Psalm 131, 2: „Ich habe meine Seele
gesetzt und gestillt; so ist meine Seele in mir wie ein entwöhntes Kind bei seiner
Mutter.“
Das
ist eine höchst dramatische Geschichte, die uns hier erzählt wird. Und dabei
treten nicht Massen auf, es sind nicht einmal zwei Leute beteiligt. Das ganze
Drama spielt sich ab im Herzen eines einzigen Mannes. Es ist eine
Kurzgeschichte des Herzens.
Darum
werden flache, herzlose Leute, deren geistige Kost ein Schlager ist und die mit
den üblichen Massenvergnügungen zu sättigen sind, kein Wort verstehen von
dieser seltsamen Geschichte.
Um
was handelt es sich?
Hier
erzählt David. Ihr kennt doch hoffentlich den David, diesen wundervollen Freund
Gottes. Seine Jugend verlebte er als Hirtenknabe auf den Feldern Bethlehems.
Dann riss ihn Gott heraus. Nach dem Sieg über Goliath wurde er ein flüchtiger, verfolgter
Mann, der jahrelang in den Höhlen und Klüften sich bergen musste, bis er König
über Israel wurde.
Er
deutet uns die Geschichte nur an: Da ist ein heißes Herz mit großen
Sehnsüchten, mit starkem Verlangen. In dem Vers vorher spricht er davon, wie er
mit stolzem Herzen und hoffärtigen Augen nach großen Dingen getrachtet habe.
Wir spüren den Sturm eines großen Herzens, aus dem es wie ein Vulkan herausbricht. Und auf einmal ist das alles zu Ende. Stattdessen
ist ein ganz großer, tiefer Seelenfriede da. Der große Friede, nach dem ein
Gewaltiger im Reich des Geistes, Goethe, vergeblich verlangt hat: „Süßer
Friede, komm, ach komm in meine Brust!“
1) Es ist weder Resignation noch Altersschwäche
„Ich
habe meine Seele gesetzt und gestillt“, sagt David. Ich habe einmal gehört, dass
es sehr schwer ist, echte Perlen von geschickten Imitationen zu unterscheiden.
Der tiefe Seelenfriede ist solch eine Perle. Auch von dem gibt's Imitationen. Ich
möchte euch zwei davon zeigen, um euch vor Verwechslungen zu schützen.
Da
ist die Resignation. Ja, wie soll ich dies Fremdwort übersetzen? Der
enttäuschte Verzicht auf große Wünsche! In der Nähe meines Elternhauses in
Frankfurt stand über der Tür einer entzückenden Villa ein Spruch, der mich als
Jungen entsetzt und erschüttert hat. Er hieß: „Ich hab mir vorgenommen / grad
durch die Welt zu kommen. / Es wollte mir nicht glücken / ich musst mich
oftmals bücken.“ Ich fühle noch, wie es mich kalt angeweht hat aus diesem Satz,
dies „Ich habe mich abgefunden, dass meine Wünsche zu Bruch gingen.“
O
diese schreckliche Resignation! Da denke ich an einen Pfarrer, der mir sagte: „Ich
wollte eine Welt erobern. Aber die Menschen sind ja so dumm und stumpf. Jetzt
tue ich halt meine Amtsgeschäfte und lebe im Übrigen meinen Liebhabereien.“ „Ich
habe mich abgefunden!“ Ich denke an einen ehrgeizigen jungen Mann, der es weit
bringen wollte. Nun hat er sich abgefunden mit einer kleinen Beamtenlaufbahn. O,
die Welt ist voll mit solchen Enttäuschten und Resignierten.
„Ich
habe mich abgefunden!“ Das klingt so ähnlich wie „Ich habe meine Seele
gestillt.“ Und doch ist es davon so verschieden wie eine Imitation von einer
echten Perle.
Eine
andere Imitation des Seelenfriedens ist die Arterienverkalkung des Alters. Alte
Leute haben keine heißen Herzen und großen Wünsche mehr. Das sieht dann aus wie
so eine Art Seelenfrieden, hat aber nichts damit zu tun: „Ich habe meine Seele
gesetzt und gestillt.“ Ich bin überzeugt, dass der David das als ganz junger
Mann gesagt hat, als er wie ein gehetztes Wild in der Wüste sich bergen musste.
Also:
Der tiefe Seelenfriede ist weder Resignation noch Altersschwäche.
2) Es ist der völlige Friede mit Gott
David
gebraucht ein seltsames Gleichnis: „Meine Seele ist wie ein entwöhntes Kind bei
seiner Mutter.“ Was meint er damit? Da ist eine Mutter, die ihr Kind selber
nährt an ihrer Brust. So ist es natürlich und gut. Solange sie nun ihr Kind
allein stillen kann, wird das Baby immer nach der Brust der Mutter gieren, so
oft sie es auf den Arm nimmt. Ganz anders aber ist es, wenn das Kind entwöhnt
ist. Dann verlangt es nichts mehr von der Mutter. Es ist zufrieden und still,
wenn es nur auf dem Schoß der Mutter sitzen darf. So ein entwöhntes Kind in den
Armen der Mutter – dies ist David ein wundervolles Bild für tiefen Frieden. So –
sagte er – darf ich jetzt ganz still ruhen am Herzen des herrlichen Gottes.
Unsre großen Liederdichter haben das Bild aufgenommen. Paul Gerhardt singt: „Denn
wie von treuen Müttern / in schweren Ungewittern / die Kindlein hier auf Erden
/ mit Fleiß bewahret werden – / also auch und nicht minder / lässt Gott ihm
seine Kinder, / wenn Not und Trübsal blitzen, / in seinem Schoße sitzen.“
Solch
ein Ruhen an Gottes Herzen – solch ein Sitzen in seinem Schoße – solch ein
völliger Friede mit Gott – ja, das ist allerdings etwas anderes als der übliche
Glaube an den „Herrgott“. Ich kann sogar alle Wahrheiten des Christentums
kennen und glauben und bin doch weit entfernt von solch tiefem Frieden. Denn – und
das ist wichtig – dieses Ruhen in Gott hat eine Voraussetzung: Es darf nicht
mehr das Geringste zwischen ihm und mir stehen. Gott ist heilig, und er nimmt
es genau. Und darum ist es noch nicht einmal genug, dass wir unser Herz und
Leben ihm ganz ergeben. Wir brauchen – ja, nun muss ich ein Wort sagen, mit dem
der Mensch von heute angeblich nichts anfangen kann, aber ohne das es nicht die
Spur von Seelenfrieden gibt – wir brauchen: Vergebung der Sünden durch Jesu
Blut.
Ich
habe einen Menschen gekannt, genau gekannt, im Alter gekannt, an dem ich diesen
tiefen, herrlichen Frieden gesehen habe. Das war meine eigene Mutter.
Von
ihr muss ich eine Geschichte erzählen. Es gab eine Stunde, in der sie uns ihr
Herz aufgedeckt hat. Das war an ihrem 80. Geburtstag. Wir hatten ihn herrlich
gefeiert, viele Kinder und Enkel. Wir hatten sie gerühmt und gepriesen, weil
sie eine wundervolle Mutter war. Nun war das Fest zu Ende. „Wir wollen noch ein
Lied singen, das Mutter sich wünscht!“ sagte mein Bruder. Es wurde still. Wir
warteten. Was würde sie sich wünschen? Sicher: „Nun danket alle Gott …“ oder so
etwas.
Da
sagte sie leise: „Singt mir: Es ist ein Born, / draus heilges
Blut / für arme Sünder quillt …“ Da sangen wir dies Lied von Jesu Kreuz und
Blut, das die Vergebung der Sünden rühmt. Und nun wussten wir, woher der tiefe
Friede der Mutter kam. Friede mit Gott durch Vergebung der Sünden! Das ist der Friede,
um den Goethe bittet und nach dem die ganze Welt sich sehnt.
3) Es ist das Ja-Sagen zu Gottes Führung
„Im
habe meine Seele gesetzt und gestillt“, sagt David, der junge, verfolgte David.
Und im Vers vorher erklärt er: „Ich wandle nicht in großen Dingen, die mir zu
hoch sind.“
Das
heißt ja: Es ist bei ihm das geschehen, was wir in einem Lied hören: „All mein
Wunsch und all mein Wille / gehn in Gottes Willen
ein.“
Die
meisten Menschen sind unglücklich. Sie reiben sich an den Verhältnissen. Wir
haben unsre Wünsche und Pläne. Gott führt uns anders. Nun reiben wir uns an
unsrer Führung, verbiegen sie, und alles wird schief und verkehrt.
Erlaubt
mir, hier einmal ganz persönlich zu sprechen. Es ist mir so ungeheuer wichtig
geworden, dass mein Leben nur etwas werden kann, wenn ich unter Gottes Führung
stehe. Er hat sicher mit jedem Leben einen Plan. Da war einmal eine Zeit, in
der hielt ich einen Wechsel in meinem Leben für angebracht. Ich meinte, zum
Jugendpfarrer sei im doch nun zu alt. Und ich dachte, eigentlich könnte im mich
doch ausstrecken nach einem größeren und bedeutenderen Amt in der Kirche. Ich
war unzufrieden und unglücklich.
Innerlich
zerrissen ging ich in den Stadtwald. Es war ein trüber Novembertag und kein
Mensch weit und breit zu sehen. Da habe ich mit Gott geredet und er mit mir.
Das kann man nicht näher schildern. Aber da sagte er mir deutlich: „Ich will von
dir gar nichts anderes, als dass du den jungen und alten Menschen in Essen das
Evangelium predigst.“ Als ich das wusste und von Herzen „Ja“ dazu sagte, kam
ein ganz unbeschreiblicher Friede in mein Herz.
„So
nimm denn meine Hände und führe mich …“ Das ist nicht ein sentimentales Lied
für die goldene Hochzeit, sondern die Bitte von Menschen, die sich nach Frieden
sehnen.