Falsche und richtige Ausrichtung (Galater 4, 8-20)

 

Gliederung:

1. Falsche Grundlagen ablegen (Galater 4, 8-11)

2. Falschen Eifer ablegen (Galater 4, 12-18)

3. Christus immer mehr anziehen (Galater 4, 19-20)

 

Einführung

Wie sollen wir unser geistliches Leben ausrichten? Was ist die Grundlage für diese Ausrichtung? Paulus zeigt, dass es einen falschen und einen richtigen Umgang mit dem mosaischen alttestamentlichen „Gesetz“, der Tora, gibt. Die Tora selbst kann weder die Grundlage für die Vergebung der Sünden sein noch kann sie die Kraft verleihen, ein Leben als Christ nach dem Willen Gottes zu führen. Paulus legt zudem dar, dass ein Leben auf falscher Grundlage, dessen Zentrum nicht Jesus Christus ist, zu einem falschen Eifer führt, der für die Gemeinde Jesu zerstörerisch ist. Es geht darum, Jesus Christus nicht nur durch den Glauben in sein Leben aufzunehmen, sondern auch durch ihn und seine Kraft das neue Leben in der Liebe Gottes wirksam werden zu lassen.

Um die Problematik in den Gemeinden von Galatien, mit der sich Paulus in dem Galaterbrief auseinandersetzt, zu verstehen, brauchen wir zunächst eine Einsicht in den philosophisch-theologischen Hintergrund.

 

1. Falsche Grundlagen ablegen (Galater 4, 8-11)

Paulus spricht in Galater 4, 9 wie bereits in Galater 4, 3 von den „Elementen der Welt“, unter denen die Empfänger des Galaterbriefs einst „versklavt“ waren, und nun neigen sie, in diese Versklavung zurückzufallen. Damit stellt sich die wichtige Frage, was mit den „Elementen der Welt“ gemeint ist. Diese Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten. Es braucht dafür ein bisschen Verständnis von antiker Philosophie.

U. a. die Pythagoräer gingen davon aus, dass diese Welt aus vier Elementen besteht, nämlich aus Erde, Luft, Feuer und Wasser. Dabei verstandt man diese Elemente auch als Vermittler zwischen der menschlichen und der göttlichen Welt, womit ihnen göttliche Eigenschaften zugeschrieben wurden. Philo von Alexandria, der diese Philosophie mit dem mosaischen Gesetz verbindet, verwendet den Ausdruck „die Elemente der Welt“ zweimal (Her 140; Aet 109), und viermal spricht er von den „Elementen des Alls“ (vgl. Mos 1, 96; Spec 2, 255; Virt 73; Flacc 125), wobei er immer wieder auf die „vier Elemente“ (Erde, Luft, Feuer und Wasser) verweist, aus denen das Weltall bestehen soll und die es nach Philo „zusammenhalten“ bzw. ihm Bestand geben (vgl. z. B. Her 282). Auch der menschliche Körper besteht demnach aus diesen vier „Elementen“. Das gilt allerdings nicht für „das geistige und himmlische Geschlecht der Seele“,

„das zum reinsten Äther als dem Vater gelangen; denn es soll, wie das Wort der Alten [sagt], nicht ein fünftes [Element] geben, ein kreisbildendes Wesen, das sich von den vier [Elementen] unterscheidet, aus dem die Sterne und der gesamte Himmel geschaffen sind, wie es scheint, woraus gefolgert werden muss, dass auch die menschliche Seele als [göttlichen] Teil [des Äthers zu betrachten ist]“ (Her 283).

Philo weist demnach 1. Mose 15, 15 auf die Versetzung der völlig geläuterten, unsterblichen Seele in den Himmel, in den Äther, bestehend aus dem fünften Urstoff (Her 276). Der Körper werde dagegen der Vernichtung übergeben, und zwar der Auslösung in die vier Urkräfte, die „Ele-mente“ des Kosmos, aus denen er zusammengesetzt wurde. Nach Philo sind diese unbeseelt und aus sich selbst heraus unbewegt (Cont 4). Wer sie vergöttliche, verehre das Gewordene/Geschaffene vor dem Schöpfer (Spec 2, 255). Dagegen gehört das mosaische „Gesetz“, die Tora, bei Philo als pädagogisches Mittel gegen die Verachtung des Fleisches und zur Läuterung der Seele (vgl. z. B. Spec 2, 25.147) ganz auf die himmlische Seite. Durch die Hilfe des „Gesetzes“ erlangt der Mensch Befreiung von dem ihn knechtenden Fleisch.

Paulus spricht in Galater 4, 3.9 von der Versklavung unter den „Elementen der Welt“, wonach gemäß Galater 4, 10 offenbar die Beachtung von Tagen, Monaten, Zeiten und Jahren gehört. In diesem Zusammenhang kann auch ein Text aus dem apokryphen Buch „Weisheit“ eine Erklärungshilfe bieten:

„Denn er gab mir untrügerische Erkenntnis der seienden Dinge, so dass ich den Bestand/Zusammenhalt der Welt und das Wirken der Elemente begreife (εἰδέναι σύστασιν κόσμου καὶ ἐνέργειαν στοιχείων): Anfang, Ende und Mitte der Zeiten; wie die Tage zu- und abnehmen; wie die Jahreszeiten wechseln und wie das Jahr umläuft und wie die Sterne stehen; die Natur der Tiere und die Kraft der Raubtiere; die Macht der Geister und die Gedanken der Menschen; die Vielfalt der Pflanzen und die Kräfte der Wurzeln. So erkannte ich alles, was verborgen und was sichtbar ist; denn die Weisheit, die alles kunstvoll gebildet hat, lehrte es mich“ (Weish 7, 17-21).

Paulus schreibt in Galater 4, 3, dass „wir, als wir Unmündige waren, unter die Elemente der Welt versklavt waren“. Doch als „die Fülle der Zeit kam, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau, geboren unter Gesetz, damit er die unter Gesetz loskaufte, damit wir die Sohnschaft empfingen“ (Galater 4, 4-5). Damit bezieht er sich offensichtlich auf das mosaische „Gesetz“, die Tora. Der Schlüssel dieser Verbindung der „Elemente“ mit der Tora finden wir möglicherweise in Galater 3, 21: „Denn wenn ein Gesetz gegeben worden wäre, das lebendig machen kann, dann käme Gerechtigkeit sicherlich aus dem Gesetz.“ Doch zur Zeit des Alten Bundes „wurden wir unter dem Gesetz [als Gefangene] verwahrt“ (Galater 3, 23), und so ist die Tora „unser Zuchtmeister/Erzieher (παιδαγωγός) auf Christus hin geworden“ (Galater 3, 24). In Wirklichkeit war es die Sünde, die den Menschen gefangen hielt (Galater 3, 22). In Galater 4, 8f. verbindet Paulus die „schwachen und armseligen Elemente“, „denen ihr wieder dienen wollt“, mit denen, „die von Natur nicht Götter sind“ und denen die Empfänger des Galaterbriefs früher gedient haben. Damit ist nicht gesagt, dass das mosaische Gesetz auf die Stufe dieser Götzen gestellt wird. Es wird aber deutlich zum Ausdruck gebracht, dass beide nicht von der Sünde retten können.

Somit scheint es sich bei den „Elementen“, die Paulus in Galater 4, 3.8f. anspricht, um eine Mischung zwischen grie-chisch-philosophischen und jüdischen Tora-Ansichten zu handeln. Während die Griechen die Erlösung darin sahen, dass man im Einklang mit dem „Weltgesetz“, das als göttlich betrachtet wurde, lebt, ist die Tora für Juden die Grundlage für die Schöpfung und für die Erhaltung der Welt und auch für die Erlösung des Menschen. Das Beachten von Elementen aus der Tora wie der Beschnei-dung, der Sabbatheiligung und der Feste sowie des Neu-mondes (vgl. dazu 4. Mose 2, 8, 11-14) wird somit zur Grundlage der Erlösung und somit als conditio sine qua non, als „Bedingung, ohne welche nicht“ Erlösung kommen kann, bzw. vor Mittel zur Erlösung betrachtet.

Von den „Elementen der Welt“ ist auch in Kolosser 2, 8.20 die Rede, die nach Kolosser 2, 8 zur „Überlieferung der Men-schen“ gehören und denen gegenüber die Empfänger nach Kolosser 2, 20 „gestorben“ sind, wobei sie sich wieder diesen „Elementen“ als Satzungen unterwerfen. Zu die-sen „Elementen der Welt“ zählt Paulus in Kolosser 2, 16 „Spei-se und Trank“ sowie „Fest oder Neumond oder Sabbat“, die „ein Schatten der zukünftigen Dinge sind“. Somit handelt es sich offenbar um einen ähnlichen „philoso-phisch-jüdischen“ Hintergrund wie im Galaterbrief. Aspekte der Tora werden zu den tragenden „Elementen der Welt“ gerechnet. In Kolosser 1, 17 wird hingegen betont, dass in Jesus Christus, der Gottes Ebenbild ist (vgl. Kolosser 1, 15) und durch den alle Dinge (das All) geschaffen worden sind (vgl. Kolosser 1, 16), „alle Dinge“ (das All) Bestand haben“ (καὶ τὰ πάντα ἐν αὐτῷ συνέστηκεν). Deshalb sollen sich die Gläubigen „durch die Philosophie und den leeren Betrug“, die „nach der Überlieferung der Menschen, nach den Elementen der Welt, und nicht Christus gemäß“ sind, verführen lassen (Kolosser 2, 8).

In diesem Zusammenhang ist auch auf Hebräer 1, 1-3 zu verweisen: Nachdem Gott früher durch die (alttestament-lichen) Propheten zu Israel gesprochen hat, hat er nun „am Ende der Tage“ (und damit in der Vollendung seiner Offenbarung durch das Wort der Schrift) durch seinen Sohn Gottes gesprochen,

der Ausstrahlung seiner Herrlichkeit und Abdruck seines Wesens ist und alle Dinge durch das Wort seiner Macht trägt, hat sich zur Rechten der Majestät in der Höhe gesetzt, nachdem er die Reinigung von den Sünden bewirkt hat“.

Die Tragende Mitte ist Jesus Christus als Schöpfer und Erlöser, dessen Mittel das Wort Gottes ist. Somit gehören Wort Gottes und Jesus Christus eng zusammen, und ohne Jesus ist die Schrift „toter Buchstabe“ (vgl. Römer 2, 29; 7, 6; 2. Korinther 3, 6f.).

Da die Sünde nur durch Jesus Christus, den Sohn Gottes, überwunden werden kann, konnte das Gesetz den Men-schen nicht befreien. Deshalb „sind wir [als Gläubige] nicht mehr unter einem Zuchtmeister/Erzieher“ (Galater 3, 25). Dieser parallele Inhalt von Galater 3 und 4 zeigt, dass mit den „Elementen des Kosmos“ auf das Gesetz als „Zuchtmeister“ Bezug genommen wird, wobei deutlich wird, dass dieses Gesetz die Menschen nicht erlösen kann. Erlösung, Befreiung aus der Macht der Sünde und Vergebung aller Sünde gibt es nur durch Jesus Christus, der den „Schuldbrief“, der „in Satzungen“ bestand und auf Grund unserer Sünden gegen uns gerichtet war, durch seinen Tod am Kreuz von Golgatha „gelöscht … und ihn aus [unserer] Mitte fortgeschafft, indem er ihn ans Kreuz nagelte“ (Kolosser 2, 14; vgl. Epheser 2, 15f.). Dadurch hat er auch die (satanischen) „Vollmachten und Mächte völlig ent-waffnet und sie öffentlich zu Schau gestellt, indem er einen Triumphzug über sie gehalten hat“ (Kolosser 2, 15).

Als Schöpfer des Weltalls und als Erlöser der Menschen ist Jesus Christus das Haupt nicht nur des ganzen Univer-sums, sondern auch der christlichen Gemeinde der Gläu-bigen (vgl. auch Epheser 1, 20-23; Kolosser 1, 15-18). Nur durch ihn hat das Universum bestand, und nur durch ihn hat die christliche Gemeinde bestand (vgl. Kolosser 2, 19; Epheser 4, 15f.). Es ist auffallen, dass Paulus in dem Abschnitt von Kolosser 2, 8-20, in welchem die „Elemente dieser Welt“ erwähnt werden, zweimal (am Anfang und am Schluss) betont, dass Jesus Christus das Haupt ist (Kolosser 2, 10.19), und zwar über „jede Gewalt und jede Vollmacht“ (Kolosser 2, 10), und von erfährt „der ganze Leib, durch die Gelenke und Bänder unterstützt und zusammengefügt, das Wachstum Gottes“, indem er an Christus als dem Haupt festhält (Kolosser 2, 19). In der Mitte steht das Erlösungswerk und die Befreiung von den „Satzungen“ (vgl. Kolosser 2, 11-16).

Wenn diese Grundlage verlassen wird, besteht die Gefahr, sich den „Kampfpreis“ (d. h. das ewige Leben; vgl. dazu auch 1. Korinther 9, 24-27; Philipper 3, 14) nehmen zu lassen (Kolosser 2, 18). Diesen Aspekt, um den „Kampfpreis“ gebracht zu werden, spricht Paulus auch in Galater 4, 11 an, indem er schreibt: „Ich fürchte um euch, ob ich nicht etwa vergeblich an euch gearbeitet habe“ (vgl. auch Galater 3, 4; Philipper 2, 15f.). Nach 1. Korinther 15, 1-4 werden die Gläu-bigen dadurch das ewige Leben erreichen, dass sie an dem Evangelium vom Tod und von der Auferstehung Jesu festhalten „mit welcher Rede ich es euch verkün-digt habe, es sei denn, dass ihr vergeblich zum Glauben gekommen seid“ (1. Korinther 15, 2). Und in Galater 5, 4 betont Paulus, dass Jesus Christus für die Empfänger „wir-kungslos geworden ist, wenn ihr im Gesetz gerechtfertigt werden wollt; ihr seid aus der Gnade gefallen“. Und zwar dann, wenn sie sich beschneiden lassen, um dadurch die Rechtfertigung und das ewige Leben zu erlangen, weil Christus ihnen dann nichts nützt (vgl. Galater 5, 2). Dadurch fallen sie vielmehr wieder unter das „Joch der Sklaverei“, nachdem Jesus Christus in die Freiheit geführt hat (Galater 5, 1).

Damit legt Paulus dar, dass man sehr wohl zum Glauben an Jesus Christus gekommen sein und trotzdem den Glauben auf einer falschen Grundlage aufbauen kann. Dadurch ist aber der Glaube nicht mehr stabil, und die Gefahr besteht, von Jesus Christus abzufallen und sich damit vom göttlichen Leben zu trennen. Statt sich Jesus Christus als dem Haupt der (ganzen) Gemeinde zu unter-ordnen, legt man sich selbst und anderen eigene Satzun-gen auf (vgl. Kolosser 2, 20), wodurch man wieder in die Unfreiheit fällt.

Worauf vertrauen wir in unserem geistlichen Leben? Haben wir durch den Glauben an Jesus Christus die volle Vergebung aller Sünden erhalten? Vertrauen wir als Christen allein auf die Gnade, die uns vom Kreuz Jesu her geschenkt wird? Halten wir an daran fest bzw. lassen wir uns von Jesus Christus und seiner Gnade festhalten! Daraus folgt, dass wir in seiner Liebe wandeln. Anson-sten sind auch wir in Gefahr, uns von einem destruktiven Eifer prägen zu lassen.

 

2. Falschen Eifer ablegen (Galater 4, 12-18)

Paulus erinnert die Empfänger des Galaterbriefs an die Leidenschaft, mit der sie Paulus in seinem Dienst der Verkündigung des Evangeliums unterstützt haben, als er bei ihnen war. Doch inzwischen gibt es offensichtlich in der Gemeinde religiöse Eiferer, die sich wohl auf die Bibel beriefen, aber Aspekte der Bibel aus ihrem heilsge-schichtlichen Kontext rissen und ihren „guten Werken“ zu vertrauen statt allein auf die Gnade Gottes (vgl. auch Galater 6, 12-14). Wie Galater 4, 17 andeutet, wollten diese Per-sonen in der Gemeinde von Galatien offenbar gewisse Personen aus der Gemeinde ausschließen, „damit ihr um sie eifert“. Gemeint ist wohl, damit andere ihren Eifer für die Beschneidung usw. sehen und sie dafür anerkennen. In Galater 6, 12 schreibt Paulus: „Alle, die im Fleisch gut angesehen sein wollen, nötigen euch, euch beschneiden zu lassen, nur damit sie nicht um des Kreuzes Christi willen verfolgt werden.“

Paulus erinnert die Gemeinde daran, dass sie nicht nur in seiner Anwesenheit, sondern auch in seiner Abwesenheit sich für die Verkündigung des Evangeliums einsetzen sollen (vgl. Galater 4, 18). Die Frage ist, ob sich die Mehrheit der Gemeinde hinter denen, die ihren eigenen Eifer ins Zentrum stellen, oder hinter Paulus stellt.

In Galater 6, 15 betont Paulus später, dass „weder Beschnei-dung noch Unbeschnittensein gilt etwas, sondern eine neue Schöpfung“, während er in Galater 5, 6 schreibt: „Denn in Christus Jesus hat weder Beschneidung noch Unbes-chnittensein irgendeine Kraft, sondern [der] durch Liebe wirksame Glaube.“ Wer diese Grundlage hat, wird nicht in einem zerstörerischen religiösen Eifer leben, der gemäß Römer 10, 3 nicht der richtigen Gotteserkenntnis entspringt, sondern wird in der Liebe (als Frucht des Geistes; vgl. Galater 5, 22) wandeln. Auch in 1. Korinther 13 zeigt Paulus, dass ein religiöser Eifer ohne die Liebe für die Gemeinde wertvoll, ja sogar zerstörerisch ist.

Wer von der Liebe Gottes, die im Kreuzestod Jesu besonders sichtbar geworden ist (vgl. Römer 5, 8), prägen lässt, wird sein Leben in Demut der Erbauung der Gemeinde hingeben, statt für seine religiösen Ansichten zu eifern. Achten wir darauf, dass Paulus unter den „Wer-ken des Fleisches“ in Galater 5, 19-21 vor allem zwischen-menschliche Aspekte wie Streit, Eifer(sucht), Parteiun-gen und Zwistigkeiten anspricht. Es tut not, dass die Gemeinde Jesu sich neu auf die (wahre) biblische Grund-lage für den Glauben und das geistliche Leben besinnt. Doch gerade unter den „Bibeltreuen“ erlebt man heute so viel Eifer ohne demütige und echte Liebe, wodurch wir uns ziemlich unglaubwürdig machen. Wie viel wird dis-kutiert und gestritten, ohne dass man dadurch der Wahr-heit näherkommt. Wenn Jesus Christus das Zentrum unseres Lebens ist und wir durch seine Liebe geprägt werden, dann werden wir durchaus auch mal unter-schiedliche Ansichten über gewisse Aspekte des geist-lichen Lebens stehen lassen (vgl. z. B. Philipper 3, 16).

Statt andere durch unseren Eifer für die „Bibeltreue“ unter Druck zu setzen, sollten wir vor allem durch ein vorbildliches Leben, das sich Jesus Christus und seinem Wort unterordnet, einladen, diesem Vorbild zu folgen. Das wird sich befreiend auswirken. Wir werden dann „eifern“, dem Nächsten zu dienen, statt mit Streit über die richten Ansichten über ihn herrschen zu wollen. Schluss-endlich geht es darum, dass wir Jesus Christus immer mehr „anziehen“.

 

3. Christus immer mehr anziehen (Galater 4, 19-20)

Paulus verwendet ihn Galater 4, 19 das Bild von einer gebärenden Frau. Obwohl er die Empfänger des Briefes als „meine Kinder“ anspricht, womit offenbar gemeint ist, dass er sie durch die Verkündigung des Evangeliums im Glaubensleben „gezeugt“ hat (vgl. 1. Korinther 4, 15), leider er immer noch „Geburtswehen“. Es scheint sich fast um eine „Fehlgeburt“ zu handeln. Das will Paulus aber wohl nicht zum Ausdruck bringen. Vielmehr geht es ihm da-rum, dass sie nun nach ihrer geistlichen Geburt (Wieder-geburt) im Glaubensleben erwachsen werden (vgl. auch z. B. Epheser 4, 12-14).

Jesus Christus soll in ihnen immer mehr Gestalt anneh-men, nachdem sie ihn „angezogen“ haben (vgl. dazu Galater 3, 27; Römer 13, 14). Damit haben sie auch den „neuen Menschen“ angezogen (vgl. Epheser 4, 24; Kolosser 3, 10), welcher beständig „zur Erkenntnis nach dem Bild dessen, der ihn erschaffen hat“, erneuert wird (Kolosser 3, 10). Dabei ist es Jesus Christus, der Sohn Gottes, der ihn geschaffen hat (vgl. Kolosser 1, 16) und durch seinen Kreuzestod zu einer inneren Neuschöpfung hat werden lassen.

Zu beachten ist dabei auch, dass mit dem „neuen Men-schen“ nicht nur der einzelne Gläubige gemeint ist, son-dern die ganze Gemeinde Jesu als neue Menschheit (vgl. Epheser 2, 15-18). Je mehr Jesus Christus in unserem Leben Gestalt gewinnt, desto mehr wird unser Leben ein Dienst für seine Gemeinde sein, wie Paulus in Epheser 4, 12-13 schreibt:

„… zur Ausrüstung der Heiligen für das Werk des Dienstes, für die Erbauung des Leibes Christi, bis wir alle hingelangen zur Einheit des Glaubens und der Erkenntnis des Sohnes Gottes, zur vollen Mannesreife, zum Vollmaß des Wuchses der Fülle Christi.“

Die Quelle dabei ist und bleibt Jesus Christus in uns (vgl. Galater 2, 20; Epheser 2, 10).

Paulus hat Jesus Christus und sein Erlösungswerk verkündigt. Es war ihm ein zentrales Anliegen, dass die ganze Gemeinde mehr und mehr durch Jesus Christus geprägt und erbaut wird. Wer sich dem Dienst hingibt, um den Glaubensgeschwistern zu helfen, die Fülle Gottes in Jesus Christus noch mehr zu erleben, wird sich nicht ständig um seine „richtigen theologischen Ansichten“ drehen und diese in den Mittelpunkt stellen. Natürlich braucht es auch eine klare biblische Lehre in den Ge-meinden mit Jesus Christus im Zentrum, da er dadurch in uns Gestalt annimmt. Aber nicht alle sind aufgerufen, Lehrer zu sein (vgl. Jakobus 3, 1), und wer Lehre weitergibt, sollte das ebenfalls in Demut und Liebe tun und sich dabei selbst von der Bibel her hinterfragen lassen. Jesus sagt: „Lernt von mir, denn ich bin sanftmütig und von Herzen demütig, und ihr werdet Ruhe für eure Seelen finden“ (Matthäus 11, 29). Und er ergänzt: „Denn mein Joch ist sanft, und meine Last ist leicht“ (Matthäus 11, 30).

Wer Jesus Christus in seinem Leben Gestalt annehmen lässt, wird sich vor allem selbst von ihm her polieren las-sen, um besser in seinen Leib, die Gemeinde, hineinzu-passen, statt ständig auf andere einwirken und sie polie-ren zu wollen. Darum „dient einander in Liebe“, da das „Gesetz“ (Tora) in einem Wort erfüllt wird: „Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst“ (Galater 5, 13-14)

 

Jacob Thiessen, STH Basel (www.sthbasel.ch)