18. Juni 1987
31. Ludwig-Hofacker-Konferenz
Worte haben wir, immer
mehr Worte, eine ganze Flut von Worten. Der Schöpfer hat uns einen Mund und
eine Stimme gegeben. Wir müssen nicht brüllen wie ein Löwe oder bellen wie ein
Hund oder zwitschern wie ein Vogel, sondern können reden wie ein Mensch. Seit
Adam haben wir das gesprochene Wort.
Dann entwickelten findige
Ägypter heilige Bildzeichen. Mit Griffel und Meißel gruben sie Hieroglyphen in
Platten und Steine ein. Andere Völker ahmten die Schriftsysteme nach. Seit
Pharao haben wir das geschriebene Wort.
Dann arbeitete der Mainzer
Johannes Gutenberg an der Verwirklichung seiner Idee. Das Problem des
Buchdrucks beschäftigte ihn Tag und Nacht. lm Jahre 1455 konnte er seine erste
lateinische Bibel vorlegen, ein prächtiges Meisterstück. Seit Gutenberg haben
wir das gedruckte Wort.
Dann gelang es,
menschliche Sprache elektrisch zu übertragen. Die Fernsprechtechnik setzte mit
großem Aufschwung ein. Telefonleitungen wurden gezogen, Telefongeräte wurden
installiert. Seit Edison haben wir das übermittelte Wort.
Dann wurde die drahtlose
Telegraphie eingeführt. Elektromagnetische Schwingungen trugen das Wort von
Antenne zu Antenne. über Detektorempfänger, dann Volksempfänger, dann UKW-Empfänger,
dann Stereo-Empfänger hörte man die neuesten Nachrichten vom fernsten
Kontinent. Seit Marconi haben wir das drahtlose Wort.
Dann brach der Siegeszug
der neuen Medien über uns herein. Audio und Video sind „in“ und werden morgen
noch „inner“ sein. Mit Videoplatte und Videotext, mit Textautomaten und
Breitbandkabel, mit BTX und EDV sind wir überschüttet. Seit jüngster Zeit haben
wir das flimmernde Wort.
Wirklich eine ganze Flut
von Worten, die uns ins Haus schwemmt. Aber sind wir damit auch reicher,
beglückter, zufriedener geworden? Haben wir damit auch Freude und Kraft und
Zuversicht gewonnen? Glauben wir, damit die Zukunft zu meistern? Wir leiden
doch an den gemeinen und verlogenen Worten, die uns vermehrt zu Ohren kommen.
Wir leiden doch an den schrecklichen und aufregenden Worten, die uns laufend
unter die Augen kommen. Wir leiden doch an den leeren und sinnlosen Worten, die
uns massenweise frei Haus geliefert werden. Die Inflation der Wörter macht Not.
Weil dem so ist, deshalb
horchen wir auf, wenn einer nicht vom übermittelnden, drahtlosen, flimmernden
Wort schwärmt, sondern auf das biblische Wort schwört. Auf Mose, Josua, Richter,
Könige, Jesaja, Jeremia, Matthäus, Markus, Lukas. Wir haben Gottes Wort. Hier
hat einer seine Hand nicht am Telefon. Hier hat einer seine Ohren nicht unterm
Kopfhörer. Hier hat einer seine Augen nicht auf dem Bildschirm. Hier hat einer
seine Hand, sein Ohr, sein Auge und sein Herz bei Gottes Wort. Paulus will mit
diesem Worte leben, und sein Schüler Timotheus soll dies auch, so wie es der russische
Dichter Mereschkowski gesagt hat: „ Täglich habe ich die
Bibel gelesen, und ich werde sie lesen, solange meine Augen sehen können und wo
immer es Licht ist. Sei es im Schein der Sonne oder im Schein des Herdes, am
hellen Tag oder in finsterer Nacht, im Glück
oder im Unglück. Was habe ich auf Erden vollbracht? Ich las die Bibel.“
Wir haben Gottes Wort, mit dem wir leben können.
Paulus will mit dem Wort sterben,
und sein Schüler Timotheus soll das auch, so wie es Martin Luther auf dem
Sterbebett geschrieben hat: „Du lege nicht Hand an diese göttliche Äneis, sondern
verehre gebeugt ihre Fußstapfen. Wir sind Bettler, das ist wahr.“ Wir haben
Gottes Wort, mit dem wir sterben können.
Paulus will mit diesem Wort
auferstehen, und sein Freund Timoheus soll das auch, so wie es ein Physiker
unsrer Tage formuliert hat: „ Wir existieren nur in der Hoffnung, dass dies nicht
alles ins Nichts hineinführt, sondern einem neuen Morgen entgegen. „Wir haben Gottes
Wort, mit dem wir auferstehen können.