Septuagesimae 1944
»Desgleichen auch die Hohenpriester spotteten sein samt den
Schriftgelehrten und Ältesten ...« (Matthäus 27, 41)
Von dem großen Gottesmann Mose heißt es einmal: »Er war ein
sehr geplagter Mensch über alle Menschen auf Erden.« Das steht in 4. Mose 12, 3
wo eine der schwersten Stunden des Mose geschildert wird. Viel Hass,
Feindschaft und Kampf hat Mose durchmachen müssen: Kampf mit den Ägyptern, mit
Pharao, mit den Amalekitern, mit dem widerspenstigen Volk. Aber nun, bei
Hazeroth, kam die schlimmste Sache: da standen seine eigenen Geschwister gegen
ihn auf und wollten ihn beiseite stoßen. »Redet der Herr allein durch Mose?
Redet er nicht auch durch uns?« rufen sie.
Aber dann heißt es da: »Und der Herr hörte es. Und er stand
auf und trat gewaltig für seinen Knecht Mose ein.« In unserem Text sehen wir
einen Größeren als Mose in ähnlicher Lage. Der Sohn Gottes muss erleben, wie
die Repräsentanten Gottes, die Hohenpriester und Schriftgelehrten, gegen ihn
aufstehen. Die ihm am nächsten stehen sollten, die schmähen ihn. Und Gott
greift nicht ein — anders als einst bei Mose. Jesus war noch geplagter als
Mose, das ist eine ernste Sache, die wert ist, dass man darüber nachdenkt.
Der Spott der Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten.
1. Dieser Spott ist folgenreich
Die Hohenpriester, Schriftgelehrten und Ältesten waren
prominente Leute. Was sie taten, das machten viele nach. Verspotteten sie den
Heiland, dann tat das arme Volk es auch. Stießen sie das Heil von sich, dann
machten es Tausende im Volk auch so. Mit diesem Spott rissen sie viele mit ins
ewige Verderben. In Markus 9, 42 spricht der Heiland von solchen Leuten, die
ihren Einfluss ausnutzen, um andere von ihm wegzuziehen. Da sagt er: »Es wäre
ihnen besser, dass ein Mühlstein an ihren Hals gebunden und sie ins Meer
geworfen würden.« Unter dieses Wort fielen die Priester, Schriftgelehrten und
Ältesten. Ich muss einen Augenblick dabei stehen bleiben. Jeder Mensch hat einen
Einflusskreis. Ehegatten beeinflussen einander, Jungen ihre Freunde, Lehrer
ihre Schüler usw. Was machen wir daraus? Man kann den anderen mit sich in die
Hölle oder in den Himmel bringen! Ein Mann ging einmal mit seinem Jungen über
Land durch tiefen Schnee. Der Vater voraus, der Junge hinterher. Dann drehte
der Vater sich um: »Junge, kommst du auch mit?« — »Ja, Vater«, rief der, »ich
gehe genau in deinen Fußstapfen!« Da erschrak der Vater, galt das nicht auch
in anderer Hinsicht? Und er — das sagte ihm sein Gewissen — war nicht auf dem
Weg zum ewigen Leben. Nun ging wohl sein Junge auch hier in seinen Fußstapfen.
Da fing der Mann um seines Jungen willen ein anderes Leben an. Auch in unseren
Fußstapfen gehen andere. Führen unsere Fußstapfen zu Jesus, zum Heil, zum
ewigen Leben?!
2. Dieser Spott ist verwunderlich
Es ist in zwei Jahrtausenden viel Spott über den
Gekreuzigten ergangen. Und bis zum Ende der Welt wird es so bleiben, dass die
Gottesleugner, die Atheisten, die frechen Sünder, die Leichtsinnigen den Herrn
verspotten werden. Das wird so lange gehen, bis sie am Ende inne werden, dass
in Wahrheit sie die Verspotteten sind. Denn in Psalm 2, 4: heißt es: »Der Herr
spottet ihrer.« Aber meine Freunde, darum handelt es sich ja hier in unserem
Text gar nicht. Hier spotten ja nicht die Gottesleugner, die frechen Sünder,
die Leichtsinnigen. Hie treten die ehrbaren Leute gegen den Sohn Gottes auf,
die religiösen Leute, die an Gott glauben, die Leute, die mit Erfolgen und
guten Werken aufwarten können. Sie verspotten den Sohn Gottes. Erstaunlich! In
Hebräer 1, 1 heiß es: »Nachdem Gott vorzeiten geredet hat zu den Vätern hat er
am letzten zu uns geredet durch seinen Sohn.« Jesu — ich kann das nicht oft
genug sagen — ist Gottes letzte Wort an die Welt. Wer den nicht hört, kommt in
die Zorn des Schweigens Gottes.
Und nun seht: Dieses letzte Wort Gottes, den Sohn, lehnen
diese religiösen, ordentlichen Leute unter Hohnworten ab Als Gottes
fleischgewordenes Wort in Jesus zu ihnen kommt, stellen sie ihre eigene Gerechtigkeit,
ihre Bravheit und ihre Religion wie einen Schild vor sich hin und brüllen »Wir
wollen das nicht!«
Ihr kennt doch wohl die Geschichte vom Sündenfall. Als Adam
mit Gott zerfallen war, da versteckte er sich vor Gott hinter den Büschen im
Garten Eden (1. Mose 3, 8). Man kann sich auch hinter anderen Dingen
verstecken. Diese Leute hier versteckten sich hinter ihrer Religion und hinter
ihrer Gerechtigkeit. Wie viele kenne ich, die sich so hinter ihrer Religion und
Tüchtigkeit verstecken, wenn der Anspruch und die Barmherzigkeit Gottes durch
Jesus Christus zu ihnen kommen. »Adam, wo bist du?« rief Gott im Paradies,
»komm heraus zum Gericht.« »Mensch, wo bist du?« ruft Gott heute durch Jesus
wieder. Aber das ist kein Ruf zum Gericht. »Komm heraus in all deiner Armut,
Not und Schuld«, ruft er, »komm hervor! Du sollst errettet werden!«
3. Dieser Spott ist begreiflich
Wer das Evangelium kennt, der weiß: Diese Hohenpriester,
Schrift gelehrten und Ältesten hatten alle Veranlassung, gegen diesen Jesus
aufzutreten. Sie haben ihn ja nicht begriffen. Aber, wenn sie ihn verstanden
hätten, dann hätten sie nicht nur gespottet. Dann hätten sie gerast oder sich
zu ihm bekehrt. Nun fühlten sie es dumpf, dass sie ihn hassen mussten. Warum?
Weil er sie ganz und gar überflüssig machte. Weil er an ihre Stelle trat. Das
muss ich euch aufzeigen:
Da waren die Ältesten. Sie hatten die Leitung und Führung
der alttestamentlichen Gemeinde. Nun tritt an ihre Stelle die Gemeinde des
neuen Bundes, die der Herr Jesus mit seinem Blut erkauft hat. Und die leitet
und führt er selbst durch seinen Geist und durch sein Wort. In einem Lied heißt
es: »Herr und Ältester deiner Kreuzgemeinde.« Ja, das ist er, und er allein!
Am 13. November
1741 fand in der Brüdergemeine ein merkwürdiger Vorgang statt. Da wurde der
Herr Jesus feierlich zum General-Ältesten der Gemeinde erklärt. Man wollte
unübersehbar deutlich machen, wer die Gemeinde regierte, wer ihr König sei.
Dann spotteten da unter dem Kreuz die Schriftgelehrten. Auch sie wurden
abgetan. Auch an ihre Stelle trat Jesus. Wie oft heißt es in der Bibel: »Er
öffnete ihnen die Schrift.« Er allein kann das und tut das. Ja, mehr! Er legt
nicht nur die Propheten aus. Er selbst ist der größte Prophet. Er ist mehr als
alle Propheten. Er selbst ist ja das fleischgewordene Wort Gottes. Damit waren
natürlich alle willkürlichen Auslegungen der Schrift hinfällig. Nun ist er
unser Schriftgelehrter.
Und da waren die Hohenpriester. Auch sie wurden durch Jesus
abgetan. Sie hatten viele Opfer dargebracht zur Versöhnung. Aber alle diese
Opfer konnten kein Gewissen reinigen. Doch seht! Da am Kreuz hängt der wahre
Priester, der sich selbst zum vollgültigen Opfer darbringt. Dies Opfer versöhnt
die Welt mit Gott. Dies Opfer reinigt von Sünden. Dies Opfer macht Gewissen
frei. Nun sind alle Priester abgetan, weil er unser Priester ist. So weist uns
unser Text auf das dreifache Amt Jesu: als König, Priester und als Prophet.
Gott schenke uns, dass wir ihn als solchen erkennen und ihm
glauben.