Wilhelm Busch

Mizpa

 

„Da aber die Philister hörten, dass die Kinder Israel zusammen­gekommen waren gen Mizpa, zogen die Fürsten der Philister hinauf wider Israel. Da das die Kinder Israel hörten, fürchte­ten sie sich vor den Philistern. Samuel nahm ein Milchlämmlein und opferte dem Herrn ein ganzes Brandopfer und schrie zum Herrn für Israel; und der Herr erhörte ihn."

1. Samuel 7, 7 und 9

 

Vor kurzem lud ich einen Mann in unseren Gottesdienst ein. Der aber lehnte ab mit der Begründung: „Ich bin kein Kirchenläufer. Aber ein Christ bin ich trotzdem. Ich bin mehr dafür, dass man das Christentum lebt."

Nun, dafür sind wir auch. Ein Christentum, das nicht gelebt wird, ist bestimmt wertlos.

Aber — was heißt denn das: „Christentum leben"? Da haben die meisten die Antwort schnell bereit: „Christentum leben — das ist: Das Böse meiden! Human sein! Gutes tun!" usw. Und wenn man schließlich alle diese Antworten zusammenfasst, so entdeckt man, dass sie genau das meinen, was die Bibel das „Umgehen mit Werken" nennt. Dies aber — so enttäuschend es ist — ist ganz genau das Ge­genteil von Christenstand.

Das „Christentum leben" heißt nach der Bibel: „im Glauben leben". Aus solchem Glauben muss das rechte Tun dann fließen. Aber die Hauptsache muss Hauptsache bleiben. Christlich leben — ich sage es noch einmal — heißt: im Glauben leben. Und gerade das möchte ich aus der Bibel lernen. Denn es ist etwas Großes, Starkes und Herr­liches.

 

 

Im Glauben leben

 

1. Die bedrohten und gefährdeten Leute

Unser Text enthält einen Abschnitt aus einer wundervollen, aber auch wunderlichen Geschichte. Sie spielt in einer Zeit, in der das Volk des Alten Bundes seinen Gott vergessen hatte. Schritt für Schritt hatte es sich an die Welt verloren.

So etwas bleibt nicht ohne traurige Folgen: Wer dem Herrn nicht gehören will, der wird ein Knecht der Welt. So war Israel unter die harte Tyrannei der heidnischen Philister gekommen. Aber ein einziger Mann in Israel ging diesen Weg nicht mit. Das war der alte Prophet Samuel. Wie hat er wohl in der Stille betend um die abgefallene Gemeinde gerungen!

Nach zwanzig Jahren kam die Wendung. Der Geist Gottes wirkte, dass dieses Volk zu sich kam und sein inneres und äußeres Elend er­kannte. Die Bibel erzählt: „Und das ganze Haus Israel weinte vor dem Herrn." O was für herrliche Erweckungszeiten sind es, „wenn Scharen armer Sünder / entflieh'n der ew'gen Glut"! Samuel sagt ihnen nun sehr nüchtern: „So ihr euch von ganzem Her­zen bekehrt zu dem Herrn, so tut von euch die fremden Götter und richtet euer Herz zu dem Herrn...!" Und dann versammelt er alles Volk in Mizpa. Hier wird ein großer Bußtag gehalten. Nun sollte man doch meinen, die Geschichte ginge so weiter: „Der Herr wandte sich wieder zu ihnen, und alles wurde gut." Aber seltsamerweise folgt das in dem biblischen Bericht nicht. Es geschieht vielmehr etwas sehr anderes: Während sie noch in Mizpa versam­melt sind, kommt ein Bote gerannt: „Die Philister ziehen gegen uns heran mit einem gewaltigen Heer!" Da fällt eine große Angst über alle. Man muss Mitleid haben mit diesen bedrohten und gefährdeten Leuten.

Aber sind wir nicht in der gleichen Lage? Man möchte wirklich dem Herrn angehören. Man hat sein Elend ohne Ihn erkannt, man ist er­schrocken über sich, hat die Götzen weggetan und ein Leben mit dem Herrn angefangen.

Und gerade dann geschieht es, dass die Hölle ihre Pforten auftut und alle Bedrohungen auf uns loslässt: Da gewinnen Versuchungen, die man längst überwunden wähnte, eine neue, unheimliche Gewalt. Da überfällt uns auf einmal ein Sorgengeist, dass man vor Nöten nicht mehr aus noch ein weiß. Da quält uns der Zweifel, ob nicht das ganze Evangelium doch eine Menschenerfindung sei. Da geraten viele in unbegründete, aber abgrundtiefe Schwermut, die alle Freudigkeit lahmt. Da verwirren die Menschen uns und bringen uns in lauter Schwierigkeiten.

„Da zogen die Philister herauf gegen Israel", heißt es hier. Ja, das erleben alle, die dem Herrn angehören wollen, immer wieder neu.

 

2. Das seltsame Verhalten des Samuel

Nun kommt das Wunderliche der Geschichte. Das heißt: Wunderlich ist es nur in den Augen der blinden Welt. Die Christen können an dem Verhalten des Samuel lernen, was es heißt: im Glauben leben. Durch die Versammlung in Mizpa läuft plötzlich die Schreckensbot­schaft: „Die Philister ziehen gewappnet gegen uns heran!" Was sollte Samuel nun tun? Die Antwort ist klar: Er musste den Bußtag abbrechen und Maßnahmen ergreifen gegen den feindlichen Einfall. Aber das alles tut Samuel nicht. Vielmehr fährt er in Gelassenheit fort mit dem begonnenen Gottesdienst: Ein Opfer wird geschlachtet und das Feuer auf dem Altar entzündet.

Da kommen neue Boten: „Die Philister sind schon ganz nahe!" Samuel bleibt ruhig. Er stellt sich und das bedrängte Volk im Glau­ben unter das Opfer und schreit zum Herrn.

„Das ist ja verrückt!" sagt hier die natürliche Vernunft. Nun, ein unerleuchteter Mensch weiß eben nicht, was solch ein Opfer ist. Wis­sen wir es? Dies Opfer ist Versöhnung mit dem lebendigen Gott.

Samuel opferte ein Milchlämmlein. Wir haben etwas Besseres: das Opfer des Sohnes Gottes auf Golgatha am Kreuz. „Siehe, da ist Got­tes Lamm, welches der Welt Sünde trägt!" Unter dies Opfer dürfen wir uns im Glauben stellen. Auf den gekreuzigten Heiland dürfen wir schauen und wissen: Er ist die Versöhnung für unsere Sünden. Er ist unser Friede mit Gott. Da wird das Herz bei allen Nöten, An­fechtungen und Bedrohungen ganz still und getrost. Denn wenn wir Frieden mit dem lebendigen Gott haben, muss ja alles gut werden. Schaut noch einmal auf den Samuel! Ich bin überzeugt, dass die Angst und Aufregung auch an seinen Nerven riss, dass seine alte Natur ihm auch allerlei andre Rettungswege vorschlug. Aber der Heilige Geist Gottes hielt ihn fest unter dem versöhnenden Opfer, dass er im Glau­ben sich an diese Versöhnung mit Gott klammerte und nun dem Herrn die ganze Not hinwerfen konnte.

So machen es die richtigen Christen. Das heißt: im Glauben leben!

 

3. Der wunderbare Ausgang

Nun müssen wir unbedingt noch den Schluss der Geschichte ansehen. Ich stelle mir vor, wie immer neue Schreckensboten ins Lager Israels kommen. „Es muss doch etwas geschehen!" rufen die weltklugen Leute im Hintergrund. Samuel aber bleibt mit der Gemeinde unter dem Versöhnungsopfer stehen. Und im Schütze dieses Opfers schreit er zum Herrn. „Da ließ der Herr donnern einen großen Donner über die Philister und schreckte sie." So erzählt die Bibel. Und sie macht erstaunlich wenig Worte über diese Sache.

Ja", fragen wir, „geht das denn immer so?" Und die Antwort muss lauten — allem Unglauben zum Trotz: Ja, es geht immer so! Oder sollte Gottes Wort lügen? Es sagt im 34. Psalm Vers 6: „Welche auf ihn sehen (wie Er für uns am Kreuze hängt), die werden erquickt, und ihr Angesicht wird nicht zu Schanden." Es geht so, auch wenn scheinbar die Philister siegen; auch wenn die Christen den Märtyrer-Tod er­leiden. Am Ende wird es offenbar: Wer im Glauben unter Jesu Kreuz steht, ist für immer gerettet, und sein Angesicht wird nicht zu Schan­den. Aber die Welt der Philister wird zu Schanden. Ich möchte euch bitten: Macht Schluss mit dem „Feld-, Wald- und Wiesen-Gottvertrauen", das man so vielfach findet. Gott ist heilig, und wir Sünder sind vor Ihm tausendmal des Todes schuldig. Aber nehmt das Versöhnungsopfer Jesu am Kreuz an, dann steht Gott auf eurer Seite.

 

So werden Christen mit ihren Bedrohungen und Nöten fertig, dass sie sich glaubend unter die Versöhnung stellen und als Versöhnte zu Gott schreien. Ja, so überwinden sie die Welt. Denn: „Unser Glaube ist der Sieg, der die Welt — und alle Philister — überwunden hat!"