Wilhelm Busch

Die Suchaktion Gottes

Kurzgeschichten der Bibel

 

Was die Gegner Jesu sagen

 

Johannes 7, 45-49: „Die Knechte kamen zu den Hohenpriestern und Pharisäern; und sie sprachen zu ihnen: Warum habt ihr ihn nicht gebracht? Die Knechte antworteten: Es hat nie ein Mensch also geredet wie dieser Mensch. Da antworteten ihnen die Pharisäer: Seid ihr auch verführt? Glaubt auch irgendein Oberster oder Pharisäer an ihn? sondern das Volk, das nichts vom Gesetz weiß, ist verflucht.“

 

Während des Krieges musste einer meiner Freunde, ein Berliner Pfarrer, einen General beerdigen. Als er nach der Beerdigung in der S-Bahn zurückfuhr, saßen darin viele der Trauergäste. Sie erkannten den Pastor, der nun seinen Talar ausgezogen hatte, nicht wieder. So konnte der mit Schmunzeln hören, wie seine Rede durchgehechelt wurde. Ein Offizier sagte: „Dat war doch keene Beerdigungsrede! Dat war nischt wie Propaganda für Jesus!“ Und der Pastor dachte bei sich: „Das ist ein Lob für mich!“

Propaganda für Jesus! Jede Predigt sollte es sein. Der größte Apostel sagte: „… dass ich nichts unter euch wüsste als allein Jesum, den Gekreuzigten.“

Nun ist allerdings Propaganda meist einseitig. Und gegen einseitige Urteile hat man sich immer schon gewehrt. Die alten Römer sagten: „Audiatur et altera pars“ = „Lass auch den Gegner zu Wort kommen!“ Und im Deutschen heißt es: „Eines Mannes Rede ist keines Mannes Rede. Man muss sie hören alle beede.“

Nun gut! Dann wollen wir heute einmal die Gegner Jesu zu Worte kommen lassen. Ich meine jetzt nicht die dummen Schreier, die mit Schlagworten um sich werfen. Ich meine vielmehr kluge, ehrbare, bedeutende Männer.

 

1) „Jesus ist ein Verführer“

 

Damals war Jesus auf einem großen Tempelfest in Jerusalem. Weil es um ihn herum allerlei Unruhe gab, wurden Polizisten ausgeschickt, ihn festzunehmen. Seltsamerweise erschienen die nach einiger Zeit ohne Jesus. „ Warum bringt ihr ihn nicht?“ werden sie angeherrscht. Betreten antworten sie: „Es hat noch nie ein Mensch also geredet wie dieser Jesus.“ Sie waren offenbar von Jesus gepackt worden im Gewissen.

Da springen die geistlichen und politischen Führer ihres Volkes auf: „Seid ihr auch verführt?“

Nach ihrer Ansicht ist also Jesus, der Macht hat über Menschenherzen, ein Verführer. Nun, derselben Ansicht waren die römischen Cäsaren, die Inquisitoren des Mittelalters und die bürgerlichen Väter von heute, deren Söhne sich zu Jesus bekehren.

Ist Jesus ein Verführer? Ja, gewiss! Ich las einmal eine Pferdegeschichte. Von einer Koppel in Südamerika ist ein Pferd ausgebrochen und hat sich einer Herde wilder Pferde angeschlossen. Darüber vergeht ein Jahr. Eines Tages reitet der Herr über die Pampas. Er sieht die Herde. Und mittendrin seinen Rappen. Ein Pfiff! Der Rappe spitzt die Ohren. Er erkennt den Ruf seines Herrn. Und dann bricht er aus der Herde aus und trabt zu seinem Herrn.

Alle Bekehrungen zu Jesus haben etwas von diesem Vorgang an sich: Man hört den Ruf dessen, der allein Herr ist, weil er uns mit seinem Blut erkauft hat. Man hört den Ruf und bricht aus der Herde der anderen Menschen aus.

„Er ist verführt!“ sagt die Herde. „Es ist etwas in Ordnung gekommen“, sagt der, der zu seinem guten Herrn fand.

Lasst mich ein noch unmöglicheres Bild brauchen: Da ist eine Hammelherde. Ein Mann geht vorbei, lockt eines der Tiere an sich und zieht mit ihm davon. „Verführung!“ blökt die Herde. Gewiss! Verführung! Aber wenn man nun weiß, dass die Hammelherde zum Schlachthof getrieben wird? Und dass der Mann das „verführte“ Tier auf eine gute Weide bringt?

So ist Jesu Verführung. Die Menschenherde geht dem entsetzlichen Gericht Gottes entgegen. Jesus aber errettet vom Gericht und „weidet mich auf einer grünen Aue“.

Ja, Jesus ist ein Verführer, der uns wegführt vom Verderben und hineinführt in die Gotteskindschaft. Das ist eine gute und heilsame „Verführung“!

 

2) „Wer glaubt denn schon an ihn!?“

 

Die armen Polizisten stehen betreten vor den geistigen Führern ihres Volkes und müssen hören: „Glaubt auch irgendein Oberster oder Pharisäer an ihn?“

Der Hinweis auf „die anderen“ ist ein beliebter Propaganda-Trick. „Wasche mit Luhns, / denn viele tun's!“ Was „viele“ tun, muss ja richtig sein. Oder: Eine Firma macht seit langem für eine Filterzigarette damit Reklame, dass sie die Bilder bedeutender Schriftsteller und anderer berühmter Leute zeigt, welche gerade diese Filterzigarette rauchen. Das heißt – in der Sprache unsres Textes –: „Die Obersten und Pharisäer rauchen die Filterzigarette, also ist die richtig.“ Und wenn diese Obersten nicht Jesusjünger werden wollen, dann ist es mit Jesus nichts.

„Glaubt auch einer der Obersten an ihn?“ rufen sie höhnisch. Und die Knechte wissen nichts zu antworten. Wir auch nicht. Die „Propaganda für Jesus“ kann nicht die Großen und Berühmten ins Feld führen. Schon Paulus hat gesagt: „Nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Gewaltige, nicht viel Edle sind berufen. Sondern das Verachtete und das Unedle vor der Welt hat Gott erwählt.“ Wenn ihr diese Stelle im ersten Kapitel des ersten Korintherbriefes nachlest, werdet ihr erstaunt sein über den seltsamen Ton des Paulus. Sein Bedauern gilt nämlich nicht den armen Jesus-Jüngern, sondern den armen „Obersten und Pharisäern“, den armen Edlen und Weisen.

Und der Herr Jesus selbst hat einmal geradezu gesagt: „Ich danke dir, Vater, dass du es den Klugen und Weisen verborgen hast und hast es den Unmündigen geoffenbart.“

„Glaubt auch ein Oberster an ihn?“ heißt es voll Hohn hier im Text. Diese Feststellung ist wahr. Sehr wahr. Aber das ist schlimm – nicht für die Gläubigen, sondern für die Obersten. Sie stoßen in ihrem Hochmut ihr ewiges Heil von sich.

Es wird in unsrem Text nicht berichtet, was die Polizisten geantwortet haben. Wahrscheinlich gar nichts. Ich denke mir, es war ihnen eine Ahnung aufgegangen, dass dies Argument mit den „Klugen und Weisen“ hier nichts bedeutete. Bei Jesus-Jüngern zieht dies nicht mehr. Denn Jesus macht sehr frei von Menschenmeinung. Wer an Jesus gläubig wird, der hat die Wahrheit erkannt. Und darum ist es ihm höchst gleichgültig, was die Philosophen und anderen Klugen dieser Welt davon halten. Es macht ihm keinen Eindruck mehr. Er lässt die Blinden reden und freut sich, dass er sehend geworden ist.

 

3) Ein seltsamer Wutausbruch

 

Ich sehe die Szene vor mir: Schweigend stehen die Polizisten da. Was diese Obersten schreien, überzeugt sie nicht. Jesus – ein Verführer? Gewiss, aber zum Heil! Die Obersten wollen nichts von ihm wissen? Das ist schlimm für die Obersten!

Vor so viel Verstocktheit überkommt den Hohenrat eine blinde Wut. Und jetzt überschreit einer alle anderen: „Wer glaubt denn an diesen Jesus? Das Volk, das nichts vom Gesetz Gottes weiß …“ Jetzt muss es doch weitergehen: „… das glaubt an Jesus.“ Aber die Wut übermannt den Schreier, dass er völlig unlogisch fortfährt: „… ach, dies dumme, böse Volk ist verflucht!“

Wir verstehen, was er meint: „Dies gesetzlose Volk, das verflucht ist, das sucht Jesus.“

Der arme Mann ahnt nicht, dass er etwas ganz Großes, etwas Herrliches, etwas Wundervolles gesagt hat. Er ahnt nicht, dass er der Wahrheit ganz nahe gekommen ist.

Fragt einmal einen, der von Herzen an Jesus glaubt. Der wird euch sagen: Es ist so! Ich habe Gottes Gesetz mit Füßen getreten. Ich bin selbstsüchtig und unkeusch, und ich liebe die Lüge, und im bin so lieblos. Das Gesetz Gottes verdammt mich. Und darum bin ich unter Gottes Fluch. Denn Gott nimmt es sehr ernst. Ja, mein Gewissen und das Wort Gottes bezeugen mir, dass Gottes Fluch über meiner natürlichen Art steht.

Aber gerade darum suche ich mit brennendem Herzen den Herrn Jesus. Er ist ja der einzige, der mich vom Fluch erretten kann. Er ist am Kreuz von Golgatha ein Fluch für mich geworden. Er hat meine Schuld getragen und weggetan. Und er ist mit seinem Geist am Werke, mir Liebe und Reinheit und Wahrhaftigkeit und Selbstlosigkeit zu schenken.

Mag ohne ihn fertig werden, wer will! Ich, der ich Gott erkannt habe, ich kann's nicht mehr. Mögen mich die Selbstgerechten einen elenden Sünder, die Klugen dieser Welt einen verfluchten Narren schelten – durch Jesus bin ich ein Kind des lebendigen Gottes, das durch sein Blut mit Gott versöhnt ist.