Wilhelm Busch

Joseph wird verkauft

 

„Und da die Midianiter, die Kaufleute, vorüberreisten, zogen sie Joseph heraus aus der Grube und verkauften ihn den Ismaeliten um zwanzig Silberlinge; die brachten ihn nach. Ägypten."

1. Mose 37, 28

 

Wir beschäftigen uns hier ausschließlich mit Jesus. Ich könnte mir denken, dass es eine Menge Menschen gibt, die das für eine sehr nutzlose Tätigkeit halten.

Aber stelle dir vor, du lägst im Sterben. Welcher Wunsch wird da deine Seele erfüllen? Etwa der, dass du mehr Geld zusammengebracht hättest in deinem Leben? Ach nein! In dieser Stunde wird dir aller Besitz sehr gleichgültig sein. — Wirst du wünschen, dass du mehr Ehre unter den Menschen gehabt hättest? Ach nein! Da wird es dich nicht mehr interessieren, was die Menschen von dir denken. Da geht es nur noch um die Frage: „Was denkt Gott von mir?" — Wirst du wünschen, du hättest mehr gearbeitet? Ich bin sicher, dass uns da vieles sehr fragwürdig erscheinen wird, an das wir unsere Kraft rückten.

Du wirst nur eine einzige Sehnsucht haben: dass der dir zur Seite steht, der dich vor Gott rechtfertigt — Jesus. Darum ist jede Stunde unseres Lebens, in der wir uns mit Jesus beschäftigen, wohl ange­wandt.

Wir lassen uns bei der Betrachtung des Heils in Jesus wieder von einem alttestamentlichen Vorbild leiten, von Joseph.

 

 

Der verkaufte Bruder

 

1. Der Fremdling unter den Brüdern

Es wird uns berichtet, dass der Patriarch Jakob zwölf Söhne hatte. Unter diesen jungen Männern spielte Joseph eine besondere Rolle. „Sein Vater hatte ihn lieber als alle seine Kinder." Da ist es uns schon, als hörten wir von Jesus reden.

Gott ist die Liebe. Er liebt alle Menschen, auch die bösesten. Aber den Einen liebt Er anders und besonders, den Einen, Jesus, dem Er einst am Jordan vom Himmel her zurief: „Du bist mein lieber Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe."

Dieser Joseph nun war anders als seine Brüder. Die waren roh, er war edel. Sie hassten ihn, er antwortete mit Liebe. Achtet darauf, wie alles, was ich euch von Joseph sage, eigentlich eine Schilderung Jesu ist.

Die Brüder misshandelten und verkauften ihn. Er sagte kein Wort und litt still „wie ein Lamm, das verstummt vor seinem Scherer". In 1. Mose 38 wird uns von einem der Brüder eine böse Ehebruchs­geschichte berichtet. Im 39. Kapitel aber hören wir, wie Joseph einem verführerischen Weibe antwortet: „Wie sollte ich ein so großes Übel tun und wider Gott sündigen!" Eine Atmosphäre der Reinheit um­gibt ihn. Die Brüder treten Gottes Gebote mit Füßen. Joseph aber hat Einblick in die geheimen Pläne Gottes.

Ihr seht, Joseph war anders als seine Brüder. So ist auch Jesus der ganz Andere. Wer sich mit Ihm beschäftigt, staunt immer wieder darüber, wie Jesus das gottgewollte Bild des Menschen darstellt. Weil Joseph anders war als sie, darum hassten ihn die Brüder. Wir finden in der Josephsgeschichte alle Schattierungen, von der stillen Ablehnung bis zum glühenden Mordwillen.

Und doch bleibt er ihr Bruder!

Genauso steht es mit Jesus. Die Welt lehnt Ihn ab, und auch unsre Natur mag Ihn nicht. Die Welt unter ihrem „Fürsten" hasst Ihn. Und es ist auch unter uns keiner, der Ihn nicht tausendmal beleidigt, be­trübt, verraten und verkauft hätte.

Und doch — Er bleibt der Bruder. Seitdem Er in der Krippe von Beth­lehem lag, kann auch der roheste Gottesleugner nicht davon los, dass der Sohn Gottes sein Bruder wurde. Er hat uns, ob wir wollen oder nicht, mit Gott verwandt gemacht.

 

2. Der Bruder wird weggetan

Die Söhne wollten ihren Bruder Joseph nicht mehr ertragen. Eines Tages ergriffen sie ihn und verkauften ihn an eine Karawane midianitischer Kaufleute, die nach Ägypten zog. Nun verschwand er in den volkreichen Städten des alten Kulturlandes.

Es fällt einem unwillkürlich ein Vergleich ein: Wenn ein Bauer über den Acker geht und die Körner in die Furchen wirft, dann ist so ein kleines Samenkorn nicht mehr aufzufinden. Es ist von den Erdschol­len begraben. So war Joseph weggeworfen und verschwunden. Jedem Kenner der Bibel fällt nun ein Wort des Herrn Jesus ein (Johannes 12, 24). Da kamen ein paar Jünger freudig erregt zu Jesus und sagten Ihm: „Herr, es sind Ausländer hier, die sich für Dich inter­essieren." Sie hatten den Eindruck: Nun geht Jesu Stern auf. Aber da antwortet ihnen Jesus: „Wahrlich, ich sage euch: Es sei denn, dass das Weizenkorn in die Erde falle und ersterbe, so bleibt's allein; wo es aber erstirbt, so bringt es viele Früchte."

Diese Ausländer bekamen Jesus später zu sehen. Aber da hing Er als Ausgestoßener und Geschmähter am Kreuz. Da war Er in den Tod gegeben. Da war das Weizenkorn in die Erde geworfen. Da war Er weggetan, weggeworfen wie ein Samenkorn. Ich denke: Als der Herr das Wort vom Weizenkorn sagte, da stand vielleicht die Joseph-Geschichte vor Seinem Geist. Denn in dieser Ge­schichte geht es um Weizen. Dieser Joseph tauchte nämlich wieder auf. Als eine schauerliche Hungersnot über sie kam, hörten die Söhne Jakobs, in Ägypten könne man Weizen bekommen, trotz der jahre­langen Missernte dort. Aber da sei ein wunderbarer Mann, der für Weizen gesorgt habe. So zogen sie hin. Und die Hungernden wurden gespeist und errettet. Und der Erretter war ihr Bruder Joseph. Gott hatte ihn durch den Sterbensweg zur Errettung für viele gesetzt.

Da stehen wir an einem wichtigen Reich-Gottes-Gesetz. Das heißt: „Es geht durch Sterben nur." Dadurch, dass er den Todesweg ging, wurde Joseph ein Segen für seine Zeit. Durch Sein Sterben am Kreuz wurde Jesus der Erretter für alle Sünder.

Dies Reich-Gottes-Gesetz gilt auch für uns. Das neue Leben aus Gott kann in uns nur dann anbrechen, wenn wir unter Jesu Kreuz unser altes Leben in den Tod geben. „Fleisch und Blut", d. h. unsre natür­liche Art, „kann das Reich Gottes nicht ererben", sagt Gottes Wort. Und darum führt Gott uns solche Wege, wo unser Eigenwille erstirbt. Kennt ihr die Geschichte von dem Liederdichter Hiller? Dieser eifrige Pfarrer verlor seine Stimme und musste sein Amt aufgeben und sich in ein verlassenes Dorf zurückziehen. Dort in der Stille machte Gott ihn zu dem gesegneten Dichter. O lasst uns die Sterbenswege nicht hassen, sondern lieben!

 

3. Der verkaufte Bruder schafft Brot

Es war eine schreckliche Tat, als die Söhne Jakobs ihren Bruder dahingaben. Aber das benutzte Gott, nicht nur Ägypten, sondern auch die Brüder am Leben zu erhalten. Joseph schaffte ihnen Speise. Und er konnte seinen Brüdern sagen: „Ihr gedachtet, es böse zu machen. Aber Gott gedachte, es gut zu machen, dass er euer Leben errettete durch eine große Errettung."

Stehen wir bei diesen Worten nicht unter Jesu Kreuz? Niemals in der Weltgeschichte ist menschliche Gemeinheit offener zu Tage getreten als hier. In der Tat: „Ihr gedachtet, es böse zu machen." Und doch — „Gott gedachte, es gut zu machen". Die Ewigkeiten werden das Lied des „geschlachteten Lammes" singen.

Wie Joseph den Hungernden Brot gab, so reicht der gekreuzigte Jesus Brot des Lebens den hungernden Gewissen dar. Denn schlim­mer als alle äußere Hungersnot ist ja die Not der Seelen, die schuld­beladen ewig verloren gehen, der Herzen, die keinen Frieden mit Gott haben. O kommt zum Kreuze Jesu! Hier ist alles bereit, wonach eure Seele hungert.