Offenbarung 7, 17c: „… und Gott wird
abwischen alle Tränen von ihren Augen.“
In
den letzten Jahrzehnten ist die Welt überschwemmt worden mit Zukunftsromanen.
Die fortschreitende Technik hat phantasievolle Leute gereizt, auszumalen, wie
wir einst mit Weltraumschiffen zum Mars fahren werden. Und die ungeheuren politischen
Entwicklungen haben angeregt, den totalen Staat der Zukunft oder eine kommende
Idealwelt zu schildern.
Diese
Zukunftsromane sind meist sehr umfangreich. Eine Zukunfts-Kurzgeschichte habe
ich noch nirgendwo gefunden – außer in der Bibel. Unser Text stellt in der Tat
eine Zukunfts-Kurzgeschichte dar.
Sie
unterscheidet sich allerdings von den Zukunftsromanen entscheidend: Diese
Zukunftsbilder haben Menschen mit blühender Phantasie gestaltet. Die biblische
Kurzgeschichte aber stammt nicht aus der Phantasie des Schreibers. Vielmehr hat
da Gott dem Apostel Johannes gezeigt, was einmal sein wird. Wir bewegen uns
hier nicht auf dem Boden luftiger Phantasie, sondern auf dem nüchternen Boden
kommender Wirklichkeit.
1) Sie erzählt, was sich niemand ausdenken konnte
Wer
einmal von einem lieben Menschen Abschied genommen hat, der weiß, wie
unheimlich das ist: Da ist ein Tor, durch das der andre hindurchging. Was mag
sich dahinter verbergen?
Vor
ein paar Jahren hat ein Buch von Hermann Kasak
Aufsehen erregt: „Die Stadt hinter dem Strom.“ Da versucht dieser Dichter,
hinter das verschlossene Tor zu schauen. Er schildert das Totenreich als eine
große Stadt, in der die Toten ihr ach so sinnloses Leben noch eine Zeitlang
fortsetzen. Es pendelt gleichsam aus. Und dann – dann treten sie einen unheimlichen
Weg an, an Abgründen vorbei – in einen rasenden Sturm – in immer grauere
Ebenen. Sie werden immer schemenhafter – und verlieren sich endlich – im Nichts.
Es ist ein grauenvolles Bild: der Zug der Schatten, der allmählich in Nebel und
Grau verschwindet.
So
denkt sich der Mensch das aus, wenn er versucht, das Geheimnis hinter dem Tor
des Todes zu enträtseln.
Daneben
stellen wir nun diese Kurzgeschichte der Bibel: „… und Gott wird abwischen alle
Tränen von ihren Augen.“ Nicht wahr – das klingt anders! Das ist überwältigend
schön.
Ich
habe Sorgen, ich könnte mit einer Auslegung die Herrlichkeit dieses Wortes
zerstören. Als Schüler haben wir im Naturkunde-Unterricht liebliche Blüten
zerschnitten, um sie kennen zu lernen. So will ich es nicht machen mit diesem
Wort. Ich will nur beglückt auf einiges hinzeigen.
„Gott
wird abwischen alle Tränen von ihren Augen.“ Ist so Gott? Der große,
schreckliche, verborgene Gott? So, – wie soll ich es ausdrücken? – so lieb? Ja,
so muss er wohl sein.
Und
– kann er denn den einzelnen so ernst nehmen? Ja, so muss es wohl sein!
Es
ist vorher einmal vom „Geschrei“ die Rede, von dem Jammern, das Gott stillt.
Nun, dass er auf Geschrei hört, kann man sich noch denken. Aber Tränen sind
sehr, sehr still. Es gibt sogar Tränen, die nicht einmal bis in die Augen
kommen, sondern in die Seele hineingeweint werden. Achtet der große Gott auf
diese stillen Tränen? Ja, so muss es wohl sein.
Welch
eine Geschichte! Welch ein Bild, wie sich der ganz Große über ein zerbrochenes
Menschenkind beugt in unendlicher Zartheit. Da sind alle Probleme zu Ende. Da
ruht man am Herzen Gottes. Welch ein Friede! Da ist alles Kämpfen zu Ende, alle
Anfechtung, alles Fragen. Da ist die ersehnte Ruhe. „… und Gott wird abwischen
alle Tränen.“
Ich
komme von dem Gedanken nicht los, dass er da zuerst – ich wage es kaum
auszusprechen – seine eigenen Tränen getrocknet hat. Von Jesus heißt es einmal:
„Er weinte über Jerusalem.“ Und ein Lied spricht von Gottes Tränen über „Menschennot
und Herzenshärtigkeit“.
Der
getröstete Gott, der gewaltig tröstet! Es ist, als schaue man über ein endloses
Meer von Trost. Welch ein Bild!
2) Sie berichtet von bevorzugten Leuten
Jahrelang
hat man uns vorgeworfen: „Ihr vertröstet die Leute auf den Himmel!“
O
meine Freunde, wie gerne wollte ich das tun! Wie gern wollte ich – allem Spott
zum Trotz – unermüdlich rufen: „Es wird am Ende alles gut! Gott wird eure
Tränen abwischen.“
Aber
– das darf ich nicht. Gottes Wort spricht ja hier gar nicht von aller Welt, von
„Krethi und Plethi“. Diese wundervolle Kurzgeschichte erzählt uns von ganz
besonders bevorzugten Leuten, denen das widerfährt. Und es ist sehr wichtig, dass
wir fragen: Wer sind diese Auserwählten?
Sind
es die Großen in der Welt, deren Bilder die Zeitungen füllen? Die Bibel sagt nichts
davon. – Sind es die geschickten Leute, die immer obenauf sind, ganz gleich, ob
die Welt gerade braun, blau oder rot ist? O nein! Gottes Wort sagt, dass hier
alle Geschicklichkeit versagt. – Sind es die Reichen, die überall den Vortritt
haben? Oder die Armen, damit endlich einmal alles auf dem Kopf steht? Davon
sagt Gottes Wort nichts. – Sind es die edlen Seelen, die großen Vorbilder der Menschheit,
die Nobelpreisträger? Davon finde ich nichts in der Bibel. – Sind es die
verbissenen Arbeiter, denen über der Pflichterfüllung das Herz fast versteinerte?
Ich finde nichts davon in Gottes Wort.
Wer
sind denn diese Bevorzugten, die Gott so überschwänglich trösten wird? Unser
Textkapitel sagt es: Es sind die, welche „ihre Kleider gewaschen haben im Blut
des Lammes“.
Ich
weiß: Vor solch einem Satz steht der moderne Mensch fassungslos. Er versteht
ihn gar nicht. Das aber ist schlimm. Dann wird dieser moderne Mensch kaum auf
diesen Trost hoffen können.
„…
die Kleider helle gemacht im Blute des Lammes“. Als mein Vater im Sterben lag,
wollte ich in einer Nacht ihn trösten: „Nun, du hast Großes geleistet. Das ist
doch ein schönes Gefühl.“ Aber diesen Trost wies er zurück: „Am Rande der
Ewigkeit sieht man nur, wie viel Schuld man hat, wie alles unfertig und alles
befleckt ist. Da freue ich mich, dass ich einen Heiland habe, dessen Blut mich
mit Gott versöhnt hat.“ Seht, das heißt, seine Kleider im Blute Jesu waschen.
3) Sie erzählt von Tränen der Kinder Gottes
Christsein
– das heißt: in Paradoxien leben. Ich kann mit gutem Gewissen singen: Immer
fröhlich, alle Tage Sonnenschein. Ich kann aber ebenso gut sagen: Ein Christ
lebt beständig unter Tränen; denn Christen sind Leute, denen Gott die Augen
geöffnet hat.
Nun
sehen sie die unendliche Verlorenheit der Welt. Noch schreien die Trümmer
unserer Städte zum Himmel, noch ertönen die Klagen der Flüchtlinge und
Kriegsgefangenen. Da weiß man keine andre Hilfe als – neue Waffen!
Nun
sehen Christen den unendlichen Jammer der Welt. Wie viele Bittende kommen täglich
an meine Tür, wie viel Unerträgliches begegnet mir jede Woche in den Bergmanns-Lagern:
Und ich kann nicht helfen.
Und
sie sehen die unendliche Verlorenheit des eigenen Herzens. Man ringt darum, gut
und wahr und selbstlos und rein und barmherzig zu sein. Aber es gelingt so
schlecht.
Das
verursacht die Tränen der Christen. Wie könnten sie in all dem Jammer leben
ohne Jesus! Jesus! – ja, in ihm haben wir täglich Trost. Und er wird uns gewiss
dahin bringen, wo „Gott wird abwischen alle Tränen von unsern Augen“.