Wilhelm Busch - Kleine Erzählungen

 

„Leucht’ in unser armes Leben...!"

 

„Brich herein, süßer Schein

Sel'ger Ewigkeit;

Leucht’ in unser armes Leben,

Unsern Füßen Kraft zu geben,

Unsern Seelen Freud'!"

 

Wo sind wohl Christenleute, die diesen Vers noch nicht ge­sungen haben? Und doch sieht man so wenig davon, daß das Licht der Ewigkeit das arme Alltagsleben verklärt. Das muß wohl an uns liegen. Wo es aber geschieht, da ist es etwas ganz Großes und Wundersames.

Das mußte ich denken, als ich vor einiger Zeit in einem Blättlein einen kurzen Bericht las. Es ist ein Blatt, durch das die Betheler Diakone untereinander Verbindung halten.

Die Geschichte spielt in einem Durchgangslager für Flücht­linge und Vertriebene aus dem Osten. Welch ein Strom von Elend und Herzeleid passiert jeden Tag dies riesige Lager! Und so ein Diakon, der hier Dienst tut, muß schon recht bei dem Herrn Jesus in die Schule gehen, daß sein Herz nicht abstumpft dieser unendlichen Not gegenüber und daß er den einzelnen Menschen noch sehen kann.

Solch einem Betheler Diakon fiel ein altes Ehepaar auf, das eines Tages in das Lager kam. Der Alte war ein sterbender Mann, und es wurde schnell deutlich, daß sein irdischer Pilger­weg in diesem Lager an das Ziel kommen würde.

An seinem Sterbelager saß seine treue Weggefährtin. Was sie sich zu sagen hatten, war ja wohl im Laufe eines langen Lebens besprochen. Und das war gut. Denn die Verständigung war schwierig, weil die alte Mutter ganz taub war. Und alles, was ihr Mann ihr sagen wollte, schrieb er auf eine Schiefertafel, die sie bei ihrem geringen Gepäck mitführten.

Eines Tages nun ging der Diakon an den beiden vorbei und sah, daß der Alte mit letzter Kraft etwas auf die Tafel schrieb. Er trat näher, um festzustellen, ob der Alte etwa einen Wunsch hätte. Und da las er, was der alte Flüchtling geschrieben hatte:

„Jetzt gehe ich nach Hause zum Heiland. Da werden wir nicht mehr vertrieben; da werden wir nicht mehr ausgeplündert; da wird Gott abwischen alle Tränen von unsern Augen."

So etwa schrieb der Alte. Wie gesagt — ich kann es nur aus dem Gedächtnis und nicht einmal ganz wörtlich zitieren. Ich glaube, er hat es sogar noch viel schöner aufgeschrieben, als ich es nun zusammenkriege. Und mehr hat der Diakon nicht berichtet.

Aber als ich diese Notiz gelesen hatte, da sah ich im Geist die beiden Alten in dem grauenvollen Flüchtlingslager sitzen. Ringsum furchtbare Not. Und vor ihnen die schwere Tren­nungsstunde.

Aber über ihnen hat sich der Himmel aufgetan. Und das „Licht vom unerschöpften Lichte" ist in ihr armes Leben her­eingebrochen.

 

„Ewigkeit,

In die Zeit

Leuchte hell herein,

Daß uns werde klein das Kleine

Und das Große groß erscheine!

Sel'ge Ewigkeit!"