Jugendgottesdienst
16.09.2001
Auf
einmal war sie da, ganz plötzlich, wie aus dem Nebel tauchte sie auf.
Ich war am vergangenen Dienstag mit dem Zug unterwegs. Ich fuhr von einer
Tagung nach Hause. Am Bahnhof holte mich meine Frau mit den Kindern ab und ich
sah, dass sie Tränen in den Augen hatte. Und dann erzählte sie mir die ganze
Geschichte und plötzlich war sie da: die Angst.
Habt Ihr euch schon einmal überlegt, was Angst ist? Angst, das ist das Gefühl,
dass mich Dinge bedrohen, die ich nicht im Griff habe. Wir haben in unserem
Leben oft Angst. Angst steigt dann auf, wenn ich vor einer Klassenarbeit oder
Prüfung stehe und den Eindruck habe, dass ich nicht gut genug darauf
vorbereitet bin.
Angst steigt auf, wenn in meinem Leben Beziehung zu zerbrechen drohen und ich
merke: Ich habe es nicht in der Hand diese Beziehung mit eigenen Kräften wieder
hinzubiegen.
Angst steigt auf, wenn ich meine Zukunft nicht mehr überblicken kann, wenn ich
nicht weiß, ob ich morgen noch in Frieden Leben kann.
Viele
Menschen haben in diesen Tagen Angst. Keiner von uns weiß, wie diese ganze
Geschichte in den nächsten Wochen und Monaten weitergeht.
Auch wir haben Angst. Wenn wir was anderes sagen würden, dann würden wir uns
doch etwas in die Tasche lügen.
In
der Bibel steht sehr viel über Menschen, die Angst haben, aber auch darüber,
wie Gott in ihr Leben hineingesprochen hat. Da erzählt zum Beispiel im Alten
Testament der Prophet Jesaja, wie das Volk Israel von Armeen überrannt wurde,
wie übermächtige Feinde alles kurz und klein geschlagen haben und Israel in die
Gefangenschaft geführt wurde. Und dann sitzen die Israeliten in Babylon und
wissen nicht mehr wie es weiter geht.
Aber mitten in die Angst hinein da redet Gott durch Jesaja (49, 14-16):
»Zion spricht: Der HERR hat mich verlassen, der HERR hat mich vergessen. Kann
auch eine Mutter ihr Kind vergessen? So dass sie sich nicht mehr erbarmt über
das Kind, das sie geboren hat? Und selbst wenn sie ihr Kind vergessen würde, so
will ich doch dich nicht vergessen. Siehe, in meine Hände habe ich dich
gezeichnet, deine Mauern sind immer vor mir!«
Wisst
ihr, diese Worte gelten seit Jesus allen, die seine Kinder geworden sind. Wer
zu Jesus gehört, der darf diese Worte für sich persönlich nehmen.
Uns geht es ja oft genauso wie damals dem Volk Israel: dass wir manchmal den
Eindruck nicht los werden, dass Gott uns vergessen hat.
Es
gibt viele Jugendliche, die verzweifelt nach einem Job suchen und keinen
bekommen - und das macht Angst. Versteht ihr, das Problem ist nicht das Geld.
Das Problem ist, dass da der Zug der Zukunft in den Bahnhof einfährt und alle
anderen aus der Klasse haben ein Ticket, manche sogar eins erster Klasse, aber
ich hab keins. Und dann fährt der Zug in dies Zukunft ab und ich bin nicht
dabei. Mich hat man vergessen. Und vielleicht hat mich ja auch Gott vergessen?
Oder
es gibt Jugendliche, die von ihren Eltern vergessen wurden. Wir bereiten gerade
das Christival vor und da erzählte bei einer Sitzung einer der Mitarbeiter aus
Hamburg, der in einem Jugendsozialwerk arbeitet von einem Jungen, der bei ihnen
im Jugendheim untergekommen ist. Dieser Junge wurde von seiner Mutter nie
gewollt. Der Vater hat sich schon vor der Geburt verdrückt und die Mutter
wollte ihn auch nicht zur Welt bringen, hat aber irgendwie die Abtreibungsfrist
verpasst und das Kind dann zur Welt gebracht. Und bei der ersten Gelegenheit
hat sie ihn abgeschoben ins Heim. Und jetzt stirbt dieser Junge mit 17 Jahren
an einem Herzfehler und zwar ausgerechnet als er bei seiner Mutter zu Besuch
war.
Und dann hat die Mutter darauf bestanden, dass dieser Junge nicht beerdigt wird
und dass er kein Grab bekommt und keinen Grabstein. Sie ließ seine Leiche
einäschern und irgendwo vergraben. Sie wollte ihn vergessen.
Es ist unvorstellbar, aber es gibt Mütter, die ihre Kinder vergessen wollen.
Was ist nun mit diesem Jungen, an den sich in ein paar Jahren keiner mehr
erinnern wird? Hat Gott diesen Jungen auch vergessen?
Oder
was ist mit diesen Bildern, die uns alle in dieser Woche nicht mehr loslassen?
Wie diese Menschen im World Trade Center vor der Hitze an den Fenstern stehen
und um Hilfe schreien, kurz bevor diese Türme zusammenkrachen. Da waren auch
Christen dabei, Menschen die Jesus kannten, an ihn glaubten, ihm gehörten. Was
war denn nun mit denen? Hat Gott diese Menschen vergessen? Gerhard Maier hat im
letzten Jugo von dieser Hand Gottes gesprochen, die uns hält. Und viele fragen
sich jetzt, wo war diese Hand am letzten Dienstag?
»Zion
spricht: Der HERR hat mich verlassen, der HERR hat mich vergessen. Kann auch
eine Mutter ihr Kind vergessen? So dass sie sich nicht mehr erbarmt über das
Kind, das sie geboren hat? Und selbst wenn es eine Mutter gibt, die ihr Kind
vergisst, so will ich doch dich nicht vergessen. Siehe, in meine Hände habe ich
dich gezeichnet, deine Mauern, eine Umrisse, dein Gestalt und dein Gesicht sind
immer vor mir!«
Wisst
ihr, wenn wir diese Dinge zusammenbringen wollen, dann brauchen wir neue Augen.
Dann brauchen wir die Augen Gottes, um richtig sehen zu lernen.
Ich glaube nicht, dass Gott diese Menschen vergessen hat. Wisst ihr, da wo wir
Menschen sehen, die vor Hitze und in Panik aus dem Fenster springen oder die
mitsamt dem World Trade Center in den Tod stürzen, da sieht Gott etwas anderes.
Da sieht Gott Menschen, die ihm entgegen gehen.
Da sieht Gott Menschen, die er zu sich holt. Auch durch das Schrecklichste was
Menschen sich antun, kann niemand verhindern, dass Gott seine Leute zu sich
holt. Auch wenn Menschen noch so brutal miteinander umgehen: Gott bleibt auch
im schrecklichsten Sterben der Herr über unser Leben. Er vergisst uns nicht.
Er
vergisst auch diesen Jungen nicht, den seine Mutter hat verscharren lassen. Er
vergisst auch dich nicht, in deiner Angst. Ich habe dich in meine Hände
gezeichnet, eingraviert, eintätowiert. Wisst ihr, es ist im Letzten nicht
entscheidend, was aus unserem Leben wird. Entscheidend ist immer, wo unser
Leben hingeht. Und unser Leben endet immer vor dem Thron Gottes. Und vor diesem
Thron ist es nicht entscheidend, wie und wann wir mal sterben, sondern
entscheidend ist, wie wir vor Gott dastehen.
Es
gibt in der Geschichte von der Kreuzigung Jesu eine ungeheuere Szene. Da hängen
auf Golgatha diese drei Männer am Kreuz. In der Mitte Jesus und rechts und
links zwei Terroristen. Zwei von der Sorte, von denen mittlerweile wirklich die
ganze Welt die Schnauze voll hat. Aber die beiden waren in der selben
Situation, wie diese Menschen in den Flugzeugen, oder im World Trade Center,
ihre Stunden waren gezählt. In dieser Situation werden auch wir irgendwann
einmal sein, ganz gleich wie wir sterben.
Und der eine pöbelte Jesus an und sagte: »Mensch Jesus, wenn du der Messias
bist, dann tu doch endlich was, dann hilf dir mal selber und dann uns. Dann
kannst du das doch nicht zulassen, dass wir so verrecken!«
Der
andere Terrorist hatte ein bisschen mehr kapiert. Der wusste, dass er diese
Strafe verdient hat, der wusste, was die Stunde geschlagen hat und der wusste,
dass er in wenigen Stunden vor Gott stehen wird und er ahnte, dass er da
schlecht aussehen wird. Er wusste auch, wer hier neben ihm hing und dann äußert
er seinen letzten Wunsch: »Jesus vergiss mich nicht! Denke an mich, wenn du in
dein Reich kommst!« Und dann wendet sich Jesus zu ihm rüber und verspricht ihm:
»Amen ich sage dir: Heute wirst du mit mir im Paradies sein!«
Das
ist es worauf es ankommt! dass wir als Menschen vor Gott stehen, denen die
Schuld vergeben worden ist, ganz egal wie groß sie war. Vor Gott ist jede
Sünde, eine zuviel. dass wir als Menschen vor Gott stehen, die Jesus nicht
vergessen hat, weil sie ihn angenommen, ihn in ihr Leben aufgenommen haben.
Darauf kommt es an!
Und
darauf kommt es uns auch im Jugo an. dass wir alle miteinander das begreifen.
Entscheidend ist nicht, wann und wie wir sterben. Entscheidend ist auch nicht
wie unser Leben verläuft. Das alles ist nicht unwichtig. Und Gott interessiert
sich auch für diese Dinge und hilft uns bis in die kleinsten Alltäglichkeiten
hinein. Aber entscheidend ist, wie wir einmal vor Gott stehen.
Ich
wünsche mir, dass ihr in Jesus diesen festen Grund findet, mit dem ihr Leben
könnt, mit dem ihr aber auch sterben könnt. Ich wünsche mir, dass ihr in eurem
Leben erlebt, wie diese Hand Gottes euch trägt.
Jesaja
sagt: Wer zu Gott gehört, dessen Name ist in die Hand Gottes eingraviert. Gott
hat diesen Namen immer vor Augen. Und ich wünsche mir, dass ihr diese
Gelassenheit erlebt, die nur solche Menschen haben können, die sich ganz fest
in dieser Hand Gottes geborgen wissen.
Man
muss kein Prophet sein, um zu sehen, dass in den nächsten Wochen noch manche
Aufregungen auf uns zu kommen werden. Und keiner von uns weiß, wie diese ganze
Geschichte zu Ende geht.
Aber darauf kommt es auch gar nicht an. Wer in Jesus einen festen Grund
gefunden hat, der kann nichts mehr verlieren! »Und wenn zerfällt die ganze
Welt, wer sich an ihn und wen er hält, wird wohl behalten bleiben.«
Ganz
egal, ob ich mal durch eine A, B oder C-Bombe in die Luft gepustet werde, oder
ob ich bei einem schlichten Verkehrsunfall ums Leben komme, oder ob ich mal mit
90 an Altersschwäche sterbe: Ich bin in Gottes Hand eingraviert!
Weil
Gott am Anfang steht, steht er auch am Ende. Weil er am Kreuz sein Ja über mein
Leben gesprochen hat, deshalb hat er auch das letzte Wort über meinem Leben.
Weil am Anfang meines Lebens nicht der Zufall einer Zeugung stand, hängt auch
das Ende meines Lebens nicht von den Zufällen der Weltgeschichte ab. Mein Leben
ist gerahmt von Gottes gutem Willen.
Wisst
ihr, was ich mir wünsche? dass ihr in den nächsten Wochen in euren Klassen und
an euren Arbeitsplätzen Menschen seid, die trotz aller Angst und Sorge von
dieser Hand Gottes redet, in der ihr geborgen seid. dass ihr euch nicht
anstecken lasst von der Nervosität, sondern zu einem Anker der Hoffnung werdet
für eure Freunde, Klassenkameraden und Kollegen. Wer in Gottes Hand eingraviert
ist, braucht sich nicht zu fürchten!
Ich
will ich zum Schluss noch eine Geschichte erzählen, die ich schon sehr oft
erzählt habe, aber nie hat sie so gepasst wie heute:
Prof. Helmut Thielicke, der verstorbene Hamburger Theologe, hat das einmal in
ein Beispiel gefasst. Er erzählte einmal eine Beobachtung, die er auf einer
seiner Amerika-Reisen gemacht hatte. Damals in den 50er und 60er Jahren war es
oft noch günstiger mit dem Schiff zu reisen anstatt mit dem Flugzeug. Auf der
Passage von Hamburg nach New York war nun auch ein Hund an Bord. Ein großer
Schäferhund. Sein Herrchen hatte ihn der Schiffsbesatzung übergeben, weil er es
selbst vorzog mit dem Flugzeug zu reisen. Und dieser große Hund war ohne sein
Herrchen wie ein Häufchen Elend. Alles Zureden und Trösten der Passagiere half
nichts. Er winselte tagaus, tagein nur jämmerlich vor sich hin. Dieses Schiff
war für ihn eine fremde Welt. Es gab weder Bäume noch Katzen. Nichts von dem,
was eine Hundewelt schön macht, war da. Hinter der Reling hörte für diesen Hund
die Welt auf. Und er wusste ja auch nicht, ob diese Hundeodyssee jemals wieder
ein Ende haben würde. Er wusste nicht, dass es auf diesem Schiff einen
Navigator gab, der ganz genau den Kurs und das Ziel des Schiffes kannte. Und er
wusste auch nicht, dass sein Herrchen ihn am Hafen in New York erwartete. So
war dieser große Schäferhund ein Bündel aus Angst und Verzweiflung.
Wer nicht weiß, dass es in dieser Welt einen Navigator oder einen Steuermann
gibt, der den Kurs und das Ziel dieser Welt bestimmt, der muss ebenso an seiner
Angst verzweifeln.
Auf
der Rückfahrt nach Hamburg war wieder ein Hund an Bord. Ein Schoßhündchen,
sozusagen ein halbe Portion. Auch dieses kleine Hündchen kam sich auf dem
Schiff vor wie auf einem anderen Stern. Auch er vermisste Bäume und Katzen.
Auch seine Hundeweltanschauung zerbrach an dem endlosen Nichts hinter dem
weißen Geländer. Aber trotz allem war dieses Hündchen unvergleichlich
getrösteter. Denn sein Frauchen war dabei. Und wenn es auch vor lauter
Ungewissheit bibberte, so warf es seinem Frauchen immer wieder Blicke zu die
sagten: »Wo du bist, da kann mir nichts passieren. Du weißt sicher Bescheid
über diese weiße Insel ohne Bäume. Und du weißt sicher auch, wann dieses
Abenteuer vorbei ist und ich wieder in meine vertraute Hundeheimat komme.«
So
ist das, wenn man Jesus kennt. Dann sind die Probleme des Lebens und die
Probleme dieser Welt nicht weg und auch nicht kleiner, aber dann weiß ich dass
über allen Fragen Jesus das Steuer in der Hand hält und den Kurs und das Ziel
kennt.
Amen.