Johannes 7, 45-49: „Die Knechte kamen
zu den Hohenpriestern und Pharisäern; und sie
sprachen zu ihnen: Warum habt ihr ihn nicht gebracht? Die Knechte antworteten:
Es hat nie ein Mensch also geredet wie dieser Mensch. Da antworteten ihnen die
Pharisäer: Seid ihr auch verführt? Glaubt auch irgendein Oberster oder
Pharisäer an ihn? sondern das Volk, das nichts vom Gesetz weiß, ist verflucht.“
Während
des Krieges musste einer meiner Freunde, ein Berliner Pfarrer, einen General
beerdigen. Als er nach der Beerdigung in der S-Bahn zurückfuhr, saßen darin
viele der Trauergäste. Sie erkannten den Pastor, der nun seinen Talar
ausgezogen hatte, nicht wieder. So konnte der mit Schmunzeln hören, wie seine
Rede durchgehechelt wurde. Ein Offizier sagte: „Dat
war doch keene Beerdigungsrede! Dat
war nischt wie Propaganda für Jesus!“ Und der Pastor
dachte bei sich: „Das ist ein Lob für mich!“
Propaganda
für Jesus! Jede Predigt sollte es sein. Der größte Apostel sagte: „… dass ich
nichts unter euch wüsste als allein Jesum, den Gekreuzigten.“
Nun
ist allerdings Propaganda meist einseitig. Und gegen einseitige Urteile hat man
sich immer schon gewehrt. Die alten Römer sagten: „Audiatur
et altera pars“ = „Lass auch den Gegner zu Wort
kommen!“ Und im Deutschen heißt es: „Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede.
Man muss sie hören alle beede.“
Nun
gut! Dann wollen wir heute einmal die Gegner Jesu zu Worte kommen lassen. Ich
meine jetzt nicht die dummen Schreier, die mit Schlagworten um sich werfen. Ich
meine vielmehr kluge, ehrbare, bedeutende Männer.
1) „Jesus ist ein Verführer“
Damals
war Jesus auf einem großen Tempelfest in Jerusalem. Weil es um ihn herum
allerlei Unruhe gab, wurden Polizisten ausgeschickt, ihn festzunehmen.
Seltsamerweise erschienen die nach einiger Zeit ohne Jesus. „ Warum bringt ihr
ihn nicht?“ werden sie angeherrscht. Betreten antworten sie: „Es hat noch nie
ein Mensch also geredet wie dieser Jesus.“ Sie waren offenbar von Jesus gepackt
worden im Gewissen.
Da
springen die geistlichen und politischen Führer ihres Volkes auf: „Seid ihr
auch verführt?“
Nach
ihrer Ansicht ist also Jesus, der Macht hat über Menschenherzen, ein Verführer.
Nun, derselben Ansicht waren die römischen Cäsaren, die Inquisitoren des
Mittelalters und die bürgerlichen Väter von heute, deren Söhne sich zu Jesus bekehren.
Ist
Jesus ein Verführer? Ja, gewiss! Ich las einmal eine Pferdegeschichte. Von
einer Koppel in Südamerika ist ein Pferd ausgebrochen und hat sich einer Herde
wilder Pferde angeschlossen. Darüber vergeht ein Jahr. Eines Tages reitet der
Herr über die Pampas. Er sieht die Herde. Und mittendrin seinen Rappen. Ein
Pfiff! Der Rappe spitzt die Ohren. Er erkennt den Ruf seines Herrn. Und dann
bricht er aus der Herde aus und trabt zu seinem Herrn.
Alle
Bekehrungen zu Jesus haben etwas von diesem Vorgang an sich: Man hört den Ruf
dessen, der allein Herr ist, weil er uns mit seinem Blut erkauft hat. Man hört
den Ruf und bricht aus der Herde der anderen Menschen aus.
„Er
ist verführt!“ sagt die Herde. „Es ist etwas in Ordnung gekommen“, sagt der,
der zu seinem guten Herrn fand.
Lasst
mich ein noch unmöglicheres Bild brauchen: Da ist eine Hammelherde. Ein Mann
geht vorbei, lockt eines der Tiere an sich und zieht mit ihm davon. „Verführung!“
blökt die Herde. Gewiss! Verführung! Aber wenn man nun weiß, dass die
Hammelherde zum Schlachthof getrieben wird? Und dass der Mann das „verführte“
Tier auf eine gute Weide bringt?
So
ist Jesu Verführung. Die Menschenherde geht dem entsetzlichen Gericht Gottes
entgegen. Jesus aber errettet vom Gericht und „weidet mich auf einer grünen Aue“.
Ja,
Jesus ist ein Verführer, der uns wegführt vom Verderben und hineinführt in die
Gotteskindschaft. Das ist eine gute und heilsame „Verführung“!
2) „Wer glaubt denn schon an ihn!?“
Die
armen Polizisten stehen betreten vor den geistigen Führern ihres Volkes und
müssen hören: „Glaubt auch irgendein Oberster oder Pharisäer an ihn?“
Der
Hinweis auf „die anderen“ ist ein beliebter Propaganda-Trick. „Wasche mit Luhns, / denn viele tun's!“ Was „viele“
tun, muss ja richtig sein. Oder: Eine Firma macht seit langem für eine
Filterzigarette damit Reklame, dass sie die Bilder bedeutender Schriftsteller
und anderer berühmter Leute zeigt, welche gerade diese Filterzigarette rauchen.
Das heißt – in der Sprache unsres Textes –: „Die Obersten und Pharisäer rauchen
die Filterzigarette, also ist die richtig.“ Und wenn diese Obersten nicht Jesusjünger
werden wollen, dann ist es mit Jesus nichts.
„Glaubt
auch einer der Obersten an ihn?“ rufen sie höhnisch. Und die Knechte wissen
nichts zu antworten. Wir auch nicht. Die „Propaganda für Jesus“ kann nicht die
Großen und Berühmten ins Feld führen. Schon Paulus hat gesagt: „Nicht viel Weise
nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen. Sondern
das Verachtete und das Unedle vor der Welt hat Gott erwählt.“ Wenn ihr diese
Stelle im ersten Kapitel des ersten Korintherbriefes nachlest, werdet ihr
erstaunt sein über den seltsamen Ton des Paulus. Sein Bedauern gilt nämlich
nicht den armen Jesus-Jüngern, sondern den armen „Obersten und Pharisäern“, den
armen Edlen und Weisen.
Und
der Herr Jesus selbst hat einmal geradezu gesagt: „Ich danke dir, Vater, dass
du es den Klugen und Weisen verborgen hast und hast es den Unmündigen
geoffenbart.“
„Glaubt
auch ein Oberster an ihn?“ heißt es voll Hohn hier im Text. Diese Feststellung
ist wahr. Sehr wahr. Aber das ist schlimm – nicht für die Gläubigen, sondern
für die Obersten. Sie stoßen in ihrem Hochmut ihr ewiges Heil von sich.
Es
wird in unsrem Text nicht berichtet, was die Polizisten geantwortet haben.
Wahrscheinlich gar nichts. Ich denke mir, es war ihnen eine Ahnung aufgegangen,
dass dies Argument mit den „Klugen und Weisen“ hier
nichts bedeutete. Bei Jesus-Jüngern zieht dies nicht mehr. Denn Jesus macht
sehr frei von Menschenmeinung. Wer an Jesus gläubig wird, der hat die Wahrheit
erkannt. Und darum ist es ihm höchst gleichgültig, was die Philosophen und
anderen Klugen dieser Welt davon halten. Es macht ihm keinen Eindruck mehr. Er lässt
die Blinden reden und freut sich, dass er sehend geworden ist.
3) Ein seltsamer Wutausbruch
Ich
sehe die Szene vor mir: Schweigend stehen die Polizisten da. Was diese Obersten
schreien, überzeugt sie nicht. Jesus – ein Verführer? Gewiss, aber zum Heil!
Die Obersten wollen nichts von ihm wissen? Das ist schlimm für die Obersten!
Vor
so viel Verstocktheit überkommt den Hohenrat eine
blinde Wut. Und jetzt überschreit einer alle anderen: „Wer glaubt denn an
diesen Jesus? Das Volk, das nichts vom Gesetz Gottes weiß …“ Jetzt muss es doch
weitergehen: „… das glaubt an Jesus.“ Aber die Wut übermannt den Schreier, dass
er völlig unlogisch fortfährt: „… ach, dies dumme, böse Volk ist verflucht!“
Wir
verstehen, was er meint: „Dies gesetzlose Volk, das verflucht ist, das sucht
Jesus.“
Der
arme Mann ahnt nicht, dass er etwas ganz Großes, etwas Herrliches, etwas
Wundervolles gesagt hat. Er ahnt nicht, dass er der Wahrheit ganz nahe gekommen
ist.
Fragt
einmal einen, der von Herzen an Jesus glaubt. Der wird euch sagen: Es ist so!
Ich habe Gottes Gesetz mit Füßen getreten. Ich bin selbstsüchtig und unkeusch,
und ich liebe die Lüge, und im bin so lieblos. Das Gesetz Gottes verdammt mich.
Und darum bin ich unter Gottes Fluch. Denn Gott nimmt es sehr ernst. Ja, mein
Gewissen und das Wort Gottes bezeugen mir, dass Gottes Fluch über meiner
natürlichen Art steht.
Aber
gerade darum suche ich mit brennendem Herzen den Herrn Jesus. Er ist ja der
einzige, der mich vom Fluch erretten kann. Er ist am Kreuz von Golgatha ein
Fluch für mich geworden. Er hat meine Schuld getragen und weggetan. Und er ist
mit seinem Geist am Werke, mir Liebe und Reinheit und Wahrhaftigkeit und
Selbstlosigkeit zu schenken.
Mag
ohne ihn fertig werden, wer will! Ich, der ich Gott erkannt habe, ich kann's
nicht mehr. Mögen mich die Selbstgerechten einen elenden Sünder, die Klugen
dieser Welt einen verfluchten Narren schelten – durch Jesus bin ich ein Kind
des lebendigen Gottes, das durch sein Blut mit Gott versöhnt ist.