„Da sprach Jakob zu seinem Hause und zu allen, die mit ihm
waren: Tut von euch die fremden Götter, so unter euch sind, und reinigt euch,
und ändert eure Kleider... Da gaben sie ihm alle fremden Götter, die unter
ihren Händen waren, und ihre Ohrenspangen; und er vergrub sie unter einer
Eiche, die neben Sichern stand."
1. Mose 35, 2 und 4
Heute wollen wir von einem Grab sprechen.
Bei diesem Grabe handelt es sich aber nicht um eine
betrübliche, sondern vielmehr um eine sehr frohe Geschichte. Es geht da auch
gar nicht kümmerlich, sondern herrlich und großartig zu. Wir überschreiben die
Geschichte:
1. Wie es zu diesem Grabe kam
Unsre Textgeschichte erzählt von dem großen Gottesmann
Jakob. Aus dem armen Jüngling war ein reicher Mann geworden. Ihn umgab ein
Gewimmel von Kindern, Enkeln, Knechten und Herden. Da hatte er jeden Tag
unendlich viel zu tun und zu regeln. Jakob wird wahrscheinlich oft ein
geplagter und gehetzter Mann gewesen sein.
Aber — es war merkwürdig —: Je mehr Jakob sich nun mühte,
desto schwieriger wurden die Verhältnisse, desto mehr drang auf ihn ein.
Und dann auf einmal — geradezu unmotiviert — steht da in der
Geschichte: „Und Gott sprach zu Jakob: Mache dich auf und ziehe nach Bethel und
mache daselbst einen Altar dem Gott, der dir einst erschien!"
Gott redet nur in der Stille. So müssen wir annehmen, dass
Jakob aus aller Verworrenheit seines Lebens, aus allen Nöten und aus aller
Unruhe in die Stille geflüchtet ist. Und da redet Gott! Es wird uns lange nicht
alles berichtet, was Gott Jakob in dieser Stunde aufdeckte. Es liegt immer ein
großes Geheimnis über solchen Stunden, wo Gott mit einer Seele allein redet.
Aber wir können Einiges ahnen:
Gott sagt etwa so: „Sieh, Jakob! Es ist nicht von ungefähr,
dass dein Leben so hart und unruhig geworden ist. Denn in deinem Leben und in
deinem Hause ist nicht mehr alles, wie es sein sollte. Da haben sich
heidnisches Wesen und weltliche Eitelkeit eingeschlichen. Da wird der Heilige
Geist betrübt. Das Geisteswesen hat nicht mehr die Oberhand."
Diese stille Stunde mit Gott wurde für das Leben Jakobs
entscheidend. Und wer aufmerksam die Bibel liest, wird bald entdecken, dass
solche Gottesstunden das Wichtigste im Leben aller Knechte Gottes sind.
Haben wir noch die Fähigkeit zur Stille vor Gott? Zu solcher
schöpferischen Pause? Der katholische Professor Pieper hat in einer bedeutsamen
Schrift dargestellt, dass — ganz anders als in anderen Erdteilen und Rassen —
das Kennzeichen der abendländischen Kultur ein eiserner und verbissener
Arbeitsdrang ist. Der Preis, den wir dafür bezahlt haben, ist ungeheuerlich: Es
fehlt uns das Atemholen des inneren Menschen.
Dazu kommt der Wahnsinn unsres sogenannten Kulturlebens.
Jeder ist beständig einem Hagel von äußeren Eindrücken ausgesetzt: von
Fernsehen und Sensationen, von Zeitungen und Politik, von Radio und
Unterhaltung. Der Mensch lebt nur noch von dem, was von außen auf ihn gepresst
wird.
Und da hinein tönt wie eine tiefe Glocke das Wort des 46.
Psalms: „Seid stille und erkennt, dass ich Gott bin!" Die griechische
Bibel übersetzt: „Habt musse und erkennt, dass ich Gott bin!"
2. Wie das seltsame Begräbnis stattfand
Kehren wir zu Jakob zurück, nachdem wir festgestellt haben,
dass
seine Lebensprobleme im Grunde die gleichen waren wie die
des
modernen Menschen.
Jakob tritt unter seine Leute und fordert sie auf: „Tut von
euch die
fremden Götter, so unter euch sind, und reinigt euch!"
Da gaben sie
ihm die Götzen und Ohrenspangen; und er vergrub sie unter
einer
Eiche zu Sichern.
Das war eine Stunde! Ich sehe im Geist, wie der Jakob unter
der alten Terebinthe das Grab geschaufelt hat. Und nun tritt einer nach dem
andern vor und wirft in die Grube, was Gott nicht gefällt. Da waren solche, die
sprangen freudig herbei. Auf ihren Gesichtern stand: „Endlich kommt mein Leben
in Ordnung!" Und da standen andre, deren Gesichter waren blass. Sie sahen
die Götzenbilder in ihren Händen an, wie süß und lieblich und wertvoll sie
waren. Was gab es da für ein Ringen in den Herzen! Und dann traten sie vor und
warfen — mit Tränen in den Augen. Aber sie warfen! Solch eine Grube sollten wir
haben! Aber — so möchte ich fragen — genügt ein Grab, in dem die äußeren
Zeichen meiner Weltliebe und Sünde versinken? Ich müsste ein Grab haben, in das
mein böses Herz und mein ungeistliches Wesen versenkt werden könnten. Wenn es
doch solch ein Grab gäbe!
Freunde! Das gibt es! Es ist das Kreuz des Sohnes Gottes auf
Golgatha, das für alle Zeiten und für alle Menschen aufgerichtet worden ist.
Ich sehe im Geist, wie durch die Jahrhunderte hindurch alle Knechte und Mägde
Gottes — ach nein! alle Kinder Gottes zu diesem Kreuze pilgern und dort ihre
Lieblingssünden, ja, ihre alte, böse Natur in den Tod geben; wie sie unter dem
Kreuze stehen und flehen: „Liebe, zieh uns in dein Sterben, / lass mit dir
gekreuzigt sein, / was dein Reich nicht kann ererben! / Führ' ins Paradies uns
ein." dass wir doch die Botschaft vom Kreuz recht erfassen wollten! Das
Kreuz Jesu ist die Versöhnung mit Gott. Aber es ist mehr! Paulus sagt: „Jesus
Christus ist uns von Gott gemacht zur Heiligung." Das Kreuz ist das Grab
unserer Liebe zur Welt und zur Sünde. Das Kreuz ist das Grab, wo unsere alte,
ungeistliche Natur in den Tod gegeben wird. Bildet euch nicht ein, ihr wüsstet
etwas vom Christenstand, wenn ihr nicht versteht, was das heißt: „Ich bin mit
Christo gekreuzigt." Oder: „Durch ihn ist mir die Welt gekreuzigt und ich
der Welt."
O Freunde! Seid stille und erkennt, wer Gott ist und wie es
um uns steht! Und dann lasst uns unser Leben unter Jesu Kreuz gründlich in
Ordnung bringen! Lasst uns zu Gott schreien wie der Liederdichter Gottfried
Arnold in dem Verse: „Herr, zermalme, brich, vernichte / alle Macht der
Finsternis, / unterwirf sie dem Gerichte, / mach des Sieges uns gewiss. / Heb uns
aus dem Staub der Sünden, / wirf die Schlangenbrut hinaus, / lass uns wahre
Freiheit finden / droben in des Vaters Haus."
3. Wie der ganze Vorgang zu einer Bereicherung führte
Kehren wir noch einmal zu Jakob zurück! Glaubt mir, es waren
in jenes Grab Dinge versenkt worden, die einen großen Wert darstellten. Und
ein Volkswirtschaftler könnte sich ausrechnen, um wie viel ärmer das Volk des
Jakob nun war.
Aber am Ende hätte er sich doch verrechnet. Denn wenn wir
die folgenden Verse in der Bibel lesen, dann erfahren wir mit Erstaunen, dass
das Heer Jakobs unendlich reich geworden war. In Friede und Freude zogen sie
nach Bethel. Die Furcht des Herrn fiel auf alle Heiden ringsum, die ihnen Not
gemacht hatten.
Das ist das geheimnisvolle Gesetz im Christenstand: Je mehr ich mich entäußere von dem, was Gott nicht gefällt, je mehr ich mit Jesus sterbe, je ärmer ich in mir selbst werde, je mehr ich opfere — desto reicher werde ich an allen Gaben des Heiligen Geistes: an Freude, Frieden, Hoffnung, Vollmacht. Nur der Mensch, der in der Stille vor Gott lebt, der geistlich gesinnt ist, den die Welt einen armen Narren heißt, der ist in Wahrheit reich in Gott.