„Und die zwölf Steine, die sie aus dem Jordan genommen hatten,
richtete Josua auf zu Gilgal."
Josua 4, 20
Erlaubt mir, dass ich eure Aufmerksamkeit auf ein seltsames
Denkmal richte.
Ich weiß: Denkmäler stehen bei uns nicht hoch im Kurs. Die
Zeiten ändern sich zu schnell. Ein Mann, dem man vielleicht heute ein Denkmal
errichten wollte, ist morgen schon vergessen oder als Verbrecher entlarvt.
Darum hat unsere Zeit an Stelle von Denkmälern einfach und praktisch die Straßennamen
gesetzt. Die lassen sich schnell und billig ändern und sind auch eine ganz
hübsche Erinnerung. Wir sind also wieder einmal sehr unzeitgemäß, wenn wir uns
mit einem Denkmal beschäftigen. Und nun gar mit einem Denkmal, das vor 3000
Jahren bei Gilgal am Jordan errichtet wurde! Aber es lohnt sich, dies Denkmal
anzusehen. Denn es ist ein Vorbild und eine Abschattung des wichtigsten
Denkmals aller Zeiten: des Kreuzes auf Golgatha.
1. Es bezeugt eine Entscheidung Gottes
Nun muss ich zunächst von dem Denkmal erzählen. Da wird uns
im Buch Josua berichtet, wie das Volk des Alten Bundes, das Gott aus der
schrecklichen Sklaverei in Ägypten erlöst hatte, nach 40jähriger Wanderung am
Jordan stand. Dort drüben lag das ersehnte Land der Freiheit. Aber — es führte
kein Weg hinüber. Und es gab wirklich keine menschliche Möglichkeit, dass dies
arme Nomadenvolk mit Weibern, Kindern und Herden im Angesicht seiner Feinde
über den Strom kommen konnte. Nun war eigentlich alles zu Ende.
Doch der lebendige Gott war noch da. Er schafft spielend
Wege, wo wir keine mehr sehen. Ja, Gott war noch da!
Aber — da war ein schlimmes „Aber"! Die 40 Jahre, die
hinter Israel lagen, waren böse Jahre, voll von Ungehorsam gegen Gott oder von
Gleichgültigkeit gegen Ihn. Da hatte man sich gegen Gott empört oder war Ihm
weggelaufen. Wie oft hatte Gott sagen müssen: „Sie haben mich erzürnt..."
Ist das nur Israels Geschichte, oder ist es nicht auch die
unsrige?
Und nun standen sie am Jordan. Festgefahren! Was nun? Da
greif Gott ein: Er befiehlt, dass die Priester die Bundeslade, das Zeichen
Seiner Gegenwart, ergreifen und in den Fluss hineingehen sollen. Einfach
hineingehen! Die tun das. Und nun geschieht das Wunder: Vor ihrem Fuß weichen
die Wasser zurück. Gott schafft einen Weg. Seine Hände halten die Wasser auf.
Mitten im Strom bleiben die Priester stehen. Das Volk zieht an ihnen vorbei —
hindurch. Und da lässt der Anführer Josua zwölf große Felsblöcke aus dem
Strombett aufnehmen. Als alles vorbei ist, werden die am Ufer zu einem Denkmal
geschichtet.
Was predigt das Denkmal? Es sagt: Gott entschied sich für
uns. Er entschied sich für uns, als wir es nicht erwarten durften. Er entschied
sich für uns, obwohl wir Ihn erzürnt und betrübt haben. Er entschied sich für
uns aus reiner, bloßer Gnade, „ohn' all unser Verdienst und Würdigkeit".
Solch ein Denkmal sollten wir heute haben; heute, wo kein
Mensch mehr weiß, wie wir mit Gott dran sind! Wo nur eins klar ist, dass wir
Ihn schlimmer erzürnt haben als Israel. Ja, solch ein Denkmal sollten wir
haben!
Das ist die „Frohe Kunde" (= Evangelium): Wir haben
solch ein Denkmal! Es ist das Kreuz Jesu von Golgatha. Es sagt dir, dem Sünder:
Gott hat sich für dich entschieden. Aus lauter Liebe und Gnade. Gott will dich.
Gott sagt „Ja" zu dir.
Ich entsetze mich bei dem Gedanken, es könnte einer hier
diese Botschaft zur Kenntnis nehmen und dann in seinem Leben alles beim alten
lassen. Das Kreuz sagt: Gott hat sich für dich entschieden. Nun ist eine
Entscheidung bei dir fällig.
Mit ein paar Brüdern bete ich vor jedem Gottesdienst. Und da
bewegt es mich, dass einer jedes mal bittet: „Herr, lass Entscheidungen für
Dich fallen!"
2. Es spricht vom Weg an das andere Ufer
Im Geiste sehe ich in späteren Zeiten einen Vater aus Israel
mit seinem Sohn an dem Denkmal vorbeigehen. Der Junge fragt: „Vater, was ist
das für ein seltsamer Steinhaufe?" Und dann erzählt der Vater: „Sieh, wir
standen einst ratlos dort drüben. Wo wir standen, war die Wüste. Am anderen
Ufer war das blühende Land. Wo wir standen, war die Unruhe. Am andern Ufer
waren die Ruhe und der Friede. Wo wir standen, waren die Armut und die Not. Am
andern Ufer war der Reichtum ... O wie sehnten wir uns nach dem andern Ufer!
Aber wir sahen keinen Weg. Und nun sieh das Denkmal an: Hier hat Gott uns einen
wundersamen Weg bereitet, den Weg an das andere Ufer." So spricht der
Vater. Und in seinen Augen glänzen die Tränen der Bewegung.
Wir leben von Natur alle in der Wüste. Davon singt ein
Dichter: Hier ist Müh / morgens früh / und des Abends spät, / Angst, davon die
Augen sprechen, / Not, davon die Herzen brechen. / Kalter Wind oft weht."
Und ein anderer schildert die Menschen dieser Wüste: „Sie suchen, was sie nicht
finden, / in Liebe und Ehre und Glück / und kommen beladen mit Sünden / und
unbefriedigt zurück." Und das Schrecklichste: Es ist eine Welt ohne
Hoffnung. Was hast du zu erwarten? Das Grab! Und dann? Das Gericht Gottes. Und
wer könnte da bestehen?
Haben wir nicht schon manchmal Sehnsucht gehabt nach dem
andern Ufer? Nach einer Welt, wo man Frieden im Herzen und Frieden mit Gott
hat? Wo man sich ein Kind des lebendigen Gottes nennen darf? Wo man Vergebung
der Sünden und Trost in allem Leide kennt? Wo man das ewige Leben schon
ergriffen hat und sich hier schon auf den Himmel freuen kann? In unsern besten
Stunden schreit unser armes, friedeloses Herz: „Wo ist das Denkmal, das
Zeichen, dass mir der Weg zum andern Ufer gebahnt ist?"
Gott sei Dank! Wir wissen eine Antwort: Der Weg zum andern
Ufer führt über das Kreuz Jesu auf Golgatha. Darüber wäre viel zu sagen. Aber
heute kann ich euch nur ganz allgemein die Richtung weisen: „Der Weg zum
Paradiese / führt über Golgatha."
3. Es ruft die Welt
Als dort am Jordan die Felsblöcke aufgeschichtet waren,
sagte Josua zum Volke: „Wenn eure Kinder hernach ihre Väter fragen: Was sollen
diese Steine?, so sollt ihr ihnen sagen: Israel ging trocken durch den
Jordan... auf dass alle Völker auf Erden die Hand des Herrn erkennen."
Wenn dieser Steinhaufe schon ein Ruf an die Welt war, wie
viel mehr gilt das für das Kreuz, auf das jenes Denkmal hinweist. Was wir
predigen, geht alle Völker und Menschen an. Seit dem Turmbau zu Babel ist die
Zertrennung und Not der Völker- und Menschenwelt ins Ungemessene gewachsen. Und
was einst Jesaja Sa8te, gilt heute mehr als je: „Sie gingen alle in
der Irre wie Schafe, und ein jeglicher sah auf seinen Weg." Und das ist
ein Irrweg!
Das Kreuz ruft die Menschen aller Völker zum Heil Gottes. Jener Steinhaufe stand in Gilgal. Gilgal heißt auf deutsch etwa „wegwälzen". Das ist bedeutungsvoll. Die Menschen tragen unendliche Lasten. Von der größten Last jedoch reden sie nicht gern, von der Schuld vor Gott.
Das Kreuz aber ist das Gilgal für die Welt: Hier dürfen wir alle, alle Lasten abwälzen, Schuld und Not und Sorge. „Komm zum Kreuz mit deinen Lasten, / müder Pilger du. / An dem Kreuze kannst du rasten. / Da ist Ruh."