Mein Freund Josef X nimmt es mir nicht übel, wenn ich hier eine
Geschichte von ihm wiedergebe. Erzählt er sie doch selbst gern. Und er ist, wie
ich, der Überzeugung, daß manch einer dadurch Wichtiges lernen kann.
Ich war damals Pfarrer in einem Bergarbeiter-Bezirk. Eines Morgens
verlangt ein Mann mich zu sprechen. An den feinen blauen Narben an Gesicht und
Händen erkenne ich sofort den Bergmann. Das sind die Spuren, die die
unterirdische Arbeit an der Kohle hinterläßt.
„Herr Pfarrer", sagt er zu mir, „darf ich Ihnen mal eine Geschichte
erzählen?"
„Gewiß! Bitte!"
„Sehen Sie, ich bin Bergmann. Dann noch Familienhaupt und Vater von drei
Kindern. Sonst ist von mir nicht mehr viel zu sagen, als daß ich ein ganz gottloser
Mensch bin. Um Gott und die Religion habe ich mich seit meiner Konfirmation nie
mehr gekümmert, außer wenn ich fluche.
Sie wissen ja, wie die Bergleute fluchen können. Sie fluchen, wenn sie
einfahren; sie fluchen, wenn sie ausfahren . . .
Dann ist noch zu sagen, daß ich auch gern eins trinke und in den Kneipen
sitze.
So! Und nun kommt die Geschichte:
Also: Ich bin eines Tages „vor Ort". Es war an der Stelle furchtbar
eng und niedrig. Während ich arbeite, höre ich plötzlich ein merkwürdiges
Knirschen und Knacken. Erschrocken schaue ich auf. Aber ehe ich noch recht
überlegen kann, bricht das Gestein über mir zusammen.
Erschrocken rufe ich noch laut: ,Ach Gott . . .!' Dann ist es dunkel,
und ich weiß nichts mehr.
Als ich wieder zu mir komme, liege ich schwer verbunden in einem
Krankenhausbett. Langsam besinne ich mich und bin sehr verwundert, daß ich hier
liege. Denn so 'ne Sache geht in den meisten Fällen mit 'nem Todesfall aus.
Ein paar Tage später kommen dann meine Kumpels zu mir ins Krankenhaus und
erzählen, wie alles gegangen sei. Einer in der Nähe hätte noch meinen Schrei
gehört, schnell Hilfe geholt, dann hätten sie mich herausgegraben, schwer
zerschunden, aber doch lebendig.
Wie meine Kumpels mich wieder einmal besuchen, meint einer lachend: ,Du
bist mir ein schöner Idiot! Weißt du, was du im „Pütt" unten gerufen hast,
als das Gestein herunterkam? ,Ach Gott . . .!' Das habe ich deutlich gehört. Ha — ha —ha! Gott hat dich aber nicht retten können. Aber wir, wir, deine Kumpels,
wir haben dich rausgebuddelt und gerettet!'
Alles lacht. Ich auch.
Und ich wurde in meiner Gottlosigkeit bestärkt.
Ich wurde auch wieder gesund und fing wieder an zu arbeiten. Aber wenn
ich nun von der Morgenschicht komme, gegessen habe und ein wenig im Bett
liege, dann — ja, sehen Sie — dann fängt in meinem Hirn ein merkwürdiger
Gedanke an zu bohren."
Bis hierher hat er erzählt. Jetzt aber stockt die Rede. Er gerät in
tiefes Nachsinnen.
„Was ist denn das für ein Gedanke?" unterbreche ich die Stille.
Er fährt raus: „Ja, das ist so! Meine Kameraden haben ja ganz recht: sie
haben mich rausgebuddelt. Aber das ist ja gar nicht alles. Wenn einer unter das
Gestein kommt wie ich, dann ist er in den meisten Fällen tot. Und — ich bin nicht
tot. Wie durch ein Wunder bin ich am Leben geblieben. Und nun quält mich
die Frage: ,Wer hat mich so lange unter dem Gestein am Leben erhalten?'"
Fragend schaut er mich an.
Da muß ich lachen. Ich schlage ihm auf die Schulter. „O Mann", sage
ich, „das wissen Sie ja ganz genau. Sprechen Sie es nur ruhig aus. Das war
Gott. Seine gnädige Hand hat Sie gerettet.
. . . In wie viel Not
Hat nicht der gnädige Gott
Über dir Flügel gebreitet?! . . ."
„Ja", meint er, „das habe ich mir auch gedacht." „Aber das ist
nun nicht alles", sage ich. „Meinen Sie denn, Gott habe Sie erhalten,
damit Sie Ihr altes Leben weiterführen? O nein! Diese Errettung ist ein Ruf
Gottes an Sie. Den sollten Sie auf keinen Fall überhören!"
Da springt er auf: „Das ist es ja, worüber ich immer nachdenken muß.
Aber — ich weiß nicht, wie das weitergeht."
Nun darf ich ihm zeigen, „wie das weitergeht". Wir nehmen die Bibel
vor, und ich zeige ihm Jesus.
Und als ein anderer Mensch ging er von da an durch die Welt.