Manchmal erlebt man das
Walten des lebendigen Gottes so deutlich, dass man nur staunen muss. Und wenn
das geschieht, ist man – so glaube ich – immer irgendwie beschämt. Diese
Tatsache wurde mir durch folgendes Erlebnis neu bewusst:
Da saß ich am Steuer meines
Wagens und brummte ärgerlich vor mich hin. Es war auch wirklich kein Spaß zu
fahren: Der Regen troff nur so. Man konnte kaum durch die Scheiben sehen. Und
die Nacht war schwarz wie ein Tunnel. Dabei musste ich eine weite Strecke
zurücklegen. Es ging über lauter Straßen mit einem ekelhaften Kopfpflaster. Das
ist bei Regen schrecklich glatt. Und dann die Straßenbahnschienen! Der Wagen
rutschte nur so durch den großen Verkehr! Jedes entgegenkommende Auto, ja jeder
Radfahrer – und es wimmelte von Bergleuten, die zur Schicht fuhren! – warf mit
seiner Laterne eine lange Lichtbahn in die Nässe. Das blendete unerträglich! Das
war nun schon der dritte Abend, dass ich diese mühsame Fahrt machte. Und vier
Abende hatte ich noch vor mir. Dazu sah es gar nicht so aus, als wenn das
Wetter besser werden wollte.
Und warum das alles?
Da hatte nun so ein kleines
Dorf eine Evangelisation veranstaltet. Schön und recht! Aber was in aller Welt
hatte mich bewogen, diese Sache zu übernehmen? Eigentlich hatte ich selbst das
auch gar nicht getan. Wie war es denn dazu gekommen? Ein Jugendkreis meiner
Gemeinde war in dem Dorf freundlich aufgenommen worden. Und da hatte man sie am
Schluss gebeten: „Nun sagt doch eurem Pfarrer, er soll einmal eine Woche lang
bei uns Vorträge halten!“ Das hatten die Burschen so halb zugesagt. Jedenfalls versicherten
sie mir, ich dürfe sie jetzt nicht blamieren und absagen!
„Langsam! Langsam!“ Ich
fasse das Steuer fester. Es geht wieder um so eine gefährliche Kurve. Und natürlich
kommt mir ausgerechnet ein riesiger Lastwagen entgegen. Abblenden, das kennt
der Fahrer offenbar auch nicht … Vorsichtig schiebe ich meinen Wagen daran
vorbei.
Wirklich, es ist „zum Wild-Werden“!
Ich muss an den ärgerlichen Brief denken, der zu Hause auf meinem Schreibtisch
liegt. Aus einer Stadt im Süden ist er gekommen. Und die Leute dort beschweren
sich bitter, dass ich ihnen nun schon zum zweiten Mal eine Einladung
abgeschlagen habe.
Im Geist sehe ich die große
Stadtkirche vor mir. Unwillkürlich vergleiche ich sie mit dem armen DorfkirchIein in dem „Nest“. Nur mit Mühe und Not bekommt
man da ein paar Leute zusammen. Das ist ja so verständlich: wer mag bei diesem
Wetter die weiten Wege aus den zerstreuten Bauernhöfen antreten! Das müssen
immerhin sehr hungrige Seelen sein!
Im Gedanken an diese
verlangenden Herzen wird mir ein bisschen besser zu Mute.
So, und nun haben wir
endlich die letzten Zechen hinter uns. Jetzt kann man etwas freier fahren. Wir überholen
ein paar triefende Gestalten, die zu der Dorfkirche eilen – durch Nacht und
Sturm! Wirklich – das Bild packt uns. Und man schämt sich schon fast seines Ärgers.
Aber das Eigentliche kommt
erst!
Als ich meinen Wagen am
gewohnten Platz anhalte, mich da ein Mann: „Guten Abend, Herr Pfarrer! Darf Sie
in mein Haus einladen? Es kommt da ein kleiner Kreis zum Gebet zusammen vor
Ihren Versammlungen.“
Das kann man brauchen. Alle
Nerven zittern nach der anstrengenden Fahrt. Da ist es schön, mit ein paar
Gleichgesinnten vor Gott stille zu werden.
In einem netten Hause finden
wir ein paar Männer, Frauen und junge Leute. Und da hören wir die wunderbare
Geschichte, die mir klar macht, warum ich ausgerechnet dort Vorträge halten musste.
„Sehen Sie“, berichtete der
Mann, „schon in meinem Elternhause hat das Evangelium von der Gnade Gottes in
Jesus Christus das Leben beherrscht. Und darum hat es meinen Vater und Großvater
immer geschmerzt, dass hier in der Gegend so viel geistlicher Tod ist. Die
Leute gehen auf in den Sorgen des täglichen Lebens. Und nach Frieden mit Gott
fragen nur ganz wenige.
Als mein Vater dann hörte,
dass da und dort Vortragsreihen und Evangelisationen gehalten wurden, sagte er
oft: Wenn das doch in unserer Gemeinde einmal geschähe, dass eine Woche lang
der Weg zur ewigen Seligkeit klargelegt würde!
Wir Jungen meinten dann, wir
könnten das ja einmal veranstalten. Aber mein Vater wehrte ab: Das darf man
nicht erzwingen! Das muss von dem Kirchengemeinderat oder – wie man hier sagt –
vom Presbyterium ausgehen! Wir wollen darum beten! – Und das haben wir seitdem
getan. Nun schon durch Jahre hindurch. Mein Vater ist darüber gestorben. Aber
wir haben weitergemacht. Jede Woche ist hier im Hause gebetet worden, Gott möge
es dem Presbyterium doch ins Herz geben, dass sie einmal einen Evangelisten
berufen …
Und sehen Sie, jetzt hat Er
unsere Bitten erhört. Sie sind ganz offiziell vom Presbyterium berufen. Und wir
können Ihnen gar nicht sagen, wie sehr wir uns freuen, dass nun eine Woche lang
unser Kirchlein sich füllt – trotz Sturm und Regen!“
So wurde mir dort in der
Stube berichtet. Und man wird verstehen, dass es mir etwas den Atem verschlug.
Denn wenn wir auch mit der Erfüllung unsrer Gebete rechnen, so ist es für
unsere harten Herzen doch immer wunderbar, wenn wir die Hand des lebendigen
Gottes eingreifen sehen.
Wie musste ich mich nun von
Grund meines Herzens schämen, dass mir diese Fahrten hatten zu viel werden
wollen!
Aber dabei durfte ich gar
nicht stehen bleiben. Da war ein junger Mann in der Stube. Der lachte mich
fröhlich an und sagte: „Sehen Sie, darum hat es uns auch so gefreut, dass Sie
am ersten Abend ausgerechnet das
Thema hatten!“
Da besann ich mich, dass ich
meine Vortragsreihe begonnen hatte mit einer Rede über das Thema: „Gott ist an allem schuld!“ So stand es
auf den Handzetteln, die zu den Versammlungen einluden. In der Tat: Gott war an
allem schuld!
Da wurde mir das Herz weit.
Und so haben wir zusammen gebetet, dass Er in dieser Sache weiter wirken wolle.