Sonntag Exaudi — Himmelfahrt 1944
»Und es geschah,
da er sie segnete, schied er von ihnen und fuhr auf gen Himmel. Sie aber
beteten ihn an und kehrten wieder gen Jerusalem mit großer Freude.« (Lukas 24,
51-52)
Auf einsamer Bergeshöhe steht der Herr mit seinen Jüngern.
Eben hat er die Hände erhoben, um sie zu segnen. Da geschieht etwas Unerhörtes,
Erschütterndes: Eine Wolke nimmt den Herrn vor den Augen der Jünger hinweg. Der
Herr geht zurück in die Welt, aus der er gekommen war. Wer nun den nüchternen
Bericht über dieses Ereignis aufmerksam liest, der muss sich wundern. Denn da
steht etwas sehr Merkwürdiges, ja Ärgerliches: »Er schied von ihnen... und sie
kehrten wieder um mit großer Freude.« Das sieht ja so aus, als seien sie froh
gewesen, als er weg war.
Standen die Jünger so zu ihrem Herrn? Nein! Um dieses Rätsel
zu verstehen, müssen wir nach dem Satz »Er schied von ihnen« ein paar Sätze
einschieben, die im Bericht nicht gesagt sind.
1. Er schied von ihnen, um im Geist immer bei ihnen zu sein
Die Jünger hatten in den 40 Tagen nach der Auferstehung Jesu
einen intensiven Unterricht gehabt. Dieser Unterricht war auf das eine
abgestellt: »Liebe Jünger, ihr müsst meine Worte ganz ernst nehmen. Wie oft
habe ich euch z.B. gesagt, dass ich sterben werde für die Welt und am dritten
Tage auferstehen werde. Aber als es eintrat, habt ihr es
nicht begriffen. Nehmt meine Worte ernst!« Und das wollten sie nun tun. Nun
hatte er ihnen gerade eben gesagt: »Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt
Ende.« Und jetzt wirkte der Unterricht. »Er hat gesagt: >Ich bin bei
euch<. Also ist er bei uns, auch wenn er unseren Augen entnommen ist.«
Wenn einer die Jünger bei ihrem Heimweg getroffen hätte,
hätte sich vielleicht folgendes Gespräch ergeben: »Wo ist euer Herr?« — »Der
ist zu seinem Vater zurückgegangen.« — »Aber wenn er fortgegangen ist, wie
könnt ihr dann so fröhlich sein?« — »Er ist ja gar nicht von uns gegangen. Er
ist bei uns jetzt und alle Tage.«
Da hätte der Fremde wohl den Kopf geschüttelt und gedacht:
»Die sind verrückt, ihre Sinne sind verwirrt.« Was versteht die Welt auch von
der Gegenwart Jesu im Geist? Ja, die Jünger waren nun besser dran als früher.
Wie oft war es früher geschehen, dass der Herr nicht bei ihnen war, wenn sie
ihn am nötigsten gebraucht hätten. Z.B. als sie einmal bei Nacht auf dem See
waren und der Wind ihnen zuwider war; oder als ein Vater mit seinem
anfallskranken Knaben kam und sie sich nicht zu helfen wussten. Wie oft hatten
sie ihn suchen müssen, wenn er sich zum Gebet heimlich von ihnen gestohlen
hatte. Das war nun vorbei seit der Himmelfahrt. Nun ist Jesus immer bei den
Seinigen. Nun heißt es überall und immer bei Christen: »Ach mein Herr Jesu,
Dein Nahesein bringt großen Frieden ins Herz hinein. Und Dein Gnadenanblick
macht uns so selig, dass Leib und Seele darüber fröhlich und dankbar wird.«
Darum kann jeder Christ mit großer Freude — wie die Jünger —
von der Himmelfahrt Christi aus seine Straße wandern.
2. Er schied von ihnen, um den Thron des Siegers zu
besteigen
Vor einiger Zeit war ich in einem Konstruktionsbüro. Da
hatte man eine Bauzeichnung aufgespannt. Für mich war das nur ein verwirrendes
Durcheinander von Linien und Zahlen. Für den Ingenieur aber ist solch ein Plan
ganz verständlich und durchsichtig.
So wie es mir mit dieser Bauzeichnung geht, so geht es den
meisten Menschen mit dem Evangelium. Es ist ihnen eine unverständliche und
verworrene Sache: Sohn Gottes! Jungfrauengeburt! Kreuz! Versöhnung! Auferstehung!
Das sind alles verworrene, dogmatische, mittelalterliche Begriffe. Die Jünger
aber standen vor all dem wie der Ingenieur vor dem Plan. Es war ihnen alles
klar geworden. Sie verstanden das Geheimnis des Kreuzes, so dass sie es später
in geradezu klassischer Weise weitersagen konnten. So schrieb Petrus später (1.
Petrus 1, 18): »Wisset, dass ihr nicht mit vergänglichem Silber oder Gold
erlöst seid von eurem eitlen Wandel nach väterlicher Weise, sondern mit dem
teuren Blut Christi als eines unschuldigen und unbefleckten Lammes.« Oder
Johannes schrieb später (Johannes 3, 16): »Also hat Gott die Welt geliebt, dass
er seinen eingeborenen Sohn gab, auf dass alle, die an ihn glauben, nicht
verloren werden, sondern das ewige Leben haben.« Wer das Geheimnis der Erlösung
und der Versöhnung durch das Blut des Sohnes Gottes erfasst hat, der wird eine
unendliche Liebe zu diesem guten Hirten und barmherzigen Heiland empfinden. Er
wird den einen Wunsch haben, dass dieser Herr geehrt und erhoben werde. So ging
es den Jüngern. Am Tage der Himmelfahrt erlebten sie es, wie ihr Herr zur
Rechten Gottes erhöht wurde. Sie hörten im Geist die Lobgesänge der himmlischen
Heerscharen zu Ehren des Siegers. Ihnen fiel Psalm 47, 6 ein: »Gott fährt auf
mit Jauchzen und der Herr mit heller Posaune.«
Himmelfahrt ist die Thronbesteigung Jesu. Da sagte der Vater
zu ihm: »Setze Dich zu meiner Rechten, bis ich lege Deine Feinde zum Schemel
Deiner Füße.« Und seht, diese Erhebung ihres Heilands ergötzt die Jünger. Darum
gehen sie und alle Liebhaber Jesu mit großer Freude vom Berg der Himmelfahrt.
3. Er schied von ihnen, um ihnen die Stätte zu bereiten
Diese Jünger waren als Jünger zum Berg der Himmelfahrt
gegangen. Als Apostel, d.h. als Gesandte, kehrten sie zurück. Sie machten sich
keine Illusionen. Sie wussten, dass die Welt sie ausstoßen, verfolgen, ja töten
werde, wie es ja auch geschehen ist. Denn die Welt kann jeden Zotenreißer eher
ertragen als einen rechten Zeugen Jesu. Die Jünger wurden also heimatlos in der
Welt. Und doch waren sie erfüllt mit großer Freude. Seltsam! Nun, sie dachten
an ein Wort Jesu: »In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Und ich gehe
hin, euch die Stätte zu bereiten« (Johannes 14, 2).
Wir wissen doch alle, was ein Quartiermacher ist. Der muss
für die nachfolgende Truppe Unterkünfte besorgen. Der Heiland ist unser
Quartiermacher in der zukünftigen Welt. »Ich gehe hin, euch die Stätte zu
bereiten.« Als Schuljunge lernte ich einen Vers, der mir damals gar nichts
sagte. Aber seit die Welt mir viel Übles tat, seitdem mein Haus verbrannte,
mein Sohn gefallen, meine Kirche zerschlagen ist, wird er mir so wichtig:
»Auf Christi Himmelfahrt allein
ich meine Nachfahrt
gründe
und allen Zweifel, Angst und Pein
hiermit stets überwinde.
Denn weil das Haupt im Himmel
ist wird seine Glieder Jesus Christ
zur rechten Zeit nachholen.«
Oh, dass doch die vielen, die abgebrannt, ausgebombt und
heimatlos geworden sind, sich recht zu diesem himmlischen Quartiermacher halten
wollten. Jesus ist vorangegangen. Nun ziehen wir als Erlöste dem Himmel
entgegen. Wir wollen uns nicht aufhalten lassen.