Gott hat manchmal seltsame
und wunderliche Prediger. Der Arzt Lukas berichtet uns in seinem „Evangelium“,
dass ein gehenkter Mörder in seiner Todesstunde vom Kreuz herab eine unerhört
eindrückliche Predigt gehalten habe.
Und das Alte Testament weiß,
einmal zu erzählen, dass sogar ein richtiger, vierbeiniger Esel geredet habe.
Manche glauben diese
Geschichte nicht. Ich glaube sie. Denn ich weiß, dass sich Gott oft wunderliche
Prediger Seiner Wahrheit erwählt.
Unter diesen ist mir
besonders eindrücklich ein großes, totes und ausgebranntes Gebäude. So oft ich
daran vorbeikomme, fängt dies Haus an, mir eine Predigt zu halten. Und ich weiß,
dass es eine ganze Nacht lang zu vielen hundert Menschen gesprochen hat.
Dies seltsame, predigende
Gebäude steht mitten in einer lauten Großstadt des Ruhrgebietes.
Hier muss einmal eine reiche
jüdische Gemeinde gewesen sein, dass sie sich solch eine großartige Synagoge
hat bauen können. Es ist ein riesiger Kuppelbau aus grauem Naturstein! Vor
vielen Jahren habe ich den Bau einmal von innen angesehen. Die Pracht dort entsprach
ganz dem wundervollen Äußeren. Man sah, dass ein großer Künstler dies Haus
entworfen und gebaut hatte.
Dann kam jener schreckliche Tag,
der für Jahrhunderte ein dunkler Fleck auf der Geschichte unseres Landes sein
wird; jener Tag, da das deutsche Volk mit einem Male vergaß, dass es einen
Luther, Kant, Bach, Goethe gehabt hat; da es mit einem riesigen Satz aus dem
20. Jahrhundert in das Mittelalter zurücksprang …
Es raste der Pöbel; die
jüdischen Geschäfte wurden geplündert; die Wohnungen der Juden demoliert; Unschuldige
getreten, erschlagen und erschossen …
Ein wüster Haufe drang auch
in die herrliche Synagoge und steckte sie in Brand. Was nur brennbar war, wurde
ein Raub der Flammen. Aber am Ende stand noch der riesige, nun so kahle
Kuppelbau. Die großen Steinquadern hatten dem Feuer getrotzt.
Damals fing dies Gebäude an,
peinlich zu werden. Es redete noch nicht. Aber in seiner toten Schweigsamkeit
begann es, die Menschen zu beunruhigen. Die Lautsprecher dröhnten von dem „deutschen
Kulturwillen“. – Und da stand dies Haus! Über dem Portal konnte jeder es noch
lesen: „Mein Haus soll ein Bethaus sein vor allen Völkern!“ Da stand es mit seinen
rauchgeschwärzten Mauern und seinen leeren Fensteröffnungen.
Man sprach immer wieder
davon, dies Haus müsse abgerissen werden. Aber – es kam nicht dazu. Es war, als
habe man den Mut verloren, noch einmal die Hand an dies stumme, riesige Gebäude
zu legen.
Und die Synagoge schwieg – schwieg
– als warte sie auf den Tag, da sie würde reden können.
Und der kam!
Dieser Tag fing in der
Grosstadt an wie alle andern. Die Kaufleute gingen in ihre Geschäfte die Hausfrauen
hatten Wäsche oder standen in Schlangen vor den Läden, in denen die Waren schon
knapp wurden; die Bergleute fuhren in die Tiefe, und andre kamen herauf … Es
war wie immer. So verging der Tag. Es kam der Abend. Dunkel lagen die Straßen.
Alle Häuser waren verdunkelt, alle Lichter draußen gelöscht. Es war ja Krieg,
und schon war manche Bombe über der Stadt gefallen.
Um 21 Uhr tönten die
Sirenen. Die Menschen liefen in die Keller … und dann kam
der Schrecken!
Der erste große Angriff mit „Bombenteppich“
und „Flächenbränden“. Die Menschen in den Kellern spürten die furchtbare Hitze.
Sie stürzten heraus! Nein! Viele kamen nicht mehr heraus. Sie fanden die
Zugänge verschüttet und verbrannten bei lebendigem Leibe …
Aber die herauskamen,
entsetzten sich. Rings um die Synagoge waren enge, dicht besiedelte Straßen.
Und nun stand alles in Flammen. Wohin man sich auch wandte, – Feuer! Feuer!
Dieser furchtbare Brand schaffte sich selbst den Sturm, der das Feuer brausend weitertrug.
Die Menschen hüllten sich in
nasse Tücher und machten sich auf, irgendwo Schutz zu suchen. Aber die Straßenausgänge
waren mit Trümmern versperrt. Der Rauch nahm ihnen den Atem. Da sank manch
einer um und wurde von stürzenden Mauern erschlagen, vom Rauch erstickt, vom
Feuer verschlungen …
Die sich durchschlugen,
suchten mit vor Angst irren Augen nach einem Ort, der Schutz böte vor dem
Feuer. Sie fanden nur einen: die riesige, kahle, längst ausgebrannte Synagoge.
Hunderte haben in jener schrecklichen Nacht dort Rettung gefunden.
Da saßen sie, eng gedrängt
und zitternd auf dem nackten Boden, während draußen der schauerliche Tod
umging. Da saßen sie und konnten nicht weglaufen, als nun die Synagoge anfing
zu predigen.
Es war eine schreckliche
Predigt. Sie bestand nur aus einem einzigen Satz: „Irret euch nicht, Gott lässt
sich nicht spotten. Denn was der Mensch säet, das wird er ernten.“
Da war manch einer, der
hatte an jenem Frühlingstag mitgemacht, als man das Feuer an diese Synagoge
legte. Und die andern hatten neugierig zugesehen, hatten vielleicht gelacht.
Sicher hatten sie geschwiegen. Aber – wer hatte an Gott gedacht, an Gott, der nicht
schweigt?
Damals hatte das Feuer dies
eine Gebäude verzehrt. Nun ging die Stadt im Feuer unter … Und ausgerechnet dies
Gebäude war nun Zuflucht!
Die Synagoge predigte. Und
selbst der Verstockteste hat in jener Nacht des Grauens die Predigt gehört: „Irret
euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten ...“
Die Geschichte ist aber noch
nicht zu Ende.
Unter den Flüchtlingen war
einer, dem hielt die Synagoge eine besondere Predigt.
Er war ein einfacher Mann,
der einen kümmerlichen Lohn auf einer Kohlenzeche verdiente. Aber er gehörte zu
den Leuten, von denen der Herr Jesus sagte, dass sie „reich sind in Gott“.
Dieser Mann saß unter dem
bestürzten Volk und war weder sehr verwundert noch unruhig. Verwundert war er
nicht, weil er aus dem Wort Gottes längst wusste, dass dies Volk schrecklichen
Gerichten entgegengehen musste. Und unruhig war er nicht, weil er Frieden mit
Gott hatte.
So saß er nun in seiner
Ecke, nachdem er vielen Leuten zurechtgeholfen hatte.
Er war müde. Aber schlafen konnte man ja nicht.
Und da fing die Synagoge an,
ihm ihre besondere Predigt zu halten. Sie fragte: „Weißt du auch, warum ihr
hier geborgen seid vor dem Feuer?“ Und er antwortete: „Ja, weil hier das Feuer
schon einmal getobt und alles, was brennbar war, verzehrt hat.“
„Weißt du auch“, fragte die
Synagoge, „dass es noch ein andres und schrecklicheres Feuer gibt als dies, vor
dem ihr euch hier geborgen habt?“
„Das weiß ich wohl“, sagte
der Mann, „das ist das schreckliche Feuer des Gerichtes und Zornes Gottes, das
einmal entbrennen wird über alles ungöttliche und unheilige Wesen der
Menschen.“
„Da weißt du ja schon viel!“
sagte die Synagoge. „Aber meinst du, dass du dann auch eine Zuflucht finden
wirst, wenn dies Feuer entbrennt? Meinst du, dass dann auch solch eine Stelle
da sein wird, die Zuflucht bieten kann, weil das Feuer schon darüber ging?“
Nun lächelte der Mann
inmitten des erschrockenen und betrübten Volkes und sagte: „O, ich weiß, wo du
hinaus willst. Ja, es gibt einen einzigen Ort, über den das Feuer des Zornes
Gottes schon ging und der darum Zuflucht bietet: Das ist das Kreuz Jesu auf
Golgatha.“
„Du hast recht!“ sagte die
Synagoge. „Sieh mich nur an! Wie sicher seid ihr in meinem Schoße, weil ich
früher das Feuer erlitten habe. Und so ist man sicher unter dem Kreuz Jesu. Wie
hat dort das Feuer gebrannt, als Jesus rief: ,Mein
Gott! Mein Gott! Warum hast du mich verlassen!' – Jetzt ist man in alle
Ewigkeit dort sicher vor dem Gericht Gottes.“
Da freute sich der einfache
Mann, dass er um diese ewige Zuflucht wusste. Dann legte er sich, so gut es bei
dem Gedränge eben möglich war, zurecht und schlief nun doch ein – er ruhte so
friedlich und getröstet wie ein Kind am Herzen der Mutter.