Wilhelm Busch – Was Jesus vom schwachen Glauben sagt

 

Sonntag, den 22. Oktober 1944

»Der Herr aber sprach: >Wenn ihr Glauben habt wie ein Senfkorn und sagt zu diesem Maulbeerbaum: Reiß dich aus und versetze dich ins Meer, so wird er euch gehorsam sein<«

(Lukas 17, 6)

 

Eine der packendsten Geschichten der Bibel ist die vom Durchgang durchs Rote Meer. Da lagert die Gemeinde des Alten Bundes an einem Meeresarm. Rechts und links er­heben sich schroffe Felsenwände. Da bricht die Nachricht ins Lager: Pharao, der grimmige Feind, kommt mit gewal­tiger Heeresmacht! Man ist ohne Waffen und wehrlos. Jeder Fluchtweg ist abgeschnitten. Verzweiflung bricht im Lager aus.

Da tritt Mose königlich in göttlicher Vollmacht unter die Verzweifelten: »Der Herr wird für euch streiten und ihr werdet stille sein!«

Und dann schreit Mose zum Herrn. Der sagt ihm, er solle seinen Stab über das Meer recken. Da zerreißen die Wasser und es entsteht ein Weg, auf dem das Volk im Glauben in die Freiheit zieht.

So oft ich diese Geschichte lese, erschrecke ich: so ist mein Glaube nicht. Ich verstehe so gut jenen christlichen Papua in Neuguinea, der dem Missionar etwa so sagte: »Wenn ich in der Kirche sitze, ist mein Glaube groß wie ein Berg. Aber wenn ich bei meinen Stammesgenossen bin, ist er klein wie ein Reiskorn.«

Mein Glaube ist oft noch kleiner: wie ein Senfkorn. Und da bin ich froh, dass der Heiland hier einiges über den schwachen Glauben sagt.

 

l Der Herr Jesus achtet den schwachen Glauben nicht gering

Mir geht es auch wie jenem Papua — wenn ich hier vor Euch predige, dann ist mein Glaube so groß wie ein Berg. Aber wenn die Bomben krachen, wenn ich die Furcht der Kinder sehe, wenn Nachrichten kommen, dass liebe Jungen gefallen oder vermisst sind, wenn ich an die Zukunft meiner Arbeit denke, dann ist mein Glaube oft klein wie wie Senfkorn. Dann geht es mir wie dem Petrus, als der dem Herrn übers Wasser entgegenlaufen wollte — ich sehe dann nur die wilden Wellen und nicht mehr den Herrn. Und wenn einem der Teufel alle Sünden vorhält und löhnt: »Du willst ein Christ sein?«, dann wird der ganze Heilsstand wankend, und man zweifelt, ob einem denn wirklich die Erlösung gelte.

Da ist es so tröstlich, dass der Heiland hier den schwachen Glauben nicht schilt. Er spricht vielmehr sehr hoch von ihm. Warum? Auch der schwache Glaube ist Gottes ei­genstes Werk durch den Heiligen Geist. Und Gottes Werk an einem Menschenherzen ist auch in seinen Anfängen etwas Großes. So macht der Herr hier dem schwachen Glauben Mut zum Weiterglauben. Und so ist es uns ja schon im alten Bund verheißen (Jesaja 42, 3): »Das geknickte Rohr wird er nicht zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.« Als die Gemeinde des Alten Bundes aus Ägypten zog, da wurde besonders darauf geachtet, dass niemand zurück­blieb. Auch die Schwächsten kamen mit. So will unser Heiland auch die mit dem schwächsten Glauben mit­bringen an das herrliche Ziel der Ewigkeit. Doch möchte ich sagen, dass hier natürlich nicht von irgendeinem weltlichen oder religiösen Glauben die Rede ist, sondern vom Glauben an Jesus als dem Sohn Gottes und den Heiland der Sünder.

 

2. Der schwächste Glaube hat denselben starken Heiland wie der starke Glaube

In unserem Text sagt der Herr, dass der schwache Glaube große Dinge tun kann. Wie ist das möglich? Darum, weil nicht unser Glaube, sondern der starke Herr die großen Dinge tut. Als Mose so glaubensstark am Roten Meer stand, hat ja nicht sein Glaube das Meer geteilt, sondern der Herr hat es getan.

Der Herr Jesus fuhr einmal mit seinen Jüngern über den See Genezareth. Während sie das Schiff bedienten, schlief er hinten im Heck. Auf einmal überfällt sie ein schauer­licher Sturm. Die Jünger packt das Grauen. Sie wecken ihren schlafenden Heiland — ach, nicht mit glaubens­voller Bitte, sondern mit dem Schreckensruf: »Wir ver­derben!« Nicht wahr, da war der Glaube der Apostel nicht sehr groß. Und doch — Jesus tat ein großes Zeichen und stillte den Sturm.

Da seht ihr, dass auch der schwache Glaube den starken Herrn hat.

Noch ein Beispiel: Die Stadt Jerusalem lag in Trümmern. Die Babylonier hatten die Bevölkerung weggeschleppt. Durch diese Trümmer irrt nun der große Gottesmann Jeremia. Sein Herz ist voll Jammer und Finsternis, dass man meint, sein Glaube sei ganz dahin. Er sagt da in Klage­lieder 3: »Er hat mich in Finsternis gelegt wie die, so längst tot sind. Und wenn ich gleich schreie und rufe, so stopft er seine Ohren zu vor meinem Gebet... Meine Hoffnung auf den Herrn ist dahin... « Nicht wahr, so spricht ein armer, schwacher Glaube. Aber dann sieht Jeremia auf den Herrn. Ihr müsst das selbst mal lesen, wie ihm da aufgeht, dass auch der schwache Glaube den starken Herrn hat. Es ist, als wenn allmählich die Sonne aufgeht in dem dunklen Herzen: »Gedenke doch, wie ich so elend und verlassen bin ... Du wirst ja daran denken; denn meine Seele sagt mir's. Das nehme ich zu Herzen, darum hoffe ich noch. Die Güte des Herrn ist's, dass wir nicht gar aus sind. Seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende... « Und immer mehr wird nun aus dem Jammer ein Loblied — auch der schwache Glaube hat den starken Herrn. Wenn ich meine zitternde Glaubenshand in Jesu durchgrabene Hand schiebe, habe ich dieselbe starke Hand erfasst, die Moses so glaubensstark dort am Roten Meer er­griff.

 

3. Auch dem schwachen Glauben ist das Unmögliche möglich

Zinzendorf sagt: »Der Glaube bricht durch Stahl und Stein und kann die Allmacht fassen, der Glaube wirket all's allein, wenn wir ihn wirken lassen. Wenn einer nichts als glauben kann, so kann er alles machen, der Erde Kräfte sieht er an als ganz geringe Sachen.« Das meint der Herr, wenn er hier sagt:  »Wenn du Glauben hast wie ein Senfkorn, kannst du Bäume ausreißen.« Wenn nun allerdings der ungeistliche Sinn über so ein Wort kommt, versteht er's natürlich falsch. So hörte ich von einer Frau, die dies Wort auch vernommen hatte. Und da sagte sie: »Das wollen wir gleich ausprobieren!« Und sie befahl einem Baum vor ihrem Haus, sich während der Nacht ins Meer zu werfen. Als sie am nächsten Morgen aus dem Haus trat, war der Baum noch da. »Ich hab's ja gleich gewusst!« sagte sie darauf. Was wollen wir dazu sagen?

a) Das war kein Glaube, wenn sie es »gleich gewusst hat«.

b) Es lag keine Notwendigkeit vor, den Baum auszureißen. Der Glaube macht keine Tollheiten, sondern er tut den Willen Gottes. Wir verstehen, dass Jesus hier im Bilde redet: Da stehen die Nöte des Lebens vor dir wie so ein rie­siger Baum: jeder Ast eine Not, jedes Blättlein eine Sorge. Nun sprich du getrost zu diesem Baum: »Reiß dich aus und wirf dich ins Meer! Denn ich gehöre meinem Heiland, der sagt, dass ohne den Willen meines Vaters kein Haar von meinem Haupt fällt.«

Oder da stehen die versuchlichen Mächte der Welt vor uns wie so ein starker Baum. Jeder Ast ist eine Verlockung, jedes Blatt eine tödliche Lust. Und der Baum rauscht: »Komm her zu mir, Geselle, hier findest du deine Ruh.« Du sprich nur getrost zu diesem Baum: »Hinweg mit dir und ins Meer! Denn mich hat der Sohn Gottes mit seinem Blut erkauft.« Und du wirst erfahren, auch der schwächste Glaube vermag Großes, weil er den starken Erlöser er­greift.