24.08.2003
Ich will euch, liebe Brüder, dieses Geheimnis nicht
verhehlen, damit ihr euch nicht selbst für klug haltet: Verstockung ist einem
Teil Israels widerfahren, so lange bis die Fülle der Heiden zum Heil gelangt
ist; und so wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht (Jesaja
59,20; Jeremia 31,33): «Es wird kommen aus Zion der Erlöser, der abwenden wird
alle Gottlosigkeit von Jakob. Und dies ist mein Bund mit ihnen, wenn ich ihre
Sünden wegnehmen werde.» Im Blick auf das Evangelium sind sie zwar Feinde um
euretwillen; aber im Blick auf die Erwählung sind sie Geliebte um der Väter
willen. Denn Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen. Denn wie ihr
zuvor Gott ungehorsam gewesen seid, nun aber Barmherzigkeit erlangt habt wegen
ihres Ungehorsams, so sind auch jene jetzt ungehorsam geworden wegen der
Barmherzigkeit, die euch widerfahren ist, damit auch sie jetzt Barmherzigkeit
erlangen. Denn Gott hat alle eingeschlossen in den Ungehorsam, damit er sich
aller erbarme.
Römer 11, 25-32
Liebe Gemeinde!
Das also sollen wir wissen, gerade über Israel, damit sich niemand „selbst für
klug halten“ muss. Es gibt so manches „Cleverle“ gerade dann, wenn das Gespräch
auf Israel kommt. So viele sind dann von ihrer ganz persönlichen Sicht geradezu
doktrinär-verbohrt überzeugt. Wie viel politischen Streit gab es um Scharon und
Arafat und Friedmann und Möllemann und Walser und Reich-Ranicki! Wie ist die
Christenheit geradezu feindlich gespalten, wenn es um das Reizwort „Judenmission“
geht!
Andere Christen schütteln über dies alles den Kopf: „Was soll’s? Israel ist
doch nichts Besonderes! Die Juden sind eben eine Volksgruppe wie tausende
anderer Volksgruppen auf dieser Erde!
Genau dies jedoch ist weit gefehlt! Wenn Israel nichts Besonders ist, dann ist
es auch nichts um das tröstliche Gotteswort, das doch eigentlich an Israel
gerichtet war und ist: „Fürchte dich nicht; denn ich habe dich erlöst. Ich habe
dich bei deinem Namen gerufen; du bist mein!“ (Jesaja 43, 1) Wenn dies nicht
mehr bis heute Israel gelten sollte, dann ist dies Wort auch für uns keine
Stütze mehr für Augenblicke des Wankens und Strauchelns. Dann sollten wir es
besser vergessen!
Israel ist eben etwas ganz Besonderes! An Israel hat Gott deutlich gemacht: So
herrlich und hilfreich ist es, wenn ich mein Angesicht leuchten lasse! An
Israel aber hat Gott auch erschreckend gezeigt – vor den Augen aller Völker -,
wie schrecklich es ist, wenn man Gott den Rücken zukehrt. In die Welt der
Völker hinein hat Israel erinnert: „Wenn Gott Sünden zurechnen will, wer kann
dann bestehen“ (Psalm 130, 3)? Gott hat ganz bewusst seinen Sohn nach Israel
hinein als Erlöser gegeben. In Israels Zentrum, in Jerusalem, hat Jesus sein
Leben gegeben „zur Erlösung für viele“ (Matthäus 20, 28). In der Auferweckung
hat Gott diesen Jesus auch gerade an Israel zurückgegeben. Obwohl Jesus von
Israel verstoßen worden war, hat Jesus seine Jünger zuerst nach Jerusalem und
nach Judäa gesandt; dort sollten sie zum Glauben an den Erlöser Jesus einladen.
Nein, - verstoßen hat Gott sein Volk Israel nicht (vgl. Römer 11, 1f)!
Was aber ist heute mit diesem Volk los? Was hat Gott mit ihm vor? Darum zu
wissen, ist wichtiger, als zu wissen, was die Palästinenser oder was die USA
mit dem Staat Israel vorhaben. Else Lasker-Schüler, die jüdische
Schriftstellerin, bestattet auf dem weiten Gräberfeld am Abhang des Ölberges
von Jerusalem, hat ergreifend gedichtet: „Der Fels ist morsch, dem ich
entspringe / und meine Gottesliede singe. Und immer, immer noch der Widerhall
in mir, wenn schauerlich gen Ost das morsche Felsgestein, mein Volk, zu Gott
schreit!“
Was hat Gott mit Israel vor? Damit wir nicht abgründige Theorien aushecken
müssen, nicht abstrusen Meinungen anheim fallen müssen, hat Gott dem Apostel
Paulus Geheimnisvolles zum Weitersagen anvertraut.
Die Zukunft Israels ist geheimnisvoll
„Ich will euch, liebe Geschwister, dieses Geheimnis nicht verhehlen“. Für uns
sind die meisten göttlichen Tatbestände geheimnisvoll. Manches hat uns Gott
erschlossen. So hat er uns „wissen lassen das Geheimnis seines Willens“
(Epheser 1, 9). Jesus hat uns mit den Gleichnissen etwas erahnen lassen von den
„Geheimnissen des Himmelreichs“ (Matthäus 13, 11). Eins der ganz großen
Geheimnisse bleibt nach wie vor, dass ganz normale Menschen wie Sie und ich
real „in Christus“ sein können (vgl. Epheser 5, 32; Kolosser 1, 22). Das größte
und letzte „Geheimnis Gottes“ wird erschlossen werden, wenn die „Reiche dieser
Welt unseres Herrn und seines Christus geworden“ sein werden (Offenbarung 10,
7).
Das alles lässt sich nur andeuten. Beschreiben kann man das gar nicht recht.
Worte reichen dazu nicht aus. Das herrliche Wunderwerk unseres Verstandes hat
irgendwie kein Relais für diese Dinge. Zu diesen Geheimnissen Gottes gehört
aber auch, was Gott mit seinem Lieblingskind Israel vorhat.
Einige dieser Geheimnisse hatte Jesus seinem Apostel Paulus erschlossen (vgl.
Epheser 3, 5; Kolosser 1, 26). Die Christen aller Zeiten sollten nicht bloßen
Meinungen aufsitzen müssen. Sie sollten in sich an das halten können, was Gott
den Paulus wissen ließ. Nun, was war denn das?
Zur Heilbehandlung Gottes wird Israel erst noch aufgerufen werden
Vom heilenden Gott sind Menschen zur Behandlung eingeladen. Besonders Ungute,
Unbeständige, Untreue, Unvollkommene, Ungläubige (vgl. Lukas 5, 31f). Gott
erbarmt sich der Ungehorsamen! Ja, so ist es! Aber bei Gott kommen – wie ja
auch beim Arzt in der Sprechstunde – nicht alle zu gleicher Zeit dran. Drum
harren alle im Wartezimmer auf den Aufruf: „Der Nächste bitte!“ Und oft wartet
auf solche, die ganz am Ende drankommen, eine besonders intensive
Spezialbehandlung.
Ähnlich wird auch Israel so zu Gottes Spezial-Nachbehandlung erst noch
aufgerufen werden. Dies zu erfahren, war dem Apostel Paulus besonders tröstlich.
Der Abstammung nach gehörte doch auch er zu Israel. Ihm war bewusst, was Gott
an geistlichen Vorrechten schon in dies Volk investiert hatte. Deshalb hatte
Paulus, wohin er auch immer kam, „seine Stammverwandten nach dem Fleisch“
(Römer 9, 3) eingeladen, vertrauensvoll den Namen des Retters Jesus anzurufen.
Aber wie Jesus selbst war auch Paulus wie auf Granit gestoßen. „Verhärtung“ und
„Verstockung“, das waren die Begriffe für dies Verhalten seit den Tagen der
alten Propheten. Aber dabei würde es nicht bleiben!
Was nämlich so manche Eltern und Großeltern für ihre Kinder und Enkel erhoffen
und erbeten (nämlich dass sie aufhören, einen weiten Bogen um Jesus zu machen),
das wird ganz gewiss mit Israel geschehen: Israel wird erst recht noch zum Heil
gelangen. Für Israel wird die Stunde der Rettung kommen. Die „Verstockung“
Israels wir aufhören, nämlich wenn die „Vollzahl der Heiden“ zum Heil gelangt
sein wird. Ach, man kann doch überströmende Freude bei Paulus heraus hören,
wenn er davon spricht! Es ist fast so, wie wenn wir Schwaben profitlich sagen:
„Z’letzt kommt’s Bescht!“
Für u n s jedoch heißt das heute: Noch sind wir dran! Noch! Wir sind
aufgerufen, uns ganz und echt bei Jesus zu bergen. Es wird nicht ewig dazu
Gelegenheit sein! Verpassen wir doch bloß „unser“ Aufgerufenwerden nicht! Um
Israel brauchen wir uns nicht zu sorgen: Die Spezialbehandlung Gottes kommt
erst noch. Israel wird dazu aufgerufen werden.
Paulus sagte jedoch noch konkreter, was ihm an Gottesgeheimnissen erschlossen
worden war:
Als „Erlöser aus Zion“ wird Jesus erst noch für Israel kommen!
„Es wird ganz Israel gerettet werden, wie geschrieben steht: Es wird kommen aus
Zion der Erlöser, der abwenden wird alle Gottlosigkeit von Jakob“. – Welch
wunderbarer Titel für Jesus: „Der Erlöser aus Zion“! Welch verständliche
Ehrenbezeichnung in einer Welt, da sich – gerade in unseren Tagen – so viele
Menschen nach „Erlösung“ sehnen! Hermann Hesse hat in seinen „Stufen des
Menschseins“ das „Durchdringen zum Erlöstsein“ die „höchste Stufe des
Menschseins“ genannt. Aber bei den Dichtern und Schriftstellen ist es wie ein
Tasten im Nebel, wovon denn wir Menschen erlöst werden sollen: Von Eigenliebe
etwa, oder von Zukunftsangst, oder auch von der Nichtigkeit all unseres
Wirkens?
In Israel hat man gewusst: „Er wird Israel erlösen aus allen seinen S ü n d e
n“ (Psalm 130, 8), also von alledem, was uns vor Gott belastet. So hieß es von
Gott in der Ankündigung des Jeremia, die Paulus zitiert: „Das ist mein Bund mit
ihnen, wenn ich ihre Sünden wegnehmen werde“. Denn der Erlöser ist doch
verheißen, der „abwendet alle Gottlosigkeit von Jakob“, der „der Welt Sünde
trägt“, der „unser aller Sünde auf sich werfen“ lässt. Diesen „Erlöser f ü r
Zion“ hatte der Prophet Jesaja angekündigt (Jesaja 59, 20).
Allerdings hat Paulus diese alte Bibelstelle nicht ganz wortgetreu zitiert. Er
hat vielmehr souverän umformuliert: Der Retter, der für Israel erst noch kommen
wird, kommt nicht nur f ü r Israel; vielmehr kommt er auch v o n Z i o n her.
Er kommt nämlich von dem Jerusalem her, da er die Sünde der Welt auf sich
werfen ließ. Er lässt nicht nur verbal Absichtserklärungen hören. Vielmehr hat
er dort in Zion den Heilsplan Gottes in Kraft gesetzt! Darum wird des Erlösers
ganz verlässliches Angebot auch für Israel sein: „Gott ist die Liebe, lässt
mich erlösen! ... Er sandte Jesus, den treuen Heiland, er sandte Jesus und
macht mich los!“
Wir sollen doch einmal – zusammen mit Gottes geliebtem Volk Israel – einstimmen
können in solchen gemeinsamen Lobpreis: „Dank Jesus, dass du uns erlöst hast
von allem, was uns wie mit tausend Stricken von dir weg in die Hölle gezogen
hat!“
Es wird ganz Israel gerettet werden
„So wird ganz Israel gerettet werden!“ Nämlich wenn der Erlöser aus Zion kommen
wird.
Bis heute haben Christenmenschen, welche die Bibel lieb haben, gerätselt: „Was
soll denn das heißen?“ Sind damit wirklich alle Israeliten gemeint, die von
einer jüdischen Mutter abstammen? Oder wird es so etwas wie eine „Repräsentanz“
Israels sein, eine Auswahlmannschaft?
„Geheimnis!“ „Geheimnis!“ Lassen wir uns doch überraschen! Wir können uns eben
keine Vorstellung machen, was alles möglich sein wird, wenn Jesus auch in und
von Israel angenommen werden wird. Über Gottes Zukunft sollen wir nicht
theoretisieren oder gar spintisieren. Vielmehr sollen wir Erfahrungen machen
mit dem erlösenden Heiland Jesus.
Es kann geradezu Unglaubliches geschehen, wenn Jesus mit dabei sein darf! Er
ist uns ja schon längst nahe. Er umgibt unsere Welt mehr, als wir ahnen. Aber
er drängt sich niemand auf. Einst wollte er Israel sammeln, wie eine Henne ihre
Küken bergend unter ihre Flügel sammelt; aber sie hatten nicht gewollt (Lukas
13, 34). Heil widerfuhr jedoch den Häusern, in denen er willkommen geheißen
war.
Auch bei uns möchte Jesus so gerne willkommen sein. Als Erlöser möchte er dabei
sein. Den „Bergprediger“ Jesus hat auch der hoch achtbare Hindu Mahatma Ghandi
verehrt. Vielen derzeitigen Juden gilt Jesus als „Bruder Jesus“, nicht jedoch
als Christus, als Sohn Gottes, als Erlöser. Die Muslime lassen Jesus als einen
ihrer Propheten gelten. Aber als heute gegenwärtiger Erlöser erfährt Jesus bei
ihnen bis heute keine Duldung. Es ist, wie wenn Jesus als Erlöser auf Distanz
gehalten werden sollte, auf Sicherheitsabstand.
Diese Zurückhaltung kennen wir doch auch von uns! Dabei sollten wir doch
begierig danach werden, mit dem Erlöser Jesus Erfahrungen zu machen. Mit ihm
kann Unvorstellbares geschehen, wenn er dabei sein darf. Es kann Heil, es kann
Rettung durch und durch, und um und um geben! Für uns – und erst recht für
Israel!
Wir sollten mit gespannter Erwartung nach vorwärts schauen.
Amen.