Theo Lehmann – Jugendgottesdient Nr. 64
Abschrift der Predigt vom 14.12.1980 über Lukas 3, 1-11 (Die Bußpredigt Johannes des Täufers und ihre zeitlose Aktualität).
Morgen, Kinder, wird’s was geben – oder auch nicht.
Liebe Freunde, bei manchen Liedermachern hat man so den Eindruck, die wollen die Situation anheizen. Irgend so ein vertrackter Liedermacher hat zum Beispiel das Gerücht ausgestreut: „Morgen Kinder wird's was geben.“ Und prompt rammeln jeden Morgen die Massen vor die Türen der Kaufhäuser: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit, zum Einkauf stehen wir kampfbereit.“
Und sobald sich die Warenhauspforten öffnen, da stürzen sich die Massen hinein wie die Heuschrecken auf die Waren. Der Lauf zwischen Konsum und HO[1] hält uns alle in Atem. Die Jagd nach Geschenken erfüllt unsere Herzen und Sinne mit weihnachtlicher Wut nach dem Motto: jeder Einkauf eine besondere Pleite. Aber wir bleiben unverdrossen und hoffnungsvoll, eben nach der alten Melodie: Morgen, Kinder, wird's was geben. Wir sind voll gespannter Erwartung, was es morgen geben wird - beziehungsweise nicht geben wird[2].
In den Tagen, bevor Jesus kam, da waren die Menschen auch voll gespannter Erwartung. Aber die erwarteten nun nicht aus dem Konsum ein Päckchen Haushaltskerzen oder aus dem Westen ein Päckchen mit Pfefferkuchenherzen, sondern sie erwarteten den Christus, den Messias, den Erlöser der Welt, der die Verhältnisse völlig verändern sollte.
Ein Bürgerschreck hält eine Bußpredigt.
Da trat einer auf, der sagte: Leute, jetzt ist es soweit, jetzt kommt er! Der seit Jahrhunderten erwartete Erlöser der Welt steht vor der Tür. Wer ihm begegnen will, der soll sich vorsehen. Wer ihn nicht verpassen will, der soll sich sputen. Wer von ihm keine verpasst kriegen will, soll sich vorbereiten. Macht Platz, räumt auf, räumt den Dreck aus eurem Leben, kommt zur Beichte, bekehrt euch, lasst euch taufen! Der nach mir kommt, der tauft mit Feuer. Und wer keine guten Taten tut in seinem Leben, der wird abgesägt und wird ins Feuer geschmissen.
Der Mann, der solche feurigen Reden gehalten hat, das war Johannes der Täufer. Im Lukas-Evangelium, Kapitel drei können wir über ihn lesen. Es werden in der Bibel eine ganze Menge merkwürdige und ausgefallene Gestalten vorgeführt, aber ich finde, der Jonny war der ausgeflippteste von allen. Ein regelrecht irrer Typ. Eine Kutte aus Zottel-Fell, kein Exquisit-Modell[3], Strick um den Bauch, und was das schärfste war: der aß Heuschrecken. Also ein Bürgerschreck von Kopf bis Barfuß.
Wie Jonny predigt, ist das letzte.
Und die Art, wie er predigte – er war der letzte Prophet vor Jesus – die war sowieso das letzte. Erstens einmal hat er nicht in einem Haus gepredigt, sondern draußen im Freien, unter freiem Himmel, am Ufer des Jordan, und zweitens verspritzte er dort nicht bloß eine Menge Wasser sondern auch eine Menge spitzer Bemerkungen, die jedem anständigen Menschen in die Nase fahren mussten. Wie ein Lauffeuer verbreitet sich die Kunde von diesem feurigen Prediger durch das ganze Land. Überall gibt es Diskussionen um den „Gottesdienst einmal ganz anders“, am Jordan draußen. Manche sind dafür, manche dagegen, aber alle sind sie dabei, wenn der nimmermüde Joe seine Show abzieht draußen am Jordan. Endlich ist mal was los, und mit Kind und Kegel und bei Wind und bei Wetter rammeln alle da raus, das musst du schon mal gesehen haben, wie sie da Schlange stehen zur Beichte, als ob es Karpfen gratis gäbe.
Und selbst wer Zweifel hat, stellt sich in der Schlange noch hinten an. Wer weiß, sagen die Leute, vielleicht hat der verrückte Johannes doch recht, und dann kann ja ein Bad im Jordan nichts schaden. Eigentlich kann sich der Amtsbruder Johannes ja freuen. Ich meine, welcher Prediger freut sich nicht, wenn die Massen geströmt kommen.
Aber dem Johannes, dem ist dieser Massenandrang verdächtig. Er befürchtet eine Bekehrungswelle ohne Tiefgang. Er befürchtet, dass die Leute sich sagen, wenn wir zu dem Joe in die Predigt gehen und uns mal ein bisschen unter das Wasser stippen lassen, dann ist alles o.k., dann sind wir gerettet, dann sind wir vor dem Zorn Gottes sicher.
Nein! – sagt der Johannes, so geht das nicht! Gott verlangt von euch mehr. Er verlangt von euch Umkehr, er verlangt Bekehrung. Und um das den Leuten klarzumachen, um die überhaupt erst einmal munter zu machen, aus ihrer Selbstsicherheit aufzuscheuchen, da staucht er die Massen mit unflätigen Bemerkungen zusammen. Statt seine Predigt anzufangen, wie sich's gehört, anzufangen mit "Liebe Froinde" oder "Liebe Gemoinde", da haut der denen als erstes gleich einmal eine Beleidigung vor den Latz. Er fängt an mit der schönen Titulierung: „Ihr Otterngezücht!“ Das heißt auf Deutsch: Ihr Schlangenbrut, ihr Teufelskinder, ihr kriecherisches Geschmeiss. Das ist natürlich nicht die feine englische Art, die Leute anzureden. Und wie es weitergeht, ist auch nicht viel besser. Wer hat euch denn weisgemacht, so sagt Johannes, dass ihr dem Zorn Gottes entfliehen werdet? Ihr wollt zur Beichte kommen? Das ist in Ordnung. Ihr wollt euch taufen lassen? Ist in Ordnung. Aber dann bringt auch in Ordnung, was in eurem Leben nicht stimmt. Zieht die Konsequenzen, sonst bleibt eure Wallfahrt zum Jordan, eure Wassertaufe, eure Bekehrung einen feuchten Dreck wert. Schafft den Dreck aus eurem Leben, sagt Johannes. Schafft Früchte, rechtschaffene Früchte. Wer keine Früchte trägt, wird abgesägt und verfeuert. Soweit Joe am Jordan zu den Juden.
Von Joe am Jordan zu Theo an der Chemnitz.
Und jetzt Theo an der Chemnitz zu den Jugendlichen. Wer hat euch denn weisgemacht, dass ihr dem Zorn Gottes entkommen könnt? Habt ihr euch überhaupt schon einmal Gedanken gemacht, dass es so etwas gibt wie den Zorn Gottes? Dass es ein Gericht gibt? Dass es eine ewige Verdammnis gibt? Ihr denkt, der liebe Gott, das ist ein alter Knacker mit einem Wattebart, und das herzliebe Jesulein ist aus Marzipan und hat alle Jahre wieder pünktlich am 24. unter dem Tannenbaum zu erscheinen. Aber da irrt ihr euch!
Gott ist ein heiliger Gott, der den Menschen Gebote gegeben hat, der von den Menschen gehorsam verlangt und der Ungehorsam bestraft. Das wollen natürlich die Menschen nicht gerne hören. Und es gibt ja auch Leute, die wollen uns weismachen, dass es gar keinen Zorn Gottes gibt. Sie berufen sich dann auf die Bibel, da steht zum Beispiel im ersten Johannesbrief, Kapitel vier der Satz: „Gott ist Liebe.“ Tatsächlich, so steht das da! Aber da steht ja noch mehr: Gott ist Liebe. Darin ist erschienen die Liebe Gottes unter uns, dass Gott seinen eingeborenen Sohn gesandt hat in die Welt, dass wir durch ihn leben sollen[4].
Als Jesus, der Sohn Gottes, der als Mensch in unserer Welt gekommen ist, der als Mensch aus unserer Welt gegangen ist, als er am Kreuz hing, da hat er die Strafe auf sich genommen, die dich hätte treffen müssen. Den Zorn Gottes, der dich hätte treffen müssen, den hat Er abgewendet und auf sich genommen, damit du leben kannst. Und deshalb – so steht es im Johannes-Evangelium – sagt Jesus: wer an den Sohn glaubt, der hat das ewige Leben. Und wer an den Sohn Gottes nicht glaubt, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm[5].
Keiner ist vor Gottes Zorn sicher. Wo sind eure Früchte?
Freunde, der Zorn Gottes steht über jedem Menschen. Jeder Mensch ist ein Sünder, jeder Mensch muß ins Gericht. Ich frage dich, Mensch, woher nimmst du eigentlich die Gewissheit, dass du vor dem Zorn Gottes sicher bist? Weil du heute auf einer kirchlichen Sitzgelegenheit Platz genommen hast? Oder weil du aus einem frommen Elternhaus stammst? Oder als Säugling getauft worden bist? Oder weil du dich irgendwann einmal bekehrt hast? Das ist ja alles schön und gut. Wenn du dann noch schön Kollekte gibst und zum Abendmahl gehst und vor dem Essen betest, dann ist es noch schöner. Aber es genügt nicht. Das langt nicht! Das ist zu wenig! Das ist zu billig!
Du kannst dem Zorn Gottes nicht entfliehen, wenn deine Bekehrung, deine Taufe, deine Beichte ohne Konsequenzen bleibt.
Da gibt es heute auf der einen Seite ein unverbindliches Massenchristentum, darüber brauchen wir gar nicht zu reden. Aber dann gibt es auch einen Haufen superreligiöses Getue in der Kirche. Aber wenn man einmal nach einer praktischen Hilfe fragt, nach Taten - da ist Ruhe. Wenn man mal fragt, wer macht mit und hat Zeit und macht das Gemeindehaus sauber, weil wir noch keine Reinemachefrau haben, dann hat niemand Zeit. Wenn man fragt, wer ist bereit zur Mitarbeit, muss man zehnmal fragen, bis man nach lauter faulen Ausreden endlich mal ein Ja oder ein Nein zu hören kriegt. Wenn man mal auf den Busch klopft von eurer Frömmigkeit, mal sieht, was am Baum eurer Frömmigkeit wirklich dran ist. Da kommt entweder gar nichts oder saure Äpfel, saure Gesichter, die sich mit Mühe und Not und seufzend einmal eine gute Tat abquälen.
Viele von euch, die sind jetzt eingeschnappt. Jetzt arbeitet euer Gehirnchen auf Hochtouren. Jetzt sucht ihr Argumente zusammen. Jetzt sucht ihr zusammen, was ihr doch an Früchten vorzuweisen habt. Jetzt sagt ihr euch: „also so schlecht, wie er uns heute wieder einmal macht, sind wir doch in Wirklichkeit nicht.“
Na fein, so ist's recht, meine Lieben. Geht ihr nur immer in Abwehrstellung. Immer feste, pocht ihr nur auf eure guten Taten, das ist genau die Haltung, mit der ihr unter Garantie Jesus verpassen werdet. Und um euch davor zu bewahren, dass ihr an Jesus vorbei lebt, dass ihr unter seinem Zorn lebt - nicht um euch zu ärgern - deswegen bohre ich mit meinen Fragen noch weiter. Ich möchte wissen: wo sind eigentlich eure Früchte? Wo ist denn zum Beispiel euer offenes Bekenntnis? Jesus sagt: Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater. Und wer mich nicht bekennt vor den Menschen, den werde ich nicht bekennen vor meinem himmlischen Vater[6]. Oder wie steht es denn um eure Bereitschaft, für euren Glauben einzustehen, für euren Glauben zu leiden, für euren Glauben Opfer zu bringen, für euren Glauben zu kämpfen? Was hast du in der letzten Woche getan, um den Namen von Jesus in der Welt bekannt zu machen? Wie viel kleine Lügen und schmierige Kompromisse und Heuchelei, wie viel Sünde hat es in der letzten Woche in deinem Leben gegeben.
Immer wieder denselben Mist machen ist Heuchelei. Von echter Busse.
Na also. Und bist du denn bereit, dich wenigstens zu ändern: „na gut, dann soll es von heute an anders werden?“ Oder weißt du heute schon, dass du in der nächsten Woche denselben Mist wieder machen wirst, den du die letzte Woche schon gemacht hast. Das ist doch Heuchelei. Du schlängelst dich wie eine Schlange durch alle Schwierigkeiten durch. Du windest und du krümmst dich um eine klare Entscheidung herum. Du redest doppelzüngig, du zischelst über andere Leute, du verspritzt giftige Bemerkungen über deinen Nächsten. Du verkriechst dich in die Löcher deines Privatlebens, du kriechst vor den falschen Herren auf dem Bauche. Und dann hast du keine Furcht vor dem Zorn Gottes? Beruhigst du dich vielleicht damit, dass du dir sagst: es kann ja jede Schuld vergeben werden?
Das stimmt. Es kann jede Schuld vergeben werden. Ganz egal was du gemacht hast in deinem Leben und in der letzten Woche. Und was du zusammen gelogen und geheuchelt und was weiß ich getan hast. Egal wie Deine Schuld ist, es ist wahr, es gibt bei Gott Vergebung, das stimmt, Gott sei Dank. Aber das eine, das darfst du nicht vergessen. Gott stellt dem, der Vergebung möchte, unerbittlich eine Bedingung, um diese Bedingung kann sich keiner drum herumschlängeln. Die Bedingung heißt: Kehr um! Bekehre dich. Hör auf mit dem falschen, fange das Richtige an. Ändere dich. Johannes sagt hier: tu Busse, mach das, was krumm ist, gerade.
Also: wenn du krumme Wege gehst, dann geh ab sofort deinen Lebensweg gerade. Wenn du einen krummen Buckel machst, dann richte dich auf. Sei aufrichtig, zeige Rückgrat! Wenn du krumme Sachen drehst, dann dreh dich um, steig aus bei den falschen Kumpels.
Verdiene dein Geld ehrlich, hör auf, in deinem Betrieb Material zu klauen. Nach dem Motto: „Aus unseren Betrieben ist noch viel heraus zu holen, also packen wir es ein.“ Busse tun heißt: du gibst deinem Leben eine neue Richtung. Was falsch war, das lässt du sein. Was richtig ist, das Richtige, das Rechte, das Gerechte, dass fängst du an zu tun. Zur Busse gehört also nicht bloß die Erkenntnis, dass du etwas falsch gemacht hast und die Reue darüber, sondern vor allem der Vorsatz, dass du es nun anders machst, dass du es besser machst, dass du es änderst, dass du es besser machst.
Busse ist bloß dann echt, wenn sie in einem Gebet mündet, oder in einen Vorsatz, der möglichst noch am gleichen Tage, auszuführen ist.
Als der Johannes fertig war mit seiner Bußpredigt, da sind die Leute nicht nach Hause gefußt mit der tiefsinnigen Frage im Herzen „was gibt es heute Mittag zu essen, Schnitzel oder Roulade“, sondern sie sind zu dem Johannes hingegangen und haben gesagt: du hast uns jetzt deine Predigt gehalten, du hast uns jetzt aus den Lumpen geschüttelt. Jetzt sag uns mal, was sollen wir denn nun tun? Und da hat er Ihnen Dinge gesagt, die sofort realisierbar waren.
Johannes‘ einfache Rezepte zur Umkehr.
Guckt euch um, sagt er. Da steht einer, der friert. Du hast mindestens zwei Pullis, gib ihm einen davon ab. Und da drüben steht einer, der hat Hunger. Der ist heute Mittag in Annaberg losgefahren, hat vergessen, sich etwas zu Essen mitzunehmen. Du hast noch ein paar Äpfel vom Weihnachtsmarkt, gib ihm etwas ab. Was der Johannes hier vorschlägt, das ist ganz simpel. Das ist so simpel, dass man sich fragt, warum macht er eigentlich erst so einen Wind. Worte von Buße und Früchten, und dann fällt ihm weiter nichts ein als eine Werbung für die innere Mission. Spendet Klamotten, gebt was zu essen. Der fährt erst die schärfsten Geschütze auf, droht den Leute mit dem Zorn Gottes, macht den Menschen die Hölle heiß und dann, als es konkret wird, als die Leute fragen, wie sie dies im Zorn Gottes entfliehen können, da heißt es: teilt mit anderen euren Vorrat an Bratäpfeln.
Da fragt man sich doch: ist es wirklich so einfach mit der Busse? Lässt sich Gottes Zorn mit ein paar Bratäpfeln dämpfen? Macht sich es der Joe hier nicht zu einfach? Ich denke, in dem Einfachen, in dem Simplen, darin liegt gerade die Pointe der gesamten Sache. Natürlich hätte der Johannes große sozialpolitische Programme entwerfen können. Es gibt ja bis zum heutigen Tage massenhaft Leute, die sich viele wichtige Gedanken machen und sich äußern, aber ein Gedanke, der ergebnislos ist, der nützt nichts. Leute, die große Gedanken äußern, haben wir genug. Wir brauchen Menschen, die was tun, praktisch etwas tun. Der Johannes hätte hinweisen können auf die schwierigen gesellschaft-lichen Strukturen seiner Zeit, zum Beispiel eine heidnische Besatzungsmacht im Lande, die es den Soldaten überhaupt nicht erlaubte, gut zu sein. So wie es bei Bert Brecht heißt: „Wir wären gut anstatt so roh, doch die Verhältnisse, die sind nicht so.“[7]
Kein Aufschub für gute Taten.
Der Johannes lässt seinen Zuhörern nicht die Zeit, dass sie ihr Leben erst ändern, wenn sich die Verhältnisse geändert haben. Sondern Johannes sagt: es mag sein, wie es will - fang gleich an. Tu das nächstliegende. Helft dem Nächstliegenden. Dem, der mit seinen Problemen vor eurer Nase liegt.
Also, was liegt bei dir an. Vielleicht liegt bei dir Schnee vor der Türe oder Streusand und Dreck. Na, dann nimm doch einmal eine Schippe und räumt das Zeug weg, damit die alten Leute nicht hinfliegen. Mal eine Schippe nehmen und bisschen Schweiß vergießen ist nützlicher, als in die Betgemeinschaft rennen und sich Gedanken machen über die Probleme der Dritten Welt, wo sowieso nüscht dabei rauskommt.
Vielleicht liegt zu Hause bei dir ein schon lange ein Brief, irgendwo unter deinen Klamotten herum. Und da ist ein Mensch, der erwartet von dir eine Antwort, der hat dich ja etwas gefragt. Oder vielleicht hat er ja noch nicht einmal den Mut gehabt, zu fragen, auf jeden Fall erwartet er, dass du ihm schreibst.
Na, dann schreib ihm doch endlich einmal! Wenn’s geht, heute Abend noch. Oder es liegt irgendwo ein Kranker, und du weißt es, und du wolltest ihn auch schon lange einmal besuchen, aber es kommt eben, gerade in der Adventszeit, dauernd etwas dazwischen. Na dann geh doch um Gottes Willen endlich mal hin zu dem Kranken, gerade in der Adventszeit.
Wer weiß, was sonst wieder dazwischenkommt – zum Beispiel Jesus.
Irgendwann kommt er ja einmal dazwischen. Zum Beispiel in unsere langfristigen Pläne. In unserer wichtigen, und aufschiebbaren Termine. In unserer gemütlichen Feierstunden, irgendwann, da kommt Jesus einmal dazwischen. Und dann stellt er uns einmal ein paar ganz simple Fragen. Das kannst du nachlesen im Matthäus-Evangelium, Kapitel 25.
Zum Beispiel die Frage: warum hast du mich denn damals nicht besucht, als ich krank war, warum hast du denn meinen Brief nicht beantwortet, den ich dir geschickt habe, warum hast du mir nichts von deiner Zeit, deinem Geld, von deiner Erfahrung mitgeteilt. Es sind alles Kleinigkeiten. Es ist wirklich weiter nichts als Kleinigkeiten, aber gerade diese Kleinigkeiten sind so wichtig. Gerade diese Kleinigkeiten sind es, auf denen Jesus mit einer entnervenden Sturheit herumreitet. Lies mal Matthäus 25. Gerade diese Kleinigkeiten sind es, die der Herr von uns erwartet, als Früchte erwartet.
Das Leben ist wie so ein Gang durch die Kaufhalle. Du nimmst da eine Kleinigkeit, und dort eine Kleinigkeit, und am Schluss ist der Korb voll, und ganz am Schluss, da musst du durch den schmalen Gang an der Kasse. Dann kommt die Rechnung. Ist dir klar, dass die Abschlussrechnung deines Lebens sich aus lauter kleinen Posten zusammensetzt?
Du musst ja noch einmal durch die schmale Tür, in der nur du Platz hast und Jesus, und dann wird Jesus dich ansehen sagen: was ist denn nun eigentlich rausgekommen aus deinem Glauben, was ist denn da praktisch gewachsen? Was ist denn da drin? Was sind denn bei dir für Früchte dran?
Im Johannes-Evangelium, Kapitel 15, da hat Jesus gesagt: eine jede Rebe, die nicht Frucht bringt, wird Gott wegnehmen. Wer nicht in mir bleibt, der wird weggeworfen wie eine Rebe, und verdorrt, und man sammelt sie und wirft sie ins Feuer und müssen brennen. Das sind harte Worte. Es sind genau die gleichen Worte, die Johannes der Täufer gesprochen hat.
Ein Predigtschluss der anderen Art.
Der Schlusssatz der Predigt Johannes des Täufers lautet: es ist schon die Axt den Bäumen an die Wurzel gelegt. Welcher Baum keine gute Frucht bringt wird abgehauen und in das Feuer geworfen. Das ist mal ein Predigt-Schluss! Der Johannes gibt nicht noch zu Beruhigung ein formelles Trost-Pflästerchen dran. Es ist ihm auch egal, wenn manche ihm bescheinigen, er würde das Geschäft mit der Angst machen. Er würde die Leute zu Bekehrung treiben, weil er ihnen angst macht vor dem Zorn Gottes. Das schert den Johannes überhaupt nicht. Und hier in der Bibel, im Vers 18, wird ihm bescheinigt, dass er auf diese Art und Weise den Menschen das Heil verkündigt hat.
Bußpredigt ist Heilspredigt. Denn solange Busse gepredigt wird, kannst du noch umkehren. Gott gibt dir Gelegenheit zur Umkehr. Er gibt dir Gelegenheit zu einem fruchtbaren Leben. Damals, als er seine Bußpredigt gehalten hat am Jordan, da haben sich welche bekehrt. Die haben allen Dreck raus gekehrt, um den Sohn Gottes bei sich, in ihrem Leben, empfangen zu können.
Der Unterschied zwischen dem ersten und dem zweiten Erscheinen Jesu.
Und dann kam dieser Sohn Gottes, Jesus. Und dann kam das große Wunder. Dieser Jesus kam nicht mit der Axt, der kam nicht zum Gericht. Er hat die Sünder nicht zusammen gehauen, sondern er hat noch einmal mit seiner Predigt an derselben Stelle angefangen, wo Johannes aufgehört hatte. Tut Buße, kehrt um, ihr kriegt noch einmal eine Chance. Das ist doch interessant, dass Jesus, als er zum ersten Mal öffentlich auftritt und seine erste Predigt hält, dass Er als erstes Wort sagt: „Bekehrt euch!“
Bekehrung, liebe Freunde, das ist nicht eine Spezialmacke von ein paar wilden Evangelisten. Bekehrung ist so wichtig, dass Jesus sie an die allererste Stelle gestellt hat, als er zum ersten Mal gepredigt hat. Es gibt ohne Bekehrung kein Christsein. Wenn du nicht bereit bist, dich zu bekehren, und wenn du nicht bereit bist, Früchte zu bringen, umzukehren, dann wird Gottes Zorn dich vernichten. Stell dich darauf ein. Jesus, der Sohn Gottes, der zu Weihnachten als ein Kind gekommen ist, der kommt am Ende der Welt wieder, als Richter, zum Gericht, zur Ernte. Da will er Früchte sehen. Er will in deinem Leben etwas sehen.
Der Wochenspruch lautet: bereitet dem Herrn den Weg, siehe, der Herr kommt gewaltig[8].
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[1] HO: die staatliche Einzelhandelsunternehmung der DDR, 1948 gegründet. – Anm. des Schreibers
[2] Anfang der achtziger Jahre zeichnete sich in der DDR eine Versorgungskrise ab, die bald immer mehr Artikel auch des täglichen Bedarfs, selbst Grundnahrungsmittel betraf. Vgl. „DER SPIEGEL“ vom 1.11.1982 – Anm. des Schreibers
[3] Exquisit: in der DDR Läden mit höherwertiger Ware. – Anm. des Schreibers
[4] 1. Johannes 4, 8-9
[5] Johannes 3, 36
[6] Matthäus 10, 32
[7] Der Satz des Bettlerkönigs Peachum aus der von Bertold Brecht 1928 verfassten „Dreigroschenoper“ – Anm. des Schreibers.
[8] Jesaja 40, 3.10