Der Fernsprecher
schrillt. „Herr Pfarrer, in Ihrem Bezirk steht zur Zeit der Zirkus Sarrasani.
Da ist vorgestern eine Amerikanerin gestorben. Sie müssen die Beerdigung
übernehmen!"
Zeit und Stunde
werden ausgemacht.
Am nächsten Tag
stehe ich bei der Friedhofskapelle. Da ist der Sarg. Eine große amerikanische
Flagge bedeckt ihn. Ein Wärter tritt zu mir: „Wissen Sie, daß es sich um eine
Indianerin handelt? Ihr Zelt, in dem sie in dem großen Zirkuslager wohnte, hat
Feuer gefangen, und an den Brandwunden ist sie gestorben."
Eine Indianerin?
War sie wohl Christin? Und welche verschlungenen Wege führten sie wohl von den
Steppen Nordamerikas zu uns? Ehe ich noch alle auf mich einstürmenden Gedanken
ordnen kann, höre ich draußen Musik. Ich eile hinaus.
Ein buntes Bild. Da
kommt der ganze Zirkus anmarschiert. Voran drei farbige Musikkapellen. Dahinter
der Zirkusdirektor. Dann kommen die Indianer. An der Spitze der hochgewachsene
Häuptling, hinter ihm die anderen Männer und Frauen seines Stammes, große,
hagere Gestalten im Schmuck der Adlerfedern. Dahinter ein endloser Zug:
Kosaken und Tataren, Chinesen und Japaner, Rifkabylen aus Nordafrika und
Cowboys von den Vereinigten Staaten, Neger, Tänzerinnen. Besonders fällt mir
eine Reihe junger Mädchen in Reithosen und Sporenstiefeln auf, deren Gesichter
über und über geschminkt und gepudert sind. Sie alle füllen schwatzend und
lärmend die enge Friedhofskapelle. Das Gedränge ist groß. Die jungen Reitmädchen
setzen sich auf die Fensterbank, um von da oben alles sehen zu können. Und dann
stellt mich der Zirkusdirektor dem Indianerhäuptling vor. Ein seltsames Bild:
der evangelische Pfarrer in seiner Amtstracht, dem der Indianerhäuptling in
voller Kriegsbemalung die Hand drückt.
Aber dann fällt mir
meine Leichenrede schwer aufs Herz. Eine solche Beerdigung habe ich noch nie
erlebt. Es wird gut sein, wenn ich dem fahrenden Volk ein Wort von der Wanderschaft
des Erdenlebens sage und von der großen Ewigkeit.
Wird das aber
möglich sein? Zaghaft wende ich mich an den Zirkusdirektor: „Sagen Sie doch
bitte, verstehen die Leute denn deutsch?"
„I bewahre —",
lacht er, „— und auch englisch verstehen nur ein paar von ihnen. Da sind viele
Ausländer drunter, die nur ihre Muttersprache verstehen. Die verständigen sich
mit mir durch ihren englisch sprechenden Dolmetscher. Reden Sie nur irgend
etwas, es versteht's doch niemand."
Da kommt eine große
Verzagtheit über mich. Das wäre ja sinnlos, wenn ich reden sollte, was kein
Mensch versteht. Nun, dann will ich wenigstens zu denen reden, die mich doch
verstehen müssen. Der Zirkusdirektor und der und jener unter den Deutschen,
sie werden lange nicht in der Kirche gewesen sein. Denen will ich ein
Ewigkeitswort sagen!
So lese ich ein
Bibelwort und sage ein paar Sätze. Die Versammlung ist schrecklich unruhig.
Die Mädchen dort oben auf der Fensterbank beschäftigen sich mit
Taschenspiegeln, Lippenstift und Puderquaste. Nun, es muß auch langweilig
sein, wenn man eine Rede nicht versteht.
Ich spreche von dem
traurigen Schicksal dieser Indianerin, die nun in fremdem Land ihr Grab findet.
„Ihr, die ihr immer umherzieht durch alle Länder, ihr alle seid heimatlose
Leute. Aber euch möchte ich sagen, daß dafür die ewige Heimat zu euch gekommen
ist. Unsere Seele ist zu Hause, wenn sie bei Jesus ist."
Da geschieht etwas
ganz Seltsames.
Als ich den Namen
Jesus ausspreche, geht's wie eine Bewegung durch die Versammlung. Das ist ein
Wort, das sie alle verstehen. Und beim Klang des Wortes Jesus horchen sie auf.
Aber ich merke sofort: es ist nicht nur deshalb, weil der Name allen bekannt
ist; er hat eine ganz eigentümliche Gewalt. Die Indianer neigen sich. Die
unruhigen Asiaten werden ganz still. Die Russen schauen mich mit großen Augen
an. — Da habe ich nun auf einmal meine Leichenrede gefunden. Sie kann von nun
an nur noch ein Wort sein: dieser große Name Jesus!
So sage ich einen
Satz nach dem anderen. Es kommt mir nur mehr auf den Namen Jesus an. Immer
wieder verneigen sich die Indianer. Ganz still ist's mit einmal in der
Versammlung. Meine Augen gehen zu den leichtfertigen Mädchen: verschwunden
sind Lippenstift und Spiegel. Der einen laufen die hellen Tränen übers Gesicht.
Eine andre stützt den Kopf in die Hände; ob ihre Gedanken wohl zurückgehen in
eine reinere Jugendzeit, wo sie zum erstenmal den Namen Jesus hörte?
Und während ich
weiter den Namen Jesus verkündige und all diese Menschen aus den
verschiedensten Teilen der Welt vor ihm stille werden, ist mir's, als erlebte
ich schon ein Stücklein von dem, was am Ende einmal sein wird: daß in dem Namen
sich beugen sollen aller derer Knie, die im Himmel und auf Erden und
unter der Erde sind!