Prof.
Dr. Werner Gitt
Ein
Auszug aus dem Buch: „Fragen, die immer wieder gestellt werden“
16.
Auflage
Wie ist der "Bibelcode" von M. Drosnin zu beurteilen
Der US-Journalist Michael Drosnin behauptet in dem
Buch „Der Bibel Code“ (Heyne, 1997), dass die Bibel einen verborgenen Code
enthalte und dass dieser nun geknackt sei. Der hebräische Text der fünf Bücher
Mose (= 304 805 Buchstaben) wird zunächst ohne alle Leerstellen in einem
Computer abgespeichert; dann werden aus diesem Buchstabenvorrat die jeweils n-ten
Buchstaben (z. B. mit dem Abstand n = 2, 3, 4 oder 17, 35 usw.) entnommen,
wodurch ständig neue Buchstabenreihen produziert werden können. Durch
Verschiebung des Zählanfangs besteht die Möglichkeit, weitere unterschiedlichen
Buchstabenfolgen zu erzeugen. Die so gewonnenen Buchstabenreihen werden in
Blöcken mit einer bestimmten Spalten- und Zeilenzahl angeordnet. In dieser
schier endlosen Zahl von Blöcken sucht man nach gelegentlich auftretenden
Buchstabenkombinationen, die eine Bedeutung tragen, und in die prophetische
Hinweise für unsere Zeit hineininterpretiert werden.
Wie nun ist diese Methode zu beurteilen?
Informationstheoretische Einwände:
- Diese Vorgehensweise ist völlig willkürlich und durch nichts
begründbar. Dass in einem so riesigen und schier unerschöpflichen
Buchstabenvorrat hier und da Namen und Wörter vorkommen, die eine
Bedeutung tragen, ist geradezu unvermeidbar. Die Trefferquote erhöht sich
noch drastisch, weil bei der Suche vorwärts, rückwärts, senkrecht,
diagonal und willkürlich gemischt gelesen werden darf. Mehr noch: Auch das
Überspringen mehrerer Buchstaben ist erlaubt.
- Der weitaus größte Teil der Buchstabenblöcke ist lediglich Abfall,
in dem auch bei ständigem Methodenwechsel keine bedeutungstragenden
Elemente zu finden sind. Weiterhin kommt dieser Art Buchstabenspielerei
noch die Eigenheit der hebräischen Sprache entgegen, dass bestimmte Vokale
nicht geschrieben werden. Auch dadurch steigt die Trefferquote an.
- Bei der Drosninschen Methode werden die Zeichen immer aus derselben
Quelle entnommen. Damit ist sichergestellt, dass sich diese
Häufigkeitsverteilung der Buchstaben nicht ändert. Das zufällige Auftreten
von Wörtern aus dem Sprachschatz der hebräischen Sprache wird somit
erheblich wahrscheinlicher als bei Entnahme aus einem Pool mit anderer
Verteilung.
- Die Bezeichnung „Bibelcode“ für die statistischen Spiele von
Drosnin ist irreführend, weil ein Code immer einen Sender (Urheber)
voraussetzt [G5, S. 67-80]. Alle hier betrachteten Buchstabenselektionen
sind aber als Zufallsfolgen anzusehen, die prinzipiell nicht entschlüsselt
werden können, da sie definitionsgemäß keine Bedeutung tragen. Damit ist
alles, was Drosnin herauszulesen versucht, reine Willkür und ohne jegliche
Absicht eines Senders.
- Der australische Mathematiker Brendon McKay wandte das
Bibel-Code-Verfahren auf den englischen Roman „Moby Dick“ an und konnte in
gleicher Weise „sensationelle“ Ereignisse herauslesen. Damit hat er
gezeigt, dass das Ergebnis unabhängig von der verwendeten Quelle ist. In
einem genügend großen Buchstabenvorrat kann man fast alles finden, was man
sucht. Wörter, die nicht in den beabsichtigten Konsens passen, ignoriert
Drosnin einfach. Übrigens: McKay fand auch das Wort Drosnin und in
unmittelbarer Nähe das Wort „liar“ (= Lügner).
Biblische Einwände:
- Die zentrale Botschaft der Bibel ist die Heilsgeschichte Gottes mit
den Menschen. Sie zeigt uns, wer Gott und wer Jesus Christus ist und wie
wir Rettung und damit Ewigkeit finden. Sensationelle politische Ereignisse
sind kein biblisches Thema. Hier aber setzt Drosnin mit seiner Suche ein
und stellt sich damit gegen die biblische Offenbarungsabsicht. Die
angeblich entschlüsselten Botschaften passen also keineswegs in den
Kontext der Bibel.
- Die willkürlich zusammengebastelten Wörter von Drosnin stehen weder
in irgendeiner Ordnungsstruktur noch ergeben sich dabei vollständige
Sätze. Hingegen ist es das Anliegen der Bibel, sich in verständlichen
Sätzen zu äußern, damit wir den Sinn leicht erfassen können (Epheser 5,
17). Gott hat sich in seinem Wort (direkt lesbar!) offenbart (2. Timotheus
3, 16; Galater 1, 12; 2. Petrus 1, 21), aber
nicht in rätselhaften Computerspielen. Die Botschaft der Bibel ist so
angelegt, dass schon Anfänger im Glauben sie verstehen können (1. Petrus
2, 2). Sie kann darum nicht in einem Geheimcode verpackt sein, der erst am
Ende des 20. Jahrhunderts entschlüsselt werden kann.
- Drosnin zeichnet ein verzerrtes Gottesbild, das der Bibel
widerspricht. Er schreibt z. B.: „Vielmehr schien es, als ginge er (= der
Code) auf ein uns wohlwollendes, jedoch nicht allmächtiges Wesen zurück,
das uns vor einer drohenden Gefahr warnen wollte, um uns Gelegenheit zu
geben, uns selbst zu schützen“ (S. 108). Das Jahr 2012 wird mit einem
Kometen in Verbindung gebracht, der die „Erde vernichtet“ (S. 161). Das
Ende dieser Erde wird nach der Bibel keineswegs durch einen Kometen
ausgelöst, sondern durch das Gericht Gottes (2. Petrus 3, 7+10). Bezüglich
des Zeitpunktes (2. Petrus 3, 10) ist niemand in der Lage, dafür eine
Jahreszahl zu nennen, auch nicht der „Bibelcode“.
- Drosnin schreibt: „Ich bin nicht religiös und glaube nicht einmal
an Gott“ (S. 191). Die Offenbarung Gottes geschieht aber nur an Menschen,
die ihm glauben und vertrauen (Amos 3, 7). Darum ist Drosnin als falscher
Prophet einzuordnen. Halten wir fest: Der „Bibel Code“ ist von der
Vorgehensweise her eine beliebige Buchstabenspielerei, bei der
grundlegende informationstheoretische Aspekte ignoriert werden. Dieses
lediglich auf Sensationslust abgestellte Konzept lässt Raum für unverantwortliche
Spekulationen. Die von Drosnin aus Fragmenten konstruierten Aussagen
widersprechen dem eigentlichen Wesen der biblischen Offenbarung und
stellen sich damit gegen Gott und seine Botschaft.