„Kem" ist ein
Bäckergeselle, der heute wacker in der evangelischen Jugendarbeit steht. Aber
als die Geschichte passierte, war er erst Lehrling.
Ach, er war ein
blasser und schwächlicher Junge. Daher hat er auch seinen seltsamen Spitznamen
„Kem". Das ist nämlich eine jungensmäßige Abkürzung von „Kalkeimer".
So nannten ihn die Jungen in unsrem Jugendkreis, weil er so entsetzlich blaß
aussah — eben wie ein Kalkeimer.
Aber es war kein
Wunder, daß er so aussah. Denn es war Krieg. Tag und Nacht war in unserer Stadt
Essen Alarm. Da mußte man sehen, wie man die Arbeit dazwischenkriegte. Und an
so einem kleinen Lehrling blieb natürlich eine Menge hängen.
Aber unser
„Kem" fand immer noch Zeit, unsre Bibelstunden zu besuchen. Wir kamen in
einem dunklen Keller zusammen, denn die Gemeindehäuser waren längst alle
zerstört. Doch das machte nichts. Der Herr Jesus kam zu uns auch in den Keller
und erfüllte alles mit Seiner Herrlichkeit. Und auch den jungen „Kem"
gewann Er sich zu eigen. Oh, wir haben feine Stunden dort in dem Keller
zusammen erlebt!
Wieder einmal war
ein furchtbarer Angriff über Essen niedergegangen. Als der Abend sich
herabsenkte, brannte die Stadt an allen Ecken und Enden. Über Häusertrümmer
bahnte ich mir meinen Weg zu unsrem Keller. Wahrhaftig! Es hatte sich wieder
ein Trüpplein eingefunden. Die Lichtleitungen waren zwar zerstört, und wir
mußten bei einem kleinen Kerzenstümpfchen beisammensitzen. Aber das „Licht der
Welt" ging hell in unsren Herzen auf. Und uns Leuten, die wir „in
Finsternis und Schatten des Todes" saßen, ging auf „der Aufgang aus der
Höhe". (Wer die Bibel kennt, weiß, daß das Wort aus dem Lobgesang des
Zacharias im 1. Kapitel des Lukas-Evangeliums stammt.)
Als wir
auseinandergingen, blieb „Kem" vor mir stehen. Einen Moment sah ich eine
große Traurigkeit in seinem Gesicht, als er sagte: „Nun haben wir auch alles
verloren. Eine Luftmine hat das Haus, in dem wir wohnten, in einen Trümmerhaufen
verwandelt . . ." Aber dann ging auf einmal ein unbeschreiblicher Glanz
über das blasse Gesicht. Es war, als wenn ihm die Freude aus allen Knopflöchern
strahlte, als er fortfuhr: „. . . jetzt habe ich nichts mehr als bloß meinen
Heiland."
„O Junge",
sagte ich und drückte ihm die Hand, „da ist dir ja das Beste geblieben! Da ist
dir ja der eigentliche Reichtum nicht verloren gegangen!"
Und „Kem"
nickte freudestrahlend — mit Tränen in den Augen.
Als ich die Tränen
sah, fiel mir ein Verslein aus dem württembergischen Gesangbuch ein, das
heißt:
„So wein' ich, wenn ich wein',
Doch noch mit Loben.
Das Loben schickt sich fein
Zu solchen Proben.
Man kann den Kummer sich
Vom Herzen singen.
Nur Jesus freuet mich!
Dort wird es klingen!"