Martin Luther
(1535)
[WA 2, 81–130]
Lieber Meister Peter, ich geb’s euch so gut, wie ich’s habe und wie ich selber mich beim Beten (ver)halte. Unser Gott geb es euch und jedermann, es besser zu machen. Amen.
Erstens, wenn ich fühle, dass ich durch fremde Geschäfte oder Gedanken kalt und unlustig zu beten geworden bin, wie denn das Fleisch und der Teufel allezeit das Gebet wehren und hindern, so nehme ich mein Psälterlein, laufe in die Kammer, oder, wenn es der Tag und die Zeit ist, in die Kirche zur Gemeinde und fange an, die zehn Gebote, das Glaubensbekenntnis und, je nachdem ich Zeit habe, etliche Sprüche, des Paulus oder (der) Psalmen mündlich für mich selbst zu sprechen, ganz wie es die Kinder tun.
Darum ist’s gut, dass man frühmorgens das Gebet das erste und des Abends das letzte Werk sein lasse, und sich mit Fleiß vor diesen falschen, betrügerischen Gedanken hüte, die da sagen: Warte ein wenig, in einer Stunde will ich beten, ich muss dies oder das zuvor fertig machen. Denn mit solchen Gedanken kommt man vom Gebet in die Geschäfte, die halten und umfangen einen dann, dass aus dem Gebet den Tag über nichts wird.
Zwar können etliche Werke vorkommen, die ebenso gut oder besser als das Gebet sind, insbesondere wenn sie die Not fordert. So geht z.B. ein Spruch unter dem Namen des Hieronymus: Alles Werk der Gläubigen ist Gebet, und ein Sprichwort heißt: Wer treulich arbeitet, der betet doppelt. Das muss aus diesem Grunde so geredet sein, weil ein gläubiger Mensch in seiner Arbeit Gott fürchtet und ehrt und an sein Gebot denkt, damit er niemand unrecht tun, noch (jemand be) stehlen oder übervorteilen oder (etwas) veruntreuen wolle. Und solche Gedanken und Glauben machen ohne Zweifel aus seinem Werk zusätzlich ein Gebet oder Lobopfer.
Umgekehrt muss es dagegen auch die Wahrheit sein, dass eines Ungläubigen Werk lauter Fluchen sei, und: wer untreulich arbeitet, der flucht doppelt. Denn seines Herzens Gedanken müssen in seiner Arbeit so stehen, dass er Gott verachte und sein Gebot zu übertreten und seinem Nächsten Unrecht zu tun, zu stehlen und zu veruntreuen gedenke. Solche Gedanken, was sind sie anders als lauter Flüche wider Gott und den Menschen, durch welche sein Werk und Arbeit auch ein zwiefältiger Fluch wird, mit dem er sich selbst verflucht? (und solche Leute bleiben auch schließlich Bettler und Stümper). Von diesem ständigen Gebet sagt freilich Christus Lukas 11, 9-13: man soll ohne Unterlass beten. Denn man soll sich ohne Unterlass vor Sünden und Unrecht hüten, was nicht geschehen kann, wenn man Gott nicht fürchtet und sein Gebot vor Augen hat, wie Psalm 1, 2 sagt: »Wohl dem, der Tag und Nacht sinnt über Gottes Gebot« usw.
Jedoch muss man auch darauf sehen, dass wir uns nicht vom rechten Gebet weggewöhnen und uns zuletzt selbst Werke als nötig deuten, die es doch nicht sind, und werden dadurch zuletzt müde und faul, kalt und überdrüssig zum Gebet. Denn der Teufel ist nicht faul noch müde um uns her, ebenso ist unser Fleisch noch allzu lebendig und frisch zur Sünde und wider den Geist des Gebets geneigt.
Wenn nun das Herz durch solch unermüdliches Gespräch erwärmt und zu sich selbst gekommen ist, so knie nieder oder stehe mit gefalteten Händen und die Augen gen Himmel, und sprich oder denke, so kurz du kannst: Ach himmlischer Vater, du lieber Gott, ich bin ein unwürdiger, armer Sünder, nicht wert, dass ich meine Augen oder Hände zu dir aufhebe oder bete. Aber weil du uns allen geboten hast zu beten und dazu auch Erhörung verheißen, und über das hinaus uns selbst beides, Wort und Weise durch deinen lieben Sohn, unsern Herrn Jesus Christus gelehrt hast, so komme ich auf solch dein Gebot (vor dein Angesicht), dir gehorsam zu sein, und verlasse mich auf deine gnädige Verheißung. Und im Namen meines Herrn Jesus Christus bete ich mit allen deinen heiligen Christen auf Erden, wie er mich gelehrt hat: »Vater unser, der du bist« usw. (ganz, Wort für Wort). Danach wiederhole ein Stück, oder wie viele du willst, nämlich
die erste Bitte: »Geheiligt werde dein Name«, und sprich: Ach ja, Herr Gott, lieber Vater, heilige doch deinen Namen sowohl in uns selbst und (auch) in aller Welt. Zerstöre und vertilge die Gräuel, Abgötterei und Ketzerei des Türken, des Papstes und aller falschen Lehrer oder Sektengeister, die deinen Namen fälschlich führen und so schändlich missbrauchen und gräulich lästern. Sie sagen und berufen sich darauf, es sei dein Wort und der Kirche Gebot, obwohl es doch des Teufels Lüge und Betrügerei ist, womit sie unter deinem Namen so viele arme Seelen jämmerlich verführen in der ganzen Welt und dazu auch töten, unschuldiges Blut vergießen und verfolgen, (und) meinen, dir damit einen Gottesdienst zu tun. Lieber Herr Gott, hier bekehre und wehre. Bekehre die, die noch bekehrt werden sollen, dass sie mit uns und wir mit ihnen deinen Namen heiligen und preisen, mit rechter, reiner Lehre und mit gutem, heiligen Leben. Wehre aber denen, die sich nicht bekehren wollen, dass sie aufhören müssen, deinen heiligen Namen zu missbrauchen, zu schänden und zu entehren und die armen Menschen zu verführen, Amen.
Die zweite Bitte: »Dein Reich komme«, und sprich: Ach lieber Herr, Gott Vater, du siehst, wie nicht allein der Welt Weisheit und Vernunft deinen Namen schändet und die dir zukommende Ehre der Lüge und dem Teufel gibt, sondern (wie sie auch) alle ihre Gewalt, Macht, Reichtum und Ehre, die du ihnen auf Erden gegeben hast, weltlich zu regieren und dir damit zu dienen, wider dein Reich setzt und strebt. Sie sind groß, mächtig und viel, dick, fett und satt, und plagen, hindern, zerstören den geringen Haufen deines Reiches, die schwach, verachtet und wenig sind. Sie wollen sie auf Erden nicht leiden, meinen (aber) gleichwohl dir damit einen großen Gottesdienst zu tun. Lieber Herr, Gott Vater, hier bekehre und wehre. Bekehre die, die noch Kinder und Glieder deines Reiches werden sollen, dass sie mit uns und wir mit ihnen dir in deinem Reich in rechtem Glauben und wahrhaftiger Liebe dienen und aus diesem angefangenen Reich in das ewige Reich kommen. Wehre aber denen, die ihre Macht und ihr Vermögen nicht von deines Reiches Zerstörung wegwenden lassen wollen, dass sie, vom Stuhl gestürzt und gedemütigt, ablassen müssen. Amen.
Die dritte Bitte: »Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden«, und sprich: Ach lieber Herr, Gott Vater, du weißt, wie die Welt, wo sie deinen Namen nicht ganz zunichte machen und dein Reich nicht ganz vertilgen kann, so gehen sie doch Tag und Nacht mit bösen Tücken um, treiben viel Ränke und durchtriebene Anschläge, halten Rat, raunen zusammen, trösten und stärken sich, drohen und toben, gehen alle bösen Willens voll wider deinen Namen, Wort, Reich und Kinder, wie sie dieselben umbringen. Darum, lieber Herr, Gott Vater, bekehre und wehre. Bekehre die, die deinen guten Willen noch erkennen sollen, dass sie mit uns und wir mit ihnen deinem Willen gehorsam seien und darüber alles Übel, Kreuz und Widerwärtigkeit gern, geduldig und fröhlich leiden und deinen gütigen, gnädigen, vollkommenen Willen hierin erkennen, erproben und erfahren. Wehre aber denen, die von ihrem Wüten, Toben, Hassen, Drohen und bösen Willen, Schaden zu tun, nicht ablassen wollen, und mache ihren Rat, böse Anschläge und Praktiken zunichte und zu Schanden, dass es mit ihnen selbst ausgehe, wie Psalm 7, 16 singt, Amen.
Die vierte Bitte: »Unser täglich Brot gib uns heute«, und sprich: Ach lieber Herr, Gott Vater, gib auch deinen Segen in diesem zeitlichen, leiblichen Leben. Gib uns gnädiglich den lieben Frieden, behüte uns vor Krieg und Unfrieden. Gib unserm lieben Kaiser Glück und Heil wider seine Feinde, gib ihm Weisheit und Verstand, dass er sein irdisches Reich ruhig und glückselig regiere. Gib allen Königen, Fürsten und Herren guten Rat und Willen, ihr Land und Leute in Stille und gutem Recht zu erhalten, insbesondere hilf und leite unsern lieben Landesherrn N., unter dessen Schutz und Schirm du uns bewahrst, dass er, vor allem Übel behütet, vor falschen Zungen und untreuen Leuten sicher, selig regiere. Gib allen Untertanen Gnade, treulich zu dienen und gehorsam zu sein. Gib allen Ständen, Bürgern und Bauern, dass sie rechtschaffen werden und einander Liebe und Treue erzeigen. Gib gnädiges Wetter und Früchte der Erde. Ich befehle dir auch Haus, Hof, Weib und Kind; hilf, dass ich sie gut regiere und christlich ernähren und erziehen möge. Wehre und steure dem Verderber und allen bösen Engeln, die hierin Schaden und Hindernis tun, Amen.
Die fünfte Bitte: »Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigern«, und sprich: Ach lieber Herr, Gott Vater, gehe nicht mit uns ins Gericht, denn vor dir ist kein lebendiger Mensch gerecht. Ach, rechne uns auch nicht zur Sünde, dass wir, leider, so undankbar sind für all deine unaussprechliche Wohltat, geistlich und leiblich, und dass wir täglich vielmals straucheln und sündigen, mehr als wir wissen und merken können (Psalm 19, 13). Aber sieh du nicht an, wie gut oder böse wir sind, sondern deine grundlose Barmherzigkeit, in Christus, deinem lieben Sohn, uns geschenkt. Vergib auch all unsern Feinden und allen, die uns Leid oder Unrecht tun, wie auch wir ihnen von Herzen vergeben. Denn sie tun sich selbst damit das größte Leid, dass sie dich durch ihr Handeln gegen uns erzürnen, und uns ist mit ihrem Verderben nicht geholfen, sondern (wir) wollten sie viel lieber mit uns selig sehen, Amen. (Und wer hier fühlt, dass er nicht recht vergeben kann, der mag um Gnade bitten, dass er vergeben könne. Aber das gehört in die Predigt.)
Die sechste Bitte: »Und führe uns nicht in Versuchung«, und sprich: Ach, lieber Herr, Gott Vater, erhalte uns wach und frisch, eifrig und fleißig in deinem Wort und Dienst, dass wir nicht sicher, faul und träge werden, als hätten wir’s nun alles, damit uns der grimmige Teufel nicht überfalle und überrasche und uns wieder dein liebes Wort nehme oder Zwietracht und Spaltungen unter uns anrichte oder uns sonst in Sünde und Schande führe, geistlich oder leiblich. Sondern gib uns durch deinen Geist Weisheit und Kraft, dass wir ihm ritterlich widerstehen und den Sieg behalten, Amen. Die siebente Bitte: »Sondern erlöse uns von dem Bösen«, und sprich: Ach, lieber Herr, Gott Vater, es ist doch dieses elende Leben so voll Jammer und Unglück, so voll Gefährlichkeit und Unsicherheit, so voll Untreue und Bosheit (wie Paulus Epheser 5, 16 sagt: »Es ist böse Zeit«), dass wir zu Recht des Lebens müde und des Todes begierig sein sollten. Aber du, lieber Vater, kennst unsere Schwachheit. Darum hilf uns durch solch mannigfaltiges Übel und Bosheit sicher hindurch und, wenn die Zeit kommt, gib uns ein gnädiges Stündlein und seligen Abschied von diesem Jammertal, dass wir vor dem Tod nicht erschrecken noch verzagen, sondern mit festem Glauben unsere Seele in deine Hände befehlen. Amen. Zuletzt achte darauf, dass du das »Amen« jedes Mal stark machen musst und nicht zweifeln darfst, Gott höre dir gewisslich mit allen Gnaden zu und sage Ja zu deinem Gebet. Und denke ja (daran), dass du nicht alleine da kniest und stehst, sondern die ganze Christenheit, oder alle frommen Christen seien bei dir und du unter ihnen in einmütigem, einträchtigem Gebet, welches Gott nicht verachten kann. Und geh nicht (weg) vom Gebet, du habest denn gesagt oder gedacht: Wohlan, dieses Gebet ist bei Gott erhört, das weiß ich gewiss und fürwahr. Das heißt »Amen«.
Auch sollst du wissen, dass ich diese Worte nicht alle im Gebet gesprochen haben will. Denn da würde doch zuletzt ein Geplapper und nichts als leeres Gewäsch draus, aus dem Buch oder Buchstaben dahergelesen, wie die Rosenkränze bei den Laien und die Gebete der Pfaffen und Mönche gewesen sind. Sondern ich will das Herz damit angereizt und unterrichtet haben, was es für Gedanken beim Vaterunser fassen soll. Solche Gedanken aber kann das Herz, wenn’s recht erwärmt und zu beten geneigt ist, wohl mit ganz andern Worten, auch wohl mit weniger oder mehr Worten aussprechen. Denn ich selbst binde mich auch an solche Worte und Silben nicht, sondern spreche die Worte heute so, morgen anders, je nachdem mir zumute ist, bleibe aber doch gleichwohl bei denselben Gedanken und Sinn, so nahe ich immer kann. Es kommt wohl oft (vor), dass ich bei einem Stück oder einer Bitte in so viele Gedanken komme, dass ich die andern sechs alle anstehen lasse. Und wenn solche reichen, guten Gedanken kommen, so soll man die andern Gebete fahren lassen und solchen Gedanken Raum geben und still zuhören und sie beileibe nicht hindern. Denn da predigt der Heilige Geist selbst. Und ein Wort ist (von) seiner Predigt weit besser als tausend unserer Gebete. Und ich habe so auch oft mehr in einem Gebet gelernt als ich aus viel Lesen und Nachsinnen hätte kriegen können.
Darum ist es die Hauptsache, dass sich das Herz zum Gebet frei und geneigt mache, wie auch Sirach 18, 23 sagt: »Bereite dein Herz vor dem Gebet, auf dass du nicht Gott versuchst.« Was ist's anders als Gott versuchen, wenn das Maul plappert und das Herz anderswo zerstreut ist? Wie jener Pfaff, der auf diese Weise betet: Gott, lass mir Hilfe zukommen - Knecht, hast du angespannt? - Herr, eile mir zu helfen - Magd, geh und melke die Kuh! - Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem heiligen Geist - Lauf Bube, dass dich das Fieber schüttle! Solche Gebete habe ich während meiner Zeit im Papsttum viel gehört und erfahren, und es sind fast alle ihre Gebete dieser Art. Damit wird Gott verspottet, und es wäre besser, sie spielten statt dessen, wenn sie schon nichts Besseres tun könnten oder wollten. Denn ich habe selbst solche Stundengebete viel gebetet, leider, und so, dass der Psalm oder die Zeit aus war, ehe ich gewahr wurde, ob ich erst angefangen hatte oder schon mittendrin war.
Und obwohl sie nicht alle mündlich so herausfahren wie obgenannter Pfaff, die Geschäfte und das Gebet durcheinanderwerfen, so tun sie doch im Herzen mit den Gedanken so, kommen vom Hundertsten ins Tausendste, und wenn's aus ist, wissen sie nicht, was sie gemacht haben oder wo sie überall hindurchgekommen sind. Sie fangen an: »Lobet Gott« — flugs sind sie im Wolkenkuckucksheim. So meine ich: Es würde niemandem ein lächerlicheres Gaukelspiel begegnen können, als wenn er die Gedanken sehen könnte, die ein kaltes, unandächtiges Herz im Gebet zusammentreibt. Aber nun sehe ich, gottlob!, gut, dass es nicht ein feines Gebet ist, wenn einer vergisst, was er geredet hat. Denn in einem rechten Gebet gedenkt man gar fein aller Worte und Gedanken vom Anfang bis zum Ende des Gebets.
So auch ein guter, fleißiger Barbier: Er muss seine Gedanken, Sinne und Augen gar genau auf das Messer und auf die Haare richten und nicht vergessen, woran er sei, am Rasieren oder am Schneiden. Wenn er aber zugleich viel will plaudern und anderswohin denken oder gucken, würde er einem wohl Maul und Nase, die Kehle dazu abschneiden. So will auch jedes Ding, wenn es gut gemacht werden soll, den Menschen ganz haben mit allen Sinnen und Gliedern, wie man sagt: Ein auf vielerlei bedachter Sinn taugt weniger fürs einzelne. Wer man-
cherlei denkt, denkt nichts, macht auch nichts Gutes. Wie viel mehr will das Gebet das Herz einzig, ganz und allein haben, soll's anders ein gutes Gebet sein.
Das ist kurz vom Vaterunser oder vom Gebet gesagt, wie ich selbst zu beten pflege. Denn noch heute sauge ich am Vaterunser wie ein Kind, trinke und esse von ihm wie ein alter Mensch, kann seiner nicht satt werden; und es ist mir auch über den Psalter hinaus (den ich doch sehr lieb habe) das allerbeste Gebet. Fürwahr, es findet sich, dass es der rechte Meister aufgestellt und gelehrt hat. Und es ist ein Jammer über alle Jammer, dass ein solches Gebet eines solchen Meisters so ohne Andacht zerplappert und zerklappert werden muss in aller Welt. Viele beten im Jahr vielleicht etliche tausend Vaterunser, und wenn sie tausend Jahre so beten sollten, so hätten sie doch keinen einzigen Buchstaben oder Tüttel davon geschmeckt noch gebetet. Kurz: Das Vaterunser ist der größte Märtyrer (ebenso wie der Name und das Wort Gottes) auf Erden. Denn jedermann plagt es und missbraucht es, wenige trösten es und machen es fröhlich durch rechten Gebrauch.
Wenn ich aber Zeit und Raum habe außer dem Vaterunser, mache ich es mit den zehn Geboten auch so und hole ein Stück nach dem ändern, damit ich ja ganz frei werde (soweit es möglich ist) zum Gebet. Und ich mache aus einem jeglichen Gebot ein vierfaches oder ein vierfach gedrehtes Kränzlein, so nämlich: Ich nehme jedes Gebot zum ersten als eine Lehre an, wie es denn an sich ist, und denke, was unser Herr Gott darin so ernstlich von mir fordert. Zum zweiten mache ich eine Danksagung daraus, zum dritten eine Beichte, zum vierten ein Gebet, nämlich so oder mit dergleichen Gedanken und Worten:
1. »Ich bin der Herr dein Gott« usw. »Du sollst keine anderen Götter haben neben mir« usw.
Hier denke ich erstlich, dass Gott herzliche Zuversicht zu ihm in allen Sachen von mir fordert und mich lehrt und es sein hoher Ernst ist, dass er wolle mein Gott sein, dass ich ihn dafür halten solle bei Verlust der ewigen Seligkeit und dass mein Herz auf nichts sonst solle bauen noch trauen, es sei Gut, Ehre, Weisheit, Gewalt, Heiligkeit oder irgendeine Kreatur.
Zum zweiten mache ich eine Danksagung draus, zum dritten eine Beichte, zum vierten ein Gebet, und zwar so oder mit dergleichen Gedanken und Worten: »Ich bin der Herr, dein Gott«, usw. »Du sollst keine andern Götter haben neben mir« usw. Hier bedenke ich erstens, dass Gott von mir fordert und mich lehrt herzliche Zuversicht zu ihm in allen Sachen, und dass es sein hoher Ernst ist, dass er mein Gott sein wolle, dass ich ihn dafür halten solle bei Verlust der ewigen Seligkeit, und dass mein Herz sonst auf nichts bauen noch trauen solle, es sei Gut, Ehre, Weisheit, Gewalt, Heiligkeit oder irgendeine Kreatur. Zum zweiten danke ich seiner grundlosen Barmherzigkeit, dass er sich so väterlich zu mir verlorenem Menschen herunterneigt und sich mir selbst ungebeten, ungesucht, unverdient anbietet, mein Gott zu sein, sich meiner anzunehmen und (dass er) in allen Nöten mein Trost, Schutz, Hilfe und Stärke sein will. Wir armen, blinden Menschen haben doch sonst so mancherlei Götter gesucht und müssten sie noch suchen, wenn er sich selbst nicht so öffentlich hören ließe und sich uns in unserer menschlichen Sprache anböte, dass er unser Gott sein wolle. Wer kann ihm dafür immer und ewig genug danken?
Zum dritten beichte und bekenne ich meine große Sünde und Undankbarkeit, dass ich solche schöne Lehre und hohe Gabe durch mein ganzes Leben so schändlich verachtet und mit unzähligen Abgöttereien seinen Zorn so gräulich gereizt habe, das ist mir leid und ich bitte um Gnade.
Zum vierten bitte ich und spreche: Ach mein Gott und Herr, hilf mir durch deine Gnade, dass ich dies dein Gebot täglich besser lernen und verstehen und mit herzlicher Zuversicht danach tun möge. Behüte ja mein Herz, dass ich nicht mehr so vergessen und undankbar werde, keine anderen Götter noch Trost auf Erden noch in allen Kreaturen suche, sondern allein rein und fein an dir, meinem einzigen Gotte bleibe. Amen, lieber Herr, Gott Vater, Amen.
Danach (wenn ich will oder Zeit habe) das zweite Gebot auch so zum vierfachen Kränzlein gedreht, nämlich so: Das zweite Gebot: »Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen« usw. Erstens lerne ich, dass ich Gottes Namen herrlich, heilig und schön halten soll, nicht dabei schwören, fluchen, lügen, nicht hoffärtig sein, noch eigene Ehre oder Namen suchen, sondern demütig seinen Namen anrufen, anbeten, preisen und rühmen und das all meine Ehre und Ruhm sein lassen, dass er mein Gott ist und ich seine arme Kreatur und unwürdiger Knecht bin.
Zum zweiten danke ich für die herrlichen Gaben, dass er mir seinen Namen offenbart und gegeben hat, dass ich mich seines Namens rühmen und Gottes Diener, Kreatur usw. nennen lassen kann, dass sein Name meine Zuflucht ist, wie eine feste Burg (wie Salomo Sprüche 18, 10 sagt), zu welcher der Gerechte flieht und beschirmt wird.
Zum dritten beichte und bekenne ich meine schändliche, schwere Sünde, wider dies Gebot mein Lebtag getan, dadurch dass ich seinen heiligen Namen nicht allein unangerufen, ungerühmt und ungeehrt gelassen habe, sondern auch undankbar für solche Gabe gewesen bin und denselben zu allerlei Schande und Sünde missbraucht habe mit Schwören, Lügen, Betrügen usw., was mir leid ist, und (ich) bitte (deshalb um) Gnade und Vergebung.
Zum vierten bitte ich um Hilfe und Stärke, dass ich hinfort solches Gebot recht lernen möge und (Gott) mich vor solcher schändlichen Undankbarkeit, Missbrauch und Sünde wider seinen heiligen Namen behüte, sondern dass ich dankbar erfunden werde und in rechter Furcht und Ehre seines Namens.
Und wie ich oben beim Vaterunser gesagt habe, so vermahne ich abermals: wenn bei solchen Gedanken der Heilige Geist käme und anfinge in dein Herz zu predigen mit reichen, erleuchteten Gedanken, so tu ihm die Ehre: lass diese (von dir) gefassten Gedanken fahren, sei stille und höre dem zu, der’s besser kann als du. Und was er predigt, das merke und schreibe es auf, so wirst du, wie David (Psalm 119, 18) sagt, am Gesetz Gottes Wunder erfahren.
Das dritte Gebot: »Gedenke, dass du den Feiertag heiligest.«
Hierin lerne ich erstens, dass der Feiertag ein Gesetz ist, nicht zum Müßiggang, noch zu fleischlichem Wohlleben, sondern damit er von uns geheiligt werden solle. Durch unsere Werke aber und Tun wird er nicht geheiligt, denn unsere Werke sind nicht heilig, sondern durchs Wort Gottes, welches allein ganz rein und heilig ist, und alles heiligt, was damit umgeht, es sei Zeit, Stätte, Person, Werk, Ruhe usw. Denn durchs Wort werden unsere Werke auch heilig, wie Paulus 1. Timotheus 4, 5 sagt, so dass auch alle Kreatur durchs Wort und Gebet geheiligt wird. Darum erkenne ich hierin, dass ich am Feiertage vor allem Gottes Wort hören und bedenken, danach im selben Wort danken, Gott für alle seine Wohltat loben und für mich und alle Welt beten solle. Wer sich so am Feiertag verhält, der heiligt den Feiertag. Wer’s nicht tut, der tut ärger als die, die am Feiertag arbeiten.
Zum zweiten danke ich in diesem Gebot für die große, schöne Wohltat und Gnade Gottes, dass er uns sein Wort und Predigt gegeben und auf den Feiertag besonders zu üben befohlen hat, welchen Schatz kein menschliches Herz genugsam bedenken kann. Denn sein Wort ist das einzige Licht in der Finsternis dieses Lebens und ein Wort des Lebens, Trostes und aller Seligkeit. Und wo das liebe, heilsame Wort nicht ist, da ist nichts als schreckliche, gräuliche Finsternis, Irrtum, Spaltungen, Tod, alles Unglück und des Teufels eigene Tyrannei, wie wir täglich vor Augen sehen.
Zum dritten beichte und bekenne ich meine große Sünde und schändliche Undankbarkeit, dass ich die Feiertage mein Lebtag so lästerlich zugebracht und sein teures, wertes Wort so jämmerlich verachtet habe, so faul, unlustig und überdrüssig gewesen bin, dasselbe zu hören, geschweige, dass ichs herzlich begehrt oder jemals dafür gedankt hätte. Ich habe so meinen lieben Gott mir umsonst predigen und den edlen Schatz fahren lassen und bin mit Füßen darüber gegangen, was er mit eitel göttlicher Güte von mir geduldet und deshalb nicht abgelassen hat, mir immerfort zu predigen und mich zu meiner Seelen Seligkeit zu rufen mit aller väterlichen, göttlichen Liebe und Treue. Das ist mir leid, und ich bitte um Gnade und Vergebung.
Zum vierten bete ich für mich und alle Welt, dass der liebe Vater uns bei seinem heiligen Wort erhalten und dasselbe nicht um unserer Sünde, Undankbarkeit und Faulheit willen von uns nehmen wollte. Er wolle uns vor Sektengeistern und falschen Lehrern behüten, sondern sende uns treue und rechte Arbeiter in seine Ernte, das ist, treue und fromme Pfarrherrn und Prediger. Er gebe uns allen auch Gnade, dass wir deren Worte als Worte seiner selbst demütig hören, annehmen und ehren, dazu auch von Herzen dafür danken und loben usw.
Das vierte Gebot: »Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren.«
Erstens lerne ich hier Gott, meinen Schöpfer, erkennen, wie wunderbar er mich mit Leib und Seele geschaffen, mir aus meinen Eltern das Leben gegeben hat. Er hat ihnen das Herz gegeben, dass sie mir, als ihres Leibes Frucht, mit allen Kräften gedient, mich zur Welt gebracht, mich ernährt, mein gewartet, mich gepflegt und mich mit großem Fleiß, Sorge, Gefahr, Mühe und Arbeit erzogen haben. Und (er hat) bis auf diese Stunde mich, sein Geschöpf, an Leib und Seele vor unzähliger Gefahr und Not behütet und mir auch oft ausgeholfen, als schaffte er mich alle Stunde aufs neue. Denn der Teufel gönnt uns nicht einen Augenblick das Leben.
Zum zweiten danke ich dem reichen, gütigen Schöpfer für mich und alle Welt, dass er in diesem Gebot Vermehrung und Erhaltung des menschlichen Geschlechts gestiftet und bewahrt hat, das ist Haus- und Stadtwesen, oder Familienleben und öffentliches Leben. Denn ohne diese zwei Wesen oder Regimente könnte die Welt nicht ein Jahr bestehen, weil ohne weltliches Regiment kein Friede ist. Wo kein Friede ist, kann kein Hauswesen sein, wo kein Hauswesen ist, da können weder Kinder gezeugt noch erzogen werden und müsste der Vater- und Mutterstand ganz aufhören. Aber dafür steht dies Gebot ein und hält und bewahrt beide, Hauswesen und Stadtwesen, gebietet den Kindern und Untertanen Gehorsam, wacht auch darüber, dass es geschehen muss, oder, wenn es nicht geschieht, da lässt er’s nicht ungestraft. Sonst hätten die Kinder durch Ungehorsam längst alles Hauswesen und die Untertanen durch Aufruhr das Stadtwesen zerrissen und wüst gemacht, weil ihrer viel mehr sind als Eltern und Regenten. Darum ist solche Wohltat auch unaussprechlich.
Zum dritten beichte und bekenne ich meinen leidigen Ungehorsam und Sünde, dass ich entgegen diesem Gebot meines Gottes meine Eltern nicht geehrt habe noch (ihnen) gehorsam gewesen bin, sie oft erzürnt und beleidigt, ihre väterliche Strafe mit Ungeduld angenommen, gegen sie gemurrt, ihre treue Vermahnung verachtet habe, (und) vielmehr loser Gesellschaft und bösen Buben gefolgt bin, obwohl doch Gott selbst solchen ungehorsamen Kindern flucht und (ihnen) langes Leben abspricht, wie denn gar viele darüber auch schändlich umkommen und untergehen, ehe sie erwachsen werden. Denn wer Vater und Mutter nicht gehorcht, muss dem Henker gehorchen oder sonst durch Gottes Zorn böse um sein Leben kommen usw. Solches alles ist mir leid und ich bitte (deswegen) um Gnade und Vergebung.
Zum vierten bete ich für mich und alle Welt, dass Gott uns seine Gnade verleihen und seinen Segen reichlich ausschütten wollte, über Hauswesen und Stadtwesen, auf dass wir hinfort fromm werden, die Eltern in Ehren halten, den Herrschaften gehorsam sind, dem Teufel widerstehen und seinem Reizen nicht folgen zu Ungehorsam und Unfrieden und so mit der Tat das Haus und Land bessern und den Frieden erhalten helfen, Gott zu Lob und Ehren, uns selbst zu Nutz und allem Guten, und dass wir solche seine Gaben erkennen und dafür danken. Hier soll mit einbegriffen sein auch das Gebet für die Eltern und Oberherrn, dass ihnen Gott Verstand und Weisheit verleihe, friedlich und seliglich uns vorzustehen und zu regieren. Er behüte sie vor Tyrannei, Toben und Wüten und wende sie davon ab, damit sie Gottes Wort ehren, nicht verfolgen, noch jemand Unrecht tun. Denn solche hohen Gaben muss man mit Beten erlangen, wie Paulus (Römer 12, 12 und 1. Timotheus, 2, 1-2) lehrt, sonst ist der Teufel der oberste Abt zu Hofe und geht es übel und wüst zu.
Und wenn du auch Vater und Mutter bist, so ist’s hier Zeit, dass du deiner selbst nicht vergisst noch deiner Kinder und Gesinde, sondern mit Ernst bittest, dass der liebe Vater, der dich in seines Namens und Amtes Ehre gesetzt hat und dich auch Vater genannt und geehrt haben will, dir Gnade und Segen verleihe, dein Weib, Kind und Gesinde göttlich und christlich zu regieren und zu ernähren, dass er dir Weisheit und Kraft gebe, sie gut zu erziehen und ihnen ein gutes Herz und Willen, deiner Lehre zu folgen und gehorsam zu sein. Denn Gottes Gabe ist beides, Kinder und ihr Gedeihen, beides, wohl geraten und gut bleiben. Sonst wird ein Haus nichts anderes als ein Saustall, ja eine Bubenschule, wie man bei den gottlosen, zuchtlosen Menschen sieht.
Das fünfte Gebot: »Du sollst nicht töten.«
Hier lerne ich erstens, dass Gott von mir haben will, ich solle meinen Nächsten lieben, so dass ich ihm kein Leid an seinem Leibe tun soll, weder mit Worten noch mit Werken, nicht durch Zorn, Ungeduld, Neid, Hass oder irgendeine Bosheit mich an ihm rächen oder ihm Schaden tun, sondern wissen soll, dass ich schuldig bin, ihm zu helfen und ihm in allen seinen Leibesnöten zu raten. Denn er hat mir mit diesem Gebot meines Nächsten Leib zu bewahren befohlen und umgekehrt meinem Nächsten befohlen, meinen Leib zu bewahren. Und wie Sirach 17, 14 sagt: Er hat jedem von uns seinen Nächsten befohlen.
Zum zweiten danke ich hier für solche unaussprechliche Liebe, Sorge und Treue gegen mich, dass er eine solche große, starke Hut und Mauer um meinen Leib her gestellt hat, dass alle Menschen schuldig sein sollen, mein zu schonen und mich zu behüten, und umgekehrt ich auch gegen alle Menschen. Er wacht auch darüber, und wo es nicht geschieht, hat er das Schwert zur Strafe derjenigen befohlen, die es nicht tun. Sonst, wo dieses sein Gebot und Stiftung nicht wäre, sollte der Teufel ein solches Morden unter uns Menschen anrichten, dass keiner auch nur eine Stunde sicher leben könnte; wie es denn geschieht, wenn Gott erzürnt und die ungehorsame und undankbare Welt straft.
Zum dritten beichte und klage ich hier über meine und der Welt Bosheit, dass wir nicht allein für solche seine väterliche Liebe und Sorge für uns so gräulich undankbar sind, sondern, was ja doch überaus schändlich ist, dass wir (auch) solches Gebot und Lehre nicht kennen, auch nicht lernen wollen, sondern verachten, als ginge es uns nichts an oder als hätten wir nichts davon. Wir gehen dazu sicher einher, machen uns kein Gewissen, dass wir unsern Nächsten entgegen diesem Gebot so verachten, verlassen, ja verfolgen und verletzen, oder auch im Herzen wohl töten, folgen unserm Zorn, Grimm und aller Bosheit, als täten wir recht und wohl daran. Fürwahr, hier ist’s Zeit zu klagen und zu schreien über uns böse Buben und blinde, wilde, gütelose Menschen, die wir uns, wie die grimmigen Tiere, untereinander treten, stoßen, kratzen, reißen, beißen und fressen, und fürchten solch ernstes Gebot Gottes nicht usw.
Zum vierten bitte ich, es wollte der liebe Vater uns solch ein heiliges Gebot erkennen lehren und helfen, dass wir uns auch danach halten und leben. Er behüte uns alle miteinander vor dem Mörder, der alles Mordens und Schadens Meister ist (d, h. dem Teufel), und gebe seine reiche Gnade, dass die Menschen, und wir mit ihnen, gegeneinander freundlich, sanft, gütig werden, einander von Herzen vergeben und einer des anderen Mangel und Gebrechen christlich und brüderlich tragen und so in rechtem Frieden und Einigkeit leben, wie dies Gott uns lehrt und (von uns) fordert.
Das sechste Gebot: »Du sollst nicht ehebrechen.«
Hier lerne ich abermals, was Gott über mich denkt und was er von mir haben will: nämlich, dass ich keusch und züchtig und mäßig leben soll, sowohl mit Gedanken, wie mit Worten und Werken und einem jeglichen sein Weib, Tochter, Magd ungeschändet lassen soll, sondern ich soll vielmehr retten helfen, schützen und alles tun, was zur Erhaltung ihrer Ehre und Zucht dient, auch helfen die unnützen Mäuler zu stopfen, die ihnen ihre Ehre abschneiden oder stehlen. Denn solches alles bin ich schuldig, und Gott will’s von mir haben, dass ich nicht allein meines Nächsten Weib und die Seinen ungeschändet lassen, sondern auch schuldig sein soll, dass ich seine Zucht und Ehre erhalten und bewahren helfe, (genau so) wie ich wollte, dass mein Nächster gegen mich solches tun und dies Gebot an mir und den Meinen üben müsste.
Zum zweiten danke ich dem treuen, lieben Vater für solche seine Gnade und Wohltat, dass er mit diesem Gebot meinen Mann, Sohn, Knecht, Weib, Tochter, Magd in seinen Schutz und Schirm nimmt und so ernstlich und hart verbietet, dass man sie zu Schanden machen soll. Denn er gibt mir sicheren Schutz, wacht auch darüber und lässt’s nicht ungestraft (auch wenn er’s selber tun sollte), wenn jemand solches Gebot und Schutzbrief übertritt und bricht. Es entläuft ihm keiner. Er muss es entweder hier bezahlen oder solche Lust zuletzt im höllischen Feuer stillen. Denn er will Keuschheit haben und Ehebruch nicht leiden, wie wir’s denn täglich an allen unbußfertigen, ruchlosen Leuten sehen, dass Gottes Zorn sie schließlich ergreift und schändlich zu Grunde gehen lässt. Sonst wäre es nicht möglich, vor dem unsaubern Teufel eine Stunde (lang) sein Weib, Kind, Gesinde bei Zucht und Ehren zu erhalten. Es würden bloße Hundehochzeiten und viehisches Wesen daraus, wie es zugeht, wo Gott im Zorn seine Hand abtut und es drunter und drüber gehen lässt.
Zum dritten beichte und bekenne ich meine (und aller Welt) Sünde, wie ich wider dies Gebot mein Leben lang gesündigt habe, es sei mit Gedanken, Worten und Werken, und (wie ich) nicht allein für solche schöne Lehre und Gabe undankbar gewesen bin, sondern auch wohl gegen Gott gemurrt habe, dass er solche Zucht und Keuschheit geboten und nicht allerlei Unzucht und Büberei frei und ungestraft gelassen hat, (wie ich) den Ehestand verachtet, verspottet, verdammt gehalten usw. Wie denn die Sünden gegen dieses Gebot die auffälligsten und allerkenntlichsten vor allen andern sind, keinen Deckmantel noch Beschönigung haben. Das ist mir leid usw.
Zum vierten bitte ich für mich und alle Welt, dass uns Gott Gnade geben wolle, solches sein Gebot mit Lust und Liebe zu halten, dass wir nicht allein keusch leben, sondern auch andern dazu helfen und raten.
So fahre ich fort mit den andern Geboten, wenn ich Zeit und Weile habe oder mich gelüstet. Denn, wie ich gesagt habe, ich will niemand an diese meine Worte oder Gedanken gebunden, sondern mein Beispiel dargestellt haben, dem da folgen mag, wer da will, oder verbessern, wer’s kann, und auf einmal alle Gebote oder so viel ihn gelüstet, sich vornehmen. Denn die Seele, wenn sie auf ein Ding gerät, es sei böse oder gut, und es ihr ernst ist, so kann sie in einem Augenblick mehr denken, als die Zunge in zehn Stunden reden und die Feder in zehn Tagen schreiben kann, so ein geschicktes, subtiles und mächtiges Ding ist’s um die Seele oder den Geist. Darum hat sie die zehn Gebote durch alle vier Stücke gar bald zu Ende gebracht, wenn sie es tun will und es ihr ernst ist.
Das siebente Gebot: »Du sollst nicht stehlen.«
Erstens lerne ich hier, ich solle meines Nächsten Güter nicht nehmen noch wider seinen Willen haben, weder heimlich noch offenbar, nicht untreu noch unehrlich sein mit Handeln, Dienen, Arbeiten, damit ich das Meine nicht diebisch gewinne, sondern solle mich im Schweiß meines Angesichts nähren und mein eigenes Brot mit aller Treue essen. Weiter, dass ich helfen soll, dass meinem Nächsten (gleich wie mir selbst) das Seine durch oben genannte Stücke nicht genommen werde. Ich lerne auch, dass Gott durch solches Gebot mir mein Gut aus väterlicher Sorge und großem Ernst sichert und schützt, weil er gebietet, man solle mir nichts stehlen. Und wenn man’s nicht befolgt, so hat er die Strafe darauf gelegt, es dem Galgen und dem Henker anbefohlen, oder wenn der nicht kann, so straft er’s doch selbst, dass sie zuletzt Bettler werden müssen; wie man sagt: wer jung gern stiehlt, der geht im Alter betteln, ebenso: Unrecht Gut gedeiht nicht, und: übel gewonnen, böse zerronnen. Zum zweiten danke ich seiner Treue und Güte, dass er mir und aller Welt so gute Lehre und damit auch Schutz und Schirm gegeben hat. Denn wenn er nicht schützte, bliebe keinem ein Heller noch Bissen Brots im Hause.
Zum dritten beichte ich alle meine Sünde und Undankbarkeit, wo ich jemand mein Leben lang Unrecht und zu wenig oder Untreue getan habe usw. Zum vierten bitte ich, er wolle Gnade verleihen, dass ich und alle Welt dies sein Gebot doch lernen und bedenken und sich auch dadurch bessern möchten, damit doch des Stehlens, Raubens, Wucherns, Veruntreuens, Unrechts weniger werde, und in Kürze durch den Jüngsten Tag, auf den alles, aller Heiligen und Kreaturen Gebet, hinzielt (Römer 8, 19-23) ganz ein Ende werde, Amen.
Das achte Gebot: »Du sollst nicht falsch Zeugnis« usw.
Das lehrt uns erstens, wahrhaftig untereinander zu sein und allerlei Lügen und Verleumden zu meiden, gern das Beste von andern zu reden und zu hören. Damit ist unserm guten Ruf und (unserer) Unbescholtenheit eine Mauer und Schutz gestiftet wider böse Mäuler und falsche Zungen, welche auch Gott nicht ungestraft lässt, wie bei den andern Geboten gesagt.
Dafür sollen wir ihm danken, für die Lehre wie für den Schutz, die er uns so gnädig hiermit gibt.
Und zum dritten beichten und Gnade begehren, dass wir unser Lebtag so undankbar und sündlich mit Lügen, falschen, bösen Mäulern wider unsern Nächsten zugebracht haben, dem wir doch Rettung aller seiner Ehre und Unschuld schuldig sind, wie wir’s selbst gern hätten. Zum vierten bitten wir um Hilfe, solches Gebot hinfort zu halten, und um eine heilsame Zunge.
Das neunte und zehnte Gebot: »Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus, ebenso seines Weibes« usw.
Das lehrt uns erstens, wie wir mit keinem Schein des Rechtes unsers Nächsten Güter und was sein ist, ihm abspannen, abwenden, abdringen, sondern helfen sollen, dass er’s behalten möge, wie wir’s selbst gern uns geschehen lassen wollten. Das ist auch ein Schutz wider die schlauen Kniffe und Ränke der Weltweisen, die doch auch zuletzt ihre Strafe kriegen. Zum zweiten sollen wir dafür danken, zum dritten mit Reue und Leid unsere Sünde beichten, zum vierten um Hilfe und Stärke bitten, fromm zu werden und solches Gebot Gottes zu halten.
Das sind die zehn Gebote vierfach abgehandelt, nämlich als ein Lehrbüchlein, als ein Dankbüchlein, als ein Beichtbüchlein, als ein Betbüchlein. Hieraus sollte ja ein Herz zu sich selbst kommen und zum Gebet erwärmt werden. Aber sieh zu, dass du dir nicht alles (auf einmal) oder zu viel vornehmest, damit der Geist nicht müde werde. Ebenso soll ein gutes Gebet nicht lang sein, auch nicht lange aufgeschoben werden, sondern oft und brennend sein. Es ist genug, wenn du ein Stück oder ein halbes davon kriegen kannst, an dem du in deinem Herzen ein Feuerlein anzünden kannst. Nun, das wird und muss der Geist geben und im Herzen weiter lehren, wenn es so mit Gottes Wort in Einklang gebracht und von fremden Geschäften und Gedanken frei gemacht ist. Vom Glaubensbekenntnis oder heiliger Schrift ist hier nicht zu reden, denn das wäre ein unendliches Ding. Wer geübt ist, kann hier wohl einen Tag die zehn Gebote, den andern einen Psalm oder ein Kapitel aus der Schrift zu solchem Feuerzeug nehmen und in seinem Herzen damit Feuer anzünden.