(aktualisierter und ergänzter Gesamtartikel,
aus Unterwegs notiert 2012,
Herbert Jantzen und z. T. Thomas Jettel)
K. 9 - 11 hat sich der Apostel Paulus eine besondere Aufgabe gestellt. Es geht um das Heil in Jesus Christus und wie es in Bezug zum Volk Israel steht.
Israel hat seinen König, den Messias Jesus, verworfen. Hat die Stellung Israels damit aufgehört? Israel bemühte sich seine eigene Gerechtigkeit aufzurichten. Ist damit Israels Bemühung vergeblich geworden? Wie ist diese Verwerfung in Gottes Heilsplan einzuordnen? Wie ist die Erwählung der Heiden als Heilsvolk in Einklang zu bringen mit Gottes Heilsplan?
Paulus hat sich hier eine schwierige Aufgabe gestellt. Er gibt sich große Mühe, überzeugende Argumente zu liefern. Er hat es aber auch uns nicht einfach gemacht, ihn zu verstehen. Dazu braucht es die Hilfe Gottes und ein ernsthaftes Bemühen des Bibellesers. Eine Hilfe ist es, wenn man sich zunächst einmal von hergebrachten Meinungen löst. Bei diesen Kapiteln ist das für viele Studenten der heiligen Schrift schwer. Aber wir sollten uns grundsätzlich darin üben, alles Überkommene einmal beiseite zu lassen, wenn wir an die Bibel herantreten. Und wir sollten immer wieder bereit sein, die Bibel so zu lesen, als läsen wir sie zum ersten Mal.
[Paulus richtet sich nicht nur an sie, sondern auch an die Heidenchristen, vor allem 11, 16ff.]
Der Jude könnte denken, dass durch die Botschaft des Apostels Paulus das ganze Alten Testament beiseite gesetzt wird. Er könnte auf den Gedanken kommen, Paulus wolle das erwählte Gottesvolk abwerten.
Inwiefern?
Zum Einen: Wenn die Gerechtigkeit Gottes, das göttliche Heil, für alle Menschen gilt, wenn also andere Völker ebenso Volk Gottes werden können, hört damit die alttestamentliche Sonderstellung des Erwählungsvolkes Israel auf. Da könnte sich ein Jude bedroht fühlen.
Zum Anderen: Wenn – zugunsten des Glaubens – auf Werke verzichtet werden kann (wie Paulus in Römer 4 lehrte), ist Israels Bemühung, das Gesetz zu halten, umsonst. Der Jude könnte denken: Gott hatte doch seinem Volk versprochen: „Wer diese Worte hält, wird leben” (1. Mose 18, 5; 1. Mose 30, 19.20; Nehemia 9, 29; Hesekiel 20, 11.13.21). Wenn also das Volk das Gesetz Moses einhält, wird Gott ihm Leben geben. Macht aber Paulus mit seiner Botschaft diese Verheißung nicht zunichte?
Schlimmer noch, wenn (wie Paulus lehrt) die Israeliten den Heiden als Sünder gleichgestellt werden, weil sie ebenso Sünder sind wie die Heiden, so gelten sie, das erwählte Volk Israel, als verworfen. Was hat es dann mit der Erwählung Israels und mit den Zukunftsverheißungen für dieses Volk auf sich? Sind dann die Verheißungen nicht hinfällig geworden? (9, 6) Sind dann die dem Volk Israel geltenden Verheißungen auf andere übergegangen?
Das sind Fragen, die einen Juden ankommen können. Paulus stellt sich diesen Missverständnissen. Warum nimmt er sie so ernst?
Paulus scheint Gott „retten” zu wollen. Warum? In der Tat versucht er, Gott zu „retten”. Er tut es, um sein Evangelium zu retten. Man darf von Gott und von seiner Botschaft in Christus nicht zu gering denken. Zwar hatte der Apostel in den Anfangskapiteln bereits deutliche Töne von sich gegeben, und wir könnten denken, das müsste jedem jüdischen Leser bereits klar sein. Aber Paulus kennt seine Landsleute. Er weiß, dass noch manche Fragen da sind im Winkel ihres Denkens, und er erachtet es für wichtig, das ganze Verhältnis zwischen Evangelium und Volk Israel einmal in besonderer Weise auszugrenzen. Die Juden sollen Vertrauen zu seiner Botschaft haben, sie sollen durch seine Botschaft gerettet werden.
Die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes im Evangelium ist eine, die Paulus von Juden erwartet. Den Juden überführt man am besten, wenn man auf Gottes Reden durch die Propheten Israels hinweist, und so zitiert Paulus sehr viel aus dem Alten Testament.
Paulus schreibt nicht nur für Juden - auch Nichtisraeliten müssen wissen, wo sie dran sind, selbst die Heidenchristen in Rom. Sie müssen wissen, dass der Gott, der sich auch sie, die Heiden, erwählt hat, durch diese Erwählung der Heiden nicht einen Ehebruch an Israel begangen hat. Im Alten Testament wird Jahweh als Ehemann Israels und Israel als Ehefrau Jahwehs dargestellt. Das Verhältnis Israels zu Jahweh wird dort mit der Ehe verglichen, wie auch im Neuen Testament. Der Heidenchrist soll also wissen, dass die Zuneigung Gottes ihm gegenüber nicht im Gegensatz zu Gottes Treue gegenüber Israel geschieht.
Aber Nichtisraeliten sollen auch wissen, wie sie sich Israeliten gegenüber zu verhalten haben.
Darum diese Kapitel.
Es geht in Römer 9-11 um die Frage nach der Gerechtigkeit Gottes im Evangelium:
In K. 9 geht es vor allem um die Freiheit Gottes in seinem Handeln gegenüber dem Menschen.
In K. 10 geht es vor allem um die Verantwortung des Menschen in seinem Handeln gegenüber Gott.
In K. 11 geht es um das Ziel und Ende, zu welchem das freie Handeln Gottes und das verantwortliche Handeln des Menschen führen.
In K. 9 behandelt Paulus das Problem der (teilweisen) Verwerfung Israels: Gott hat Israel (teilweise) verworfen, obwohl er ihm die Verheißungen gegeben hatte.
In K. 10 behandelt er die Ursache der (teilweisen) Verwerfung Israels: Israel suchte eine eigene Gerechtigkeit aufzurichten und unterwarf sich nicht der Gottesgerechtigkeit aus Glauben.
In K. 11 zeigt er die Grenzen der (teilweisen) Verwerfung Israels auf: Israel ist nicht vollständig und nicht für immer verworfen. Es gibt in der Zukunft noch Heil für Israel – für alle, die dann, wenn Jesus Christus zurückkommt, noch leben werden.
Gliederung von Römer 9-11:
A. Das Problem der Verwerfung Israels: Die Verwerfung beruht nicht auf Ungerechtigkeit Gottes K. 9, 1-33
B. Die Ursache der Verwerfung Israels: Unglaube K. 10, 1-21
C. Die Grenzen der Verwerfung Israels: Die Verwerfung ist nicht gänzlich und nicht irreversibel. K. 11, 1-32
D. Lob der Wege Gottes: K. 11, 33-36
Zum Wort „Verwerfung“.
Wenn man meint, das Wort „Verwerfung“ führe zu einem Missverständnis, so sei vorweg daran erinnert, dass der Apostel selbst das Wort in 11, 15 gebraucht. Die Absicht der Besprechung der nächsten drei Kapitel ist es, zu zeigen, warum und in welcher Weise es kein Missverständnis ist, wenn Paulus von einer Verwerfung Israels spricht. Die Auslegung soll darlegen, was es um diese Handlung Gottes ist.
K. 9 wird in drei Abschnitte unterteilt:
1. Einstieg: Die Sorge des Apostels um Israel: 9, 1-5
2. Warum Israels Ausschluss vom Heil trotz seiner Vorrechte möglich ist: 9, 6-13
3. Warum Israels teilweiser Ausschluss vom Heil gerecht ist: 9, 14-29
. Die Glaubwürdigkeit seiner Sorge V. 1
„Ich sage die Wahrheit in Christus; ich lüge nicht; mein Gewissen bezeugt es zusammen mit mir im Heiligen Geist:“
Das Gewissen und der Heiligen Geist, beide wollen bestätigen. Der Heilige Geist geht mit dem Gewissen um, wirkt auf es ein.
. Das Maß seiner Sorge V. 2
„Ich bin in großer Betrübnis und habe unaufhörlichen Schmerz in meinem Herzen ...“
Gott hat nicht von Vornherein bestimmt, wie viele Israeliten gerettet werden sollen. Ansonsten wäre es unsinnig für Paulus, sich zu sorgen und zu ringen.
. Der Grund seiner Sorge V. 3-5
- Israel ist von Christus entfernt. V. 3
„... denn ich wünschte, ich selbst wäre etwas Verfluchtes, entfernt von dem Christus ...“
- Israel ist seine Verwandtschaft V. 3M
„... für meine Brüder, meine Verwandten nach dem Fleisch ...“
Paulus liebt seine Stammesverwandten, mit denen er über Jakob verwandt ist. Auch wir sollten um unsere ungeretteten Familienmitglieder besorgt sein.
- Israel hat große Vorrechte. V. 4.5
„... welche Israeliten sind, deren die Sohnesstellung ist und die Herrlichkeit und die Bündnisse und die Gesetzgebung und der ‹aufgetragene› verehrende Dienst und die Verheißungen, deren die Väter sind und aus denen, nach dem Fleisch, der Christus ist, der über allem ist, Gott, gelobt in Ewigkeit! Amen.“
Wir beachten, dass Paulus die „Juden“ (1, 16; 2, 9.10.17.28.29; 3, 1.9.29) nun „Israeliten“ nennt, womit er ihre Erwählung als Volk Gottes (1. Mose 7, 6; Jesaja 41, 8) betont.
Paulus zählt sieben Vorrechte auf. Israel hat
. die Sohnesstellung (1. Mose 4, 22; Hos 11, 1),
. die Herrlichkeit (1. Mose 40, 34.35; Psalm 78, 60.61: „Und er verließ die Wohnung zu Silo, das Zelt, das er errichtet hatte unter den Menschen. Und er gab in die Gefangenschaft seine Stärke und seine Herrlichkeit in die Hand des Bedrängers.“),
. die Bündnisse (1. Mose 15; 17, 7; 1. Mose 24, 7.8; Jeremia 31, 31ff; 1. Mose 28, 69: „Das sind die Worte des Bundes, den Jahweh im Lande Moab dem Mose geboten hat, mit den Kindern Israel zu machen, außer dem Bunde, den er am Horeb mit ihnen gemacht hatte.“),
. das Gesetz (Römer 3, 2),
. den Dienst (Hebräer 9, 1),
. die Verheißungen (1. Mose 22, 18; Ag 13, 32.34; Römer 15, 8) und
. den Messias (Römer 1, 3).
„[Das heißt] aber nicht, dass das Wort Gottes hinfällig geworden wäre, denn nicht alle, die aus Israel sind, sind Israel ...“
Wird Gott nun sein Volk, das so große Vorrechte hat, verstoßen?
Antwort: Die Verheißungen, die Gott den Vätern gegeben hatte, sind nicht hinfällig geworden. Gott wird sie zur Gänze erfüllen, auch wenn er Israel Gericht ansagen musste. Israels Ungehorsam hat Gottes Zusagen nicht wirkungslos gemacht. Sie sind weiterhin hin Kraft.
Gottes Zusagen sind weiterhin hin Kraft, aber das Verheißungswort gilt nicht allen Israeliten, „denn nicht alle, die aus Israel sind, sind Israel“.
Es gibt Nachkommen Jakobs, die vom Heil ausgeschlossen werden: die, die nicht glauben, die den Messias verwerfen. Nur der ist ein wahrer Jude, der es innerlich ist.
Wenn daher nicht alle Israeliten gerettet werden, liegt es nicht daran, dass Gott sein Wort gebrochen hätte.
Paulus schrieb in 2, 28.29: „... denn nicht der [Jude], der es im Sichtbaren ist, ist Jude, noch ist die, die es im Sichtbaren ist, im Fleisch, Beschneidung, sondern der [Jude], der es im Verborgenen ist, ist Jude, und Beschneidung ist die des Herzens, im Geist, nicht im geschriebenen [Gesetz]. Eines solchen Lob ist nicht von Menschen, sondern von Gott.“
Wie man zu einem solchen wird, der das Gesetz tut, beschreibt Hesekiel in Hesekiel 36, 25-27. Man muss den Messias und seinen Geist haben:
„Und ich werde reines Wasser über euch sprengen, sodass ihr rein werdet. Von aller eurer Unreinigkeit und von allen euren Götzen werde ich euch reinigen. Und ich werde euch ein neues Herz geben, und einen neuen Geist gebe ich in euer Inneres, und ich werde das Herz von Stein aus eurem Fleisch auf die Seite tun, und ich werde euch ein Herz von Fleisch geben. Und ich werde meinen Geist in euer Inneres geben; und ich werde machen, dass ihr in meinen Ordnungen lebt und meine Rechtsbestimmungen bewahrt und tut.” (Vgl. Römer 3, 21-24; 8, 1-4; Hebräer 8, 10-12; 13, 20.21.)
Darum ist es also möglich, dass Israeliten vom Heil ausgeschlossen werden – trotz ihrer großen Vorrechte als Israeliten. Gott darf ein ungläubiges Israel ausschließen. Wenn Israel also verworfen ist, ist nicht Gottes Verheißungswort schwach und ungültig geworden.
Es liegt also nicht daran, dass Gottes Erwählungswort zu schwach wäre. (V. 6)
Paulus gebraucht nun zwei Beispiele, um das zu zeigen.
„... noch sind alle Kinder, weil sie Abrahams Same sind, sondern ‚in Isaak wird dir ein Same genannt werden.’ {1. Mose 21, 12} Das heißt, es sind nicht die Kinder des Fleisches, die Kinder Gottes sind, sondern die Kinder der Verheißung werden als Same gerechnet, denn dieses ist ein Wort der Verheißung:
‚Um diese Zeit werde ich kommen, und Sara wird einen Sohn haben.’ {Vgl. 1. Mose 18, 10.14.}“
Gott hatte nicht gesagt, dass alle Nachkommen Abrahams auch Erwählte seien. Auch heute ist es so, will Paulus zeigen. Nicht alle Israeliten glauben an den Messias. Nur die an den Messias gläubigen Israeliten sind Kinder Gottes, die anderen nicht. Sie sind verworfen.
Wenn also heute nicht alle Israeliten gerettet sind, sondern nur ein kleiner Teil, dann steht das nicht gegen Gottes Verheißungswort.
„Schaut! Hier sind ein Vater und zwei Mütter – und von jeder Mutter ein Sohn“, sagt Paulus gleichsam zu den Juden. „Ihr sagt, ihr hättet Abraham zum Vater, wärt Kinder Gottes, weil euer Vater ein Kind Gottes war. Aber: Sind alle Söhne Abrahams erwählt?”
Da muss der Jude doch nachdenklich zugeben: „Nein.“
„Frage: Was bestimmte also, wer von den Nachkommen Abrahams als Erwählter galt: die Abstammung – oder die göttliche Verheißung?“
Die Antwort ist eindeutig. Niemand kann sich auf die Abstammung berufen.
Schlussfolgerung: Die Verheißung bestimmt, wer Same ist.
Lektion: Erwählung zum Heilsvolk erfolgt also nicht lediglich nach Abstammung. Abstammung allein genügt nicht.
„Aber nicht nur [hier ist es so], sondern auch als Rebekka schwanger war von einem, von Isaak, unserem Vater, [war es so], denn als sie noch nicht geboren waren und weder Gutes noch Schlechtes getan hatten – damit der Vorsatz Gottes nach Erwählung bestehen bliebe, nicht aus Werken, sondern aus dem Rufenden – wurde zu ihr gesagt:
‚Der Größere wird dem Kleineren Leibeigenendienst leisten’ {1. Mose 25, 23}, so wie geschrieben ist: ‚Jakob liebte ich, aber Esau hasste ich.’ {Maleachi 1, 2.3}“
Paulus diskutiert weiter: „Schaut! Hier sind ein Vater und eine Mutter – und von ihnen zwei Söhne. Nun, welcher war der Erwählte?“
„Jakob.“
„Wann?“
„Bereits im Mutterleib.“
„Frage: Was bestimmte also, wer von den Nachkommen Isaaks als Erwählter galt: die Leistung – oder die göttliche Verheißung?“
Die Antwort ist eindeutig. Die Verheißung bestimmt, wer Same ist. Niemand kann sich auf die Leistung berufen.
Lektion: Erwählung zum Heilsvolk erfolgt nicht nach Leistung, denn die Erwählung erfolgte in diesem Fall schon vor der Geburt, ehe einer Gutes oder Schlechtes getan hatte.
Man ist also nicht Erwählter Gottes, weil man von jemandem abstammt; und man ist auch nicht Erwählter, weil man etwas Gutes getan hat (z. Bsp. das Gesetz Moses gehalten hat – wie viele Juden von sich behaupteten).
Paulus nimmt dem Juden den Boden seines Stolzes weg. Was er hier sagt, ist zwar noch nicht das Ende des göttlichen Versprechens (siehe K. 11), aber er zeigt zunächst auf, dass Israel nicht genügend Grund hat, sich auf seine Erwählung zu berufen und den Heiden das Heil zu verwehren.
Was bedeutet: „Esau hasste ich“?
D. h.: „Von Esau nahm ich Abstand.“ Das Wort „hassen“ ist, wie in der Bibel häufig, nicht im emotionalen Sinne zu verstehen. Vgl. Lukas 14, 26; 1. Mose 29, 31; 1. Mose 21, 15.
Wir beachten: Es ging in jener Erwählung nicht um das persönliche Heil. Nicht dieses wurde vor der Geburt festgelegt. Gott verdammte Esau nicht, und er rettete Jakob nicht, als sie noch im Mutterleib waren. Es ging um die Erwählung zum irdischen Heilsvolk Gottes, zu dem Volk, durch welches Gott Geschichte machen und den Messias (und durch ihn den Segen) bringen wollte.
Wenn es um das persönliche Heil geht, stellen wir fest: Esau wird aufgrund seiner Werke, die seine innere Einstellung offenbarten, gerichtet (und verurteilt) – wie alle Menschen. Davon hatte Paulus bereits in K. 2, 6 geschrieben. (Vgl. auch Hebräer 12, 16.17.)
. Nicht alle Nachkommen sind Erwählte. Nicht jeder Sohn teilt die Erwählung des Vaters.
. Das Kriterium für Teilhaberschaft am Volk Gottes ist weder Abstammung (V. 10) noch Leistung (V. 11).
. Es werden zwei Arten von Erwählung unterschieden: Eine Erwählung zum irdischen Gottesvolk Israel einerseits (AT: die Erwählung Israels in Abraham-Isaak-Jakob) und die Erwählung in Christus (zum geistlichen Volk Gottes) andererseits (NT: die Erwählung des Gottesvolkes in Christus). Zu beiden Völkern (irdisch/geistlich) wird unterschiedlich erwählt. Es geht in diesen Versen nicht um die persönliche Rettung – weder bei Jakob noch bei Esau. Paulus spricht in K. 9-11 von zwei Arten von Erwählung, weil es zu seiner Zeit (in der Zeit seit Israels Verwerfung bis zum Gericht Gottes über das alttestamentliche Israel (der Zerstörung Jerusalems und des Tempels und damit dem Ende der alttestamentlichen Theokratie Israels) – zwei „Völker Gottes“ gab. Wir dürfen die Erwählungen zum irdischen Gottesvolk (in Abraham-Isaak-Jakob) nicht mit der Erwählung zum himmlischen Gottesvolk (in Christus) verquicken.
Paulus sagte: Nicht jeder ist zum ersten (zum irdischen) Volk Gottes erwählt: Ismael nicht, auch Esau nicht. Und somit ist auch nicht jeder zum anderen (dem geistlichen/himmlischen) Gottesvolk erwählt. Wenn es Menschen gibt, die zum irdischen Volk zählen – die Israeliten –, heißt dieses nicht, dass sie alle zugleich auch zum geistlichen/himmlischen Volk zählen, denn beim geistlichen/himmlischen Volk geschieht die Erwählung anders. Viele Israeliten sind – trotz ihrer Erwählung zum irdischen Volk – nicht zum geistlichen/himmlischen erwählt, sagt der Apostel. Warum nicht? Weil sie nicht glauben wollen.
Das macht Paulus in K. 10 deutlich: Die Erwählung zum geistlichen/himmlischen Volk Gottes geschieht auf Grund des Glaubens. Der Segen Abrahams wird nur denen zuteil, die in Christus sind (Galater 3, 14).
Bei der Erwählung zum geistlichen/himmlischen Volk Gottes geht es um eine Erwählung in Christus. Der Christ ist nur in Christus ein Erwählter (Epheser 1, 4: „in ihm“), nicht außerhalb von Christus. So wird jemand in dem Augenblick der Heilswende „erwählt, d. h. in dem Moment, da er Buße tut und glaubt. (Vgl. 1. Thessalonischer 1, 4 und Matthäus 22, 14.) In dem Moment kommt er in Christus hinein. (Zum Sein in Christus vgl. z. Bsp. Römer 8, 1.2; 16, 7; 1. Korinther 1, 2.30; 2. Korinther 1, 21; 5, 17; Galater 3, 14.26.28; Epheser 2, 6.13; 2. Timotheus 1, 1; 1. Petrus 5, 14.) Basis für die Versetzung in Christus ist das Ja zu Jesus, d. h., der Herzensglaube an den Auferstandenen und das persönliche Anrufen seines Namens (Römer 10, 12.13).
Bei Esau und Jakob geht es also nicht um das geistliche/himmlische Heil und nicht um die Zugehörigkeit zum geistlichen/himmlischen Volk Gottes, sondern um die Frage der Weiterführung der patriarchischen Linie. Erst dann, wenn ein Israelit der Botschaft des Messias begegnet, wird entschieden, ob er nur zum irdischen Volk gehört (was ihm dann persönlich nichts mehr hilft) oder auch zum geistlichen/himmlischen.
V. 14: „Was werden wir also sagen? Ist etwa Ungerechtigkeit bei Gott?“
Ist Gott gerecht, wenn er schon vor der Geburt den einen (Jakob) erwählt und den anderen (Esau) nicht erwählt? – „Das sei fern!“ Nein, Gott ist nicht ungerecht.
Es kam Judenchristen ungerecht vor, dass Gott die Heiden ins Heil nahm – in Christus. Sie meinten, Gott handle willkürlich. Paulus zeigt ihnen: Gott handelt trotz seiner Souveränität nicht willkürlich. Er handelt nach bestimmten Kriterien. Wenn er barmherzig ist, ist er nicht ohne gute Gründe barmherzig. Und auch wenn er bestraft, handelt er nach bestimmten Kriterien.
Worin liegt die erste Antwort des Paulus auf die Frage: „Ist Gott gerecht?”
Sie liegt darin, dass Paulus zu den Juden in Rom einmal grundsätzlich sagt: „Gott ist souverän, d. h., frei zu entscheiden, wie er will. Du kannst Gott nicht bestimmen. Du kannst nicht zu ihm sagen: ‚Du musst dieses oder jenes tun.’ Gott ist Gott. Und deshalb ist er frei zu tun, was er will!”
Es geht hier also nicht um die Frage nach der Freiheit des Menschen. Manche Ausleger meinen, Römer 9 zeige uns, dass der Mensch nicht frei sei, also keinen freien Willen hätte. Aber das ist nicht die Frage, die hier gestellt wird. Das Thema, das hier besprochen wird, lautet: „Ist Gott frei? Darf er tun, was er will?“
Ist das gerecht, wenn Gott tun darf, was er will?
Natürlich ist das gerecht. Gott ist frei. Und in welcher Beziehung ist Gott frei? Das wird Paulus jetzt zeigen. Er wird den Israeliten zuerst zeigen, wer Israel ist, dann, wer Gott ist. Dabei wird er zwei geschichtliche Argumente liefern und vom Wesen Gottes her zwei Schlussfolgerungen ziehen: 9, 15-18
I. Das erste Beispiel aus der Geschichte ist Mose. 9, 15.16
V. 15.16: „– denn er sagt zu Mose: ‚Ich werde barmherzig sein, gegen wen immer ich barmherzig sein werde, und werde mich erbarmen, über wen immer ich mich erbarmen werde.’ Dann ist es also nicht [eine Sache] des Wollenden noch des Laufenden, sondern des barmherzig seienden Gottes ...“
Paulus zitiert zunächst aus 1. Mose 33, 19. In jenem Abschnitt geht es um Gottes Barmherzigkeit in der Geschichte.
Was ist der alttestamentliche Zusammenhang? Die Israeliten machten sich ein goldenes Kalb. Wenn Gott nun nach Gerechtigkeit gehandelt hätte, was wäre mit den Israeliten geschehen? Er hätte sie getötet.
Warum also beschloss Gott, barmherzig zu sein? Wegen der Werke der Israeliten? Nein. Gott entschied bei Mose, dass er nicht nach dem Grundsatz der Gerechtigkeit verfahren wollte, sondern nach dem der Barmherzigkeit. Darf er barmherzig sein, wenn er will? Darf er seinem barmherzigen Wesen entsprechend handeln?
Paulus nimmt den Juden gleichsam und fragt: „Bitte, wer bist du? Der du damals in deinen Vätern das goldene Kalb angebetet hast. Du bist wie ein Heide! Und dann sprichst du davon, dass ich nicht ein Recht hätte, zu sagen, dass die Heiden die Barmherzigkeit Gottes erleben dürfen? Wer bist du, dass du sagst, ich dürfe das nicht tun? Der Gott, der dir gegenüber barmherzig war (indem er dir das Heil öffnete), hat auch ein Recht, anderen gegenüber barmherzig zu sein (und ihnen das Heil zu öffnen; vgl. 11, 30-32)! – denn im Grunde bist du nur ein Mensch. Der Heide aber ist ebenfalls ein Mensch, ebenfalls im Bilde Gottes geschaffen!”
Gott ist also barmherzig. Und es kann nicht darauf ankommen, dass jemand sagt: „Nein, ich bin gelaufen. Ich habe so und so viele Gebote gehalten. Deshalb darf ich in den Himmel hinein oder bei Gott in Gnaden sein.”
Nun könnte jemand sagen: „Gut. Es kommt also nur auf Gottes Barmherzigkeit an. Kann ich dann also gar nichts dazu tun?“
Was sagt die Hl. Schrift, wem gegenüber Gott barmherzig ist?
Antwort: Gegen jeden Menschen, der sagt: „Ich habe nichts geleistet. Ich habe alles zerbrochen. Ich bin ein Sünder. Du kannst mit mir tun, was du willst. Wenn du mich verurteilst, dann bist du gerecht. Wenn du mich für alle Ewigkeit verdammtest, wäre es recht, denn genau das habe ich verdient. Wenn du mich rettest, ist es allein deine Barmherzigkeit. Ich werfe mich auf deine Gnade.“ (Vgl. Lukas 18, 13.)
Einem solchen Menschen kann und will Gott barmherzig sein. Dieses ist die Grundlage für die Aussage in Römer 9, 15 (und in 1. Mose 33, 19). Auf dieser Grundlage erhält der Mensch von Gott Barmherzigkeit.
Dieses ist auch die Grundlage unseres Glaubenslebens. Immer wieder kommen wir an unsere eigenen Grenzen, und wir merken, wir haben es nicht geschafft. Wir haben in unserem Leben viele Probleme, aber wir werden sie nur dann wirklich lösen, wenn wir als Hilflose und als solche, die der Barmherzigkeit bedürfen, zu Gott kommen und sagen:
„Herr, nur du. Alle deine Wege sind recht. Ich werde nicht mehr sagen: Warum hast du mich in diese Lage gebracht? Nein. Du, Herr, hast ein Recht, zu tun, was du möchtest.“
Nur wenn ich so spreche, kann ich wieder in die richtige Beziehung zu ihm kommen.
Gott ist frei, Barmherzigkeit zu zeigen. Er kann nur auf dem Boden seiner eigenen, vollkommenen Freiheit barmherzig sein. Und wem zeigt er sich barmherzig? Dem Bußfertigen. Tät Israel Buße, würde es Gottes Gnade erfahren.
Vgl. Psalm 81, 14-17: „Dass doch mein Volk auf mich hörte und Israel auf meinen Wegen ginge!
Wie schnell würde ich ihre Feinde beugen und meine Hand gegen ihre Gegner wenden. Die den Herrn hassen, müssten ihm schmeicheln, und ihre Zeit würde ewiglich währen. Er ließe ihn essen vom besten Teil des Weizens. Und mit Honig aus dem Felsen würde ich dich sättigen.“
Psalm 72, 13A: „Er erbarmt sich des Geringen und des Armen“, d. h., dessen, der sich auf keine Leistungen mehr berufen kann, der Gott nichts vorweisen kann, sondern sich hilflos in Gottes Arme wirft.
Sobald ein Jude Buße tut und aufhört, sich auf Abraham, Isaak und Jakob oder auf seine eigenen guten Taten zu berufen, sobald er sich nur auf den Gott beruft, der ihn liebt und ihn retten möchte, ist Gott ihm barmherzig und nimmt er ihn an.
Jesaja 55, 7: „Der Ehrfurchtslose ‹und Frevler› verlasse seinen Weg und der Mann des Frevels seine Gedanken und er kehre um zu dem Herrn, so wird er sich seiner erbarmen, und zu unserem Gott, denn er ist reich an Vergebung.“
Vgl. Römer 11:30-32: „... denn gleichwie auch ihr einst im Unglauben Gott nicht gehorchtet, nun aber Barmherzigkeit erfuhrt [durch] ihren Ungehorsam, so waren auch diese nun im Unglauben ungehorsam zugunsten eurer Barmherzigkeit, damit auch sie Barmherzigkeit erfahren möchten, denn Gott schloss alle zusammen ein in den Ungehorsam, damit er allen Barmherzigkeit widerfahren lasse.“
Gott schloss alle zusammen unter den Unglauben ein. Wozu schloss er sie ein? Wozu stempelte er alle als untauglich ab? Damit er „allen Barmherzigkeit widerfahren lasse“, d. h., damit sie alle – durch Buße und Glaube – tauglich werden könnten, denn er will ja alle retten. Deshalb zeigt er uns die Wahrheit über uns: nämlich, dass wir unverbesserliche Sünder sind und nur aus Gnaden gerettet werden können.
Also war Gottes Absicht immer Barmherzigkeit: Zuerst Barmherzigkeit den Juden gegenüber, dann den Heiden gegenüber. Denn er musste das ungläubige Israel verwerfen musste und dadurch kam Gottes Barmherzigkeit den Heiden zu Gute (freilich nicht jedem einzelnen Heiden automatisch, sondern nur denjenigen, die sie in Buße und Glaube annahmen); und schlussendlich sollte Gottes Barmherzigkeit wieder Israel zu Gute kommen, einem Israel, das sich in Buße und Glaube zuletzt dem Messias zuwenden wird. Ja, es war immer Barmherzigkeit. Gott „schloss alle zusammen ein in den Ungehorsam, damit er allen Barmherzigkeit widerfahren lasse.“ (11, 32)
Schlussfolgerung
V. 16: „Dann ist es also nicht [eine Sache] des Wollenden noch des Laufenden, sondern des barmherzig seienden Gottes ...“
Es liegt also nicht am Menschen, sondern an dem Barmherzigen. Wer ist der Barmherzige? Gott. Es ist eine Angelegenheit Gottes, nicht eines Menschen. Gottes Handeln resultiert nicht aus den Werken, Leistungen, Motiven und dem guten Willen von Menschen, sondern sein Handeln resultiert aus seiner eigenen Barmherzigkeit. Gott handelt nicht deswegen, weil Menschen ihn durch ihre Werke, Leistungen und Motive beeindrucken, sondern Gott handelt immer frei.
Im größeren Zusammenhang des Römerbriefes geht es darum, wer bei Gott in Gnaden stehen darf. Und wofür entschied Gott sich? In seiner Souveränität entschied er sich, allen gegenüber (11, 30-32) barmherzig zu sein. Und niemand kann ihn daran hindern.
Beachten wir, dass in Römer 9-11 von Gottes Absichten für Israel und die Heidenvölker die Rede ist. Es kam den Juden ungerecht bzw. willkürlich vor, dass Gott die Heiden annahm. Paulus zeigt nun auf, dass Gott, wenn er ein Heilsvolk (Israel einerseits und die Heidenvölker andererseits) erwählt, dieses nicht aus Willkür tut, sondern aus Barmherzigkeit. Gottes Absicht ist und war es immer, Barmherzigkeit zu erzeigen. Wenn er sich über die Heiden erbarmt, ist das nicht nur sein Recht, sondern es entspricht auch seinem Wesen, einem Wesen, das er auch in der Geschichte Israels immer wieder offenbarte – und von dem Gottes Volk in der Geschichte immer wieder profitierte.
Die Israeliten pochten stark auf ihre Abstammung und auf ihre Werke. Der Israelit sagte: „Ich bin Abrahams Kind, deshalb bin ich bei Gott in Gnaden.” Gott dagegen sagt: „Ich bin dir gegenüber zu nichts verpflichtet. Nur deshalb, weil du Abrahams Sohn bist, muss ich dir nicht Gnade schenken! Es gibt eine ganze Menge von Söhnen Abrahams, denen ich nicht gnädig war. Also: Ich werde gnädig sein dem, dem ich gnädig sein will.”
Dass Gott Israel erwählte, war also gänzlich ein Akt der Barmherzigkeit. (Vgl. 1. Mose 7, 7.8.)
II. Das zweite Beispiel aus der Geschichte ist Pharao. 9, 17.18
Dass Gott barmherzig ist, zeigt Paulus auch anhand eines zweiten Beispiels: „... denn die Schrift sagt zu Pharao: ‚Eben hierzu stellte ich dich auf …’“
Paulus zitiert 1. Mose 9, 16. Pharao hatte sein Herz fünfmal verhärtet. Gott hatte dem Pharao die Möglichkeit gegeben, Buße zu tun. Erst nach der fünften eigenwilligen Verhärtung Pharaos griff Gott ein. An diesem Tage hätte Gott den Pharao töten können – wie der Töpfer Macht hat, den Ton in seiner Hand, der nicht mitmachen will, zu zerstören und ein neues Gefäß zu machen. Aber anstatt den Pharao zu töten, ließ Gott ihn am Leben:
„Eben hierzu stellte ich dich auf [o.: ließ ich dich stehen ‹und am Leben›; o.: ließ ich dich – ‹lebend› – stehen]“
Der Text sagt nicht, dass Gott Pharao hatte „geboren“ werden lassen, um ihn zu zerstören. In 1. Mose 9, 16 lesen wir, dass Gott den Pharao „stehen ließ / bestehen ließ“, d. h., am Leben ließ, nachdem jener sich Gott gegenüber verhärtet hatte.
Zu welchem Zweck ließ Gott ihn stehen?
V. 17!: „... auf dass ich meine Kraft an dir erzeigte und damit mein Name ‹weithin› kundgetan würde auf der ganzen Erde.“
Gott entschied sich, den Völkern zu zeigen, wer er sei; er wollte sie retten.
War nun Gottes Entscheidung blinde Willkür? Nein. Es war Barmherzigkeit!
Ist Gott souverän? Ja. Gott ist frei; er lässt sich nicht bestimmen. Aber das heißt nicht, dass er ohne Kriterien barmherzig ist, und auch nicht, dass er ohne Kriterien verwirft – wie hier den Pharao. Das Kriterium, das ihn leitet, ist Barmherzigkeit. Auch bei der Verhärtung Pharaos leitete ihn seine Barmherzigkeit, und zwar eine, die allen Völkern der Erde galt (V. 17): auf dass Gottes Name „weithin kundgetan werde auf der ganzen Erde“.
Weil Gott sich aller Völker erbarmen will, richtet er Pharao nicht, sondern lässt ihn am Leben und sagt gleichsam: „Du wirst nun von mir gebraucht werden! Aber nicht so, wie du denkst. Ich gebrauche dich, den Verhärteten, nun dazu, dass mein Name und Ruhm zu den Heidenvölkern hinausgeht.“
Ebenso darf Gott auch heute Israel verhärten, nachdem es sich selbst so oft verhärtet und schlussendlich den Messias verworfen hat. Und Gott verhärtet Israel mit dem Ziel und der Absicht, nun das Heil zu den Heiden hinauszubringen.
Schlussfolgerung
V. 18: „Dann ist er also barmherzig, gegen wen er will, und er verhärtet, wen er will.“
Gott ist frei, zu tun und zu lassen, was er will. Er ist frei, barmherzig zu sein, gegen wen er will, und zu verhärten, wen er will. Richtig! Aber er handelt dabei nicht ohne Kriterien. Er handelt nicht willkürlich.
Wir wissen aus der heiligen Schrift, gegen wen Gott barmherzig sein will: Grundsätzlich gegen alle. Aber der Mensch darf sein Angebot ablehnen. So erbarmt Gott sich über jeden Menschen, der sich in Buße an Gott wendet und von ihm Barmherzigkeit erbittet. (Vgl. 1. Mose 30, 1-3; Psalm 103, 13; Jesaja 55, 7.)
Und wem will Gott sein Erbarmen verwehren? Grundsätzlich niemandem. Aber er ist genötigt, von denen, die ihr Herz verhärten, sein Erbarmen zurückzuziehen (Jesaja 27, 11; Hesekiel 5, 11; 8, 17.18), entweder durch sofortigen Tod oder durch göttliche Verhärtung derselben, wie bei den Ägyptern (1. Mose 14, 17) und bei Sihon, dem König von Hesbon (1. Mose 2, 30). Ja, für diejenigen, die Gottes langes und geduldiges Werben konsequent ablehnen, gibt es einen point of no return, einen Punkt, ab dem man nicht mehr zurück kann.
Wir beachten, dass es um eine heilsgeschichtliche Verwerfung und Annahme (Israels und der Völker) geht. Einzelne Israeliten, die nicht glaubten, gingen verloren, auch im Alten Testament. Und einzelne aus den Völkern wurden gerettet, wenn sie sich zum Gott Israels wandten (z. Bsp. Rahab, Ruth, Urija, Naeman). So war Gottes Absicht in der Erwählung der einen und Verwerfung der anderen – und in der Erwählung der anderen und Verwerfung der einen – immer Barmherzigkeit gewesen (11, 30-32).
Aber die persönliche Verwerfung (und damit ewige Verdammnis) geschah immer auf Grund von Unglauben: wie bei Pharao so auch bei Esau und bei den ungläubigen Israeliten in der Zeit Jesu und der Apostel (10, 21).
I. Gott darf tun, was er will, weil er der Schöpfer ist: 9, 19-21
V. 19 „Du wirst hieraufhin zu mir sagen: Warum tadelt er noch? – denn wer hat seinem Vorhaben [o.: seinem Entschluss] widerstanden?“
Paulus sprach von Gottes Souveränität. Aber – so könnte man einwenden – wenn Gott tut, was er will, kann der Mensch nichts dagegen tun. Aber wenn Gott mit dem Menschen tut, was er will, darf er auch nicht den Menschen schuldig sprechen.“
Hierauf antwortet Paulus mit einer Verteidigung der Größe Gottes (V. 20-22A)
. Der Mensch ist kleiner als Gott.
V. 20A: „So?! Wer, o Mensch, bist du, dass du Gott entgegnest?“
Man soll sich im Gespräch mit Gott nicht mit ihm messen. V. 20
. Gott als Schöpfer darf über sein Werk bestimmen.
V. 20M.21: „Wird etwa das Geformte zu dem Formenden sagen: ‚Warum machtest du mich so?’ (V. 21) Oder hat der Töpfer nicht Vollmacht über den Ton, aus derselben Masse ein Gefäß zur Ehre und ein anderes zur Unehre zu machen?“
Man soll den Schöpfer nicht in Frage stellen. Als Schöpfer hat er Macht zu formen, wie er will. Alles kann seiner Ehre dienen. Wenn Israel missraten ist und sich von Gott abgewandt hat (indem es den Messias verwarf), so ist es Gottes gutes Recht, sich nun den Heidenvölkern zuzuwenden.
Man soll den Schöpfer nicht in Frage stellen.
Als Schöpfer hat er Macht zu formen, wie er will. Alles kann seiner Ehre dienen.
Wenn der „Ton“ – d. h. Israel – missraten ist (Vgl. Jeremia 18, 1-6) und durch Verwerfung des Messias sich von Gott abgewandt hat, so ist es Gottes gutes Recht, sich nun den Heidenvölkern zuzuwenden.
Jeremia 18:3-12: „Und ich ging in das Haus des Töpfers hinab, und– siehe– er machte eine Arbeit auf der Scheibe. 4 Und das Gefäß, das er aus dem Ton machte, missriet in der Hand des Töpfers. Und er machte wieder ein anderes Gefäß daraus, wie es in den Augen des Töpfers zu tun richtig ist. 5 Und das Wort JAHWEHS geschah zu mir folgendermaßen: 6 Vermag ich euch nicht zu tun wie dieser Töpfer, Haus Israel?, [ist der] Ausspruch JAHWEHS. Siehe, wie der Ton in der Hand des Töpfers, so seid ihr in meiner Hand, Haus Israel. 7 Einmal rede ich über ein Volk und über ein Königreich, es auszureißen und abzubrechen und zu zerstören; 8 kehrt aber jenes Volk, über das ich geredet habe, von seiner Bosheit um, so lasse ich mich des Übels gereuen, das ich ihm zu tun gedachte. 9 Und ein anderes Mal rede ich über ein Volk und über ein Königreich, es zu bauen und zu pflanzen; 10 tut es aber, was böse ist in meinen Augen, so dass es auf meine Stimme nicht hört, so lasse ich mich des Guten gereuen, das ich ihm zu erweisen gesagt hatte. 11 Und nun rede zu den Männern von Juda und zu den Bewohnern von Jerusalem und sage: So sagt JAHWEH: Siehe, ich bereite ein Unheil gegen euch und ersinne gegen euch einen Plan; kehrt doch um, jeder von seinem bösen Weg, und macht eure Wege und eure Handlungen gut. 12 Aber sie sagen: Es ist umsonst; denn unseren Gedanken wollen wir nachgehen und jeder nach dem Starrsinn seines bösen Herzens tun.
Paulus sagt: Nur deshalb, weil du ein Israelit bist, wirst du nicht gerettet. Wenn du den Messias ablehnst, darfst du dich nicht wundern, wenn Gott dich verwirft und die Heiden erwählt. Damals hattest du dich nicht beschwert, als Jakob erwählt wurde; jetzt brauchst du dich auch nicht zu beschweren, wenn Gott nun die Heidenvölker annimmt (d. h.: in Christus erwählt).“
Niemand darf Gott etwas vorschreiben. Das wäre genauso töricht, wie wenn der Ton dem Töpfer etwas vorschreiben wollte.
II. Gott darf seinen Zorn aus Güte zurückhalten bei den Gefäßen des Zorns. 9, 22
„Wenn aber Gott, da er [seinen] Zorn erzeigen und seine Kraft kennen lassen wollte, in viel Geduld die Gefäße des Zorns, die fürs Verderben fertig geworden waren, ertrug?“
Nach Jeremia 18 sind die Gefäße des Zorns die Ungläubigen aus dem Volk. Wer ist in diesem Falle gemeint? Wer sind „die Gefäße des Zorns“, die Gott so lange trug? Israel! – ein hartes Israel, das sich dem Messias nun schon so lange verweigerte.
Wodurch waren jene Israeliten für das Verderben zugerüstet / fertig / reif geworden? Durch ihren Unglauben. Paulus hat bereits ab 2, 1 geschrieben, dass, wenn Menschen ins Verderben gehen, es durch ihre eigene Schuld ist, denn Gott wird „einem jeden vergelten nach seinen Werken“ (2, 6).
Das gr. Wort für „fertig“ bedeutet „zugerüstet; hergerichtet; reif; bereitet“. Die Gefäße des Zorns waren bereits fertig, reif fürs Verderben. Aber Gott in seiner Gnade hält sein Gericht über Israel noch zurück.
Sie, die eine solch lange Zeit ungehorsam und starrköpfig in Bezug auf den Messias waren, hat Gott getragen, getragen in großer Langmut. Er ist bis dato immer noch nicht zum Gericht eingeschritten, sagt Paulus. Warum nicht? Weil er es so wollte. Er wollte nicht, dass sie verloren gingen, er will ihnen noch Raum zur Buße geben. Er tut es, weil es seinem gütigen und barmherzigen Wesen entspricht.
Darf er das?
III. Gott darf den Reichtum seiner Herrlichkeit kennen lassen an den Gefäßen der Barmherzigkeit: V. 23-29
. V. 23: „Und [wenn er dieses tat], damit er kennen lasse den Reichtum seiner Herrlichkeit an den Gefäßen der Barmherzigkeit, die er im Voraus zu Herrlichkeit bereitete ...“
Gott hat im Voraus die Gefäße der Barmherzigkeit zu [o.: für] Herrlichkeit bereitet. Der Text sagt nicht,
. dass es sich um eine vorbestimmte Anzahl von Menschen handelt;
. dass sie bereits vor ihrer Bekehrung Gefäße der Barmherzigkeit waren;
. dass sie im Voraus zur Bekehrung bestimmt gewesen waren.
. Er sagt nicht, wie sie Gefäße der Barmherzigkeit geworden waren.
Gott sieht die Not und rettet, wo immer sich jemand retten lässt. Und wo sich jemand retten lässt, dort wird ein Gefäß des Zorns zu einem Gefäß der Herrlichkeit.
Paulus sagt nicht, dass das Bereiten zu Herrlichkeit auf eine bestimmte Anzahl von Menschen beschränkt oder einer bestimmten Anzahl vorbehalten wäre; auch nicht, dass Gott in der Ewigkeit im Voraus bestimmte, welchen Individuen er barmherzig sein werde und welchen nicht.
Sondern Paulus sagt: Das, was Gott denen bereitete, die sich retten lassen würden, ist Herrlichkeit. Gott bereitete die Gefäße der Barmherzigkeit im Voraus „zu Herrlichkeit“.
In diesem Leben, wann immer irgendein Mensch der Messiasbotschaft begegnet, entscheidet der Mensch, ob er Gottes Angebot annehmen will oder nicht. Und wenn er Buße tut und zum Messias „Ja“ sagt, wird er zu einem Gefäß der Herrlichkeit, einem Gefäß, das Gott „zu Herrlichkeit“ bereitete. Das ewige Los eines solchen Menschen wird Herrlichkeit sein.
Wer in diese Verse eine Vorherbestimmung zur Bekehrung (d. h., eine Vorherbestimmung zum Gläubigwerden) hineinliest, lässt den Römerbrief sich selbst widersprechen; denn Paulus hat bereits in den K. 3-5 deutlich gemacht, dass das Heil nur durch den Glauben erlangbar ist. Und in 10, 9-21 zeigt er auf, dass Gottes Werben allen Menschen gilt (Gottes Hände sind nach allen ausgestreckt, 10, 21) und dass es in der Verantwortung des Menschen liegt, mit dem Herzen zu glauben und mit dem Munde den Namen des Herrn anzurufen (10, 9-13; 11, 20E).
Die „Gefäße des Zorns“ sind die Verworfenen. Hier, in unserem Fall, sind sie Israel, ein Israel, das durch sein Verwerfen des Messias zu einem „im Unglauben ungehorsamen und einem widersprechenden Volk“ (10, 21) geworden ist. Sie wurden aus dem Ölbaum ausgebrochen „durch den Unglauben“ (11, 20).
Die „Gefäße der Barmherzigkeit“ sind die Angenommenen, die aus den Heidenvölkern, denn jeder aus ihnen steht „durch den Glauben“ (11, 20).
. V. 24: „an uns, die er auch rief“
Wie wurden diese „wir“ Gefäße der Barmherzigkeit? Durch Gottes Rufen (V. 24; 10, 14.15) und durch ihre (positive) Antwort auf Gottes Rufen. Das Antworten nennt die Heilige Schrift „glauben“. (Vgl. Hebräer 4, 2.)
„Rufen“ ist im Gr. synonym für „einladen“. Gottes Rufen / Einladen setzt Gottes Verlangen nach der Nähe zum Gerufenen voraus. Wenn Gott die Menschen einlädt zu kommen, so setzt dieses voraus, dass Gott die Menschen bei sich haben möchte. Daher ruft er sie ja. „Komm! Ich habe hier einen herrlichen Platz für euch bereit. Ich möchte euch bei mir haben.“
Der Mensch kann nur dann zu Gott kommen, wenn Gott ihn ruft. Die Tatsache, dass Gott ihn ruft, ist ein Akt der Barmherzigkeit Gottes. Dass Gott möchte, dass Menschen bei ihm sind, ist reine Gnade.
Wen rief Gott?
„nicht nur von den Juden, sondern auch von den Völkern“ (V. 24M) Gottes Ruf erging (und ergeht) an alle:
10, 12.13: „… denn es ist kein Unterschied zwischen Jude und Grieche, denn derselbe Herr aller ist reich für alle, die ihn anrufen, denn ‘jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, wird gerettet werden’“.
Der Ruf ergeht nicht nur an die leiblichen Nachkommen Abrahams, sondern an alle aus den Völkern (9, 33; 10, 4.9-13; 10, 14ff).
Nur diejenigen, die auf Gottes Ruf positiv reagieren (durch Buße und Glauben), werden Gefäße der Barmherzigkeit. Jeder Mensch darf wählen, was er von Gott bekommen möchte: seine Barmherzigkeit oder seinen Zorn.
Gott rief alle, aber: „nicht alle jedoch gehorchten der guten Botschaft …“ (10, 16)
Gott sagt: „Den ganzen Tag streckte ich meine Hände aus zu einem im Unglauben ungehorsamen und einem widersprechenden Volk.“ (10, 21)
Wer den Ruf nicht annehmen will, dem kann Gott nicht Barmherzigkeit erweisen. Wenn daher gewisse Menschen das Heil nicht bekommen, liegt es nicht an Gott.
In 9, 23.24 geht es nicht um die Frage, ob Gott einzelne Menschen dazu vorherbestimmt hat, dass sie sich bekehren. An keiner der Vorherbestimmungsstellen (Epheser 1, 5.11; Römer 8, 28.29) geht es darum.
. Gottes Angebot gilt Außenstehenden und bisher „nicht Geliebten“ (Verworfenen also).
V. 25.26: „– wie er auch in Hosea sagt: Ich werde NichtMeinVolk ‘mein Volk’ nennen und die NichtGeliebte ‘Geliebte’ (Vgl. Hos 2, 25.) und: Es wird geschehen an dem Ort, an dem zu ihnen gesagt wurde: ‘Ihr seid nicht mein Volk’, dort werden sie ‘Söhne des lebenden Gottes’ genannt werden.’ (Hos 2, 1)“
Das Zitat aus Hosea bezieht sich dort auf das Israel, das abtrünnig geworden ist.
Es gibt zwei „Israel“ im Alten Testament: die Chasidim (die Frommen) und die Abfallenden, die Untreuen, Nichtgeliebten, die „NichtseinVolk“. Gott liebt sie und möchte sie alle bei sich haben. Darum wirbt er immer noch um sie (Hos 2).
Paulus argumentiert: Schaut einmal, meine lieben Landsleute: Im AT steht geschrieben, dass Israeliten sich durch ihren Unglauben die Teilhabe am Volk Gottes verwirkt hatten. Der Prophet Hosea spricht Juden an, die von Gott abtrünnig geworden sind. Gott sagt ausdrücklich: „Solche, die mein Volk waren, sind nicht mehr mein Volk!“
Aber jetzt kommt die Gnadensprache Gottes: „Ich will gerade die, die NichtmeinVolk geworden sind, zu meinem Volk machen!“
Wenn nun Gott abtrünnig gewordene Juden (die ja durch ihren Unglauben gleichsam zu Heiden geworden sind) wieder zu Israeliten macht, weil Gott ihnen gnädig ist (im Falle sie zurückkommen wollen), was ist dann heute Außergewöhnliches daran, dass Gott auch die aus den Völkern (Nichtjuden) annimmt?
Wenn Juden, die durch ihre Abtrünnigkeit gleichsam zu Nichtisraeliten geworden waren, wieder von Gott zurückgerufen werden und eines Tages wieder angenommen werden (Hos 2), warum kann er nicht andere, die ebenfalls Nichtisraeliten sind (nämlich die aus den Völkern) rufen?
Es besteht letztlich kein Unterscheid zwischen einem abgefallenen Juden und einem Heiden. D. h., der Ruf Gottes an den untreuen Juden (Hos 2, 1) darf auch für den Heiden gebraucht werden.
So macht Paulus den Israeliten deutlich, dass Gott ein vollkommenes Recht hat, einerseits ein Israel, das nicht an Christus glauben möchte, zu verwerfen, und andererseits die aus den Völkern, die an Christus glauben, anzunehmen. Jeder darf kommen – aber nur auf den göttlichen Ruf hin, und nur auf Gnade hin, und nur mittels gläubigen Annehmens dieses Gnadenangebotes in Christus. Die, die es annehmen, diese sind es, denen er sich barmherzig erzeigt.
. Aus Israel wird nur ein Überrest gerettet werden.
V. 27.28: „Aber Jesaja ruft aus über Israel: ‚Wäre die Zahl der Söhne Israels wie der Sand des Meeres, der Überrest [d. h., nur der Überrest] wird gerettet werden, denn [er ist] einer, der ein Wort ganz zu Ende führt und rasch erledigt in Gerechtigkeit, weil der Herr ein rasch erledigtes Wort auf der Erde tun wird.’ (Vgl. Jesaja 10, 22.23.)“
Das „rasch erledigte Wort“ ist das Wort, das er versprochen hatte, eine rasch erledigte Sache.
Der Überrest von V. 27 ist das „ganz Israel“ von Römer 11, 26. Vgl. Sacharja 13, 8.9.
V. 29: „Und [es ist] so, wie Jesaja zuvor sagte: ‚Wenn der Herr der Heere uns nicht Samen übrig gelassen hätte, wären wir wie Sodom geworden und Gomorra gleich geworden.’ (Jesaja 1, 9)“
Das „Israel nach dem Fleisch“ (1. Korinther 10, 18) galt zu der Zeit, als der Römerbrief geschrieben wurde, immer noch als Gottes Volk (Römer 11, 1.2). Sie heißen „Israeliten“ (Römer 9, 4) und „Israel“ (10, 1). Gott erkannte das irdische theokratische Volk (zwischen 30 und 70 n. Chr.) immer noch als sein Volk an. Er gab ihnen noch eine Gnadenfrist, in der das Evangelium zu allen Juden im gesamten römischen Reich hinausgetragen wurde.
Diejenigen aus Israel, die den Messias annahmen, waren der treue Kern des Volkes, so wie es auch im AT immer einen treuen Kern gab (Vgl. 11, 4). Sie galten als die eigentlichen „Juden“ (Römer 2, 28-29): „… denn nicht der, der es im Sichtbaren ist, ist Jude, noch ist die, die es im Sichtbaren ist, im Fleisch, Beschneidung, sondern der, der es im Verborgenen ist, ist Jude, und Beschneidung ist die des Herzens, im Geist, nicht im geschriebenen [Gesetz]. Eines solchen Lob ist nicht von Menschen, sondern von Gott.“
In diesem Sinne ist Römer 9, 6-8 zu verstehen. „… nicht alle, die aus Israel sind, sind Israel, noch sind alle Kinder, weil sie Abrahams Same sind, sondern ‚in Isaak wird dir ein Same genannt werden.’ Das heißt, es sind nicht die Kinder des Fleisches, die Kinder Gottes sind, sondern die Kinder der Verheißung werden als Same gerechnet“. Nur der treue Kern wird als der Same gerechnet, der in den Genuss der Verheißungserfüllung kommen sollte. Der treue Kern war der „Überrest“ von 11, 5 und 9, 27.28.
Das „Israel nach dem Fleisch“, das den Messias verwarf, galt zugleich auch als „Nicht-Volk“ (Römer 9, 25; Hos 1, 9) und als eine „Synagoge des Satans“ (Offenbarung 2, 9; 3, 9) bzw. als „Teufelskinder“ (Johannes 8, 44).
In Römer 11, 1.2 hatte Paulus das gesamte alttestamentliche Israel im Blickfeld. Sein Argument: Weil es treue Gläubige im Volk gab (den treuen Kern, den „Überrest“, 11, 5), konnte man sagen, dass das Volk als solches zu jener Zeit nicht gänzlich verworfen war.
Nach Hosea 1, 9 und Römer 9, 25.26 war das ungläubige Israel gleich den Nichtisraeliten. Sie waren aber trotzdem immer noch das in Abraham-Isaak-Jakob erwählte Volk Gottes.
„Feinde“ waren sie (d. h. alle aus dem Volk, die bis dato im Unglauben verharrten) „wegen des Evangeliums“; dennoch waren sie „Geliebte“ (und daher „Volk Gottes“) „der Väter wegen“, denen Gott die Verheißungen gegeben hatte (11, 27ff). D. h., die Tür des Heils und der herrlichen verheißenen Zukunft stand ihnen noch offen – so lange, bis die Gnadenfrist für das alttestamentliche Israel vorüber war.
Für den einzelnen Israeliten endete die Gnadenfrist mit dem Tod, für das historische Israel als irdische Theokratie und als irdisches Gottesvolk endete die Frist mit dem verheißenen Gericht Gottes über die Stadt und den Tempel, das Gericht, das der gesamten alten Ordnung und der Welt des alten Bundes ein Ende setzte.
Paulus wusste, dass er nicht mehr viel Zeit hatte. Jesaja (Jesaja 10, 22.23) hatte ausgerufen über Israel: „Wäre die Zahl der Söhne Israels wie der Sand des Meeres, [nur] der Überrest wird gerettet werden, denn [er ist] einer, der [das] Wort [oder: die verheißene Sache] ganz zu Ende führt und rasch abschließt in Gerechtigkeit, denn der Herr wird [das] Wort als ein rasch abgeschlossenes [o.: wird eine rasch erledigte Sache ] auf Erden [o.: im Lande] vollführen.“ Und (1, 9): „Wenn der Herr der Heere uns nicht Samen übriggelassen hätte, wären wir wie Sodom geworden und Gomorra gleich geworden.“ (Römer 9, 27.28)
Er wusste, dass das Gericht Gottes über Israel, das der irdischen Theokratie ein Ende bereiten sollte, nahe bevorstand.
„Was werden wir also sagen? Die von den Völkern, die nicht nach Gerechtigkeit strebten, erlangten Gerechtigkeit, eine Gerechtigkeit aber, die aus Glauben ist;“
Israel erlangte nicht die geforderte Gerechtigkeit, weil es ihn auf einem falschen Weg erreichen wollte. Die Heiden erlangten die Gerechtigkeit auf dem Glaubensweg.
V. 31: „aber Israel, einem Gesetz der Gerechtigkeit nachstrebend, gelangte nicht zum Gesetz der Gerechtigkeit.“
Israel wollte aus Werken gerecht werden und gelangte daher nicht zur Glaubensgerechtigkeit.
„Gesetz der Gerechtigkeit“ bedeutet: Sie strebten nach einer gesetzlichen Gerechtigkeit, d. h., einer Gerechtigkeit, die aus Werken kommt. Israel strebte nach einer gesetzlichen Gerechtigkeit, kam dort aber nicht an.
V. 32 „Weshalb nicht?“ Weshalb schaffte Israel es nicht, diese gesetzliche Gerechtigkeit zu erreichen?
„Weil es nicht aus Glauben geschah, sondern als aus Gesetzeswerken“.
Sie gingen nicht den Glaubensweg, sondern den Weg der Werke. Aber durch die Werke konnten sie nicht gerecht werden, weil sie immer wieder sündigten. Sie brachen das Gesetz.
Warum geschah es nicht aus Glauben? Warum wollten sie nicht den Weg des Glaubens gehen? Warum wollten sie nicht die Glaubensgerechtigkeit?
„… denn sie stießen sich an dem Stein des Stolperns …“
„… so, wie geschrieben ist: ‚Siehe! Ich lege in Zion einen Stein des Stolperns und einen Felsen des Ärgernisses ‹und Anstoßens›, und jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.’“ Vgl. Jesaja 8, 14; 28, 16.
Christus, der Stein (Jesaja 8, 14; 26, 4; 1. Korinther 10, 4; 1. Petrus 2, 8), war ihnen ein Stein des Anstoßens.
Von ihm hieß es schon im Alten Testament: „Er wird zum Heiligtum sein; aber zum Stein des Anstoßens und zum Felsen des Strauchelns den beiden Häusern Israels, zur Schlinge und zum Fallstrick den Bewohnern von Jerusalem.“ (Jesaja 8, 14) und: „Vertraut auf Jahweh ewiglich, denn in Jah, Jahweh, ist ein Fels der Ewigkeiten, ‹ein ewiger Fels›“ (Jesaja 26, 4). „Darum sagt mein Herr, Jahweh, so: ‚Siehe! – Ich bin es, der in Zijon einen Grundstein legt, einen erprobten ‹und erprobenden› Stein, einen kostbaren Eckstein, trefflich als wohlgegründetes Fundament. Wer glaubt, wird nicht hasten [o.: ‹ängstlich› eilen; o.: entweichen; wird nicht zu flüchten brauchen].’“ (Jesaja 28, 16)
Fünfmal wird uns mitgeteilt, dass Pharao sein Herz verhärtete; das erste Mal in 1. Mose 7, 13: „Doch das Herz des Pharao war hart, und er hörte nicht auf sie, so wie der HERR geredet hatte.“ (Der Satz „so wie der HERR geredet hatte“, könnte sich auf „Pharao war hart“ oder/und auf „er hörte nicht auf sie“ beziehen. Sicher ist, dass der HERR zuvor Mose angekündigt hatte, dass Pharao nicht auf Mose und Aaron hören und Israel nicht ziehen lassen werde.)
1. Mose 7, 14: „Und der HERR sprach zu Mose: Das Herz des Pharao ist schwer (o. unempfindlich; verstockt). Er weigert sich, das Volk ziehen zu lassen.“
Die weiteren eigenen Verhärtungen werden 7, 22; 8, 15 erwähnt: Sein Herz „war hart“; 9, 7: „war schwer (verstockt); 8, 10.28: „machte er sein Herz schwer (unempfindlich; verstockt)“.
Nach Ausbruch der 6. Plage verhärtete Gott den Pharao: 9, 12: „Und Jahweh machte das Herz des Pharao hart, und er hörte nicht auf sie, so wie Jahweh zu Mose (in 4, 21; 7, 3) geredet hatte.“ Nun zieht der HERR Resümee (V. 13M16):
„So spricht Jahweh, der Gott der Hebräer: ‚Lass mein Volk ziehen, damit sie mir in Verehrung dienen! 14 denn dieses Mal will ich alle meine Plagen in dein Herz senden …, damit du weißt, dass niemand auf der ganzen Erde ist wie ich; 15 denn jetzt hätte ich meine Hand ausgestreckt und hätte dich und dein Volk mit der Pest geschlagen, und du wärst vertilgt worden von der Erde; 16 doch eben deswegen lasse ich dich stehen, um dir meine Kraft zu zeigen und damit man meinen Namen verkündige auf der ganzen Erde.‘“
Nach der 7. Plage „fuhr“ der Pharao „fort zu sündigen und machte sein Herz schwer (unempfindlich, verstockt), er und seine Knechte: 35 Und das Herz des Pharao war hart“ (9, 34.35.) Diese Herzensverhärtung Pharaos ist zurückzuführen auf eine Verstockung durch Gott, denn bevor Gott die achte Plage sandte, sagte er zu Mose:
10, 1.2: „Geh zum Pharao hinein, denn ich habe sein Herz und das Herz seiner Hofbeamten schwer (unempfindlich, verstockt) gemacht, um diese meine Zeichen mitten unter ihnen zu tun, 2 und damit du vor den Ohren deiner Kinder und Kindeskinder erzählst, wie ich den Ägyptern übel mitgespielt habe und meine Zeichen, die ich unter ihnen getan habe. So werdet ihr erkennen, dass ich der Jahweh bin.“ Gott verstockte das Herz des Pharao weiterhin: Er „machte das Herz des Pharao hart“ (10, 20.27; 11, 10; 14, 8).
„Brüder, das Wohlgefallen meines Herzens und wofür ich zu Gott für sie flehe, ‹das› ist [ihre] Rettung …“
Paulus vergewissert, wie sehr er ein Anliegen für Israel hat, wie sehr er für sein Volk fleht. Es kommt also schon auch auf das Gebet an, ob Menschen gerettet werden (und die Möglichkeit bekommen, gerettet zu werden) oder nicht. Jakobus sagt: „Ich habt nicht, weil ihr nicht bittet.“ (Jakobus 4, 2). Wenn man nicht bittet, hat man nicht. Würde man bitten, so hätte man.
„denn ich gebe ihnen [den einzelnen Israeliten] Zeugnis, dass sie Eifer für Gott haben …“
„… denn ich gebe ihnen Zeugnis, dass sie Eifer für Gott haben, jedoch nicht nach Erkenntnis …“
Israels Gerechtigkeitsstreben ist nicht entsprechend der wahren Erkenntnis dessen, das Gott eigentlich sagte. Eifer für Gott zu haben, genügt nicht. Die Aussage „Hauptsache, du bist aufrichtig und meinst es ernst“ ist also nicht richtig.
I:. V. 3: „… denn als solche, die die Gerechtigkeit Gottes nicht kannten und ihre eigene Gerechtigkeit aufzurichten trachteten, unterordneten sie sich nicht der Gerechtigkeit Gottes …“
Was ist „die Gerechtigkeit Gottes“?
Die „Gerechtigkeit Gottes“ ist zum Einen die göttliche „Gerechtigkeit“ im Sinne von Rechtsprechung.
Warum kannten sie Gottes Gerechtigkeit oder Rechtsprechung nicht?
Weil sie sich zu wenig dafür interessierten. Ihre Aufmerksamkeit und ihr Eifer waren auf ihr Mittel – das Gesetz und die Gesetzeswerke – gerichtet.
Der Mann am Teich Bethesda (Johannes 5, 1ff) hatte großes Verlangen nach Heil. Es war da ein Mittel des Heils: die Heilquelle. Auf sie war er voller Eifer konzentriert, anstatt auf Jesus Christus, der vor ihm stand und ihn fragte:
„Willst du gesund werden?“
Er antwortete: „Ich habe keinen Menschen, der mich rechtzeitig zum Heilwasser bringe.“
Der Herr hatte aber nicht gefragt: „Brauchst du jemanden, der dich rechtzeitig zur Heilquelle trägt?“, sondern: „Willst du gesund werden?“ Der Mann erfuhr dann, dass das Heil unabhängig vom Mittel zu erlangen war – alleine durch Vertrauen auf Christus.
Die Juden – die Schriftgelehrten und Pharisäer – studierten Gottes Wort, aber der Herr Jesus sagte ihnen: „Ihr irrt, weil ihr die Schriften nicht wirklich kennt noch die Kraft Gottes.“ (Matthäus 22 29) Wie das? Sie erforschten die Schriften, weil sie meinten, darin das Leben zu haben. Aber gerade die Schriften hätten sie auf eine Person hin gelenkt! Jesus sagte:
„Ihr erforscht die Schriften, weil ihr meint, in ihnen ewiges Leben zu haben, und jene sind es, die von mir Zeugnis geben.“ Johannes 5, 39.
Die Juden studierten zwar Gottes Wort, aber sie waren nicht wirklich auf die zentrale Person des Heils, die die Mitte der Heiligen Schrift war (Offenbarung 19, 10), ausgerichtet: auf den Messias. Nun stand der Messias persönlich vor ihnen mit der Frage „Wollt ihr heil werden?“ Sie aber hörten ihn nicht wirklich, weil sie nicht glaubten (5, 24.37.38.43.) und nicht zu ihm kommen wollten, um Leben zu haben (5, 40). Sie waren auf das Falsche konzentriert, und daher erkannten sie nicht, was das alttestamentliche Wort Gottes wirklich sagte (5, 46.47).
II:. V. 4: „…. denn ‹Ziel und› Ende des Gesetzes ist Christus – zur Gerechtigkeit für jeden, der glaubt.“
Die „Gottesgerechtigkeit“ ist Bezeichnung einer gerechten Person: Christus.
1. Korinther 1, 30: „der uns geworden ist von Gott Weisheit und Gerechtigkeit.“
Christus ist beides, Ziel und Ende des Gesetzes.
A:. Christus ist das Ziel des Gesetzes.
. Er ist die Vollkommenheit, die das Gesetz fordert. In Christus ist das, was wir im Gesetz haben sollten, erreicht.
Worauf zielte das Gesetz hin? Es zielte auf Rechtschaffenheit, Vollkommenheit. Die haben wir nur in Christus. Sein Gesetz wurde uns ins Herz geschrieben (Hebräer 8).
. Dazu trug Christus das Strafurteil, das das Gesetz bei Übertretung forderte. Wer das Gesetz nicht hält, muss ein Strafurteil bekommen. Genau das trug Christus für uns!
B:. Christus ist das Ende des Gesetzes.
. Er erfüllte das Gesetz. Er erfüllte es in doppelter Hinsicht: die messianische Prophetie des Gesetzes und die Schatten des Gesetzes, die auf Christus hindeuteten (Sündopfer, Schuldopfer, Friedensopfer, Brandopfer und Speisopfer; vgl. 1. Mose 1-7.)
. Er steht am Ende der Geschichte des Gesetzes. Wenn man zu Christus kommt, ist man an das Ende der Geschichte des Gesetzes angelangt; dann hat man das, was das Gesetz verlangte.
. Mit Christus hört die Herrschaft des Gesetzes hört auf. Dort, wo er Herr wird, hört das Gesetz zu herrschen auf. Das heißt nicht, dass das Gesetz aufhört zu existieren. Und das heißt auch nicht, dass das Gesetz Mose im Neuen Bund nicht mehr gültig wäre – mit einigen Ausnahmen. Das Sabbatgebot und die levitischen Gesetze gelten nicht mehr. (Vgl. auch 1. Korinther 5, 7.8; Hebräer 7, 11-19.)
I:. Die Glaubensgerechtigkeit ist anders als die Gesetzesbotschaft. V. 5.6
A:. Was es um die Gesetzesgerechtigkeit ist, ist dargestellt anhand des Zitates von Mose. V. 5
V. 5A: „… denn Mose schreibt von der Gerechtigkeit, die aus dem Gesetz [kommt] …“
Was lehrt denn die Gesetzesgerechtigkeit?
. Gesetzeswerke müssen immer alle getan worden sein.
V. 5M: „‚Der Mensch, der diese Dinge getan hat, wird durch sie leben.’ {Vgl. 1. Mose 18, 5.}“
„Getan hat“ steht im Griechischen in der Vollständigkeitsform. D. h., man muss alles getan haben, um leben zu dürfen. Keiner hat aber das Gesetz eingehalten. Jeder ist daher des Todes schuldig:
„Verflucht ist jeder, der nicht bleibt in allem, was im Buch des Gesetzes geschrieben ist, es zu tun.” (Galater 3, 10) „Verflucht sei, wer die Worte dieses Gesetzes nicht aufrechterhält, sie zu tun!.“ (1. Mose 27, 26)
. Gesetzeswerke verheißen Leben dem, der sie tut.
Weil jetzt das Gesetz den Tod verkündet, deshalb sprechen wir von Rettung, denn Rettung hat etwas mit dem Leben zu tun. Man wird gerettet für das Leben vor dem ewigen (und wirklichen) Tode.
Edle Werke haben ihren Sinn, können aber keine Vergebung bewirken. Vgl. Tt 2, 11.12:
„… denn es erschien die Gnade Gottes, die allen Menschen Heil bringt, uns erziehend, damit, nach Absagen des ehrfurchtslosen Wesens und der weltlichen Lüste, wir mit gesundem Sinn ‹und Zucht› und in Gerechtigkeit und mit rechter Ehrfurcht in der jetzigen Weltzeit leben sollten …“
B:. Wie mit der Gerechtigkeit aus dem Gesetz verhält es sich aber nicht mit der aus dem Glauben. V. 6A
„Aber die Gerechtigkeit, die aus Glauben [kommt], spricht so“, anders also als die aus dem Gesetz.
II:. Der Glaubensweg zur Gerechtigkeit ist bereits im AT vorgezeichnet. V. 6-8A
Was die Glaubensgerechtigkeit spricht, ist ebenfalls dargestellt anhand des Zitates von Mose. V. 6A
„… die Gerechtigkeit, die aus Glauben [kommt], spricht so …“
Man fragt sich: Wie kann Gerechtigkeit sprechen? Gerechtigkeit selbst spricht nicht, sondern es ist die Botschaft über die Gerechtigkeit, die etwas sagt. Und wie lautet sie?
A:. Die Glaubensgerechtigkeit lehnt jegliche Eigenleistung ab? V. 6.7
. V. 6: „Sage nicht in deinem Herzen: ‘Wer wird in den Himmel aufsteigen?’ {Vgl. 1. Mose 30, 12.} (das heißt, Christus herabzuholen) …“
Gesetzesmenschen wollen Großes leisten, große Sprünge tun, um gerettet zu werden. Aber sie haben keine Flügel. Sie schaffen es nicht in den Himmel. Das käme dem gleich, als ob man Christus – die Gerechtigkeit in Person – vom Himmel herabholen wollte.
Jesus Christus sagte, dass niemand in den Himmel kommt, als nur der, der vom Himmel herabkam (Johannes 3, 13).
. V. 7: „oder: ‘Wer wird in den Abgrund hinabsteigen?’ {Vgl. 1. Mose 30, 13.} (das heißt, Christus von den Toten heraufzuholen).“
Es handelt sich hier nicht um ein direktes Zitat. Mose sagte in 1. Mose 30, 13: „Wer wird für uns jenseits des Meeres hinüberfahren …?“
Das Meer ist ein Abgrund, etwas Dunkles, Endloses; es steht hier für den Tod. Die Gesetzesmenschen wollen große Strecken zurücklegen, um gerettet zu werden. Paulus sagt, das käme dem gleich, dass man Christus von den Toten auferwecken wollte. Aber niemand kann Gerechtigkeit vom Meeresboden heraufholen. Das kann nur Gott tun. Und er hat es getan, als er Christus von den Toten erweckte!
Aus eigener Kraft ist Rettung also nicht möglich.
B:. Die Glaubensgerechtigkeit kommt durch Glauben an das Wort Gottes. V. 8.9
„Was sagt sie andererseits?“
. Die Glaubensgerechtigkeit kann sprechen. V. 8a. Die „Gerechtigkeit des Glaubens“ ist eine Kurzfassung der Botschaft des Evangeliums, weil die Botschaft des Evangeliums die Gerechtigkeit bringt.
. Die Glaubensgerechtigkeit spricht ähnlich wie Mose vom Gesetz sprach.
V. 8M: „‚Das Wort [o.: der Ausspruch] ist dir nahe, in deinem Munde und in deinem Herzen.’ {1. Mose 30, 14}“
Gott wollte sagen: „Du brauchst nicht weit zu gehen, um zu wissen, was mir wohlgefällig ist. Du brauchst nicht lange zu suchen, um zu wissen, wie du deinem Gott gefallen kannst. Ich sage es dir. Wenn du wandelst, wenn du schlafen gehst und wenn du aufstehst, halte dir überall Gottes Wort vor Augen! (Vgl. 1. Mose 6, 4-9.)
. Dieses Wort ist schon gesagt! Es steht also unabänderlich fest.
„Das Wort (Ausspruch) ist dir nahe“
Ich brauche also ich nicht lange zu suchen, wie ich gerettet werden kann, denn Gott hat es schon gesagt.
. Dieses Wort ist formuliert; es entspricht einem festgelegten Muster.
Es ist schon festgelegt. Es ist das „Muster gesunder Worte“ (2. Timotheus 1, 13), das „Muster der Lehre“ (Römer 6, 17).
„Das Wort ist dir nahe“: Es ist nahe gekommen in deinen Mund hinein, in dein Herz. Sage nicht, du müssest noch viel leisten und das Heil irgendwoher holen.
III:. Dieses Wort soll mit Glauben vermengt werden. (Vgl. Hebräer 4, 2.3.)
V. 8M.9: „Das ist das Wort des Glaubens [o.: vom Glauben], das wir verkünden, nämlich: Wenn du mit deinem Munde Jesus als Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten erweckte, wirst du gerettet werden“.
. Dieses „Wort“, von dem Mose sprach, ist das Wort, „das wir verkünden“, das Evangelium, das der Apostel verbreitet.
. Der Glaube an dieses Evangelium, „die gute Botschaft“, äußert sich auf zweierlei Weise:
„… nämlich: Wenn du mit deinem Munde Jesus als Herrn bekennst und in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten erweckte …“
Etwas hat der Mund zu tun, etwas das Herz. Aber die beiden gehören zusammen; denn Glaube im Herzen äußert sich im Sprechen zu Gott.
- „Wenn du mit deinem Munde Jesus als Herrn bekennst …“
„Herr Jesus“ ist ein Anruf. Was beinhaltet er?
„Jesus“ ist der Name des verheißenen Erlösers der Menschen, Gott in Menschengestalt. „Herr“ ist die Anerkennung seiner Gottheit sowie der Ausdruck der reuigen Umkehr von der persönlichen Auflehnung gegen ihn.
- „und [wenn du] in deinem Herzen glaubst, dass Gott ihn von den Toten erweckte …“
Das Herz ist der innere Mensch, die eigentliche Persönlichkeit. Hier wird im Vertrauen auf die Christusbotschaft bejaht, dass Jesus Sieger ist über den Tod, dass er zuvor gestorben war, dass er auch der Sieger über die Sünde wurde, dass er selbst nicht gesündigt hatte, denn die Auferstehung hat ihn, den Sündlosen, gerechtfertigt, d. h., hat bewiesen, dass er als Unschuldiger starb, dass er also stellvertretend gestorben sein muss, weil er als Sündloser nicht für eigene Sünde sterben musste.
Warum ist das Herz wichtig? Weil, wenn ich sage, dass Jesus für Sünder gestorben ist, ich damit auch sage, dass er für mich starb und dass er für mich auferstand. Es geht also um meine Persönlichkeit, mein Inneres, mein Herz.
. Dieser so geäußerte Glaube an die Christusbotschaft, der auf eigene Leistung verzichtet, hat die göttliche Verheißung des Heils:
V. 9E: „… wirst du gerettet werden.“
IV:. Die Begründung des Glaubensweges zur Gerechtigkeit V. 10.11
A:. Herzensglaube und mündliche Bitte gehören zusammen. V. 10
„… denn mit dem Herzen wird geglaubt zur Gerechtigkeit; mit dem Munde wird bekannt zur Rettung.“
Ich bitte den Herrn Jesus darum, dass er mich rettet – auf Grund der Tatsache, dass er einmal starb und auferstand.
B:. Diese Heilsbedingung wird schon im AT bezeugt. V. 11
„… denn die Schrift sagt: ‚Jeder, der an ihn glaubt [o.: auf ihn vertraut], wird nicht zuschanden werden’ {Jesaja 28, 16}“
V:. Ein und derselbe Weg gilt für alle. V. 12.13
„… denn es ist kein Unterschied zwischen Jude und Grieche, denn derselbe Herr aller ist reich für alle, die ihn anrufen, denn ‚jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, wird gerettet werden.’ {Joe 3, 5 bzw. 2, 32}“
Vgl. Ag 2, 36.
Zu beachten ist Zweierlei: Zum einen wird „Herr“ (im AT: Jahweh) auf Jesus bezogen. Zum anderen wird Glaube mit Anrufen verdeutlicht.
Im Übrigen wird der Glaube in K. 10 wie folgt gekennzeichnet:
Wer glaubt, demütigt sich: V. 3.4
Wer glaubt, vertraut: V. 11
Wer glaubt, ruft an: V. 11-13
Wer glaubt, gehorcht: V. 16
Wer glaubt, bekennt: V. 10
V. 14: „Wie also sollen sie anrufen den, an den sie nicht glaubten? Wie sollen sie aber ‹an einen› glauben, von dem sie nicht hörten? Wie sollen sie aber hören ohne Verkünder?“
Wenn das Evangelium allen gilt, muss es allen verkündet werden.
V. 15: „Wie sollen sie aber verkünden, wenn sie nicht gesandt werden? – so, wie geschrieben ist:
‚Wie schön die Füße derer, die die gute Botschaft sagen: Frieden, [die Füße] derer, die die gute Botschaft der guten Dinge sagen!‘“ {Jesaja 52, 7}
V. 16: „Nicht alle jedoch gehorchten der guten Botschaft, denn Jesaja sagt: ‚Herr, wer glaubte unser Gehörtes?’ {Jesaja 53, 1}“
Zur Übersetzung „unser Gehörtes“:
Aus zwei Gründen ist die Übersetzung „Gehörtes“ wohl vorzuziehen: a) um den Zusammenhang zu wahren, denn in den V. 14-18 geht es immer wieder um das Hören; b) Die Übersetzung „Verkündigung“ wäre zu einseitig, denn erstens spricht nicht nur der Prophet bzw. der Apostel, und zum anderen „hört“ nicht nur die Menge, sondern auch der Bote, und zwar dann, wenn Gott ihm die Botschaft gibt (V. 16A.17E). Das Bild im Text ist also Folgendes:
. Gott spricht, übermittelt sein Wort durch Offenbarung.
. Der Bote (Prediger/Verkünder/Prophet/Missionar/Evangelist/jeder Christ als Gottesbote) hört auf Gottes Wort.
. Der Bote sagt es dem Volk. (Er gibt das Wort weiter, nichts anderes, nicht seine eigene Meinung.)
. Das Volk darf hören und glauben (was aber allzu viele leider nicht tun).
. Der einzelne ist angesprochen. Er hat umzukehren. Umkehr ist Gehorsamsakt.
V. 16A: „Jedoch nicht alle gehorchten der guten Botschaft“
Indikative Aussagen haben Autoritätseigenschaft (Deshalb ist es im täglichen Leben so, dass wir das Verlangen haben, im Gespräch etwas zu sagen; denn wer eine Aussage macht, gilt als bedeutend. Und das Bedürfnis, etwas zu gelten, ist im Grunde mit der Schöpfung gegeben. Da seit der Schöpfung aber die Sünde in die Welt gekommen ist, ist es notwendig geworden, Aussagen auf ihre Wahrhaftigkeit hin zu prüfen. Sind sie wahr, so haben sie Autorität und somit verpflichtenden Charakter. Stammt eine Aussage von Gott, so ist das umso mehr der Fall. Nicht nur Gottes Anweisung (sein Gebot) also verlangt Gehorsam, auch seine Unterweisung (jede indikative Aussage). Die Botschaft, die die Apostel von Gott bekommen hatten, um sie weiterzugeben, war nun keine gewöhnliche Information, sondern besonders „gute Botschaft“. Es war darum noch mehr ein Horchen und Gehorchen zu erwarten.
V. 17: „Demnach ist der Glaube aus dem Gehörten. Das Gehörte ist aber durch das von Gott ‹gesprochene› Wort.
Exkurs: Was ist nötig, dass Menschen gerettet werden? (10, 12-15)
I. Ein Herr, der reich ist für alle, nämlich reich an Gnade für alle Sünder. V. 12
„… denn es ist kein Unterschied zwischen Jude und Grieche, denn derselbe Herr aller ist reich für alle, die ihn anrufen …“
II. Menschen, die von diesem Herrn gesandt werden. V. 15
„Wie sollen sie aber verkünden, wenn sie nicht gesandt werden?“
III. Gesandte, die die Botschaft dieses Gottes verkünden. V. 14E
„Wie sollen sie aber hören ohne Verkünder?“
Verkündigung ist indirekte Rede Gottes.
Paulus verteidigt hier auch seine eigene Verkündigung
Die neutestamentlichen Verkündiger haben ihre alttestamentliche Entsprechung. Doch kann im NT jeder Christ verkünden. Da ist in gewisser Hinsicht jeder ein Prophet. 1. Korinther 14, 31
Verkündigung ist von Gott Gehörtes (nicht selbsz Fabriziertes). Wir sind immer Zitierende.
Auch heute braucht es Verkündiger, die sich von Gott senden lassen.
IV. Menschen, die die Botschaft dieser Gesandten hören.
V. 14
„Wie sollen sie aber ‹an einen› glauben, von dem sie nicht hörten?“
V. Hörer, die den Namen des Herrn anrufen. V. 12.13
„…jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird …“
VI. Herzen, die an den Auferstandenen glauben. V. 11.14
„Jeder, der an ihn glaubt …“
I:. Israel hat gehört. V. 18
„Jedoch frage ich: Haben sie gar nicht gehört? Doch, ja: ‘In jeden ‹Teil› der Erde ging ihre Stimme hinaus und zu den Enden des Weltreiches ihre Aussprüche.’“
Das Zitat ist die Wiedergabe eines Wortes aus Psalm 19, 5, was einige Fragen aufwirft: Wie konnte der Apostel als Beleg eine geschichtliche Aussage nehmen, die hunderten von Jahren vor dem Ereignis, das er belegen wollte, gemacht wurde? Und warum übersetzte er ein Wort, das eigentlich „Messschnur“ bedeutet, mit Stimme? Bei diesen Fragen tun sich die Ausleger schwer. Es wäre auch ein großer Aufwand, alle wiederzugeben, die eingesehen wurden. Zum Teil wird, was der Eine sagt, vom anderen widerlegt. Man gestatte einige Beobachtungen:
. Paulus scheint fertigliegende Worte zu gebrauchen, um eine Tatsache seiner Zeit auszudrücken. Er tut es wohl deshalb mit Schriftwort, um Nachdruck zu verleihen. Es wäre aber zu wenig, hier stehenzubleiben.
. Psalm 19 hat drei Teile, zuerst sechs Verse über die Herrlichkeit Gottes in den Himmeln (nicht hier: der ganzen Schöpfung), dann fünf Verse über die Weisung Jahwehs, zum Schluss drei Verse, die in sich gehende Antwort des Dichters. Festzuhalten ist seine organische Einheit. Es lohnt sich, die Verse um das Zitat sich vorzuhalten:
„2 Die Himmel erzählen die Herrlichkeit Gottes, und die Ausdehnung verkündet das Werk seiner Hände.
3 Ein Tag ergießt Rede dem anderen. Nacht gibt Kunde an Nacht. 4 Ohne Worte und ohne Reden [geschieht es]. Ungehört ist ihre Stimme. 5 Ihre Messschnur [und Stimme] geht aus über die ganze Erde und bis ans Ende der Welt ihre Aussagen.“
Was man also an den Himmeln sieht, ist Verkündigung. Diese erfolgt unaufhörlich, Tag für Tag, Nacht um Nacht. Sie geschieht nicht mit Worten, die aus dem Munde kommen. In dem Sinne ist sie eine ungehörte Stimme. (Übrigens bleibt sie auch aus anderen Gründen ungehört. Römer 1, 18.19) Damit wird sie aber dennoch eine Stimme genannt.
„Ihre“ in V. 5 bezieht sich auf „die Himmel“ in V. 2. Die „Schnur“ ist eine der „Himmel“. Sie „geht aus“ – zur „ganzen Erde“. Wollte man das geographische Gebiet messen, dem die Verkündigung der Himmel gilt, so müsste man alle Teile der Erde einschließen, wo immer der Mensch hinreisen mag; denn sie „geht“ auch „aus“ „bis ans Ende der Welt“, „Weltreich“ schreibt Paulus, weil es sich nämlich um die Menschen auf der Erde handelt. Diese sind es, die das, was sie an den Himmeln sehen, zum Anlass nehmen sollen, Gott zu verherrlichen.
Nicht nur sind alle Menschen in das Gebiet eingeschlossen („gemessen“), für das die Himmel Verkündigung sind. In einem anderen Sinne ist diese „Richtschnur“ für die Erdenbewohner als „Verkündigung“ eine „Stimme“, die als „Regel“ für alle gilt. Mit der Botschaft der Himmel verpflichtet der Schöpfer seine Geschöpfe zu Verehrung und Dienst.
„Messschnur“ kann also durchaus mit „Stimme“ wiedergegeben werden, auch wenn es sprachlich das nicht meint, so wie JHWH mit „Herr“ übersetzt werden darf, auch wenn es etwas anderes bedeutet, und „Rabbi“ (Johannes 1, 38) mit „Lehrer“ wiedergegeben wird, auch wenn es von einem spricht, der „Herr“ ist.
Damit ist aber noch nicht die erste Frage nach dem Warum des Zitats seitens Paulus beantwortet. Zu beachten ist, dass es zweierlei Verkündigung ist, die den David in Psalm 19 zu einer Selbstbesinnung bewegen: die Verkündigung der Himmel und die schriftliche Jahwehs, seines Bundesgottes. Auch diese ist in alle Welt getragen worden. Man hat sich gefragt, in welchem Maße z.B. griechische Philosophen wie Platon von israelitischem Gedankengut beeinflusst wurden, da ja Juden auch in dieses Gebiet kamen. Auf jeden Fall ist es so, dass der Gott, der mit seiner Schöpfung alle Menschen ansprechen will, auch dafür sorgt, dass seine Wortbotschaft überall hinkommt. Von daher wäre der Apostel vollkommen berechtigt, die PsalmAussage im ersten Teil auch auf den zweiten zu beziehen. Wir befinden uns im Römerbrief. Das ist doch wohl der Zusammenhang von 1, 16 - 3, 20: An dreierlei Wort (denn in K. 2 kommt das des Gewissens hinzu) ist der Mensch vor Gott schuldig geworden: am Sprechen durch die Schöpfung (K. 1), an dem durch das Gewissen (K. 2) und an dem verkündeten Gotteswort.
II:. Israel hätte verstehen müssen. V. 19.20
V. 19A: „Jedoch sage ich: Israel hat nicht verstanden?“
„Hat Israel gar nicht Kenntnis davon gehabt?“ [dass die Gnadenbotschaft und sein Angebot universell werden sollten und das Blatt sich wenden könnte]?
A:. Vor allem Mose bezeugt die Kenntnis Israels. V. 19M
„Als Erster sagt Mose: ‚Ich werde euch „zur Eifersucht reizen über ein Nichtvolk. Über ein unverständiges Volk werde ich euch erzürnen‘.“ {Vgl. 1. Mose 32, 21.}
„Als Erster sagt Mose:“ Bereits vor der so gen. Prophetenära hat sogar Mose als erster großer Offenbarer Gottes es angekündigt.
„Eifersucht“ spricht von Hoffnung, was in V. 21 nicht vergessen sein sollte und in K. 11 näher ausgeführt wird.
B:. Auch Jesaja bezeugt. V. 20
„Aber Jesaja erkühnt sich und sagt: ‚Ich wurde gefunden von denen, die mich nicht suchten. Ich wurde offenbar denen, die nicht nach mir fragten’“ {Vgl. Jesaja 65, 1.}, d. h., von den Heiden.
„Zu Israel sagt er aber: ‚Den ganzen Tag streckte ich meine Hände aus …“
„…zu einem im Unglauben ungehorsamen und einem widersprechenden Volk.’ {Jesaja 65, 2}“
Was geschieht mit denen, die zum ersten (zum irdischen) Volk Gottes gehören aber nicht zu dem zweiten (dem geistlichen/himmlischen)?
Paulus geht auf die Frage ein, wie es nun mit Israel weitergeht. Er verwendet zwar das starke Wort „Verwerfung“ (V. 15), aber die Verwerfung Israels ist nicht Gottes letztes Wort. Sie hat Grenzen – auf zweierlei Art und Weise:
. Sie ist nur eine teilweise (V. 1-10), und
. Sie ist für die, die den Messias bisher verworfen haben, nicht unwiderruflich bzw. endgültig (V. 11-32).
„Ich sage also: Verstieß Gott sein Volk? Das sei fern!”
Es gab immer schon einen Überrest von Treuen, damals (V. 2-4) wie heute (V. 5).
I. Das Beispiel des Apostels Paulus V. 1
„– denn auch ich bin ein Israelit aus dem Samen Abrahams, vom Stamme Benjamin.”
Paulus selber zählt zum treuen Überrest Israels. Folglich lebt das alttestamentliche Israel in denjenigen aus Israel weiter, die den Messias annehmen.
„Gott verstieß sein Volk nicht, das er im Voraus kannte.
Aufgrund der „Erwählung Gottes” in der Vergangenheit konnte zur Zeit des Paulus das historische Israel (kollektiv - korporativ) nicht verstoßen sein. Gott hatte stets einen „Überrest”, den treuen Kern unter den ungläubigen Israeliten. Damit war deutlich, dass die Verheißung, die Israel galt, letztlich nur dem „Überrest” zu Gute kommt, d. h. dem treuen Kern des Volkes, zu dem Paulus selbst und alle römischen Judenchristen zu jener Zeit auch gehörten. Ausgeschlossen waren denjenigen, die Gottes Wort bzw. den Messias verwarfen. Die Frage aber, die sich dann ergibt, ist, ob jene Israeliten, die bis dato immer noch den Messias verwarfen und daher nicht als „Gottes Kinder” galten (Römer 9, 6), noch gerettet werden konnten. Und wenn ja, wie?
Römer 11, 11-15 gibt die Antwort.
„sein Volk”:
Paulus sagt in V. 2, dass Gott dieses „Israel” (das es im Jahr 57 n. Chr. immer noch gab) nicht im vollständigen Sinne verstoßen hatte. Er nennt das „Israel nach dem Fleisch” (1. Korinther 10, 18) explizit „Gottes Volk”: „Gott verstieß sein Volk nicht” (Römer 11, 2).
Paulus machte klar, dass Gott seinen Verheißungen, die er dem historischen Israel gegeben hat, treu blieb. Insofern war der zur Zeit des Apostels verhärtete Teil Israels immer noch „Gottes Volk” – auf Hoffnung. Paulus wusste, dass Gott diesem Volk noch eine Gnadenfrist gegeben hatte. Sie dauerte zum Zeitpunkt des Schreibens noch an. Aber das Gericht war nahe (Römer 9, 28). Paulus wendet das Wort Jesajas, das der damals bezüglich des kommenden Gerichtes über Stadt und Volk gesprochen hatte (Jesaja 10), auf jene kritische Zeit im Jahre 57 n. Chr. an. Nur noch 13 Jahre sollte das historische Israel, die Stadt, der Tempel und die alttestamentliche Haushaltung Bestand haben. Paulus wusste natürlich nicht, wie lange Gott noch warten würde.
Aus Römer 11 geht deutlich hervor, dass die aus den Völkern in den Ölbaum eingepfropft wurden – oder nach Epheser 2-3: Mitbürger, Miterben und Mitleib wurden in Christus durch das Evangelium. Der treue israelitische Kern des atl. Gottesvolkes war im eigentlichen Sinne das Volk Gottes. Dieser treue israelitische Kern kam zum Glauben an den Messias. Dieser Kern wurde dann durch die Bekehrten aus den Heiden aufgestockt. So ist gerade das neutestamentliche Gottesvolk das wahre Israel, auch wenn die aus den Heiden eingepfropft sind und nicht spezielle den Namen „Israel” tragen. (Beachten wir, dass der neue Bund mit dem Hause Israel und dem Hause Juda geschlossen wurde. Die Jünger Jesu und die Heiligen der Urgemeinde waren Israeliten.)
Exkurs zu Galater 6, 16:
Meyer: „… Der ‚Israel Gottes‘ …, die Israeliten, welche Gotte zu eigen gehören, also das wirkliche Gottesvolk seiner Idee nach ausmachen, sind jedenfalls die wahren Christen. Aber je nachdem kai [und] entweder erklärend oder verbindend gefasst wird, werden entweder die wahren Christen überhaupt, Juden- und Heidenchristen (…), oder die wahrhaft bekehrten Juden (…) verstanden. Bei letzterer Fassung müsste man … den Gedankengang so bestimmen: Heil über alle wahren Christen, und besonders noch (um diese noch insonders zu erwähnen; …) über alle wahren Judenchristen. Allein Paulus hatte nicht nur keinen Grund im Zusammenhange, seine Volksgenossen, so sehr sie ihm auch am Herzen lagen (…), hier insonderheit noch hervorzuheben, sondern es wäre sogar vor Gemeinden, welche vornehmlich aus Heidenchristen bestanden und durch jüdische Eingriffe in heftige Streitigkeiten verwickelt waren, eine solche Auszeichnung, noch dazu am feierlichen Schluss des Briefs, unweise angebracht. Und selbst abgesehen davon, so konnte kein Leser, dem die Lehre des Apostels von den wahren Israeliten bekannt war (…), bei dem ‚Israel Gottes’ nur an Judenchristen denken.” (Meyer, H. A. W. (1862). Kritisch Exegetisches Handbuch über den Brief an die Galater, 4. Auflage, Bd. 7, S. 285, Göttingen.)
Wenn Paulus diejenigen, diejenigen, die „nach jener ganz antijüdischen Richtschnur wandeln werden” als „das Israel Gottes” bezeichnet, so ist das (nach Meyer) „am feierlichen Schlusse gleichsam der Triumph des ganzen Briefes!”
Ebenso Lenski: Kai [und] ist im Sinne von „und zwar” bzw. „nämlich” zu verstehen:
„So viele sich nach dieser Regel ausrichten werden, machen das ‚Israel Gottes’ aus. Dem Einwand, dass Paulus dann sagen müsste ‚das ganze Israel Gottes’ kann man entgegenhalten, dass Paulus vorher die Zukunftsform gebraucht (‚sich ausrichten werden’, d. Verf.). Das ‚ganze Israel’ würde alle alttestamentlichen Heiligen mit einschließen; aber Paulus spricht nicht von diesen. Paulus hat einen besonderen, vielsagenden Grund dafür, dass er den erklärenden Zusatz (‚und zwar das Israel Gottes’) anfügt. Es ist ein letzter Schlag gegen die Judaisierer, sein abschließender Triumph über sie und deren Argumentation. So viele sich nach dieser Regel ausrichten werden, sie und sie alleine, machen von nun an das ‚Israel Gottes’ aus – allen Judaisierern zum Trotz.” (Lenski, R. C. H. (1937). The interpretation of St. Paul’s Epistles to the Galatians, to the Ephesians and to the Philippians, S. 321, Columbus, OH.)
Ähnlich Wieseler: „Dasjenige Israel, welches Gott dafür gilt, das als Israel vor Gott geltende und wahre Israel, bezeichnet nach dem Zusammenhange und der Ausdrucks- und Anschauungsweise des Apostels jedenfalls Christen, nicht das jüdische Volk, …Unser ‚Israel Gottes’ sieht deutlich zurück auf das über die ‚Beschneidung‘ (V. 15) Gesagte, und bildet daher den Gegensatz zu dem Israel nach dem Fleische (1. Korinther 10, 18), mit seiner peritomee [Beschneidung], dem dazu gehörigen Cultus und Gesetzeswerken (…), welche jene Judaisten auch im Christenthume aufrichten wollten. Eher könnte man noch an die wahrhaft Gläubigen aus den Juden (…) denken, … so, dass aus der in dem Relativsatze hervorgehobenen Gesammtheit der Gläubigen noch besonders die gläubigen Juden hervorgehoben würden, … Allein nach der Grundanschauung des Paulus ist an die Stelle des Israel nach dem Fleisch mit seiner Beschneidung und seinen gesetzlichen Institutionen in der Fülle der Zeit als Volk Gottes die Gesammtheit der Gläubigen aus Juden und Heiden eingetreten, und jene, nicht das an Christum glaubende fleischliche Israel, sind ihm das Israel Gottes, oder auch das ‚Israel nach dem Geist‘ (vgl. … 4, 26.29; Philipper 3, 3 ...) denn wir (...) sind die Beschneidung; .… Bei dieser Fassung steht das ‚und’ explicativ [erklärend], … und es wird dadurch mit grossem pragmatischen Nachdruck hinzugefügt, dass die durch ‚so viele‘ Bezeichneten eben keine Andere seien, als das Israel Gottes.” (Wieseler, K. (Hrsg.). (1859). Commentar über den Brief Pauli an die Galater: Mit besonderer Rücksicht auf die Lehre und Geschichte des Apostels (S. 512). Göttingen.)
Moses Stuart: „Das ‚Israel Gottes’ wird hier im übertragenen Sinne für die wahren Christen gebraucht. Paulus hatte in dem vorhergehenden Abschnitt des Briefes gezeigt, dass die, die aus Glauben sind, seien es Juden oder Heiden, ‚Söhne Abrahams‘ sind (3, 7.29). Schließlich spricht er einen Segen aus über alle, die jene Prinzipien annehmen und jener Richtschnur, die er dargelegt hatte, gehorchend sich ausrichten werden; und er beschließt dies, indem er sie — in einer seiner Absicht trefflich passenden Weise — das „Israel Gottes” nennt: … Das ‚und‘ [kai] … scheint hier deutlich ein erklärendes ‚und‘ zu sein, nicht ein verbindendes. Es kommt unserem ‚nämlich‘ bzw. ‚und zwar‘ gleich ….”
Das kai kann auch im Sinne von „und das Israel Gottes überhaupt” bzw. „und das Israel Gottes im Gesamten” gebraucht sein. „Israel Gottes” könnte in dem Fall synonym für „Volk Gottes als ganzes” stehen.
„Israel Gottes” steht im Gegensatz zum „Israel nach dem Fleisch” (1. Korinther 10, 18), welches sich — durch Verwerfen des Messias — von Gott abgewandt hat. Auch wenn sich Paulus damals noch selbst zum historischen Israel zählte (Er konnte es damals sogar noch „Gottes Volk” nennen, denn Gott hatte das historische Israel noch nicht verstoßen; Römer 11, 2.), so ändert es nichts daran, dass alle, die in Christus waren, das wahre Gottesvolk ausmachten. In Christus gab es weder Jude noch Nichtjude (Galater 3, 28). In Römer 2, 17ff wandte sich Paulus an den Juden, der sich, um sich als gerecht vor Gott hinzustellen, auf das Gesetz berief. Paulus machte klar: Es geht im Evangelium nicht um völkische Zugehörigkeit. Damit war nicht gesagt, dass durch die Hinkehr zu Christus die völkische Zugehörigkeit an sich aufhörte. Man hörte mit dem Christwerden nicht auf, Nachkomme Abrahams zu sein; aber die Volkszugehörigkeit war für den Stand vor Gott nicht mehr wichtig.
Gemäß Kolosser 2, 11 galten alle, die in Christus waren, als „beschnitten mit einer Beschneidung, die nicht mit Händen geschah” (vgl. Philipper 3, 3: „wir sind die [wahre/rechte] Beschneidung”), in 1. Petrus 2, 9.10 wurden alle Gläubigen „Volk Gottes” genannt, in Galater 3, 7.28.29 sogar „Söhne” und „Abrahams Same” (Einzahl, Galater 3, 16.26-28), der „Same”, der erben sollte, der Same, dem die Verheißung („in Isaak soll dir der Same genannt werden”, Römer 9, 7) galt (vgl. „Kinder der Verheißung”, 9, 8.24; Galater 4, 28). In Christus waren die Gläubigen aus den Heidenvölkern nicht zum historischen Israel geworden, aber als „Abrahams Same” waren sie in geistlicher Hinsicht Gottes Volk („Israel Gottes”) geworden. In diesem Sinne gehörte jeder heidnische Christ zu dem Israel Gottes und war in Christus Miterbe (Epheser 3, 6) der Verheißungen. Paulus sagte, in Christus seien die Heidenchristen, die früher Fremde hinsichtlich der Verheißungen und aus der Bürgerschaft Israels Ausgeschlossene gewesen waren (2, 12), mit Israel „Mitleib” und „Miterben” geworden. Petrus drohte denjenigen Israeliten, die den Messias verwarfen, sie würden „aus dem Volk ausgetilgt” werden (Apostelgeschichte 3, 23). Mit dem Kommen des Geistes wurden diejenigen aus Israel, die an den Messias glaubten, in Christus zum „wahren Gottesvolk” (Israel Gottes), zusammen mit den Christusgläubigen aus den heidnischen Völkern, die in Israels „Ölbaum” (Römer 11) eingepfropft wurden. Sie zusammen bildeten das Volk Gottes, gleichsam das „Israel Gottes”. Dieses „Israel” darf nicht als Ersetzung des alttestamentlichen Israel betrachtet werden, sondern als Fortführung desselben. Das alttestamentliche Israel kam in Christus zur Erfüllung — unter Ausschluss derer, die im Unglauben verharrten, und mit Einschluss derer aus den Völkern, die den Messias annahmen und so in Christus hineinkamen.
Paulus spricht in Ga 6, 16 allgemein: „So viele” (wie vorher in 6, 12: „So viele im Fleisch wohl angesehen sein wollen, …”) – so viele sich nach dieser Regel (o. Richtschnur) ausrichten werden, über sie komme Friede und Barmherzigkeit „und über das Israel Gottes”! Diejenigen, die in Zukunft nach dieser Richtschnur, die Paulus eben dargelegt hat, sich ausrichten werden (ihr Vertrauen einzig auf Christus setzen werden), über die möge Gottes Friede und Barmherzigkeit kommen — „und über das Israel Gottes”, das gesamte „Israel Gottes” in Christus.
Dass mit dem Zusatz „und über das Israel Gottes” die Gesamtheit des neuen Gottesvolkes gemeint ist, nicht die gläubigen Juden gesondert von den gläubigen Heiden, wird durch den Zusammenhang deutlich: In 6, 15 war ausdrücklich von Unbeschnittenheit und Beschnittenheit die Rede gewesen (V 15: „denn in Christus Jesus vermag weder Beschneidung noch Unbeschnittenheit etwas, sondern eine neue Schöpfung.”). Die „neue Schöpfung” betrifft alle in Christus, sowohl die aus Israel als auch die aus den heidnischen Völkern. Die „neue Schöpfung” besteht aus Heiden wie aus Juden. Vers 16 ist ein wichtiger Schlusssatz dieses Gedankens. Würde Paulus an dieser Stelle einen Unterschied zwischen den Bekehrten aus den Heiden und den Bekehrten aus den Juden machen, würde er das zuvor deutlich Ausgesprochene (3, 26-29) entkräften: „… denn ihr seid alle Söhne Gottes durch den Glauben in Christus Jesus, denn … ihr zogt Christus an. Es ist da nicht Jude noch Grieche; … denn ihr seid alle einer in Christus Jesus. Aber wenn ihr des Christus seid, dann seid ihr Abrahams Same und nach der Verheißung Erben.”
Oder wisst ihr nicht, was die Schrift bei Elia sagt? – wie er vor Gott auftritt gegen Israel?
3 ‘Herr,’ sagt er, ‘sie töteten deine Propheten, gruben deine Altäre ab, und ich blieb alleine übrig, und sie trachten nach meiner Seele.’ {Vgl. 1Kg 19, 10.14.}
4 Aber was sagt ihm die göttliche Antwort?
‘Ich ließ mir übrig bleiben siebentausend Mann, die ‹vor› der Baal das Knie nicht beugten.’ {1Kg 19, 18}”
Es gab damals einen Kern, das wahre Volk Gottes, einen Überrest, das treue Israel Gottes. Sie machten das Königreich Gottes im AT aus.
Zu V. 4: „Baal” kann mit dem männlichen oder auch mit dem weiblichen Artikel vorkommen. Eigentlich ist das Wort männlich, aber die Juden nannten diesen abscheulichen Götzen in ihrer Sprache boscheth (Schande), ein Wort weiblichen Geschlechts, und im Gr. ais-chünee (Schande), ebenfalls weiblich. In 1Kg 18, 25 gibt die gr. Üsg. des AT den hebr. Ausdruck mit propheetais tees ais-chünees [Propheten der Schande] statt „Propheten des Baal” wieder. Obwohl im hebr. Text „Baal” geschrieben stand, sprach man beim Vorlesen die weibliche Entsprechung boscheth (Schande; Scheusal) aus.
„So ist also auch in der jetzigen Zeit ein Überrest entstanden nach Gnadenerwählung.”
Der „Überrest nach Gnadenerwählung” ist der Teil Israels, der durch den Glauben die Gnade in Christus annahm und so in Christus hineinkam. In Christus sind sie in besonderem Sinne „Erwählte”. Vgl. 8, 33; Matthäus 22, 16; Kolosser 3, 12; 1. Thessalonischer 1, 4; 1Kg 2, 9; Offenbarung 17, 14. Außerhalb von Christus gibt es in diesem Sinne keine Erwählten.
„6 Wenn aber durch Gnade, [ist es] nicht mehr aus Werken. Sonst wird die Gnade nicht mehr Gnade. Wenn aber aus Werken, ist es nicht mehr Gnade. Sonst ist das Werk nicht mehr Werk.”
Warum steht in V. 6 „nicht mehr” (ouketi)? Das klingt, als ob das Heil früher durch Werke gewesen wäre.
Antwort: Paulus versetzt sich in die Seele des Lesers, der bisher so dachte. Er sagt gleichsam: „Nun aber, vom Evangelium her, ist es nicht mehr so, wie du dachtest. Vom Evangelium her ist es nicht mehr möglich, so zu denken.”
V. 6M: „Wenn aber aus Werken, ist es nicht mehr Gnade. Sonst ist das Werk nicht mehr Werk.”
Beweggrund war die Gnade Gottes, nicht das Wirken des Menschen.
V. 7: „Was ist also [zu sagen]? Wonach Israel trachtet, das erreichte es nicht.
Israel trachtete nach der Gerechtigkeit Gottes, nach der Rettung, aber erreichte sie nicht.
Aber die Erwählung erreichte es.
Die Übrigen
die den Messias ablehnten
wurden verhärtet ...”
Wann? - Immer dann, wenn sie die 2. Chance nicht wahrnehmen wollten! Das ging nicht gleichzeitig, sondern nach und nach. (bis Apostelgeschichte 28)
Die Verhärtung hatte zur Folge, dass sie die Christen verfolgten. → die Christen mussten fliehen! Und sie verkündeten in der nächsten Stadt.
Matthäus 10, 16-26: Siehe: Ich sende euch wie Schafe inmitten von Wölfen. Werdet also klug wie die Schlangen und arglos wie die Tauben. 17 Nehmt euch in Acht vor den Menschen, denn sie werden euch an [Gerichte des] Hohen Rates ausliefern und in ihren Synagogen euch geißeln. 18 Und auch vor Statthalter und Könige werdet ihr geführt werden meinetwegen, ihnen und den Völkern zum Zeugnis.. 21 Es wird aber der Bruder den Bruder zum Tode ausliefern und der Vater das Kind, und Kinder werden sich erheben gegen die Eltern und sie zu Tode bringen. 22 Und ihr werdet Gehasste sein bei allen meines Namens wegen. Aber der, der bis zum Ende Ausdauer bewahrt haben wird, der wird gerettet werden. 23 Wenn sie euch verfolgen in dieser Stadt, flieht in die andere, denn– wahrlich!– ich sage euch: Ihr werdet mit den Städten Israels keinesfalls zu Ende kommen, bis der Sohn des Menschen gekommen ist….
„... so wie geschrieben ist: Gott ‘gab ihnen einen Schlafgeist {Jesaja 29, 10}, Augen, die nicht sehen, und Ohren, die nicht hören – bis zum heutigen Tage.’ {Vgl. 1. Mose 29, 3.}
9 Und David sagt: ‘Es werde ihr Tisch zur Schlinge und zum Fallstrick und zum Anstoß und zur Vergeltung. 10 Verfinstert seien ihre Augen, um nicht zu sehen. Und ihren Rücken beuge immerzu.’ {Vgl. Psalm 69, 23.24.}”
Die Frage war: Hat also Gott, indem er nur die annahm, die an Jesus Christus glaubten, Israel als sein alttestamentliches theokratisches Volk verstoßen?
Eine erste Antwort (11, 2-10): Nein. Im Überrest geht die Linie weiter. Paulus selbst gehört zum alttestamentlichen Israel (11, 1). Im Überrest bestand der treue Kern, das wahre Volk Gottes, schon zur Zeit Elias (11, 3.4). Auch heute, sagt er, gibt es diesen Überrest, bestehend aus den messiasgläubigen Juden (11, 5). Die anderen wurden verhärtet (11, 7-10).
Ist damit Israels Verwerfung gänzlich besiegelt? Die Antwort gibt der Apostel im nächsten Abschnitt.
Exkurs: Wer verwarf? Gott oder sie selbst?
Wer ist der Agens?
V. 1: Verstieß Gott sein Volk? (Agens: Gott)
V. 2: Gott verstieß nicht – jedenfalls (bis zum Jahr 57 n. Chr.) nicht total und nicht endgültig. (Agens: Gott)
V. 7: Die Übrigen wurden verhärtet. (Von wem? Die Antwort gibt V. 8.)
V. 15: Ihre Verwerfung (Wer verwarf wen?) // Ihr Willkommenheißen (Wer wird wen willkommen heißen?)
V. 17.19.20: wurden ausgebrochen (Wer brach sie aus? – Derselbe, der die anderen einpfropfte.)
V. 22: wirst auch du abgeschnitten (Wer schneidet ab?)
V. 25: Verhärtung ist Israel widerfahren. (Im Licht von V. 7-9: Wer hat verhärtet?)
V. 32: Gott schloss alle zusammen ein in den Unglauben (Agens: Gott)
Israels Verwerfung bedeutet nicht, dass sie keine Gelegenheit zur Buße mehr haben. Wenn Gott sich in der Evangeliumsverkündigung den Heiden zuwandte, bedeutet dieses nicht, dass er das damit dem alttestamentliche Israel keinen Zugang zur Gnade in Christus gewährte. Im Gegenteil: Die Evangeliumsverkündigung an die Heiden sollte ein Reiz für Israel sein, nun auch ins Heil zu kommen. Durch die Bekehrung der Heiden sollten sie, die Israeliten, zur Eifersucht gereizt werden, um ebenso in Christus zu kommen und auf diese Weise dem göttlichen Gericht (Lukas 21, 22; 1. Thessalonischer 2, 16; Apostelgeschichte 13, 40.41; Maleachi 3, 24E) zu entrinnen.
Die Frage war gewesen: Ist Gottes Wort an das alttestamentliche Israel bezüglich der ihm verheißenen herrlichen Zukunft hinfällig geworden? (9, 6) Paulus antwortet darauf in Römer 9-11. Er versichert, dass Gott Israel nicht im Stich gelassen hat. Er zeigt, dass das, was in der Gegenwart mit dem Volk Israel geschehen ist, mit Gottes Verheißungen – und auch mit dem bisherigen Handeln Gottes mit Israel in der Geschichte – übereinstimmt. Die göttlichen Verheißungen in Bezug auf Israel gelten nur dem treuen Kern, den Frommen, nicht denjenigen, die in den Götzendienst fielen (und z. B. zur Zeit des Elias den Baal anbeteten; damals bestand der treue Kern des Volkes aus 7000, die ihre Knie nicht vor dem Götzen gebeugt hatten). Die Verheißungserfüllung bezieht sich auf den treuen Überrest.
Das rebellische Volk wurde in der Geschichte immer wieder bestraft, weil sie sich verhärteten. Auf ihre Verhärtung hin erfolgte die göttliche Verhärtung ihrer Herzen (Jesaja 6). Das wahre Israel bestand im AT aus dem treuen Kern des Volkes. Es war immer der Überrest, der gerettet wurde. Auch bei der Rückführung aus Babylon handelte es sich lediglich um einen kleinen Überrest, nicht um das Volk in seiner Gesamtheit. So ist es auch jetzt (57 n. Chr.), sagt Paulus. Das wahre Gottesvolk, dem die Verheißung gilt, ist der an den Messias gläubige Überrest. Selbst wenn die Zahl der Söhne Israels wie der Sand des Meeres wäre, nur der Überrest wird gerettet werden (9, 27). Der Überrest bestand aus den an den Messias glaubenden Juden. Die ungläubigen Israeliten zur Zeit des Neuen Testaments waren aufgrund ihres Unglaubens verhärtet, und zwar überall dort, wo sie das verkündete Evangelium verstießen. Daraufhin verhärtete sie Gott jeweils. Die Verhärtung Israels durch Gott setzte sich in dem Maße fort, in dem das Evangelium sich ausbreitete. Je mehr Israeliten im Römerreich das Evangelium hörten, desto größer wurde die Zahl der verhärteten Israeliten. Das bedeutete aber nicht, dass jene verhärteten Israeliten keine Chance mehr hatten. Nein, solange das Gericht nicht kam, war die Gnadentür offen.
Das verhärtete (historische) Israel soll nicht liegen bleiben, sondern - zur Eifersucht gereizt - zur Fülle und zum Leben kommen.
I. Die Grundaussage: Durch Israels Fehltritt ist das Heil zu den Heiden gekommen, um Israel zur Eifersucht zu reizen. V. 11
Es geht noch um die Frage von V. 1: „Verstieß Gott sein Volk?”
„Ich sage also: Stolperten sie, damit sie fallen ‹und liegen bleiben› sollten?”
Soll es dabei bleiben, dass sie am Boden mit „Schlafgeist” (11, 8) „liegen bleiben” (11, 11)? Paulus zeigt hier, wie über Israels Fall zu denken ist. Es geht um den verhärteten Teil. Die Frage (V. 11) ist: Haben diese ungläubigen Juden keine Chance mehr? Sind sie hoffnungslos verstockt, sodass sie ins Verderben fahren?
Die Antwort (V. 11M): „Das sei fern!”
Die Ausdrücke (Verwerfung, verstoßen, ausgebrochen in 11, 1.2.7ff.16ff) sind in relativen Sinne zu verstehen. Das erklärt der Apostel nun.
„Sondern durch ihren Fehltritt ist das Heil zu denen gekommen, die von den Völkern sind, ...”
Die Losung des Apostels war gewesen: „Dem Juden zuerst, und auch dem Griechen” (Römer 1, 16; 1. Korinther 9, 20). Aber er musste immer wieder erleben, dass seine Volksgenossen das Heilsangebot ausschlugen – mit dem Resultat, dass er sich dann den Nichtjuden zuwenden musste. (Vgl. Apostelgeschichte 18, 6: „Von nun an werde ich hingehen zu denen von den Völkern.” Apostelgeschichte 13, 46-47: „Mit Freimütigkeit sagten Paulus und Barnabas: „Es war notwendig, euch zuerst das Wort Gottes zu sagen. Nachdem ihr es aber von euch stoßt und euch selbst des ewigen Lebens nicht würdig achtet– siehe– wir wenden uns zu denen von den Völkern, 47 denn so hat der Herr uns geboten: ‘Ich habe dich zum Licht gesetzt für die von den Völkern, damit du zur Rettung seiest bis an das Ende der Erde.’” Apostelgeschichte 28, 28: „Es sei euch also kund, dass das Heil Gottes denen, die von den Völkern sind, gesandt wurde. Die werden auch hören.”)
So kam es, dass „durch ihren Fehltritt das Heil zu denen von den Völkern” kam.
Gott verwendete das Stolpern ‹und Fallen› des verhärteten Teils dazu, dass dadurch das Heil zu denen aus den Völkern kam. Wozu diente dies?
„um sie zur Eifersucht zu reizen.’”
Gott hatte sie (die einzelnen Israeliten) bis zu jener Zeit, als Paulus diesen Brief schrieb (57 n. Chr.) noch nicht aufgegeben. Immer noch galt Römer 10, 21: „Den ganzen Tag streckte ich meine Hände aus zu einem im Unglauben ungehorsamen und einem widersprechenden Volk.”
Es dachten nun manche römische Christen damals, dass diejenigen, die sich aus den Völkern bekehrten, Israel ersetzt hätten. Paulus verneint dies strikt. Er zeigt, dass Gott mit der (teilweisen) Verwerfung Israels ein weiteres – wichtiges – Ziel verfolgte. Das alttestamentliche Israel sollte nach seinem Fehltritt (d. h. nach der sich mehr und mehr ausbreitendenden Ablehnung des Messias) nicht hoffnungslos liegen bleiben. Er lockt es zur Umkehr, denn sein Ziel war, es zur „Fülle” (Heilsfülle) zu bringen, ehe das angesagte Gericht kommen würde.
Die Israeliten sollten zur Eifersucht gereizt, noch rechtdzeitig zum Heil in Christus kommen.
Paulus meint nicht, dass die „Völker” in ihrer Gesamtheit gerettet würden; sondern, nachdem Israel den Messias verwirft, ergeht Gottes Heils-Einladung an „die aus den Völkern”. Paulus meint mit denen „aus den Völkern” einzelne Menschen, ebenso wie er auch mit „Israel” (bzw. mit den „Übrigen”, V. 7 u. a.] einzelne Personen meint. Die Bekehrung der „Völker” und die Bekehrung „Israels” kann nur individualistisch geschehen. Die Eifersuchtreizung geschah ebenso individualistisch. Dass es ihm um einzelnen geht, zeigt er auch in Römer 11, 17-22. („Wenn aber einige der Zweige ausgebrochen wurden und du, der du°ein [Zweig vom] Wilden Ölbaum° warst, unter sie eingepfropft und Mitteilhaber der Wurzel ‹mit Stamm› und der Fettigkeit des Ölbaums wurdest, 18 rühme dich nicht gegen die Zweige. Wenn du dich aber gegen sie rühmst: Du trägst nicht die Wurzel ‹mit Stamm›, sondern die Wurzel ‹mit Stamm› trägt dich. 19 Du wirst hieraufhin sagen: Die Zweige wurden ausgebrochen, damit ich eingepfropft würde. 20 Recht. Durch den Unglauben [kam es, dass] sie ausgebrochen wurden. Du stehst durch den Glauben. Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich, 21 denn wenn Gott die natürlichen Zweige nicht schonte, dass er auch dich nicht schonen werde! 22 Sieh also die Freundlichkeit und die Strenge Gottes: gegen die, die fielen, Strenge; gegen dich Freundlichkeit, wenn du an der Freundlichkeit bleibst. Sonst wirst auch du abgeschnitten werden.”)
II. Erstes Argument (zur Unterstützung der Aussage von V. 11) V. 12
„Wenn aber ihr Fehltritt Reichtum der Welt ist und ihr Schade [o.: ihr (Heils-)Verlust] Reichtum derer von den Völkern, wie viel mehr ihre Fülle [o.: ihre Heilsfülle; ihr Gewinn]?”
Das erste Argument (zur Unterstützung der Aussage von V. 11), ist: Israels Heilsfülle (Heilsgewinn) würde noch viel mehr Reichtum sein als der Reichtum, der den Heiden durch Israels Fehltritt zuteilwurde.
. „Fehltritt” und „Schade” dienen einem „Reichtum”, dem Reichtum der „Welt” bzw. „derer, die von den Völkern sind”. (Welt und Völker stehen hier auswechselbar.)
. „Schade” ist „Verlust”. Die Bedeutung des griechischen Wortes heetteema ist: der Mangel; das Schwinden; der Rückgang, der Verlust, der Schade, das Fehlgehen. (Schlachter und Elberfelder haben „Verlust”). Der Begriff heetteema bedeutet nie „zahlenmäßige Verminderung”. An „Zahl” ist hier also nicht zu denken. „Schade, Verlust, Fehlgehen” stehen parallel zu „Fehltritt”.
. „Fehltritt” (V. 12A) und „Schade” (V. 12M) sind aber nicht gleichbedeutend: Das Erste ist die Ursache, das Zweite die Folge. Mit seinem Fehlgehen erlitt Israel einen Schaden (nämlich Heilsverlust).
. „wie viel mehr ihre Fülle” (der Sinn: „wie viel mehr Reichtum ist Israels Fülle/Heilsfülle”)
Der griechische Begriff pleerooma bedeutet „die Fülle”. Grundsätzlich könnte „das, was füllt oder vervollständigt” (also die Füllung/Vervollständigung) bzw. „das Gefüllte” (der Inhalt) gemeint sein. Aber die Parallelität zu „Schade” schließt diese Bedeutung hier aus. Die zweite Bedeutung ist: „das, was voll ist”, der Zustand des Vollseins (also das Gegenteil von Zurückbleiben, Verlust und Schade), das „zur Fülle Kommen” bzw. das „zur Fülle gekommen Sein”, das „Eingehen ins Heil”, „die Heilsfülle”. (Nb.: An „Zahl” ist hier nicht zu denken, denn der Gedanke von „Zahl” steckt nicht im Wort und ist auch nicht der Gegensatz zu „Schade / Fehlgehen / Verlust”.[1]) Die „Fülle” steht in der Reihe „Rettung” (10, 1), „Frieden” (10, 15), die „guten Dinge” (10, 15), „das, wonach Israel trachtet” (11, 7) und „das Heil” (11, 11). Es handelt sich also um Israels „Heilsfülle”.
. „Fehltritt” führte zu „Schade (= Heilsverlust)” und in der Folge zu Verhärtung. Umgekehrt entsteht (im Falle sie sich bekehren) „Heilsfülle” statt Fehltritt und Heilsgewinn statt Heilsverlust.
. Was ist dieses „wie viel mehr”?
Dasselbe wie das, was der „Schade/Verlust” brachte. Israels Schade (durch Verwerfung des Messias) brachte „Reichtum derer, die von den Völkern sind” bzw. „der Reichtum der Welt”. Und dieser Reichtum ist nach V. 11 „das Heil”. Durch Israels Fehltritt und Verlust ist das Heil zu den Heiden gekommen (V. 11); dieses Heil ist „Reichtum der Welt”, „Reichtum derer aus den Völkern”.
Durch Israels „Fülle” (Heilsfülle und Heilsgewinn), d. h. indem Israel den Messias annimmt und von Gott angenommen wird), tritt nun der Reichtum dieses Heils „viel mehr”, d. h. in sehr verstärktem Maße, zutage.
Wann und wie soll nun Israels Heilsfülle erreicht werden? Das erfahren wir in den folgenden Abschnitten.
„– [denn] euch, die ihr von den Völkern seid, sage ich: Insofern ich der Apostel derer bin, die von den Völkern sind, verherrliche ich meinen Dienst, ob ich auf irgendeine Weise [die, die] mein Fleisch [sind], ‘zur Eifersucht reizen’ und etliche aus ihnen retten möge”
Ehe das Gericht kommt, soll es ein gerettetes „ganzes Israel” (V. 26) geben. Wie kommt es zur Rettung von „ganz Israel”?
V. 15 am Anfang steht „denn”. „Denn” berbindet V. 13 und V. 15 mit dem zum vorher Gesagten (V. 12). Paulus sagt mit anderen Worten: „Wenn Israels Heilsverlust Reichtum der Heidenvölker ist, wie viel mehr Reichtum ist Israels Heilsfülle! – Gerade das ist mein Ringen und mein Ziel als der Heidenapostel, und gerade deshalb verherrliche ich meinen Dienst. Ich hoffe und arbeite daraufhin, dass ich auf irgendeine Weise Israel zur Eifersucht reize und etliche aus ihnen rette.” Israels Rettung (10, 1), Israels Heilsfülle (11, 12), ist das Ziel des Apostels und seiner Heidenmission. Das macht seinen Dienst unter den Heiden so immens wichtig; denn wenn Israels Verwerfung Versöhnung der Welt ist, was ist ihr Angenommenwerden (das durch seine Heidenmission und die dadurch bewirkte Eifersuchtreizung erreicht werden soll) anderes als „Leben aus den Toten”?
Die „Heilsfülle” Israels soll durch die Heidenmission (über Eifersuchtreizung) erreicht werden. Nur durch Buße und Glaube an den Messias kann Israel zur „Heilsfülle” (V. 12) gelangen. Deshalb ist dem Apostel sein Evangeliumsdienst unter den Heiden so wichtig. Wenn er verkündet, werden Heiden gerettet und Israeliten eifersüchtig. Dies soll möglichst viele aus Israel dahin bringen, sich ebenfalls retten zu lassen. Paulus weiß, dass er das gesamte Israel nicht gewinnen kann und wird. Er hat ein großes Leiden und Ringen um Israel (9, 1-5; 10, 1). Aber er sich der Bedeutung seines Verkündigungsdienstes unter den Heiden bewusst: Es zielt alles darauf hin, das alttestamentliche Israel zum Heil in Christus zu bringen.
„Israel” ist also nicht unwiderruflich verworfen. Die Tür ist noch offen.
„…, denn wenn ihre Verwerfung Versöhnung der Welt [ist], was [ist] das Willkommenheißen [o. Annehmen] anderes als Leben aus ‹den› Toten?”
Das zweite Argument zur Unterstüzung der Aussage von V. 11 ist: Wenn schon Israels Verwerfung Versöhnung der Welt ist, so ist Israels Wiederangenommenwerden noch viel mehr: es ist „Leben aus den Toten”.
Wenn Israels Verwerfung (von Seiten Gottes) Versöhnung der Welt [ist], was [ist] Israels Willkommenheißen (und erneute Annahme durch Gott) anderes als Leben aus den Toten?”
Zur Übersetzung: Der Satz hat im Gr. kein Verb. Es muss eine Form von „sein” eingesetzt werden. Um möglichst nahe beim Gedankengang des Apostels zu bleiben, darf man nur das Allernötigste ergänzen: „[ist]”. Die Ergänzung „wird zur Folge haben” (Vgl. Schlachter Übersetzung) erscheint zu viel und könnte den Leser auf eine falsche „Fährte” bringen. Es gibt nicht genügend Grund, eine Zukunftsform („wird sein”) hier einzusetzen.
„Leben aus den Toten” für wen? Und was ist mit „Leben aus den Toten” gemeint?
Wenn ihre Verwerfung so viel für die Welt bedeutet, was bedeutet ihre Annahme für sie selbst?” – „Leben aus den Toten!” Leben Israels aus dem Tode Israels heraus!
Dadurch dass Israel den Messias ablehnte, ist ein Tod eingetreten, ein Sterben.
Es gibt eine Parallele zu diesem Gedanken des Apostels im AT: Als Israel in den Götzendienst fiel und in der Folge in der babylonischen Gefangenschaft war, war gleichsam Israels „Tod” eingetreten. Es starb, weil es außerhalb des verheißenen Erbes war. „… Ephraim … machte sich schuldig durch Baal und starb.” (Hos 13, 1.2) Daher wird auch die Rückführung (538 v. Chr.) bildhaft als das Zusammenrücken toter Gebeine dargestellt (Hesekiel 37. Vgl. Jesaja 26, 19: „Deine Toten werden aufleben – mein Leichnam! [kollektive Einzahl; Israel wird als toter Leib betrachtet.] – sie [d. i. die einzelnen Israeliten, die, in die assyrische (und babylonische) Gefangenschaft weggeführt worden waren] werden wieder aufstehen [Rückführung aus der Gefangenschaft, vgl. 27, 13][2]. Wacht auf und jubelt, die ihr im Staub liegt! – denn ein Tau des Lichts ist dein Tau. Und die Erde wird die Schatten herausgeben.”)
Israels Messiasablehnung bedeutete ein Sterben Israels. Sollte Israel nun (durch den Dienst des Apostels) den Messias annehmen, ist dies „Leben aus den Toten”, Leben aus dem erstorbenen (geistlichen) Zustand. (Zum Ausdruck vgl. Römer 6, 13.)
Als Hosea von Israels Wiederherstellung sprach (13, 14), gebrauchte er ähnliche Ausdrücke: „Von der Gewalt des Scheols werde ich sie erlösen, vom Tod sie befreien!”
Nichtisraeliten waren zwar „tot in Sünden”, aber sie waren nie lebendig gewesen. Ihre Bekehrung war eine erstmalige Begegnung mit der Gotteswahrheit, also keine Toten-Erweckung in diesem Sinne. Ein Israel hingegen, dass sich nachträglich bekehrt, ist vergleichbar mit dem Nach-Hause-Kommen eines „verlorenen” („toten”) Sohnes (Lukas 15, 32). Gott bekommt das „Erstorbenen” wieder. Tote Äste werden in den ureigenen Ölbaum eingefügt (Römer 11, 16ff).[3]
Ist mit der Verwerfung des Messias von Seiten des historischen Israel und ihrer Führer alles zu Ende? Hat das historische Israel, das „Israel nach dem Fleisch” keine Möglichkeit mehr zu der ihm verheißenen Herrlichkeit zu kommen. Ist ihm das göttliche Gericht unausweichlich sicher?
Die Antwort des Apostels ist seelsorgerlicher Art. (Vgl. Römer 10, 1: „Brüder, das Wohlgefallen meines Herzens und wofür [ich] zu Gott für Israel flehe, ‹das› ist [ihre] Rettung [eigtl.: ‹zielt› für sie auf ‹ihre› Rettung hin; o.: ist auf ihre Rettung gerichtet]!” Paulus ist in großer Betrübnis und hat unaufhörlichen Schmerz in seinem Herzen, für seine Brüder, seine Verwandten nach dem Fleisch (9, 2.3). Er möchte, dass das historische Israel gerettet wird, d. h. dass es nicht dem Zorn Gottes anheimfällt. Das Gericht stand nahe bevor. Und das äußerliche Gericht hat ewigen Konsequenzen für jeden einzelnen Israeliten. Paulus möchte, dass jeder aus seinem Volk, das ewige Heil, das Israel verheißen worden war, erlange: das ewige Leben, die ewige Herrlichkeit in einem „neuen Jerusalem” (Jesaja 65 und 66). Und er weiß, dass dieses Heil nur in Christus zu finden ist.
Es geht um das historische Israel. Dieses muss, nachdem es den Messias verworfen hat, Buße tun, um zu der ihm versprochenen Verheißungserfüllung zu gelangen. Sie müssen in Christus hinein. Wenn sie Buße tun, gehören auch sie zu dem „Überrest” von 11, 5 und 9, 27. Wenn sie sich weiterhin an dem Stein, der in Zijon liegt, stoßen, gehen sie verloren.
Paulus geht es um seine Zeitgenossen, und er schreibt seelsorgerlich.
Er zitierte aus Jesaja 10 (Römer 9, 28), dass der Herr eine „abschließende und beschleunigte Abrechnung” in Gerechtigkeit auf Erden (o.: im Lande) veranstalten werde, ja eine „summarische Abrechnung”. Das Gericht über das damalige Jerusalem und den Tempel stand bevor.
In 1. Thessalonischer 2, 16 hatte Paulus vom Gericht über das ungläubige Israel geschrieben, dass sie „allezeit ihre Sünden zur Fülle bringen.” Aber der göttliche Zorn sei (schon so gut wie) auf sie gekommen, d. h., Gott werde ihnen ein schnelles Ende bereiten. Es werde also nicht mehr lange dauern, bis das Gericht käme.
Es gab für das atl. Israel nur einen einzigen Ausweg, um dem Gericht zu entfliehen und gerettet zu werden: „… die Schrift sagt: Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden, denn es ist kein Unterschied zwischen Jude und Grieche, denn derselbe Herr aller ist reich für alle, die ihn anrufen, denn jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, wird gerettet werden.” (Römer 10, 11-13; Apostelgeschichte 2, 17ff.36-40)
Paulus bezog sich (wie Petrus in Apostelgeschichte 2, 21 und 2, 39) auf die Worte Joels (3, 5): „Und es wird geschehen: Jeder, der den Namen JAHWEHs anrufen wird, wird gerettet werden; denn auf den Berge Zijon und in Jerusalem wird ein Entrinnen sein, wie JAHWEH gesagt hat, und unter den Übriggebliebenen, die JAHWEH ruft.”
Diese Worte bezog Petrus in Apostelgeschichte 2, 17ff auf die „letzten Tage”, d. i die Zeit zwischen Pfingsten und dem Gericht über Israel. Gottes Ruf erging durch die Apostel an das historische Israel (Römer 10, 14-18), und zwar an jeden einzeln. Aber sie wollten (zum Großteil) nicht hören.
Gottes Ruf erging an das atl. Israel. Wie? Paulus sagt, es war eine Eifersuchtsreizung (10, 19-21). Gott ließ sich von den Heidenvölkern finden, d. h. die Botschaft ging nun zu denen von den Heidenvölkern hinaus; und die Heiden (nicht kollektiv, sondern einzeln), „gingen ein”, d. h. diejenigen von den Heiden, die zu Christus kamen. Um im Bild von Römer 11, 16ff zu sprechen: die aus den Heiden, die sich bekehrten, wurden in den „Ölbaum” (der den treuen Kern ausmacht) eingepfropft, aber das historische Israel (d. h. der größte Teil des Volkes; es sind die einzelnen Israeliten angesprochen!) wurde ausgebrochen – und damit war Israel dem Gericht verfallen. Aber bis zum Gericht verblieb noch eine Frist. Noch bestand die Gelegenheit, zum Messias umzukehren. Gott hatte sein Volk nicht aufgegeben, seine Hände waren noch ausgestreckt (10, 21).
Gott wollte das atl. Israel doch noch gewinnen, damit sie wieder eingepfropft und nicht ins Gericht kommen würden. Römer 10, 19: „Ich werde euch zur Eifersucht reizen über ein Nichtvolk.” 11, 11-14: „Stolperten sie, damit sie fallen ‹und liegen bleiben› sollten? Das sei fern! Sondern durch ihren Fehltritt ist das Heil zu denen [gekommen], die von den Völkern sind, um sie zur Eifersucht zu reizen. … – denn euch, die ihr von den Völkern seid, sage ich: Insofern ich der Apostel derer bin, die von den Völkern sind, verherrliche ich meinen Dienst, ob ich auf irgendeine Weise [die, die] mein Fleisch [sind], zur Eifersucht reizen und etliche aus ihnen retten möge”. Es geht um eine „Rettung” vor dem Gericht. (Gericht im doppelten Sinne: zeitlich und ewig, denn wer stirbt geht ins ewige Gericht!).
Vgl. Apostelgeschichte 13:38-47: „Es sei euch also kund, Männer, Brüder, dass euch durch diesen die Botschaft der Vergebung der Sünden gebracht wird, 39 und von allem, wovon ihr im Gesetz Moses nicht gerechtfertigt werden konntet, wird in diesem jeder, der glaubt, gerechtfertigt. 40 Seht also, dass nicht auf euch komme, was gesagt ist in den Propheten: 41 ‘Seht, Verächter, und verwundert euch und verschwindet, weil ich in euren Tagen ein Werk wirke, ein Werk, dem ihr gar nicht glauben werdet, wenn es euch jemand erzählt!’ 42 Nachdem die Juden aus der Synagoge gegangen waren, redeten die von den Völkern [ihnen] zu, dass ihnen an dem folgenden Sabbat diese Worte gesagt würden. 43 Nachdem die [Versammlung der] Synagoge aufgelöst war, folgten viele der Juden und der ehrfürchtigen Proselyten Paulus und Barnabas, welche zu ihnen redeten und ihnen Vertrauen einflößten, ‹ganz› bei der Gnade Gottes zu bleiben. 44 Am kommenden Sabbat war beinahe die ganze Stadt versammelt, das Wort Gottes zu hören. 45 Aber als die Juden die Mengen sahen, wurden sie von Eifersucht erfüllt und widersprachen mit heftigem Widerspruch und Lästerung dem von Paulus Gesagten. 46 Mit Freimütigkeit sagten Paulus und Barnabas: Es war notwendig, euch zuerst das Wort Gottes zu sagen. Nachdem ihr es aber von euch stoßt und euch selbst des ewigen Lebens nicht würdig achtet – siehe – wir wenden uns zu denen von den Völkern, 47 denn so hat der Herr uns geboten: ‘Ich habe dich zum Licht gesetzt für die von den Völkern, damit du zur Rettung seiest bis an das Ende der Erde.’”
Vgl. Apostelgeschichte 28, 23-31: „Nachdem sie ihm einen Tag bestimmt hatten, kamen sie in [noch] größerer Zahl hin zu ihm in die Unterkunft. Denen setzte er auseinander und bezeugte mit Ernst das Königreich Gottes und suchte vom Gesetz Moses und auch von den Propheten her sie von dem zu überzeugen, was Jesus betraf, von der Frühe bis zum Abend. 24 Und die einen wurden ‹nach und nach› von dem Gesagten überzeugt ‹und glaubten›. Die anderen glaubten nicht. 25 Als sie aber unter sich uneins waren, gingen sie weg, nachdem Paulus die eine Aussage gemacht hatte: Trefflich redete der Heilige Geist durch den Propheten Jesaja zu unseren Vätern, 26 als er sagte: ‘Gehe hin zu diesem Volk und sprich: Hörend werdet ihr hören und gar nicht vernehmen ‹und verstehen›, und hinsehend werdet ihr hinsehen und gar nicht wahrnehmen, 27 denn das Herz dieses Volkes wurde empfindungslos, und mit den Ohren wurden sie schwerhörig, und ihre Augen verschlossen sie, damit sie nicht etwa mit den Augen sehen und mit den Ohren hören und mit dem Herzen vernehmen ‹und verstehen› und umkehren möchten und ich sie heilte.’ 28 Es sei euch also kund, dass das Heil Gottes denen, die von den Völkern sind, gesandt wurde. Die werden auch hören. 29 Nachdem er dieses gesagt hatte, gingen die Juden weg, wobei sie viel Disput unter sich hatten. 30 Paulus blieb zwei ganze Jahre in der eigenen Mietwohnung und empfing alle, die zu ihm hereinkamen; 31 mit aller Freimütigkeit verkündete er das Königreich Gottes und lehrte die Dinge, die den Herrn Jesus Christus betrafen, ungehindert.”
Israel wurde zunehmend verhärtet. Und trotz des Bemühens Gottes hielt der Großteil des Volkes weiterhin am Unglauben fest – und wurde gerichtsreif.
. In 11, 7 (wie in 9, 3.6 und 10, 1) ist die Rede von dem historischen „Israel”, aber von dem Teil, der – durch seinen Unglauben – nicht zum Heilsvolk Gottes gehört. Aber es muss nicht so bleiben. Das Doppelbild vom Teig und Ölbaum zeigt, dass Israel von Gott nicht auf die Seite gestellt oder fallen gelassen wurde. Gott rief dieses historische Israel als sein Volk; er bleibt seinen Verheißungen und seinem Rufen treu. (Vgl. V. 25-29.)
Zwei Bilder verwendet der Apostel:
. Das Bild vom Erstlingsbrot und der Teigmasse
. Das Bild vom Ölbaum mit Stamm (inkl. Wurzel) und den Zweigen
Um das Bild vom Ölbaum besser zu verstehen, wäre es eine Hilfe, wenn wir wüssten, was genau die beiden Bilder Erstling und Wurzel im Textzusammenhang bedeuteten. Aber das wird uns vom Apostel nicht mitgeteilt. Er scheint hier einiges vorauszusetzen. Zur Hauptsache geht es in diesem Kapitel um das Volk Israel, aber das heißt nicht, dass die Wurzel bzw. der Stamm speziell jüdisch sein müsste. Es fällt nämlich auf, dass Paulus diesen Teil des Ölbaumes nie genau identifiziert. Die Glaubensgemeinde des Alten Testamentes beschränkt sich keineswegs auf Israeliten. Sie beginnt auch nicht mit Abraham, sondern in der allerersten Familie und schließt Persönlichkeiten ein wie Noah, Melchisedek, Jethro, Rahab, Ruth, Urija, die Witwe von Sarepta, Naeman und Nebukadnezar (Da 4, 34).
Im Hintergrund dieses Bildes ist Christus. Er ist letztlich „Saft und Fettigkeit” des Ölbaumes, die Verheißung, die Abraham gegeben wurde, „der Same” und „der Segen”, der zu allen Völkern kommen sollte, „der Wurzelspross aus dürrem Erdboden” (Jesaja 53, 2). Diese saftige Wurzel mit Stamm bringt Zweige hervor – in Form von (wahrem) Volk Gottes.
. In 11, 16 heißt es: „… und wenn die Wurzel ‹mit dem Stamm› [d. i.: das alttestamentliche treue Volk Gottes bis zum Messias] [Gott] heilig [und ihm zugeordnet] ist, sind es auch die Zweige [d. i.: die einzelnen Israeliten seitdem].”
„Wurzel ‹mit Stamm›”: Das griechische Wort bedeutet, nach Menge: Wurzel, Spross, Stamm. Grimm und Thayer meinen: Wurzel; nach dem entsprechenden Hebräischen: das, was aus der Wurzel hervorgeht. Manchmal bedeutet es also: der Stamm, als Verlängerung der Wurzel gedacht (vgl. Matthäus 3, 10), daher in Römer 11, 16 „der Stamm” offenbar übersprungen wird in der Rede von Wurzel und Zweigen. Wir müssen, um dem griechischen Begriff gerecht zu werden im Deutschen übersetzen: „Wurzel mit Stamm”.
Die „Wurzel ‹mit dem Stamm›” ist das alttestamentliche echte Volk Gottes bis zum Messias. Die Zweige sind die einzelnen messiastreuen Israeliten seit dem Kommen des Messias. Der „Ölbaum” (Wurzel mit Stamm und Zweigen) ist ein Bild von dem gläubigen Kern, den Treuen aus dem Israel des AT und NT.
- Das ist bestritten worden. Man meint, die wilden Zweige stünden für die Christenheit (ob bekehrt oder nicht) in den Völkern. So schreibt z. Bsp. D. Schürmann in http://www.soundwords.de (Artikel 1056): „Die Nationen, die hier angesprochen werden — ‚Denn ich sage euch, den Nationen‘ (V. 13) –, werden nicht als solche angesprochen, die in Christus sind, wie es alle die sind, die zu dem Leib Christi, dem neuen Menschen gehören. Das heißt nicht, dass nicht einige der eingepfropften Zweige auch wirklich „in Christus” sind; alle, die in Christus sind, gehören zu den Zweigen des Ölbaums. Aber hier werden sie nicht als solche angesprochen, sondern als solche, für die die Möglichkeit besteht, ausgebrochen zu werden (V. 21) in gleicher Weise wie die ungläubigen Juden. Das zeigt an, dass es nicht um eine Lebensverbindung geht wie bei dem einen Leib, sondern um ein Bekenntnis, das die Möglichkeit bietet abzufallen, sodass auch Namenschristen hier mit darunterfallen.”
Dazu Folgendes: Erstens spricht der Apostel nicht Völker („Nationen”) an, sondern, nach K. 1, einzelne wahre Christen in Rom. Hier, in K. 11 ab V. 17, kann er sie sogar individuell mit einem „Du” ansprechen. Zweitens weiß Gott nichts von einer „Einbürgerung” von Namenschristen in seinen Plan. Die, die in den edlen Ölbaum eingepfropft sind, stehen „durch den Glauben” (V. 20), und die, die nicht wirklich glauben, wurden ausgebrochen „durch den Unglauben” (V. 20A. Vgl. auch V. 23.). Von daher ist es nicht möglich, dass welche, die nicht wirklich glauben, als in den Ölbaum Eingepfropfte gelten sollten.
„Einige der Zweige” wurden ausgebrochen (V. 17) „durch den Unglauben” (V. 20). Sie wurden ausgebrochen, weil sie den Messias verwarfen. Die anderen Zweige, die verbleibenden, sind die neutestamentlichen jüdischen Glaubenden, also die messiasgläubigen Israeliten.
Das NT lehrt uns, dass die ntl. israelitische Gemeinde aus der vorpfingstlichen gläubigen Gemeinde in Israel hervorging. Es gab einen Kern von Treuen in Israel, die auf den Messias warteten. (Z. Bsp. Lukas 1, 6; 2, 25.38; Markus 15, 43. Dazu gehörten auch die Jünger des Johannes des Täufers, Johannes 1, 35ff; 3, 26-30. Aus diesen Reihen kamen dann die ersten Jünger Jesu.)
Sie, diese messiasgläubigen Israeliten, waren die Zweige, die am Ölbaum waren und nicht ausgebrochen wurden. Diese sind die, die aus der Wurzel (und dem Stamm) hervorgingen.
Wenn also diejenigen, die den Messias verwarfen (die er V. 16 „einige Zweige” nennt), wegen Unglaubens ausgebrochen wurden und wenn die verbleibenden Zweige, die messiasgläubigen jüdischen Glaubenden, aus der Wurzel (und dem Stamm) hervorgingen, dann müsste mit dem Ölbaum zuerst die alttestamentliche Glaubensgemeinde gemeint sein, die seit den Vorvätern Israels zur Hauptsache aus den Treuen in diesem Volk bestand. Zur neutestamentlichen Zeit bilden den Ölbaum dann alle israelitischen Messiasgläubigen. In diesen Ölbaum werden Zweige vom „Wilden Ölbaum”, als solche aus den Völkern, eingepfropft.
. Der Ölbaum als solcher ist also das Volk Israel als theokratischer Körper (das „Königreich Gottes”), bestehend aus dem treuen Kern. Die Zweige sind einzelne Glieder des israelitischen Gottesvolkes. Der Baum im AT bestand aus den Glaubenden aus Israel, dem wahren theokratischen Volk, dem Königreich Gottes im AT. Etliche Glieder (die meisten) wurden entfernt („ausgebrochen”) wegen Unglaubens gegenüber dem Messias Jesus (V. 20A). Einzelne Menschen aus den Völkern wurden eingepfropft – durch den Glauben an Jesus Christus (V. 20M). Das alte Königreich Gottes (die alte Gottesherrschaft) ging in das neue über, in das geistliche Königreich Gottes.
Paulus hatte gelehrt (9, 6), dass nicht alle Nachkommen Jakobs das wahre Israel bildeten. Nicht alle, die von Abraham (und Isaak und Jakob) abstammten, waren Gottes Volk. Wer aus Israel nicht an den Messias Jesus glaubte, gehörte nicht zum wahren Israel, zum geistlichen/himmlischen Gottesvolk.
Das zur Zeit des Apostels noch ungläubige Israel war in diesem Sinne (!) nicht Gottes Volk als solches, wohl aber noch (bis zum Tag des Gerichts) von der Verheißung her als Gottes Volk – auf Hoffnung. Die aus den Heidenvölkern Eingepfropften galten als heiliges Gottesvolk (1. Petrus 2, 9.10), als erwähltes Geschlecht (1. Petrus 2, 9), als im Herzen Beschnittene (Kolosser 2, 11), als „Same Abrahams” (weil sie in Christus waren, Galater 3, 27-29), als dem Abraham erweckte Kinder (Matthäus 3, 9), als Söhne Gottes (Galater 4, 6; Hebräer 2, 10), als Kinder der Verheißung (Galater 4, 28; Römer 9, 8; Joel 3, 5 iVm. Römer 10, 13).
Da das gr. Wort für „Wurzel” auch den Stamm einschließt, werden nebst ihr (der „Wurzel”) nur die Zweige erwähnt. Aus dem alttestamentlichen Gottesvolk sind mit dem Kommen des Messias gläubige und ungläubige Israeliten hervorgegangen. An die Stelle ausgebrochener Ungläubiger sind Zweige aus einer anderen Baumart gekommen.
. Paulus spricht von zwei Bäumen. Der eine ist die elaia, die Israel darstellt, der andere der agrielaios, der die Nichtisraeliten darstellt. Der erste ist der bekannte gezüchtete Ölbaum. Der zweite hieß (zu Deutsch) Wilder Ölbaum, im attischen Griechisch kotinos, im Lateinischen oleaster. Obwohl sie beide Oliven trugen, aus denen man Öl gewann, waren sie doch zwei verschiedene Baumarten. Der kotinos war dem Gott Dse-üs heilig, die elaia der Pallas Atheenaia. Die Beeren, die Blätter, die Rinde, die kleinen Zweige und die Form der beiden Bäume waren verschieden. Die Qualität des Öls war in beiden Fällen gut, das Öl des Wilden sogar etwas süßer; die elaia lieferte allerdings bedeutend mehr.
Auch bei Nehemia werden sie als zwei verschiedene Bäume aufgezählt (Ne 8, 14.15): „Und sie fanden in der Weisung geschrieben, dass der HErr durch Mose geboten hatte, dass die Kinder Israels am Fest im siebenten Monat in Laubhütten wohnen sollten und dass sie es laut werden und einen Ruf ergehen lassen sollten durch alle ihre Städte und durch Jerusalem und sagen: ‘Geht hinaus auf das Gebirge und holt Zweige vom Olivenbaum und Zweige vom Wilden Ölbaum und Myrtenzweige und Palmzweige und Zweige von dichtbelaubten Bäumen, um Hütten zu machen, wie geschrieben steht!’”
Das Pfropfen kannte man. Es galt als unverzichtbar, wenn man fruchtbare Haine wollte. Man sagte aber von ihm, dass es „gegen die Natur” bzw. „neben” ihr war (para), was ja auch stimmte; nicht dass es naturwidrig oder schädlich sei, sondern es war ein menschlicher Eingriff, wie auch das notwendige Beschneiden. Den etwa 7-10 Jahre alten Ölbaum pfropfte man mit einem Zweig von dem besten Baum, den man kannte. Ungefähr 3 Jahre danach begann dieser junge Baum Frucht zu tragen. Mit den Jahren vermehrte sich der Ertrag.
Dass das Verfahren, von dem Paulus in V. 24 spricht, ein wirkliches, in der Fruchtzucht vorkommendes sei, hat man bezweifeln wollen. Lange scheint Tholuck z. T. Recht zu geben, wenn der bemerkt:
„Entweder ist nun dem Paulus das ökonomische Sachverhältnis nicht bekannt gewesen, oder – was bei der Trivialität dieser Notiz wahrscheinlicher – hat er sagen wollen, hier sei aus Gnaden geschehen, was sonst wider die Natur ist.”
Im Biblischen Wörterbuch für das christliche Volk liest man unter „Ölbaum” u.a.: „Ob, wie einige wegen Römer 11, 17ff vermuten, die Einpfropfung wilder Ölzweige in die edlen Stämme stattgefunden habe, um den alten, kränkelnden Stamm damit zu erneuern, muss bezweifelt werden.” (Karlsruhe und Leipzig, Verlag von H. Reuther 1885, herausgegeben von H. Zeller) Doch wird dann glücklicherweise in einer Fußnote ein gewisser „Schultz (Leitungen V. 88)” zitiert:
„In Jerusalem habe ich von vielen gehört, dass wenn ein zahmer Ölbaum seine Zweige verliert, so holen sie von dem Jordan wilde Ölzweige, pfropfen dieselben in den zahmen Stamm, und da trägt er gute Früchte.”
Ramsay spricht von einem fast geheim gehaltenen Rezept in Sonderfällen. Er weist hin auf die Schriften von Pausanias, Palladius und Columella und zitiert Professor Theobald Fischer, der schrieb:
„An das noch heute in Palästina geübte Verfahren, einen Ölbaum, der Früchte zu tragen aufhört, zu verjüngen, indem man ihn mit einem der wilden Wurzeltriebe pfropft, so dass der Saft des Baumes diesen wilden Trieb veredelt und der Baum nun wieder Früchte trägt, spielt der Apostel Paulus an Römer 11, 17.” (Der Ölbaum – Petermanns Mitteil., Ergänzungsheft, Nr. 147, S. 9)
Vor dem Pfropfen wurden Zweige entfernt, um dem neuen Zweig mehr Luft und Licht zugänglich zu machen und damit die neue Frucht nicht auf unnötig viele Zweige verteilt werde. Es konnte auch ein Wilder Ölbaum veredelt werden durch das Aufpfropfen eines Zweiges von einem gezüchteten Ölbaum.
. Die eingepfropfte Nichtisraelit
Dieser wird hier angesprochen und gewarnt, sich nicht über den ungläubigen Israeliten zu überheben. Er ist nämlich nicht gefeit vor einem Fall aus der Gnade, in der er steht. Durch den Unglauben kam die Entfernung von einigen Israeliten. Durch den Glauben kam er als Nichtisraelit in den Genuss des messianischen Segens. Durch den Glauben behält er diesen Segen. Durch eventuellen Unglauben wird er wie ungläubige Israeliten dieses Segens verlustig werden.
In den Versen 16-24 geht es nun um die Bedeutung der nicht endgültigen Verwerfung Israels für die Einstellung nichtisraelitischer Christen.
II. Sie sollen bedenken, dass auch der ungläubige Teil Israels als Gott heilig (abgesondert) gilt. V. 16
„Wenn der Erstling [Gott zugeordnet und ihm] heilig ist, ist es auch die Teigmasse [von welcher er ja ein Teil ist], …” (Ergänzungen in Eckkl. sind zur Erklärung hinzugefügt.)
. „Heilig” ist i. S. v. „abgesondert” aufzufassen. Heilig bedeutet im Grunde „zugehörig zu etwas”.
Vom ersten Teig, gemacht aus den Körnern der Erstlingsähre, wurde ein Teil abgesondert und für den Herrn gebacken als Webeopfer (Schwingopfer), das die ganze Teigmasse heiligte. Die Heiligkeit des ersten Teiges lag in seinem Abgesondertsein für den Herrn und darin, dass er ihn annahm. (Vgl. Lenski.) Die Chasidim, die Treuen des AT sind das Erstexemplar vom „Teig”, der Erstling (11, 16), der die Teigmasse heiligt. Die Teigmasse ist das ganze abtrünnige Israel.
Es geht hier um den Teil, der verstoßen war, der Teil, der den Messias ablehnte. Von diesem sagt Paulus, er sei heilig, heilig im selben Sinne wie in 1. Korinther 7, 14: Gott „zugeordnet”. Paulus sagt gleichsam: Auch das (noch) abtrünnige Israel, gilt (zum Zeitpunkt des Schreibens, als im Jahr 57 n. Chr.) als zugehörig zu Gott.
Im AT ist jedoch nicht alles, was „heilig” ist, auch schon gerettet (z. Bsp. Gegenstände, die Gott gehörig/zugeordnet sind). Israel ist von Gott erwählt, daher „Gott zugeordnet”. Gott ist aber nicht verpflichtet, diesen abtrünnigen Teil zu retten, nur weil er ihn für „heilig” erklärt hat. Aber grundsätzlich ist doch Hoffnung da. Darauf geht Paulus nun im Folgenden ein.
„Wenn aber einige der Zweige [d. h.: sehr viele; nämlich der Großteil des Volkes Israel] ausgebrochen wurden [d. h., das verhärtete Israel zur Zeit des Paulus] und du, der du ein [Zweig vom] Wilden Ölbaum warst, unter sie eingepfropft und Mitteilhaber der Wurzel ‹mit Stamm› und der Fettigkeit des Ölbaums wurdest, 18 rühme dich nicht gegen die Zweige. Wenn du dich aber gegen sie rühmst, [bedenke]: Du trägst nicht die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich.”
Die Gläubigen aus den Heidenvölkern sollen nicht stolz sein, denn sie sind nur aus Gnaden hineingekommen – durch den Glauben an Christus, und weil Israel den Messias Jesus verwarf.
V. 19.20A: „Du wirst hieraufhin sagen: Die Zweige wurden ausgebrochen, damit ich eingepfropft würde. 20 Recht. Durch den Unglauben [kam es, dass] sie ausgebrochen wurden.”
Durch den Glauben kommt man hinein, durch Nicht-Glauben kommt man wieder hinaus. Niemand würde behaupten, dass es unmöglich sei, dass Zweige wieder ausgepfropft werden könnten, nur deshalb, weil sie mit dem Stamm „verwachsen” sind. Dass man mit Christus in Bezug auf die Sünde gestorben ist und auch, dass man mit ihm auferweckt ist (Kolosser 2, 12), ist etwas, das durch den Glauben geschieht. Alles, was wir in Christus haben, auch unser Mitgestorben-Sein, haben wir durch den Glauben. Niemand sollte behaupten: nur deshalb, weil jemand mit Christus „verwachsen” ist (Römer 6), sei es unmöglich, so jemanden wieder aus der Verbindung mit Christus zu lösen. (Vgl. Galater 5, 4).
V. 20M.21.22: „Du stehst durch den Glauben. Sei nicht hochmütig, sondern fürchte dich, 21 denn wenn Gott die natürlichen Zweige nicht schonte, dass er auch dich etwa nicht schonen werde! 22 Sieh also die Freundlichkeit und die Strenge Gottes: gegen die, die fielen, Strenge; gegen dich Freundlichkeit, wenn du an der Freundlichkeit bleibst. Sonst wirst auch du abgeschnitten werden.”
Gott spricht zwei Sprachen mit dem Menschen, das eine Mal in dieser, das andere Mal in der anderen. Die Sprachen heißen Güte und Strenge. Beide wollen zur Umkehr und zu Gott führen. Man vgl. Römer 2, 3.4. Sie wollen uns auch bei Gott halten. Kühlt die Liebe zu ihm ab, so kommt die mahnende Stimme, die erste Liebe nicht zu verlassen (Offenbarung 2, 4.5). Die K. 9-11 im Römerbrief sind nicht nur zusätzliche Randnotizen zur Geschichte Israels, sondern ernste Botschaft für jeden Christen, aus welchem Volk er auch stammen mag.
So sicher, wie Ungläubige ausgeschnitten werden, genauso sicher ist auch die Rückkehr „etlicher” aus Israel: Die Bedingung ist Umkehr und Glaube. (V. 23).
„Aber auch jene, wenn sie nicht im Unglauben bleiben, werden eingepfropft werden, denn Gott vermag sie wieder einzupfropfen; 24 denn wenn du von dem von Natur Wilden Ölbaum abgeschnitten und wider die Natur in einen edlen Ölbaum eingepfropft wurdest, wie viel mehr werden diese, die natürlichen [Zweige], in den eigenen Ölbaum eingepfropft werden.”
Der Grund für den Ausschluss Israels war dessen Unglaube. Es ist hier der verhärtete Teil Israels angesprochen, bestehend aus einzelnen Israeliten, die den Messias verwarfen. Soferne diese einzelnen Israeliten (die z. Zeit des Paulus noch lebten) nicht im Unglauben blieben, würden sie wieder eingepfropft. Dies ist der Weg, wie Israel zu seinem Heil kommt: Buße und Glaube. Dies geht konform mit dem, was Paulus in 2. Korinther 3, 15.16 sagt: „… sondern bis auf den heutigen Tag [56 n. Chr., als 2. Korinther geschrieben wurde] liegt, wenn Mose gelesen wird, der Schleier auf ihrem Herzen. Wenn es aber zum Herrn hin umkehren wird [durch die Bekehrung einzelner], wird der Schleier weggenommen.”
Wir sprechen von der Zeit des Apostels Paulus (57 n. Chr., als der Römer geschrieben wurde): Jedes Mal, wenn – im Bilde gesprochen – „Israelitenzweige” sich bekehrten, wurden sie ohne weiteres wieder in den „Ölbaum” eingepfropft. Es war keine Schwierigkeit für Gott, diejenigen Israeliten (aus dem bis dato verhärteten Teil), die sich bekehrten, wieder anzunehmen und einzupfropfen. Es war sogar naheliegend, denn es war ihr natureigener Ölbaum. Gott hatte diese Zweige nicht unwiderruflich verstoßen. Sie durften noch kommen – die ganze Zeit hindurch, solange die Heidenmission des Paulus erfolgte. Sobald Israeliten umkehrten, wurde der Schleier der Blindheit, der auf ihrem Herzen (d. h.: in ihrem Denken) lag, weggenommen. Die Hinkehr Israels zum Herrn geschieht in der Zeit zwischen Pfingsten und dem Zeitpunkt des Gerichtes, das ihnen angesagt war. (Römer 9, 28: „denn [er ist] einer, der ein Wort [o. eine Sache] ganz zu Ende führt und rasch erledigt in Gerechtigkeit, weil der Herr ein rasch erledigtes Wort [eine rasch erledigte Sache] auf der Erde (o. im Lande) tun wird.” Apostelgeschichte 13, 41: ‘Seht, Verächter, und verwundert euch und verschwindet, weil ich in euren Tagen ein Werk wirke, ein Werk, dem ihr gar nicht glauben werdet, wenn es euch jemand erzählt!’”)
Wie sollte Israel gerettet werden? Auf dieselbe Weise wie die Heiden. (Apostelgeschichte 15, 11: „Vielmehr glauben wir, durch die Gnade des Herrn Jesus Christus gerettet zu werden, auf dieselbe Weise wie auch jene.”)
„… wenn sie nicht im Unglauben bleiben”:
Das Bleiben im Unglauben wird als eine Möglichkeit vorausgesetzt, d. h.,. es wird nicht ausgeschlossen, dass welche im Unglauben bleiben. Der Vers setzt nicht voraus, dass sich alle bekehren.
Nb.: Es geht in Römer 11 um das historische alttestamentliche Israel. Dieses Israel muss den Messias annehmen, um dem Zorngericht Gottes (70 n. Chr.) zu entgehen und zur Verheißungserfüllung zu gelangen. Jeder einzelne aus ihnen muss in Christus hineingelangen, d. h. in den „Überrest nach Gnadenerwählung”. Nur der Überrest wird vor dem Zorngericht gerettet – hineingerettet in das neue Jerusalem, das himmlische Erbteil.
Das historische Israel ist von der AT Prophetie her der potentielle Verheißungsempfänger. Aber Paulus sagt uns klar, dass nur diejenigen, die den Messias angenommen haben, als der eigentliche Verheißungsempfänger (als „Same”) gelten (Rom 9, 6-8). Es sind nicht die Kinder des Fleisches, die Kinder Gottes sind, sondern die Kinder der Verheißung werden als Same gerechnet. Nicht alle, die von Jakob abstammten, galten zur Zeit des Paulus als faktische Verheißungsträger, sondern nur die messiasgläubigen Juden („Kinder der Verheißung”, 9, 8). Die anderen – die im Moment noch „Feinde des Evangeliums” waren, waren aber nicht unwiderruflich ausgeschlossen, denn sie konnten sich noch bekehren, solange Gott ihnen noch die Gnadenfrist schenkte und das Gericht hinauszögerte.
Der treue Kern („Überrest nach Gnadenerwählung”, 11, 5) – und nur er – wird als Same gerechnet. Für die anderen bestand noch die Gelegenheit, in Christus hinein – und so in den Überrest hinein – zu kommen). In ihrem damaligen Zustand waren sie nicht Verheißungsträger, sondern vielmehr Gerichtsgeweihte. Das Gericht war nahe (vgl. Römer 9, 27).
Am Anfang der Text (V. 25-27) mit kurzen Erklärungen:
„ …, denn ich will nicht, Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt sei, damit ihr euch nicht selbst klug dünkt [indem ihr meint, Gott hätte Israel durch die aus den Völkern ersetzt. Dem ist nicht so, sondern]: Verhärtung ist Israel zu einem Teil widerfahren [und widerfährt ihnen; das gr. Perfekt wird häufig dazu verwendet, eine Handlung auszudrücken, die zum Zeitpunkt des Sprechens nicht abgeschlossen ist, vgl. das englische present perfect], bis die Fülle [im Sinne von „große Menge”; Paulus spricht von seinem damaligen Dienst unter den Heiden; vgl. V. 13] derer, die von den Völkern sind, [in Christus hinein – durch den Glauben] eingegangen sein wird [Vgl. V. 13; Paulus hatte in 9, 27.28 von dem bald zu erwartenden Gericht über Israel gesprochen; daher sein Streben, überall in der Diaspora per Heidenmission die Juden zur Eifersucht zu reizen und so möglichst viele zu gewinnen, indem er das Evangelium den Juden und Heiden verkündete, dort wo Christus noch nicht genannt worden war. Wann immer nun Israel es ablehnte, nahm die teilweise Verhärtung zu. Dieser Prozess sollte voranschreiten, sagt Paulus, bis die große Heidenmenge ins Heil eingegangen sein würde; Paulus schreibt im Hinblick auf das 9, 28 vorausgesagte Gericht.] 26 – und so [schlussfolgernd aus V. 13-25] wird [anlässlich des baldigen Gerichtskommens] das ganze Israel [die Summe der nunmehrigen wieder eingepfropften Zweige, die Summe des Überrestes also, vgl. 9, 27; 11, 5] gerettet [und ins neue Jerusalem versetzt] werden, wie geschrieben ist: „Es wird aus Zion kommen der Befreier [der in Bethlehem geboren, nach Zion kam und nach vollbrachtem Erlösungswerk von dort aus die Botschaft vom Frieden und von der Versöhnung und Erlösung Israels verkündete; Epheser 2, 17; 2. Korinther 5, 19.20; Lukas 24, 47], und er wird [überall dort, wo Israel – während der noch geschenkten Gnadenfrist zwischen Himmelfahrt und Gericht – den Messias annimmt] ehrfurchtsloses Wesen von Jakob abwenden. [Apostelgeschichte 3, 23-26.] 27 Und dieses ist ihnen der Bund [d. h.: die Erfüllung der alttestamentlichen Bundesverheißung, die er Israel gab] von mir,” {Jesaja 59, 20.21} „wenn ich weggenommen haben werde ihre Sünden.”
„... denn ich will nicht, Brüder, dass euch dieses Geheimnis unbekannt sei, damit ihr euch nicht selbst klug dünkt:”
Die aus den Völkern sollen nicht hochmütig sein und denken, es dürften die Israeliten nicht mehr zu Christus kommen und so gerettet werden. Sie sollen nicht denken, die Heiden hätten Israel ersetzt, sodass es für Israeliten keine Möglichkeit der Rettung mehr gäbe. Nein, sondern, indem Israel – im Falle der Buße und des Glaubens – in Christus versetzt wird, werden die alttestamentlichen Verheißungen bezüglich der Wiederherstellung Israels vollumfänglich erfüllt.
„… dieses Geheimnis”: Was Paulus hier sagt, ist etwas, das im AT nicht geoffenbart war. „Geheimnisse” sind Tatsachen oder Wahrheiten, die der Mensch nicht von sich aus durch Beobachtung, Erfahrung und Nachdenken erkennen kann, sondern nur durch göttliche Offenbarung. Um ein solches Geheimnis handelt es sich hier.
Was konkret ist dieses Geheimnis?
– erstens, dass dem alttestamentlichen Israel Verhärtung teilweise widerfahren ist. Zum Zeitpunkt des Schreibens war dieser Verhärtung noch nicht abgeschlossen. Noch war das Evangelium nicht in den damaligen „Erdkreis” des römischen Reiches zur Gänze gelangt. Es hatte Israel also noch nicht zur Gänze das Evangelium gehört.
– zweitens, dass die Verhärtung Israels als eine teilweise fortbestehen (und fortschreiten) würde, bis die Fülle (d. h. die große Menge) derer aus den Völkern eingegangen sein würde.
Und so würde demnach das „ganze Israel” „gerettet” werden und in das vollendete Heil (d. i. die im AT verheißene Wiederherstellung im „neuen Jerusalem”) eingehen.
Das Bindewort „denn” am Anfang des Satzes zeigt, dass Paulus sich auf die vorher gemachten Aussagen bezieht. In V. 23 war gezeigt worden, dass nur diejenigen gerettet werden, die sich im Glauben zu Christus wenden (V. 23: „auch jene, wenn sie nicht im Unglauben bleiben, werden eingepfropft werden”).
V. 25: „denn Verhärtung ist Israel zu einem Teil widerfahren ‹und widerfährt ihnen› [gr. Perfekt: die Handlung dauert bis zur Gegenwart an.], bis die Fülle derer, die von den Völkern sind, eingegangen sein wird”.
Paulus lehrt, die „zu einem Teil”-Verhärtung würde fortschreiten bis zu einem gewissen Zeitpunkt.
In V. 11 hatte er aufgezeigt, dass Israel, nachdem es „gestolpert“ und gefallen war, nicht am Boden liegen bleiben sollte, sondern durch Israels Fehltritt „ist das Heil zu denen [gekommen], die von den Völkern sind, um sie zur Eifersucht zu reizen.” Damit hatte er den Weg aufgezeigt, auf dem Israel zur Wiederherstellung kommen sollte. Dafür mührte Paulus sich ab. Israel sollte durch die Heidenmission zur Eifersucht gereizt werden und so sollten möglichst viele Juden veranlasst werden sich retten zu lassen (V. 14). Andernfalls würde die Verhärtung fortschreiten.
Paulus weiß: Es gibt nur einen einzigen Weg der Rettung vor dem Gericht (9, 28). Das Gericht war nahe und „der Richter” stand „vor der Tür” (Jakobus 5, 9). Israels einziger Rettungsweg bestand darin, nicht im Unglauben zu verbleiben (V. 23). Für sie hieß es: „Jetzt ist ‘angenehme Zeit’; jetzt ist ‘Tag des Heils’” (2. Korinther 6, 2). Es waren „die letzten Tage” (Apostelgeschichte 2, 17; 2, 29-39) jenes alttestamentlichen Zeitalters.
Dem Israel war Verhärtung bisher „zum Teil” widerfahren (und widerfuhr ihnen noch). Etliche ließen sich reizen und bekehrten sich, aber es war immer nur ein kleiner Teil. Die übrigen wurden verhärtet. Die Verhärtung nahm quantitativ zu – in dem Maße, in dem Israeliten das Evangelium hörten und ablehnten.
Die Tatsache, dass Israel zum Teil verhärtet war, würde also fortschreiten, „bis die Fülle derer aus den Völkern (ins Volk Gottes; o.: ins Leben; vgl. Matthäus 7, 13.14; 23, 14; Lukas 14, 23) „eingegangen sein“ würde.
Wir beachten: Verhärtung widerfuhr den einzelnen Juden, die das Evangelium verwarfen, und zwar dann, als sie es verwarfen, nicht eher. Zum Beispiel wurden die römischen Juden von Apostelgeschichte 28, 24-28 erst im Jahre 60, als sie das von Paulus verkündete Evangelium abgelehnt hatten, verhärtet.
Durch die fortschreitende Verwerfung des Messias von Seiten der Juden – und die göttlich verhängte „Verhärtung” demzufolge – ging die Tür für die aus den Völkern auf – konkret für die, die sich bekehren wollten und für das ewige Leben „gesetzt“ (vorbereitet; gestimmt) waren (Apostelgeschichte 13, 48). Und es kamen viele. Das wiederum sollte als Reizmotiv dienen für jene „Verhärteten” aus den Juden, die den Messias bis dato nicht annehmen wollten. Das bedeutet, dass, sobald Juden eifersüchtig gemacht waren, für sie die Tür zum Heil noch offenstand. Eben das ist es, was der Apostel in Römer 11 betont.
Die fortschreitende „Verhärtung zum Teil” dauerte an. Die Verhärtung widerfuhr ‹und widerfährt ihnen›” – Wie lange?
„…, bis die Fülle derer aus den Völkern eingegangen sein wird” (V. 25).
Man fragt sich unwillkürlich: Was dann?
– Dann tritt ein, was in 9, 28 bereits angekündigt wurde: „Aber Jesaja ruft aus über Israel: Wäre die Zahl der Söhne Israels wie der Sand des Meeres, [nur] der Überrest wird gerettet werden, denn [er ist] einer, der [das] Wort (die verheißene Sache) ganz zu Ende führt und rasch abschließt in Gerechtigkeit, denn der Herr wird eine rasch erledigte Sache (näml. das angekündigte Gerichtswort) im Lande (o.: auf der Erde) vollführen.”
„die Fülle derer aus den Völkern”
Dass die Fülle nicht die Gesamtheit der Heiden einschließt, ist klar. Das hätte Paulus anders ausgedrückt.
„Fülle” bedeutet nicht Zahl, sondern Menge. Das gr. Wort (pleerooma) könnte zwar in gewissen Zusammenhängen die Bedeutung von „volle Zahl” haben, aber der übliche Sinn des Wortes ist einfach eine „große Menge” oder ein „volles Maß”. (Beispiele: 1Chr 16, 32; Psalm 23, 1; Prediger 4, 6; Markus 8, 20; Römer 15, 29 „Fülle des Segens” bedeutet sehr viel Segen; 1. Korinther 10, 26 „die Erde und ihre Fülle”)
Wenn die große Fülle der (durch Paulus missionierten) Heiden ins Reich Gottes eingegangen sein wird, wird ein Schlusspunkt gesetzt. Das Evangelium ist ins gesamte Römerreich hinausgegangen und die große Menge der Heiden ist, nachdem Israel den Messias und das Evangelium verworfen hatte, ins Volk Gottes eingegangen.
„Und so wird das ganze Israel gerettet werden”.
Im Englischen „and thus”, d. h.: „Und so” bzw. „Und folglich”. Folglich werde es ein „ganzes” Israel geben, sagt Paulus. Und dieses werde „gerettet werden”.
Wer sind die, die das „ganze Israel“ ausmachen? – Die Summe des Überrestes, die Summe derjenigen Israeliten, die bis zu jenem Zeitpunkt den Messias angenommen haben. Paulus hatte bereits betont, dass nur der Überrest gerettet werden würde (9, 27.28).
„Und so” drückt noch mehr aus: Die Verheißung, die Gott Abraham, Isaak und Jakob gegeben hatte, würde dann erfüllt werden. Das „ganze Israel” würde dann zu seinem Heil kommen, zu dem den Erzvätern verheißenen ewigen Erbe.
Dieses „ganze Israel” bestand aus allen jenen Israeliten, die den treuen gläubigen Kern ausmachten, den „Überrest” (9, 27-29): „Aber Jesaja ruft aus über Israel: Wäre die Zahl der Söhne Israels wie der Sand des Meeres, [nur] der Überrest wird gerettet werden, denn [er ist] einer, der [das] Wort (= die verheißene Sache) ganz zu Ende führt und rasch abschließt in Gerechtigkeit, denn der Herr wird eine rasch erledigte Sache (näml. das angekündigte Gerichtswort) im Lande (o.: auf der Erde) vollführen. Und [es ist] so, wie Jesaja zuvor sagte: Wenn der Herr der Heere uns nicht Samen übriggelassen hätte, wären wir wie Sodom geworden und Gomorra gleich geworden.”
Petrus hatte Israel aufgerufen und auf das AT hingewiesen (Apostelgeschichte 3, 22-26): „denn es sagte ja Mose zu den Vätern: ‘Einen Propheten wie mich wird euch der Herr, euer Gott, aus euren Brüdern aufstehen lassen. Auf den sollt ihr hören in allem, was er zu euch reden wird.’ 23 ‘… Jede Seele, die nicht auf diesen Propheten hören wird, wird aus dem Volk vertilgt werden.’ 24 Aber auch alle Propheten … brachten ebenfalls im Voraus Kunde über diese Tage. 25 Ihr seid Söhne der Propheten und des Bundes, den Gott mit unseren Vätern schloss, als er zu Abraham sagte: ‘Durch deinen Samen werden alle Geschlechter der Erde gesegnet werden.’ 26 Euch zuerst sandte Gott, nachdem er seinen Knecht Jesus zur Auferstehung gebracht hatte, ihn, der euch segnet in der Abwendung eines jeden von eurer Bosheit.”
Wie konnte der Segen Abrahams (3, 25.26) auf ein Israel kommen, das den Messias durch Kreuzigung verworfen hatte? – Nur durch Buße. Wann sollten sie Buße tun? So bald wie möglich (3, 19), „damit Zeiten der Erneuerung kommen vom Angesicht des Herrn und er den euch im Voraus Verkündeten sende, Jesus Christus” (3, 20).
Zuerst Buße, danach Zeiten der Erneuerung. Der Himmel muss den Christus aufnehmen, „bis zu den Zeiten der Wiederherstellung …” (3, 21). Bald nach der Auferstehung des Herrn verkündeten die Apostel in Jerusalem Jesus als den Messias. Der Christus wurde den Juden durch Verkündigung vor Augen geführt; sie aber blieben verhärtet. (Vgl. 2. Korinther 3, 14: „Ihre Gedanken wurden jedoch verhärtet, denn bis auf den heutigen Tag bleibt beim Lesen des alten Bundes derselbe Schleier nicht weggezogen, der, der in Christus schwindet”; 2. Korinther 4, 3.4: „Wenn unsere gute Botschaft aber auch verschleiert ist, ist sie in denen verschleiert, die ins Verderben gehen, in denen der Gott dieser Weltzeit die Gedanken der Ungläubigen verblendete, sodass ihnen nicht aufleuchtet das helle Licht der guten Botschaft von der Herrlichkeit Christi, der Gottes Ebenbild ist”.)
Paulus sagte, wenn Israel (d. h. die einzelnen Israeliten) Buße täte, würde die „Decke” wie Schuppen von ihren Augen fallen (2. Korinther 3, 14-18; 4, 3-6), und sie würden den Segen Abrahams erhalten – „in dem Abkehren eines jeden” von seiner Bosheit (Apostelgeschichte 3, 26).
„Verhärtung … bis”:
Es geht nicht darum, als wolle Paulus sagen: „Verhärtung ist Israel gegenwärtig nur zum Teil widerfahren, aber das wird sich alles ändern, sobald die aus den Völkern eingegangen sind. Dann werden alle anderen Israeliten gerettet werden.” Nein. Paulus hatte bereits erklärt, dass nur der Überrest gerettet werden würde, denn Gottes Gericht würde schnell kommen (9, 27f). Und er selbst zählte zu diesem Überrest, der vor dem schrecklichen Gericht verschont bleiben sollte (11, 5). Aber dieser Überrest (bestehend aus den gläubigen Juden zur Zeit des Apostels) war (im Jahr 57 n. Chr.) noch nicht das „ganze Israel”. Paulus arbeitete fieberhaft daran, dass möglichst viele Juden den Messias annehmen würden, ehe es zu spät sei.
Was bedeutet „das ganze Israel”?
„Ganz Israel” – im Sinne der Lehre des Römerbriefes (9, 6.27; 11, 5 u.a.) verstanden: „der Überrest nach Gnadenerwählung” „zur jetzigen Zeit”, zur Zeit des Apostels Paulus.
Paulus unterschied in K. 9 bereits zwischen „Israel” und „alle aus Israel” (9, 6: „nicht alle, die aus Israel sind, sind Israel”). Er unterschied zwischen „Nachkommen” („Samen”) und „(Gottes)kindern”: Es sind nicht „alle Kinder, weil sie Abrahams Same sind, sondern ‚in Isaak wird dir ein Same genannt werden’. Das heißt, es sind nicht die Kinder des Fleisches, die Kinder Gottes sind, sondern die Kinder der Verheißung werden als Same gerechnet” (9, 7.8). Aus der Geschichte zog er eine wichtige Lehre: „Isaak” steht sinnbildlich für die gläubigen Juden zur Zeit des Apostels. Sie sind die „Kinder der Verheißung” und haben die wahre Gotteskindschaft. Sie, die sich nach den Fußspuren des Glaubens ausrichten” (4, 12), zählen als der Same Abrahams. Die ungläubigen Juden werden in Galater 4 bildlich durch Ismael dargestellt, der ein Kind „nach dem Fleisch” war (Galater 4, 23) und ausgestoßen werden musste. Er durfte nicht mit Isaak erben (Galater 4, 30). Die ungläubigen Juden sind zwar „Kinder des Fleisches”, stammen von Abraham ab, aber sie werden nicht als Same Abrahams gerechnet. Nur die, die den Messias annehmen, gelten als „Kinder”. Die ungläubigen Juden sind vom Heil ausgeschlossen, sind nicht Erben des ewigen Lebens.
Mit „ganz Israel” ist nicht die Gesamtheit der Juden gemeint, sondern nur die Gesamtheit des „Überrestes”, das in Christus fortbestehende wahre Israel.
In dem geretteten „Überrest” müssen auch alle Treuen aus dem AT miteingeschlossen sein, denn sie alle sollten in der Vollendung zu ihrem ewigen Heil kommen (Hebräer 11, 39.40). Folglich kann der Ausdruck „das ganze Israel” nichts Anderes bedeuten als das gesamte historische Israel – mit Ausnahme derer, die in ihrer Verhärtung verharrt blieben und sich nicht zur Eifersucht und zum Glauben reizen ließen.
Der Ausdruck „ganz Israel” wurde unter den jüdischen Rabbis damals verstanden als „alle – mit Ausnahme derer, die sich nicht einschließen lassen”. Wer sich von seinen Sünden nicht trennen wollte, grenzte sich selbst aus. (Mischna, Sanhedrin 10, 1ff, angegeben in: Kommentar zur Bibel, Brockhaus 2012, dt. Übersetzung des „New Bible Commentary” von Guthrie und Motyer, Teil C, S. 291.) Dort heißt es weiter: „Auch Römer 9, 6-8 legt dieses Verständnis nahe, denn zum wahren Israel gehören nur die Israeliten, die Kinder der Verheißung und des Glaubens sind. Wer daraus eine umfassende Rettung Israels zu irgendeiner Zeit ableiten will, an der Männer und Frauen ausschließlich aufgrund ihrer biologischen Abstammung Anteil haben, muss sich im Widerspruch zu dem sehen, was Paulus andernorts eindeutig lehrt (vgl. z. B. 2, 28.29)”.]
Die Propheten hatten vorausgesagt, dass Israel „am Ende” „gerettet” würde (Jesaja 49, 4-26; 52, 7; Jeremia 23, 5-8; 30, 7-24; 31, 6-34; Joel 3, 1-5; 4, 1.16-21; Am 9, 11-15. Vgl. Psalm 14, 7; 69, 36; 110; Jesaja 11 u. 12; 45, 17; 46, 13; K. 54; 60-62; 65; 66; Ob 17.21; Sac 8, 13; 9, 9.10; 12, 10; 13, 1.7-9; K. 14 u. a.); und die Frage war, wie? Wie sollte es zu der im AT verheißenen zukünftigen Wiederherstellung von „ganz Israel” kommen?
Antwort: Auf die in Römer 11, 11-25 aufgezeigte Art und Weise! Israel werde in der „Endzeit” (in den „letzten Tagen”) zur Eifersucht gereizt; auf diese Weise kommen „etliche” (V. 14) zum Glauben. Das ist die endzeitliche Sammlung Israels in den „letzten Tagen”. Als die Fülle derer aus den Völkern ins Volk Gottes eingegangen war, war der Prozess der Eifersucht-Reizung „etlicher” abgeschlossen und die alttestamentliche Verheißung von Israels ewiger Wiederherstellung vollends erfüllt.
Das „ganze Israel” ist demnach das um die Ungläubigen dezimierte historische Israel.
Manche Ausleger deuten die Worte des Apostels Paulus gemäß Römer 11, 25 im übertragenen Sinn derart, als würde er meinen, dass die Nachkommen der zu seiner Zeit Verstockten Israels in einer fernen, zukünftigen Zeit gerettet würden als ein von ihnen abgetrenntes, „eigenes Volk Gottes”. Diese Auffassung scheitert aber aus mindestens zwei Gründen.
Paulus hält die Verstockung des gegenwärtig ungehorsamen Teiles der Israeliten noch nicht für abgeschlossen: Laut 11, 14 hofft er, dass etliche von ihnen als Folge seiner Heidenmission noch vor dem Gericht (70 n. Chr.) zum Glauben an den Christus kommen würden.
Zudem hat der Apostel hier nicht „Nachkommen” des zunehmend verstockt gebliebenen Teiles der Juden im Auge, sondern seine Sorge betrifft seine Zeitgenossen; er geht auf die bestehenden seelsorgerlichen Probleme in der Römergemeinde ein, wo einige Heidenchristen zu Verachtung gegenüber ihren ungläubigen jüdischen Zeitgenossen neigten, aber auch zur Überheblichkeit gegenüber den aus den Juden Roms Gläubiggewordenen, die noch „schwach” waren (14, 1-15, 3).
Der Apostel Paulus lässt seine Leser nicht im Unklaren darüber, dass mit dem Kommen des Retters die große Entscheidung für seine Generation des Zwölfstämmevolkes (Apostelgeschichte 26, 6) angebrochen war: Diejenigen, die dem Messias zunächst ihre Nachfolge verweigert hatten (z.B. Matthäus 13, 10-15) und daher aus dem „Ölbaum” ausgebrochen worden sind, würden entweder über ihre Verhärtung noch rechtzeitig (zu ihren Lebzeiten) Buße tun und das Angebot der Versöhnung mit Gott in der „jetzigen Zeit” des Versöhnungsdienstes der Apostel doch noch im Glauben annehmen (3, 25f; 5, 10-11; 11, 27) und deswegen infolge der unbereubaren Gnadengaben und des Rufes Gottes (11, 29) als geistbegabte „Söhne Gottes” neuerlich in den „edlen Ölbaum” eingepfropft werden (11, 20.23.24), oder aber sie würden – im Unglauben verharrend – aus dem „Ölbaum” ausgebrochen bleiben und damit an dem Ziel Gottes mit Israel (nämlich der Sündenvergebung im neuen Bund; 11, 27) aus eigener Schuld „vorbeitreiben” (Hebräer 2, 1) und für ewig verlorengehen.
Was bedeutet „gerettet“?
„Gerettet” werden sie in doppelter Hinsicht: zum einen vor dem göttlichen Zorngericht über Israel (Vgl. Apostelgeschichte 13, 40.41: „Seht also, dass nicht auf euch komme, was gesagt ist in den Propheten: ‘Seht, Verächter, und verwundert euch und verschwindet, weil ich in euren Tagen ein Werk wirke, ein Werk, dem ihr gar nicht glauben werdet, wenn es euch jemand erzählt!’” Vgl. Jesaja 29, 14.) und zum anderen hinein in das ewige neue Jerusalem, das ihnen verheißene ewige Erbe (Hesekiel 37, 23M-28): „Und ich werde sie retten aus allen ihren Wohnsitzen, in denen sie gesündigt haben; und ich werde sie reinigen. Und sie werden mein Volk, und ich selbst werde ihr Gott sein. 24 Und mein Knecht David wird König über sie sein, und sie werden allesamt einen Hirten haben. Und sie werden in meinen Rechten wandeln und meine Satzungen bewahren und sie tun. 25 Und sie werden in dem Lande wohnen, das ich meinem Knecht Jakob gegeben habe, worin eure Väter gewohnt haben. Und sie werden darin wohnen, sie und ihre Kinder und ihre Kindeskinder, bis in Ewigkeit. Und mein Knecht David wird ihr Fürst sein in Ewigkeit. 26 Und ich werde einen Bund des Friedens mit ihnen schließen, ein ewiger Bund wird es mit ihnen sein. Und ich werde sie einsetzen und sie vermehren und werde mein Heiligtum in ihre Mitte setzen in Ewigkeit. 27 Und meine Wohnung wird über ihnen sein. Und ich werde ihr Gott, und sie werden mein Volk sein. 28 Und die Völker werden wissen, dass ich JAHWEH bin, der Israel heiligt, wenn mein Heiligtum in ihrer Mitte sein wird in Ewigkeit.“
Wie ist kai houtoos („und so“) aufzufassen?
Kai houtoos kommt im NT 18 Mal und in der griech. Übersetzung des AT über 40 Mal vor. In 1. Mose 6, 15; 1. Mose 26, 4; 1. Mose 2, 34; 8, 7; 13, 33; 1. Mose 22, 3; Josua 6, 26(27); 7, 20; 11, 15; Ri 7, 17; 18, 4; 2Sa 12, 31; 16, 7; 19, 1; 20, 18; 1Kg 6, 26, 33; 7, 3, 6; 11, 7; 2Kg 5, 4; 9, 12; 1Ch 20, 3; 23, 30; 2Ch 32, 31; 35, 12; Esr 5, 9; Est Nah 1, 12; Hag 2, 14; Jesaja 15, 7; Hesekiel 42, 5; 45, 20; Da 4, 15; 5, 17; 7, 5; Lukas 24, 46; Apostelgeschichte 28, 14; Römer 5, 12; 1. Korinther 7, 17.36; 11, 28; 15, 11; Ga 6, 2; Hebräer 6, 9; 12, 21; Jakobus 2, 12 und in Offenbarung 9, 17 ist es modal aufzufassen, d. h. „und auf diese Weise”, „und so”.
Bei den restlichen Vorkommen von „und so” (Apostelgeschichte 7, 8; 17, 33; 27, 44; 1. Korinther 14, 25; 1. Thessalonischer 4, 17; Hebräer 6, 15; 1. Mose 22, 10; 1. Mose 30, 8; 1. Mose 15, 2; 2S 16, 10; 2Ch 1, 17; Est 1, 20; Hesekiel 16, 43; Da 6, 10) wird es manchmal im Sinne einer logischen Konsequenz, aber nicht im temporalen Sinne verwendet; also nicht im Sinne von „und dann”; – auch in Apostelgeschichte 7, 8; 17, 33; 27, 44; 28, 14 nicht:
Apostelgeschichte 7, 8 „Und er gab ihm den Bund der Beschneidung. Und so (= als logische Konsequenz, als ein von Gott mit der Verheißung Betrauter – wurde er der Vater Isaaks und beschnitt ihn am achten Tage.”
17, 32.33: „Aber als sie von einer Auferstehung der Toten hörten, spotteten die einen. Aber die anderen sagten: Wir wollen dich darüber nochmals hören. 33 Und so („und als Konsequenz hiervon”; o.: „Und demzufolge”) ging Paulus aus ihrer Mitte weg.”
27:44: „und die übrigen teils auf Brettern, teils auf irgendwelchen ‹Teilen› vom Schiff. Und so („und als Konsequenz hiervon”; o.: „Und demzufolge / dementsprechend”) geschah es, dass alle hindurchgerettet und ans Land [gebracht] wurden.”
1. Thessalonischer 4, 17 „Nach dem werden wir … zusammen mit ihnen … entrückt werden, dem Herrn zu begegnen. Und so („Und als logische Konsequenz hiervon”) werden wir allezeit zusammen mit dem Herrn sein.
1. Korinther 14:24.25 „Wenn aber alle weissagten, und es käme irgendein Ungläubiger … herein, würde er von allen aufgedeckt …. 25 Und so („und als Konsequenz hiervon”) würde das Verborgene seines Herzens offenbar, und so würde er auf sein Angesicht fallen ….”
Hebräer 6, 15 „Und so (o. „und dementsprechend”) erlangte er, indem er ausharrte, die Verheißung.”
Beispiele aus der gr. Übersetzung des AT:
1. Mose 22, 10: „so soll ein Eidschwur Gottes zwischen ihnen beiden sein, dass er sich wahrhaftig am ganzen hinterlegten Gut des Nachbarn nicht vergangen hat. Und so („als Konsequenz hiervon”) soll sein Herr es hinnehmen, und er soll nichts ersetzen.”
1. Mose 30, 8: „und wenn ihr Mann sie hört und an dem Tag, an dem er es hört, ihr gegenüber dazu schweigt , und so (dementsprechend; d. h. mit dem Schweigen des Mannes, der es hörte; also mit seiner Zustimmung) haben damit alle ihre Eide Bestand, und ihre Verpflichtungen, mit denen sie ihre Seele verpflichtet, sollen Bestand haben.”
1. Mose 15, 2: „Und so (folgendermaßen) ist die Anordnung …”
2S 16, 10: Was habe ich mit dir zu schaffen, du Sohn Saruias? Vielmehr: Lasst ihn, und so (als einer den ihr gewähren lasst) flucht er mir, weil der Herr ihm gesagt hat, er solle David schmähen …”
1Ki 7, 18: „Und so (als Konsequenz daraus; demzufolge) machte er die Säulen”
2Ch 1, 17: „Sie zogen hinauf und exportierten aus Ägypten einen Wagen für 600 Silberstücke und ein Pferd für 150. Und so (als Konsequenz hievon; demzufolge) brachten sie (sie) …”
Est 1, 20: „und es soll sichtbar werden, dass sie auf die Stimme des Königs hört, und sie wird Gutes tun für alle Königreiche; und so (d. h. das gehört habend und dadurch ermutigt oder abgeschreckt) werden alle Frauen ihren Männern, … Ehrfurcht und Ehre erweisen.”
Hesekiel 16, 43 „Dafür … habe ich deine Wege auf dein Haupt gegeben, sagt der Herr. Und so (als Konsequenz hievon; demzufolge) hast du die Gottlosigkeit getan/geübt zu allen deinen Gesetzlosigkeiten”.
Da 6, 10 „Und so (d. h., dieses gehört habend und auf diese Weise geschmeichelt) legte der König Dareios es fest und bestätigte es.”
An keiner der Stellen haben wir einen temporalen Gebrauch (im Sinne von: „und dann”). Am ehesten ist der Ausdruck an jenen Stellen im Sinne einer logischen Konsequenz aufzufassen: „dieses getan habend, jenes erfahren habend, als logische Konsequenz davon, demzufolge, dementsprechend”.
Folglich kann das Wort „so” (houtoos) nicht mit „dann” übersetzt werden.
Murray (in: The Epistle to the Romans, II, S 96) sagt richtig, es bedeutet „dementsprechend; von daher” (engl: accordingly); es setzt den Gedanken von vorher fort und zieht seine Implikationen daraus. „So” kann eine logische Konsequenz oder einen logischen Rückschluss einleiten. Auf Römer 11, 26 angewandt, bedeutet dies: Paulus zeigt auf, dass mit dem Eingehen der Heidenfülle als logische Konsequenz das „ganze Israel” (von Abraham an), die Summe des Überrestes, „gerettet werden” und ins neue Jerusalem eingehen wird.
Verhärtung und Rettung Israels – Wir fassen zusammen
Paulus wusste, dass das vom Herrn vorausgesagte Gericht über Israel bald eintreten werde. Der Herr hatte gesagt, dass jenes böse ehebrecherische Geschlecht seiner jüdischen Zeitgenossen nicht vergehen würde, bis „dieses alles“ geschehen würde (Matthäus 24, 34; vgl. 23, 36; 10, 23; 16, 28). Die Gnadenfrist Gottes würde bald abgelaufen sein. Und dann würde es für Israel zu spät sein.
Dass dem alttestamentlichen Israel – zu einem Teil – sukkzessive Verhärtung widerfährt (bis zum Gerichtshöhepunkt), ist ein Geheimnis, das im AT verborgen war. Die Bekehrten aus den Heidenvölkern sollten sich nicht für klug halten und denken, es könnten keine Israeliten mehr zum Glauben kommen; denn gerade die Verhärtung Israel sollte das Evangelium zu den Heiden bringen und als Bumerang wieder ein Reizen der Juden zur Eifersucht zur Folge haben.
Paulus will, dass die Gläubigen aus den Völkern verstehen, es handelt sich bei dem Gottesvolk des neuen Bundes nicht um ein neues, aus Heiden bestehendes und Israel ausschließendes Gottesvolk, sondern es handelt sich um eine Fortführung des alten Israels, aber „in Christus”. Paulus erklärt, in dem Maße, in dem Israel in Christus hineinkommt, ehe das angekündigte Gericht komme, in dem Maße werde es ein „gerettetes Israel” geben. Aber Israels Zukunft beschränkt sich auf diesen „Überrest”. Der empfängt das verheißene ewige Heil und ewige Erbe im neuen Jerusalem.
Paulus hatte erklärte, dass von dem historischen Israel nur „der Überrest nach Wahl der Gnade” (11, 5), zu dem auch er selbst gehörte, vor dem göttlichen Zorngericht gerettet wird (9, 27), der Überrest in Christus.
Nun verweist er auf das Alte Testament. Es handelt sich dabei um ein Mischzitat aus Jesaja 59, 20 und Jeremia 31, 33 (Vgl. auch Jesaja 27, 9.)
V. 26M und 27: „Wie geschrieben ist: ‚Es wird aus Zijon kommen der Befreier, und er wird ehrfurchtsloses Wesen von Jakob abwenden. 27 Und dieses ist ihnen der Bund von mir, wenn ich weggenommen habe ihre Sünden.‘
Jesaja 59, 19-21 ist eine Verheißung in Bezug auf die Besiegung der Feinde und auf die herrliche messianische Zeit.
Die Rettung Israels geschieht in Verbindung mit dem Kommen des „Befreiers/Erlösers”.
Nach dem hebr. Text in Jesaja 59, 20 heißt es: „Und er wird als Erlöser (o.: Befreier) kommen für Zijon (le-zijoon) und für die, die in Jakob von der Abtrünnigkeit umkehren, ‹ist der› Ausspruch Jahwehs.”
Die gr. Übersetzung dieses Verses hat: „Und Zijons wegen (heneken sioon) wird er kommen, der Erlöser (o.: Befreier) ….”. Für das hebr. le-zijoon, „für Zijon”, und das gr. heneken sioon, „Zijons wegen”, sagt Paulus „aus Zijon”, ek sioon.
Was bedeutet der Ausdruck „aus Zijon kommen”?
Es handelt sich um eine Prophezeiung, die sich auf Christi Kommen allgemein bezieht. Das AT unterscheidet nicht „zwei” Kommen, sondern prophezeit ein einziges. Und in gewisser Hinsicht ist es ja auch tatsächlich nur eines, denn mit seinem Kommen ins Fleisch, mit seinem Leiden, Sterben, Auferstehen und seiner Erhöhung begann seine Königsherrschaft. Sein „Kommen” beginnt in Bethlehem und wird in der Parusie vollendet; seine Königsherrschaft über Israel begann, als er sich auf den „Thron Davids” setzte und wird vollendet, wenn er den Tod für immer vernichtet haben wird.
Petrus sagte (Apostelgeschichte 2, 30-36), dass jener „Thron Davids” zur Rechten des Vaters sei: „Da er (David) also als Prophet ‹diente› und wusste, dass Gott ihm (David) mit einem Eide geschworen hatte, aus der Frucht seiner Lenden nach dem Fleisch den Gesalbten zur Auferstehung zu bringen, damit er (der Messias) auf seinem (Davids) Thron sitze, 31 redete er voraussehend von der Auferstehung des Gesalbten, dass seine Seele nicht dem Bereich des Todes überlassen wurde noch sein Fleisch Verwesung sah. 32 Diesen Jesus brachte Gott zur Auferstehung, wovon wir alle Zeugen sind. 33 Nachdem er also ‹durch› die rechte Hand Gottes erhöht worden war und die Verheißung des Heiligen Geistes vom Vater empfing, goss er dieses aus, das ihr nun seht und hört; 34 denn nicht David stieg auf in die Himmel; er sagt selbst: ‘Es sagte der Herr zu meinem Herrn: Sitze zu meiner Rechten, 35 bis ich deine Feinde lege zum Schemel deiner Füße.’ 36 Das ganze Haus Israel nehme also mit Gewissheit zur Kenntnis, dass Gott ihn sowohl zum Herrn als auch zum Gesalbten machte, diesen Jesus, den ihr kreuzigtet!” (Ergänzungen in runden Klammern vom Verf.)
Die Aufrichtung des messianischen Königreiches über Israel beginnt mit der Inthronisation des Königs und wird vollendet mit seiner Parusie. Die Königsherrschaft des Sohnes Davids auf seinem Thron endet nie (Jesaja 9, 6; Lukas 1, 32.33).
Mit der Auferstehung des Messias und der darauffolgenden Inthronisation gibt Gott dem Hause Israel die „heiligen zuverlässigen [Gnadengüter] Davids” (d. h., die dem David verheißenen Gnadenerweisungen), d. h., er bringt sie zur Erfüllung (Apostelgeschichte 13, 34; vgl. Römer 1, 3.4). Gott richtete „die zerfallene Hütte Davids” (Apostelgeschichte 15, 16, d. h., das Königshaus Davids, das verfallen war) wieder auf, indem er den „Sohn Davids” auf den Davidthron setzte, so wie Gott David, seinem Knecht, geschworen hatte (Psalm 89, 4.5.30-37): „Auf ewig werde ich fest gründen deinen Samen und auf alle Geschlechter hin bauen deinen Thron. … Und ich setze seinen Samen ein für immer und seinen Thron wie die Tage der Himmel. 31 Wenn seine Söhne meine Weisung verlassen und nicht wandeln in meinen Verordnungen, 32 wenn sie meine Satzungen entweihen und meine Gebote nicht halten, 33 werde ich ihre Übertretung mit der Rute heimsuchen und ihre Ungerechtigkeit mit Schlägen, 34 aber meine Gnade werde ich nicht von ihm wenden und nicht verleugnen meine Treue. 35 Ich werde nicht entweihen meinen Bund und nicht ändern den Ausspruch meiner Lippen. 36 Einmal habe ich geschworen bei meiner Heiligkeit. Sollte ich David je lügen? 37 Sein Same wird ewiglich bleiben und sein Thron wie die Sonne vor mir.” (Vgl. 2S 7, 16; 1Kg 2, 45; 9, 5; Psalm 132, 11-14; Jeremia 33, 17.)
Der Thron Davids wird mit dem Berg „Zijon”, dem Tempelberg in Jerusalem, in Verbindung gebracht (Psalm 2, 6.7; 78, 68-72; 132, 11-13; Jesaja 16, 1.5). Dieser „Berg” sollte „ewig” bleiben (Psalm 125, 1), wie das Königreich des Sohnes Davids ewig bleiben würde (Jesaja 9, 6). Von diesem „Berge” aus sollte ein Überrest ausgehen, jener Überrest der bis zuletzt das „ganze Israel” ausmachen würde (Jesaja 37, 31-32): „Und das Entronnene (o.: Gerettete) vom Haus Juda, das übriggeblieben ist, wird wieder wurzeln nach unten und Frucht tragen nach oben; denn von Jerusalem wird ein Überrest ausgehen und ein Entronnenes (o.: Gerettetes) vom Berge Zijon. Der Eifer Jahwehs der Heere wird dieses tun.”
Auf diesem „Berge” sollte Jahweh ewig herrschen (Jesaja 24, 23): „Und der Mond wird mit Scham bedeckt und die Sonnenglut beschämt werden; denn Jahweh der Heere herrscht als König auf den Berge Zijon und in Jerusalem, und vor seinen Ältesten ist Herrlichkeit.” (Vgl. Jesaja 52, 7.)
Auf diesem „Berge” würde Jahweh „allen Völkern ein Festmahl von Fettspeisen bereiten” sowie „den Schleier vernichten, der alle Völker verschleiert, und die Decke, die über alle Völker gedeckt ist” (Jesaja 25, 6.7) und „den Tod für immer verschlingen” (25, 8).
Auf diesem „Berge” würde in den „letzten Tagen” (zwischen Pfingsten und Gericht, Apostelgeschichte 2, 17A) „ein Entrinnen (o.: Rettung) sein”. Jeder, der den Namen Jahwehs anrufen würde, sollte gerettet werden; „denn auf den Berge Zijon und in Jerusalem wird ein Entrinnen (o.: Rettung) sein, wie Jahweh gesagt hat, und unter den Übriggebliebenen, die Jahweh herzurufen wird.” Deshalb konnte Petrus den Juden in Jerusalem verkünden, dass sie, wenn sie Buße tun würden, Vergebung und „die Gabe des Heiligen Geistes bekommen” (Apostelgeschichte 2, 38) würden. Und er fügte hinzu: „euch gilt die Verheißung und euren Kindern und allen, die ferne sind, so viele der Herr, unser Gott, herzurufen wird.” (2, 39).
Von Zijon aus sollte der Messias kommen und „Frieden” bringen (Vgl. Epheser 2, 11.), von Zijon aus sollte das Wort Gottes ergehen (Jesaja 2, 3; vgl. Lukas 24, 47; Apostelgeschichte 1, 8.9.)
In Zijon wurde der Grundeckstein gelegt, an den Israel glauben sollte. Wer zu diesem Eckstein käme, würde Befreiung erfahren. Der Befreier/Erlöser sollte „aus Zijon” kommen.
Der „Zijon” ist der Ort, wo die Befreiung stattfindet und von wo Gottes Wort ausgeht.
„‘Siehe, ich lege in Zijon einen Eckstein, einen erwählten, kostbaren, und der, der an ihn glaubt, wird keineswegs zuschanden werden.‘ 7 Euch also, den Glaubenden, [ist er] die Kostbarkeit. Aber den im Unglauben Ungehorsamen wurde dieser Stein, den die Bauenden verwarfen, zu einem Haupt[stein] der Ecke, 8 und ein Stein des Stolperns [wurde er] und ein Fels des Ärgernisses [denen], die als im Unglauben Ungehorsame sich am Wort stoßen, ‹stolpern und fallen›, wozu sie auch gesetzt wurden.” (1. Petrus 2, 6-8)
Römer 9, 30-33: „Die von den Völkern, die nicht nach Gerechtigkeit strebten, erlangten Gerechtigkeit, eine Gerechtigkeit aber, die aus Glauben ist; 31 aber Israel, einem Gesetz der Gerechtigkeit nachstrebend, gelangte nicht zu einem Gesetz der Gerechtigkeit. 32 Weshalb nicht? Weil es nicht aus Glauben geschah, sondern als aus Gesetzeswerken, denn sie stießen sich an dem Stein des Stolperns, 33 so wie geschrieben ist: Siehe! Ich lege in Zijon einen Stein des Stolperns und einen Felsen des Ärgernisses ‹und Anstoßens›, und jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.”
So war es vorausgesagt worden, sagt Paulus: „Von Zijon aus” werde der Erlöser kommen. Als er nach Jerusalem kam, wurde er verworfen. Aber nachdem in Zijon dieser Stein gelegt war, war das historische Israel aufgerufen, sich an diesen Stein nicht mehr zu stoßen, sondern an ihn zu glauben. „Wer an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden” (10, 11).
Dieser gekommene Erlöser ist es, der von „Jakob” die Ungerechtigkeiten abwendet! Wann? Dann, wenn sie nicht im Unglauben bleiben (11, 23).
Wie und wann? Petrus verkündete (Apostelgeschichte 3, 19-20): „Tut also Buße und kehrt um, auf dass eure Sünden ausgetilgt werden, 20 damit Zeiten der Erneuerung kommen … 26 Euch zuerst sandte Gott, nachdem er seinen Knecht Jesus zur Auferstehung gebracht hatte, ihn, der euch segnet in der Abwendung eines jeden von eurer Bosheit.”
Petrus zeigt auf, dass es für Israel nur eine einzige Möglichkeit gibt, wie es vor dem göttlichen Zorn gerettet werden und das verheißene Erbe empfangen könne: Buße tun – und zwar so bald wie möglich. „Heute” ist der Tag des Heils. (Vgl. 2. Korinther 6, 2; Hebräer 3, 7.13.15; 4, 7.)
Der Apostel Paulus lässt seine Leser nicht im Unklaren darüber, dass mit dem Kommen des Retters die große Entscheidung für seine Generation des Zwölfstämmevolkes (Apostelgeschichte 26, 6) angebrochen war: Diejenigen, die dem Messias zunächst ihre Nachfolge verweigert hatten (z. B. Matthäus 13, 10-15) und daher aus dem „Ölbaum” ausgebrochen wurden, würden entweder über ihre Verhärtung noch rechtzeitig zu ihren Lebzeiten Buße tun und das Angebot der Versöhnung doch noch im Glauben annehmen und deswegen infolge der unbereubaren Gnadengaben und des Rufens Gottes (Römer 11, 29) als geistbegabte „Söhne Gottes” neuerlich in den „edlen Ölbaum” eingepfropft werden (11, 20.23.24), oder aber sie würden – im Unglauben verharrend – aus dem „Ölbaum” ausgebrochen bleiben und damit aus eigener Schuld am Ziel Gottes mit Israel (näml. an der Sündenvergebung) „vorbeigleiten” (Hebräer 2, 1-4) und für ewig verlorengehen.
Paulus spricht von den noch ungehorsamen zeitgenössischen Juden, von denen er hofft, dass noch etliche gerettet würden (Römer 11, 14). Ein paar Jahre später durfte er selber in Rom erleben, wie einige der jüdischen Führer Roms Buße taten (Apostelgeschichte 28, 24).
V. 26E: „und er wird ehrfurchtsloses Wesen von Jakob abwenden.’”
„ehrfurchtslos”: Das gr. Wort bedeutet nicht „gottlos”. Ein ehrfurchtsloses Wesen ist eines, das der rechten Gottesfurcht ermangelt. Das Volk Israel hat Gott nicht die Stelle gegeben, die er haben sollte, nämlich die erste (1. Mose 6, 5). Ihre Ehrfurchtslosigkeit gipfelte darin, dass sie den Messias verwarfen.
Wie würde der Messias, nachdem er gekommen ist, das „ehrfurchtslose Wesen von Jakob abwenden”?
Nicht ohne Bedingungen. Der gesamte Überrest kommt auf keinem anderen Wege zum Heil als auf den in V. 11 beschriebenen: Israel soll zur Eifersucht gereizt und zum Glauben an den Messias gelockt werden. Bedingung für die Sündenvergebung ist ihre Umkehr und ihr Glaube (Apostelgeschichte 2, 38; 3, 19.26; Römer 10, 4-14). Daraufhin arbeitete der Apostel, und dafür flehte er (9, 1; 10, 1; 11, 13.14).
Als Jesus in Israel auftrat, nahm ihn ein gläubiges, vorbereitetes Kern-Israel als den „Sohn Davids” an. Die Glaubenden empfingen zu Pfingsten den verheißenen Geist. Diese Treuen verkündeten sodann, dass der Messias in den Himmel aufgefahren sei, aber eines Tages in Herrlichkeit erscheinen und alles vollenden würde (Apostelgeschichte 3, 19-26). In der Zeit bis dahin ist der noch ungläubige Teil Israels aufgerufen, Buße zu tun (Römer 10, 19-21).
Paulus zitiert Jesaja 59 nicht, um zu belegen, dass Israel sich bekehren werde, sondern um die Art zu charakterisieren, wie es dabei zugehen würde. Gott würde das ehrfurchtslose Wesen von Jakob abwenden und ihnen die Sünden vergeben. Die Sündentilgung sollte die Grundlage des Bundesverhältnisses zwischen Gott und seinem Volk sein. Diejenigen Israeliten, die sich bekehren würden, würden dann „Gefäße des Erbarmens” Gottes (Römer 9, 22-29) sein. Auf nichts Anderes als auf Gottes Erbarmen kann man sich berufen.
Im Lichte dieser Wahrheit sollten jene Heidenchristen das damalige Israel betrachten.
Wie wendet Gott das böse Wesen von Jakob ab?
– Indem er ihnen in Christus vergibt – im Falle sie sich bekehren, und zwar ehe der Tag des Zornes (Joel 3, 4) kommt. Wie in Joel 3, 5 beschrieben: „auf dem Zion”, weil die Evangeliumsverkündigung von dem Zion ausgeht (Lukas 24, 49; Apostelgeschichte 1, 8f), wie Paulus selber in Römer 10, 11-13 sagte: „…, denn die Schrift sagt:„Jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden”, 12 denn es ist kein Unterschied zwischen Jude und Grieche, denn derselbe Herr aller ist reich für alle, die ihn anrufen, 13 denn„jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, wird gerettet werden”. (Vgl. Joel 3, 5: „Und es wird geschehen: Jeder, der den Namen JAHWEHs anrufen wird, wird gerettet werden; denn auf den Berge Zijon und in Jerusalem wird ein Entrinnen sein, wie JAHWEH gesagt hat, und unter den Übriggebliebenen, die JAHWEH ruft.”)
Auch in Römer 9, 31-33 hatte er davon gesprochen: „aber Israel, einem Gesetz der Gerechtigkeit nachstrebend, gelangte nicht zu einem Gesetz der Gerechtigkeit. 32 Weshalb nicht? Weil es nicht aus Glauben geschah, sondern als aus Gesetzeswerken, denn sie stießen sich an dem Stein des Stolperns, 33 so wie geschrieben ist: ‚Siehe! Ich lege in Zion einen Stein des Stolperns und einen Felsen des Ärgernisses ‹und Anstoßens›, und jeder, der an ihn glaubt, wird nicht zuschanden werden.’”
Auch Petrus bezog sich auf jene Stelle (Apostelgeschichte 2, 17-21): „‘Und es wird sein in den letzten Tagen, sagt Gott: Ich werde ausgießen von meinem Geist auf alles Fleisch. Und eure Söhne und eure Töchter werden weissagen, und eure jungen Männer werden Gesichte sehen, und eure Ältesten werden Träume haben. 18 Ja, auch auf meine leibeigenen Knechte und leibeigenen Mägde werde ich in jenen Tagen von meinem Geist ausgießen, und sie werden weissagen. 19 Und ich werde Wunder oben am Himmel und Zeichen unten auf der Erde geben, Blut und Feuer und Rauchdampf. 20 Die Sonne wird in Finsternis verwandelt werden und der Mond in Blut, ehe der große und offenbar werdende Tag des Herrn kommt. 21 Und es wird geschehen (ehe der schreckliche Gerichtstag des Herrn kommt): Jeder, der den Namen des Herrn anrufen wird, wird gerettet werden.”
Wann ist die Zeit des Anrufens? Wann ist der Tag des Heils für das nationale Israel? – In der Zeit der Geistausgießung. Von Pfingsten an bis zum Gerichtstag über Israel, also „in den letzten Tagen”, wie Petrus in V. 17 sagte. Vgl. 2, 36-39: „‚Das ganze Haus Israel nehme also mit Gewissheit zur Kenntnis, dass Gott ihn sowohl zum Herrn als auch zum Gesalbten machte, diesen Jesus, den ihr kreuzigtet!’ 37 Als sie [das] hörten, waren sie ins Herz getroffen, und sie ‹wandten sich› an Petrus und die anderen Apostel: ‚Was sollen wir tun, Männer, Brüder?” sagten sie. 38 Petrus sagte zu ihnen: ‚Tut Buße– und jeder von euch werde°auf [die] Vergebung der Sünden ‹hin› getauft auf den Namen Jesus Christus–, und ihr werdet die Gabe des Heiligen Geistes bekommen, 39 denn euch gilt die Verheißung und euren Kindern und allen, die ferne sind, so viele der Herr, unser Gott, herzurufen wird.’“ (Vgl. Joel 3, 5.)
In jener Zeit (zwischen Pfingsten und Gericht) wurde der Messias angerufen und in jener Zeit geschah die Abwendung der Gottlosigkeit von Jakob – allerdings nur bei denjenigen aus Jakob (Israel), die sich bekehrten. Die, die sich nicht bekehrten, wurden aus dem Volk ausgerottet (Apostelgeschichte 3, 23). Folglich gab es nach dem Gerichtstag kein alttestamentliches Israel mehr.
Was ist nun mit jenen Juden, die die Katastrophe von 70 n. Chr. überlebten? Sie galten durch ihre Ablehung des Messias nicht mehr als das Volk Gottes. Aber sie durften – wie auch alle Heiden – im Glauben zu Jesus Christus kommen und sich eingliedern lassen in Gottes neues Israel (Epheser 2, 12-22; 3, 6; Galater 3, 25-29; 6, 16).
V. 27: „Und dieses ist ihnen der Bund von mir ‘wenn ich weggenommen habe ihre Sünden.’”
Mit anderen Worten: Dieses ist für sie die Zeit, da die ihnen gegebenen Bundesverheißung erfüllt werde: wenn ich ihre Sünden weggenommen habe.
Die Art und Weise, wie dies geschehen sollte, wird im Alten Testament nicht beschrieben. Petrus und Paulus lehrten, die Bedingung ist Abwendung von Sünde und Hinkehr zum Messias (Apostelgeschichte 2, 37-39). Nur dann und nur insoweit sollten die Israeliten in den Genuss der Bundesverheißungen kommen.
Paulus verbindet mehrere Zitate:
Jesaja 59, 21: „Und ich – dieses ist mein Bund mit ihnen, sagt Jahweh: Mein Geist, der auf dir ist, und meine Worte, die ich in deinen Mund gelegt habe, werden nicht aus deinem Munde weichen ….”
Jeremia 31, 33A: „Sondern dies ist der Bund, den ich mit dem Hause Israel machen werde nach jenen Tagen, …”
Jesaja 27, 9: „Darum wird durch dieses Jakobs Verfehlung gesühnt. Und das sei die ganze Frucht des Hinwegnehmens seiner Sünde …”
Die Zeit und die Art und Weise der Erfüllung dieser Verheißung wird im AT nicht geoffenbart. Aber im NT lesen wir, dass der Herr Jesus den neuen Bund nur mit dem damals treuen Kern Israels – ganz im Verborgenen, dort im oberen Saal – schloss: „Und er nahm einen Becher in Empfang, dankte und sagte: Nehmt diesen und teilt ihn unter euch 18 – denn ich sage euch: Ich werde auf keinen Fall von dem Erzeugnis des Weinstocks trinken, bis dass das Königreich Gottes gekommen ist. 19 Und er nahm Brot, dankte, brach und gab ihnen und sagte: Dieses ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Das tut zu meinem Gedenken! 20 Ebenso [nahm er] auch den Becher nach dem Mahl und sagte: Dieser Becher ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird.” (Lukas 22, 17-20) Vgl. Matthäus 26, 27.28: „Und er nahm den Becher und dankte und gab ihnen mit den Worten: Trinkt alle davon, denn dieses ist mein Blut, das des neuen Bundes, das für viele vergossen wird, zur Vergebung der Sünden.”
Sündenvergebung ist die Erfüllung der Bundverheißung
Im Zusammenhang mit dem neuen Bund spricht das AT auch von der Geistausgießung. (Vgl. Hesekiel 36, 26.27; 37, 25-28; 39, 29.) Die endzeitliche Geistausgießung (Joel 3; Apostelgeschichte 2, 17ff) hatte zu Pfingsten (Apostelgeschichte 2) ihren Anfang gemacht. Aber Israel war immer noch träge und reagierte nur in begrenztem Maß auf Gottes Heilsstunde zwischen 30 und 70 n. Chr.
Vollends erfüllt werden die dem Volk gegebenen Verheißungen erst in der ewigen Ruhe, im unvergänglichen, unbefleckten und unverwelklichen Erbteil, von dem Petrus sagt, dass es „in den Himmeln aufgehoben” ist (1. Petrus 1, 4). Dieses ewige Erbteil war der Gegenstand der Hoffnung Abrahams. Er wartete auf die Stadt, die „Grundfesten” (feste, ewige Fundamente) hat, „deren Architekt und Erbauer Gott ist” (Hebräer 11, 10). Das „Vaterland”, das die Erzväter suchten, war „ein himmlisches”, „weshalb Gott sich ihrer nicht schämt, ihr Gott genannt zu werden, denn er bereitete ihnen eine Stadt” (Hebräer 11, 16). Der Verfasser des Hebräerbriefes sagt den gläubigen Juden seiner Zeit, dass sie hier auf Erden nicht „eine bleibende Stadt” (ein bleibendes Jerusalem) hätten; „sondern die kommende suchen wir” (13, 14). In den K. 3 und 4 zeigt er ihnen, dass die Erfüllung des ewigen Erbteiles nicht in einem Landstück auf der diesseitigen Erde bestehe, sondern dass „jene Ruhe” noch ausständig sei: „Also bleibt dem Volk Gottes noch eine Sabbatruhe vorbehalten (o.: ausständig; w.: „übrig”). … Befleißigen wir uns also, in jene Ruhe einzugehen, damit nicht jemand nach demselben Beispiel des Unglaubens ‹und Ungehorsams› falle” (Hebräer 4, 9.11). In der Vollendung kommt „der Himmel” (das Jenseitige, die Gegenwart Gottes) „herab” (Offenbarung 21; Hesekiel 37, 25-28; 39, 29). Gemeint ist die „neue Schöpfung” in Christus. Alle Verheißungen Gottes haben in Christus ihre Erfüllung (2. Korinther 1, 20).)
V. 28: „Ja, gemäß der guten Botschaft sind sie Feinde, euretwegen.”
Sie, das Israel nach dem Fleisch, das zur Zeit des Apostels zum Teil verhärtet war, sind die „Geliebten” Gottes.
Paulus nennt sie „Feinde, euretwegen”, denn sie waren dem Evangelium gegenüber feindlich gesinnt, zu Gunsten derer aus den Völkern; denn „durch ihren Fehltritt ist das Heil zu denen aus den Völkern gekommen”. 11, 11.12.15.19.25).
V. 28M: „Gemäß der Erwählung sind sie aber Geliebte, der Väter wegen …”
Gemäß der Erwählung des Volkes in Abraham-Isaak-Jakob (Jesaja 41, 8.9; 44, 1.2; Römer 4, 13-21; 9, 7-13) war das alttestamentliche Israel von Gott „geliebt“.
„Geliebte”: Die zum Teil verhärteten Israeliten waren „gemäß der Erwählung” „Geliebte” Gottes. Aber diese Tatsache konnte nicht bedeuten, dass sie sich deshalb alle bekehren würden. Viele Israeliten waren, obwohl von der Verheißung und Erwählung her „Geliebte”, als Unbekehrte verstorben und verloren gegangen. Sie hätten ihre Erwählung „festmachen” sollen (2. Petrus 1, 10), indem sie mit Gott Schritt gehalten und den Messias als Erlöser und Herrn angenommen hätten.
V. 29: „denn unbereubar sind die Gnadengaben (9, 4) und das Rufen (9, 11) Gottes (11, 2)”.
Es reute Gott nicht, was er verheißen und gegeben hatte. Auch der zur Zeit des Apostels Paulus gegenwärtige hartnäckige Unglaube des größten Teils der Juden gab den Heidenchristen in Rom kein Recht zu der Meinung, dass das historische israelitische Volk nicht mehr Anteil haben dürfte an dem verheißenen Erbe. Nein. Solange das Gericht nicht gekommen war, stand die Tür offen.
V. 30: „denn gleichwie auch ihr einst im Unglauben Gott nicht gehorchtet, nun aber Barmherzigkeit erfuhrt [durch] ihren Ungehorsam, …”
Paulus sagt: Ihr Heiden habt dasselbe erlebt. Ihr wart im Unglauben ungehorsam (d. h. euer Unglaube war ein Akt des Ungehorsams gewesen). Nun – in Christus – habt ihr Erbarmen bekommen, Sündenvergebung aus Gnade durch den Glauben an ihn. Und das allen, weil sie den Messias verwarfen.
V. 31: „so waren auch diese nun im Unglauben ungehorsam zugunsten eurer Barmherzigkeit, damit auch sie Barmherzigkeit erfahren möchten, …”
Sie sollten Barmherzigkeit erfahren! Auf welchem Wege? Nicht auf einem anderen als auf dem, auf welchem die Heiden Barmherzigkeit erfuhren: durch den Glauben. Vorher hatte Paulus gelehrt, dass (gemäß 10, 19.20; 11, 11-15) der Beginn der Evangeliumsverkündigung unter den Heidenvölkern die Folge der Verwerfung des Evangeliums durch die Juden war. In V. 25 lehrte er, dass seine Heidenmission vollendet sein müsse, ehe der Schlusspunkt (der Gerichtspunkt) erreicht sein würde. In den V. 28-32 zeigt er, dass auch die nach den alttestamentlichen Weissagungen zu erwartende Wiederannahme Israels in der Zeit der „letzten Tage” (zwischen Pfingsten und Gerichtstag) ein Werk unverdienter Barmherzigkeit Gottes sei, genauso wie die Eingliederung der Heiden ins Königreich Gottes ein Werk unverdienter Barmherzigkeit Gottes sei. Es gab also keinen Grund sich zu rühmen (11, 18) oder sich „klug“ zu dünken (11, 25).
Nb: Römer 11, 31 zeigt Paulus übrigens, dass er immer nur von den noch ungehorsamen zeitgenössischen Juden spricht, von denen er hofft, dass noch etliche gerettet würden (11, 14), wie er es später selber gerade in Rom erleben durfte (Apostelgeschichte 28, 24). Die von ihren Sünden Gereinigten, ehemals Ungehorsamen aus Heiden und Juden bilden schließlich ein Volk von Begnadigten (11, 32).
V. 32: „denn Gott schloss alle (d. h., die dem Evangelium bis dato ungläubig gebliebene Mehrheit des jüdischen Volkes) zusammen ein in den Ungehorsam, damit er allen (d. h., zuerst den Heiden, sofern sie sich bekehren, und dann den Juden, sofern sie nicht im Unglauben verharren) Barmherzigkeit widerfahren lasse.”
Wie das Wort „alle” (in Bezug auf die aus den Völkern) nicht absolut aufzufassen ist, ebenso ist das Wprt „alle” in Bezug auf die von Israel nicht absolut zu verstehen. Es geht immer um die einzelnen. Gott kennt keine Kollektivbekehrung von ganzen Völkern.
„Gott schloss alle zusammen ein”:
Wozu schloss Gott alle in den Unglauben ein? Wozu hat er alle als untauglich abgestempelt? Damit sie tauglich werden können; denn er will alle retten. Deshalb zeigt er uns die ganze Wahrheit über uns: nämlich, dass wir unverbesserliche Sünder sind und nur aus Gnaden gerettet werden können. (Vgl. Galater 3, 22: „Die Schrift schloss jedoch alles unter die Sünde zusammen, damit die Verheißung aus Glauben an Jesus Christus gegeben würde den Glaubenden.”)
So war Gottes Absicht in der Erwählung der einen und Verwerfung der anderen immer Barmherzigkeit.
Aus Zijon wird die Rettung Israels erwartet: Psalm 14, 7; 20, 3; 50, 2.3.
Römer 11, 26.27A ist ein Zitat. Paulus zitiert. Er fügt nichts hinzu. Was im AT der Zijon ist, muss nicht im NT eine irdische Stadt/Berg sein. Das NT gibt genügend Heinweise, wie wir den alttestamentlichen „Zijonsberg“ in der Prophetie zu verstehen haben.
Der Apostel zeigt uns im Hebräerbrief, was unter dem prophetischen Zijon aus neutestamentlicher Sicht zu verstehen ist (Hebräer 12, 22): „sondern ihr seid hingekommen zum Berge Zion und zur Stadt des lebenden Gottes, einem himmlischen Jerusalem, und zu Zehntausenden von [himmlischen] Boten, …“
In der Offenbarung 14, 1 sehen wir den Herrn Jesus Christus (das „Lamm“) stehen auf dem Zijon: Und ich sah, und – siehe!– ein Lamm, stehend auf dem Berge Zion! Und mit ihm [waren] einhundertvierundvierzigtausend, die°den Namen seines Vaters an ihren Stirnen geschrieben trugen.“
In Psalm 110, 2 heißt es, dass der Messias, der sich zur Rechten Gottes setzte, herrscht „inmitten seiner Feinde“. Er sendet sein Zepter „vom Zijon aus“. So ist also der Zijon der Ort, wo sein Herrschaftsthron steht. Gemäß Apostelgeschichte 2 steht der „Thron Davids“ seit der Inthronisation des Messias im Himmel, nicht mehr auf Erden. Die Inthronisation des Messias (Apostelgeschichte 2) geschah „auf dem Zijon”. Psalm 2, 6. Der Berg Zijon bleibt ewiglich (Psalm 125). Er ist Gottes Ruhstatt „für immer” (Psalm 132, 13.14). Er wird höher dargestellt als „höher“ als alle Berge der (neuen) Welt (Jesaja 2, 2.3). Und von dort aus wird die Weisung (Thorah, die Lehre) ausgehen (Jesaja 4, 3-5).
Der göttliche Zijon ist fest gegründet. Das ist die Stadt die feste Grundlagen hat (Hebräer 11, 10; Jesaja 14, 32). Dort ist auch der feste Eckstein gelegt (Jesaja 28, 16, vgl. die Parallelen im NT: Psa 118, 22 parallel zu Matthäus 21, 42; Apostelgeschichte 4, 11; 1. Korinther 3, 11; 1. Petrus 2, 6).
Jahweh herrscht dort, und vor seinen Ältesten ist Herrlichkeit. Jesaja 24, 23. 30, 18-21; 33, 5.6; 52, 1ff!; vgl. auch Jesaja 60, 1-14 mit Offenbarung 21, 24-27; vgl. Jesaja 66, 8-24! (Zu V. 22 schreibt Delitzsch: „Der Prophet denkt sich also die Gemeinde der Zukunft auf einer neuen Erde und unter einem neuen Himmel, aber das Ewige in Gestalt der Ewigkeit zu denken vermag er nicht, er denkt es sich nur als endlose Fortsetzung der zeitlichen Geschichte.”. Zu V. 23 schreibt er: „Der Prophet hebt durch seine eigene Darstellungsweise die Möglichkeit auf, sich das Dargestellte in buchstäblicher Wirklichkeit zu denken. … Der Prophet mischt Zeitliches und Ewiges. Diesseits und Jenseits fließen ihm zusammen, die Neuschöpfung des Himmels und der Erde durchbricht für ihn die diesseitige Gerichtslinie nicht, wir sind in Sonderung dessen, was diesseits der Kluft der Wiedergeburt und was jenseits derselben liegt, auf das NT angewiesen.”)
Joel 3, 5: Auf dem Berg Zijon und in Jerusalem wird Rettung sein (wird es ein Entrinnen geben). Petrus zitiert diesen Vers in Apostelgeschichte 2 als einen, der allen und überall gilt. Auch Paulus in Römer 10. Daher kann er mit dem Zijon in Joel 3 nicht einen irdischen Berg in Jerusalem meinen. Auch kann Joel 4, 16-21 kann nicht auf einen irdischen Berg bezogen sein: Vgl. Offenbarung 21. Ganz Jerusalem wird ein Heiligtum, Joel 4, 17. Vgl. Joel 4, 18 (und Hesekiel 47) mit Offenbarung 22. Siehe Keil, Die Kleinen Propheten, S 164 und 165: „An das irdische Jerusalem zu denken verbietet nicht nur der Umstand, dass die Versammlung aller Heidenvölker im Tal Josaphat, einem Teil des Kidrontals, eine reine Unmöglichkeit ist, sondern auch die folgenden Schilderung von der Verherrlichung Judas: Joel 4, 18-21.”
Israel gibt es als alttestamentliche (irdisch-fleischliche) Nation nicht mehr. Was es gibt, sind Juden, Anhänger der jüdisch-rabbinischen Religion. Und es gibt politische Zionisten. Die Juden sind einzelne Nachfahren von früheren Juden (Menschen, die zum rabbinischen Judentum übergetreten sind). Der politische zionistische moderne Staat Israel ist nicht gleichzusetzen mit dem historischen Israel, von dem Paulus in Römer 11 spricht. Vielleicht gibt es noch Nachfahren, die von Abraham abstammen, ob reinrassig oder vermischt. Das weiß niemand. Aber niemand kann es wirklich beweisen, da die Geschlechtsregister 70 n. Chr. alle zerstört worden waren. Viele heutige Juden (Aschkenasim) sind Nachfahren der Khasaren, einem Turkvolk im 7-10. Johannesdt, die sich im frühen Mittelalter als Stamm zum Judentum bekehrten, vgl. Arthur Koestler, „Der dreizehnte Stamm”; vgl. Thomas Schirrmachers Aufsatz: Die osteuropäischen Juden. http://www.contra-mundum.org/schirrmacher/mbstexte023.pdf . Der Völkerkundler Schirrmacher zitiert den jüd. Autor Hannes Stein: „Bis heute gilt als Jude, wer entweder von einer jüdischen Mutter geboren wurde oder zum Judentum übergetreten ist. Eine „reine jüdische Rasse” konnte nach dieser Maßregel freilich nicht entstehen.)
Offenbarung 20 spricht nicht von einem diesseitigen Gottesvolk Israel in einem diesseitigen Land im vorderen Orient mit diesseitigen Segnungen und fleischlichen Nachkommen (die alle noch sterben; Jesaja 65, 20) und einer diesseitigen Stadt mit diesseitigem Tempel und alttestamentlichem Gottesdienst. Nichts von dm ist in Offenbarung 20, 1-10 zu finden. (Näheres dazu in meiner Auslegung zur Off.)
. In Römer 11 sagt Paulus nicht, dass sie sich zu einem bestimmten Zeitpunkt als gesamtes Volk bekehren würden. Sondern er sagt, dass sich einzelne sich retten lassen (V. 14) bzw. dass einzelne, wenn sie gläubig werden, „eingepfropft” werden.
Paulus zitierte Jesaja, der über Israel ausrief: „Wäre die Zahl der Söhne Israels wie der Sand des Meeres, so wird [doch nur] der Überrest gerettet werden.” Römer 9, 27.28. Und wenn der Herr nicht Nachkommen Israels übriggelassen hätte (die sich zu Christus bekehren), wäre Israel wie Sodom geworden und wäre Gomorra gleich geworden (vgl. Römer 9, 29) – nämlich gänzlich ausgerottet.
Aber Israel bestand in dem Überrest als Heilsvolk weiter, dem Überrest nach Gnadenerwählung (11, 5), in den Israeliten, die sich zum Messias bekehrt hatten, ehe das Gericht kam. (Alles weitere s. die Auslegung zu Römer 11.)
Zuerst muss uns klar, sein, dass es um das damalige Israel geht. Der Tag Jahwehs und die Ankunft des Gerichtskommens über Jerusalem stand unmittelbar bevor.
Apostelgeschichte 3, 19: „Tut also Buße und kehrt um, auf dass eure Sünden ausgetilgt werden, damit Zeiten der Erneuerung kommen vom Angesicht des Herrn und er den euch im Voraus Verkündeten sende, Jesus Christus, … 25 Ihr seid Söhne der Propheten und des Bundes, den Gott mit unseren Vätern schloss, als er zu Abraham sagte: ‘Durch deinen Samen werden alle Geschlechter der Erde gesegnet werden.’ 26 Euch zuerst sandte Gott, nachdem er seinen Knecht Jesus zur Auferstehung gebracht hatte, ihn, der euch segnet in der Abwendung eines jeden von eurer Bosheit (w.: Euch zuerst hat Gott – auferweckt habend seinen Knecht Jesus – ihn gesandt, segnend euch in dem Abkehren eines jeden von eurer Bosheit).”
Ohne Buße Israels keine Zeiten der Erneuerung. Der auferstandene Messias ist zuerst an Israel gesandt, sagt Petrus, V. 26.
Wie kommt der Segen Abrahams (3, 25.26) auf ein Israel, dass den Messias durch Kreuzigung verworfen hat? Nur durch Buße. Wann sollten sie Buße tun? So schnell wie möglich; also damals. Den Jerusalemitern wurde nach der Auferstehung der Messias Jesus verkündet, einer, den der Himmel bis zu den Zeiten der Wiederherstellung aufnehmen muss. Aber inzwischen (!), ehe die Zeiten der Wiederherstellung Israels kommen, soll Israel Buße tun. Das Senden des auferweckten Messias (V. 26) geschah in der Verkündigung des Evangeliums damals. Christus wurde ihnen per Verkündigung vor Augen geführt. Sie sahen ihn aber nicht, denn sie waren verblendet, ihre Augen waren verdeckt. Wenn sie Buße tun würden, sagte Paulus, so würde die „Decke” wie Schuppen von ihren Augen fallen (2. Korinther 3, 14-18; 4, 3-6) und ….”, und sie würden den Segen Abrahams bekommen, jeder einzeln, „in dem Abkehren eines jeden” von seiner Bosheit.
. Kann es bedeuten, dass alle Juden aller Zeiten errettet werden?
– Nein, denn die Schrift lehrt keine zweite Chance nach dem Tod.
. Bedeutet es, dass eine Mehrheit der Juden bei einem (damals) künftigen Ereignis
gerettet werden sollte? – Hier steht „das ganze Israel” und nicht „eine Mehrzahl
aus Israel”.
. Bedeutet es, dass sämtliche Juden, die zu einem bestimmten Zeitpunkt leben (sollten),
gerettet werden sollten? – Nein. Ein Szenario, das notwendig wäre, damit alle zu
einem bestimmten Zeitpunkt lebenden Juden auf einem Schlag durch das Evangelium
gläubig werden, lässt sich in V. 26 nicht hineinlesen. Hätte Paulus dieses gemeint,
hätte er es mitgeteilt.
. Bedeutet es, dass alle Juden zu einem Zeitpunkt gerettet werden sollten? – Wäre es so, hätte Paulus es an dieser Stelle mitteilen müssen. Aber weder hier noch in Matthäus 24 und 25 oder an anderen Stellen im NT wird eine Rettung sämtlicher zur Zeit der Ankunft Christi lebender Juden gelehrt. Paulus sagt nicht, zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Zukunft werde die Verhärtung aufhören, und die geringe Anzahl von dann noch überlebenden Israeliten, die die schlimme Dezimierung des Volkes in den Drangsalen überstehen werden, werde dann „das ganze Israel” ausmachen, und dieses kleine „ganz Israel” werde bei Christi Ankunft gerettet werden. Dergleichen geht aus dem Text nicht hervor.
Matthäus 23, 39: „Hinfort werdet ihr mich auf keinen Fall sehen, bis ihr sagt: ‘Gelobt [sei] der, der kommt im Namen des Herrn!’” (Vgl. Lukas 13, 34.35)
Jesus Christus sah bereits die römischen Adler kommen, um die Kücken zu fressen. V. 39: Die freudige Begrüßung des Messias. Psalm 118, 26. Ihr werdet mich nicht mehr sehen, bis ihr sprecht - d. h.: es geht um dieselbe Generation, die jüdischen Zeitgenossen Jesu. Sie würden einander wieder begegnen! Wann? Bei der Zerstörung Jerusalems. Der Herr würde „plötzlich kommen“ zu seinem Tempel (Maleachi 3, 2), derselbe Herr, den sie vorgaben so eifrig zu suchen (Maleachi 3, 1): „Maleachi 3, 1: Siehe, ich sende meinen Boten, damit er den Weg vor mir her bereite. Und plötzlich wird zu seinem Tempel kommen JAHWEH, den ihr sucht. Und der Bote des Bundes, den ihr begehrt: „Siehe, er kommt, sagt JAHWEH der Heere.“
Sie erwarteten dieses Kommen als ein Ereignis, wo sie den Messias freudig begrüßen würden, aber es sollte anders kommen als sie dachten: Matthäus 23, 39: „Ihr werdet mich nicht mehr sehen, bis ihr sagt: ‘Gelobt [sei] der, der kommt im Namen des Herrn!’“ Aber dieses Wort sollte dann nicht ein freudiges Begrüßungswort an den Messias sein, sondern ein schreckliches Erkennen, dass Jesus von Nazareth Recht gehabt hatte. Das würde ein schreckliches Erwachen sein, aber dann werde es zu spät sein – wie Maleachi gesagt hatte (Maleachi 3, 2): „Wer aber kann den Tag seines Kommens ertragen, und wer wird bei seinem Erscheinen bestehen?“ Jener Tag würde die Vernichtung ihrer nationalen Existenz mit sich bringen! Das würde die nächsten Begegnung sein!
Hatte der Herr kurz vorher nicht gesagt: „über dieses (zeitgenössische) Geschlecht“ würde kommen das siebenfache Wehe (Matthäus 23, 36)? Hatte er nicht gesagt, einige würden das Kommen in Herrlichkeit (mit den heiligen Engeln) erleben (Matthäus 16, 27.28), „um jedem zu vergelten nach seinen Werken“? Jesus Christus sagte in V. 39 nicht: „Ihr werdet mich nicht mehr sehen. Eine spätere Generation aber (2000+ Jahre später) wird mich sehen und als Messias freudig begrüßen.“
Nein, es war ein Gerichtswort über jene Generation von umbußfertigen Juden, die schlussendlich den Messias erkennen werden müssen, aber unter anderen Vorzeichen, d. h. im Zusammenhang mit dem Gericht.
Wenn der Herr das Begrüßungswort von Psalm 118 an jener Stelle anführt, bedeutet das keineswegs, dass diejenigen, die es sodann aussprechen würden, dadurch qualifiziert sein würden, ins ewige Königreich einzugehen, und dass sie es in dem ursprünglichen Sinne verwenden würden. Nein. Dieselben Wörter waren ein paar Tage vorher von der Volksmenge in Jerusalems Straßen gerufen worden, aber in 2 Tagen sollte die Volksmenge rufen „Kreuzige ihn!“. Diese Worte aus Psalm 118 zeigen lediglich an, dass sie den Kommenden dann als den Messias erkennen würden, - aber zu spät!
Matthäus 23, 39 könnte als Bekenntnis von überführten Sündern aufgefasst werden. „Baruch haba beschem adonai.“ Ja, wir bekennen, dass der im Namen Jahwehs Kommende gepriesen sein soll. (Vgl. Philipper 2, 11.) Paulus sagt nicht, dass Israel zum Zeitpunkt der Parusie nochmals eine Gelegenheit zur Umkehr haben sollte. Für Israel galt in jenen Tagen (30 - 70 n. Chr.): „Heute ist der Tag des Heils“. Wenn Christus dann käme, würde es für Israel zu spät sein. Wie es ja auch für Esau, der wie die abgefallenen Israeliten sein Erstgeburtsrecht verkaufte, zu spät war (Hebräer 12, 16.17).
Es ist in Matthäus 23, 39 das Geschlecht der israelitischen Zeitgenossen in Jerusalem angesprochen. Diese sind es, die Petrus in Apostelgeschichte 3 zur Buße aufrief. Ohne Buße Israels keine Zeiten der Erneuerung! (Apostelgeschichte 3, 19ff.) Der auferstandene Messias ist zuerst zu Israel gesandt, sagt Petrus in 3, 26. Wie kommt der Segen Abrahams (3, 25.26) auf ein Israel, das den Messias durch Kreuzigung verworfen hat? – Nur durch Buße. Wann sollten sie Buße tun? So schnell wie möglich.
Physisch sah Israel den Herrn Jesus nach der Auferstehung nicht mehr. Und dann wurde dem Volk der Messias Jesus verkündet als einer, den der Himmel aufnehmen muss, bis zu den Zeiten der Wiederherstellung all dessen, wovon die Propheten gesprochen hatten. In der Zwischenzeit, ehe die Zeiten der Wiederherstellung kommen würden, war Israel aufgerufen Buße zu tun. Das war die Botschaft der Apostel an Israel.
Apostelgeschichte 3, 19.20: „Tut also Buße und kehrt um, auf dass eure Sünden ausgetilgt werden, damit Zeiten der Erneuerung kommen vom Angesicht des Herrn und er den euch im Voraus Verkündeten sende, Jesus Christus“ … (V. 25-26) „Ihr seid Söhne der Propheten und des Bundes, den Gott mit unseren Vätern schloss, als er zu Abraham sagte: ‘Durch deinen Samen werden alle Geschlechter der Erde gesegnet werden.’ Euch zuerst sandte Gott, nachdem er seinen Knecht Jesus zur Auferstehung gebracht hatte, ihn, der euch segnet in der Abwendung eines jeden von eurer Bosheit. [Wörtlich: Euch zuerst hat Gott – auferweckt habend seinen Knecht Jesus – ihn gesandt, segnend euch in dem Abkehren eines jeden von eurer Bosheit].“
Das „Senden“ des Messias geschah in der Verkündigung durch Petrus und die Apostel. Der Christus wurde ihnen per Verkündigung vor Augen geführt. Physisch sahen sie ihn nicht, auch diejenigen nicht, die sich bekehrten. Zwar fiel jenen innerlich die „Decke“ wie Schuppen von ihren Augen (2. Korinther 3, 14-18; 4, 3-6; Apostelgeschichte 9, 18), aber physisch blieb er ihnen verborgen.
„Bis ihr sprecht“ – ihr, das ungläubige Volk, die damaligen Zeitgenossen Jesu. Bis ihr sprecht nach Psalm 118: „Baruch haba beschem adnonai.“ Gepriesen der Kommende im Namen des Herrn. Sie würden also ihn als den im Namen Jahwehs Gekommenen und Kommenden anerkennen müssen – sobald er dann im Gericht über Israel wiederkommen würde. Philipper 2, 11ff. Jeder Knie (in Israel) werde sich beugen müssen. Das Wort beschreibt nicht die Bekehrung, sondern das Anerkennen Jesu als den Gesalbten. Sie würden dazu gezwungen werden. Und bis zu jenem Zeitpunkt würden sie Jesus Christus nicht mehr sehen. Die Stelle beschreibt keine nationale Bekehrung des Volkes.
Die K. 9-11 beginnen mit einer Schmerzensklage, enden mit einem Lobpreis der Anbetung.
Genau an wen ist dieses Lob gerichtet?
Bei einer solchen Frage dürfen wir nicht vergessen, dass für Paulus die zwei Personen Gott-Vater und Gott-Sohn eine Person sind. In K. 9, 5 ist Christus der hoch zu preisende Gott selbst. Und an diesen Christus, an diesen Gott, denken wir auch am Ende von K. 11. In diesem Christus ist Gott Retter geworden.
. V. 33-35: „O die Tiefe des Reichtums, der Weisheit und auch der Kenntnis Gottes! Wie unerforschlich sind seine Urteile und unaufspürbar seine Wege; …“
– vor allem seine Wege mit Israel, aber auch seine Wege mit denen aus den Völkern.
34 „… denn ‘wer kannte den Sinn des Herrn, oder wer wurde sein Mitberater?’ {Jesaja 40, 13} 35 oder ‘wer gab ihm zuvor, und es wäre ihm zu vergelten?’ {Vgl. Hi 41, 3.}”
Keiner wird Gott schuldig sprechen können. Gott gibt jedem genügend Gelegenheit, Buße zu tun. Niemand wird sagen können: „Du bist mir Gnade schuldig!” Alle Unbußfertigen werden als Schuldner verlorengehen. Die, die sich begnadigen lassen, werden unverdienter Weise gerettet werden.
Niemand wird sagen können: „Ich war nicht erwählt!”. Jeder wird zu einem „Erwählten“, sobald er in Christus hinein kommt. Gott gibt jedem die Gelegenheit, ein Erwählter zu werden. Seine Arme sind zu allen ausgestreckt (10, 21).
Am Anfang des Briefes lasen wir die Worte. „Deshalb bist du nicht zu entschuldigen…; denn worin du anderen richtest, verurteilst du dich selbst; denn du, der du richtest, tust dasselbe.” (Römer 2, 1)
. V. 36: „– denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge. Ihm ‹gebührt› die Herrlichkeit in Ewigkeit! Amen.”
So wollen wir nie aufhören, Gott zu loben, dass wir ihm gehören dürfen und seine Vergebungen annehmen dürfen, weil die Tür auch heute noch für alle offen ist und Gottes Arme auch heute noch ausgestreckt sind.
[1] R. C. H. Lenski (The Interpretation of St. Paul’s Epistle to the Romans) erwähnt, dass heeteema (Schade, Fehlgehen, Verlust) sich nie auf eine Zahl bezieht und dass, obwohl pleerooma (Fülle) sich sonst auf eine Zahl beziehen kann, es hier nicht der Fall ist, weil es parallel zu heeteema steht.
[2] Zu Jes 26 u. 27: Es scheint, dass hier in perspektivisch verkürzter Darstellung bereits von der Rückkehr aus der Gefangenschaft damals die Heimkehr ins neue Jerusalem vorausgesehen wird – wie dies in der alttestamentlichen Prophetie üblich ist. Vgl. die entsprechenden Parallelen in Jes 60-66.
[3] Man vergleiche auch Hes 37,23ff: „Und ich werde sie retten aus allen ihren Wohnsitzen, in denen sie gesündigt haben; und ich werde sie reinigen. Und sie werden mein Volk, und ich selbst werde ihr Gott sein. 24 Und mein Knecht David wird König über sie sein, und sie werden allesamt einen Hirten haben. Und sie werden in meinen Rechten wandeln und meine Satzungen bewahren und sie tun. … 25 Mein Knecht David wird ihr Fürst sein in Ewigkeit. 26 Und ich werde einen Bund des Friedens mit ihnen schließen, ein ewiger Bund wird es mit ihnen sein. Und ich werde sie einsetzen und sie vermehren und werde mein Heiligtum in ihre Mitte setzen in Ewigkeit. 27 Und meine Wohnung wird über ihnen sein. Und ich werde ihr Gott, und sie werden mein Volk sein.” (Hervorhebungen v. Verf.)
Im Zusammenhang mit der Rettung Israel geschieht gemäß der alttestamentlichen Prophetie eine Art „Erweckung” aus den Toten und das Kommen des neuen Jerusalems, des ewigen Erbteils Israels. Vgl. Jes 26,17-19; Hos 6,1-3; 13,1.12-14; Hes 37,1-14; vgl. Jes 66,8; Jh 5,25, Apg 26,6-8. Israels Erweckung aus den Toten hängt zusammen mit der Ausgießung des Geistes, denn dass Israel aus den Toten zum Leben kommt, geschieht durch den Geist. Der wird gemäß der Weissagung vieler atl. Propheten in der „Endzeit” ausgegossen. Jes 32,5; 44,3; Hes 39,28; Joe 3,1 [2,28]; Sach 12,10; 13,1; vgl. mit Hes 36,25-27; Jh 3,5; 1P 1,22 und Apg 15,9.11. Diese endzeitliche Geistausgießung nimmt mit Pfingsten ihren Anfang. Vgl. Apg 2,17; 10,45; 11,16; Tit 3,5.6; 2Tm 3,1; Heb 1,2; Jk 5,3; 2P 3,3). Die Propheten sahen diese Zeit in perspektivischer Verkürzung als einen Zeitpunkt. Vgl. Joe 3,1; Jes 49,20.21; 66,8. (Zum Begriff „Tag” vgl. Jes 49,6 mit 2Kr 6,2: „Tag des Heils”.)