Konrad Eißler
Predigt über Johannes 1,1-14
Wie begegne ich Gott tatsächlich?
Eine Abschrift nach dem Gottesdienst vom 19.06.2003
Ich lese den ganz großen Text, der das Johannesevangelium eröffnet, Johannes 1, die Verse 1-14
Im
Anfang war das Wort
und das Wort war bei Gott
und Gott war das Wort.
Dasselbe
war im Anfang bei Gott,
alle Dinge sind durch dasselbe gemacht
und ohne dasselbe ist nichts gemacht, was gemacht ist.
In Ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen.
Und
das Licht scheint in der Finsternis
und die Finsternis hat’s nicht begriffen.
Es
war ein Mensch, von Gott gesandt, der hieß Johannes.
Der kam zum Zeugnis, um von dem Licht zu zeugen,
damit sie alle durch Ihn glaubten.
Er war nicht das Licht, sondern er sollte zeugen von dem Licht.
Das
war das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet,
die in diese Welt kommen.
Er war in der Welt und die Welt ist durch Ihn gemacht,
aber die Welt erkannte Ihn nicht.
Er kam in Sein Eigentum und die Seinen nahmen Ihn nicht auf.
Wie
viele Ihn aber aufnahmen,
denen gab Er Macht, Gottes Kinder zu werden,
denen, die an Seinen Namen glauben,
die nicht aus dem Blut, noch aus dem Willen des Fleisches,
noch aus dem Willen eines Mannes,
sondern von Gott geboren sind.
Und
das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns
und wir sahen Seine Herrlichkeit,
eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater
voller Gnade und Wahrheit.
Johannes
gibt Zeugnis von Ihm und ruft:
Dieser war es, von dem ich gesagt habe,
nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist,
denn Er war eher als ich.
Und von Seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade um Gnade.
Denn
das Gesetz ist durch Mose gegeben,
die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden.
Niemand hat Gott je gesehen.
Der
Eingeborene, der Gott ist
und in des Vaters Schoß ist,
der hat Ihn uns verkündigt.
Amen
Darf ich Sie an eine ganz köstliche Geschichte erinnern, die vorne in der Bibel steht und die ich immer wieder gerne meinen Konfirmanden erzählt habe, liebe Freunde. Sie handelt von Jakob, der ein reich gesegneter Mann geworden ist. Der Segen im Alten Testament zeigt sich im Stall und in der Familie. Wer also viel Esel und Söhne hatte, wer viel Kühe und Töchter hatte, wer viel Kleinvieh und Enkel hatte, der war reich gesegnet – so wie Jakob. Und mit dieser Rinder- und Kinderherde lagerte er eines Tages in den Bergen. Bitte: Das war kein Camping im schönen Gebirge Gilead, sondern eine Verschnaufpause auf der Flucht vor dem Schwiegervater Laban.
Schon damals gab es Schwierigkeiten mit den Schwiegereltern, das ist tröstlich. Die Liebe zu ihnen wächst proportional mit der Entfernung.
Und deshalb hat er sich auch entfernt und freute sich seiner Ruhe. Aber diese Freude war nur von kurzer Dauer. Da schoss doch der wutentbrannte und zornerfüllte Laban den Berg herauf und schrie schon von Weitem: Zuerst abhauen und dann auch noch den Hausgott mitlaufen lassen. Dem Jakob verschlug es den Atem: 14 Jahre geschuftet wie ein Tier, um dann noch als Taschendieb hingestellt zu werden? Das sagte er nicht, das dachte er nur. Freundlich kam es über seine Lippen: „Ich habe ihn nicht geklaut, bitte suche ihn.“ Und dann begann die schwiegerväterliche Hausdurchsuchungsaktion. Alle Zelte wurden umgekrempelt, alle Gepäckstücke gefilzt, alle Kisten abgeklopft. Er hat sie nicht gefunden, er wurde immer nervöser, Schmucksachen und Wertsachen und Wanzen, aber seinen Gott nicht. So wurde dieser Laban der erste Gottsucher und der Gottsucher hat nichts gefunden.
Ich frage, wo finde ich Ihn?
Wo suche ich Ihn?
Wo finde ich Gott tatsächlich?
Ist aktuell – Gott suchen ist topmodern. Heute suchen sie wieder. Sie heißen nicht mehr Laban, sie heißen heute Meier und Schulze und Müller, aber das Tun ist genau dasselbe. Sie suchen am Morgen im Wald, denn der „liebe Gott“ geht „durch den Wald“. Sie suchen mittags zwischen den Buchdeckeln, denn dort hat sich der Weltgeist verklemmt, und abends suchen sie in der eigenen Brust, denn er liegt in unserer Seele. Und nachts suchen sie am Himmel, denn „droben überm Sternenzelt muss ein guter Vater wohnen“.
Sie suchen und filzen und klopfen. Sie exegesieren und meditieren und diskutieren, aber ihren Gott, ihren Gott finden sie nicht.
Gottsucher sind jämmerliche Gestalten, die am Schluss nur noch sagen können: „Einen Gott gibt es nicht“.
Und wenn sie auch zu den Gottsuchern gehören, und wenn Sie sich auch aufgemacht haben, und wenn Sie sich auch die Augen ausgucken, dann hören Sie: Sie haben sich verhört!
Sie müssen sich nicht aufmachen, Sie müssen nicht die Augen aufmachen, Sie müssen nicht Gott suchen. Gott sucht Sie!
Das ist der Punkt. Gott sucht Sie!
Er hat sich aufgemacht, Er hat die Augen aufgemacht, Gott ist auf
Menschensuche.
In Jesus ist Er Mensch geworden.
In Jesus ist Er Fleisch geworden.
In Jesus ist Gott auf Menschensuche.
Deshalb: In Jesus finde ich Gott tatsächlich. Von Ihm handelt dieser gewaltige Text. Nach neuesten Erkenntnissen ist es ein Lied. Ich würde gerne dieses Lied titeln mit dem Wort „daheim“.
Daheim. Und schauen wir in die erste Strophe hinein. Nämlich:
Jesus, der ein Daheim hat.
Das ist das Erste, was ich hier herauslese,
Jesus, der ein Daheim hat.
Der Vogel, der in den Bäumen zwitschert, der hat ein Nest.
Und die Katze, die durch den Garten schleicht, hat einen Korb.
Und der Hund, der die Leute verbellt, hat eine Hütte.
Und das Pony, das die Kinder erfreut, hat einen Stall.
Ein Heim hat nur der Mensch. Ein Haus hat nur der Mensch. Eine Heimat, in dem es ihm heimelig wird, hat nur der Mensch.
Menachim ist Hotelbesitzer in Ariel im Westjordanland. Im letzten Jahr hat er
einen Terrorangriff überlebt. Nicht wie der Kaufmann, der heute Morgen im
Westjordanland sein Leben lassen musste bei einem Terrorangriff.
Menachim flog 25 Meter durch die Luft, blieb am Faden des Lebens und kam ins
Hadassah-Krankenhaus. Und jetzt ist er zurückgekehrt. Und vor wenigen Wochen,
als wir ihn besuchten, fragten wir ihn: Tja, warum bleibst du denn hier,
Menachim? Warum suchst du dir keinen besseren, sicheren Platz als gerade Ariel?
Und dann sagte er: Hier hat doch Abraham sein Zelt aufgeschlagen. Hier haben
doch meine Väter gewohnt. Hier sind doch meine Wurzeln. Hier bin ich daheim!
Jeder kommt von seinem daheim nicht los.
Der eine ist auf dem Land geboren. Seine besten Kinderjahre verbrachte er auf dem heimatlichen Hof. Felder und Wälder und gute Luft haben ihn geprägt. Und der andere ist in der Kleinstadt geboren, so wie ich. Seine besten Jugendjahre verbrachte er rund um den Marktplatz. Ordentlichkeit und Pünktlichkeit und ein enger Kirchturms-Horizont haben ihn geprägt. Und der dritte ist in der Metropole geboren, seine besten Lebensjahre verbrachte er zwischen Killesberg und Fernsehturm. Großes Haus und kleines Haus und das Affenhaus in der Wilhelma haben ihn geprägt.
Aber Jesus ist im Kuhstall geboren und in
der Schreinerwerkstatt groß geworden. Seine besten Jahre verbrachte Er in der
Provinz. Aber Provinzialität und Hinterwäldlertum haben ihn nicht geprägt. Um
Sein Daheim zu verstehen, müssen wir weiter zurück in die Geschichte.
Nicht nur bis zum Tempel, wo ein Zacharias zuhause war. Viel weiter. Zurück,
nicht nur bis zum Königshaus, wo ein David zuhause war. Wir müssen viel weiter
zurück in der Geschichte. Nicht nur bis zur Stiftshütte, wo ein Mose zuhause
war. Wir müssen viel, viel weiter zurück. Wir müssen bis zum Anfang aller
Dinge.
Am Anfang war Gott. Am Anfang war das Wort. Am Anfang war das Wort bei Gott, war Jesus bei Gott.
Wir können uns den Zusammenhang zwischen
Vater und Sohn nicht eng genug vorstellen. Johannes denkt hier über die
sogenannte Präexistenz nach. So, wie es Jochen Klepper auch gemacht hat. Wir
denken ja in diesem Jahr an den 100. Geburtstag dieses großartigen Dichters und
Denkers, der sich leider das Leben genommen hat. Und im Jahre 1940, in der
Heiligen Nacht 1940, als sich der Himmel über den Juden immer mehr zuzog, da
schrieb er:
„Wo warst Du, Herr, vor dieser Nacht? Der Engel Lob ward Dir gebracht. Bei Gott
warst Du vor aller Zeit. Du bist der Glanz der Herrlichkeit.“
Freunde, darum geht es, wieder zu erkennen, Jesus, nicht irgendeine großgewordene Person, nicht irgendein wichtiger Held, „Du bist der Glanz der Herrlichkeit.“
Was haben wir aus diesem Gottessohn gemacht? Wir legen Ihn als süßes, kitschiges, liebes Jesuskindlein ins Kripplein, über dem die Rokoko-Engelchen flattern und pausbackige Hirtenbuben in ihre Schalmeien blasen. Warum? Warum nehmen wir diesen Jesus aufs Ärmchen und machen Ihn zu einem Bild der Kindlichkeit? Aber Jesus ist doch der Glanz der Herrlichkeit! Warum taufen wir Ihn zu einem sympathischen, aufgeweckten Mädchen namens Jesa Christa um und setzen Ihn an die Spitze der Frauenbewegung? Wie können wir Ihn immer wieder neu verwenden für unsere verschiedenen Ziele und machen Ihn nur zu einem Bild der Weiblichkeit? Aber Er ist doch der Glanz der Herrlichkeit! Warum spannen wir Ihn vor unseren Karren, den wir gerne auf dem hohen Bock der Einbildung und durch die Höhe der Zeit gerne ziehen? Warum degradieren wir Ihn zum Karrengaul und machen Ihn zu einem Bild der Jämmerlichkeit? Aber Jesus ist doch der Glanz der Herrlichkeit!
In Ewigkeit sind Seine Wurzeln, im Himmel ist Er daheim. Sören Kierkegaard hat doch recht gehabt, wenn Er gesagt hat, „die einzige Neuigkeit in Erdentagen ist der Ewigkeit Anfang in Jesus Christus.“ Das ist die einzige Neuigkeit, die Sie begreifen müssen, Jesus, der Ewigkeit Anfang. Das ist Jesus.
Vor einigen Jahren bin ich einem Mann
begegnet, der wusste, dass ich selber in Oberndorf am Neckar geboren wurde. Und
dann fragte er mich, im Krieg habe er bei seiner Truppe einen Eißler getroffen.
Ob ich denn den zufällig kenne, ihm sei er völlig aus dem Blick gekommen und er
würde gerne wieder etwas von ihm hören. Bei einer Tasse Kaffee erzählte ich ihm
dann:
Das war ein beherzter Jurist, der sich auch um Juden und Zigeuner kümmerte als
Rechtsanwalt, obwohl es eine todgefährliche Sache war. Und dann war er auch ein
bekennender Christ, der Verbindung zu Widerstandskreisen hatte und nie
Parteigenosse geworden ist. Aber vor allem sehr bekannt, dass er ein guter
Familienvater war. Er hatte sechs Kinder. Nun, dort war nicht immer Friede,
Freude, Eierkuchen. Manchmal gab es auch Zoff und die Bauklötze flogen nur so
um den Wandspruch, der dort auf der Wand aufgehängt war, „Siehe, wie fein und
lieblich ist es, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen.“ Aber das stellte
er mit einem Machtwort wieder her.
Mein Gegenüber bekam immer größere Augen
und fragte schließlich, woher wissen Sie denn das alles? Und dann sagte ich
ihm:
Dieser Eißler war mein Vater.
In Oberndorf sind meine Wurzeln. Im Neckartal bin ich daheim.
Sehen Sie: So ist das bei Jesus. Gott ist
Sein Vater. Im Himmel liegen Seine Wurzeln. In der Ewigkeit ist Er daheim.
Keiner weiß mehr über Gott, niemand kann besser über Ihn Auskunft geben. In
Jesus begegnet uns Gott tatsächlich. Jesus, der ein Daheim hat. Das ist die
erste Strophe unseres Liedes.
Und die zweite Strophe: Jesus, der ein Daheim sucht.
Sie haben richtig gehört! Jesus, der ein
Daheim sucht. Der, der ein Daheim hat, sucht ein Daheim. Hat Er Sein Daheim
über? Will Er Abstand gewinnen von Seinem Vater? Will Er sich endlich selbst
verwirklichen?
O, wir Eltern kennen das ja schmerzlich. Da haben wir Kinder und wir geben
alles für sie. Sie haben einen Hausschlüssel, sie haben ein mietfreies Zimmer,
sie haben kostenlosen Putz- und Waschdienst und dazu noch freien Zugriff zur
Kühltruhe. Und trotzdem, eines Tages packen die Kids die Koffer, ziehen aus und
richten sich woanders ein.
Warum nur? Warum sucht der, der ein Daheim
hat ein neues Daheim?
Sein Grund ist nicht Emanzipieren sondern Partizipieren. Er will Anteil nehmen
an unserem Elend. Er weiß doch, wie es bei Ihnen zuhause aussieht. Er weiß
doch, was bei Ihnen zuhause losgeht. Er weiß, was bei Ihnen zuhause abgeht:
Heimweh im eigenen Heim. Heimatlos in der eigenen Heimat. Wie Heimatvertriebene
im fremden Land, die den Vers auf den Lippen haben, dass nicht vergessen werde,
was man so gerne vergisst, dass diese unsere Erde nicht unsere Heimat ist. Gott
weiß doch, dass wir Seinen Sohn brauchen, das weiß Er, dass Sie und ich Ihn
brauchen. Und deshalb geht der Vater zu Seinem Sohn und sagt:
Willst du die Lichterherrlichkeit verlassen? Willst du in der Finsternis ein
Licht anzünden? Willst du ihnen das Wort bringen?
Himmel und Erde halten den Atem an, atemlose Stille im Kosmos. Alles wartet auf
diese entscheidende Antwort über unserem Leben.
Und in diese nicht mehr erträgliche Stille
hinein sagt Jesus:
Ja, Vater. Ja, von Herzensgrund!
Und dann legt Er die Königskrone ab.
Und dann legt Er den Königszepter beiseite.
Dann zieht Er den Königsmantel aus.
Dann steckt Er die ganze Lichtherrlichkeit weg, um in unserer Finsternis ein Licht anzuzünden.
Wenn es nach Seinem Kopf gegangen wäre, dann wäre Er dort geblieben. Aber es ging nach Seinem Herzen und dieses Herz ist prall voller Liebe.
Liebe Freunde: Deshalb kam Jesus zur Herde und deshalb wurde das Wort Fleisch. Und deshalb sucht der, der ein Daheim hat, ein neues Daheim.
Aber dann, dann passiert das Unfassliche
und Unbegreifliche: Da stand kein Empfangskomitee bereit. Da waren keine roten
Läufer ausgerollt. Da gab es keine standing ovations, keine flowers, da gab es
gar nichts. Es ging Ihm wie dem Lanzer im Jahre 1943. Der bekam Kurzurlaub und
telegrafierte nach Hause. Aber als der Zug auf dem Bahnhof einrollte, war
niemand zur Abholung da. Er rannte nach Hause, aber die Tür war verschlossen.
Er läutete, er klopfte, er rief.
Schließlich wurde ihm aufgemacht – kühl, abweisend war die Atmosphäre. Einige
Möbel waren verkauft, man merkte, die Frau brauchte anscheinend Geld für ihr
dolce vita. Und als er sie darauf ansprach, wies sie ihm die Tür und sagte, „Du
kannst dich ja scheiden lassen, wenn du willst.“
Von fremden Leuten die Tür gewiesen bekommen, damit muss man rechnen. Aber von den eigenen vor die Tür gesetzt zu werden, das ist Trauer und tiefster Schmerz. Diese bodenlose Gemeinheit erlitt der Lanzer im Jahre 1943. Diese bodenlose Gemeinheit erlitt der Sohn Gottes im Jahre 0.
Er kam in Sein Eigentum und sie hatten keinen Raum in der Herberge. „No room“. Kein Zimmer frei, stand am Stall. Kein Zimmer frei. Und kaum war er geboren, da wurde er steckbrieflich gesucht. „Jesus wanted“, hätte man heute auf Fahndungsplakate geschrieben. „Jesus gesucht“. Nur mit einer Nacht- und Nebelaktion konnte er nach Ägypten entfliehen. Und weil es keine Abschiebepraxis gab, überlebte er. Er kam in Sein Eigentum, und sie warfen Ihn hochkant aus der Stadt. Wenn er Brot auf den Ladentisch legte, war es o.k., aber von dem Brot des Lebens wollten sie nichts wissen. Und wer sagte, „Kehret um, tut Buße“, dann ging es ihnen senkrecht auf den Geist.
Schließlich wurde Er festgenommen, vor den Kadi geschleppt, und der machte kurzen Prozess. Verurteilung zum Tode. Er kam in Sein Eigentum, und sie gerbten Ihm die Haut. Sie drückten Ihm eine Dornenkrone auf den Kopf und gaben Ihm ein Blechrohr in die Hand. „Siehe, das ist der Juden König“. Mit ein paar Zimmermannsnägeln nieteten sie an den einzig freien Platz, der für Ihn übrig war, nämlich den am Kreuz. Mit einem Längsbalken und einem Querbalken verrammelten sie den Zugang zu uns.
So verschied Er, „Es ist vollbracht.“
So war Er ein toter Mann. Er kam in Sein Eigentum, und die Seinen nahmen Ihn nicht auf. Liebe Freunde, Gott sei Dank ist das nicht das Ende der Geschichte!
Ostern hat alles auf den Kopf gestellt. Aus
Karfreitag wurde Ostern, aus dem Gekreuzigten der Auferstandene, aus den Toten
der Lebendige. Als Sieger ist Er unter uns. Als der, der den Tod und die Schuld
besiegt hat. So ist Er unter uns. Achten wir nicht auf einen Brüllenden, der
uns von oben her anschreit, achten wir nicht auf einen Polternden, der sein
Eigentumsrecht verlangt, schauen wir nicht auf einen Eigensüchtigen, der uns
aus der Wohnung nimmt – achten wir jetzt auf einen Klopfenden.
Einer, der durch unsere Stadt geht. Einer, der jetzt in diesen Saal kommt,
einer, der jetzt durch diese Reihen geht und vor jedem stehen bleibt und sagt:
„Siehe, ich stehe vor deiner Tür und klopfe an. So jemand meine Stimme hören
wird und auftun, zu dem werde ich eingehen. Jesus, der ein Daheim sucht.
Aber sehen Sie, damit sind wir beim dritten Vers, Jesus der ein Daheim schafft, weil wir geschafft sind und nicht mehr es selber schaffen können.
Es gibt nur Eins. Sie müssen die Tür weit aufmachen. Sie müssen die Klinke des Vertrauens in die Hand nehmen, Sie müssen den Riegel des Zweifels zurückschieben. Sie müssen ganz weit aufmachen und sagen: „Sei mir willkommen, lieber Gast, sei mir willkommen, hoher Gast, der Du den Sünder nicht verschmähet hast.“
Und wenn Sie es nachsprechen – Er kommt. Er bleibt. Er ist bei Ihnen da. Er schafft Sein Daheim bei Ihnen.
Liebe Freunde, im Wort ist Er da.
Erlauben Sie mir noch drei Erinnerungen eines alten Mannes.
Kriegszeit: Die Front rückte näher. Schon in der Ferne hörte man die Geschütze der französischen Kanonen und meine Mutter sagte, wenn wir jetzt dann in den Bunker müssen, dann nehmt bitte zwei Dinge mit:
Nämlich euer Bett und eure Bibel. Schutz
vor Leib und Seele. Bett und Bibel. Und dann heulten die Sirenen. Und dann
schnappten wir uns unser Bett und unsere Bibel und stürzten in den Keller. Und
dort scharten wir uns um unsere Mutter. Und als die ersten Bomben fielen, die
Mauern erzitterten, da las unsere Mutter seelenruhig uns die Geschichte vom
Sturm auf dem Meer. Und dann heißt es,
da stand Jesus auf, streckte Seine Hand aus und sagte „Schweig und verstumme“.
Da ward eine große Stille.
Ein starkes Wort. Selbst der Bunker wurde zu einem Daheim. Das war die
Kriegszeit.
Und die Nachkriegszeit: Hungerzeit. Die
Mutter hatte kaum uns Kinder zu ernähren, welche Freude, als dann die ersten
Kehrpakete aus Amerika eintrafen. Wie die hungrigen Wölfe stürzten wir uns über
diese Pakete und rissen sie auf. Köstlichkeiten! Und – dort war eben nicht nur
Kaffee und Kakao, dort war auch, und wie oft habe ich es erzählt, da war auch
ein kleines Neues Testament in Deutsch gedruckt, von den Feinden in Deutsch
gedruckt. Das vergesse ich den Amerikanern nicht.
Und die erste Seite war eine Widmung, nämlich: So hat Gott die Welt geliebt,
dass Er Seinen einzigen Sohn gab, auf dass alle, die an Ihn glauben, nicht
verloren werden. Aber statt dem „alle“ waren Punkte und dort hieß es, man solle
seinen eigenen Namen eintragen. Ich als der bescheidenste von allen Kindern
riss mir dieses Testament unter den Nagel und schrieb dort mit Druckschrift ein
meinen Namen. Und so las ich: „Auf dass Konrad Eißler, der an Ihn glaubt, nicht
verloren geht, sondern das ewige Leben hat.“
In Hungerzeiten, in Kriegszeiten, in Notzeiten nicht verloren geht. Tragen Sie heute Ihren Namen dort ein, ein starkes Wort. Selbst das Esszimmer mit halb vollen und leeren Schüsseln wurde zum Daheim.
Und dann: Unruhezeiten. Der Terror ging um. Die Baader Meinhof – Leute saßen in Stammheim fest. Drüben in der Stiftskirche, da sammelte sich eine große Gemeinde zum Gottesdienst. Und als das Predigtlied verklungen war und ich auf der Kanzel mit der Predigt beginnen wollte, standen links und rechts neben mir zwei Sympathisanten. Dunkle Gestalten. Sie wollten ein Manifest verlesen. Aber ich erlaubte es nicht. Es wurde unruhig im Kirchenschiff. Und dann rief ich: Wir singen „Lobe den Herren, den mächtigen König der Ehren“ und stehen dazu auf. Und dann setzte die Orgel brausend ein, Tutti. Und die Gemeinde sang. Lobe den Herrn, den mächtigen König.
„In wie viel Not, hat nicht der gnädige Gott über dir Flügel gebreitet“. Und plötzlich waren die beiden Männer verschwunden. Und in diese Stille dieses Sonntagmorgens hinein las ich: „Fürchte dich nicht, denn ich habe dich erlöst, ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein“. „Ich bin der Herr, dein Gott, der Heiland, der Heilige Israels.“ Ein starkes Wort.
Selbst der massiv gestörte Gottesdienst wurde zum Daheim.
So wie dieser Saal, zum Daheim.
Liebe Freunde, wo auch immer wir dieses Wort aufschlagen, sind wir nicht mehr in der Fremde. Auch nicht im Krankenzimmer, auch nicht im Sterbezimmer, wo immer wir dieses Wort aufschlagen, sind wir nicht mehr in der Fremde.
In Seinem Wort begegnet uns Gott tatsächlich. Seine Stärke hilft unserer Schwachheit auf, seine Fülle deckt unseren Mangel.
Nikolaus Ludwig Graf von Zinzendorf hat doch recht gehabt, wenn er sagte: „Der Heiland, der alle meine Sachen disponiert, der kann es so machen, dass mir es mit Seinem Wort überall heimatlich ist – und wenn es in der Wildnis wäre.“
Amen