtbar. Darum steht dort in 2. Korinther 5, 1-10 auch der einzige Trost, den wir Menschen in diesem Augenblick zu geben schuldig sind: das Zeugnis von dem Haus, das nicht mit Händen gemacht ist, das unser im Himmel wartet.

Aber das größere und tiefere Erlebnis ist dies, dass in diesen Stunden des schwersten Gewissensgerichtes und der schwersten körperlichen Leiden Christus die Seele eines Menschen mit der Seligkeit und Süßigkeit seiner vergebenden Gnade in einem Maß zu erfüllen vermag, dass man vor Freuden darüber buchstäblich zu vergehen droht. Es ist dies eine Einheit von Gericht und Gnade, die in solchen Stunden zum tatsächlichen Erlebnis wird, obwohl das unbegreiflich ist. Weisen Sie darum Ihre Sterbenden mit Macht auf das Kreuz und Blut Jesu Christi, auf die Kraft seiner Auferstehung, auf die Gewissheit seiner Gegenwart und auf die Realität seines Wortes hin als dem einzigen Trost in solcher Stunde. Sagen Sie den Kranken, dass sie nichts zu fürchten haben, dass Jesus Christus alle unsere Sünde weggetragen, ja buchstäblich verschlungen hat, und dass man unter dem Zittern des Gerichts und mit den furchtbarsten Schmerzen des Leibes und der Seele fröhlich hinüberziehen kann, wie man nach der Heimat reist.

Ich kann Ihnen versichern, dass es eine Freude gibt, die einem noch mehr Tränen auszupressen vermag als das schwerste körperliche Leiden, eine Freude, die ganz unirdisch ist und die in jedem Augenblick denen, die in Jesus Christus sterben, von ihm tropfenweise aus dem Meer des Lebens und der Freude der Ewigkeit eingegeben wird, die kostbarste Arznei der kommenden Welt.

Eine ganz große geistliche Hilfe für die durchwachten Nächte, für die sich endlos dehnenden Schmerzensstunden ist das Gebet. Machen Sie den Kranken Mut, viel und lange zu beten. Wir haben in dem grässlichen Tempo des Lebens ja auch als Christen kaum mehr Zeit, eine Viertelstunde am Tag zu beten, geschweige denn stundenlang. Und dazu gibt ja die Krankheit wunderbare und nie wiederkehrende Gelegenheit. Natürlich will dieses Beten gelernt sein. Und doch glaube ich, kann man die Kranken darin auch unterweisen, wie man das eigene Leben durchgeht, das Leben der Nächsten, der uns anvertrauten Menschen, das Leben des Amtes und Dienstes. So kann es sein, dass man auf kleinstem Punkt gefangen, die größten Nöte durchwandern kann, Zwiesprache haltend und Fürbitte einlegend. Dazu sind die Psalmen, die ich vom ersten bis zum letzten Wort durchgelesen und durchgebetet habe, ebenso die Fülle von Gesangbuchversen eine große Hilfe.

Die Speise und der Trank zum ewigen Leben im Heiligen Abendmahl sind eine Hilfe ohnegleichen auf dem Leidensweg. Ich werde es dem Amtsbruder nie vergessen, der mir in regelmäßigen Abständen alle paar Tage das heilige Mahl gereicht hat. Da versteht man, dass es nicht nur das Mahl der Vergebung ist, sondern das endzeitliche Mahl. Es wird jedes Mal zur Vorwegnahme der großen Feier in dem Reich, dem man entgegengeht. Ich glaube, wir sollten wirklich den Stärkungs-, Freuden- und Hoffnungscharakter dieses Mahles noch ganz anders in Verkündigung und Seelsorge üben und das Mahl oft anbieten. Eine besondere Bedeutung gewinnt es, wenn die Kinder und die Nächsten dabei sein können und wenn in solcher Gemeinschaft dem Sterbenden die Gewissheit sichtbar und deutlich wird, dass zwischen den Menschen alles in Ordnung ist.

 

 

 



[1] Moltke, der in Plötzensee war, wusste bei der Abfassung dieses Briefes nicht, dass Pater Rösch verhaftet war und sich im Gefängnis Moabit befand.