Was wir im neuen Jahr erwarten können
Die ganze Schöpfung preist seine Kraft
Ein Blick in die Wirklichkeitswelt Gottes
Die Ewigkeit soll unser Leben prägen
Das dreifache Amt Jesu: König, Priester und Prophet
Was den Heiland am Kreuz festhält
Es geht am Kreuz um unsere Not
Gott hat dem Tod eine Grenze gesetzt
Drei Worte des Herrn, die der Vernunft
lächerlich, dem Glauben aber tröstlich sind
Die drei fehlenden Sätze in der
Himmelfahrtsgeschichte
Was dem Pfingstfest vorausging
Was Jesus vom schwachen Glauben sagt
Eine total neue Auffassung vom Tod
Lasst euer unruhiges Gewissen ans Licht
Das Urteil der Welt ist außer Kurs gesetzt
Ein köstliches Weihnachtsgeschenk im Jahr
1944
Der Befehl für das neue Jahr: Wegsehen von
Sorgen und Nöten auf Jesus hin!
Jahreslosung (1944):
»Der Herr ist treu. Er wird euch stärken und bewahren
vor dem Argen.« (2.Thessalonicher 3, 3)
Ich hatte einen väterlichen Freund, der nicht nur äußerlich
ein großer und starker Mann war, sondern auch stark war im Glauben an den Sohn
Gottes. Der wurde schwer krank. Die Ärzte gaben keine Hoffnung. Allerdings —
sagten sie — bestünde vielleicht noch eine letzte Möglichkeit, wenn er sich
einer schweren Operation unterziehe, deren Ausgang jedoch ungewiss sei. Er
entschloss sich also zu dieser Operation, bei der er dann auch starb. Er ging
selbst zum Krankenhaus. Als er da an dem Tor stand, hinter dem die Entscheidung
fallen sollte, da zögerte er einen Augenblick. Aber dann sagte er: »Der Weg
ist dunkel. Aber das Ziel ist hell!« Und damit drückte er die Türklinke herunter.
So sagen auch wir Christen zu dieser Jahreswende: Der Weg
ist dunkel, aber das Ziel ist hell. — Ja, das Ziel ist hell. Wir gehen der
Wiederkunft des Herrn entgegen. Aber — der Weg ist so dunkel. Wer empfände das
heute nicht? — Allerdings für Christen ist er nicht ganz dunkel. Unser Text
sagt uns, was wir im neuen Jahr erwarten können.
1. Anfechtung
Das klingt hart. Aber es ist die Eigenart des Wortes Gottes,
dass es uns alle falschen Vorstellungen und Illusionen nimmt. Und so sagt es
uns hier hart und nüchtern: Das Arge wird euch anfechten!
Jetzt muss man fragen: »Was ist denn das Arge?« — Wir meinen
natürlich, das wüsste doch jeder ohne weiteres: Krankheit, Bombenschäden, Leid
usw. Aber ich bin mir gar nicht sicher, ob die Bibel das meint. — Ich kannte
z.B. einen Bergmann, der war durch ein Unglück gelähmt worden. Das wurde ihm
zum Anlass, dass er auf seinem Sündenweg umkehrte, Vergebung suchte und den
Herrn Jesus fand. Als ich ihn einst besuchte, sagte er mir: »Wenn ich einmal in
die Ewigkeit komme, will ich Gott danken, dass er mir die Wirbelsäule
zerbrochen hat. Denn ohne das wäre ich in meinen Sünden ewig verloren
gegangen.« Er sah also das Unglück als etwas Gutes an. Und nun das Gegenstück:
Ich kannte einen jungen Mann. Der bekam eine Stellung, in der er sehr viel Geld
verdiente. Ist das nicht was Gutes? Aber seht, das Geld wurde der Anlass, dass
der junge Mann auf leichtsinnige Wege geriet und völlig Schiffbruch erlitt. Das
sogenannte Glück war also für ihn etwas Arges!
Ich will nun aber wiederum nicht behaupten: alles Glück sei
arg und alles Unglück gut. — Ja, was ist denn nach Ansicht der Bibel das
»Arge«? Antwort: Alles, was mich von dem Herrn Jesus, von dem guten Hirten und
von seinem Kreuz wegbringt.
Und da gibt's viel. Ich kenne solche, die sind durch Glück
von ihm weggebracht worden. Und ich kenne andere, die hat das Leid von Jesus
weggetrieben. Die einen riss die Weisheit der Welt von Jesus und die anderen
die Dummheit. Die einen gingen von ihm, weil sie allein gut sein wollten und
die anderen, weil sie böse sein wollten. Ja, es gibt viel Arges. Doch ich muss
wohl auch das sagen, dass man nach dem griechischen Text auch übersetzen kann:
der Arge! Jawohl, so ist es! Der Arge, der Teufel, will nicht, dass wir selig
werden und uns hier schon unseres Heilands freuen. Und darum wird er auch im
neuen Jahr nicht ablassen, uns anzufechten. »Groß Macht und viel List sein
grausam Rüstzeug ist, auf Erd ist nicht seinesgleichen...«
2. Bewahrung
Wenn ein Kind geboren wird, dann wird es gepflegt und gehätschelt.
Man bewahrt es vor Zugluft. Wenn aber der geistliche Mensch zum Leben erwacht,
wenn ein Mensch durch die Kraft des Heiligen Geistes wiedergeboren wird, dann
ist das neugeborene Glaubensleben sofort den größten Gefahren ausgesetzt. Der
Teufel bietet alles auf, es zu vernichten. Die Welt bietet alles auf, es zu
zerstören. Ja, das eigene Herz und die Vernunft reden gegen das Geistesleben.
Und nur das Gewissen klammert sich an Jesus und sein Heil.
Ja, wie soll denn da ein Mensch selig werden? Wie kann sich
denn einer auch nur einen Tag seines Heilands freuen? Muss nicht unser aller
schwaches Glaubensleben im kommenden Jahr unter den Anfechtungen zusammenbrechen?
Nein! »Der Herr ist treu, der wird euch bewahren vor dem
Argen.«
Und das werden wir im kommenden Jahr erfahren. Das heißt,
nur die werden es erfahren, in denen der Herr selbst das Geistes- und
Glaubensleben begonnen hat. Alles Eigene bricht zusammen. Der Herr sagt: »Eine
jegliche Rebe, die mein himmlischer Vater nicht gepflanzt hat, wird
ausgerottet.«
Also, der Herr selbst will das Seinige bewahren. Glaubst du, dass er das kann? O gewiss kann er das! Es ist vielleicht einer hier, der ist ein unglückseliger Skeptiker. Und sein Glaube ist nur wie ein Flämmlein in der Zugluft. Glaube
nur, dass Jesus dich zu einem strahlenden Glaubenshelden
machen kann. Und da ist einer, der hat von Natur die übelsten und
abscheulichsten Veranlagungen. Glaube nur, dass Jesus dich herrlich vor dir
selbst bewahren kann. Und da lebt einer in Verhältnissen, in denen eigentlich
alles Glaubensleben ersticken muss. Glaube du nur, dass Jesus wie eine feurige
Mauer um dich her sein wird. Wen er mit seinem Blut erkauft hat und durch
seinen Heiligen Geist zum Leben gerufen hat, den lässt er nicht, und wenn die
Welt darüber unterginge! Wie der Herr die Seinen bewahrt, das hat der Prophet
Jesaja in einem wundervollen Bild gesagt: »Grad wie ein Löwe brüllt über seinem
Raub, wenn der Hirten Menge ihn anschreit, so erschrickt er vor dem Geschrei
nicht und ist ihm auch nicht leid vor der Menge; also wird der Herr herniederfahren
zu streiten.«
3. Sieg
Der Herr ist treu, der wird euch stärken. Die Gemeinde Jesu
ist ein seltsamer Haufen. Wenn man sie so ansieht, dann kann man sich nichts
Armseligeres vorstellen. Und wenn man ihre Chancen berechnet, dann sind sie
gleich Null. Und die Welt weiß noch nicht mal, wie arm die Gemeinde ist. Jeder
wiedergeborene Christ ist in seinen eigenen Augen noch viel geringer, als die
Welt ahnt. Er allein weiß um die Macht der Sünde in seinem Leben. Er kennt
seinen Unglauben und seine Schwachheit. Und doch, diese Schar hat Jahrhunderte
Verfolgungen siegreich bestanden. An ihr ist das Schwert der Verfolger und der
Witz der Weisen dieser Welt stumpf geworden. Sie geht triumphierend einher,
wenn die ganze Welt den Kopf hängen lässt. Sie überwindet weit. Sie verachtet
den Tod, und den Satan hat sie unter den Füßen.
Wie geht das zu? Hier steht es:
»Der Herr ist treu, der wird euch stärken.«
Ein versöhntes Gewissen, das Vergebung der Sünden hat,
gibt einen Heldenmut. Und die Kraft des Heiligen Geistes
überwindet die Welt. Der treue Herr sorgt dafür, dass seine
Gemeinde beides reichlich hat.
So treten wir in das neue Jahr und sprechen im Glauben:
»Ich gehe einher in der Kraft des Herrn ...«
1. Sonntag nach Epiphanias
»Denn dein ist das Reich!« (Matthäus 6, 13b)
In meiner früheren Gemeinde in Bielefeld warf ich einmal in unserem Jugendkreis die Frage auf, was den Jungen im Gottesdienst am besten gefiele. Da rief gleich einer: »Am schönsten ist es, wenn am Schluss das Vaterunser gesungen wird!« Wir fragten: »Warum gefällt dir das am besten?« Da sagte er: »Seht, die ganze Woche ist man unter den Menschen, die Gott die Ehre verweigern, die sein Heil verachten und seine Gemeinde verspotten. Und selbst ist man auch meist so kümmerlich. Da ist es dann ein erhabener Augenblick, wenn die ganze Gemeinde am Schluss des Vaterunsers einstimmt in den Lobgesang und alle Gott die Ehre geben! Da wird mein Herz weit, und ich kann gar nicht laut genug mit einstimmen: Dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit!« Durch diese Worte des Jungen ist mir der Schluss des Vaterunsers so wichtig geworden. Und darum möchte ich euch den Schluss auslegen.
»Denn dein ist
das Reich!«
1. Dieser Satz gibt Gott die Ehre
Man muss sich mal klarmachen, wie das war, als der Herr Jesus seine Jünger dies Gebet lehrte. Dann versteht man erst, wie ungeheuerlich dieser Satz ist. Das römische Weltreich war auf der Höhe seiner Macht. Auf dem Thron saß der zweite römische Kaiser: Tiberius. Wir haben ein Standbild von ihm. Da sitzt er in lässiger Haltung auf einem reichgeschmückten Stein. Um die Stirn windet sich der Lorbeerkranz des Siegers. Die Linke fasst mit seltsamer Heftigkeit das römische Kurzschwert. Die Rechte ist majestätisch erhoben und hält den Stab des Herrschers. Jede Miene spricht: »Es gibt nur ein Reich. Und das ist mein!«
Und da steht in einem Winkel der Erde ein schlichter Mann. Der lehrt seine Jünger, die Augen aufzuheben zu dem, der im Himmel sitzt, und betet: »Denn dein ist das Reich!«
Das ist entweder unsagbar lächerlich — oder es ist die Wahrheit. Ja, es ist wahr. Und aus diesem einen Satz spricht der Tiefenblick der Bibel, der weiß, dass auch dies Römerreich unter dem Satz steht: »Alles Fleisch ist wie Gras und alle Herrlichkeit wie des Grases Blume. Das Gras verwelkt und die Blume fällt ab.« Es gibt nur ein unvergängliches Reich, das Reich unseres Gottes. Von dem mächtigen Tiberius heißt es: »Ach wie nichtig, ach wie flüchtig ist der Menschen Herrschen. Der durch Macht ist hochgestiegen, muss zuletzt, aus Unvermögen, in dem Grabe niederliegen.« Von dem dreieinigen Gott aber singt die Gemeinde: »Wie du warst vor aller Zeit, so bleibst du in Ewigkeit.«
»Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit.«
So gibt dieser Gebetssatz Gott die Ehre.
2. Ein Gang durch das Reich Gottes
Unsere Väter sagten, das Reich Gottes habe drei Regionen oder Bezirke. Und wir wollen miteinander im Geist durch die drei Regionen gehen.
Das ist zum Ersten das Reich der Natur. Es gehört zu den Dingen, die ich nie begreifen werde, dass der Mensch sich in diesem Naturkreis munter tummelt, dass er forscht, studiert, dass er immer neue Wunder in diesem Naturreich entdeckt und doch so selten dazu kommt, dem die Ehre zu geben, der das alles so wunderbar und geheimnisvoll geschaffen hat. Und weil der Mensch in seiner Blindheit den Schöpfer nicht kennt, glaubt er auch nicht, dass es Wunder gibt. Der dreieinige Gott aber ist König im Naturreich. Darum konnte der Sohn Gottes den Sturm stillen. Darum wird er auch einmal die Toten auferwecken. »Himmel, Wasser, Luft und Erde, nebst der ungezählten Herde der Geschöpfe in den Feldern, in den Seen, in den Wäldern, sind Herr über Tod und Leben, dir zum Eigentum ergeben. Tiere, Menschen, Geister scheuen, Menschensohn, dein mächtig Dräuen.« Die zweite Region ist das Gnadenreich. Als der Herr Jesus auf Golgatha starb für die Menschen, da hat er für Gott ein Volk erkauft. Das ist die Schar derer, die vor Gott nicht mehr auf ihre eigene Gerechtigkeit pochen, sondern sagen: »Ich rühm' die Gnade, die mir Heil gebracht!« Das sind die, die weder das Gericht noch die Welt fürchten, weil Jesus ihnen Gnade schenkte. Es sind die, die durch Gnade Vergebung der Sünde haben und damit Frieden mit Gott. Gott bietet am Kreuz Jesu Gnade an. Wer das im Glauben annimmt, der ist ins Gnadenreich eingetreten. Gottes Wort sagt von diesen Gläubigen: »Ihr seid nun Bürger mit den Heiligen und Gottes Hausgenossen.«
Und die dritte Region seines Reiches ist das Reich der Herrlichkeit. Man muss nur mal das 4. und 5. Kapitel der Offenbarung lesen. Da gehen einem die Augen über vor der Herrlichkeit des Himmels. »In dem Reiche deiner Ehren kann man stets dich loben hören von dem himmlischen Geschlechte, von der Menge deiner Knechte, die dort ohne Furcht und Grauen dein verklärtes Antlitz schauen, die dich unermüdlich preisen und dir Ehr und Dienst erweisen.«
So umfasst das Reich, von dem hier die Rede ist, alles: Himmel und Erde, Schöpfung und Herrlichkeit, und vor allem die mit Blut erkaufte Gemeinde. Im Blick auf all das beten wir an: »Denn dein ist das Reich.«
3. Dieser Satz bedeutet persönliche Hingabe
Lasst mich ein Beispiel gebrauchen. Es war im Jahre 1162. Der gewaltige Barbarossa war Kaiser im Heiligen Römischen Reich. Aber die Stadt Mailand wollte ihn nicht. Sie vertrieb die kaiserlichen Gesandten, wählte eigene Beamte und machte sich die Nachbarstädte Untertan. Aber da war Barbarossa herangezogen mit einem riesigen Heer. Zwei Jahre belagerte er die starke Stadt. Und dann kam der Augenblick, wo die weiße Fahne hochging, wo die Häupter der Stadt vor dem König erschienen und vor Barbarossa bekennen mussten: »Dir gehört das Reich!« Ich meine, nur so kann man richtig beten: »Denn dein ist das Reich!« Dass das Herz die weiße Fahne aufzieht vor dem, der seinen Sohn für Sünder gab und der durch den Heiligen Geist so stark um uns wirbt. Es gibt ein ergreifendes Beispiel in der Bibel. Da ist der Prophet Jeremia. Der bekannte: »Herr, du hast mich überredet, und ich habe mich überreden lassen. Du bist mir zu stark gewesen und hast gewonnen!« Seht, da musste er die weiße Fahne im Herzen aufziehen und bekennen: »Denn dein ist das Reich — und darum auch mein Leben mit allem, was ich bin und habe.«
Oh Freunde! Es ist eine selige Sache, wenn es in unserem Leben heißt:
»Der allmächtige Gott hat das Reich eingenommen. Lasst uns freuen und fröhlich sein und ihm die Ehre geben.«
»Denn dein ist das Reich!«
2. Sonntag nach Epiphanias
»Denn dein ist... die Kraft.« (Matthäus 6, 13)
Heute will ich meine Predigt mal mit dem RWE beginnen. Welch
eine schöne Einrichtung ist das! Stellt euch einmal vor, uns fiel heute abend
der Strom aus. Wie ständen wir da! Vollständig im Dunkeln. Bei mir im Haus ist
gar kein Licht, keine Kerze, kein Petroleum, kein Gas. Aber das macht nichts.
Das RWE hat genug für mich. Ich denke an einen vollelektrischen Haushalt: Die
Hausfrau hat keine Kohlen, kein Holz. Aber was tut's! Das RWE hat genug für sie
an Kraft und Wärme, dass sie kochen und den Badeofen heizen kann usw. Ich habe
keine Ahnung von der Technik des RWE. Aber das weiß ich, dass es Kraft und
Licht und Wärme genug für mich hat und dass alles nur darauf ankommt, dass ich
mit ihm verbunden bin. So stehen die Christen mit ihrem Gott. Oh, sie verstehen
vieles nicht. Aber das wissen sie: Bei ihm ist Licht und Kraft genug für mich.
Ich muss an ihn angeschlossen sein. So sagt David in Psalm 27, 1: »Der Herr ist
meines Lebens Kraft.« Und der Sänger des 71. Psalmes: »Ich gehe einher in der
Kraft des Herrn.« Und der fromme König Josaphat betet (2. Chronik 20, 12): »Bei
uns ist keine Kraft... Wir wissen nicht, was wir tun sollen, sondern unsere
Augen sehen nach dir!« Darum lehrt der Herr uns beten:
»Dein ist... die Kraft.«
1. Die Vernunft denkt ganz anders
Die unerleuchtete Vernunft denkt: »Es gibt gar nichts
Kraftloseres als Gott!« In einer großen Freidenkerversammlung hörte ich mal
vor Jahren jemanden höhnen:
»Wo ist denn Gott? Hier stehe ich und lästere ihn. Er soll
mich doch strafen, wenn er kann!« Nun, das war ein dummer Schreier. Aber wie
viele ernste Leute fragen mich täglich: »Wie kann denn Gott das alles zulassen,
den Krieg und die Terrorangriffe und das viele Leid?« Und hinter dieser Frage
steckt doch der Gedanke: Gott will das doch alles nicht. Er ist also offenbar
kraftlos und außerstande, es zu verhindern.
Da steht vor mir ein Vater mit Tränen in den Augen: »Mein
Sohn ist gefallen! Und ich habe soviel gebetet.« Und ich höre aus seinen Worten
die Klage: »Gott ist kraftlos. Er hat nicht helfen können!«
Ja, der Vernunft erscheint Gott kraftlos. Und erst rech wenn wir hinweisen auf die Offenbarung Gottes in Jesus. Ach, da ist ja Gott ganz schwach: Als hilfloses Kind liegt er in der Krippe. Und endlich hängt er am Kreuz. Wenn wir die angenagelten Hände sehen, — will's uns da nicht unsinnig vorkommen, wenn wir zu ihm beten: »Dein ist die Kraft!«?
So denkt die Vernunft: Gott ist ohne Kraft. Und darum
verlässt der natürliche Mensch sich lieber auf sich selbst.
2. Seine Kraft ist verborgen
Ja, lasst uns nur recht bitten um diesen guten Heilige
Geist, damit er uns die blinden Augen aufmache. Dar werden wir Gottes heimliche
Kraft sehen. Eigentlich ist sie gar nicht so verborgen. Die ganze Schöpfung
preist seine Kraft. Jeremia 10, 12: »Er hat die Erde durch seine Kraft
gemacht.« Ja, die Himmel rühmen des Ewigen Ehre ...! Und in jeder Sekunde trägt
er alle Dinge mit seinem kräftigen Wort (Hebräer 1, 4). Wenn die Sonne aufgeht,
rühmt sie seine Kraft. Das Heer der Sterne und das Brausen der Meere sind
Lobgesänge seiner Macht. Und doch — es ist wahr, dass seine
Kraft verborgen ist. Es gibt ein seltsames Wort des Propheten Nahum (1, 3):
»Der Herr ist geduldig und von großer Kraft.« Eine wunderliche
Zusammenstellung! Da sagt Nahum, dass Gott seine große Kraft verbirgt hinter
seiner Geduld. Die Welt soll nur nicht so arg höhnen, wo denn Gottes Kraft
heute wäre. Sie soll froh sein, solange er sich hinter seiner Geduld verbirgt.
Denn wenn sie hervorbricht, dann geschieht es im Zorn. Und was die Welt dann zu
erwarten hat, kann sie in der Offenbarung nachlesen.
Aber nun hat Gott seine große Kraft verhüllt in seiner
Geduld. Ich kann auch sagen: Er hat sie verborgen in Jesus. Ja, der Herr Jesus
heißt »Kraft« — (Jesaja 9, 5) — Und nun will ich euch das Geheimnis des
Evangeliums sagen: Je schwächer der Herr Jesus erscheint, desto mehr Kraft ist
bei ihm — für uns. Wie armselig erscheint z. B. seine Auferstehung ! Da ist so
wenig Pomp und Klimbim, dass die Welt die Auferstehung einfach leugnet. Und
doch — Paulus spricht davon, dass er durch die Kraft seiner Auferstehung ein
Heer von Sündern zum Leben und zur Herrlichkeit führt (Philemon 3, 10).
Am schwächsten erscheint der Herr ja am Kreuz. Und doch — im
Kreuz ist Kraft! Wie ging mir das auf, als ich mit einem Sterbenden betete: »
... Wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den
Ängsten kraft deiner Angst und Pein!« Im Kreuz Jesu ist die Kraft, dich von
deiner schrecklichsten Not zu befreien, von der Last deiner Schuld. Bunyan hat
ja in der »Pilgerreise« das Leben wie eine Fahrt zum Himmelreich beschrieben.
Und da schildert er, wie der Christ sich quält mit einer schweren Last, die ihm
niemand von den Schultern nehmen kann. Und da kommt er an ein Kreuz. Er sieht
hinauf. Und siehe — in dem Augenblick löst sich seine Last und stürzt in den
Abgrund. Oh, wer kann die Vergebung der Sünden durch Jesu Blut schildern? Es
muss erfahren sein!
Im Kreuz ist Kraft, Sündenketten zu sprengen. Ich kannte
einen Trinker, dem keiner helfen konnte. Der Gekreuzigte aber hat ihn frei
gemacht. Ja, im Kreuz ist Kraft, aus verlorenen, von Gott und ihrem Gewissen
verdammten Sündern Kinder Gottes zu machen.
So ist es ein Satz, den nur der Glaube recht erfährt: »Dein
ist die Kraft.« Und für alle angefochtenen Seelen darf ich hinzufügen: Wie er
die Kraft hat zu erwecken, zu erretten, zu heilen und zu trösten, so hat er
auch die Kraft, uns hindurchzubringen bis in den Himmel.
3. Seine Kraft wird aller Welt offenbar werden
In Offenbarung 2 wird uns ein grandioses Bild gezeigt. Schon
sind allerlei Gerichte geschildert, die über die Welt kommen werden. Dann hört
Johannes den siebten Engel posaunen. Und im selben Augenblick bricht im Himmel
ein unendlicher Lobgesang los: »Es sind die Reiche der Welt unsres Herrn und
seines Christus geworden ...« Und dann kommt da ein Satz, der unseren Text
angeht: »Wir danken dir, Herr, allmächtiger Gott, dass du hast angenommen
deine große Kraft und herrschest!« Oh, er hatte immer eine große Kraft. Aber
nun hat er sie — so meint dieser Lobgesang — vor aller Welt angetan wie einen
Herrschermantel. Nun, da alles Starke und alles Mächtige kraftlos geworden ist,
sieht man vor aller Augen, wo in Wahrheit die Kraft ist und war. Wenn wir also
beten: »Dein ist die Kraft« — dann singen wir gewissermaßen schon leise das
Lied der Ewigkeit, der Herrlichkeit und der Vollendung.
3. Sonntag nach Epiphanias
»Denn dein ist... die Herrlichkeit.« (Matthäus 6, 13)
Vor kurzem wurde in einem Kreis die Frage aufgeworfen: »Wie
kommt es, dass das Kino sich heute einer solch ungeheuren Beliebtheit erfreut?
Dass Tausende von Menschen das Kino fast wichtiger nehmen als das tägliche
Brot?« Da meinte einer: »Das kommt daher, weil die Menschen so viel
Niederdrückendes und Trauriges erleben. Wie niederdrückend ist schon der
tägliche Anblick der hässlichen Trümmer und der vielen Todesanzeigen. Und da
flüchtet sich der Mensch in den Glanz der flimmernden Leinwand. Da ist Pracht,
Lachen, Schönheit und Herrlichkeit!« Der Mann wird recht haben.
Aber seht, ich möchte euch, die ihr doch auch leidet unter den niederdrückenden Dingen, etwas Besseres zeigen als die Flucht in die Scheinwelt. Wisst ihr, was aufrichtet und erquickt? — Ein Blick in die Wirklichkeitswelt der Herrlichkeit des lebendigen Gottes.
In 2. Korinther 4, 6 steht, dass diese Herrlichkeitswelt
Gottes aus dem Angesicht Jesu Christi strahlt und dass sie in die Herzen der
Gläubigen einen hellen Schein gibt. So ist es! Unser Text aber weist uns
hinüber in die weite Welt Gottes, in den Himmel.
»Dein ist die Herrlichkeit!«
1. Unser Gott hat Herrlichkeit
Als ich noch ein Kind war, lernte ich das Lied: »Im Himmel,
im Himmel ist Freude so viel, da singen die Englein und haben ihr Spiel... «
Und dann habe ich mir mit kindlichem Verstand ausgemalt, wie
es im Himmel ist. Nun aber, wo ich als Mann auf der Kanzel bin, darf ich das
nicht tun. Gott bewahre mich, dass ich euch meine eigenen Gedanken vortrage!
Ich darf nur sagen, was wahr, gewiss und offenbart ist. Ist uns denn offenbart,
wie es im Himmel ist? Ja! Ihr müsst mal lesen, was in Offenbarung 4-5 steht.
Das fängt so an: »Danach sah ich, und siehe, eine Tür war aufgetan im Himmel...
«. Und durch diese offene Tür durfte Johannes hindurchsehen. Das müsst ihr
selber lesen, wie er da einen gewaltigen Thron sieht. Und auf diesem Thron
sitzt einer! Lichtglanz blendet Johannes. Und dann sieht er den himmlischen
Hofstaat: Die 24 Ältesten, die Vertreter der erwählten Gemeinde; die
Repräsentanten der Schöpfungsmächte, die Tag und Nacht ohne Ruhe ihm die Ehre
geben... Ach, ich kann das hier nicht alles schildern Nur zweierlei sei noch
erwähnt. Erstens: Das tobende Völkermeer erscheint vor Gottes Thron wie ein
stilles, durchsichtiges Kristallmeer. Was uns beängstigend und undurchsichtig
ist, ist vor Gott klar und still. Und das andere: Im Mittelpunkt des Himmels
steht ein Lamm — der Gekreuzigte! Nun, ohne ihn wäre uns auch der Himmel kein
Himmel. Aber wenn man die Schilderung des Johannes gelesen hat, dann muss man
mit niedersinken und mit anbeten, wenn er erzählt, wie nun der himmlische
Lobgesang aufbraust: »Dem, der auf dem Thron sitzt, und dem Lamm sei Lob und
Ehre, Preis und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit!«
2. Er beruft uns zur Herrlichkeit
Gott ist in sich selbst selig. Er ist sich selbst genug. Und
da wäre durchaus verständlich, wenn ich meine Predigt hier abschließen würde,
nachdem ich von Gottes Herrlichkeit gesprochen habe. Aber ich darf hier nicht
abschließen, denn ich muss euch die frohe Botschaft sagen. Und die heißt: Gott
will seine Herrlichkeit nicht für sich allein. Nein, seine Liebe treibt ihn,
sie mit Sündern zu teilen. Ausgerechnet mit Sündern? Ja, das ist das
wunderbare Geheimnis seiner Liebe. Darum beruft er Sünder zu seiner
Herrlichkeit. Davon redet die ganze Bibel. Da steht in 1. Petrus 5, 10: »Der
Gott aller Gnade hat uns berufen zu seiner ewigen Herrlichkeit.« Und l. Thessalonicher
2, 12: »Ihr sollt würdig wandeln vor Gott, der euch berufen hat zu seiner
Herrlichkeit.«
Wie mächtig ruft der Heilige Geist diese himmlische Berufung
jetzt zu dieser Stunde in unser Herz. Mir krampft sich das Herz zusammen in
Gedanken an die vielen unter uns, die ihre himmlische Berufung in den Wind
schlagen. Oh Menschenkind! Du bist zur Herrlichkeit Gottes berufen! Warum
machst du es wie Esau, der um ein armseliges Linsengericht sein
Erstgeburtsrecht verkaufte? Warum lässt du dich fesseln von den Dingen dieser
Welt? Warum ist dir deine Sünde so lieb? Wirf sie doch heute dem Gekreuzigten
zu Füßen und sprich: »Ich will streben nach dem Leben, wo ich selig bin. Ich
will ringen einzudringen, bis dass ich's gewinn. Hält man mich, so lauf ich fort,
bin ich matt, so ruft das Wort: Fortgerungen! Durchgedrungen! Bis zum Kleinod
hin!«
3. Er bringt die Seinen zur Herrlichkeit durch
Wenn ein Sünder sich zum Heiland bekehrt von seinen Sünden,
dann treibt ihn seine Liebe, die ganze Allmacht einzusetzen, solch einen
durchzubringen bis zur Herrlichkeit.
Lasst mich ein Gleichnis gebrauchen: Während der Revolutionswirren
im Jahre 1920 im Ruhrgebiet gab es am Essener Schlachthof einen heißen Kampf
zwischen Polizei und bewaffneten Arbeitern. Schließlich erstürmten die Arbeiter
den Schlachthof. Da erfuhr ein Mann, sein Sohn sei als Polizist bei dem Kampf
gewesen. Und da machte sich der Vater auf, den Sohn zu suchen. Er fand ihn
schwerverwundet unter Möbeltrümmern. Er lud ihn auf seine Schultern, um ihn
heimzutragen. Er kam ans Tor. Da sah einer der Arbeiter diesen Mann, sprang
herzu und schoss dem Sohn auf der Schulter des Vaters eine Kugel durch den
Kopf. Der Vater hatte ihn nicht durchbringen können. Wenn der Herr Jesus einen
Sünder zur Beute genommen hat, dann versucht der Teufel auch alles, ihn
zurückzubekommen. Oh, solch ein eben Geretteter mag da allen Mut verlieren.
Aber nur getrost. Dem Herrn geht es nicht wie jenem Vater. Er bringt die Seinen
zur Herrlichkeit durch. Im Hebräerbrief heißt es von ihm, er habe »viele Kinder
zur Herrlichkeit geführt!« Und wenn ich nun bete: »Dein ist die Herrlichkeit«,
dann freue ich mich im Geist, weil ich dann dazusetzen darf: »Und durch Jesus
ist sie aus Gnaden auch mein!«
Das ist mir wichtig. Seht, in vielen Romanen wird erst ein
Knoten geschnürt, aber am Ende löst sich alles gut auf in Wohlgefallen. So aber
ist die Wirklichkeit nicht. Da gibt es lauter ungelöste Fragen. Da können die
Guten und Bösen triumphieren. Da vermisst einer seinen Sohn und stirbt darüber.
Aber ich weiß: In der Herrlichkeit lösen sich alle Fragen. Da erkenne ich jedes
Wort Gottes, das ich hier nur blind glauben kann: »Ich weiß wohl, was ich für
Gedanken über euch habe, Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich
euch gebe das Ende, des ihr wartet.« So wollen wir uns hier durchglauben, indem
wir recht die Herrlichkeit im Angesicht Jesu Christi ansehen - bis wir
zur vollen Herrlichkeit kommen.
»Im letzten Durst auf Erden erquickt dies meinen Geist, dass
man soll trunken werden von dem, was Gott verheißt. Wenn wir hier Tröpflein
nehmen, so leben wir davon. Was wird's erst sein mit Strömen vom Wasser aus dem
Thron!«
4. Sonntag nach Epiphanias
»Denn dein ist das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit
in Ewigkeit! Amen!« (Matthäus 6, 13)
Noch ist deutlich in meiner Erinnerung, wie ich als kleiner
Junge einmal mit meiner älteren Schwester bei Nacht unter dem Sternenhimmel
stand. Da erklärte sie mir, die Sterne seien große Welten. Und manche seien
Tausende von Lichtjahren entfernt. Fast erschrocken schaute ich in die fernen
Räume. Und dann fragte ich: »Was kommt denn dahinter?« Sie schwieg. »Du, was
kommt denn dahinter?« — »Ja, dahinter ist auch dasselbe — der endlos weite
Raum!« — »Ja, aber irgendwo muss das doch aufhören?« -»Nein! Es hört nicht auf,
der Raum ist unendlich.« Mir wurde schwindlig. Und ich begriff, wie wenig wir
begreifen können. So unfassbar wie die Unendlichkeit des Raumes ist uns die
Unendlichkeit der Zeit — die Ewigkeit! »Dein ist das Reich und die Kraft und
die Herrlichkeit -in Ewigkeit.« Es ist, als würden wir nun am Schluss des Vaterunsers
an das Gestade eines Meeres geführt, wo sich der Blick verliert im
Grenzenlosen.
Wir wollen aber dies Wort betrachten, indem wir es hineinstellen
in den Zusammenhang des Wortes Gottes.
»...in Ewigkeit.«
1 Ewigkeit — der Gegensatz zu allem Irdischen!
In der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts machte sich
der Kaufmann Heinrich Schliemann auf, um die alte Stadt Troja in Kleinasien
auszugraben. Bei dem türkischen Dorf Hisserlik begann er zu graben. Da fand er
sieben Städte untereinander. Welch ein Bild menschlicher Vergänglichkeit!
Da entstand eine Stadt mit all ihrem brausenden Leben. Und dann sinkt sie in
Schutt. Eines Tages bauen andere auf den Trümmern. Und wieder Vergehen und
Bauen und Vergehen.
Gottes Wort sagt: »Alles Fleisch ist wie Gras und alle seine
Herrlichkeit wie des Grases Blume. Das Gras verdorrt und die Blume verwelkt.«
Vor ein paar Wochen stand ich in Württemberg auf den Ruinen
eines römischen Kastells, das man ausgegraben hat. Da lag der Rest eines
rostigen römischen Schwertes. Ich sah im Geist den römischen Krieger vor mir,
wie er stolz sein Schwert faßte und »Roma aeterne« (ewiges Rom) sagte. Nun
konnte man die Herrlichkeit für 0,20 RM. ansehen. So ist alles Irdische.
Von Gott aber heißt es: »Dein ist die Herrlichkeit — in
Ewigkeitl« Welch eine Kluft zwischen Mensch und Gott!
2. Ewigkeit — sie ragt in die Vergänglichkeit hinein
Stellt euch einen Ertrinkenden vor, der in einen reißenden
Strom gestürzt ist. Nun reißt ihn die wirbelnde Strömung mit. Aber wenn er den
Kopf über Wasser bekommt, dann sieht er fern die rettenden Ufer.
So sind wir: mitgerissen vom Strom der Vergänglichkeit. Und
so ein Wort wie der Schluss des Vaterunser lässt uns sehnsüchtig hinüberschauen
an die Gestade der Ewigkeit, der unvergänglichen Welt.
Aber, Freunde! Nun darf ich euch das Evangelium, die frohe
Botschaft bringen. Es gibt einen Punkt, da ragt die Ewigkeit hinein in die
vergängliche Welt. Eine Insel der Ewigkeit ragt hinein in den flutenden Strom
der vergänglichen Zeit. Das ist das Kreuz Christi von Golgatha. Wer hier
angekommen ist, der hat seine Füße auf den Felsgrund der Ewigkeit gestellt.
Zur Zeit der Ebbe hatte sich ein junger Mann zu weit auf den
bloßgelegten Meeresgrund hinausgewagt. Plötzlich überraschte ihn die Flut. Er
konnte den Strand nicht erreichen. Da rief man ihm vom Ufer zu: »Retten Sie
sich zum Kreuz!« Unfern von ihm war nämlich auf einer vorspringenden Landzunge
zur Erinnerung an ein untergegangenes Schiff ein hohes eisernes Kreuz auf
einem Steinsockel errichtet worden. Dahin drang er nun vor, kletterte an dem
Kreuz empor und klammerte sich da fest — bis ein Boot ihn heimholte.
Jede meiner Predigten soll ein Ruf sein: »Rette dich zum
Kreuz!« Hier ragt die Ewigkeit in die Zeit. Hier ist Halt im flutenden Strom
der Zeit. Und hier ist der Ort, von wo aus der Herr seine Leute heimholt zur
Herrlichkeit, in's ewige Vaterhaus.
3. Ewigkeit — sie soll das Leben der Christen prägen
Es gibt zweierlei Menschen: Weltmenschen und Ewigkeitsmenschen.
Das Leben der Weltmenschen ist geprägt vom Wesen dieser vergänglichen Zeit und
Welt. Was ist denn das für ein Wesen? Wenn die Bibel das Wesen der vergänglichen
Weltmächte schildern will, dann gebraucht sie das Bild von reißenden Tieren.
Das Wesen der Welt ist tierisch, bestialisch.
Das Wesen der Ewigkeit aber ist durch ein anderes Tierbild
geschildert. Wer Offenbarung 5 gelesen hat, der weiß: im Mittelpunkt der ewigen
Welt ist »ein Lamm, wie wenn es geschlachtet wäre.« Das ist der gekreuzigte
Heiland. Und nun werden Ewigkeitsmenschen nach seinem Bild geprägt, Das Ideal
der Ewigkeitsmenschen ist es, dem Lamm« ähnlich zu werden.
Vor kurzem fuhr ich mit einem jungen Offizier, der das Eiserne
Kreuz erster Klasse trug, und der nun gefallen ist, im Zug. Als wir einen
Augenblick im Gang standen, setzte sich ein frecher Kerl auf unseren Platz,
obwohl wir den Platz belegt hatten. Ich wollte eben auffahren, da zog mich der
junge Offizier, der ein Christ war, nur leise am Arm weg. Sein Gesicht war so
unglücklich, dass ich so wenig dem Lamme ähnlich sei. Er sagte kein Wort. Aber
mir genügte es. Ich schämte mich. Der freche Mensch aber schaute erschrocken
auf den jungen Offizier — es wurde ihm unbehaglich. Und dann stand er auf und
ging. Er war auf eine neue Welt gestoßen. Oh, dass die Ewigkeit unser Leben
prägte!
Was das bedeutet, will ich noch an einem anderen Beispiel
zeigen. Das Wesen dieser Welt ist Friedlosigkeit. Ewigkeit aber — das ist
Frieden. Vom Lamme Jesus geht ein großer Friede aus. Darum ist ein
Ewigkeitsmensch in großen Frieden förmlich eingehüllt. »Sie schmecken den
Frieden bei allem Getümmel.« Lest nur einmal die Apostelgeschichte 7, wie
Stephanus gesteinigt wird. Mitten in dem Tumult steht dieser Mann mit einem
himmlischen Frieden. Und wir können nur beten: »Schenk gleich Stephanus uns
Frieden, mitten in der Angst der Welt, wenn das Los, das uns beschieden, in den
schwersten Kampf uns stellt ... « Und noch eins: Ewigkeitsmenschen haben ihren Standpunkt
über den Dingen. Als einst das gewaltige römische Reich seine Macht einsetzte,
die Christen auszurotten, da sagte ein erfahrener Christ: »nubicula —
transibit!«(Es ist ein Wölkchen — es wird vorübergehen!) Ja, Ewigkeitsmenschen
haben einen erhabenen Standpunkt. Sie wissen um die Vergänglichkeit aller
Dinge. Auch um die Vergänglichkeit des Leides.
Am Ende heißt es bei ihnen (Offenbarung 7, 17): »Gott wird
abwischen alle Tränen von ihren Augen.«
Septuagesimae 1944
»Desgleichen auch die Hohenpriester spotteten sein samt den
Schriftgelehrten und Ältesten ...« (Matthäus 27, 41)
Von dem großen Gottesmann Mose heißt es einmal: »Er war ein
sehr geplagter Mensch über alle Menschen auf Erden.« Das steht in 4. Mose 12, 3
wo eine der schwersten Stunden des Mose geschildert wird. Viel Hass,
Feindschaft und Kampf hat Mose durchmachen müssen: Kampf mit den Ägyptern, mit
Pharao, mit den Amalekitern, mit dem widerspenstigen Volk. Aber nun, bei Hazeroth,
kam die schlimmste Sache: da standen seine eigenen Geschwister gegen ihn auf
und wollten ihn beiseite stoßen. »Redet der Herr allein durch Mose? Redet er
nicht auch durch uns?« rufen sie.
Aber dann heißt es da: »Und der Herr hörte es. Und er stand
auf und trat gewaltig für seinen Knecht Mose ein.« In unserem Text sehen wir
einen Größeren als Mose in ähnlicher Lage. Der Sohn Gottes muss erleben, wie
die Repräsentanten Gottes, die Hohenpriester und Schriftgelehrten, gegen ihn
aufstehen. Die ihm am nächsten stehen sollten, die schmähen ihn. Und Gott
greift nicht ein — anders als einst bei Mose. Jesus war noch geplagter als
Mose, das ist eine ernste Sache, die wert ist, dass man darüber nachdenkt.
Der Spott der Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten.
1. Dieser Spott ist folgenreich
Die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten waren
prominente Leute. Was sie taten, das machten viele nach. Verspotteten sie den
Heiland, dann tat das arme Volk es auch. Stießen sie das Heil von sich, dann
machten es Tausende im Volk auch so. Mit diesem Spott rissen sie viele mit ins
ewige Verderben. In Markus 9, 42 spricht der Heiland von solchen Leuten, die
ihren Einfluss ausnutzen, um andere von ihm wegzuziehen. Da sagt er: »Es wäre
ihnen besser, dass ein Mühlstein an ihren Hals gebunden und sie ins Meer
geworfen würden.« Unter dieses Wort fielen die Priester, Schriftgelehrten und
Ältesten. Ich muss einen Augenblick dabei stehen bleiben. Jeder Mensch hat
einen Einflusskreis. Ehegatten beeinflussen einander, Jungen ihre Freunde,
Lehrer ihre Schüler usw. Was machen wir daraus? Man kann den anderen mit sich
in die Hölle oder in den Himmel bringen! Ein Mann ging einmal mit seinem Jungen
über Land durch tiefen Schnee. Der Vater voraus, der Junge hinterher. Dann
drehte der Vater sich um: »Junge, kommst du auch mit?« — »Ja, Vater«, rief der,
»ich gehe genau in deinen Fußstapfen!« Da erschrak der Vater, galt das nicht
auch in anderer Hinsicht? Und er — das sagte ihm sein Gewissen — war nicht auf
dem Weg zum ewigen Leben. Nun ging wohl sein Junge auch hier in seinen
Fußstapfen. Da fing der Mann um seines Jungen willen ein anderes Leben an. Auch
in unseren Fußstapfen gehen andere. Führen unsere Fußstapfen zu Jesus, zum
Heil, zum ewigen Leben?!
2. Dieser Spott ist verwunderlich
Es ist in zwei Jahrtausenden viel Spott über den
Gekreuzigten ergangen. Und bis zum Ende der Welt wird es so bleiben, dass die
Gottesleugner, die Atheisten, die frechen Sünder, die Leichtsinnigen den Herrn
verspotten werden. Das wird so lange gehen, bis sie am Ende inne werden, dass
in Wahrheit sie die Verspotteten sind. Denn in Psalm 2, 4: heißt es: »Der Herr
spottet ihrer.« Aber meine Freunde, darum handelt es sich ja hier in unserem
Text gar nicht. Hier spotten ja nicht die Gottesleugner, die frechen Sünder,
die Leichtsinnigen. Hie treten die ehrbaren Leute gegen den Sohn Gottes auf,
die religiösen Leute, die an Gott glauben, die Leute, die mit Erfolgen und
guten Werken aufwarten können. Sie verspotten den Sohn Gottes. Erstaunlich! In
Hebräer 1, 1 heiß es: »Nachdem Gott vorzeiten geredet hat zu den Vätern hat er
am letzten zu uns geredet durch seinen Sohn.« Jesu — ich kann das nicht oft
genug sagen — ist Gottes letzte Wort an die Welt. Wer den nicht hört, kommt in
die Zorn des Schweigens Gottes.
Und nun seht: Dieses letzte Wort Gottes, den Sohn, lehnen
diese religiösen, ordentlichen Leute unter Hohnworten ab Als Gottes
fleischgewordenes Wort in Jesus zu ihnen kommt, stellen sie ihre eigene
Gerechtigkeit, ihre Bravheit und ihre Religion wie einen Schild vor sich hin
und brüllen »Wir wollen das nicht!«
Ihr kennt doch wohl die Geschichte vom Sündenfall. Als Adam
mit Gott zerfallen war, da versteckte er sich vor Gott hinter den Büschen im
Garten Eden (1. Mose 3, 8). Man kann sich auch hinter anderen Dingen verstecken.
Diese Leute hier versteckten sich hinter ihrer Religion und hinter ihrer
Gerechtigkeit. Wie viele kenne ich, die sich so hinter ihrer Religion und
Tüchtigkeit verstecken, wenn der Anspruch und die Barmherzigkeit Gottes durch
Jesus Christus zu ihnen kommen. »Adam, wo bist du?« rief Gott im Paradies,
»komm heraus zum Gericht.« »Mensch, wo bist du?« ruft Gott heute durch Jesus
wieder. Aber das ist kein Ruf zum Gericht. »Komm heraus in all deiner Armut,
Not und Schuld«, ruft er, »komm hervor! Du sollst errettet werden!«
3. Dieser Spott ist begreiflich
Wer das Evangelium kennt, der weiß: Diese Hohenpriester,
Schrift gelehrten und Ältesten hatten alle Veranlassung, gegen diesen Jesus
aufzutreten. Sie haben ihn ja nicht begriffen. Aber, wenn sie ihn verstanden
hätten, dann hätten sie nicht nur gespottet. Dann hätten sie gerast oder sich
zu ihm bekehrt. Nun fühlten sie es dumpf, dass sie ihn hassen mussten. Warum?
Weil er sie ganz und gar überflüssig machte. Weil er an ihre Stelle trat. Das
muss ich euch aufzeigen:
Da waren die Ältesten. Sie hatten die Leitung und Führung
der alttestamentlichen Gemeinde. Nun tritt an ihre Stelle die Gemeinde des
neuen Bundes, die der Herr Jesus mit seinem Blut erkauft hat. Und die leitet
und führt er selbst durch seinen Geist und durch sein Wort. In einem Lied heißt
es: »Herr und Ältester deiner Kreuzgemeinde.« Ja, das ist er, und er allein!
Am 13. November
1741 fand in der Brüdergemeine ein merkwürdiger Vorgang statt. Da wurde der
Herr Jesus feierlich zum General-Ältesten der Gemeinde erklärt. Man wollte
unübersehbar deutlich machen, wer die Gemeinde regierte, wer ihr König sei.
Dann spotteten da unter dem Kreuz die Schriftgelehrten. Auch sie wurden
abgetan. Auch an ihre Stelle trat Jesus. Wie oft heißt es in der Bibel: »Er
öffnete ihnen die Schrift.« Er allein kann das und tut das. Ja, mehr! Er legt
nicht nur die Propheten aus. Er selbst ist der größte Prophet. Er ist mehr als
alle Propheten. Er selbst ist ja das fleischgewordene Wort Gottes. Damit waren
natürlich alle willkürlichen Auslegungen der Schrift hinfällig. Nun ist er
unser Schriftgelehrter.
Und da waren die Hohenpriester. Auch sie wurden durch Jesus
abgetan. Sie hatten viele Opfer dargebracht zur Versöhnung. Aber alle diese
Opfer konnten kein Gewissen reinigen. Doch seht! Da am Kreuz hängt der wahre
Priester, der sich selbst zum vollgültigen Opfer darbringt. Dies Opfer versöhnt
die Welt mit Gott. Dies Opfer reinigt von Sünden. Dies Opfer macht Gewissen
frei. Nun sind alle Priester abgetan, weil er unser Priester ist. So weist uns
unser Text auf das dreifache Amt Jesu: als König, Priester und als Prophet.
Gott schenke uns, dass wir ihn als solchen erkennen und ihm
glauben.
Sexagesimae 1944
»Desgleichen auch die Hohenpriester spotteten sein samt
den Schriftgelehrten und Ältesten und sprachen: 'Andern hat er geholfen'..«
(Matthäus 27, 41-42)
Irgendwo las ich einmal die Geschichte von einem jungen
Künstler, der in großer Armut in Paris lebte. Eines Tages kam er an einer
Auktionshalle vorbei. Er trat ein und hörte der Versteigerung zu. Da wurde auf
einmal ein altes, verstaubtes und beschmutztes Kruzifix vorgezeigt. Sofort
ging ein wilder Spott los. Das tat dem jungen Mann weh, und er kaufte das alte
Ding für ein paar Pfennige. Aber als er nun zu Hause anfing, es vom Schmutz zu
reinigen, da stellte sich heraus, dass lauter Gold war. So ist es auch mit dem
Evangelium vom Gekreuzigten ergangen. Wie hat man es seit der Aufklärung vor
150 Jahren verspottet und verachtet! Aber über all dem hat sich nur
herausgestellt, dass echtes göttliches Gold ist. So hat das Evangelium selten
geleuchtet wie in unseren Tagen. Und so ging es auch mit Jesus. Da stehen seine
Feinde hasserfüllt unter dem Kreuz. Die wollen ihn verspotten. Aber über dem
kommt das Gold seiner Herrlichkeit zum Vorschein. Denn nun fällt den Feinden
gar nichts ein, was sie ihm vorwerfen könnten als dies: »Ändern hat er geholfen.«
Jesus im Urteil seiner Feinde.
1. Wie schön ist, was sie von ihm sagen
Diese Schriftgelehrten und Ältesten wollten die Hilflosigkeit
unseres Heilands verspotten. So schreien sie:
»Andern hat er geholfen und kann sich selber nicht helfen!«
Und da geben sie nun ungewollt ein Zeugnis für ihn ab, wie es schöner nicht
gedacht werden kann: »Ändern hat er geholfen!«
Wenn man eine Überschrift setzen müsste über die drei Jahre
der Tätigkeit des Herrn, so könnte man es gar nicht besser sagen, als die
Feinde des Herrn es tun: »Ändern hat er geholfen!«
Es ist, als kämen sie damit unter dem Kreuz einmal zu Wort:
Der Mensch, der 38 Jahre am Teich Bethesda krank gelegen hatte, und die
kananäische Frau, die so in Not war um ihre Tochter, und der Gichtbrüchige und
all die Aussätzigen. Und die blutflüssige Frau, »die all ihre Habe an die
Ärzte gewandt hatte«, und der Blindgeborene und der Knecht, dem der Petrus das
Ohr abgehauen hatte und ...und... Das könnte man lange fortsetzen. Wenn wir all
diese Elenden an unserem Geist vorbeiziehen lassen, dann geht uns auf, dass es
alles Leute waren, denen kein Mensch helfen konnte und die man darum gleichsam
mit ihrem Elend beiseite schob. Denn die Welt wird nicht gern an ihre
Hilflosigkeit und an ihr Elend erinnert. Die Welt will die Illusion aufrecht
erhalten, sie sei doch ganz nett und schön. Und darum rückt sie alles Elend
immer in den Winkel und an die Seite.
Aber der Heiland war das Licht und der Helfer gerade für die
Winkel geworden, für die Abseitigen und die Unverstandenen.
Darum bekommt unsere Zeit vielleicht ein neues Ohr für
Jesus, weil die Winkel sich so füllen, weil so viel Zerschlagene und Betrübte
und Elende da sind. Vor einiger Zeit besuchte ich eine Frau. Die hatte nie
etwas wissen wollen vom Evangelium. Ja, sogar die Pfarrer waren ihr so
verhasst, dass sie mich in der beleidigendsten Weise empfing. Ich wäre sofort wieder
gegangen, wenn ich nicht einen Brief in der Tasche gehabt hätte, in dem
mitgeteilt wurde, dass ihr Sohn gefallen ist. Das sagte ich ihr nun. Ach, was
ging da für ein Jammer an! Und da konnte ich ihr nur sagen: »Sie haben bisher
keinen Heiland gebraucht. Aber nun sind sie mit einem Schlage unter die
'Mühseligen und Beladenen' geraten. Nun ist er der rechte Mann auch für sie.«
Da hat sie aufgehorcht.
Sie haben recht, die Feinde Jesu. »Ändern hat er geholfen.«
Und wollt ihr mir nicht glauben, so glaubt doch seinen Feinden.
2. Wie verkehrt sie es sagen
Von den Feinden Jesu heißt es im zweiten Psalm: »Der im
Himmel sitzt, lacht ihrer«. Und wir lachen auch ihrer. Denn sie wollen ihn
verspotten und müssen ihm doch ein herrliches Zeugnis ausstellen.
Und dennoch kann man von den Feinden Jesu nichts Gründliches
über Jesus erfahren. Weder damals noch heute. Denn der »natürliche Mensch
vernimmt nichts vom Geist Gottes«.
So ist auch das ungewollte Zeugnis der Feinde Jesu nur die
halbe Wahrheit. Wisst ihr, was daran verkehrt ist? Es ist falsch, dass sie die
Vergangenheitsform wählen. Sie sagen: »Andern hat er geholfen.« Als wenn das
nun zu Ende wäre. Es muss aber heißen: »Andern hilft er«. Ja, gerade als er am
Kreuz hing, musste gesagt werden: »Nun hilft er anderen!«
Seine größte Tat für andere ist nicht dies, dass er da und
dort einem Elenden half. Nein! Seine größte Tat ist, dass er für andere starb.
Seine größte Tat für andere ist das Kreuz. Ja, darauf kommt nun alles an, dass
man das Kreuz richtig
sieht. Die Feinde Jesu sehen darin nur das Ende, darum reden
sie von seiner Tätigkeit in der Vergangenheitsform. Der Glaube aber sieht im
Kreuz den Höhepunkt von Jesu Taten.
Da hat er auch mir geholfen. Ich will es an einem Bild klarmachen.
Im Jahre 1917 eroberten die Bolschewisten den Admiralspalast
in Petersburg. Am nächsten Morgen wurden alle im Hof aufgestellt, die man
gefangen hatte. Und dann hieß es: »Jeder zehnte wird erschossen! Abzählen!« Ein
junger Mann bekam die Zahl 20. Er wurde leichenblass. Aber in dem Augenblick
fühlte er sich leise am Ärmel gepackt und auf die Seite geschoben. Ein anderer
tauschte mit ihm den Platz. Es war der alte Oberpriester der
Admiralskathedrale. Und der starb dann für ihn. Nicht wahr, dem war geholfen.
Genauso hat mir auch Jesus geholfen. Als mir die Schwere meiner Sünden und mein
verlorener Zustand vor Gott aufgingen, da erkannte ich mit Staunen, dass Jesus
an meinen Platz getreten war und das Gericht getragen hatte. »Die Strafe liegt
auf ihm, auf dass wir Frieden hätten. Und durch seine Wunden sind wir geheilt.«
(Jesaja 53, 5)
So stellen wir
uns im Glauben neben die Feinde unter Jesu Kreuz. Und wenn sie schreien:
»Ändern hat er geholfen!« dann rufen wir: »Nein! Jetzt, gerade jetzt, schafft
er durch sein Sterben die größte Hilfe allen Sündern!«
3. Wie traurig ist, was sie sagen
»Andern hat er geholfen«, rufen sie, und fahren fort: »...
und kann sich selbst nicht helfen!« Sie könnten aber auch weitermachen: »Uns
aber hat er nicht geholfen, weil wir seine Hilfe nicht wollten.«
Wie unendlich traurig ist dies: Ȁndern hat er geholfen,
nicht uns.« Als sie das so höhnend unter dem Kreuz riefen, da hob vielleicht
der Schacher sein sterbendes Haupt. Über seine blassen Züge ging ein Leuchten.
Und seine Lippen murmelten: »Nein! Nicht anderen! Mir! Mir hat er geholfen!
Mir!«
Da stand ein junger Mann, der spätere Apostel Johannes. Der
sah dankbar auf seinen Heiland, und sein Herz dachte: »Nein! Nicht anderen! Mir
hast du geholfen, damit mein Leben einen Halt und ein Ziel bekam. Mir hast du
geholfen! Mir!«
Das ist das Traurigste, was ich mir denken kann, wenn man an
anderen sieht, wie herrlich Jesus hilft und selbst hat man nichts davon. Wenn
man sieht, wie andere die Vergebung der Sünden rühmen, und selbst bleibt man
beladen. Wenn man an anderen den Frieden mit Gott findet, und selbst ist man
friedlos.
Und wenn du hoch von Jesu rühmtest und sagtest: »Ändern hat
er geholfen!«, so ständest du immer noch bei den Feinden Jesu. Die wussten das
auch. Erst wer bezeugen kann: »Mir hat er geholfen«, ist eingegangen in die
Tore der Freude, des Friedens, des Reiches Gottes.
Sonntag Estomihi 1944
»Sie spotteten sein: Ändern hat er geholfen und kann
sich selber nicht helfen!« (Matthäus 27, 42)
Wisst ihr, wer Simson war? Das Richterbuch in der Bibel erzählt uns von ihm, dass er ein »Verlobter Gottes« war. Oh, was war dieser Simson für ein gewaltiger Held! Als ihn einst ein Löwe ansprang, griff er ihm ins Maul und riss ihn auseinander. Und als er einst in einer Stadt war, schlössen die Philister schnell die Tore, um ihn zu fangen. Da hob Simson einfach die ganzen Tore aus und trug sie weg. Es ist erschütternd zu lesen, wie dieser Starke unter dem Einfluss einer leichtfertigen Frau aufhört, ein »Verlobter Gottes« zu sein. Da war's mit seiner Kraft aus. Seine Feinde griffen und banden ihn. Und ich sehe es förmlich vor mir, wie sie ihn verhöhnen: »Jetzt kann er sich nicht mehr helfen!« In unserem Text sehen wir auch einen gebundenen Starken.
Er war stärker als Simson. Er stillte den Sturm im Meer
und rief die Toten aus dem Tode. Und er ist mehr als ein
Verlobter Gottes — er ist der Sohn!
Und aus dieser Stellung fiel er nicht heraus wie Simson.
Ja, bei Simson ist's begreiflich, dass die Kraft von ihm
wich. Aber bei Jesus nicht!
Und doch verspotteten sie ihn: »Er kann sich selbst nicht
helfen!« Kann er wirklich nicht? Kann er nicht die Nägel
herausreißen und herabspringen? Oh, das kann er wohl.
Und doch: Es hält ihn etwas Stärkeres als die Nägel am
Kreuz fest.
Was hält den Heiland
am Kreuz fest?
1. Der Gehorsam gegen den Vater
In Psalm 14, 2 heißt es: »Der Herr schaut vom Himmel auf der Menschen Kinder, dass er sehe, ob jemand klug sei und nach Gott frage. Aber sie sind alle abgewichen ...« Alle! So hieß es damals! Doch jetzt kann man das nicht mehr so sagen. Nein! Einer ist da, der nicht abgewichen ist. Einer, um dessentwillen Gott gnädig ist. Einer »ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz.« (Philemon 2, 8) Wir gehören unter das vernichtende Urteil: »Sie sind alle abgefallen.« Wir sind ja so ungehorsam, dass wir Gottes Willen meist nicht mal richtig wissen. Was wissen wir denn noch von der Stille über Gottes Wort, wo man unter Gebet seinen Willen erfragt. Mit großem Geschrei geben wir unseren Willen für Gottes Willen aus. Wir laufen ihm weg. Und wenn er uns durch harte Schläge unter seinen Willen zwingen will, dann begehren wir auf. Ich besuchte einmal eine Mutter, deren Sohn gefallen war; das war ein schweres Leid. Aber es war nun doch erschütternd, wie bei dieser Frau nur ein Aufbegehren war: »Wie kann Gott so etwas tun?!« Meine kleine Tochter hatte mal einen ganz bösen Tag. Da ging es nur immer »Nein! Ich will nicht!« Am Abend aber tat ihr das nun selber leid. Und da betete sie: »Herr! Gib mir doch ein Ja-sage-Herz!« — Seht, der Herr Jesus hatte so ein »Ja-sage-Herz«. Der Dichter Paul Gerhardt hat das in einem seiner Lieder so wunderbar und schön geschildert. Da sagt der Vater: »Geh hin mein Kind, und nimm dich an, der Kinder die ich ausgetan zu Straf und Zornesruten ... « Und der Sohn antwortet: »Ja, Vater, ja, von Herzensgrund, leg auf, ich will's gern tragen...« Und seht, dieser Gehorsam gegen den Vater hält den Heiland am Kreuz fest, er ist stärker als die Nägel.
2. Die Ehrfurcht vor der Schrift
Als ich mich mit einem Freunde über diese Predigt besprach, machte er mich auf einen wichtigen Punkt aufmerksam. Jedem Kenner des Neuen Testamentes ist dies gewiss aufgefallen: So oft Jesus nach seiner Auferstehung mit seinen Jüngern über sein Kreuz sprach, berief er sich immer auf die Schrift des Alten Bundes. »Also steht geschrieben, und also musste es geschehen!« — Dahinter steckt ein tiefer Sinn. Der Herr macht deutlich: Die Schrift ist Gottes Wort! Und das gilt unwandelbar. Mit Gottes Wort ist es anders als mit unserem Wort und unseren Schriften. Unser Wort ist unzuverlässig! Gottes Wort aber gilt eisern. — Ein Freund von mir sagte mal: »Über alle Menschenschriften könnte man als Überschrift schreiben: >Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern !<« Der Philosoph Nietzsche hat in seinen späteren Schriften genau das Gegenteil gesagt von dem, was er früher sagte. Aber er gilt als »der Große im Reich der Geister«. So ist es mit dem Menschenwort. Es ist mit all unseren Worten wie bei jener Frau, die ein Lebensmittelgeschäft hatte. Da schrieb sie an ihren Eierlieferanten: »Schicken Sie mir eine Kiste Eier! Ihre Frau N.N.« — Nachschrift: »Eben sehe ich, dass ich noch welche habe. Also schicken Sie mir keine!« So ist Menschenwort! Ja und Nein! Man weiß nie, was gilt. Aber ganz anders ist es mit Gottes Wort. Da ist »Ja!«, das gilt!
Aber — nun passt auf! Es gab einen Augenblick, da stand es auf Messers Schneide, ob wirklich Gottes Wort gilt. Und das war, als Jesus am Kreuz hing. Seht, wenn Gott z.B. in Jesaja 43, 1 sagt: »Ich habe dich erlöst, du bist mein«, dann sollte das durch Jesu Sterben erfüllt werden. Wenn Gott in Sacharja 13, 1 sagt: »Zu der Zeit werden die Bürger zu Jerusalem einen offenen Born haben wider alle Sünde und Ungerechtigkeit« — dann ging das auf Jesu Wunden. Wie, wenn nun Jesus vom Kreuze sprang? Wenn er sich selbst half? Dann war Gott zum Lügner gemacht. Dann waren seine Verheißungen Wind. Dann fiel das ganze Wort Gottes hin.
Und seht, das hält
unseren Heiland am Kreuz und ist stärker als die Nägel: »Es muss Gottes Wort
wahr sein!« Ich muss seine Verheißungen erfüllen. Sonst mache ich ihn zum
Lügner. Nun kann Paulus das herrliche Wort sagen: »Alle Gottesverheißungen sind
Ja in Jesus und sind Amen in Jesus« (2. Korinther 1, 20). Und nun können wir
fest auf Gottes Wort vertrauen.
3. Die Liebe zu uns
Es hat mir einmal einer erzählt, wie er es erlebte, dass ein zum Tode Verurteilter zur Hinrichtung geführt wurde. Diese Schilderung ließ mich nicht schlafen. Und da musste ich auf einmal denken: »Ja, sind wir denn nicht alle in dieser Lage?« Ach, in noch viel schlimmerer! Wir gehen auch dem Tod entgegen. Aber damit ist's noch nicht zu Ende: dahinter kommt erst das Gericht Gottes. Und wer kann da bestehen?
Der Mensch kann sich über diese furchtbare Lage hinwegtäuschen. Durch wilde Arbeiterei, durch Zerstreuung, durch große Reden. Aber es bleibt doch so! Und da heißt es auch wieder, wie so oft, von dem Sohn Gottes: »Es jammerte ihn des Volkes.« Und darum schuf er durch sein Sterben eine Errettung. Oh, dass wir uns doch gründlich zu ihm bekehrten! Bei ihm ist Errettung vom Gericht, weil er die Sünden vergibt. Bei ihm ist Errettung vom Tode, weil er der Lebensfürst ist und den Tod überwunden hat. Und wenn einer von uns dies Heil verschmähen sollte, so
bleibt er doch der, »dem allemal das Herze bricht, wir kommen oder kommen nicht.«
Seine Liebe zu uns, sein Errettungswille, hält ihn fester am Kreuz als die Nägel. Er wollte es durchfechten für uns und hat es getan.
In meiner Bücherei habe ich ein Buch mit dem Titel: »Die ganz große Liebe!« In dem ist von Jesus die Rede. Oh, ihr Leute, denen das Leben hart mitspielt: Seht doch am Kreuz »die ganz große Liebe«! Sprecht mit Tersteegen:
»Ich will, anstatt
an mich zu denken,
ins Meer der Liebe
mich versenken.«
Sonntag Invokavit 1944
»...Ist er der König Israels, so steige er nur vom Kreuz,
so wollen wir ihm glauben.« (Matthäus 27, 42b)
»Gott mein
Schöpfer, der Lobgesänge gibt in der Nacht«, heißt es in Hiob 35, 10. Die Bibel
weiß viel von solchen gesegneten Nachtstunden zu berichten. In der Nacht rang
Jakob mit dem Herrn, bis er ihn segnete. In der Nacht wurde Lot aus Sodom
geführt. In der Nacht öffnete der Herr dem Daniel die Geheimnisse der Zukunft
(Daniel 2, 19). In der Nacht redete Nikodemus mit dem Herrn. Und in der Nacht
suchte Jesus das Angesicht des Vaters. Eine der schönsten Nachtstunden aber
wird uns von Abraham berichtet. Gott hatte ihm einen Sohn verheißen. Aber
Abraham war nun alt geworden. Und der Sohn war nicht da. Und da führte Gott ihn
in einer Nacht hinaus vor sein Zelt. Ein Mann allein mit Gott in der Stille der
Nacht. Über der schlafenden Erde flammen die Sterne. Und da sagt Gott: »Siehst
du die Sterne? Kannst du sie zählen? So soll dein Same sein.« Und dann heißt es
so schön: »Abraham glaubte dem Herrn. Und das rechnete er ihm zur
Gerechtigkeit.«
Dass wir solchen Glauben hätten! Die Leute unter Jesu Kreuz
redeten auch vom Glauben. Aber sie hatten keine Ahnung vom rechten Glauben. Ich
möchte euch am Gegensatz zu ihrer törichten Spottrede eines aufzeigen:
Die Art des rechten Glaubens.
1. Wie der rechte Glaube entsteht
Als der Sohn Gottes am Kreuz hing, da riefen seine Feinde:
»Steige nun vom Kreuz, so wollen wir dir glauben.« Die hatten also eine ganz
bestimmte Vorstellung davon, wie der Glaube entsteht, nämlich durch Wunder und
durch Erfolg. Wenn Jesus das Wunder fertig bekommt und vom Kreuz steigt — sagen
sie — dann können wir glauben! Jesus hat darauf gar nicht geantwortet. Warum
nicht? Konnte er dies Wunder nicht tun? Oh doch! Gewiss! Aber — und nun muss
ich etwas sagen, was gar nicht ausdrücklich genug gesagt werden kann — der
Wunder- und Erfolgsglaube ist das genaue Gegenteil vom rechten Glauben. Jeder
Kenner der Heiligen Schrift weiß, dass am Ende der Zeiten der Antichrist kommen
wird. Und da müsst ihr mal in Offenbarung 13 selbst nachlesen, wie der die
Menschen zum Glauben an sich bringt: durch riesige Erfolge, durch Wunder, die
er tun lässt. Der rechte Heilsglaube entsteht ganz anders. Er entsteht durch
das Wirken des Heiligen Geistes im Herzen. Dieser Heilige Geist—ja, womit soll
ich sein Wirken vergleichen? Er ist wie ein Licht in dunkler Nacht, so dass man
mit Schrecken seine Finsternis, Verlorenheit und Schuld erkennt. Er ist wie
ein starker Zug, der uns zum Heiland hinzieht. Er ist wie ein Scheinwerfer,
der alles Licht auf den Gekreuzigten fallen lässt, so dass man weiß: »Auch
mich, auch mich erlöst er da.« Er ist wie die Frühlingssonne, vor der das alte,
böse, tote Wesen weichen muss, und Freude und Friede einzieht. Durch das Wirken
des Heiligen Geistes, um den wir bitten dürfen, entsteht der rechte
Heilsglaube.
2. Woran sich der rechte Glaube orientiert
Die Spötter, die unter dem Kreuz standen, dachten so: »Der
Glaube orientiert sich an unseren eigenen Wünschen.« Sie hatten sich das so
ausgedacht: Wenn ein Heiland kommt, dann muss er ein großer König und Wundertäter
sein. Und so sagen sie noch unter dem Kreuz: »Wenn du jetzt vom Kreuz
heruntersteigst, dann wollen wir dir glauben! Dann bist du nämlich so, wie wir
uns das gedacht haben!«
So machen es die meisten Menschen. Sie orientieren ihren
Glauben an ihren eigenen Wünschen. Sie denken sich einen Gott aus, der ihnen in
allen Stücken zu willen sein muss. Wenn er aber nicht so tut, wenn er etwa den
Sohn nicht aus dem Feld nach Hause kommen lässt, wenn er nicht das Haus bewahrt
beim Fliegerangriff — kurz, wenn er nicht vom Kreuz steigt, dann ist es mit dem
Glauben aus. Und dabei waren diese Spötter unter dem Kreuz ja Schriftgelehrte.
Die hätten doch wissen sollen, dass der rechte Glaube sich nicht an unseren
Wünschen orientiert, sondern an der Bibel. Hätten sie ihre Bibel ernst genommen,
dann hätten sie gewusst, dass der Heiland uns nicht mit Kraft, Pomp und Gewalt,
sondern mit Leiden und Sterben erlöst. So nämlich steht es überall schon im
Alten Testament verkündigt. Der rechte Glaube orientiert sich an der Bibel.
Dann nimmt man nicht Anstoß am Kreuz, weil man da liest: »Er ist um unserer
Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen .... durch
seine Wunden sind wir geheilt.« (Jesaja 53, 5) Da nimmt man nicht Anstoß, wenn
der Herr uns ins Leiden führt. Denn in der Bibel steht ja: »Wir müssen durch
viel Trübsal in das Reich Gottes gehen.« (Apostelgeschichte 14, 22) Als im
Mittelalter der große Glaubensstreit entbrannte, stand der Gottesmann Luther
eines Tages vor dem Reichstag zu Worms. Alle weltliche und geistliche Macht war
da mit großer Pracht versammelt. Und dann wurde er aufgefordert, er sollte
alles, was er je geschrieben hatte, zurücknehmen. Und was hat er geantwortet?
»Man soll mir aus der Bibel nachweisen, dass ich geirrt habe. Dann will ich
widerrufen. Sonst nicht.«
Der rechte Glaube orientiert sich an der Bibel. Und darum
hält er mit Leidenschaft fest an diesem Buch. Und er sagt: »Wenn dein Wort
nicht mehr soll gelten, worauf soll der Glaube ruhn? Mir ist's nicht um tausend
Welten, aber um dein Wort zu tun!«
3. Was der rechte Glaube wagt
Oh seht doch diese Spötter unter dem Kreuz! Solange de Herr
Menschen speiste, Kranke heilte, war er ihnen recht. Aber als sein Weg in das
Leidensdunkel geht, sagen sie: »Das geht zu weit! Da kommen wir nicht mit.
Steig' herab, dann gehen wir wieder mit dir!« Als ich ein kleiner Junge war,
wollte mal ein größerer Vetter mit mir eine Höhle in Württemberg besuchen. An
der Höhle angekommen, steckten wir unsere Kerzen an. Und dann ging es hinein.
Aber nach kurzer Zeit wurde es mir unheimlich. Diese Finsternis! Und das dumpfe
Wasserrauschen — und dann — ja, dann kehrte ich um und ließ ihn allein.
Wie viele machen es so mit Jesus. Eine Zeitlang ist er ihnen
recht. Aber wenn's ins Dunkle geht, in das Sterben des alten Menschen, an das
Zerbrechen unserer Wünsche und Hoffnungen, dann sagt man: »Das geht zu weit.
Ich kehre um!«
Der rechte Glaube aber geht mit dem Heiland auch ins Dunkle.
So lesen wir von Abraham (Hebräer 2, 8): »Durch den Glauben ward gehorsam
Abraham, da er berufen ward, auszugehen ... und ging aus und wusste nicht, wo
er hinkäme.« Er ging mit Jesus ins Dunkle und Ungewisse. Und eines Tages kam
sogar der Befehl, er sollte seinen einzigen Sohn auf dem Berge Morija opfern
(1. Mose 22, 2). Da hat er nicht aufgeschrien: »Das geht zu weit!«, sondern ist
getrost im Glauben diesen dunklen Weg gegangen, der am Ende doch ins Licht
führte.
So sagt der rechte Glaube nicht: »Steige herab vom Kreuz, so
will ich dir glauben«, sondern er sagt:
»Ich will mich selber mit dir ans Kreuz geben, damit ich mit
dir lebe, der du auferstanden bist!«
Sonntag Reminiscere 1944
»Sie spotteten und sprachen: >...Er hat Gott vertrat der
erlöse ihn nun, hat er Lust zu ihm.<« (Matthäus 27, 43)
Aus den dunklen Urzeiten der Menschheit wird uns 1. Mose 11 eine aufwühlende Geschichte berichtet. Es hat damals alle Welt einerlei Sprache. Eines Tages fassten die Menschen den Beschluss: »Wohlauf, lasst uns einen Tun bauen, dessen Spitze bis in den Himmel reicht, dass wir uns einen Namen machen.«
Nun beginnt der Titanentrotz des Menschen den Bau des
babylonischen Turms, der als phantastisches Zeichen die »Pensionierung Gottes«
und die Selbstherrlichkeit des Menschen proklamieren soll.
Ihr wisst, wie es weiterging: Der Turm wurde nie fertig. Der
Herr fuhr hernieder und verwirrte ihre Sprache, dass einer den ändern nicht
mehr verstand. Und dabei ist es geblieben, wie ja die Gegenwart zeigt. Aber
die Verwirrung ging noch tiefer. Nicht nur zwischen Mensch und Mensch wurde die
»Sprache verwirrt«, sondern auch zwischen Mensch und Gott. Der Mensch versteht
auch die Sprache Gottes nicht mehr, solange Gott ihm nicht durch den Heiligen
Geist hilft. Davon redet unser Text. Das Kreuz ist die deutlichste Rede Gottes.
Aber — wer versteht sie? Die Leute unter dem Kreuz jedenfalls nicht.
Das dreifache Missverständnis des Kreuzes.
1. Es geht nicht um Jesu Not, sondern um unsre
Da stehen die Spötter unter dem Kreuz. Und es ist, als
streife ihr Herz eine Ahnung von Jesu ungeheurer Not. Aber auch daraus machen
sie nun einen Spott: »Du hast dich ja so oft erfolgreich an Gott gewandt. Tu es
doch auch jetzt in deiner Not!«
Welch ungeheures Missverständnis! Es geht auf Golgatha gar
nicht um Jesu Not. Es geht vielmehr um unsre Not. Dieses Missverständnis hat
die ganze Kirchengeschichte durchzogen. Die katholische Mystik des
Mittelalters, besonders die franziskanische Mystik, geht in der Linie des
Mitleids mit dem leidenden Heiland. In dem bekannten Lied »Stabat mater« stellt
sich die Seele gleichsam neben Maria unter das Kreuz und klagt mit ihr: »Lass
mein Weinen um den Reinen mit dem Deinen sich vereinen, bis zu meiner letzten
Stund; trauernd mich mit dir zu sehen, an dem Fuß des Kreuzes stehen, wünsch
ich mir von Herzensgrund.«
Ja, sogar im evangelischen Gesangbuch findet sich dieses
Missverständnis, als gehe es um Jesu Not: »O süßer Bund, o Glaubensgrund, wie
bist du doch zerschlagen! Alles, was auf Erden lebt, muss dich ja beklagen.«
Luther nennt das in der lateinischen Ausgabe der Schrift »Von der Freiheit
eines Christenmenschen« einen »kindischen und weibischen Unsinn«.
Es geht am Kreuz um unsre Not! Und zwar um eine größere, als
die der Krieg mit sich bringt. Es geht um die Not unseres Gewissens, um die Not
unserer friedlosen Seele, um die Not, dass wir der Hölle zueilen. Ein
befreundeter Missionar erzählte mir einst von einem indischen Götzenfest.
Tausende sind versammelt. Da kommen die riesigen Triumphwagen der Götter. Ihre
Räder sind wie ungeheure Walzen. Und auf einmal stürzt ein Mann aus der Menge,
wirft sich unter die Räder und lässt sich zermalmen. Aus Hunger nach Frieden
des Herzens!
Um diese Not, welche die wahre Menschheitsnot ist, geht es
an Jesu Kreuz. Diese Not will er stillen. Hier wird für uns alle der Friede mit
Gott erfochten.
2. Es geht nicht um Jesu Erlösung, sondern um unsre
Da stehen sie unter dem Kreuz des Sohnes Gottes und spotten:
»Er hat Gott vertraut, der erlöse ihn nun...!« Welch ungeheures
Missverständnis! Es geht auf Golgatha nicht darum, dass Jesus erlöst wird. Es
geht um unsre Erlösung!
Auch dieses Missverständnis ist bis zum heutigen Tag vorhanden.
Nicht nur Jesus hat am Kreuz gehangen. Auch die Sache seines Reiches geht in
dieser Weltzeit den Kreuzesweg. Den Feinden Christi ist das nun Anlass zu
höhnischem Triumpfgeschrei, den gutmeinenden Leuten aber zu schwerer Sorge.
Wie oft begegnen mir wohlmeinende Leute, die um die Kirche Christi recht
besorgt sind und allerlei gute Vorschläge haben, wie man der Sache der Kirche
und Christi aufhelfen könnte. Also: diese Sorge dürfen wir getrost fallen
lassen. Es geht nicht darum, dass Jesus und seine Sache erlöst werden. Nein! Es
geht vielmehr darum, dass wir erlöst werden.
Oh, ihr törichten Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten!
Da steht ihr nun und ruft: »Er hat Gott vertraut, der erlöse ihn nun!« Ja, habt
ihr euch denn schon mal Gedanken gemacht, wer euch erlösen soll? Erlösen von
eurer Blindheit, von eurem geistlichen Tod, von eurer Schuld, von
der Gewalt der Finsternis, von der Hölle, ja, von euch selbst? Wer soll euch
denn erlösen? Seht nur auf den Mann am Kreuz! Der tut es!
Einer der edelsten Männer der katholischen Kirche, Vinzenz
von Paul (gest. 1660), traf in einer französischen Hafenstadt einen
Galeerensklaven, der ihm durch sein trauriges Gesicht auffiel. Auf Befragen
erfuhr er, dieser Mann sei wegen Wilderns zu sechs Jahren Galeere verurteilt
worden. Vier Jahre habe er verbüßt. Seine Frau und Kinder seien in großer Not.
Wenn jemand für ihn einträte, würde er natürlich freigelassen. Da ließ sich
Vinzenz von Paul an die Galeere schmieden. Und der Mann durfte heimkehren.
Das ist ein schwaches Gleichnis für die Erlösung Jesu. Wer will
sie auch erklären? Aber im Glauben darf man es erfahren: »Die Strafe liegt auf
ihm, auf dass wir Frieden hätten« (Jesaja 53, 5).
Und der Glaube bekennt mit Luther: »Ich glaube, dass Jesus
Christus sei mein Herr, der mich verlorenen und verdammten Menschen erlöset
hat, erworben und gewonnen von allen Sünden, vom Tode und von der Gewalt des
Teufels, nicht mit Gold oder Silber, sondern mit seinem heiligen teuren Blut
und mit seinem unschuldigen Leiden und Sterben, auf dass ich sein eigen sei...
«
3. Es geht nicht darum, ob Gott zu Jesus Lust hat, sondern
darum, ob er zu uns noch Lust hat
Da spotteten die Feinde Jesu in ihrer geistlichen Blindheit
unter dem Kreuz: »Er hat Gott vertraut; der erlöse ihn nun, hat er Lust zu
ihm!« Welch ein Missverständnis! Das ist keine Frage, ob Gott Lust zu seinem
Sohn hat. Zweimal hat Gott vernehmlich gesagt: »Dies ist mein lieber Sohn, an
dem ich Wohlgefallen habe.« Nein, darum geht es, ob Gott noch Lust zu diesen
Menschen hat. Wenn ich Gott wäre, hätte ich keine Lust zu dieser blinden,
blutdürstigen, verkehrten, charakterlosen Menschheit. Aber — und das ist das
unfassbare Wunder des Evangeliums — Gott hat zu dieser Menschheit Lust, so
Lust, dass er seinen eingeborenen Sohn ans Kreuz gab. Lasst mich ein Bild
gebrauchen. Und nun will ich reden mit denen, die einen Sohn im Felde verloren
haben. Oh, wie blutet da das Herz! Wenn es könnte, würde es den Sohn aus der
Erde holen. Meint ihr, Gottes Vaterherz sei anders? Er hat auch Söhne und
Töchter, die tot sind, geistlich tot, tot in Sünde und Gottesferne, gefallen!
Ja, gefallen in Unglaube, Ungehorsam, Verdammnis.
Da entbrennt sein Herz. Er kann es nicht lassen: Er will sie
aus dem Tode erretten. Darum hängt der Heiland am Kreuz.
Wer's nicht verstehen kann, der glaube doch denen, die es
schon erfahren haben: sein Tod ist unser Leben; sein Sterben ist unsere
Versöhnung. Sieh doch Gottes Werben um dich, dass er seinen Sohn gibt. Oh, wie
hat Gott Lust an denen, die glauben und sich bekehren, die gekleidet sind in
die Gerechtigkeit Jesu Christi.
Sonntag Okuli 1944
»...denn er hat gesagt: >Ich bin Gottes Sohn!<«
(aus der Matthäuspassion)
In meiner Heimatstadt Frankfurt wurde in jedem Jahr die
Matthäuspassion von J.S. Bach aufgeführt. Schon von früher Jugend an nahmen
mich meine Eltern dort mit hin. Diese großartige Passionsmusik gehört zu meinen
tiefsten Jugendeindrücken.
Da ist dieser
Spott unter dem Kreuz besonders eindrücklich — achtstimmig toben, grollen,
schrillen, schreien die Chöre die Hohnworte: »Er hat Gott vertraut, der erlöse
ihn nun, hat er Lust zu ihm ... « Man hört förmlich das wirre Geschrei unter
dem Kreuz. Aber dann — und da lief es mir immer kalt über den Rücken — dann
vereinen sich auf einmal die Stimmen. Und gewaltig, unisono, schließt dieser
Chor: » ...denn er hat gesagt: >Ich bin Gottes Sohn!<« Da hat Bach,
dieser Freund des Evangeliums, deutlich gemacht, dass hier der dumme Spott
aufgehört hat, dass hier die eigentliche Anklage ist, dass hier die Stelle ist,
wo die Geister sich scheiden. Wie ein Bekenntnis aus Hass heraus ist dieser
lapidare Satz:
»...denn er hat gesagt:
Ich bin Gottes Sohn!<«
1. Jesus selbst hat es gesagt
»Er hat es gesagt: >Ich bin Gottes Sohn!<« Das ist mir
wichtig. Denn seit Jesus in mein Leben kam, lag mir alles daran, volle Klarheit
über ihn zu haben. Die Welt macht es sich ja in Glaubensdingen sehr leicht. Sie
glaubt einfach, was gerade Mode ist. Und je nach Bedarf wechselt man den
Glauben — wie ein Hemd. Das können die nicht mehr tun, die Gottes Geist erweckt
hat. Sie wollen Gewissheit. Sie wollen Felsgrund unter den Füßen. Ein Erweckter
sagt: »Ich kann jetzt nicht Menschengeschwätz brauchen. Ich brauche einen
Glauben, der auch im Sterben nicht zerbricht.« Seht, darum musste ich Klarheit
über Jesus haben. Die Welt lässt Jesus auch gelten. Aber nur als einen
Menschen. Am vernehmlichsten ist das wohl ausgesprochen worden in einem Buch
von Gustav Frenssen: »Hilligenlei«. Das Buch erschien 1905 und hatte im ersten
Weltkrieg schon eine Auflage von 160000, obwohl es über 600 Seiten hat. Da wird
erzählt, dass der Heiland ein ganz schlichter Mensch war: »Und als er tot war,
da kamen sie aus allen Ländern. Syrer und Ägypter, germanische Soldaten und
griechische Arbeiter. Und sie überzeichneten das Heilandsleben.« Und etwas
weiter lesen wir dann: »Dann kam Paulus, ein durch und durch kranker Mensch,
und legte um das schlichte, bange, demütige Menschenkind Jesus siebenfach
glitzernden Goldbrokat und machte ihn zu einem ewigen Gotteswesen.«
So schrieb Frenssen. So lehrten Professoren, Studienräte und
Lehrer. Und das Volk glaubte es — weil sie die Bibel nicht mehr lasen.
Ihr braucht jetzt mal nicht auf die Jünger Jesu zu hören und
auch nicht auf die Kirche. Hört doch, was die Feinde Jesu sagen. Das sind doch
in diesem Fall gewiss unverdächtige Zeugen: » ... er hat gesagt: >Ich bin
Gottes Sohn!<« — Nicht die Kirche und Paulus haben ihn dazu gemacht. Nicht
die Kirche und Paulus haben ihm »den Goldbrokat der Gottessohnschaft«
umgehängt. Nein! Er selbst hat es getan. So sagen es seine Feinde.
Und nun stehen wir vor der Frage: »Wollen wir ihm das
Rauben?« Wenn wir ihm das nicht glauben, dann müssen wir ihn als einen Betrüger
ansehen. Aber, sieht so ein Betrüger aus? Ich kann nur bekennen: »Ich glaube es
ihm, wenn er sagt: >Ich bin Gottes Sohn<.«
2. Dem Glauben liegt viel daran
Alle Feinde des Herrn sind doch nur Marionetten in seiner
Hand, das spürt man hier. Da stehen sie höhnend unter dem Kreuz. Und dann ist
es, als wenn Gottes starke Hand sie im Genick packte und sie zwänge, vor aller
Welt deutlich zu bekennen: » ... er hat gesagt: >Ich bin Gottes Sohn!««
Gerade an diesem Satz liegt dem Glauben alles. Wenn er nicht nur ein Mensch
war, dann ist sein Sterben eine Tat Gottes zu unserer Errettung. Ein Bild soll
es deutlich machen: Ich ging einst durch die alte Ordensburg in Reval. Ich
wurde auch in den schrecklichen Kerker geführt. Jemand erzählte mir, dass man
da die Gefangenen gezwungen hätte, sich selbst einzumauern. Nun seht, dies
haben wir Menschen freiwillig getan. Wir haben Schuld auf Schuld gehäuft, eine
Mauer von Sünde aufgebaut und uns damit von Gott, vom Leben, von aller Hoffnung
abgemauert.
Wenn sich Gefangene dann in der Burg eingemauert hatten,
konnte keiner mehr dem anderen helfen. Auch der Stärkste, der Edelste konnte
nicht helfen. Hilfe konnte nur noch von außen kommen.
So kann kein Mensch eine Erlösung schaffen. Wir sind ja alle
in der gleichen Verdammnis. Auch der Edelste, auch der Stärkste! Das Alte
Testament sagt das mit den ergreifenden Worten: »Kann doch einen Bruder
niemand erlösen noch ihn Gott versöhnen..., man muss es lassen anstehen
ewiglich« (Psalm 49, 8).
Den in Schuld und Gottesferne Eingemauerten kann die Hilfe
nur von außen kommen, aus einer anderen Dimension. Nur von Gott her.
Und sie ist gekommen. Als Jesus sterbend rief: »Es ist vollbracht
!«, da war die Mauer aufgebrochen. Da war der Weg zu Gott frei geworden durch
die Vergebung der Sünden. Seht, darum liegt dem Glauben alles daran, dass Jesus
wirklich der Mann aus der anderen Dimension ist, der Helfer, der von außen, von
Gott her gekommen ist. 1863 erschien ein vielgelesenes, geistreiches Buch von
Renan mit dem Titel »Leben Jesu«. Da ist Jesus auch als Mensch gezeigt und die
Gottessohnschaft geleugnet. Darauf hat der greise Maler Cornelius ein Bild
gemalt: Man sieht, wie Thomas nach der Auferstehung vor Jesus niederfällt und
sagt: »Mein Herr und mein Gott!« Zu diesem Bild sagte Cornelius: »Das ist meine
Antwort an Renan!«
Der christliche Glaube, ja unser Heil, steht und fällt mit
der Gottessohnschaft Jesu.
3. Dann muss seine Erlösung kräftig sein
Gott war in Jesus und versöhnte die Welt mit sich selbst (2.
Korinther 5, 19). Wenn Gott etwas tut, dann ist es vollkommen. Also ist in
Jesus vollkommenes Heil für jedes Leben. Das bezeugte ich vor kurzem einem
Manne. Da sagte er: »Ich habe von dieser Kraft nichts gespürt.« Ich konnte nur
antworten: »Sie müssen sich nur im Glauben an diesen Kraftstrom anschließen.« —
Lasst mich zum Schluss eine Geschichte erzählen: Ein Mann träumte, er sei in die
Hölle gekommen. Er ging über eine trostlose Steppe. An einem schmutzigen Fluss
saßen regungslos viele Menschen. Er fragte einen: »Was macht ihr da?« » Wir
denken nach!« »Worüber denkt ihr nach?« »Wir denken über
einen Namen nach.« »Über welchen Namen?« »Wir kennen ihn
nicht.« »Wie soll ich das verstehen, dass ihr aber einen Namen nachdenkt, den
ihr nicht kennt?« Da richtete sich der Verlorene auf und sagte: »Wir wissen, es
gibt einen Namen, der so mächtig ist, dass wir sogar aus der Hölle errettet
werden können, wenn wir ihn anriefen. Aber dieser Name fällt uns nicht mehr
ein.« Wir kennen diesen Namen: Jesus! Weil er der Sohn Gottes ist, ist sein
Heil ein völliges Heil, ist sein Sterben eine wirkliche Erlösung. Weil er der
Sohn Gottes ist, kann es von ihm heißen: »Wer den Namen des Herrn Jesus anrufen
wird, soll selig werden« (Apostelgeschichte 2, 21).
Ostern 1944
»Denn du wirst meine Seele nicht dem Tode lassen und
nicht zugeben, dass dein Heiliger verwese.«
(Psalm 16, 10)
Als Abraham einst
seine Zelte im Hain Mamre aufgeschlagen hatte, kam abgehetzt ein Bote zu ihm
und verkündete: »Mächtige Feinde haben die Stadt Sodom überfallen und alle
Einwohner weggeschleppt, darunter auch deinen Neffen Lot mit allen den Seinen.«
Sofort bewaffnete Abraham 318 Knechte, brach mit ihnen auf und folgte den
Feinden in Eilmärschen. Und bei Nacht überfiel er das Lager der Feinde. Die
waren so bestürzt, dass sie entsetzt flohen und alle Beute zurück ließen (1.
Mose 14, 13-16).
Wisst ihr, ich wäre gerne der Bote gewesen, der nun zu Lot
sprang und sagte: »Ihr seid frei!« Da ist ein schauerlicher und starker Feind,
der uns alle davon schleppt — der Tod. Oh, wie schleppt er Beute davon! Und er
macht ein Geschrei, als habe er allein das letzte Wort. Aber hier in der Bibel
steht die ungeheure Sieges und Freudenkunde:
Vom Sieg über den Tod.
1. Von der ungeheuren Macht des Todes
Welch ein entsetzlicher Feind ist doch der Tod! Wie unbarmherzig
ist er. Da sitzt eine Mutter am Bett ihres Kindes. Ihr Herz schreit und ihre
Tränen fließen, dass es den Härtesten erbarmen müsste. Aber der Tod kennt kein
Erbarmen. Da haben Eltern ihren Sohn an der Front, Frauen
ihren Gatten. Wer kann die stillen Nachtstunden zählen, wo sie sorgen, beten
und weinen um ihre Lieben. Aber den Tod rührt das nicht. Er schwingt sein
Schwert und fährt drein. Oh, du unbarmherziger Tod!
Und wie respektlos ist dieser Feind! Er schleppt nicht nur
die Armen und Elenden davon, denen das Leben vielleicht schon eine Last ist.
Oh, nein! Er reißt dem König die Krone vom Haupt, reißt den planenden
Großindustriellen von seinen Plänen; er legt den Stolzen zu den Würmern. Er
fragt nicht, ob einer mit seinem Lebenswerk fertig ist. Mitten aus der Arbeit
holt er ihn weg. Er fragt nicht, ob ein Leben besonders wertvoll war. Er
behandelt die köstlichen Blumen genauso wie das schlechte Gras. Oh Tod, woher
kommt dir diese entsetzliche Macht? Die Bibel sagt es uns: »Der Tod ist der
Sünde Sold« (Römer 6, 23). Willentlich los von Gott, ist die Welt dem Tod
verfallen. Und nun kommt das Ärgste. Es könnte dem Auge scheinen, als schwinge
der Tod das Richtschwert. In Wahrheit aber bindet er nur die Opfer und bringt
sie vor das Gericht. Denn »es ist dem Menschen gesetzt, einmal zu sterben,
danach aber das Gericht« (Hebräer 9, 27). Wer kann die Macht dieses Feindes
schildern! Sein größtes Werk hat er getan, als er sich sogar an Gott wagte und
den Sohn Gottes tötete auf Golgatha. »Und Jesus neigte sein Haupt und
verschied.« Da hat der Tod den kühnsten Griff getan.
2. Das göttliche »Halt!«
Aber nun wurde der alles einebnenden Todeswalze ein
mächtiges »Halt« geboten vom lebendigen Gott! »Du wirst meine Seele nicht im
Tode lassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger die Verwesung sehe.« So hat
der Sohn Gottes schon im alten Bund durch den Mund Davids gesagt, ehe er des
Todes Bitterkeit schmeckte. »Du wirst nicht zugeben ... !« Nun tritt Gott auf
den Plan. Nun tut er, was Abraham tat, als er in das Lager der Feinde einbrach.
Nun wird dem Tod die erste Beute abgejagt. Lasst uns im Geist in den Garten des
Joseph von Arimathia gehen.
Der erste Morgenschein des Ostermorgens ist am Himmel
erschienen. Tiefe Stille liegt über dem Land. Man hört nur die Schritte der
römischen Legionäre, die vor dem Grab des Herrn Jesus die Wache halten ... Da
... plötzlich bebt die Erde ... Ein Lichtglanz, wie ein großer Blitz, blendet
die Augen der Soldaten.
Das letzte, was sie sehen ist, wie der große Felsstein vor
der Grabeshöhle davon rollt. Dann schwinden ihnen die Sinne. Aber nun geht die
Sonne auf. Die Vögel schmettern ihre Loblieder. Der erwachende Tag umjauchzt
den Heiland, der nun als die ewige und wahre Sonne über der Welt aufgeht.
Nun ist es wahr geworden. »Du wirst meine Seele nicht im
Tode lassen und nicht zugeben, dass dein Heiliger verwese« (Psalm 16, 10).
»Sein'n Raub der Tod musst'n geben her, das Leben siegt und ward ihm Herr,
zerstöret ist nun all sein' Macht, Christ hat das Leben wiederbracht,
Hallelujah.« Mein vor kurzem gefallener Bruder schrieb in sein Tagebuch: »Gott
hat dem Tod eine Grenze gesetzt.«
3. Das Tor zum Leben
Ich sagte zu Anfang: »Ich möchte wohl jener Bote gewesen
sein, der zu Lot sprang und rief: 'Ihr seid frei! Eure Feinde sind besiegt!'«
Nun darf ich heute morgen solch ein Bote sein. Ich darf euch allen, nach denen
der Tod so sichtbar seine Krallen ausstreckt, verkündigen: »Der Tod ist besiegt!
Das Leben ist erschienen, seit der Herr Jesus von den Toten auferstanden ist.«
Der Begriff »Durchbruchsschlacht« ist uns allen doch etwas Geläufiges. Da
stehen sich die Fronten in heißem Kampf gegenüber. Auf einmal gelingt es den
Truppen, an einer Stelle die Front des Feindes zu durchbrechen. Wie strömen nun
durch dieses Loch die siegreichen Truppen zu neuem Sieg. Seht, so ist am
Ostermorgen eine Durchbruchsschlacht durch die Front des allmächtigen Todes
geschehen. Und nun strömen die siegreichen Scharen hinter Jesus her in das
ewige Leben. Der Tod kann sie nicht mehr halten. Die Märtyrer der Kirche, die
singend und betend in der Arena des römischen Zirkus starben, die Blutzeugen,
die auf den Scheiterhaufen einer gottlos gewordenen Weltkirche ihr Leben
verloren, die Väter, die im Glauben an die Vergebung der Sünden durch Jesu
Blut starben, jener Mitarbeiter des Weiglehauses, der mir in seinem letzten Brief,
ehe er starb, schrieb: »Ich freue mich, dass ich früh meinen Heiland gesucht
und gefunden habe...«, mein eigenes Kind, das mir vor seinem Sterben in
Russland schrieb: »Nun weiß ich es gewiss: Der Herr ist mein Hirte...« — sie
alle sind hinter Jesus her durch die durchbrochene Todesfront zum Leben
gedrungen. Sie alle haben im Glauben ihre Hand in Jesu durchgrabene Hand gelegt
und gesagt: »Du wirst meine Seele nicht im Tode lassen.« Sie sind im Leben und
jauchzen in vollendeten Chören dem Todes-überwinder.
Aber zum Schluss nun ein ernstes Wort: Nur in Jesus ist die
Todesfront durchbrochen. Nur in Jesus! Es ist wahrhaftig kein »Spleen«, wenn
ich Jungen, die vielleicht bald sterben müssen, wenn ich die Menschen in dieser
Stadt, in welcher der Tod umgeht, zum Herrn Jesus rufe. Denn Jesus gehören,
das heißt: durch den Tod hindurchgebrochen zu sein. Und nun
wollen wir uns dieses Sieges über den Tod freuen und mit Paul Gerhardt singen:
»Das ist mir anzuschauen
ein rechtes Freudenspiel.
Nun soll mir nicht mehr grauen
vor allem, was mir will
entnehmen meinen Mut
zusamt dem edlen Gut,
so mir durch Jesu Christ
aus Lieb erworben ist.«
Sonntag Rogate 1944
Jesus sprach: »Mir ist
gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle
Völker ... Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.«
(Matthäus 28, 18)
Das war ein
wunderliches Wetter, das wir in den letzten Wochen hatten. Oft war es so warm,
dass man sich am liebsten ins Gras gelegt hätte. Und dann pfiff wieder so ein
kalter Wind, dass man den Mantelkragen hochschlug. Der Winter war noch nicht
ganz vergangen, und der Frühling war noch nicht da. Das ist ein Bild für ein
Christenleben. Wenn man sich zum Herrn Jesus bekehrt, dann hat da im Herzen ein
neues Geistesleben begonnen. Dies inwendige Licht ist wie ein lieblicher
Frühling. Aber es ist erst der Anfang. Der Apostel sagt: »Es ist noch nicht
erschienen, was wir sein werden« (1. Johannes 3, 2). Das alte Wesen der Vernunft
und des Fleisches ist auch noch da. Das gibt nun oft einen rechten Kampf und
Zwiespalt, der erst in der zukünftigen Welt zu Ende geht. Ich will das
deutlich machen an unserem Text.
1. »Mir ist gegeben alle Gewalt... «
Ach, wie lächerlich scheint das der Vernunft. Wenn da doch stünde: »Mir wird alle Gewalt gegeben werden.« Aber nein, im griechischen Text heißt es ganz deutlich: »Mir wurde alle Gewalt gegeben.« »Das ist Unsinn«, sagt die Vernunft. Man möchte sagen: »Ich schlage die Zeitung auf. Da ist von allen Weltmächten die Rede, aber Du, Herr Jesus, wirst nicht mit einem Wort auch nur erwähnt. Ich sehe auf Deine Kirche, Herr Jesus, wie kümmerlich, armselig und gedrückt ist sie! Ich sehe auf die Welt. Ach, da geschehen ja lauter teuflische Dinge, die Du unmöglich gewollt hast. Wo in aller Welt soll da Deine Gewalt sein?« So spricht die Vernunft. Der Glaube aber hört das Wort seines Herrn und freut sich. »Dir ist gegeben alle Gewalt?« Oh, dann stehe ich ja richtig. Dann singe ich mit Graf von Zinzendorf: »Wie gut und sicher dienet sich's dem ewigen Monarchen, im Feuer ist er Zuversicht, für's Wasser baut er Archen.«
So unwahrscheinlich es klingt, dass ihm alle Gewalt gegeben ist, so haben es doch kluge Leute, die nicht Christen waren, je und dann geahnt. Als Napoleon als Gefangener auf St. Helena saß, hat er einst zum Grafen Monhalon gesagt: »Alexander, Cäsar, Karl der Große und ich haben große Reiche gegründet. Aber worauf? Auf die Gewalt. Jesus allein hat sein Reich auf die Liebe gegründet; und heute noch würden Millionen von Menschen für IHN sterben. Es ist weder ein Tag, noch eine Schlacht, welche der christlichen Religion in der Welt den Sieg verschafft haben. Nein, ein Krieg vieler Jahrhunderte, begonnen durch die Apostel und fortgeführt durch ihre Nachfolger und die Flut nachkommender christlicher Generationen. In diesem Krieg stehen alle Könige und Mächte auf der einen Seite, auf der anderen sehe ich keine Armee, sondern eine geheimnisvolle Kraft einiger Menschen, die hier und da in alle Teile der Welt ausgestreut sind und die kein anderes Bundeszeichen haben als das Kreuz. Ich sterbe vor der Zeit und mein Leib wird der Erde wiedergegeben und eine Speise der Würmer werden. Das ist das Schicksal des großen Napoleon! Welch mächtiger Abstand zwischen meinem tiefen Elend und dem ewigen Reich Christi, das da gepriesen und gepredigt wird und über die ganze Erde sich ausbreitet... «
»Mir ist gegeben
alle Gewalt.« Der Glaube freut sich und hat nur eine Sorge, dass diese Gewalt
sich im eigenen Herzen und Leben recht offenbare. Wie der Herr sonst seine
Gewalt offenbaren will, das ist seine Sorge.
2. »Machet zu Jüngern alle Völker!«
So heißt das Wort Jesu wörtlich. Das ist für die Vernunft nun wieder lächerlich. Wem sagte das denn der Herr Jesus zuerst? Elf armen Handwerkern. Ja, wenn er denen gesagt hätte: »Sucht einige Anhänger zu gewinnen!« — das könnte die Vernunft verstehen. Aber: »Macht die Völker zu Jüngern!« — ist das nicht rasant? Oh, dieser Satz ist der Vernunft ganz unerträglich. Sie sagt: »Wie passt denn das Christentum überhaupt für alle Völker? Und sollen denn wir nun wirklich dieselbe Religion haben wie die Papua in Neuguinea?« Kurz, der Vernunft ist dieser Befehl Jesu lächerlich und ärgerlich. Aber der Glaube freut sich daran. Denn der erweckte Mensch empfindet ganz besonders die tiefe Not der Völker, ihre Hoffnungslosigkeit, ihre Sündenknechtschaft, ihr Ringen, Suchen und Kämpfen. Und nun hört er hier, was allen Völkern helfen kann: das Evangelium von Jesus, dem für uns Gekreuzigten und Auferstandenen. Der Glaube sieht nicht auf das schwache Häuflein der Christen, sieht nicht auf die eigene Armut. Nein! Er steht kühn und großartig da und sagt: »Die Nationen sollen uns hören! Wir haben eine weltbewegende, heilbringende Botschaft!« Der Glaube singt frei und stolz: »Jesu, aller Völker Heil, unserem Volk ein Gnadenzeichen ... « Er singt: »Es kann nicht Friede werden, bis Jesu Liebe siegt, bis dieser Kreis der Erden zu seinen Füßen liegt, bis er im neuen Leben die ausgesöhnte Welt dem, der sie ihm gegeben, vors Angesicht gestellt.«
Das wohl meinte ein
junger Offizier, der mir dieser Tage schrieb: »Dieser schlimme Bandenkrieg auf
dem Balkan ... Jetzt fiel wieder einer meiner Kameraden, der nicht mit Gott
versöhnt war. Man möchte es den Menschen am liebsten den ganzen Tag zubrüllen:
»Lasst euch versöhnen mit Gott!« (2. Korinther 5, 20)
3. »Ich bin bei euch alle Tage...«
Das kann die Vernunft nun ganz unmöglich fassen — die Allgegenwart des Sohnes Gottes. Sie meint, sie hätte schon viel gefasst, wenn sie sagt: »In dem Himmel ferne, wo die Englein sind, schaut doch Gott so gerne...« Ja, ein ferner Gott irgendwo — das kann sie noch zur Not fassen. Aber die Allgegenwart unseres Heilands? Nein! Ich will euch einen wunderlichen Beweis geben, wie schwer die Vernunft das fasst: Die katholische Kirche hat einen »Stellvertreter Christi« eingesetzt. Das hätte sie niemals getan, wenn sie mit der Gegenwart des Herrn bei uns gerechnet hätte. Denn wer da ist, braucht keinen Stellvertreter.
Aber lasst uns von uns selber reden! Ach, wir wären nicht so oft böse und launisch, mutlos und trostlos, verzagt und aufgeregt, wenn wir mit der Gegenwart des Heilands rechneten. — Die Vernunft will es nicht fassen, aber der Glaube fasst es und freut sich an dem Versprechen seines Herrn. Komme ich da neulich ins Weiglehaus. Da sitzt ein einziger Junge von unserm Schülerkreis. Erst dachte ich: »Es lohnt sich ja nicht!« Aber dann setzten wir zwei uns über die Bibel. Und es wurde eine köstliche Stunde. Denn Jesus selbst war bei uns.
Ein anderes Erlebnis: Am Abend des 26. März saß ich mit den Meinen während des Bombenangriffs in einem mehr als windigen Keller. Ich brauche euch nicht zu schildern, wie schauerlich diese Augenblicke waren. Da sagte ich: »Wir wollen singen!« Und dann sangen wir: »Ich steh in meines Herren Hand und will drin stehen bleiben...!« Und als der Angriff vorbei war, sagte mein Jüngstes: »Es war aber doch schön!« »Es war schön!« sagte ein Kind. Wie ist das möglich? Dies ist der Grund: Jesus hatte sein Wort wahr gemacht: »Ich bin bei euch alle Tage!« (Matthäus 28, 20)
Und wo er ist, ist es schön!
Sonntag Exaudi — Himmelfahrt 1944
»Und es geschah,
da er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. Sie aber
beteten ihn an und kehrten wieder gen Jerusalem mit großer Freude.« (Lukas 24,
51-52)
Auf einsamer Bergeshöhe steht der Herr mit seinen Jüngern.
Eben hat er die Hände erhoben, um sie zu segnen. Da geschieht etwas Unerhörtes,
Erschütterndes: Eine Wolke nimmt den Herrn vor den Augen der Jünger hinweg. Der
Herr geht zurück in die Welt, aus der er gekommen war. Wer nun den nüchternen
Bericht über dieses Ereignis aufmerksam liest, der muss sich wundern. Denn da
steht etwas sehr Merkwürdiges, ja Ärgerliches: »Er schied von ihnen... und sie
kehrten wieder um mit großer Freude.« Das sieht ja so aus, als seien sie froh
gewesen, als er weg war.
Standen die Jünger so zu ihrem Herrn? Nein! Um dieses Rätsel
zu verstehen, müssen wir nach dem Satz »Er schied von ihnen« ein paar Sätze
einschieben, die im Bericht nicht gesagt sind.
1. Er schied von ihnen, um im Geist immer bei ihnen zu sein
Die Jünger hatten in den 40 Tagen nach der Auferstehung Jesu
einen intensiven Unterricht gehabt. Dieser Unterricht war auf das eine
abgestellt: »Liebe Jünger, ihr müsst meine Worte ganz ernst nehmen. Wie oft
habe ich euch z.B. gesagt, dass ich sterben werde für die Welt und am dritten
Tage auferstehen werde. Aber als es eintrat, habt ihr es
nicht begriffen. Nehmt meine Worte ernst!« Und das wollten sie nun tun. Nun
hatte er ihnen gerade eben gesagt: »Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt
Ende.« Und jetzt wirkte der Unterricht. »Er hat gesagt: >Ich bin bei
euch<. Also ist er bei uns, auch wenn er unseren Augen entnommen ist.«
Wenn einer die Jünger bei ihrem Heimweg getroffen hätte,
hätte sich vielleicht folgendes Gespräch ergeben: »Wo ist euer Herr?« — »Der
ist zu seinem Vater zurückgegangen.« — »Aber wenn er fortgegangen ist, wie
könnt ihr dann so fröhlich sein?« — »Er ist ja gar nicht von uns gegangen. Er
ist bei uns jetzt und alle Tage.«
Da hätte der Fremde wohl den Kopf geschüttelt und gedacht:
»Die sind verrückt, ihre Sinne sind verwirrt.« Was versteht die Welt auch von
der Gegenwart Jesu im Geist? Ja, die Jünger waren nun besser dran als früher.
Wie oft war es früher geschehen, dass der Herr nicht bei ihnen war, wenn sie
ihn am nötigsten gebraucht hätten. Z.B. als sie einmal bei Nacht auf dem See
waren und der Wind ihnen zuwider war; oder als ein Vater mit seinem
anfallskranken Knaben kam und sie sich nicht zu helfen wussten. Wie oft hatten
sie ihn suchen müssen, wenn er sich zum Gebet heimlich von ihnen gestohlen
hatte. Das war nun vorbei seit der Himmelfahrt. Nun ist Jesus immer bei den
Seinigen. Nun heißt es überall und immer bei Christen: »Ach mein Herr Jesu,
Dein Nahesein bringt großen Frieden ins Herz hinein. Und Dein Gnadenanblick
macht uns so selig, dass Leib und Seele darüber fröhlich und dankbar wird.«
Darum kann jeder Christ mit großer Freude — wie die Jünger —
von der Himmelfahrt Christi aus seine Straße wandern.
2. Er schied von ihnen, um den Thron des Siegers zu
besteigen
Vor einiger Zeit war ich in einem Konstruktionsbüro. Da
hatte man eine Bauzeichnung aufgespannt. Für mich war das nur ein verwirrendes
Durcheinander von Linien und Zahlen. Für den Ingenieur aber ist solch ein Plan
ganz verständlich und durchsichtig.
So wie es mir mit dieser Bauzeichnung geht, so geht es den
meisten Menschen mit dem Evangelium. Es ist ihnen eine unverständliche und
verworrene Sache: Sohn Gottes! Jungfrauengeburt! Kreuz! Versöhnung!
Auferstehung! Das sind alles verworrene, dogmatische, mittelalterliche
Begriffe. Die Jünger aber standen vor all dem wie der Ingenieur vor dem Plan.
Es war ihnen alles klar geworden. Sie verstanden das Geheimnis des Kreuzes, so
dass sie es später in geradezu klassischer Weise weitersagen konnten. So
schrieb Petrus später (1. Petrus 1, 18): »Wisset, dass ihr nicht mit
vergänglichem Silber oder Gold erlöst seid von eurem eitlen Wandel nach
väterlicher Weise, sondern mit dem teuren Blut Christi als eines unschuldigen
und unbefleckten Lammes.« Oder Johannes schrieb später (Johannes 3, 16): »Also
hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass
alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben
haben.« Wer das Geheimnis der Erlösung und der Versöhnung durch das Blut des
Sohnes Gottes erfasst hat, der wird eine unendliche Liebe zu diesem guten
Hirten und barmherzigen Heiland empfinden. Er wird den einen Wunsch haben,
dass dieser Herr geehrt und erhoben werde. So ging es den Jüngern. Am Tage der
Himmelfahrt erlebten sie es, wie ihr Herr zur Rechten Gottes erhöht wurde. Sie
hörten im Geist die Lobgesänge der himmlischen Heerscharen zu Ehren des
Siegers. Ihnen fiel Psalm 47, 6 ein: »Gott fährt auf mit Jauchzen und der Herr
mit heller Posaune.«
Himmelfahrt ist die Thronbesteigung Jesu. Da sagte der Vater
zu ihm: »Setze Dich zu meiner Rechten, bis ich lege Deine Feinde zum Schemel
Deiner Füße.« Und seht, diese Erhebung ihres Heilands ergötzt die Jünger. Darum
gehen sie und alle Liebhaber Jesu mit großer Freude vom Berg der Himmelfahrt.
3. Er schied von ihnen, um ihnen die Stätte zu bereiten
Diese Jünger waren als Jünger zum Berg der Himmelfahrt
gegangen. Als Apostel, d.h. als Gesandte, kehrten sie zurück. Sie machten sich
keine Illusionen. Sie wussten, dass die Welt sie ausstoßen, verfolgen, ja töten
werde, wie es ja auch geschehen ist. Denn die Welt kann jeden Zotenreißer eher
ertragen als einen rechten Zeugen Jesu. Die Jünger wurden also heimatlos in der
Welt. Und doch waren sie erfüllt mit großer Freude. Seltsam! Nun, sie dachten
an ein Wort Jesu: »In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Und ich gehe
hin, euch die Stätte zu bereiten« (Johannes 14, 2).
Wir wissen doch alle, was ein Quartiermacher ist. Der muss
für die nachfolgende Truppe Unterkünfte besorgen. Der Heiland ist unser
Quartiermacher in der zukünftigen Welt. »Ich gehe hin, euch die Stätte zu
bereiten.« Als Schuljunge lernte ich einen Vers, der mir damals gar nichts
sagte. Aber seit die Welt mir viel Übles tat, seitdem mein Haus verbrannte,
mein Sohn gefallen, meine Kirche zerschlagen ist, wird er mir so wichtig:
»Auf Christi Himmelfahrt allein
ich meine Nachfahrt
gründe
und allen Zweifel, Angst und Pein
hiermit stets überwinde.
Denn weil das Haupt im Himmel
ist wird seine Glieder Jesus Christ
zur rechten Zeit nachholen.«
Oh, dass doch die vielen, die abgebrannt, ausgebombt und
heimatlos geworden sind, sich recht zu diesem himmlischen Quartiermacher halten
wollten. Jesus ist vorangegangen. Nun ziehen wir als Erlöste dem Himmel
entgegen. Wir wollen uns nicht aufhalten lassen.
Pfingsten 1944
»Sie wurden voll des Heiligen Geistes...«
(Apostelgeschichte 2, 4a)
Pfingsten ist ein solch liebliches Fest. Goethe beginnt seinen »Reineke Fuchs« mit den Worten: »Pfingsten, das liebliche Fest war gekommen, es grünten und blühten Feld und Wald ... «
Nicht nur über der
Natur liegt dieser Glanz, sondern erst recht über der Pfingstgeschichte selber.
Ein Freund von mir schrieb eine Auslegung der Pfingstgeschichte und gab ihr den
Titel: »Frühlingstage in der Gemeinde.« Und seht, nun wollte ich euch auch eine
recht fröhliche Pfingstpredigt halten. Aber es ging mir bei der Vorbereitung
seltsam. Je mehr ich nachdachte, desto trauriger wurde ich. Meine Gedanken
blieben an dem Satz hängen: »Sie wurden alle voll des Heiligen Geistes.« Je
länger ich dies Wort bedachte, desto trauriger wurde ich. Das haben wir nicht!
Das fehlt uns! Den Predigern und den Gemeinden. Ich sehe Prediger des
Evangeliums, die schöne Predigten halten. Aber ihr Predigen bringt keine
Frucht. Ich sehe Christen, deren Christenstand so kraftlos ist und andre, die
sich in seelische Erregungen steigern. Aber voll des Heiligen Geistes sind sie
alle nicht. Wer die heutige Christenheit beschreiben wollte, müsste sagen: »Sie
waren alle leer des Heiligen Geistes.« Darum erspart mir, eine frisch-fröhliche
Festpredigt zu halten. Lasst uns vielmehr nachdenken über das, was zu jenem
ersten Pfingstfest führte. Ehe Petrus jubelnd singen konnte: »Denn der Geist
der Gnaden hat sich eingeladen...«, musste er drei andere Verse singen lernen.
Und die wollen wir bedenken.
1. Aus tiefer Not schrei ich zu dir
Ich glaube nicht, dass Petrus voll Heiligen Geistes geworden wäre, wenn da nicht jene andere Stunde vorausgegangen wäre, in der es hieß: »Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich.«
Welch eine Stunde,
wenn ein Mann über sich selbst weint, »wenn die Träne rinnt um der Sünde Last.«
In jener Stunde sah sich der Petrus zum erstenmal richtig, so, wie der heilige
Gott ihn sah. Da überkam ihn tiefe Scham, als er sah, wie widerlich sein
Temperament, wie schrecklich seine Sünde war. Er verlor alles Wohlgefallen an
sich selbst, rückte von sich selbst ab. Er gab sich selbst den Tod. Der Heilige
Geist ergießt sich nur in ein demütiges, bußfertiges Herz. Oh, dass es uns
doch erginge wie jenem Bauern im Ravensberger Land. Der wurde schwer krank. Da
ließ er den Pfarrer kommen. Das war der gewaltige Erweckungsprediger Volkening.
Der sah den Bauern nur fest an und sagte: »Ich bin bange um Euch. So, wie
bisher, geht's noch nicht in den Himmel, sondern geradewegs der Hölle zu.«
Damit ließ er den Kranken allein. Der wurde unruhig und ließ in seiner
Herzensunruhe nach ein paar Tagen den Volkening wieder rufen. Aber der sagte
nur: »Notbuße — tote Buße. Mit dir muss es ganz anders kommen.« Und ging. Ja,
und dann kam es mit dem Mann ganz anders: Sein Gewissen erwachte, seine Sünden
standen auf und verklagten ihn, er sah sich ewig verloren. Da kam nach ein paar
weiteren Tagen Volkening wieder. Und nun wies er ihn mit den lieblichsten
Worten auf den Heiland. — So muss unser Herz sagen lernen: »Aus tiefer Not
schrei ich zu dir...« Das ist der erste Schritt auf die Geistesausgießung zu.
2. Mir ist Erbarmung widerfahren
Das war das zweite Lied, welches das Herz des Petrus singen lernte, ehe er Pfingsten erlebte.
Seht, der Petrus wusste: Man kann nicht wirklich leben, ohne ein Glied des Reiches Gottes zu sein. Das Reich Gottes war ihm nahe gewesen, als er mit Jesus gewandert war. Aber nun hatte er alles verscherzt. Er hatte seinen Heiland verleugnet. Sein Herz schrie: »Ich bin es nicht wert!«
Es liegt eine unendliche Traurigkeit über jener Geschichte aus Johannes 21, wo er den anderen Jüngern sagt: »Ich will fischen gehen. Ich gehe in mein altes Leben zurück, weil ich des Reiches Gottes nicht wert bin.« Doch Jesus sucht ihn, findet ihn, weist ihn auf sein für ihn vergossenes Blut hin. Und da geht dem Petrus auf einmal die Sonne auf:
»Mir ist Erbarmung widerfahren, Erbarmung, deren ich
nicht wert...«
Oh, ihr stolzen Herzen! Ohne diese Erfahrung gibt es kein Pfingsten. Dass doch unter uns wieder die Gnade erfahren würde!
Lasst mich ein Gleichnis gebrauchen. Im ersten Weltkrieg musste ich als junger Soldat einen Meldegang machen. Es ging durch völlig ungedecktes Gelände. Und auf einmal rauschten ein paar schwere Granaten heran. Ich hörte sie rauschen, warf mich hin, sie kamen gerade auf mich zu, mein Herz tobte: »Es ist aus — fertig — Schluss!« Da schlugen sie hinter mir ein — und — es blieb alles still. Blindgänger! Wie war mir zu Mute! Eben noch dem Tode gegeben — und nun lebe ich. Ich habe geschrien und gesungen vor Freude.
So ist die Erfahrung
der Gnade Gottes in Jesus. Das Gesetz Gottes verklagt uns, das Gewissen muss
ihm recht geben, man sieht sich in Ewigkeit von Gott verstoßen. Doch dann steht
auf einmal das Kreuz da. Man sieht auf, erkennt seine Versöhnung und singt: »Mir
ist Erbarmung widerfahren.« Und das ist der zweite Schritt auf Pfingsten hin.
3. O Heiliger Geist, kehr bei uns ein ...
Das war der dritte
Vers, den Petrus vor Pfingsten lernte. Er kannte die Bibel und er wusste: Dort
ist der Heilige Geist verheißen.
Da stehen solche
Worte: »Ich will Wasser gießen auf das Durstige und Ströme auf das Dürre.« Oh,
wie sehnte sich nun das Herz des Petrus nach solch lebendigen Strömen aus der
ewigen Welt.
Petrus kannte das Wort aus Hesekiel 36, 27: »Ich will meinen Geist in euch geben und will solche Leute aus euch machen, die in meinen Geboten wandeln und meine Rechte halten und danach tun.« Oh, wie sehnte sich sein Herz nach solch einer gründlichen Neuschöpfung seines ganzen Wesens. Ja, der Herr Jesus hat zu seinen Jüngern gesagt: »Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen.« (Apostelgeschichte 1, 8)
Und seht, da blieb er nicht bei dem Sehnen stehen. Er ist in die Stille gegangen und hat seine Knie gebeugt vor dem himmlischen Vater und hat ihn angerufen: »Mache nun deine Verheißungen an mir wahr!« Hungert und dürstet nicht auch ihr? Dann lasst doch auch solch ein Warten und Beten daraus werden! Als Petrus und die anderen Jünger diese drei Lieder gelernt hatten, da kam Pfingsten, da kam der Heilige Geist, da hieß es: »Sie wurden alle voll des Heiligen Geistes.« Warum sollte es bei uns nicht so werden? Der Heilige Geist ist ja da. Er ist auch uns verheißen. Er steht vor der Tür. Wir hören schon sein Brausen. Aber die Herzen sind nicht bereit.
Und darum müsst ihr es mir zugute halten, dass ich jetzt eine Pfingstpredigt hielt, die eigentlich keine ist. Aber sie kann vielleicht dazu führen, dass es bei uns Pfingsten wird. Und das wäre dann die Hauptsache.
Sonntag, den 22. Oktober 1944
»Der Herr aber sprach: >Wenn ihr Glauben habt wie ein
Senfkorn und sagt zu diesem Maulbeerbaum: Reiß dich aus und versetze dich ins
Meer, so wird er euch gehorsam sein<«
(Lukas 17, 6)
Eine der
packendsten Geschichten der Bibel ist die vom Durchgang durchs Rote Meer. Da
lagert die Gemeinde des Alten Bundes an einem Meeresarm. Rechts und links erheben
sich schroffe Felsenwände. Da bricht die Nachricht ins Lager: Pharao, der
grimmige Feind, kommt mit gewaltiger Heeresmacht! Man ist ohne Waffen und wehrlos.
Jeder Fluchtweg ist abgeschnitten. Verzweiflung bricht im Lager aus.
Da tritt Mose königlich in göttlicher Vollmacht unter die
Verzweifelten: »Der Herr wird für euch streiten und ihr werdet stille sein!«
Und dann schreit Mose zum Herrn. Der sagt ihm, er solle
seinen Stab über das Meer recken. Da zerreißen die Wasser und es entsteht ein
Weg, auf dem das Volk im Glauben in die Freiheit zieht.
So oft ich diese Geschichte lese, erschrecke ich: so ist
mein Glaube nicht. Ich verstehe so gut jenen christlichen Papua in Neuguinea,
der dem Missionar etwa so sagte: »Wenn ich in der Kirche sitze, ist mein Glaube
groß wie ein Berg. Aber wenn ich bei meinen Stammesgenossen bin, ist er klein
wie ein Reiskorn.«
Mein Glaube ist oft noch kleiner: wie ein Senfkorn. Und da
bin ich froh, dass der Heiland hier einiges über den schwachen Glauben sagt.
l Der Herr Jesus achtet den schwachen Glauben nicht gering
Mir geht es auch wie jenem Papua — wenn ich hier vor Euch
predige, dann ist mein Glaube so groß wie ein Berg. Aber wenn die Bomben
krachen, wenn ich die Furcht der Kinder sehe, wenn Nachrichten kommen, dass
liebe Jungen gefallen oder vermisst sind, wenn ich an die Zukunft meiner Arbeit
denke, dann ist mein Glaube oft klein wie wie Senfkorn. Dann geht es mir wie
dem Petrus, als der dem Herrn übers Wasser entgegenlaufen wollte — ich sehe
dann nur die wilden Wellen und nicht mehr den Herrn. Und wenn einem der Teufel
alle Sünden vorhält und löhnt: »Du willst ein Christ sein?«, dann wird der
ganze Heilsstand wankend, und man zweifelt, ob einem denn wirklich die Erlösung
gelte.
Da ist es so tröstlich, dass der Heiland hier den schwachen
Glauben nicht schilt. Er spricht vielmehr sehr hoch von ihm. Warum? Auch der
schwache Glaube ist Gottes eigenstes Werk durch den Heiligen Geist. Und Gottes
Werk an einem Menschenherzen ist auch in seinen Anfängen etwas Großes. So macht
der Herr hier dem schwachen Glauben Mut zum Weiterglauben. Und so ist es uns ja
schon im alten Bund verheißen (Jesaja 42, 3): »Das geknickte Rohr wird er nicht
zerbrechen, und den glimmenden Docht wird er nicht auslöschen.« Als die
Gemeinde des Alten Bundes aus Ägypten zog, da wurde besonders darauf geachtet,
dass niemand zurückblieb. Auch die Schwächsten kamen mit. So will unser
Heiland auch die mit dem schwächsten Glauben mitbringen an das herrliche Ziel
der Ewigkeit. Doch möchte ich sagen, dass hier natürlich nicht von irgendeinem
weltlichen oder religiösen Glauben die Rede ist, sondern vom Glauben an
Jesus als dem Sohn Gottes und den Heiland der Sünder.
2. Der schwächste Glaube hat denselben starken Heiland wie
der starke Glaube
In unserem Text sagt der Herr, dass der schwache Glaube
große Dinge tun kann. Wie ist das möglich? Darum, weil nicht unser Glaube,
sondern der starke Herr die großen Dinge tut. Als Mose so glaubensstark am
Roten Meer stand, hat ja nicht sein Glaube das Meer geteilt, sondern der Herr
hat es getan.
Der Herr Jesus fuhr einmal mit seinen Jüngern über den See
Genezareth. Während sie das Schiff bedienten, schlief er hinten im Heck. Auf
einmal überfällt sie ein schauerlicher Sturm. Die Jünger packt das Grauen. Sie
wecken ihren schlafenden Heiland — ach, nicht mit glaubensvoller Bitte,
sondern mit dem Schreckensruf: »Wir verderben!« Nicht wahr, da war der Glaube
der Apostel nicht sehr groß. Und doch — Jesus tat ein großes Zeichen und
stillte den Sturm.
Da seht ihr, dass auch der schwache Glaube den starken Herrn
hat.
Noch ein Beispiel: Die Stadt Jerusalem lag in Trümmern. Die
Babylonier hatten die Bevölkerung weggeschleppt. Durch diese Trümmer irrt nun
der große Gottesmann Jeremia. Sein Herz ist voll Jammer und Finsternis, dass
man meint, sein Glaube sei ganz dahin. Er sagt da in Klagelieder 3: »Er hat
mich in Finsternis gelegt wie die, so längst tot sind. Und wenn ich gleich
schreie und rufe, so stopft er seine Ohren zu vor meinem Gebet... Meine
Hoffnung auf den Herrn ist dahin... « Nicht wahr, so spricht ein armer,
schwacher Glaube. Aber dann sieht Jeremia auf den Herrn. Ihr müsst das selbst
mal lesen, wie ihm da aufgeht, dass auch der schwache Glaube den starken Herrn
hat. Es ist, als wenn allmählich die Sonne aufgeht in dem dunklen Herzen:
»Gedenke doch, wie ich so elend und verlassen bin ... Du wirst ja daran denken;
denn meine Seele sagt mir's. Das nehme ich zu Herzen, darum hoffe ich noch. Die
Güte des Herrn ist's, dass wir nicht gar aus sind. Seine Barmherzigkeit hat
noch kein Ende... « Und immer mehr wird nun aus dem Jammer ein Loblied — auch
der schwache Glaube hat den starken Herrn. Wenn ich meine zitternde
Glaubenshand in Jesu durchgrabene Hand schiebe, habe ich dieselbe starke Hand
erfasst, die Moses so glaubensstark dort am Roten Meer ergriff.
3. Auch dem schwachen Glauben ist das Unmögliche möglich
Zinzendorf sagt: »Der Glaube bricht durch Stahl und Stein
und kann die Allmacht fassen, der Glaube wirket all's allein, wenn wir ihn
wirken lassen. Wenn einer nichts als glauben kann, so kann er alles machen, der
Erde Kräfte sieht er an als ganz geringe Sachen.« Das meint der Herr, wenn er
hier sagt: »Wenn du Glauben hast wie
ein Senfkorn, kannst du Bäume ausreißen.« Wenn nun allerdings der ungeistliche
Sinn über so ein Wort kommt, versteht er's natürlich falsch. So hörte ich von
einer Frau, die dies Wort auch vernommen hatte. Und da sagte sie: »Das wollen
wir gleich ausprobieren!« Und sie befahl einem Baum vor ihrem Haus, sich
während der Nacht ins Meer zu werfen. Als sie am nächsten Morgen aus dem Haus
trat, war der Baum noch da. »Ich hab's ja gleich gewusst!« sagte sie darauf.
Was wollen wir dazu sagen?
a) Das war kein Glaube, wenn sie es »gleich gewusst hat«.
b) Es lag keine Notwendigkeit vor, den Baum auszureißen. Der
Glaube macht keine Tollheiten, sondern er tut den Willen Gottes. Wir verstehen,
dass Jesus hier im Bilde redet: Da stehen die Nöte des Lebens vor dir wie so
ein riesiger Baum: jeder Ast eine Not, jedes Blättlein eine Sorge. Nun sprich
du getrost zu diesem Baum: »Reiß dich aus und wirf dich ins Meer! Denn ich
gehöre meinem Heiland, der sagt, dass ohne den Willen meines Vaters kein Haar
von meinem Haupt fällt.«
Oder da stehen die versuchlichen Mächte der Welt vor uns wie
so ein starker Baum. Jeder Ast ist eine Verlockung, jedes Blatt eine tödliche
Lust. Und der Baum rauscht: »Komm her zu mir, Geselle, hier findest du deine
Ruh.« Du sprich nur getrost zu diesem Baum: »Hinweg mit dir und ins Meer! Denn
mich hat der Sohn Gottes mit seinem Blut erkauft.« Und du wirst erfahren, auch
der schwächste Glaube vermag Großes, weil er den starken Erlöser ergreift.
Totensonntag 1944
»Denn Christus ist mein Leben und Sterben ist mein
Gewinn.« (Philipper 1, 21)
Totensonntag im Jahr des Massensterbens 1944! Was soll man da sagen? Man möchte sein Haupt verhüllen und mit Jeremia klagen: »Oh, dass ich Wasser genug hätte in meinem Haupte und meine Augen Tränenquellen wären, dass ich Tag und Nacht beweinte die Erschlagenen in meinem Volke« (Jeremia 8, 23).
Es ist ja wohl keiner hier, der nicht einen Toten zu
beweinen hätte.
Nun soll ich euch einen Trost geben. Ach, wie kann ich das,
der ich selber hungere nach Trost! Ich kann euch nur hinweisen auf unseren
Heiland. Ja, er kann überschwenglich trösten. Er kann unser trauriges Herz so
mit himmlischem Frieden erfüllen, dass, wenn auch die Augen voll Tränen sind,
das Herz doch voll Jauchzen anbetet. Aber vielleicht will er uns gar nicht
trösten! Vielleicht will er, dass wir endlich begreifen: er geht mit uns ins
Gericht. Vielleicht gleichen wir einer belagerten Stadt. Gott belagert uns und
schießt uns alles zusammen. Da gibt's nur eines: dass man vor dem schrecklichen
Gott die weiße Fahne zieht und sich ergibt.
Aber an diesem Totensonntag 1944 haben wir nicht nur von den
Todesnachrichten zu sprechen, die uns betrübt haben. Nein! Wir selber sind alle
in nie da gewesener Weise vom Tod bedroht. In meine Vorbereitung hinein heulten
die Sirenen immer wieder »akute Luftgefahr«. Und nun sitzt das Grauen des Todes
den Menschen im Genick.
Schon zweimal sind Menschen an den Bunkern zu Tode gequetscht
worden. Welch ein Todesgrauen muss die Menschen erfüllen, dass sie so
bestialisch werden! Und da hinein tönt nun dies Wort der Schrift: »Mir ist
Sterben Gewinn.«
Das ist ja unerhört, so unerhört, dass einem der Atem
stockt.
1. So kann nur einer sprechen, der das Sterben kennt
Ja, gibt es denn das, dass einer das Sterben schon hinter
sich hat und nun davon berichten kann? Nicht wahr, so war es doch beim Lazarus
und beim Jüngling zu Nain. Die hatten das Sterben erlebt, und der Herr Jesus
hatte sie wieder erweckt. Eigentlich unheimliche Leute! Nun, so unheimliche
Leute sind die wahren Christen. Paulus sagt zur Gemeinde in Kolossä (3, 3):
»Ihr seid Gestorbene!« Dabei liefen sie in Kolossä herum. Wie sollen wir das
verstehen? Ich kann es nur persönlich als Bekenntnis sagen: Ich wurde eines
Tages unter das Kreuz von Golgatha geführt. Da wurde ein schreckliches
Todesurteil vollzogen, nicht von Menschen, sondern von Gott. Und als ich dem
Gekreuzigten ins dorngekrönte Antlitz sah, ging mir erschreckend auf: Dies
Todesurteil Gottes gilt ja gar nicht diesem Unschuldigen! Es gilt mir! Nun
wusste ich auf einmal, was Gott von meinem Leben hielt, in das ich so verliebt
war. Da nahm ich im Gehorsam des Glaubens dieses Todesurteil für mich an. Das
war Sterben. Von dem Augenblick an war es mir verwehrt, noch etwas Hohes von
mir zu denken. Ich bin ja ein Gestorbener, ein von Gott Verurteilter. Aber —
seltsam — dieses Sterben wurde mir Gewinn! Denn von der Stunde an wurde Jesus
Christus mein Leben. Nun rühme ich mich dieses Heilands. Er ist mein Leben, mein
Ruhm, mein Glanz, meine Sonne. Er ist mir alles. Ich bin nichts.
2. So kann nur sprechen, wer das Sterben täglich übt
Der Apostel Paulus sagt einmal von sich das merkwürdige
Wort, das nun alle wahren Christen sprechen: »Ich sterbe täglich« (1. Korinther
15, 31).
Wunderlich! Man kann doch nur einmal sterben! Nein! Christen
sterben täglich. Wie wollen wir das verstehen? Ich kann es wieder nur
persönlich sagen. Ich habe doch einen Willen. Ich habe Pläne, Hoffnungen. Ich
bin auch kein Fisch — mein Fleisch und Blut hat wildes Begehren und kennt heißes
Verlangen. Aber nun tritt mir mein Herr in den Weg und sagt: »Meine Gedanken
sind nicht deine Gedanken und deine Wege sind nicht meine Wege« (Jesaja 55, 8).
Und da stehe ich nun beständig vor der Wahl, ob mein Wille, mein Wünschen, mein
Begehren gelten soll oder der Wille meines Herrn. Da gibt's keine Kompromisse.
Da heißt es: »Entweder — Oder!«
So heiß das eigene Begehren, Wollen, Wünschen ist — wenn ich
meinen Herrn nicht verlieren will, dann muss ich mich in den Tod geben und ihn
machen lassen. Oh, ich hatte mit meinem gefallenen Jungen — um ein Beispiel zu
nennen — große Pläne. Der Herr hatte andere. Was war das für ein »in den Tod
geben« bis man »Ja, Herr!« sagen konnte.
Es gibt Leute, die haben eine oberflächliche Auffassung vom
Christentum. Ich verstehe aber so gut jenen schwäbischen Bauern, der so ein
trauriges Gesicht machte. Da sagten ihm die Brüder: »Christen sind fröhliche
Leute!« Er erwiderte: »Ich kann nicht lachen, wenn ich gerade sterben muss!«
Seht, bei dem gab es auch so ein Sterben des Eigenen, weil
der Herr es befahl. Da denkt nun manch einer: »Dann will ich lieber kein Christ
werden und meinen Willen behalten.« Wir aber sagen euch: »Jedes solches
Sterben und in den Tod geben des heißen Herzens wurde uns Gewinn.« Denn nun
hatte Jesus allein das Feld. Und das gibt Frieden und Freude und Seligkeit.
Unser eigener sündlicher Wille aber bereitet uns nur Qual
und Elend. So wird den rechten Christen ihr tägliches Sterben täglicher Gewinn.
3. So kann nur einer sprechen, dem der Tod der Eingang in
das Leben ist
So ist also ein Christ im Sterben geübt. Doch nun muss er
auch, wie jeder andere, an das letzte Sterben. Es behält auch für den Christen
sein Grauen. Sogar Paulus hat einmal ehrlich bekannt, es wäre ihm lieber, dass
er mit dem Auferstehungsleib überkleidet würde, als dass er erst durch das
Entkleidetwerden durch müßte. Aber für einen rechten Christen ist auch dieses
Sterben des Leibes »Gewinn«. Lasst mich das durch ein Gleichnis klarmachen. Ein
kruppscher Feuerwehrmann erzählte
mir einst von einem
schrecklichen Bombenangriff, den er in der Firma miterlebte: »Wir saßen in
einem großen Raum, vor dem ein Lagerraum war. Auf einmal steht der Lagerraum
in hellen Flammen. Es gab für uns keinen anderen Ausgang. Da musste man die
fünf Schritte durch das Feuer wagen. Da draußen, da war ja das Leben, Luft,
Freiheit.« So wagte er es als erster, sprang getrost ins Feuer und hindurch —
ins Leben. So ist das Sterben für den Christen: der Tod ist nur ein Durchgang,
ein fünf Schritte-Sprung in die Freiheit. Da steht er, an den ich geglaubt
habe, um dessentwillen ich mich hier täglich in den Tod gab; der, der mich erlöst
hat von der Welt, den ich nie gesehen habe und den ich doch von Herzen lieb
habe: mein Heiland, mein Herr, mein Erlöser! »Wir werden daheim sein bei dem
Herrn allezeit!« sagt Paulus. Und man spürt diesem Wort ab: »Sterben ist mein
Gewinn, denn Christus ist mein Leben.« Der Herr Jesus gibt den Seinen durch die
Vergebung der Sünden eine gewisse Hoffnung des ewigen Lebens. Darum ist ihnen
das Sterben Gewinn.
Ein Mann Gottes lag im Sterben. Er schlummerte lange. Als er
die Augen aufschlug, sagte seine Frau zu ihm: »Ich meinte, du dürftest schon
heimgehen.« Da lächelte er und sagte: »Meinst du, es wäre schon so nahe? Das
wäre aber schön.«
Weil für Jünger Jesu das Sterben ein Heimgehen und ein
Gewinn ist, darum ist es nicht alberne Sentimentalität, sondern Ausdruck einer
tiefen Gewissheit, wenn sie singen:
»Lass mich gehen, lass mich gehen,
dass ich Jesus möge sehen,
meine Seel' ist voll Verlangen,
Ihn auf ewig zu umfangen
und vor Seinem Thron zu stehn.«
1. Advent 1944
»Machet die Tore weit!« (Psalm 24, 7)
Als ich noch ein
Junge war, fuhren wir jedes Jahr in den Ferien zu den Großeltern, die in einem
riesigen alten Schulhaus auf der schwäbischen Alb wohnten. Wie schön war dann
der erste Ferienmorgen! Ich rekelte mich noch im Bett, dachte an all das
Schöne, das ich in diesen Ferien wieder erleben würde — und dann betrachtete
ich mit Inbrunst ein großes Bild, das mir gegenüber hing. Es stellte die
Wiederkunft Jesu in Herrlichkeit dar. Vorn auf einem weißen Pferd der Herr, und
hinter ihm das himmlische Heer. Da machte es mir Freude, die einzelnen
Gestalten zu bestimmen. Der mit dem wehenden Bart und der ernsten Stirn musste
Mose sein und jener mit dem Schwert Paulus. Den David konnte man gleich
erkennen an der Königskrone und der Harfe.
Durch den Mund dieses königlichen Sängers will der Herr
heute morgen zu uns reden. Unser Text ist ein Psalmwort von ihm.
Der 24. Psalm nun ist etwas Besonderes. Da weissagt David,
voll des Heiligen Geistes, von dem kommenden Heiland der Welt. So ist dieser
Psalm ein rechtes Adventslied : »Machet die Tore weit...«
1. Das ist der rechte Freudenschrei
Das merkt man erst recht, wenn man es wörtlich übersetzt. Da
heißt es, fast unsinnig: »Erhebt eure Häupter, ihr Tore!«
Nach einem der letzten Fliegerangriffe waren wir ein paar Tage
ohne Licht. Ich brauche euch nicht zu erklären, was das bedeutet. Eines Tages,
als keiner mehr daran dachte, dass es besser würde, schrie auf einmal eines
meiner Kinder: »Das Licht ist da!« Das gab ein Schalten, Schreien, Freuen. Die
Kleinste tanzte herum, und ich schrie immer nur »Licht«. Das ist nur ein
kleines Abbild von dem, was hier los ist. David weiß wohl um die entsetzliche
Finsternis der Welt und seines eigenen Herzens. Und nun sieht er im Geist das
Kommen des Heilandes. »Erhebt eure Häupter ihr Menschen, macht die Tore weit
auf!« Wir verstehen die Freude über das Kommen des Heilandes erst recht, wenn
wir einen Blick werfen auf die Gesamtheit des 24. Psalms.
Der ist deshalb so seltsam, weil er immer einen Gedanken
aufnimmt und plötzlich abbricht. Da spricht David zuerst von Gottes
Herrlichkeit in der Natur. Er führt uns an das weite, brausende Meer. Das hat
Gott gemacht! Aber dann bricht er plötzlich ab. Warum? David weiß: »Alle
Herrlichkeit Gottes hilft mir nicht, wenn ich nicht Gottes Kind bin.« Und so
geht der Psalm weiter: »Wer wird auf des Herrn Berg gehen?«, d.h.: »Wer darf
bei ihm sein?« Und wie vom Himmel herab tönt es: »Wer unschuldige Hände hat und
reinen Herzens ist.« Und da ist mir, als sehe ich David betroffen und erschrocken
stehen: »Unschuldige Hände!« Er sieht seine Hände an. Wie viel Schuld klebt an
ihnen? Und »reinen Herzens« — oh Gott, wer kann das von sich sagen! Dann bin
ich ausgeschlossen von Gottes Herzen. Die Sünde trennt ihn und mich auf ewig!
Auf ewig? Da sieht David im Geist in die Zukunft. Er sieht den Sohn Davids aus
der Herrlichkeit kommen, sieht ihn in der Krippe liegen, sieht ihn am Kreuz,
sieht ihn, wie er die Sache unserer Schuld in die Hand nimmt und wie er der
Heiland der Sünder wird, der den Weg eröffnet zum Berg Gottes. — Da bricht sein
Mund in Jubel aus: »Oh ihr Tore, tut euch weit auf diesem kommenden Erlöser und
Erretter!« Und wer nur von ferne den verloren Zustand seines eigenen Herzens
erkannt hat, jubelt mit: »Erhebt eure Häupter, ihr Tore!«
2. Das ist ein guter Rat
Ihr müsst bedenken, dass die Bibel ja nicht irgend ein
literarisches Erzeugnis ist, sondern dass »die Männer Gottes geredet haben,
getrieben vom Heiligen Geist«. So erteilt hier der Heilige Geist durch den Mund
Davids der Welt einen Rat: »Tut eure Tore weit auf für den Sohn Gottes!« Bis
heute hat die Welt diesen Rat nicht befolgt. Sie ist nicht gut dabei gefahren!
Wir wollen darum diesen Rat ernst nehmen. Von Toren ist die Rede. Da müsst ihr
euch eine Stadt im Altertum vorstellen. Die war umgeben mit hohen Mauern. Ich
war einmal mit einem Freund in Rothenburg/Tauber. Diese Stadt aus dem
Mittelalter ist unversehrt erhalten. Da sieht man, wie die Stadt sich mit den
Mauern abriegelte gegen die feindliche Welt, die außerhalb der Mauern war. So
hat die Welt sich abgeriegelt, hat unsichtbare Mauern gezogen gegen den, der
außerhalb steht, den sie für ihren Feind ansieht — gegen den lebendigen Gott.
Nein, die Welt will Gott nicht. Sie sieht ihn als Feind an. Er sagt, wir seien
Sünder. Das hält man für eine Beleidigung. Er gibt Gebote. Das will man nicht,
man will seinen eigenen Willen. Er sagt, er sei der Helfer. Aber man will sich
allein helfen. Und nun hat man so Schuld auf Schuld auf sich geladen, so dass
man ihm erst recht nicht mehr traut. Er ist der Feind. Da schließt man die Tore
zu. Und da spricht nun der Heilige Geist so freundlich, barmherzig
und gnädig in Jesus zu uns: »Gebt doch euren sinnlosen Widerstand auf! Tut
doch die Tore weit auf!« — Ach, dass wir es hörten! »Er kommt mit Willen, ist
voller Lieb und Lust, all Angst und Not zu stillen, die ihm an euch bewusst!« —
Schluss mit allem offenen und heimlichen Widerstand! Auf die Tore! Er ist
nicht unser Feind! »Er kommt, dass wir leben und volles Genüge haben sollen
(Johannes 10, 10).
Ich sah in Rothenburg ein altes Gemälde. Da war der Besuch
eines Kaisers dargestellt. Oh, da standen alle Tore weit offen und waren
bekränzt. So soll es sein, weil Gott in Jesus zu uns kommt. »Machet die Tore
weit!«
3. Das ist eine Verheißung
Stellt euch noch einmal die ummauerte Stadt vor. Da spielen
die Tore ja eine eigenartige Rolle. Sie waren gewissermaßen die wunden Punkte
der Umfassung. Darum wurden sie durch Türme besonders befestigt. Und doch
führte hier immer irgendwie ein Weg hinaus zum Feind. Hier war ein Weg, durch
den der Feind hereinkam. Wenn der Heilige Geist von Toren redet, dann ist er
der Meinung, dass der Mensch sich zwar gegen Gott abgegrenzt hat. Aber es sind
in der Menschheit »Tore«, letzte Möglichkeiten zu Gott hin. Ich will euch so
ein paar Tore nennen. Da ist das tiefe Heimweh nach Gott. Der Mensch mag die
Mauern der Schuld und des Unglaubens gegen Gott noch so hoch ziehen, es bleibt
bei dem Wort Augustins: »Unser Herz ist unruhig in uns, bis es ruht, Gott, in
Dir.« »Machet die Tore weit!«, d.h.: »Gib diesem Heimweh nach, denn dein
Heiland kommt dir in Liebe entgegen.« Da ist die Sehnsucht nach dem Frieden,
die Furcht vor dem Tode. Da ist das verwundete Gewissen, das uns verklagt.
Seht, das sind alles Tore, die immer so eine letzte Verbindung
zu Gott hin sind. Der Mensch weiß das und befestigt diese Gefahrenstellen,
durch die Gott einbrechen könnte, besonders fest. Er vermauert sein Gewissen
und hält es nieder. Er redet sich seine Sehnsucht nach Frieden aus. Er verlacht
den Tod, um sich das Grauen wegzureden. Ach, lasst doch den Kampf! Macht die
Tore weit! Lasst ruhig euer unruhiges Gewissen ans Licht! Gebt ruhig zu, dass
euch vor dem Tode graut. Denn: »Siehe, dein Heiland kommt zu dir!« Dein Erlöser
von Sünde, Schuld, Tod, Furcht. Er bringt dir Frieden und Freude.
»Machet die Tore weit!«
3. Advent 1944
»...dass der König der Ehre einziehe.« (Psalm 24, 7)
Es geht im Leben
eines Christen wunderlich zu. Bald ist sein Glaube so groß, dass er meint, er
könne »mit seinem Gott über die Mauern springen« (Ps.18,30), und bald wieder ist
er so verzagt, dass er sich verloren gibt. Und wenn der Herr nicht so treu
wäre, käme keiner bis ans Ziel. Das erfuhr einst Petrus. Da fuhren die Jünger
über das galiläische Meer. Auf einmal sahen sie den Herrn Jesus über das Wasser
zu ihnen kommen. Und dann geschah es, dass der Herr Petrus zu sich rief. Da war
sein Glaube so groß, dass er es wagte, dem Herrn über die Wellen entgegenzugehen.
Denkt nur! Er spottete im Glauben aller Vernunft und aller
Naturgesetze und traute seinem Heiland. Aber dann sah er eine riesengroße Welle
daherkommen. Da erschrak er. Es fiel ihm ein, wie tief das Wasser unter ihm
war. Und er fing an zu sinken und rief: »Herr, hilf mir! Und Jesus reckte
alsbald die Hand aus und ergriff ihn« (Matthäus 14, 30). Wir müssen heute auch
über ein wildes Meer gehen. Schauerlich toben die wilden Wellen. Und da machen
wir es wie die Welt: wir berechnen, wie tief es ist, wie gefährlich ; wir
sorgen: »Was soll das werden?« — Und schon sinken wir.
Glauben aber heißt: auf den Herrn sehen. Es ist doch Advent.
Der Heiland ist doch gekommen! Und: »Welche auf ihn sehen, die werden erquickt,
und ihr Angesicht wird nicht zu Schanden« (Psalm 34, 6). Wir wollen auch heute
morgen auf ihn sehen.
Der König der Ehre.
1. Soll Jesus wirklich der König der Ehre sein?
Da erklingt nun dieser Adventsruf: »Machet die Tore weit und
die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe.« Mit diesem Wort
deutet der Heilige Geist auf den kommenden Herrn Jesus. Der wird also König der
Ehre genannt. Da empört sich die Vernunft: Der soll König der Ehre sein? Hat
nicht sogar Jesaja von ihm gesagt: »Er war der Allerverachtetste und
Unwerteste. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg«, und:
»Wir haben ihn für nichts geachtet« (Jesaja 53, 3). Hat er nicht als
Ausgestoßener am Galgen gehangen? Ja, so war es doch!
Da hat man auf dem Palatin in Rom eine Kaserne ausgegraben.
Und an der Wand der Wachstube fand man eine Spottkritzelei, mit der ein
Legionär seinen christlichen Kameraden Alexamenos verspottete. Da kniet ein
Soldat vor einem Kreuz. Und daneben steht: »Alexamenos betet seinen Gott an.«
Der Gekreuzigte aber hat einen Eselskopf. Ja, geht nicht seit 2000 Jahren eine
Flut von Spott über diesen Jesus? Hat man nicht sogar seinen Stammbaum beschimpft?
Die edelsten seiner Vorfahren »Zuhälter« und »Viehjuden« genannt? Ist es aber
nicht wirklich so, dass in seinem Stammbaum der in Schanden geborene Perez und
eine Ehebrecherin vorkommen? Ja, hat man ihn nicht in einer Schrift, die von
Tausenden gelesen wurde, einen »Feigling« und »Judenlümmel« geschimpft?
Ein seltsamer »König der Ehre«! Wie wenig er das ist, wird
aber wohl am meisten daran klar, dass sogar wir Christen uns zu oft schämen,
seinen Namen zu bekennen. Wie oft genieren wir uns, uns zu ihm zu bekennen, als
ob es eine Schande wäre, es mit ihm zu halten! Und der soll »König der Ehre«
sein?
2. Und er ist doch der König der Ehre
Da müssen wir eine kleine Überlegung anstellen. Wir meinen,
es sei einer geehrt, wenn die Welt ihm Ehre gibt. Die Bibel hat auch hier
wieder eine gänzlich andre Betrachtungsweise. Da ist das Wort Jesu, das er
seinen Gegnern sagt: »Wie könnt ihr glauben, die ihr Ehre voneinander nehmt,
und die Ehre, die von Gott allein ist, sucht ihr nicht« (Johannes 5, 44). Das
ist »Ehre«, wenn Gott mich anerkennt.
In einem Roman sagt ein alter Kötter zu einem jungen
Bauernsohn: »Das ist Ehre, wenn ich mich vor mir selber nicht zu schämen
brauche.« Wie wunderlich befangen und verengt ist doch der Blick des
natürlichen Menschen! Die Bibel würde sagen: »Das ist Ehre, wenn ich mich vor
Gott nicht zu schämen brauche.«
Aber es ist verständlich, dass der Mensch das nicht will.
Denn wer muss sich vor Gott nicht verstecken wie unser Stammvater Adam?
Nur einer brauchte sich vor Gott nicht zu schämen. Nur einer
ist es, den Gott rückhaltlos ehren konnte: Jesus! Und darum, weil der
himmlische Vater ihn ehrt, darum ist Jesus »der König der Ehre«. Mag die Welt
über ihn denken, was sie will. Gott hat ihm den Titel »König der Ehre« gegeben.
Und das ist entscheidend — Gott ehrt seinen Sohn. Bei der Taufe Jesu fiel die
Stimme vom Himmel, die sagte: »Dies ist mein lieber Sohn, an dem ich
Wohlgefallen habe.« Und in Johannes 8, 54 sagt Jesus: »Es ist aber mein Vater,
der mich ehrt.« Und ausdrücklich erklärt er: »Ich nehme nicht Ehre von
Menschen« (Johannes 5, 41). Und als er um unseretwillen die Schmach des Kreuzes
auf sich genommen hatte, hat ihn der Vater geehrt, indem er ihn von den Toten
auferweckte. In Philipper 2 ist auch davon die Rede, dass Gott ihn ehrt: »Er
ward gehorsam bis zum Tode am Kreuz. Darum hat ihn auch Gott erhöht und hat ihm
einen Namen gegeben, der über alle Namen ist.« Und wer nun noch Zweifel hat, ob
Jesus wirklich der König der Ehre ist, der lese Offenbarung 5. Da steht das
erwürgte Lamm im Mittelpunkt der ewigen Welt. Die 24 Ältesten stimmen ihre
Harfen, ihm zur Ehre. Und viele tausend Engel singen den brausenden Lobgesang:
»Das Lamm, das erwürgt ist, ist würdig zu nehmen Ehre...« Oh, wie ist das
Urteil der Welt außer Kurs gesetzt! Wie ist das als belanglos beiseite gesetzt,
was Krethi und Plethi über Jesus gedacht haben. Wie ist da mit göttlicher
Ironie heiligen Schweigens übergangen, was Professor Sowieso und Frau Anderswie
sich zurechtgelegt hatten. Jesus! Er ist der König der Ehren. Gott hat es
gesagt. Der Heilige Geist lässt es uns wissen. Und dabei bleibt's.
3. Nun gib du ihm die Ehre
Nun geht wieder der Adventsruf durch die Welt: »Machet die
Tore weit und die Türen in der Welt hoch, dass der König der Ehre einziehe!«
Gib ihm die Ehre! Aber wie? Wir leben doch in einer armen
Stadt. »Wir haben kein Wasser«, seufzt man allerwärts. »Wenn doch das Wasser
einziehen wollte in die stillgelegten Röhren!« — »Wir haben kein Licht!«,
ruft's von dort. »Wenn doch der Strom einziehen wollte in die stummen Drähte!«
Wie oft seufze ich selbst so. Aber ist es nicht eine viel
wichtigere Sorge in dieser Adventszeit, dass das »Wasser des Lebens« und »das
Licht der Welt« bei uns einziehen? Dass wir doch danach seufzten!
Ach, es kommt ja, es ist schon da. Nun lasst es euren Durst
stillen, nun lasst es eure bekümmerte Seele erleuchten. So gibt man ihm die
Ehre. Man kann den Sohn Gottes gar nicht besser ehren, als dass man an ihn
glaubt und ihn seinen Heiland sein lässt.
Ich will das noch einmal von einer anderen Seite her aufzeigen.
Wir sagten vorhin: Wir müssen uns alle vor Gott schämen. Wir
sind alle vor ihm ehrlos. Ein hartes Wort! Aber so sagt Gottes Wort: »Wir
ermangeln des Ruhms, den wir vor Gott haben sollten« (Römer 3, 23).
Aber seht, der Adventskönig, der Sohn Gottes, ist dazu in
die Welt gekommen, um uns unsere verlorene Ehre vor Gott wiederzugeben. Sein
Blut macht mich rein von aller Sünde. Und wenn ich mich im Glauben in die
Gerechtigkeit hülle, die er mir erworben hat, dann bin ich Gott angenehm und
lieb. Dann erkennt Gott mich an, als sei ich der reine und heilige Herr Jesus
selber. Ehrt nur den Sünderheiland recht, indem ihr ihn euren Sünderheiland
sein lasst. Dann habt ihr Anteil an seiner Ehre. Dann ehrt euch der Vater um
seines Sohnes willen, wie er den Sohn selber ehrt. »Machet die Tore weit, dass
der König der Ehre einziehe!«
»Schönster Herr Jesu, Herrscher aller Enden,
Gottes und Marien Sohn,
Dich will ich lieben,
Dich will ich ehren,
Du meiner Seele Freud' und Krön.«
Weihnachten 1944
»Und siehe, des
Herrn Engel trat zu ihnen, und die Klarheit des Herrn umleuchtete sie, und sie
fürchteten sich sehr... Und der Engel sprach zu ihnen: >Fürchtet euch nicht!
Siehe, ich verkündige euch große Freude.<« (Lukas 2, 9-10a)
Als ich nachdenklich die Weihnachtsgeschichte las, habe ich
eine seltsame Entdeckung gemacht. Der erste Teil dieser Geschichte, der in
Bethlehem spielt, handelt vom Sohn Gottes. Nun sollte man doch erwarten, dass
es da in lauter Glanz und Herrlichkeit zuginge. Aber nein! Wir sehen nur eine
Krippe, riechen den Stallgeruch. Ja, es ist geradezu peinlich alles vermieden,
was von der Herrlichkeit des Sohnes Gottes zeugen könnte. Der zweite Teil der
Geschichte, der auf dem Feld spielt, handelt von armen Hirten. Da sollte man
doch annehmen, dass es da recht armselig zuginge, dass man da nichts anderes
sähe als Armut und Rauheit. Man erwartet Stallgeruch. Und was finden wir?
Himmelsglanz, Herrlichkeit und Engelsharmonien. Eine seltsam verdrehte Welt!
Damit deutet der Heilige Geist etwas Wichtiges an. Unsere
Armut ist nämlich auf den Sohn Gottes gefallen, seine Herrlichkeit aber ist zu
uns gekommen. Nikolaus Hermann sagt das in einem Lied so: »Er wird ein Knecht
und ich ein Herr, das mag ein Wechsel sein!« Und Paulus drückt dasselbe in 2.
Korinther 8, 9 so aus: »Er ward arm um euretwillen, auf dass ihr durch seine
Armut reich würdet.«
Da ist also die Rede von der seligen Weihnachtsbescherung,
die uns das Kind in der Krippe bereitet.
1. Er schenkt uns seine himmlische Herrlichkeit
Habt ihr schon mal Heimweh gehabt? Eine schlimme Sache. Als
der Sohn Gottes auf Erden war, hat auch er Heimweh gekannt. Das kommt
ergreifend zum Ausdruck in Johannes 17, 5, wo er betet: »Und nun verkläre mich
du, Vater, bei dir selbst mit der Klarheit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt
war.« Da hören wir, dass der Herr Jesus von Anfang an bei seinem Vater
»Klarheit« hatte. Es steht da im Griechischen ein Wort, das man kaum übersetzen
kann: Es bedeutet »himmlische Klarheit, Glanz und Herrlichkeit« (Griechisch:
Doxa). Aber als er nun als schwaches Kind in der Krippe liegt, da hatte er
keine »Doxa« mehr. Wo ist sie denn hingekommen? Ja, seht nur mal schnell hinaus
auf das Hirtenfeld! Was sehen wir da? Die Klarheit, die Doxa des Herrn,
umleuchtet die Hirten. Ja, er ist arm geworden, auf dass wir durch seine Armut
reich würden. Das ist sein Weihnachtsgeschenk für die, die an ihn glauben, dass
sie seine Klarheit und Herrlichkeit bekommen.
Wohl, der Glanz auf dem Hirtenfeld ist schnell erloschen.
Aber seht nur die Hirten an, wie sie von Bethlehem zurückkehren: »Sie priesen
und lobten Gott.« Da ist die »Doxa« in ihr Herz und Leben gekommen, wie sie zu
allen kommt, die an Ihn glauben.
Vielleicht sagt nun ein Weltmensch spöttisch: »Ja, ich sehe
aber nichts von eurer Herrlichkeit. Es geht bei euch ebenso armselig zu wie bei
uns.« Antwort: Nein! Wir Christen singen mitten im Leide und Jammer der Tage:
»Freude, Freude, über Freude, Christus wehret allem Leide.« Da ist
die »Doxa«. Und im übrigen ist das, was wir jetzt haben,
erst ein Angeld auf die zukünftige Herrlichkeit. Johannes sagt: »Es ist noch
nicht erschienen, was wir sein werden. Wir wissen aber, wenn es erscheinen
wird, dass wir ihm gleich sein werden« (1. Johannes 3, 2).
2. Er schenkt uns seine Geborgenheit
Wenn die Bibel die ewige Welt Gottes schildert, dann sagt
sie immer wieder, dass da »kein Leid und kein Geschrei und keine Angst« ist.
Und in dieser ewigen Welt, wo man im starken Gott völlig geborgen ist, hat der
Sohn Gottes gelebt, ehe er Mensch wurde.
Aber nun liegt er als Kind in der Krippe. Und damit ist er
in die Welt geraten, wo man Angst und Furcht haben muss. Schon trachtet man ihm
nach dem Leben, und seine Eltern müssen mit ihm nach Ägypten fliehen. Und im Erwachsenenalter
beginnt die Furcht erst recht. Wir sehen ihn in Gethsemane zittern. Und in
Lukas 12, 50 sagt er: »Ich muss mich taufen lassen mit der Leidenstaufe. Und
wie ist mir so bange, bis sie vollendet werde.« Ja, wo ist denn seine Geborgenheit
und Furchtlosigkeit hingekommen? Schaut nur schnell hinaus auf das Hirtenfeld!
Da steht gerade der Engel des Herrn vor ihnen, den Hirten, und verkündet ihnen:
»Fürchtet euch nicht!« Und warum? »Euch ist heute der Heiland geboren!«
Wiederum ist es so: »Er wird arm, dass wir durch seine Armut reich würden.« Der
Sohn Gottes geht in die Angst und Unbeschütztheit hinein, damit wir Kinder
Gottes werden und dadurch seine Geborgenheit und Furchtlosigkeit erben.
»Fürchtet euch nicht!« Das ist doch ein köstliches Weihnachtsgeschenk im Jahr
1944. Es ist ja so viel Furcht bei uns: Furcht vor dem, was kommt, Furcht vor
Menschen, Furcht vor dem Tod, Furcht vor Schrecken, und Gott gebe, dass wir die
wichtigste Furcht kennen: die vor dem Zorne Gottes über alle unsere Sünde.
Und nun will uns das Kind in der Krippe zu Kindern Gottes
machen und uns seine Geborgenheit beim himmlischen Vater schenken. Da ist man
wirklich geborgen. Da braucht man keine Furcht mehr zu haben vor Schrecken, Tod
und Teufel, ja auch nicht mehr vor dem Jüngsten Tag und Gericht Gottes. »Nun
soll kein Angst noch Pein noch Zorn hinfort uns schaden, dieweil uns Gott aus
Gnaden lässt seine Kinder sein.«
3. Er schenkt uns seine Freude
In einem alten Lied heißt es: »Im Himmel, im Himmel ist
Freude so viel...« In dieser Welt ewiger Freude hat der Sohn Gottes gelebt, ehe
er als Mensch in Bethlehem geboren wurde. Und nun liegt er da im Stall. Von da
geht sein Weg schnurstracks zum Kreuz. Da ist die Freude fort. Im Hebräerbrief
heißt es in Kapitel 12, 2: »Er, der wohl hätte mögen Freude haben, erduldete
das Kreuz und achtete der Schande nicht...«
Ja, wo ist denn seine himmlische Freude hingekommen? Geht
noch einmal mit mir hinaus auf das Feld zu den Hirten. Da steht der leuchtende
Gottesbote vor den Hirten und verkündet: »Siehe, ich verkündige euch große
Freude.« Zu den armen Hirten, zu den freudlosen Sündern ist sie gekommen. Und
zu allen anderen, die an ihn glauben als ihren Heiland und Erlöser. Wieder
heißt es da: »Er ward arm um unsretwillen, auf dass wir durch seine Armut reich
würden.«
Er geht den dunklen Weg über Krippe und Kreuz, damit die
Freude zu uns kommt. Oh, wie ist die Freude zu den Hirten und allen, die an den
Sohn Gottes glauben, gekommen! Die Hirten, so sagten wir schon, »priesen und
lobten Gott«.
Ich kam vor kurzem in ein Haus, in dem man viel Schweres
erlebt hatte, der Sohn war gefallen, das Haus war ausgebrannt, viel Schweres
war vorgekommen. Und da sangen sie gerade: »Jesu, wie soll ich dir danken? Ich
bekenne, dass von dir meine Seligkeit herrühr...« Nicht wahr, das ist eine
tiefe Freude, die alle Welt nicht geben kann. Da ist die himmlische Freude, die
der Heiland auf die Welt gebracht hat, die er gewissermaßen an uns abgetreten
hat. Von ihm heißt es: »Er lud auf sich unsre Schmerzen« (Jesaja 53, 4). Du
darfst im Glauben ruhig deine Schmerzen und Nöte dazulegen und dir von ihm
seine himmlische Freude geben lassen. Es gibt viele, die sagen: »Das gibt in
diesem Jahr ein armes Weihnachtsfest!« Für viele mag das stimmen. Wer aber im
Stall zu Bethlehem eingekehrt ist und sich vom Heiland beschenken lässt, für
den stimmt das nicht. Der singt auch in diesem Jahr aus Herzensgrund: »Des
lasst uns alle fröhlich sein, und mit den Hirten gehn hinein, zu sehn, was Gott
uns hat beschert, in seinem lieben Sohn verehrt.«
Neujahr 1945
Jahreslosung (Hebräer 12, 2a):
»Lasset uns aufsehen auf Jesus, den Anfänger und
Vollender des Glaubens.«
»Nun ist das alte Jahr vergangen. Dunkel liegt das neue Jahr
vor uns.« Nicht wahr, so muss doch jeder ordentliche Neujahrsaufsatz anfangen.
Aber eine Predigt fängt so nicht an.
Das neue Jahr liegt dunkel vor uns? Ach, das ist ja gar
nicht wahr. In Jesaja 9, 1 steht: »Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein
großes Licht; und über denen, die da wohnen im finstern Lande, scheint es
hell.« Und in Lukas 1, 78 jubelt Zacharias: »Es hat uns besucht der Aufgang aus
der Höhe, dass er erscheine denen, die da sitzen in Finsternis und Schatten
des Todes.« Wir wissen, wer dieser »Aufgang aus der Höhe« und dies »große
Licht« ist: Jesus, der Sohn Gottes, unser Herr und Heiland. Weil er da ist,
sagt ein Christ nicht mehr: »Dunkel liegt das Jahr vor mir«, sondern vielmehr:
»Hell steht Jesus vor mir.« Und darum ist dies eine gute Jahreslosung.
Lasst uns aufsehen auf Jesus!
1. Ist das nicht ein unmöglicher Befehl?
»Aufsehen auf Jesus?« Ja, man kann ihn doch gar nicht sehen!
Wer mal Soldat war, der kennt das Kommando: »Die Augen links.« Wenn man die
Augen nach links wendet, dann sieht man doch jemand. Da kommt etwa der Herr
General, in Glanz und Pracht, in Rot und Gold. Im Text heißt es: »Die Augen
empor!« Und wenn man das tut, dann sieht man — nichts.
Wenn ich ein ungläubiger Weltmensch wäre, würde ich sicher spotten
über diese Jahreslosung und sagen: »Aufsehen auf Jesus? Zeigt ihn mir doch
mal! Ihr seht ihn doch selber nicht.«
Und in der Tat sagt Gottes Wort: »Wir wandeln im Glauben und
nicht im Schauen« (2. Korinther 5, 7). Aufsehen auf Jesus — der doch unsichtbar
ist! Ich kann verstehen, dass es Leute gibt, die sagen: »Ihr Christen unterliegt
ja einfach einer Suggestion.« Ich muss den Jungen erklären, was eine Suggestion
ist: Als Student besuchte ich mal die Vorstellung eines Zauberkünstlers. Der
behauptete, er könne ein Goldstück durch den Saal fliegen lassen. Er zeigte das
Goldstück, warf und dann schrie er: »Sehen Sie, da — und da — jetzt macht es
einen Bogen — kommt zu mir zurück — da ist es!« Und er zeigte es wieder vor. Da
gab es Leute, die schworen Stein und Bein, sie hätten es fliegen sehen. In
Wirklichkeit hatte er es gar nicht geworfen. Das ist Suggestion. »Lasset uns
aufsehen auf Jesus!« Ist das nicht auch eine Suggestion, dass man uns sehen
heißt, wo nichts zu sehen ist?
Ach nein! Denn es ist ja der Heilige Geist, der uns
befiehlt: »Lasset uns aufsehen auf Jesus.« Das ist der Geist der Wahrheit. Und
wenn wir nicht sehen, liegt es wohl sicher an uns und unsern blinden Augen. Da
darf man dann den Heiligen Geist bitten: »Öffne mir die Augen, dass ich sehen
kann.« Oh, das ist eine große Sache, wenn der Heilige Geist uns die inwendigen
Augen öffnet. Dann sehen wir Jesus — namentlich, wie er für uns am
Kreuze hängt und uns erlöst. Da geht es dann nach dem Vers: »Alle Tage wird
dies Bild schöner unserm Blick enthüllt.« Und mit Paul Gerhardt sagt man: »Ich
sehe dich mit Freuden an und kann nicht satt mich sehen.« Und man spricht mit
dem Blindgeborenen: »Eins weiß ich: dass ich blind war und bin nun sehend
geworden« (Johannes 9, 25).
2. Das ist ein tröstlicher Befehl
Wir sagten zu Anfang: Jeder ordentliche Neujahrsaufsatz
beginnt mit den Worten: »Dunkel liegt das neue Jahr vor uns.« Wir hatten diesen
Satz als ungültig beiseite geschoben. Aber nun müssen wir ihn doch noch mal
vorholen. Denn er enthält ja doch ein gutes Stück Wahrheit. Als ich Student
war, sangen wir so gern das Lied: »Wir lugen hinaus in die sonnige Welt,
allzeit mit lachenden Augen ... « Nein! Das singen wir nicht mehr. Es ist so
viel Grauenvolles über uns gekommen, dass uns die Sorge in schlaflosen Nächten
oft erwürgen will. Dunkel liegt der Weg vor uns. Oh, es hat nicht immer so geheißen.
Wenn man etwa einen Neujahrsaufsatz zu der Zeit um die Jahrhundertwende in die
Hand nimmt, da wird mit Pauken und Trompeten von Fortschritt geredet, von herrlichen
Zeiten, die kommen und von einer gewaltigen Entwicklung des
Menschengeschlechts. Die Fanfaren sind verstummt. Der rosarote Optimismus
liegt begraben unter den Trümmern unserer Städte. Der Weg liegt dunkel vor uns.
Als junger Rekrut habe ich mich mal auf einem einsamen Weg aus der vorderen
Stellung verlaufen. Und es regnete. Ich war krank und fieberte. Ach, da war
nichts mehr übrig von dem stolzen Kriegsfreiwilligen. Ich fühlte nur
unsägliches Elend und Verlassenheit. Und ich bin gewiss, dass auch der Stärkste
unter uns solche Stunden kennt. Und da hinein ruft der Heilige Geist:
»Lasset uns aufsehen auf Jesus!« Das griechische Wort, das
Luther mit »aufsehen« übersetzt, kann auch heißen: »mit Vertrauen sehen auf«.
»Lasst uns mit Vertrauen auf Jesus sehen!«
Kennt ihr ihn? Er ist ja der »gute Hirte«. Das hat er bewiesen,
als »er sein Leben ließ für die Schafe« (Johannes 8, 12). Es ist wirklich das
Höchste, wenn einer wie ein Kind glauben und singen kann: »Weil ich Jesu
Schäflein bin, freu ich mich nur immerhin über meinen guten Hirten, der mich
wohl weiß zu bewirten, der mich liebet, der mich kennt, und bei meinem Namen
nennt.« Mitten in das Grauen des Krieges singt Gottes erkauftes Volk: »Ja,
fürwahr, uns führt mit sanfter Hand ein Hirt durchs Pilgerland der dunklen
Erde, uns, seine kleine Herde, Halleluja.«
Wir spürten das, als viele von uns im vergangenen Jahr hier
im Keller den schrecklichen Angriff erlebten, als das Licht erlosch, der Keller
bebte und wir aller Furcht ins Angesicht sangen: »Wenn sich die Sonn' verhüllt,
der Löwe um mich brüllt, so weiß ich auch in finstrer Nacht, dass Jesus mich
bewacht.«
3. Das ist ein einschneidender Befehl
»Lasst uns aufsehen auf Jesus!« Man kann das griechische
Wort des Textes auch übersetzen: »Lasst uns wegsehen auf Jesus!« Ja, wenn man
auf Jesus sehen will, muss man seine Augen von anderem losreißen.
Von Natur sind unsere Augen gefesselt an die sichtbaren
Dinge dieser Welt. Die Welt nimmt unseren Blick gefangen. Die Bibel nennt das
»irdisch gesinnt sein«. Weil nun unser Blick von Natur aus auf die irdischen
Dinge geht, und weil wir nun mal hinten keine Augen haben, so heißt: »Lasset
uns wegsehen auf Jesus!«, eine Wendung machen. Ja, lasst uns wegsehen
auf Jesus — das heißt: Mach in deinem Leben eine ganze Wendung zu ihm hin. Es
gibt manchen unter uns, der weiß es längst, dass er diese Wendung machen
sollte. Aber er hat es immer und immer wieder aufgeschoben.
Nun mach doch mit dem neuen Jahr diese Wendung! Wie würde der Friede Gottes über dich kommen! Aber auch denen, die diese Wendung gemacht haben, gilt es: »Lasst uns wegsehen von den Sorgen und Nöten — wegsehen von den Verdiensten und auch von den Versäumnissen und Schulden — auf Jesus.« »Er ist uns von Gott gemacht zur Weisheit und zur Gerechtigkeit und zur Heiligung und zur Erlösung« (1. Korinther 1, 30).