LEBENS ERINNER UNGEN mm Hans Bruns • Ich habe das Staunen gelernt Ich habe das Staunen gelernt Lebenserinnerungen mit seelsorgerlichen Briefen meiner Frau BROCKHAUS-VERLAG WUPPERTAL SCHRIFTENMISSIONS-VERLAG GLADBECK 1966 Umschlag: Gerd Meussen, Marl (Westf.) Einband: Verlagsbuchbinderei Berenbrock, Wuppertal-Barmen Drude: F. L. Wagener, Lemgo Vorwort Staunen macht unser Leben reicher. Wer nicht (mehr) staunen kann, lebt nicht recht. Ich habe das Staunen gelernt/ Ich staune über Jesus und sein Wirken in meinem Leben. Ich staune über sein Eingreifen und Neugestalten im Leben vieler Menschen. Ich staune über den Reichtum seines Wortes. Ich staune über die Mannigfaltigkeit der Prägung in seiner Gemeinde. Ich staune über die lebendige Hoffnung durch sein Wort. So könnte ich fortfahren . . . Wenn diese Lebensbeschreibung dazu beiträgt, dieses Staunen bei vielen neu zu wecken, bin ich dankbar. Ein erstes Urteil, das ich von 2 Seiten hörte, hat meine großen Hemmungen überwunden, dies Buch herauszugeben. Es lautete: Es ist ein Lobpreis Jesu. So ist es gemeint. Das allein soll es sein! In der zukünftigen Welt werden wir nur weiter staunen und - anbeten. Ostern 1966 Hans Bruns Sünder und Heiliger Es gibt eine gute, freiere Übertragung des Neuen Testamentes aus unserer Zeit. Sie ist vielen eine Hilfe geworden, auch ich habe sie bei meiner Altersarbeit gern eingesehen. In ihr findet sich an einer Stelle ein Fehler. Es heißt im 1. Timotheusbrief: »Jesus Christus ist in die Welt gekommen, Sünder selig zu machen, unter denen ich der größte bin« (1. Tim. 1, 15). Diese Stelle wird in dieser Übertragung so wiedergegeben: »unter denen ich der größte war«. Das ist ganz sicher nach dem Grundtext nicht richtig. Es muß heißen: bin. Paulus hat es sicher so gemeint, wie er es auch schrieb: ich bin ein Sünder. Warum stelle ich das hier so voran? Um festzustellen: je länger ich in der Nachfolge Jesu bin, um so mehr muß ich sagen: ich bin ein Sünder. Ich habe bei Lebensbeschreibungen oft empfunden, daß da »Bilder im Goldrahmen« gemalt werden, es wird beinahe nur Gutes von Menschen berichtet, sie stehen fast ohne Sünde da. -Die Bibel macht es bekanntlich anders: wir erfahren, wie zum Beispiel David oder Petrus und andere gesündigt haben. Ich kann und will keine Lebensbeschreibung herausbringen, ohne nicht gerade das ganz deutlich am Anfang herauszustellen: ich bin ein Sünder. Wenn ich ein Lebensbild zeichne (ich wurde viele Male darum gebeten), dann soll es wahr sein, soweit wir Menschen das sagen können. Ich weiß um meine Schuld, meine Fehler, meine Grenzen, andere werden sie vielleicht noch besser kennen und darunter gelitten haben. Manchmal wollte ich mich mit meinem Temperament entschuldigen, aber vor Gott war es vielfach einfach Sünde und bedarf der Vergebung. Und doch: die Überschrift dieses ersten Kapitels heißt: Sünder und Heiliger. Der Ton liegt dabei auf dem letzteren! Heilige sind nach dem Neuen Testament Menschen, die von Gott durch Jesus Christus beschlagnahmt und geformt wurden und werden. Paulus bezeichnet alle Glieder der Gemeinde Jesu als Heilige, obwohl sie Sünder waren. - Warum konnte er das? Weil er alle die/ die von Jesus Christus erfaßt wurden und die ihn als ihren Herrn annahmen, als von ihm umhüllt ansah. Darum blieben sie auch nicht so, wie sie waren. Sie wurden (und werden) weiter in sein Bild umgebildet. Und selbst wenn das nicht immer sofort zu sehen war und ist, sind sie doch von Christus weitergeliebt und getragen und darum seine »heiligen, geliebten Kinder«. Darum klingt trotz allem der Jubelton heiliger Freude durch die Briefe des Neuen Testamentes. Es ist also nicht richtig, immer nur vom »armen Sünder« zu sprechen. Nein, es muß heißen: begnadigter Sünder, der in der Heiligung lebt und wächst. Auch theologisch ist es mißverständlich, nur »simul justus et peccator«, das heißt »zugleich Gerechter und Sünder« zu sagen, sondern wohl Sünder, aber vor allem Gerechter und Heiliger. Derselbe Herr, der immer mehr in die Erkenntnis der Sünde hineinführt, läßt auch immer mehr in seine wirksame Gnade hineinwachsen. Ich kann nur mit P. Gerhardt sagen: »An mir und meinem Wesen ist nichts auf dieser Erd, was Jesus mir gegeben, das ist der Liebe Wert.« Es bleibt dabei: ich bin ein Sünder, und doch: »aus Gnaden bin ich, was ich bin und seine Gnade ist nicht vergeblich an mir gewesen« (i. Kor. 15,10). Ich füge dieser meiner Lebensbeschreibung seelsorgerliche Briefe meiner Frau an, die im Laufe der Jahre an unsere Kinder, aber auch an andere geschrieben wurden. Das kann mit um so größerem Recht geschehen, da sie mir und vielen eine rechte Seelsorgerin wurde und zumal in den letzten Jahren auf Freizeiten, bei öffentlichen Diensten wie auch in der Einzelseelsorge wesentlich mitgearbeitet hat. Mein »Beruf« »Raten Sie mal, welchen Beruf ich habe«, fragte ich einen Mitreisenden im Zuge, mit dem ich ins Gespräch gekommen war. Wir hatten wohl schon eine halbe Stunde miteinander geredet. »Ja, das habe ich mir auch schon überlegt; ich meine, Sie könnten wohl Generalvertreter einer Lebensversicherung sein.« Ich habe herzlich gelacht und konnte dem Mann nur zustimmen, daß ich für eine ganz besondere »Lebensversicherung« würbe. Ich habe ihm dann von Jesus erzählt, der von sich gesagt hat: »Ich bin das Leben«, und bezeugt, daß man durch Jesus wahres Leben für Zeit und Ewigkeit bekommen kann. Ähnlich erging es mir in einem Friseurladen, den ich mit der Frage betrat: »Können Sie mir die Haare schneiden? Ida muß allerdings in einer halben Stunde an der Bahn sein.« »Ja, solche Leute kommen hier häufig in den Laden, und bei mir geht es schnell. Sie sind doch sicher Reisender?« Auch ihm konnte ich nur mit »Ja« antworten und habe ihn raten lassen, wofür ich seiner Meinung nach reiste. Da ich gerade aus Ostfriesland kam, meinte er, »für Milch und Fett«. Auf die Andeutung, es handle sich bei mir mehr um die Dinge des »Gemütes«, sagte er: »Dann reisen Sie wohl für eine Illustrierte?« Auch das mußte ich verneinen und fuhr fort: »Ich bin tatsächlich Reisender, aber für den Herrn Jesus Christus und seine Botschaft« und erklärte ihm das große Anliegen auf allen meinen Reisen. Als ich mich verabschiedete, meinte er: »Solch ein Gespräch habe ich noch nie erlebt!« Das sind zwei Antworten auf die Frage nach meinem Beruf. Häufig muß ich mich vorstellen oder im größeren oder kleineren Kreis von meinem Beruf erzählen. Ich habe dann wohl gesagt: »Mein schönster Beruf ist der des Geburtshelfers bei der zweiten, der Wiedergeburt.« So hat es Jesus zu Nikodemus gesagt: »Wenn du nicht von obenher (neu)geboren wirst, kannst du das Reich Gottes weder sehen noch hineinkommen« (Joh. 3, 3 u. 5). Menschen dazu zu helfen, ist die schöne Aufgabe des Christen und natürlich jedes Verkündigers und Seelsorgers. Diese Neugeburt wird letzten Endes nur durch den Herrn selbst bewirkt. Er braucht nicht immer Geburtshelfer; aber er gebraucht uns als seine Mitarbeiter. Nach einer Predigt kam eine Frau an die Kanzeltreppe und fragte, ob ich wohl Zeit für sie hätte. »Das Leben, von dem Sie sprachen, kenne ich nicht, aber ich möchte es gern haben. Helfen Sie mir bitte!« Wir verabredeten eine Stunde im Hotel, in dem ich wohnte, und hatten ein gutes Gespräch. Die Frau war schon seit langem mit dem Leben, das sie bisher geführt hatte, innerlich nicht zufrieden. Sie sehnte sich nach wahrem göttlichem Leben. Wohl war sie vor gröberen Verfehlungen bewahrt worden, aber sie wußte um ihre Sünde und war bereit, sie zu bekennen. Sie tat das in großer Offenheit. Sie erlebte die Geburtswehen der zweiten Geburt. Es tat ihr alles von Herzen leid, was sie getan oder nicht getan hatte. Sie bat Jesus um Verzeihung und übergab ihr Leben diesem Herrn. Frohen Herzens ging sie nach Hause. Beim Abschied fragte ich nach ihrem Mann. »Ich glaube kaum, daß er kommen wird. Er ist Kaufmann und hat gerade jetzt viel Arbeit.« Ich blieb trotzdem bei der Bitte, daß er doch an einem der nächsten Nachmittage kommen solle. Und tatsächlich: Er kam! Der Geist Gottes half auch ihm zu einem Neuanfang. Monate später war ich bei den beiden Eheleuten zum Mittagessen eingeladen. Während ich mit dem Mann allein war und die Frau in der Küche das Essen zubereitete, sagte er: »Ich bin so froh, Herr Pfarrer. Ich habe eine ganz neue Frau bekommen.« In dem Augenblick wurde er an das Telefon gerufen, und seine Frau kam ins Wohnzimmer. Sie ahnte nicht, was der Mann eben zu mir gesagt hatte, aber ich mußte lachen, als sie erklärte: »Herr Pfarrer, ich habe einen ganz neuen Mann bekommen.« Beide gehen seit langem gemeinsam den Weg mit Jesus. Das war Geburtshelferdienst. Johannes bezeugt es in seinem ersten Brief: »Wir sind vom Tode zum Leben hindurchgedrungen« (1. Joh. 3, 14). Durch Jesus bekommen wir Leben. Nicht weniger wichtig ist der Dienst des Brückenbauers. Die Römer nannten ihre Priester: Pontifices, das heißt Brückenbauer. Jesus selbst hat die Brücke gebaut von Gott her zu uns auf die Erde, über ihn als die »Brücke Gottes« können wir den Weg zurückfinden zum Vater. Darum dürfen wir in seinem Dienst auch Brückenbauer sein. Wir leben in einer Zeit der Zerrissenheit. Wir sehen den Feind, den Teufel, an der Arbeit, der der »Diabolus«, das heißt der »Durcheinanderwerfer«, genannt wird. Auch hier ist es der Herr selbst, der die Sehnsucht nach Frieden schenkt, aber wir sollen seine Gehilfen sein, daß Menschen im Frieden leben. An einem Abend sah ich in der Schweiz einen älteren Herrn in der Versammlung, der aufmerksam zuhörte. Er fiel durch seinen wallenden weißen Bart auf. Am Schluß der Stunde stellte er sich als Sohn des Volkes Israel vor, und ich habe ihm herzlich die Hand geschüttelt. Es beugt mich immer wieder, was wir Deutschen dem Volke Israel angetan haben. Es ist mir darum jedesmal eine besondere Freude, einem Israeliten zu begegnen. Das »auserwählte Volk« ist mir in den letzten Jahren immer lieber geworden. Ich weiß um die Heilsbedeutung dieses Volkes. Ich bat diesen Mann, am nächsten Abend in der großen Versammlung auch ein Wort zu sagen und seine Begegnung mit Jesus Christus zu bezeugen. Er war bereit dazu, und so standen wir am anderen Tag beide nebeneinander auf der Kanzel. Bevor er von seiner Umkehr zu Jesus Christus erzählte, konnte ich nicht anders als ihn in aller Öffentlichkeit wegen unseres großen Unrechtes an den Juden um Verzeihung zu bitten. Er legte darauf die Hand um meine Schulter und sagte nur: »Das Blut Jesu Christi macht alles gut.« Dann bezeugte er Jesus als seinen Messias, und ich habe über Israel gesprochen, wohl auch von unserer Schuld, aber vor allem von der Treue Gottes Israel gegenüber gerade in unserer Zeit. Als ich einige Tage später auf den Zug nach Basel wartete, kam »Bruder Samuel« auf den Bahnsteig, um sich zu verabschieden. Als der Zug einlief, umarmte er mich und gab mir, dem Deutschen, einen brüderlichen Kuß. Das war Brückenbauerdienst zwischen einem Juden und einem Deutschen. Es war kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Meine Frau und ich waren zu Freunden nach Dänemark eingeladert! Audi diesem Lande haben wir Deutschen viel Unrecht getan. Wir hörten, daß die Mutter unserer Freunde seit dem Tage unseres Besuches das Haus der Kinder mied, weil sie meinte, deutschen Menschen noch nicht wieder begegnen zu können. Das verstanden wir gut, waren aber natürlich darüber besonders traurig. Glücklicherweise hatte ich in diesen Tagen in einem öffentlichen Vortrag zu vielen Menschen zu sprechen. Ich nutzte die Gelegenheit, zu Beginn meines Vortrages wegen all' des Unrechts, das wir Deutschen auf uns geladen haben, um Verzeihung zu bitten. Als unsere Freunde das ihrer Mutter berichteten, war sie bereits am nächsten Tage mit uns am Kaffeetisch vereint. In denselben Tagen rief ich einen Mann der Presse an, mit dem ich von früher her bekannt oder fast befreundet war. Als er meinen Namen hörte, wollte er nicht weiter mit mir reden. Erst als ich auch ihn herzlich um Verzeihung bat, war er zu einem Treffen bereit und lud mich in sein Haus ein. Das war Brückenbauerdienst zwischen Deutschen und Angehörigen der Länder, denen wir schweres Unrecht getan haben. Ich war von einem Pfarrer aus dem Osten unseres Vaterlandes eingeladen worden. Abend für Abend füllte sich die große Kirche. Auch viele Menschen aus den Gemeinschaften nahmen daran teil. Ich besuchte an einem der Vormittage auch den Prediger der dortigen Gemeinschaft und den Pastor der Methodistenkirche und stellte fest, daß der Pfarrer die beiden Brüder wohl kannte und auf der Straße freundlich zu grüßen pflegte, aber sonst kaum Verbindung zwischen ihnen bestand. Darauf lud ich die Brüder für einen der Nachmittage in den Gemeindesaal der Kirche ein. Beide waren erstaunt, aber folgten der Einladung gern. Als der Pfarrer davon hörte, war er zunächst fast verlegen und beschämt, daß das nicht schon längst von ihm aus geschehen war, aber sofort lud er von sich aus noch einige Männer seiner Gemeinde ein. Es kam zu einem herzlichen Beisammensein. In der Nachmittagstunde wurde beschlossen, sich von nun an regelmäßig in der Stadt zu einer Allianzstunde zusammenfinden. Im Laufe der Jahre habe ich manchen Gruß aus diesem Kreis bekommen. Das war Brückenbauerdienst zwischen Kirche, Freikirche und Gemeinschaft. Gleich an einem der ersten Abende eines Evangelisationsdienstes stellte ich die Frage, ob es auch Streit unter ihnen gäbe. Da kam heraus, daß von einer Familie der eine Teil nur nachmittags zur Bibelstunde kam und der andere abends. Ohne es zu ahnen, hatte ich ein Glied der Familie in große Verlegenheit gebracht. Der Mann leitete den Chor der Gemeinschaft und begleitete die Lieder, konnte aber trotzdem im offenen Streit mit seiner Familie leben. Am nächsten Tag hatte ich ein Gespräch mit ihm und am übernächsten Tag mit der »Gegenpartei«. Es ging, wie so oft: Jeder wollte zunächst der anderen Gruppe die alleinige Schuld zuschieben, aber dann sahen sie bald ein, daß sie alle Schuld hatten. Sie versöhnten sich und baten einander um Verzeihung. Damit war ein wesentliches Hindernis für den Dienst der Tage beseitigt. Das war Brückenbauerdienst innerhalb einer Familie gläubiger Menschen. Ich wurde telefonisch gebeten, doch möglichst schnell zwei Eheleute zu besuchen. Sie lebten seit langem miteinander im Streit. Beide wollten den Weg der Nachfolge gehen, und äußerlich merkte man von dieser Spannung wenig. Ich habe fast sechs Stunden mit den Eheleuten zusammengesessen. Beide hatten Schuld. Auch lagen viele Mißverständnisse vor, die aber weggeräumt werden konnten. Dann waren beide bereit, sich gegenseitig um Verzeihung zu bitten. Es hat einen guten neuen Anfang in dieser Ehe gegeben. Das war Brückenbauerdienst in einer Ehe. Völlig anders wird mein Dienst mit dem Worte »Brandstifter« beschrieben. So hat es Jesus selbst von sich gesagt: »Ich bin gekommen, daß ich ein Feuer anzünde auf Erden.« Die Jünger Jesu haben dieselbe Aufgabe und sollen mithelfen, das Feuer des Glaubens und der Liebe zu entzünden. Bei einem Besuch in meiner alten Gemeinde gebrauchte eine Frau ein überraschendes Bild für meinen Dienst. Sie wollte mir Teewasser heiß machen und nahm darum den Feuerhaken, um das Feuer im Herd anzufachen. Da stand sie plötzlich mit erhobenem Haken vor mir und sagte: »Herr Pastor, Sie sind auch solch ein richtiger Feuerhaken in unserer Gemeinde.« Ich war dankbar für diese neue Kennzeichnung meines Dienstes und freute mich, daß diese Frau ihn so beurteilte, denn der Herr hatte die Verkündigung gesegnet, und es war das Feuer einer Erweckung ausgebrochen. Viele kamen damals zum Glauben, viele erlebten auch das Feuer der »ersten Liebe« zu Jesus. Noch heute ist in der Gemeinde und auch in der Umgebung manches von diesem Feuer zu spüren. Ähnlich erging es mir später bei einem Dienst in der Nähe von Kassel. Erich Schnepel, der frühere Leiter der Berliner Stadtmission, hatte mich dorthin gerufen. Auch dort brach ein Brand aus. - Es war an einem Bußtag, und schon vormittags spürte man das Wirken des Geistes Gottes. Am Abend saßen wir zusammen im Pfarrhaus, da gab bald ein Mann dem anderen die Türklinke in die Hand, um zu mir ins Sprechzimmer zu kommen. Es waren bewegende Stunden, mitzuerleben, daß Menschen sich unter ihre Schuld beugten und die Vergebung Jesu erbaten, um dann als erneuerte Menschen zu ihren Familien zurückzugehen. Das Feuer der Erweckung fiel auf die Gemeinde. Noch heute denken viele an die gesegneten Wochenendfreizeiten zurück, auf denen immer mehr von diesem Feuer der Buße und des Glaubens erfaßt wurden. Ähnlich war es in einer Großstadt Mitteldeutschlands. Gewiß war Neugier dabei, wenn sich die große Kirche Abend für Abend füllte, weil ich aus dem Westen Deutschlands kam, aber es war doch mehr: Es war ein großes Verlangen wach geworden, neu durch das Wort Gottes gesegnet zu werden. Was ich sonst selten erlebt habe, geschah dort: Kurz vor acht Uhr komme ich vor die Kirche, aber ich konnte nicht mehr hinein. Vor beiden Kirchentüren standen lange Schlangen von Menschen, die Einlaß begehrten. In der Kirche waren nicht nur alle Plätze besetzt, sondern sie standen auch in den Gängen, ja, sie saßen auf den Stufen des Altars und der Kanzel. Als ich bat, mich doch hineinzulassen, wurde ich zunächst gar noch »ausgescholten«: »Wir warten hier schon längere Zeit. Sie kommen zu spät.« Als ich dann auf die Kanzel steigen wollte, mußten die jungen Menschen erst die Kanzeltreppe freigeben. Wohl an die 2000 Menschen waren in der großen Stadtkirche versammelt, und es gingen um neun Uhr abends auch nur wenige fort. Ich mußte sofort eine zweite Stunde halten, und erst gegen zehn Uhr gingen wir auseinander. Das war »Brandstifterdienst.« Und noch in einem vierten Bild wurde vor Jahren mein Dienst durch einen meiner Söhne, der jetzt in Berlin lebt, beschrieben. Er sagte zu mir eines Tages: »Vater, wenn ich deinen Dienst so beobachte, dann meine ich, du bist ein richtiger Schieber.« Ich muß wohl ein etwas erstauntes Gesicht gemacht haben, bis er fortfuhr: »Du möchtest am liebsten alle Menschen zu Jesus hinschieben, oder wenn sie schon bei ihm sind, noch näher an ihn heranschieben.« Vor Jahren hat mal ein Förster, als wir vor einer Tannenschonung standen, gesagt: »Sehen Sie mal, die kleinen Tannen schieben sich gegenseitig zum Licht empor .. .« Das war und ist wohl gemeint, und ich denke tatsächlich dankbar an manchen solchen Schieberdienst zurück: Beide Beine hatte sich der Mann bei einem Absprung aus einem Flugzeug gebrochen. Er gehörte zur Fallschirmtruppe. Seine Frau lag in Marburg in der Klinik und erwartete ein Kind. Sie wurden von einer Schwester betreut, der man es anmerkte, daß sie eine Jüngerin Jesu war. Da wurde in den beiden die Sehnsucht wach, ihr Leben auch unter die Führung Jesu zu stellen. Die Schwester schickte den Mann zu mir. Es gab ein langes Gespräch unter vier Augen. Er stellte sich unter das Kommando Jesu. Der »Schieberdienst« ist noch eine Weile weitergegangen, jetzt stehen beide Eheleute in der Nachfolge Jesu. Da kommt eine Frau zu mir, die schon vor Jahren den ersten Schritt zu Jesus getan hatte. Nun aber war sie sehr beunruhigt: Sie war noch stark an das Rauchen gebunden. Damit stand sie auch ihrem Mann im Wege. Sie war ihm nicht das Vorbild, das sie sein sollte und wollte. - Dann aber kam es zu dem festen Entschluß, diese Bindung aufzugeben. Bald darauf erreichte mich ein Brief, in dem steht: »Es ist wahr, wirklich wahr. Ich bin frei. Ich kann es selbst noch kaum fassen, aber der Herr hat es in mir überwunden. Es scheint mir noch wie ein Wunder. Aus mir selber hätte ich es nicht geschafft. In der Familie ist große Freude, auch mein Mann kann es noch kaum glauben. Wir danken dem Herrn, und Ihnen danke ich für Ihre »Schieberdienste«.« Aber nicht nur zur Klarheit und Freiheit will der Geist Gottes helfen, sondern auch zum fröhlichen Dienst. Ich habe es nicht gewußt, daß Erich Schnepel auf einen Anstoß wartete, ob er die Briefe, die er vor Jahrzehnten aus seinem Dienst im Berliner Osten schrieb, drucken lassen sollte, um sie vielen zugänglich zu machen. Nach einer Versammlung im »Roten Haus« gehen wir einige Schritte zusammen, und ich bat und ermunterte ihn, doch diese wichtigen Briefe im Druck herauszugeben. Da blieb er überrascht auf der Straße stehen und sagte nur: »Nun weiß ich, daß ich es tun muß.« Und bald darauf kamen diese Briefe heraus und sind seitdem vielen zum Segen geworden. Damit ist mein »Beruf« in vielfacher Weise beschrieben. Erinnerungen aus Kindheit und Jugendzeit Meinen ersten Atemzug habe ich am 7. Oktober 1895 im Pfarrhaus unter dem alten, wuchtigen Wilhardikirchturm zu Stade getan. Ich bin also meinem Geburtsort nach Niedersachse, aber dem Blut nach gehöre ich zu den Ostfriesen. Beide Eltern stammten aus Ostfriesland; die Eltern meines Vaters waren Bauern, die der Mutter Müller. Im Laufe meines Lebens habe ich mich je länger, um so mehr als Ostfriese gefühlt. Auch bin ich zehn Jahre in Ostfriesland Pastor gewesen. Einige Tage nach meiner Geburt starb meine Mutter. Sie war wohl zu früh aufgestanden, hatte sich erkältet, bekam starke Ohrenschmerzen und - mußte sterben. Wenn die Ohrenschmerzen schlimmer wurden, empfand sie es als Wohltat, wenn Vater sang. Dann ließen die Schmerzen nach, und sie fühlte Erleichterung. Wie mir erzählt worden ist, hat sie in den letzten Tagen ihres Lebens vielfach darum gebeten: »Bernhard, sing doch!« Er hat dann gesungen. Von meiner Mutter und ihrer Jugend weiß ich nicht viel. Sie wuchs in einem stark lutherisch geprägten Eltemhause auf. Ihr Vater war ein echter ostfriesischer Charakterkopf. Der alten Großmutter entsinne ich mich deutlich; sie war weicher und stiller. Beide nahmen sie, wenn auch verschieden stark, am kirchlichen Leben der Stadt teil. Im Sterben zeigte sich, was Mutter wohl im Innersten gerade in dem Augenblick empfunden hat. Sie hat mir die Hände aufgelegt und mich gesegnet. Ich weiß nicht, was sie dabei gesagt hat, aber daß sie es getan hat, ist denen, die dabei waren, in lebendiger Erinnerung geblieben. Von meinem Vater weiß ich mehr, weil er noch viele Jahre bei uns war. Er stammte aus einem alten Bauerngeschlecht. Mehrere seiner Brüder und Schwestern habe ich noch gut kennengelernt. Auch sie waren fest im kirchlichen Leben der Gemeinde verankert. Mein Vater war der Jüngste in einer großen Kinderschar und der einzige, der studieren durfte. Das eine war besonders kennzeichnend für ihn, daß er gern und gut sang. Viele Male habe ich ihn als junger Mensch auf dem Klavier begleitet; oft hat Vater in Kirchenkonzerten die Baritonarien gesungen. Aber nun war es doch beim Sterben seiner jungen Frau etwas ganz Besonderes: Die Mutter seines ersten Kindes lag im Sterben - und er sang. Er hat auch noch die Beerdigung meiner Mutter gehalten, nur am Grabe hat er mitten im »Unser Vater« nicht weitergekonnt, und der Amtsbruder hat dann von der dritten Bitte an weitergebetet. Es wird sehr schwer gewesen sein, ins leere Pfarrhaus zurückkehren zu müssen! Etwa ein Jahr nach dem Tode der Mutter bekam ich eine neue Mutter. Mein Vater fand seine zweite Frau in einer Freundin der Verstorbenen, die auch beim Sterben dabei gewesen war. Sie ist mir eine wirkliche Mutter geworden, das Wort Stiefmutter ist mir nie in den Sinn gekommen. Meine erste Kindheitserinnerung ist der »Kinderhort«. Ich werde wohl fünf Jahre oder etwas älter gewesen sein. Es war ein weiter Weg. Ich wurde immer hingebracht; aber da ist etwas in mir haftengeblieben: der Eindruck freundlicher Menschen, die uns Liebe erwiesen. Ich atme gleichsam noch die Luft, die da war. Meine zweite Erinnerung aus der Zeit dieser Jahre ist der Sarg unserer kleinen Schwester, die früh starb. Wohl habe ich später oft die Photographie gesehen, aber ich sehe auch noch den Sarg mit dem kleinen, süßen Gesicht vor dem Harmonium im Studierzimmer des Vaters stehen. Viele Segnungen aus meiner Kinder- und Jugendzeit sind unvergessen. - Ein ostfriesisches Wort heißt: Wat to unnerst in de Sack kummt, blift da am längsten in. (Was zu unterst in einen Sack kommt, bleibt da am längsten drin.) - Die stillen Einflüsse, die uns oft unbewußt bleiben, sind viel entscheidender für unser Leben, als wir meist denken. Hier war es die Atmosphäre eines kirchlich geprägten Hauses. Es wurde bei Tisch gebetet, wir wurden abends zum Beten angehalten. Der sonntägliche Gottesdienst war selbstverständlich, wenn wir auch nicht gedrängt oder dazu gezwungen wurden. Alle Jahre gingen wir zwei oder dreimal, vor allem in der Passionszeit, zum Abendmahl. Dann war eine besonders ernste Stimmung; wir Kinder wurden angehalten, die Eltern um Verzeihung zu bitten. Ich bin der Überzeugung, daß dies alles mein Innenleben stark mitgeprägt hat. Ich war wohl etwa neun Jahre alt, da war auf einem der großen Plätze der Stadt ein Zirkus. Natürlich wollte ich gern hin und bat um die Erlaubnis. Die Eltern haben es nicht ver- boten, haben aber wohl gemeint, es wäre für mich zu früh und nicht gut. Vater gab mir fünfzig Pfennig und erlaubte mir, hinzugehen, sagte aber dabei, ich sollte es mir gut überlegen, ob es richtig wäre, in den Zirkus zu gehen, er würde sich freuen, wenn ich mich selbst überwinden könnte und die fünfzig Pfennig in die Spardose wandern würden. - Es ist mir noch gut in Erinnerung, daß ich den Kampf gegen das »dicke Ich« bestanden habe und die fünfzig Pfennig in die Spardose kamen. Es war weise von meinem Vater, seinen Ältesten schon so frühzeitig vor eine solche Entscheidung zu stellen. Ich nahm auch sehr daran teil, wie Vaters Predigten entstanden. Er pflegte sie aufzuschreiben und dann wörtlich zu memorieren. Allermeist war er am Donnerstag am Sinnen und Schreiben und nahm es damit sehr ernst. War er aber am Sonnabend noch nicht fertig, lag über dem ganzen Hause eine gewisse Spannung: wir mußten still sein: »Vater macht seine Predigt!« Oft bin ich vor dem Schulgang am Sonnabend früh in das Studierzimmer geschlichen, um festzustellen, ob er das Amen am Schluß der Predigt schon geschrieben hatte, und war froh, wenn es darunter stand! Manchmal las er die ganze Predigt der Mutter vor, manchmal hörten wir ihn laut lernen. -Wenn ich daran zurückdenke, mit welcher Treue das alles vorbereitet wurde, kann ich nur staunend davon erzählen. - Später ist mir klargeworden, wie stark biblisch die Predigten waren: Es wurden viele Bibelverse zitiert, es war klare Verkündigung im Geist des zweiten Artikels. Vater machte auch viele, zum Teil sehr weite Wege durch die Gemeinde. Ich durfte ihn dann manchmal begleiten. Die Dörfer um Stade herum waren in erster Linie sein Gemeindebezirk. Die Stadt selbst wurde mehr vom Senior der Kirche betreut. Von den einzelnen Gesprächen in den Häusern erfuhr ich natürlich nichts, aber die Gemeinde wußte, ihr Pastor war unterwegs, vor allem zu den Alten und Kranken. Daneben war Vater auch Schulinspektor. Diese Beaufsichtigung der Schule durch die Kirche wurde schon damals von seiten der Lehrer mit Recht abgelehnt. Aber es war noch so die Ordnung: Der Träger des sogenannten »geistlichen Amtes« hatte auch die Schulaufsicht über die Lehrer, vor allem in den Dörfern. Allermeist war es ein gutes und herzliches Verhältnis zu den Lehrern. Vater hat die Aufsicht wohl nicht im unguten Sinne ausgeübt, und die Lehrer haben nicht unter ihm geseufzt. Nur einmal weiß ich, daß er »durchgreifen« mußte. Es lag ein Fall von großer Fahrlässigkeit vor: Er hatte wieder einmal in einer der Schulen zu visitieren, fuhr mit dem Rad früh hin und fand den Lehrer im Bett. Die Kinder in der Schule tobten. Am nächsten Morgen war er wieder da, und - der Lehrer war wieder im Bett. Er hatte wohl gedacht, nun für die nächste Zeit Ruhe zu haben. Als Vater dann am dritten Morgen noch einmal zur Nachprüfung kam, und der Lehrer mit größter Selbstsicherheit wieder verschlafen hatte, mußte er versetzt werden. Aber das war eine Ausnahme. Im allgemeinen taten die Lehrer ihren Dienst in Treue. Für Vater war es eine Freude, ihnen hie und da ratend zur Seite zu stehen, wenn auch diese Arbeit viel Zeit und Kraft in Anspruch nahm. Dazu kam der Dienst in den beiden Gefängnissen der Stadt. Auch ihn hat mein Vater mit großer Einsatzbereitschaft getan. Nach meiner Erinnerung war alle vierzehn Tage in beiden Strafanstalten Gottesdienst zu halten. Als Kinder durften wir gelegentlich mit. Ich sehe noch heute die Gefängnismauern und Türen vor mir und fühle, wie ein leises Schaudern über meinen Rücken lief, wenn wir hineingelassen wurden. Eines Tages kam Vater sehr bewegt und bleich vom Gefängnis zurück. Er hatte der Hinrichtung eines Mörders beiwohnen müssen. Später er-erzählte er, was er in der Nacht vorher noch mit diesem Mann erlebte: Er hatte seine Mordtat voll und ganz zugegeben, hatte sie tief bereut und dann Vater um das Abendmahl gebeten. Im letzten Augenblick vor der Hinrichtung hat er dann noch gesagt: »Ich habe es nicht verdient, daß ich jetzt in den Himmel komme, denn ich bin ja ein Mörder.« Vater antwortete: »Verdient nicht, aber der Herr hat vergeben.« Der Mann ist dann mit dem Gebet: »Gott, sei mir Sünder gnädig!« gestorben. Wenige Wochen vorher hatte ich durch ein Schlüsselloch diesen Mörder in seiner Zelle gesehen. Das hat sich natürlich dem Kinderherzen tief eingeprägt. Eine besondere Gabe hatte Vater für den Kindergottesdienst. Jeden Sonntag fanden sich dazu mehrere hundert Kinder ein. Es waren auch immer Helfer und Helferinnen da, die in Einzelkatechese den Kindern die biblischen Geschichten nahebrachten. Vater brauchte dann nur zusammenzufassen und alles im Gebet abzuschließen. Bis heute sind mir noch mehrere Lieder in Erinnerung, und ich sehe die große Wilhardikirche vor mir, ja, ich sehe mich in einer der Bänke sitzen und alles staunend in mich aufnehmen. Nicht ganz so froh denke ich an die Oratorienaufführungen, die Vater in den späteren Jahren mehrfach veranstaltete. Er liebte vor allem die großen Schöpfungen von Händel und Men-delssohn-Bartholdy. Zuerst sang er in einem der Chöre der Stadt mit, dann mußte er mehrfach Baritonarien übernehmen. Er hatte eine herrliche, geschulte Stimme. Schließlich nahm er die ganze musikalische Vorbereitung selbst in die Hand. Das war oft nicht nur erfreulich. Es kostete viel Zeit und Mühe, die Chöre zusammenzuhalten, vor allem die Männerstimmen heranzuholen. Was waren es für Nervenproben, wenn viele Sänger ausblieben, vielleicht auch nicht kommen konnten und darum manche Probe mehrfach durchgeführt werden mußte! Die Aufführungen selbst waren dann für Hunderte von Menschen eine große Freude. Die Kirche füllte sich meist bis zum letzten Platz. Erschöpft, aber dankbar kehrte Vater jedesmal von diesen Stunden heim. In den letzten Jahren seines Dienstes in Stade hat er sogar einen Musiker »entdeckt«, der mehrere Oratorien komponierte. Vater schrieb den Text, der Mann komponierte die Musik dazu. Soviel ich mich erinnere, haben drei solcher Uraufführungen stattgefunden. Sie hatten eine gute Presse, sind aber schnell vergessen worden. Viele Male mußte ich abends noch zu dem alten Musiker gehen, um ihm neue Texte zu bringen und die geschriebenen Teile abzuholen. Das hat Vater viel Zeit gekostet, aber er hat viele Menschen damit erfreut. So war auch dieser Dienst keine vergebliche Mühe. Aber, was ich heute unter biblischem Christsein verstehe, blieb mir in meiner Jugendzeit fast unbekannt. Erst viel später habe ich festgestellt, daß in derselben Straße, in der wir wohnten, eine »Gemeinschaft« ihre Stunden hielt. Von ihr sprach man bei uns wohl nicht gerade lieblos, aber an Teilnahme oder Unterstützung, geschweige denn an Mitarbeit wurde nie gedacht. Selbst von den Jahresfesten, die man natürlich dort hielt, habe ich nie etwas gehört und gewußt. Es verlief bei uns im Hause und in der Familie alles im »normalen Rahmen« des kirchlichen Lebens. Die einzigen Höhepunkte waren die Missionsfeste, vor allem der Besuch von Missionaren, zumal aus Afrika. Dann wehte plötzlich etwas vom missionarischen Christsein durch unser Haus. Wir bekamen einen Blick für die Welt der Heidenmission. Wir staunten als Kinder über die Leute aus dem afrikanischen Busch, die aus Heiden zu Christen geworden waren, die nun aus dem fremden, zumal damals noch völlig verschlossenen Erdteil zu uns kamen und berichteten oder bezeugten, was sie erlebt hatten. Im Studierzimmer stand der »nickende Negerknabe«, eine Missionsbüchse, in die man Pfennige hineinwarf, um auch etwas für »die Mission zu tun«. Nur waren solche Missionstage viel zu schnell vorübergerauscht, als daß sie tiefere Eindrücke hätten vermitteln können. Unter den Pastoren der Stadt gab es zwei »Richtungen«, zwischen denen es hier und da zu »Auseinandersetzungen« über die vielen Fragen des Christentums kam. Dabei stand Vater auf seiten der »positiven« Kreise, wie man damals sagte. Professor Dunkmann aus Greifswald legte neben anderen die Botschaft des Christentums in biblisch positivem Sinne dar, aber die »andere Seite« holte Männer wie Professor Baumgarten aus Kiel, um die kritischen Fragen der »liberalen« Theologie aufzuwerfen und in ihrem Sinn zu beleuchten. Ich weiß noch, wie ich als junger Primaner den Pfarrer der anderen Kirche empört zur Rede gestellt habe, er dürfe doch die Auferstehung Jesu nicht leugnen, weil dann alles zusammenfallen würde. So wirkte sich dieser Kampf im Kopf des ältesten Sohnes aus dem »positiven« Pfarrhaus aus. Es war sicher nur ein sehr unklarer »Protest« aus einer Haltung heraus, die jeder Sachkunde entbehrte. Es ging nicht in die Tiefe, sondern war nur ein gedankliches Ringen um die Wahrheit, das keinem Menschen wirklich helfen konnte. Aufs Ganze gesehen, habe ich, auch wenn es zu keiner klaren Begegnung mit Jesus kam, für viel Bewahrung durch das Elternhaus zu danken. Das zeigte sich besonders im Sommer 1914, als ich freiwillig Soldat wurde. Was stürzte da in der Kaserne plötzlich an Unsittlichkeit und Verführung auf mich ein - und ich wurde bewahrt. Ich erlebte mit Schrecken all das Unreine, das die meisten Kameraden in und außerhalb der Kaserne trieben; aber da machte sich der Einfluß des Elternhauses bemerkbar: Ich habe zu dem allen ein klares und überzeugtes »Nein« ausge- sprochen und auch so gelebt. In jener Zeit habe ich nur neu einen tiefen Dank für mein Elternhaus empfunden und auch für meine ganze Erziehung. Ich hatte auch das Glück, fünf Geschwister zu bekommen (erst sehr viel später nach dem Tode unserer Mutter noch einen Bruder aus der dritten Ehe unseres Vaters). Wir hatten eine schöne Gemeinschaft untereinander, vor allem haben wir viel gespielt und musiziert. (Später haben wir dasselbe viel auch im eigenen Haus getan, und unsere Kinder haben auch dies gemeinsame Spielen in dankbarer Erinnerung.) Es liegt ein großer Gewinn darin, wenn man so mit vielen Geschwistern in einem solchen Elternhaus aufwachsen darf. Aus der Schulzeit Das Lernen fiel mir leicht, ich bin im allgemeinen ein guter Schüler gewesen. Schulkummer habe ich meinen Eltern wohl kaum bereitet. Mehrere Lehrer stehen lebendig vor meinem geistigen Auge, die uns stark beeindruckten, keiner aber hat uns irgend etwas für unser inneres Leben bedeutet oder mitgegeben. Der Ge-schiditslehrer konnte vorzüglich »pauken«. Wie hat er mit uns die Geschichtszahlen geübt und immer wieder durchgenommen! Es machte Spaß, und wir haben viel gelernt. - Der Religionsunterricht blieb völlig an der Oberfläche. Es war eine reine Verstandesangelegenheit und allerhöchstens die Vermittlung von »Religionslehrstoff«. Daß hier in die jungen Herzen und Köpfe etwas ganz anderes hätte hineingepflanzt werden können und müssen, ist unserem gutmütigen Professor wohl gar nicht aufgegangen. Selbstverständlich haben auch wir manche der Lehrer geärgert, ja gequält. Bei anderen war das unmöglich. Sie hatten Autorität, die respektiert wurde. Bei einem von diesen haben wir es einmal ausprobiert, wie weit wir »gehen« durften! Der große Zeigestock wurde so auf das Pult gestellt, daß er bei der kleinsten Berührung mit Gepolter ins Klassenzimmer fallen mußte. So geschah es dann auch, aber der Lehrer nahm kaum Notiz davon. Er wurde nicht ärgerlich. Gerade das hat uns am meisten beeindruckt, und es blieb bei diesem einen mißglückten Versuch. Ein anderer dagegen tut mir noch heute leid. Wir haben ihm das Leben schwer gemacht. Kinder können sehr grausam sein. Er war hilflos unseren Quälereien ausgesetzt. Er hat von Zeit zu Zeit versucht, sich mit gewaltiger Stimme zu wöhren, aber er machte sich eigentlich nur noch mehr lächerlich. Einmal habe ich es erlebt, daß einer der Mitschüler in der Unterprima eine schallende Ohrfeige bekam, und zwar ausgerechnet im Religionsunterricht. Der Betreffende hatte eine unmögliche und freche Zwischenbemerkung gemacht; da war auch schon der Lehrer, der sonst so ruhige Oberlehrer, neben ihm, schlug ihm einmal fest auf die linke Backe, ging zurück und sprach ruhig weiter. Keiner hat daran gedacht, sich zu beschweren; wir waren verblüfft und erstaunt, und die Achtung vor dem Lehrer war gewachsen. Ich habe leider kaum einen der Klassenkameraden im späteren Leben wiedergetroffen. Es war eine gute Gemeinschaft. Nur einige wurden mir für die damalige Zeit Freunde. Wir wan-derten zusammen, wir haben auch Ball gespielt, aber es blieb doch alles mehr oder weniger an der Oberfläche. Verglichen mit den heutigen Möglichkeiten, weite Fahrten von der Schule aus auch in das Ausland zu machen, nahmen sich die alljährlich stattfindenden eintägigen Schulfahrten recht harmlos aus, und doch waren auch sie kleine Höhepunkte im Alltag des Schullebens. Ich wüßte nicht, daß wir jemals weiter gefahren wären als etwa hundert bis zweihundert Kilometer. An einen Vormittag muß ich noch heute denken, an dem wir alle ohne jede Erlaubnis aus dem Schulzimmer hinausstürmten. Was war los? Der erste Zeppelin flog über unsere Stadt hinweg. Es hat auch keinen der Lehrer im Schulzimmer halten können. Ich sehe noch heute das große silberne Schiff über die Dächer der Stadt dahinfliegen. Überraschenderweise ist das andere Geschlecht damals kaum in mein Blickfeld getreten. Nur an die Schwester eines meiner Mitschüler kann ich mich lebhaft erinnern. Sie war ein Mädchen mit langen blonden Zöpfen; aber es blieb eine kleine »Schülerliebe« von ferne. Natürlich traten die ersten Nöte auf sexuellem Gebiet wie an uns alle, so auch an mich heran, aber der Schutz des Eltem- hauses wirkte sich aus, so daß ich weithin behütet durch diese Zeit gegangen bin. Wenn man an all die Spannungen und schuldhaften Verführungen unserer Zeit denkt, ist es kaum zu glauben, wie anders wir um die Zeit vor 1914 gelebt haben. Gewiß gab es auch damals schon schlechte Vorbilder bei Lehrern und böse Entgleisungen unter den Schülern, aber im allgemeinen war man damals zuchtvoller, und viele konnten auf ihre Jugendzeit dankbar und frei zurückschauen. In besonderer Erinnerung ist mir ein Buch, das damals viel für mich bedeutet hat: Poperts »Helmut Harringa«. Darin wurden die Fragen des Alkohols, aber auch all die sozialen Probleme in einer zumal für junge Menschen vorbildlichen Weise beleuchtet, so daß ich schon damals Anti-Alkoholiker wurde (und bis heute geblieben bin), ja das soziale Empfinden wurde geweckt, wenn es auch nicht in die letzten Tiefen ging. Wie lange liegt diese Zeit vor dem ersten Weltkrieg doch hinter uns! Es ist fast nicht mehr vorstellbar, wie wir damals gelebt und gelernt haben, und doch haben auch diese Jahre unser Leben mitgeformt und geprägt. Gütige Menschen, die mein Leben bereicherten Wie können doch liebe Menschen uns das Leben verschönen! Unter diesen muß ich als die ersten Onkel Enno und Tante Gerhardine nennen. Wir hatten viele Verwandte, obwohl die zweite Mutter ohne Geschwister war. Von ihnen erfuhren wir viel Liebe. Onkel Enno und seine Frau waren selbst kinderlos. Sie haben uns Kindern, vor allem in den Ferien, in einer Weise das Leben verschönt, daß wir unsere Kinderzeit ohne sie uns kaum vorstellen können. Es war ganz selbstverständlich, daß ich im ersten Weltkrieg während der ganz kurzen Urlaubszeit von vierzehn Tagen mehrere Tage nach Ostfriesland fuhr, um bei diesen beiden lieben Menschen zu sein. Sie hatten in der Nähe von Norden (Ostfriesland) einen schönen, großen Bauernhof gepachtet. Das war jedesmal ein Erlebnis für sich, wenn Onkel Enno uns mit einer alten Kutsche oder mit einem kleinen Pferdewagen vom Bahnhof abholte. Viele Male bin ich allein dort gewesen, viele Male auch mit mehreren Geschwistern zusammen. Einmal mußte ich sogar als Neunjähriger die weite Reise machen, mit zwei jüngeren Geschwistern, die ich unterwegs zu betreuen hatte. Alles war vom Vater genau vorbereitet, Bahnhöfe waren angeschrieben, damit wir beim Umsteigen Hilfe hatten. Auf einem der Bahnhöfe gab es sogar ein einfaches Mittagessen (Milchreis mit Zimt und Zucker), und nach langer Fahrt von Stade über Bremerhaven kamen wir selig in Norden an. Die Überfahrt über die Weser war bei diesen Reisen immer ein besonderes Erlebnis. Für Abwechselung in den Ferienwochen war in jeder Beziehung gesorgt. Ich habe wohl alle landwirtschaftlichen Arbeiten mitgetan, sogar gepflügt, viele Male mit geheut, das reife Korn mit eingefahren und in den Scheunen hochgeforkt. Im Winter half ich beim Stallreinigen und auch beim Füttern. Mit dem Wagen wurden Besuche bei Bekannten und entfernten Verwandten gemacht, oder wir gingen ans Meer zum Baden. Sonntags fuhr man allermeist mit der alten Kutsche zur Kirche, wo die beiden Alten ihren Stammplatz hatten. Ich entsinne mich heute noch einiger Predigten, die mich als jungen Menschen tief beeindruckt haben. Konnten wir aus irgendeinem Grunde nicht zur Kirche fahren, mußte ich Predigten von Stöcker vorlesen. Ich sehe noch die alte Tante auf ihrem Eckstuhl »thronen«, das »Stöfke«, ein kleines, mit glühenden Kohlen geheiztes Kästchen unter ihren Füßen und eine Strickarbeit in den fleißigen Händen. Wie haben wir auch in dem herrlichen, mit Blumen geschmückten Garten gespielt oder Beeren und Obst gepflückt! Es war ein Kinderparadies, das ich in lebendiger, dankbarer Erinnerung habe. (Später wurde mein jüngster Bruder dort Eleve und hat dann sogar den Hof übernommen.) Hier nur eine kleine Erinnerung besonderer Art: Es fanden kurz vor dem ersten Weltkrieg die ersten Flugversuche auf Norderney statt. Selbstverständlich fuhr Onkel Enno mit uns nach Norderney hinüber. Und was erlebten wir mit? Wie vor vielen Tausenden die ersten Menschen in Deutschland etwa drei bis vierhundert Meter weit und fünfzig Meter hoch flogen. Welch ein Erleben, zumal wenn wir es mit dem Flugverkehr in unsern Tagen vergleichen! In Stade selbst hatten wir eine alte »Nenntante«, eine adelige Dame, A. v. Plate, die unverheiratet geblieben war und uns ebenfalls viel Gutes getan hat. In den Tagen vor Weihnachten zum Beispiel kam sie immer mit großen Paketen an, deren Inhalt heimlich in der Weihnachtsstube aufgebaut wurde. Es wird wohl kaum eine Familie in Stade gegeben haben, deren Geschenktisch so vollgepackt war. Wir wurden darin sehr verwöhnt. Ich persönlich muß ihr besonders dankbar sein: Ich fiel einmal beim Spielen so unglücklich vom Dachboden, daß eine gefährliche Wunde über dem einen Auge entstand, und die Eltern waren verreist. Sofort nahm mich Fräulein von Plate für längere Zeit auf. Auch ihre Etage und den schönen Garten sehe ich noch vor mir, wo ich treu gepflegt wurde. Dann kam die Zeit, wo die Jungen anfangen, Briefmarken zu sammeln. Nur um meinetwillen wohl fing die alte Tante an, mit mir Briefmarken zu ordnen und zu kleben. Oft haben wir in ihren Zimmern mit den alten, feinen Möbeln zusammen »gearbeitet«! Aus späterer Zeit habe ich sie noch als treue Kindergottesdiensthelferin meines Vaters in Erinnerung. Wir waren lange in ihrer Gruppe. Zu den Menschen, die mir einmal eine ganz besondere Freude bereiteten, gehört noch ein älteres Schwesternpaar, treue Kirchenbesucher, die wohl an keinem Sonntag im Gottesdienst fehlten. Wir standen ihnen sonst nicht besonders nahe. Sie wohnten in unserer Nähe und haben uns von ihrem Fensterplatz aus sicherlich oft beobachtet. Ich war schon Primaner. Da ließen sie mich kommen und eröffneten mir, sie wollten mir sechzig Mark schenken, damit ich an einer Schulreise nach Weimar zu den Schiller-Erinnerungsstätten teilnehmen könnte.-Ich konnte es erst gar nicht glauben, weil sechzig Mark für die damalige Zeit und auch für die beiden Schwestern viel Geld waren. Aber ich mußte das Geld annehmen und diese Reise machen. Noch heute denke ich dankbar an ihre große Freundlichkeit zurück. Neben dem Hause in Ostfriesland gab es in der Nähe von Stade selbst noch einen Platz, an dem wir häufig längere oder kürzere Ferientage, vor allem in den eigentlichen Kinderjahren, verbracht haben. Die Eltern einer unserer Haustöchter hatten einen großen Obsthof in Barnkrug an der Elbe. Auch diese Zeit steht mir lebhaft vor der Seele, wie wir Kinder abends mit der ganzen Familie am Tisch saßen und mit aus der Bratpfanne Kartoffeln aßen oder wie wir in den großen Kirschgärten mit ihren wohl tausend Bäumen helfen durften, Kirschen zu pflük-ken und in die Schiffe zu verladen. Später wurde ich für ein Jahr in der Nähe Pastor und habe als Erwachsener besser beurteilen gelernt, wie schwer die Leute arbeiten mußten. Für uns Kinder war es eine einzige große Freude, auf dem Lande bei alledem mit dabeizusein und zu helfen. Dazu eine kleine Geschichte, die mein Vater mir später erzählt hat: Mein jüngerer Bruder und ich waren als kleine Burschen wieder für längere Zeit zu diesen Bekannten aufs Land geschickt worden. Als wir nach den Ferien zurückkamen, holte mein Vater uns auf dem nur wenige Minuten von unserem Hause entfernten Kleinbahnhof ab. Ich hatte die Hand des Vaters ergriffen. Der kleine Bruder dagegen sah ihn kaum an, lief an ihm vorbei, weiter und weiter, um die Ecken herum, die Straßen entlang, wir hinter ihm her bis an unsere Haustür, die er gerade selbst öffnen konnte, durch alle Türen hindurch, um - im Schoß der Mutter landen zu können. Da fand er, vor Freude weinend, Geborgenheit. Er hatte Heimweh gehabt. (Ist es nicht ein Gleichnis dafür, daß wir Menschen alle ein tiefes Verlangen in uns haben, zur wahren Ruhe zu kommen? - Da gilt es auch, durch alle Hindernisse hindurch dorthin zu laufen, wo wir diese Ruhe allein finden können: in der Gemeinschaft mit dem lebendigen Gott.) Was bedeuten doch in unserem Leben kleine Freundlichkeiten! (Warum sind wir eigentlich nicht mehr erfinderisch, den anderen Menschen durch viele kleine Dinge das Leben zu verschönen? !) Aus der Studentenzeit Meine ersten Eindrücke vom lebendigen Christsein und mein . erster Blick für die Herrlichkeit Jesu Wie meine Eltern auf den Gedanken gekommen sind, mich als Unterprimaner zum erstenmal auf eine Freizeit der damaligen »Bibelkreisbewegung« zu schicken, habe ich nie recht erfahren. Ich habe aber zwei solche BK-Ferienlager im Harz kurz vor Beginn meines Studiums miterlebt. Da habe ich zum erstenmal etwas vom lebendigen Christsein zu spüren bekommen.- Ich gehöre zu den vielen, für die diese »Bibelbewegung unter den Schülern höherer Lehranstalten« entscheidende Bedeutung gehabt hat. Dabei geschah nicht viel Besonderes; aber wie empfänglich ein Schülerherz für die Welt des Glaubens sein kann, zeigt sich darin, daß ich bis heute das kurze freie Gebet des Leiters dieses Bibellagers in Erinnerung habe. Das kannte ich bisher so nicht und nahm es staunend in mich auf: man kann frei mit Gott reden, man darf sogar mit anderen zusammen beten; es gibt einen Glauben an Jesus, der auch schon junge Menschenherzen erfüllt. Das war ein erstes spürbares Arbeiten des Geistes Gottes an meinem Herzen. Im ersten Sommersemester 1914 in Tübingen hat sich das dann vertieft. Ich trat bald der DCSV (Deutsche Christliche Studentenvereinigung) bei und habe die Einweihung ihres neuen Hauses in Tübingen miterlebt. Der spätere Reichskanzler Michaelis nahm teil, auch Jacob Vetter, der bekannte Evangelist und Gründer der Zeltmission. (Wie konnte ich ahnen, daß ich Jahrzehnte später einen ähnlichen Dienst tun würde wie dieser Evangelist!) Dort fand ich Studenten, die bereits in der Nachfolge Jesu standen und mich unter ihre Fittiche nahmen. An dieses Sommersemester kann ich heute nur mit einer gewissen Verwunderung zurückdenken. Das gab es wirklich einmal, dieses Deutschland vor den beiden Weltkriegen im Frieden, ein Studentenleben, wohl nicht ohne Kämpfe, aber doch so idyllisch?! Wir waren fleißig, aber hatten auch Zeit für Wanderungen, Spiele und fröhliche Gemeinschaft. Diese Gemeinschaft war geprägt durch Sauberkeit und Ritterlichkeit (wohl mehr, als es heute weithin ist?). Ich denke zum Beispiel mit Dank an die Stunden etwa mit El. v. Randenborgh (die später die bekannten Familienromane schrieb!) zurück. Nie ist mir der Gedanke gekommen, eine Art »Freundschaft« zu pflegen. Wir waren froh zusammen und halfen uns gegenseitig. Ich habe damals vor allem Professor Adolf Schiatter und Theodor Häring gehört, wenn auch kaum verstanden. Trotzdem denke ich dankbar an die Gesamteindrücke in den Kollegstunden zurück. Es sind vor allem für einen jungen Menschen diese unwägbaren Dinge, die ihn prägen und bestimmen. Unvergeßlich sind die Eindrücke der Bibelabende, die sowohl Schiatter wie auch Wurster in der DCSV hielten. Noch heute weiß ich den Text, der mir damals tiefen Eindruck machte (i. Johannes 1). Das Bild Jesu wurde lebendig vor unsere Augen gemalt. Mehr noch bedeutete mir die Freundschaft mit Heinrich Oltmann, dem späteren ostfriesischen Pfarrer, der dann in der theologischen Auseinandersetzung zwischen Theologie und Pietismus eine Verbindung herzustellen versuchte. Es gab viele frohe Stunden im Kreise der Freunde, bis hin zu einem »Budenzauber«, den sie mir machten und dabei meine ganze Bude auf den Kopf stellten. Es gab aber auch manches ernste Gespräch. Ich sehe mich noch am Neckar mit Heinrich Oltmann Spazierengehen, wo die Schönheit der Natur vergessen wurde über dem, was der Freund mir sagen mußte, und wie er auf meine Fragen antwortete. Viel intensiver wurden die kurzen Jahre nach dem Kriege in Göttingen und Berlin durchlebt. Die Zeit wurde ausgekauft. Schon nach eineinhalb Jahren machte ich das erste und nach zwei weiteren Jahren das zweite theologische Examen in Hannover. Zwischendurch lag noch das Vikariatsjahr in der Nähe von Bremen. Dabei habe ich mich keineswegs auf das eigentliche theologische Studium beschränkt, sondern nahm mit heißem Herzen an dem allgemeinen Studentenleben der damaligen Zeit teil. Ein Semester lang war ich mit in der Leitung der Studentenschaft Göttingen. Vor allem wurde ich gleich in den Neuaufbau der DCSV hineingezogen. Ich war mehrere Semester lang ihr Kreisleiter in Göttingen. Was wir da alles schon gewagt haben: öffentliche Vortragsabende mit Freigabe des Wortes zur Diskussion oder auch die Einrichtung vieler Kleinkreise auf den Buden. Ich übernahm den Kreis für äußere Mission, ohne selbst viel von all den schweren Fragen, die da Vorlagen, zu wissen. Viel hat uns Paul Althaus geholfen, der als junger Dozent seinen ersten Dienst in Göttingen tat und mehr als einmal zur Bibelstunde zu uns kam. Es machte tiefen Eindruck, als ich ihn abholte und er auf dem Wege darum bat, nur wenig miteinander zu reden, da er sich innerlich vorbereiten möchte. Kennzeichnend war, daß er seine Vorlesung über die Apostelgeschichte ins Maximum der Universität verlegen mußte, weil so viele Hörer gekommen waren. Ich habe seine seelsorgerliche Wärme in lebendiger Erinnerung. Sonst verdanke ich vor allem Carl Stange mit seinen kristallklaren Vorlesungen viel. Damals war auch Karl Barth in Göttingen, dessen Römerbrief in dieser Zeit erschien. Eine Antwort, die er mir damals gab, werde ich niemals vergessen. Ich hatte ihn etwas unverfroren, aber auch in großem Vertrauen, gefragt, ob er in seiner Theologie nicht viel zu einseitig sei. Da antwortete er nur: »Nehmen Sie mir den Schuß nicht aus der Pistole!« Fast etwas schmunzeln muß ich, daß viele von uns schon damals empfanden, wie sehr das theologische Studium neugestaltet werden müßte. Es war schon damals viel zu sehr intel-lektualistisch ausgerichtet, es fehlte die wirkliche Hinführung vor allem seelsorgerlicher Art zum Dienst in den Gemeinden. Schon damals habe ich eine Eingabe gemacht, man solle doch auf den Zwang, auch hebräisch zu lernen, verzichten (obwohl ich selbst mein Hebraikum mit x gemacht hatte und Freude an der Sprache empfand). Auch sonst haben wir damals ganz ähnliche Vorstellungen gehabt, wie sie jetzt mehr und mehr laut werden. Nur leider kommt es zu keiner grundlegenden Änderung. Oft habe ich in den letzten Jahren an Bischof D. Lilje nur die wenigen Zeilen geschrieben: ceterum censeo, Studium theologorum esse mutandum, das heißt in Anlehnung an das bekannte Wort Catos: ich bin der festen Überzeugung, daß das theologische Studium gründlicher Neugestaltung bedarf. Leider konnte auch er hier nicht weiterhelfen. Dabei wird die Not immer größer und die Notwendigkeit der Änderung und Verbesserung immer dringender (siehe jetzt die Vorschläge von Präses D. Beckmann, dem ich sofort meine herzliche Zustimmung gegeben habe). In den Semesterferien wurden zum ersten Male christliche Studentenkonferenzen durchgeführt, und sie waren sehr stark besucht. Dabei bekamen wir in Neu-Dietendorf tiefe Eindrücke von einer Herrnhuter Gemeinde. Auf diesen Konferenzen war es vor allem Paul Humburg, der später die Bekennende Kirche mit führte, durch den wir angesprochen und gesegnet wurden. Die Bibelarbeiten, die er uns auf den verschiedenen Konferenzen hielt, sind später gedruckt worden. Wer auch nur einen kurzen Blick in sie hinein tut, wird begreifen, welch tiefe Wirkungen von ihnen und von ihm selbst ausgingen. An dieser Stelle sei ein kleines Erlebnis eingeschaltet, das einen Blick öffnet für das stille Wirken des Geistes Gottes in dieser Zeit: Ich wohnte bei einer alten, lieben Professorenwitwe. Sie hat rührend für mich gesorgt. Ich aß mit ihr im Zimmer, ich hatte Familienanschluß. Es war eine schöne Zeit. Nur hatten wir jeder unser Brot und unsere Butter für sich. Sie aß weniger, sie hatte auch wohl Besuch von ihren Kindern; da war es besser so, daß jeder sein Teil hatte. Eines Morgens komme ich zum Frühkaffee ins Zimmer. Niemand ist da. Ich sah zwei große Brote liegen. Das eine aber war größer als das andere. Das größere lag auf dem Platz der Professorin, das kleinere auf meinem Platz. Ein Griff - umgetauscht! Ich hatte Hunger. Ich dachte auch wohl, sie braucht ja nicht so viel, vielleicht weiß sie auch gar nicht, daß die Brote unterschiedlich groß sind. - Kaum hatte ich es getan, kam sie ins Zimmer. Freundliche Begrüßung, sie aß mit mir. Sie hatte nichts gemerkt, ich war froh! Froh? Nein, das war ich keineswegs. Ich war todunglücklich. Ich sagte aber nichts. Ich ging ins Kolleg. Ich hörte zu, aber ich konnte nichts begreifen. »Dieb! Du hast betrogen! Du hast das Vertrauen deiner treuen Wirtin mißbraucht!« So klang es in meinem Herzen. Ich ging ins Theologische Seminar, ich wollte lesen, arbeiten, meine Gedanken auch dadurch vertreiben. Die Buchstaben las ich, den Sinn verstand ich nicht. Zuletzt gerieten mir die Buchstaben richtig durcheinander. »Theologe willst du sein und hast gestohlen? Christ willst du sein und kannst so heimlich und schändlich handeln? Gehe hin und entschuldige dich!« So hieß es. - »Nein, das geht nicht, das ist unmöglich. Ich blamiere mich ja. Außerdem ist es ein weiter Weg. Was wird sie sagen, wenn ich vormittags nach Hause komme? Das ist ja noch nie vorgekommen.« Ich blieb. Ich las weiter. Ich versuchte zu arbeiten. Es ging nicht. (Kennen wir diese Unruhe? Sonderbares Ding, das Gewissen!) Ich hielt es nicht aus. Ich bin gegangen. Der Weg ist mir schwer geworden. Es ging langsam. Es ging auch schnell. »Nun, Herr Bruns, warum kommen Sie denn vormittags? Das haben Sie ja noch nie getan, haben Sie etwas vergessen?« Mit diesen Worten, die ich schon erwartet hatte, wurde ich freundlich empfangen. »Ja ...« Ich ging in mein Zimmer. Und nun hieß es, den schweren Weg vom Zimmer über den Flur ins andere Zimmer zu finden. Diese wenigen Schritte waren die schwersten. Aber sie gelangen. Ich habe die liebe Wirtin um Verzeihung gebeten, daß ich sie belogen habe. Großes Erstaunen, aber sie verstand. Ich aber wurde sehr froh. Entscheidende Bedeutung für mein Leben hatte eine Kollegstunde von Professor Stange. Es war an einem Montag, 15.30 Uhr nachmittags in der Göttinger Universität. Um 15.15 Uhr sollte das Kolleg eigentlich beginnen. Auf dem Vorlesungsverzeichnis war Bibelkunde angezeigt. Es hatten sich nicht viele eingefunden. Einige Stunden lagen schon hinter uns, nun sollten wir weiterhören. Ich hatte die Bibel noch nie ganz gelesen. Mir lag daran, wirklich Bibelkunde zu »treiben«. Aber es schien heute nichts daraus zu werden. Gerade wollten wir etwas ärgerlich auseinandergehen, da kam Professor Stange angekeucht. »Entschuldigen Sie, meine Herren, ich habe verschlafen.« Wir scharrten, wie das bei Studenten so Sitte ist, aber es war nur ein Augenblick, es tat uns gleich leid. Wer kann sich nicht mal verschlafen? Und dann - kam eine entscheidende Stunde für mein ganzes Leben, denn nicht eigentlich Bibelkunde wurde gegeben, sondern Professor Stange fing an - ich kann es nicht anders sagen -, uns die Herrlichkeit Jesu vor die Augen hinzustellen. Ich sehe noch jetzt den kleinen Kollegsaal vor mir, und mich in einer der ersten Reihen sitzen. Ich habe nicht viel mitgeschrieben, wie sonst, ich habe nur zugehört, gestaunt, gedankt und in mich aufgesogen. Wir sind dann auseinandergegangen. Professor Stange hat es nicht gemerkt, was sich im Herzen des jungen Studenten ereignete. Viele Jahre später habe ich es ihm erzählt, und er hat sich sehr gefreut. Erst hinterher habe ich in der ganzen Klarheit erfaßt, was da geschehen war. Es leuchtete etwas von der Einzigartigkeit und Schönheit Jesu auf, so daß ich seitdem im Grunde nie wieder echte Zweifel an ihm gehabt habe. Von Sünde und Schuld habe ich da noch nicht viel gewußt oder gekannt, habe auch keinen Menschen aufgesucht, um etwas zu beichten oder mit ihm zu beten. Und doch: es war eine entscheidende Stunde in meinem Leben. Über die Herrlichkeit Jesu hat damals Stange gesagt: »Nie ging einer über diese Erde wie Jesus, der von j-ich sagen konntej >Ich bin ohne Sünde!« Das hat niemand zu sagen, ja, nicht einmal zu denken gewagt, kein Buddha, kein Mohammed, niemand. Nur er konnte seine Feinde fragen: »Wer unter euch kann mich einer Sünde zeihen?« Und sie mußten alle schweigen. Er war sündlos. Nie ging einer über diese Erde, der sagen konnte wie Jesus: >Ich vergebe dir deine Sünden.« Das hat niemand zu sagen, ja niemand zu denken gewagt. Keiner der großen Religionsstifter, keiner der Dichter und Denker, nur er konnte vielen sagen: »Dir sind deine Sünden vergeben.«« Jesus wurde uns in seiner Einzigartigkeit und Schönheit dargestellt. Das war Bibelkunde besonderer Art. Da war der Kollegsaal zur Kanzel geworden, der Theologe Zeuge. Fast zur selben Zeit fiel mir ein Buch in die Hand, das ich geradezu verschlungen habe.. »Der Goldgrund des Lebens Jesu!« von Otto Borchert. Sonderbar, daß dieses Buch zunächst keinen Verleger fand und es niemand herausbringen wollte. Später ist es in immer neuen Auflagen herausgekommen. Mir ist es zu einem der wichtigsten Bücher meines Lebens geworden. Es ging mir wie den Jüngern, die mit Johannes und Petrus bekennen mußten: »Wir sahen seine Herrlichkeit, wir haben erkannt und geglaubt, daß du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.« Hier muß ich auch an die Besuche der DSCV-Sekretäre denken, die das damals aufbrechende Leben in unseren Kreisen entscheidend vertieften, etwa an den leider so früh verstorbenen Dr. Johannes Weise. Er hat damals das kleine Büchlein »Der Weg zu Jesus« geschrieben, das ich mit großer Dankbarkeit las. Als er dann selbst mehrmals zu uns nach Göttingen kam, erlebte ich seine seelsorgerliche Art und seine warme Güte, die helfend Wohltat. Kaum weniger wichtig war der Abschluß des Studiums in Berlin. Ich habe noch einige Male Adolf von Harnack und Reinhold Seeberg hören können. Wer wurde nicht von der hohen Wissenschaftlichkeit und weltweiten Art ihres Denkens beeindruckt! Daneben stand dann viel schlichter, aber darum auch um so wirksamer, der praktische Theologe Mahling. Hier traten auch noch andere Dinge in mein Blickfeld, zum Beispiel Damaschkes Fragen um die Bodenreform. Ich kam in sein Haus und half ihm sogar einmal durch mehrere Vorträge auf seiner Reise in Schlesien mit. Von Berlin aus wurde ich als Vertreter der deutschen christlichen Studentenschaft nach Holland und Dänemark geschickt, um dort an den ersten christlichen Studentenkonferenzen nach dem Kriege teilzunehmen. In Holland (Nunspet) wohnte ich mit Johannes Kühne zusammen, dem späteren Leiter des Paulinums, und nach Dänemark fuhr ich mit dem späteren Reichskanzler Michaelis. Woher ich eigentlich den Mut hatte, weiß ich selbst nicht, ich sprach damals über die deutsche Schuldfrage am Kriege. Diese Reise nach Dänemark hatte insofern eine starke Nachwirkung, weil ich da mit Menschen zusammengeführt wurde, die bis heute mit uns freundschaftlich verbunden sind. Aus einigen der Familien, die ich kennenlernte, kamen später mehrere Töchter als Haustöchter in unser Haus, ja, sie haben zum Teil hier bei uns den Herrn ihres Lebens gefunden und sind darum noch mehr mit uns verbunden als vorher. Einige haben uns oft mehrfach im Jahr besucht, und wir waren häufig im gastfreien Dänemark. Eine besondere Freundschaft verbindet uns mit dem früheren Leiter der dänischen Gemeinschaftsbewegung (man nennt sie in Dänemark »Innere Mission«), es ist P. Chr. Bartholdy. Ähnlich geht es uns mit seinem Kopen-hagener Bruder Georg und seiner Familie. Welch ein Reichtum vielfachen Erlebens ist uns durch diese Begegnungen geschenkt worden! Aber diese Fahrt nach Dänemark weckt in mir noch eine weniger angenehme Erinnerung. Sie zeigt, wozu auch ein »christlicher« Student fähig ist und was er dann erlebt: Man hatte mir für die Fahrten in Dänemark einen Freifahrtschein ausgestellt: Von der Grenze bis nach Nyborg und zur Grenze zurück. Die dänische Staatseisenbahn war großzügig gewesen. Ich bin mit diesem Schein durch ganz Dänemark gereist. Das war gar nicht schwer. Er war so ausgestellt, daß ich überall durchgekommen bin. Ich wurde viele Male in den Zügen kontrolliert. Keiner der Beamten hat auch nur einmal Anstoß genommen oder gefragt. Ist es nicht sonderbar: Ich fuhr zu einer christlichen Konferenz, ich habe viele gute Ansprachen und Predigten gehört. Ich habe selbst zweimal gesprochen; und gleichzeitig konnte ich, ohne Gewissensbisse zu bekommen, betrügen. Lange schlief mein Gewissen. Jahre später wurde auf einer Konferenz davon gesprochen, daß viele auch in scheinbaren Kleinigkeiten Schuld auf sich lüden. Einer erzählte, wie er auf der Bahn betrogen habe. Da spürte ich die erste Unruhe. In einem Buch von Fr. Buchman, dem bekannten Begründer der »Gruppenbewegung«, stieß ich zum zweiten Male auf dieselbe Sache. Auch er war einmal zu weit gefahren, ohne dafür bezahlt zu haben. Er mußte es bekennen und in Ordnung bringen. Da war die Unruhe wieder da - und ist nicht gewichen. Ich habe dann - nach langem Zögern und Widerstreben - an die dänische Bahn Verwaltung in Kopenhagen geschrieben: das und das hätte ich getan, so und so wäre der Zusammenhang. Man möchte mir mitteilen, wieviel das etwa ausmachte. Die Antwort kam schnell: Man bat mich 20 Kronen einzuzahlen. Ich habe sie gesandt und wurde sehr froh. Es war schon ein reiches Erleben in den wenigen Semestern des Studiums. Ich bekam erste wichtige Eindrücke vom lebendigen Christsein und erste Blicke für die Herrlichkeit Jesu. Damit war ich noch nicht im biblischen Sinne wiedergeboren. Ich war im Embryochristentum wie viele andere fromme »christliche Leute«. Ein Embryo ist das kleine Wesen im Leib der Mutter, das wohl schon Leben hat, aber noch nicht geboren ist. Erst wenn es geboren wird, kann es wirklich leben und dann auch weiterwachsen und wieder Leben erzeugen. So ist es bei vielen auch heute noch: Sie haben Leben, sie verstehen schon manches, was mit geistlichem Leben zusammenhängt, aber sie sind noch nicht geboren, sie haben noch kein eigenes Leben. Das wird erst geschenkt mit der biblischen Wiedergeburt. Sie kam bei mir viel später. Siebeneinhalb Jahre Soldat Ja, soviel Jahre wurden es: vier Jahre im ersten Krieg an der eigentlichen Front, Rußland und Frankreich, dreieinhalb Jahre im zweiten Weltkrieg im Heimateinsatz. Das schöne Sommersemester 1914 in Tübingen mit seinem Studieren, dem täglichen Tennisspielen, den mancherlei Wanderungen und ersten Eindrücken echter Freundschaft ging gerade zu Ende, da brach der Krieg aus. »Meine Herren, heute geschieht Geschichte!« Das waren die Worte Professor Schiatters im Maximum der Universität, mit denen er uns junge Studenten entließ. Bald darauf war schon einer seiner Söhne gefallen. Wir fuhren eilig nach Hause und meldeten uns wie selbstverständlich freiwillig. Man kann es kaum noch begreifen, aber so war es 1914: Ich stand mit Tränen auf einem Kasernenhof in Oldenburg, weil ich als Kriegsfreiwilliger nicht angenommen wurde. Ungezählte mußten zurückgestellt werden, weil man sie noch nicht gebrauchen konnte oder vielleicht sogar meinte, sie überhaupt nicht mehr nötig zu haben. Erst im September 1914 wurde ich bei der Artillerie in Güstrow angenommen. Eine Welt brach schier bei mir zusammen, als ich da mit sieben anderen jungen Leuten auf der Kasernenstube schlief und fast alle Abende alleinblieb. Die anderen waren zu ihren Mädchen gegangen und kamen manchmal erst spät zurück. Am Sonntag konnte ich natürlich auch nicht zur Kirche gehen, weil ich Pferde putzen mußte. Ich habe in meiner Harmlosigkeit noch darum gebeten, ob ich nicht am Sonntagvormittag wenigstens diese Stunden frei haben könnte, aber es wurde lachend abgelehnt. Dann galt es, vieles zu lernen, zum Beispiel das Grüßen, aber auch das Warten. (Wie heißt es doch: »Die längste Zeit des Lebens wartet der Soldat vergebens.«) Stundenlang haben wir auf dem Kasernenhof gestanden oder beim Einkleiden gewartet, bis man an die Reihe kam. Aber es war gut, daß die rauhe Wirklichkeit des Lebens erkannt, durchlebt, ja durchlitten werden mußte. Ich kam aus dem behüteten Elternhaus. Ich lernte sehen - so hatte es der alte Schiatter immer im Kolleg gesagt -, wie das Leben war, wie die Sünde knechtete, wie auch die Befehlsgewalt manches Mal durch die Unteroffiziere ausgenutzt wurde und vieles unnötig zerstörte. Ich mußte auch reiten lernen (und habe später sogar das silberne Reiterabzeichen gemacht). Im Oktober kam dann der Einsatz an der Front in Ostpreußen. Ich nahm an der großen Umfassungsschlacht gegen die Russen teil und feierte den Sieg Hindenburgs mit. Tausende von Russen wurden in die Gefangenschaft abgeführt. In einer Nacht wäre ich dabei fast in die Hände der Feinde gefallen: Ich sollte eine Meldung überbringen und verirrte mich bei dem Rückritt völlig im Dunkeln. Da zerteilten sich die Wolken, das Sternbild des Großen Bären wurde sichtbar. Ich konnte mich orientieren, ritt einfach nach Westen weiter und kam zu unserer Truppe zurück. Aus vollem Herzen habe ich gedankt: Ich war bewahrt worden. Die Sterne waren Gottes Boten und Wegweiser gewesen. Wir kamen dann weiter bis hinter Wilna, und aus schnellem Vormarsch wurde der Stellungskrieg. Da habe ich viel schöne Soldatenkameradschaft erlebt, und manches Bild in meinem Schreibtisch zeigt, wie fröhlich wir zusammengehalten haben. Durch Wochen hindurch war es so still an der Front, daß man fast vergessen konnte, wo man war. Nur die vielen Läuse, die täglich abgesucht werden mußten, erinnerten daran, oder auch die Flöhe, die einen des Nachts peinigten. Sonst aber hatten wir es gut, bis an einem Sonntagvormittag ein Volltreffer eines unserer Geschütze zertrümmerte und dabei zwei unserer Kameraden den Tod fanden. Ich wurde aufgefordert, sie zu beerdigen. Ich war ja der »Theologe« in der Batterie. Was habe ich getan? Ich habe über die Worte Jesu aus der Offenbarung 2 gesprochen: »Sei getreu bis in den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben!« Was ich im einzelnen gesagt habe, weiß ich nicht mehr; ich entsinne mich nur des Textes. Ich bekam hohes Lob vom Batterieführer, der ein völlig gottloser Mann war, und auch von den Kameraden, die alle ohne Bibel und Gebet lebten. Aber ich bin noch nachträglich traurig, daß ich dieses Wort, das doch an die Gläubigen für kommende Verfolgungen gerichtet ist und sie ermuntern soll, dem Herrn Jesus treu zu bleiben, wenn auch in bester Meinung, auf zwei deutsche Soldaten anwandte, die den Tod an der Front gestorben waren. Nur ganz selten bin ich Menschen begegnet, die wirkliche Christen waren. Der großen Menge der Kameraden war trotz Konfirmation und vielleicht auch mancher kirchlicher Gewöhnung alles wahre Christsein fremd. Wo man Menschen traf, die beten konnten, waren es allermeist Leute aus den Gemeinschaften oder Freikirchen. Nach zwei Jahren Rußland kam ich als Offizier noch nach dem Westen, erst an die Verdunfront, dann mehr in ruhigere Stellungen im Elsaß. Überall war es dasselbe Bild: viel stiller und tapferer Einsatz, aber je länger, um so mehr für eine verlorene Sache; leider auch manches unschöne Bild von der inneren Fäulnis des Heeres, vor allem hinter der Front. Es wäre falsch, dies alles zu verallgemeinern, aber es gab doch Abende mit Zechgelagen, bei denen ich der einzige war, der nüchtern blieb. Wohl hat es bei solchen Abenden manches gute Gespräch gegeben. Ich wurde ja sehr bald gefragt, warum ich denn nicht mit tränke, und konnte dann nicht verschweigen, daß ich ein gutes Beispiel gehen oder des »Bruders Hüter« sein möchte. Allermeist aber war man einsam mitten unter all den Menschen und konnte nur still schweigen. Ich bin dann am Ende des Krieges wohl an der Spitze einer Batterie nach Berlin zurückgekehrt, aber es war doch der verlorene Krieg, der hinter uns lag. Mit wehem Herzen stand ich Unter den Linden, wo Ebert und Scheidemann mit anderen zusammen diese zurückkehrenden Truppen unter dem Brandenburger Tor begrüßten. (Daß unter den Tausenden auch meine zukünftige Frau stand, habe ich erst nach Jahren durch sie erfahren.) Wir kamen zurück, ein zerschlagenes und zerrissenes Volk. Im Kriege hatte ich ein Neues Testament bei mir, daneben Goethes »Faust« und Schopenhauers »Aphorismen«. Ein sonderbarer Dreiklang, aber ein typisches Zeichen des Gärens in Kopf und Herzen des jungen Theologiestudenten. Gelesen habe ich nicht viel in den drei Büchern. Nur ein Erlebnis im Unterstand von Verdun ging tiefer. War es die Nähe der Front oder gar des Todes? Aber es war wohl mehr. Der Geist Gottes gebrauchte eine kleine Stelle aus dem Galaterbrief (Gal. 3, 1), um mich im Herzen »anzurühren«. Mir wurde, wie es hier Paulus ausdrückt, »Jesus Christus vor die Augen gemalt«, als wäre er für mich gekreuzigt. Gesagt habe ich nichts davon, aber behalten habe ich es bis heute. Es gibt ja auch ein stufenmäßiges Erkennen der Herrlichkeit der biblischen Botschaft, es blitzen Wahrheiten auf, die wohl wieder verdeckt und fast vergessen werden, aber sie sind doch da und wirken weiter. Im zweiten Weltkrieg (das sei gleich hier eingefügt), wurde ich als Älterer und Familienvater nicht mehr an die Front geschickt, sondern war dreieinhalb Jahre an verschiedenen Stellen in der Heimat eingesetzt. Hier war es nun völlig anders als 1914. Wenige meldeten sich freiwillig, noch weniger waren begeistert. Mancher ahnte schon, daß es kein gutes Ende nehmen würde; wir wurden gerufen, ja befohlen, und es galt zu gehorchen. Zunächst wurde man von den ersten Erfolgen in Polen und Frankreich mitgerissen und meinte schon fast, es wäre doch dör Krieg Großdeutschlands, aber je länger um so mehr stellte sich das große Bangen ein. Ich hatte es äußerlich gut. In den ersten Monaten stand ich zusammen mit Pfarrer Haun, einem Bruder und Freund aus Marburg, dem Leiter unseres Diakoniewerkes. Man konnte sich treffen und sprechen und auch zusammen ausreiten, auf jeden Fall gegenseitig ermuntern und helfen. Außerdem durfte man alle vierzehn Tage über ein Wochenende nach Hause fahren, oder Frau und einzelne Kinder konnten mich besuchen. Später hatte ich in Fulda einen gütigen Vorgesetzten (Major von Bethmann), der uns viel Freiheit ließ. Es gab auch peinliche Situationen, zum Beispiel als mich an einem der Kasinoabende einer der Offiziere bloßstellen wollte, weil ich bei einem »Prost« nicht mit Wein oder Bier antwortete. Major von Bethmann half aus der Verlegenheit heraus, indem er mir im gleichen Augenblick freundlich zutrank und damit den anderen zum Schweigen brachte. In Fulda habe ich auch guten Kontakt mit Offizieren und Soldaten gehabt, mit denen ich mich außerhalb des Dienstes traf und sogar beten konnte. Inzwischen war ich Christ geworden, hatte innerlich Klarheit und Festigkeit bekommen, so daß ich jetzt auch etwas sagen und bezeugen konnte, was mich innerlich bewegte. Bei einer Vereidigung, wo ja immer einer der Offiziere einige Worte sagen mußte, hatte ich, wenn auch nur kurz, so doch in aller Klarheit von Jesus Christus gespro- chen. Schon am nächsten Tag kam es mit einem Kameraden zu einem überraschenden Gespräch. Er wollte gern noch einmal auf Sonntagurlaub fahren und sagte zu mir: »Darf ich darum bitten? Sie sind ja auch ein Kind Gottes.« Wohl war das im Gespräch mit einem Vorgesetzten etwas überraschend ausgedrückt, und doch habe ich mich darüber gefreut und ihm ohne weiteres Urlaub gegeben. Ich denke auch mit stiller Freude an mehrere katholische Soldaten zurück, die rührendes Vertrauen zu mir als ihrem Offizier bekamen. Mehr als einen Abend haben sie mit mir zusammen in meinem Zimmer gesessen, und wir haben viele Dinge des Glaubens besprochen. Mit dem mir zugeteilten Burschen habe ich oftmals Gebetsgemeinschaft haben können. Selbstverständlich war für mich damals der Versuch, Offiziere und Soldaten mit unter das Wort Gottes zu führen. Bei den ersteren gelang es gar nicht. Keiner war willig, im Gegenteil, ich stieß zum Teil auf bewußte Ablehnung, ja Spott. Die meisten waren höflich zurückhaltend. Dagegen sind von den Soldaten manche mitgegangen. In Fulda habe ich es erlebt, was es heißt, die »Brüder« zu suchen und zu finden. Am ersten Sonntag ging ich zur Kirche und wurde sehr enttäuscht. Darum ging ich am nächsten Sonntag zu einer Freikirche hin, es war eine kleine Baptistengemeinde. Ich kam leider etwas zu spät, der Prediger (er war Schneider) hatte bereits begonnen. Natürlich fiel ich als Offizier in Uniform auf und habe den alten Mann wohl etwas in Verlegenheit gebracht. Kurz vor Beendigung der Stunde fragte er, wer ich wäre. Ich antwortete: »Ich bin kein Baptist.« Leises Erschrecken bei ihm und den anderen. Ich fügte hinzu: »Ich bin Pfarrer.« Das Erschrecken wurde größer. Als ich dann meinen Namen nannte, hatten wir uns schnell gefunden, und ich habe manche Stunde dort in der Gemeinde miterlebt, ja, wurde sofort gebeten, eine der nächsten Stunden zu halten. Wir haben auch miteinander das Abendmahl gefeiert. Ein Stück lebendiger Allianz zu Beginn des Krieges! Selbstverständlich habe ich dann in der Woche regelmäßig die Gemeinschaftsstunden besucht, bei denen ich glücklicherweise mehrfach auch zuhören durfte. Meist allerdings wurde ich gebeten, sie selbst zu halten. Es war ein guter Kreis, in dem man sich wohl fühlen konnte. Daß mir ein Erlebnis aus dieser Zeit in Fulda kaum aus dem Sinn will, wird man begreifen: ein junger Soldat war wegen Fahnenflucht zum Tode durch Erschießen verurteilt worden. Der Kommandeur bat midi, daß ich mich dieses jungen Menschen annehmen möchte. Ich tat es mit Bangen und Freuden. Ich konnte lange mit ihm in seiner Zelle reden und zuletzt mit ihm beten. Ich bekam den Eindruck, daß er doch getroster und ruhiger den letzten Gang antrat. Eines Tages gab es für mich eine besondere Überraschung: Man rief mich aus Blankenburg in Thüringen an (ich war damals Ordonnanzoffizier der Abteilung) und bat mich, sofort die Schriftleitung des bekannten Blattes von Pastor Modersohn »Heilig dem Herrn« zu übernehmen. Der alte Freund und Bruder hatte Rede- und Schreibverbot bekommen, ab sofort mußte die Schrift von einem anderen herausgegeben werden. Tatsächlich habe ich es gewagt und weiß heute nicht mehr, wie es gelang, neben all dem Dienst als Offizier mehrere Monate lang das Blatt zu füllen und herauszugeben, bis es dann ganz verboten wurde. Meine letzte Dienststelle im Kriege war in Frankfurt am Main. Da hatte man mich als Betreuungsoffizier angefordert, und ich nutzte die Gelegenheit, an den verschiedensten Stellen in und um Frankfurt herum die »innere Front« bei den Soldaten zu stärken. Das gelang allerdings je länger, um so weniger, zumal in der Abteilung der Einfluß der Gestapo immer mehr spürbar war und ich auch in meinen Stunden bespitzelt wurde. Zu meiner Freude ergab sich die Gelegenheit, einige Abende in der schönen Lukaskirche das Evangelium zu verkündigen. Sie stand damals noch, mit den wertvollen Bildern von Steinhausen an den Wänden. Es waren die Tage der Kämpfe um Stalingrad, man spürte schon, wie die Front zusammenzubrechen begann. Die Kirche füllte sich Abend um Abend, und es war eine Freude, gerade in diesen Tagen die frohe Botschaft von Jesus weiterzugeben. Mein Vorgesetzter, ein Oberstleutnant, hatte von diesen Abenden gehört und machte mir Vorwürfe, ja, er wollte mir sogar diesen Dienst verbieten. Daraufhin habe ich ihn gefragt: »Herr Oberstleutnant, können Sie mir das wirklich verbieten? Das entzieht sich Ihrer Befehlsgewalt. Nach fünf Uhr ziehe ich Zivil an, dann kann ich die Abende doch gestalten, wie ich will.« Er aber blieb bei seinem Verbot. Da habe ich weiter gefragt: »Verbieten Sie den anderen Kameraden, was sie abends tun?« Ich deutete an, was er und ich genau wußten, wohin manche gingen und was sie taten. Da wurde er sehr verlegen und konnte natürlich nur mit einem »Nein« antworten. »Dann bitte ich, verstehen zu wollen, daß auch ich dabei bleibe, abends das Evangelium zu verkündigen.« »Ich fürchte nur, daß das Christentum uns hindert, den Krieg zu gewinnen.« »Und ich meine genau das Gegenteil. Wenn die innersten Reserven aufgezehrt sind, wenn das, was an echtem Christentum noch da ist, verschwindet, wird die Gefahr nur um so größer.« »Ich werde Sie morgen beim Generalkommando zur Entlassung melden.« Damit war ich aus dem Heeresdienst entlassen. Ich habe für die letzte Zeit des Krieges wieder meinen Reisedienst aufgenom-men und noch in mancher Stadt evangelisieren können, so in Königsberg, Potsdam, Emden, Detmold. Es ging wieder einmal nach dem Wort: »Die Menschen gedachten es böse zu machen, aber Gott machte es gut.« So haben auch diese siebeneinhalb Jahre Soldatenzeit mich mitgeformt. Ein Jahr als Vikar »Herr Vikar, ein Jüngling ist da.« Ich höre noch die Stimme. Es war im Pfarrhaus zu Kirchlinteln bei Verden an der Aller an einem Sonntagmittag. Ein junger Mann war zum »Jünglingsverein« erschienen. Darum rief der kleine Junge im Pfarrhaus den Vikar, der oben sein Zimmer hatte. Ich sollte herunterkommen, um eine Vereinsstunde zu leiten. Ich bin dann hinuntergegangen. Tatsächlich, der Jüngling war da und blieb auch der einzige, der gekommen war. Was ich mit ihm gemacht habe, weiß ich nicht mehr, aber die Stimme klingt mir noch heute im Ohr. Es war in Hannover, und es ist wohl in allen Landeskirchen Sitte, zwischen dem ersten und dem zweiten Examen im theo- logischen Lehrgang das sogenannte Vikariatsjahr einzuschalten, das heißt, man wurde für ein Jahr einem Pastor zugewiesen, der den angehenden Amtsbruder vor allem in die ganze Arbeit des Gemeindedienstes einführen, aber auch mit ihm wissenschaftlich arbeiten sollte. »Ich schicke Ihren Sohn zu einem unserer tüchtigsten Pastoren«, hat damals der zuständige Generalsuperintendent an meinen Vater geschrieben. »Auch Konzilien können irren«, hat Luther einmal gesagt. Ich habe manches Mal denken müssen: »Auch Generalsuperintendenten können sich täuschen.« Der Pastor, zu dem ich kam, meinte es gut und hat vieles versucht und getan, um mir jungen Menschen zu helfen. Es muß ja für ihn auch nicht ganz einfach gewesen sein. Ich hatte vier Jahre Krieg hinter mir, ich kam aus einem reichen Erleben in Göttingen, und nun sollte er helfen und führen. Er hat mit mir Griechisch und Hebräisch gelesen, wenn auch nur selten; er hat einige meiner Predigten, die ich halten mußte, mit mir durchgesprochen; er hat mir manches gezeigt, was äußerlich in einer größeren Gemeindearbeit zu tun ist. Ich hatte es gut. Zum Beispiel konnte meine Braut mehrfach kommen; sogar Freunde durfte ich einladen. Einer meiner dänischen Pastorenfreunde war wie selbstverständlich mehrere Tage im Pfarrhaus zu Besuch. Und doch bleibt das Bild leider getrübt. Innerlich hat mir alles das in keiner Weise weitergeholfen. Das habe ich damals nicht ganz so gemerkt, wie ich es jetzt sehe. Im ganzen war es ein verlorenes Jahr. Ohne Frage war alles ganz dem lutherischen Verständnis des Christentums gemäß echt und aufrichtig. Mehrere Male in dem einen Jahre wurden fünf oder sechs Pastoren oder Freunde der Familie zu einer besonderen Abendmahlsfeier ins Haus eingeladen, die zum Teil weite Reisen deswegen gemacht hatten. Dann feierten sie zusammen im Wohnzimmer des Hauses das Mahl, aber ich bin nie dazu eingeladen worden. Vorbildlich war die Art und Weise der Pfarrfrau, die damals gerade werdende Mutter war. Sie war eine Pfarrfrau, wie sie sein soll. Ihr schlug auch das Vertrauen vieler Gemeindeglieder entgegen, sie war für viele Menschen die heimliche Seelsorgerin. In ihrer Nähe fühlte man sich wohl, sie strahlte etwas von der Kraft und Wärme ihres Glaubens aus. Der Vikariatsleiter fuhr gelegentlich auch in andere Gemeinden hinein, um dort eine sogenannte »kirchliche Woche« zu halten. Es lag ihm am Herzen, die schlafenden Gemeinden zu wecken, aber auch das war zu sehr in den gewohnten Bahnen, gutgemeint, aber kaum durchschlagend und wirklich lebendig gut. Ich habe viel in der Gemeinde gelernt; einigen Kindern gab ich Nachhilfestunden und kam auf die Weise in manche Häuser hinein. Vor allem bei einem älteren Lehrerpaar bin ich oft gewesen; sie haben sich des jungen Vikars angenommen. Ich versuchte mich an einer wissenschaftlichen Arbeit über Karl Heim, was mir viel Freude und Gewinn brachte. Ich mußte mich auf das zweite Examen vorbereiten, so daß die Zeit schon ausgefüllt war; aber was wohl ein solches Vikariatsjahr bewirken sollte, wurde nicht erreicht. Mehr unbewußt ist mir schon damals aufgegangen, daß wirkliche Gemeindearbeit anders angepackt werden müßte und der Geist Gottes auf jeden Fall mehr hat und will, als mir damals gezeigt und vorgelebt wurde. Verlobung und Hochzeit - Ehe und Familie »Liebe Marianne! Entweder ist dieses der erste und letzte Brief, den ich schreibe, und es ist das erste und letzte Mal, daß ich >Du< sage, oder es wird für unser ganzes Leben so bleiben. Ich habe nur eine Frage an Dich: Willst du mit mir zusammen in der Nachfolge Jesu durchs Leben gehen? Wir kennen uns noch wenig, aber wir wissen voneinander. Alle äußeren Fragen werden sich klären, nur auf diese eine Frage erbitte ich eine kurze und klare Antwort. Mit herzlichem Gruß Dein . . .« Und so lautete bald darauf die kurze Antwort: »Ja, ich bin dazu bereit, daß wir beide mit Jesus zusammen unser Leben gestalten.« Diese Briefe haben natürlich auf beiden Seiten ihre Vorgeschichte, aber sie zeigen, daß ich mit Jesus gehen wollte und daß ich dasselbe auch von dem jungen Mädchen erwartete, an das ich jetzt schrieb. Das war ehrlich und aufrichtig von uns gemeint, wenn wir hinterher auch feststellen mußten, daß wir noch keine wirkliche Klarheit über den Weg mit Jesus hatten, weder ich noch meine Braut. Bei mir wiesen Elternhaus, Studium, DCSV ganz in die Richtung, und es wurde später ein Weg zu ihm und mit ihm. Meiner Frau ging es ganz ähnlich: Auch sie stammt aus einem kirchlich geprägten Hause. Die Eltern waren Bauern in der Lüneburger Heide. Sie waren treue Kirchgänger und haben es beide ernst damit gemeint. Meine Braut war das älteste der Kinder und wurde Freundin meiner Schwester. Sie waren beide auf dem Lehrerinnenseminar in Geestemünde. Dadurch kam sie in unser Haus, und wir lernten uns kennen. Eins ist mir gleich von Anfang an aufgefallen: Ihre große Einsatzbereitschaft für Menschen in Not. Sie war bewußte Abstinentin. Das machte mir besonderen Eindruck, da auch ich, durch Bücher wie »Helmut Harringa« und andere, bewegt über die Folgen, die durch den Alkohol kamen, ganz zu denen gehörte, die dieses Grundübel in unserem Volke bekämpfen wollten. Daß nun ein junges Mädchen klar denselben Kampf aufgenommen hatte, war mir überraschend. Erst später habe ich erfahren, welche Fragen des Glaubens sie bewegten. Sie erlebte die kirchliche Arbeit in ihrem Dorf intensiver mit als die meisten anderen. Es wurde über Jesus Christus gepredigt, aber von irgendwelchen Wirkungen im Alltag war wenig oder gar nichts zu spüren. Man ging zum Abendmahl, das war kirchliche Sitte und wurde mit einer gewissen Feierlichkeit mitgemacht, aber die Früchte des Glaubens und der Liebe waren in den meisten Häusern kaum erkennbar. Der Pastor war ein ernster Mann, der gut unterrichtete, auch vielfach ernst predigte, aber er war eng und gesetzlich, dabei zugleich ein Kettenraucher und Eigenbrödler. Uber diese Mißklänge konnte meine Braut kaum zur Ruhe kommen, ja es kam zu ernsten Glaubenszweifeln, ob nicht doch die Geschichten des Neuen Testamentes mehr Märchen wären als wahre Ereignisse. Als sie aber eines Tages meiner Schwester sagte, sie würde diese Geschichten den Kindern als schöne Märchen erzählen, da war diese so entsetzt, daß ich zu Hilfe gerufen wurde, um ihrer Freundin aus diesen Glaubenszweifeln herauszuhelfen. Es kam zu einem Briefwechsel besonderer Art: Sie schrieb von ihren Zweifeln, und ich versuchte zu antworten. Ihr ging es besonders um die Stelle 1. Kor. io, 13, aber auch um andere Fragen. Zunächst hatte das kaum viel mit Zuneigung zu tun, aber Gott wollte zusammenführen, was im Leben zusammen wandern sollte. Er wollte zur ganzen Klarheit verhelfen, was sonst wahrscheinlich im Vorhof oder sogar im Widerstreit des Glaubens hängen geblieben wäre. Und dann war es mir plötzlich klar: Das könnte die sein, die du als deine Lebensgefährtin erbitten dürftest. Wir hatten uns nicht viel gesehen: einige Male bei uns zu Hause, wohl auch mal bei einer Durchreise durch Geestemünde, aber in ihrem elterlichen Hause war ich nie gewesen, kannte darum auch die Familie und ihre bisherige Umgebung gar nicht, und doch mußte ich diesen Brief schreiben, und meine Braut mußte so antworten. Wenn wir jetzt zurückschauen, ist es mit Händen zu greifen, daß hier Jesus Christus, dem wir gehören wollten und sollten, am Werk gewesen ist und zwei junge Menschen zusammenbrachte, die sich sonst kaum gefunden hätten. Meine Braut hatte vier Jahre in ihrem Studium ausgesetzt, um den Eltern auf dem Hof zu helfen. Ohne diese Unterbrechung der Ausbildung wäre sie wohl nicht mit meiner Schwester zusammengekommen. Ich hatte schon andere junge Mädchen kennengelernt, zumal als Student, aber es ist mir nie der Gedanke gekommen, daß eine von ihnen meine Frau und Lebensgefährtin sein könnte. Hier war es mir und dann uns klar. So konnte ich eines Sonntags den Freunden in der DCSV meine Verlobung bekanntgeben. Nach diesem ersten schriftlichen »Versprechen«, wie man es so schön nennt, fuhr ich zu meinen Schwiegereltern, und gleich am ersten Tag unseres Zusammenseins konnten wir zusammen beten und haben es getan. Ich wurde dann für ein halbes Jahr Hauslehrer im fürstlichen Hause von Knyphausen bei Norden. Dort hatte ich den ältesten Sohn des Fürsten zu betreuen und zu unterrichten. Es ist für mich eine schöne Erinnerung, in dieser Zeit einen Einblick in ein kirchlich geprägtes Fürstenhaus bekommen zu haben. Dann kam nach dem zweiten Examen die Hochzeit. Einen schönen Anblick bot die auf der Diele des schwiegerelterlichen Hofes gedeckte große Hochzeitstafel. Kühe und Pferde waren in der sommerlichen Zeit auf der Weide. Nach der Trauung in der Kirche und vielen guten Reden der Gäste, vor allem des Vaters selbst, fuhren wir ins zweite Pfarrhaus nach Drochtersen an der Elbe. Die kleine Klingelbahn brachte uns hin - sie mutete schon damals mittelalterlich an - und war so gemütlich. Wir wurden herzlich begrüßt, auch durch den Chor des Jungmädchenvereins. Am nächsten Tag begann der Dienst in der ersten Gemeinde. Es ist daraus nun ein gemeinsamer Dienst durch vier Jahrzehnte geworden. Uns wurden in dieser Zeit (das zu erzählen, paßt am besten gleich an dieser Stelle) acht Kinder geschenkt. Eins starb allerdings gleich nach der Geburt (1942), die drei Ältesten mußten schon mit in den Krieg, der zweite ist im Osten verschollen. Fünf haben inzwischen ihre eigene Familie gegründet, es wachsen bereits siebzehn Enkel heran. Im allgemeinen wurden wir vor schweren Erkrankungen bewahrt, nur hat sich bei mir im Alter die Zuckererkrankung eingestellt. Manchesmal haben wir erlebt, daß vor allem der Mutter schnellere Genesung geschenkt wurde, wenn ich ihr nach Jak. 5,14.15 die Hände auflegte. Drei der Kinder tun ihren Dienst in Pfarrhäusern, der Älteste, Warner, in Nordenham, der dritte, Gerhard, wurde durch P. Giesen in die Berliner Stadtmission berufen, die älteste Tochter hilft ihrem Mann (P. Küttner) in seiner Gemeinde bei Bremen, der vierte Sohn (Johannes) tut seinen Dienst (nach einigen Jahren in der Bundeswehr) als Diplompsychologe in einer evangelischen Erziehungsberatungsstelle der Westfälischen Kirche. Die jüngste Tochter (Amke) ist mit einem Ingenieur verheiratet, der einen wichtigen Dienst beim Aufbau des Atommeilers bei Jülich tut (sie wohnen im Odenwald), der Jüngste (Folkert) studiert noch auf der Ingenieurschule in Siegen. An dieser Stelle sei etwas aus dem Ehebüchlein eingeschoben, das ich vor etwa zwanzig Jahren geschrieben habe, wie auch aus einem Vortrag, den meine Frau und ich im Jahre 1961 auf einer Pfarrerrüstzeit in Berlin gehalten haben; zugleich passen hier einige Sätze her, die sich in einem kleinen Heft »Unsere Kinder und wir« finden. So steht es in dem Ehebüchlein: »Eine rechte Ehe gibt es nur unter Christus, aber unter seinen Augen und in seiner Gegen- wart will Gott sie schenken. Eine echte Ehe unter Gottes Führung ist ein Stück Faradies auf Erden. Darum finden wir auf alten Ahnentafeln sehr häufig das Bild des gekreuzigten Christus! Man wußte noch etwas davon, daß nur dann zwei verschiedene Menschen, die zusammen durchs Leben gehen wollen, ihre Ehe führen und gestalten können, wenn sie unter der Leitung und Vergebung dessen stehen, der aller Herr sein will, des lebendigen Christus. Unter ihm und in seiner Gnade wird echte Ehe möglich. Es gilt allerdings, in einer rechten Ehe vier Dinge zu beachten: geben, vergeben, nachgeben, aber nie aufgeben. Nur schenkende Liebe, die nicht sich selbst sucht, sondern geben und helfen will, ist rechte Liebe. Ohne vergebende Liebe kann keine Ehe bestehen. Es gilt zu vergeben und zu vergessen, vielfach auch um Vergebung zu bitten. Heiraten sollte nur, wer nach einer Spannung das erste Wort der Liebe finden und nachgeben kann. Ohne >Kampf< geht es in keiner Ehe, aber einander aufgeben ist unmöglich. Die Ehe ist eine lebenslängliche Hochschule des Glaubens und der Liebe.« So hat es meine Frau in dem gemeinsamen Vortrag gesagt: »Uns allen wird das Wort von der sogenannten glücklichen Ehe< bekannt sein. Dieses >Schlagwort< hat mir viel zu schaffen gemacht. Es sieht dann so aus, als ob eine Ehe keine Spannungen habe. Wir hatten aber viele Spannungen. Es hat lange gedauert, bis ich den Gedanken von einer »glücklichen Ehe< los geworden bin. Dieser Gedanke ist ein Ideal vom humanistischen Denken her. Gott will etwas ganz anderes in der Ehe. Er will ein Stück der Gemeinde Jesu darstellen. Daß es dabei nicht immer »glücklich' zugehen kann, ist schon deswegen klar, weil doch auch der Feind da ist, und weil wir selbst so sind, wie wir sind. Oft führt Gott gerade die Menschen zusammen, die sehr verschieden veranlagt sind. Aber Gott hat einen Plan und macht es richtig. Er stellt uns so zusammen, wie wir sind. Da es nichts Engeres gibt auf Erden als das Zusammenleben in der Ehe, wäre es ja unwahr, wenn wir nicht zugeben wollten, daß wir auch Spannungen haben, sonst verdrängt man die Wirklichkeit und tut so als ob. Das kann geistliche Hochstapelei werden. Jesus hilft uns, die Wirklichkeit zu sehen, wie sie ist, und sie nicht zu verdrängen, und dann in seiner Kraft in den Spannungen einander zu helfen. Das sind alles Erkenntnisse und Erfahrungen, die so durchlebt und durchlitten wurden. Das sind Ziele und Hoffnungen, die nie ganz erreicht werden und doch voller Verheißung sind.« Es gibt tatsächlich keine Ehe ohne Spannungen und ohne Demütigungen. Die haben auch bei uns nicht gefehlt. Es gibt aber ein Eheleben in Vergebung und im gegenseitigen Helfen und Liebhaben. Wir haben es selbst erkannt, und auch andere haben es so empfunden, wie verschieden wir beide waren und sind; aber es ist uns immer gewisser geworden, daß wir durch unseren Herrn zusammengeführt wurden und so füreinander bestimmt waren und einander zum Höchsten anhalten sollten. Es hat wahrlich an vielen gemeinsamen Freuden nicht gefehlt. Wir haben zum Beispiel nie unsere Ferien allein verlebt. Das war uns beiden fast unvorstellbar. Welche schönen Tage der Freude und Erholung, des Reisens und Wanderns haben wir im In- und Ausland, vor allem in der Schweiz, aber auch bei dänischen Freunden erlebt! Das schönste aber war, daß uns je länger, um so mehr auch mancher gemeinsame Dienst geschenkt wurde. Schon in der ersten ostfriesischen Gemeinde war das so, dann später auf den Freizeiten, aber auch besonders in der Gruppenbewegung, auf den Bibelwocheh und Evangelisationen und in den Zusammenkünften etwa von Studenten und Studentinnen bei uns im Haus. In den letzten Jahren hat es sich sogar ergeben, daß ich meine Frau bitten konnte, auch öffentlich mitzureden. Wenn ich etwa eine dreiviertel Stunde gesprochen hatte, hat meine Frau sich zehn bis fünfzehn Minuten eingeschaltet, und ich machte dann den Schluß der Abende. Wir haben es mehr als einmal erlebt, wie gerade daraus Vertrauen erwuchs, daß viele sich dann bei meiner Frau zu einer Aussprache meldeten und sie mir in der Seelsorge helfen konnte. Das kommt auch in diesem Buch dadurch zum Ausdruck, daß ich die Briefe meiner Frau am Schluß anfügen kann. Es wird durch das Lesen dieser Briefe sehr schnell noch klarer werden, daß wir sehr verschiedene Gaben und Erkenntnisse haben, aber daß auch dadurch eine Ergänzung des Dienstes möglich wurde. In dem gemeinsamen Vortrag habe ich es so zusammengefaßt: »Die Ehe ist eine Gemeinschaft zwischen Mann und Frau nach Geist, Seele und Leib unter der Führung Jesu. Ehe ist auch etwas Demütigendes. Nirgends sehen wir so, daß wir wirklich Sünder sind und daß wir den Herrn Jesus nötig haben. Es gibt ja kaum ein Gebiet, das der Feind so angreift, und auf dem er so furchtbare Verheerungen anrichtet, wie die Ehe. Aber welche Gnade, daß dann doch >Ehe< wird und ist! Eine Ehe ist niemals fertig, auch im Alter nicht. Ehe gibt es nie ohne Spannungen, aber der Herr der Ehe formte und formt uns, ja setzt uns einander zum Segen.« So steht es in dem kleinen Heft »Eltern und Kinder«, das mit dem kleinen Ehebüchlein fast zu gleicher Zeit herauskam: »Kindererziehung ist nicht möglich ohne Selbsterziehung, auch kaum ohne Beugung der Eltern. Kindererziehung treibt in die Buße, wird kaum gelingen ohne Demütigung. Bei allen Fehlern der Kinder werden wir auch immer daran denken müssen: >Wo liegt der Grund bei uns?< Es gibt ja wahrlich Erbsünde. Gott will uns auch über uns selbst mehr Klarheit geben, auch durch unsere Kinder. Das hilft auch zur Barmherzigkeit den Kindern gegenüber. Andererseits: Kindererziehung ist einer der schönsten, wichtigsten Gottesdienste, die es gibt. Vergessen wir ihn, vergessen wir viel. Halten wir ihn, gewinnen wir Größtes.« Auch das ist durchlebt und durchlitten. Es gibt keine Familie ohne Nöte und Schwierigkeiten. Aber wir haben die Freude, daß alle Kinder nicht nur von ihm hörten, sondern auch von ihm wachgerufen wurden und mit ihm gehen oder mit ihm gehen wollen. Es gibt viele Ähnlichkeiten, die wir bei allen Kindern feststellen, aber wir sehen je länger, um so mehr, daß Gott Originale schafft und alle Kinder in einer neuen Weise ihr Leben mit Jesus gestalten. Der Titel des Ehebüchleins heißt »Ehe unter Gottes Führung«. Das war und ist unser Ziel und unsere Freude: Daß wir unter dem Kommando Jesu leben und daß wir auch andere dahin führen dürfen. Ein erstes Jahr Gemeindearbeit »Kommen Sie schnell mal herein, es brennt«, das war der kurze Satz, den mir der Superintendent in meiner ersten Gemeinde in Drochthausen bei Stade zurief, als ich am Pfarrhaus vorbeiging. Es brannte aber leider gar nicht, es war nur ein »Blitz« eingeschlagen, war nur ein kalter Schlag, der nicht zündete. Ich hatte in einer Predigt ein kurzes Wort über die Gefahr des Reichtums gesagt und dabei angedeutet, diese wäre bei reichen Bauern, die wir ja viele in der Gemeinde hatten, nicht gering. Manche erlägen ihr auch, indem sie einen Herrenstandpunkt herausstellten, der dem sozialen Frieden schadete und mit lebendigem Christsein nicht vereinbar wäre. Daraufhin schärfste Proteste beim Superintendenten, der darüber betroffen und erschrocken war. Er meinte, es brenne, und er müsse dem Feuer wehren. Aber es war nur ein Aufbegehren der Bauern gewesen, die sich getroffen fühlten. Alles verlief schnell wieder im Sande. Sicher war es auch ungeschickt gewesen, wie ich, zumal als junger Pastor, diese Frage aufgegriffen hatte, aber es kennzeichnete die ganze Lage, in der ich war, und daß ich es wagte, auch »heiße Eisen« anzupacken. Auf jeden Fall habe ich gleich in diesem ersten Jahr in der Gemeindearbeit einiges zu ändern versucht. Aber es gelang nicht und war auch nach Lage der Dinge wohl kaum möglich. Wir waren dankbar, daß wir überhaupt so schnell in einer Gemeinde anfangen konnten. Und vieles war wirklich schön: Wir zogen in ein altes Pfarrhaus ein; wir hatten einen schönen Garten, abseits der Straße; es war ruhig; wir schlossen uns schnell mit dem Superintendenten und seiner Familie zusammen und haben uns gut verstanden; es kam eine treue, wenn auch kleine Schar von Menschen zur Kirche. Es war ein gewisser Gemeindekern da. Später fanden wir sogar Menschen, die mit Jesus gehen wollten. Es gab einen Jungmädchenkreis, den die Gemeindeschwester leitete. Und doch: es war im ganzen nicht leicht. Der Gegensatz zwischen den reichen Bauern und den damals zum Teil noch armen Landarbeitern war groß und schroff. Die Töchter der Bauern gingen selbstverständlich nicht in den Jungmädchenkreis zu den »einfachen Leuten«. Wir haben dann einige von ihnen zu uns ins Pfarrhaus eingeladen, aber auch da kamen nur wenige. Es war eine lutherische Gemeinde wie so viele damals und heute: »Kirche« mußte sein, auch der Gottesdienst mußte gehalten werden. Als wir im Winter einige Male den Gottesdienst im Konfirmandensaal hielten, weil die wenigen, die kamen, in der kalten Kirche sich »verloren«, waren gerade die unkirchlichen Leute der Gemeinde böse, jetzt fehle doch etwas am Sonntag, obwohl sie selbst nie kamen. Austritte aus der Kirche gab es nicht. Es war dort leider wahr, was Thielicke später gesagt hat: »Über neunzig Prozent der Kirchenleute haben nur vergessen, aus der Kirche auszutreten.« Der Superintendent war ein aufrechter und auch fleißiger Mann, der das Beste wollte und auch vieles anfing, aber lebendiges Christentum war in der Gemeinde auch dort fast völlig unbekannt. Es war Inflationszeit (1923). Die Mark entwertete fast von Tag zu Tag. Man hatte zuletzt Millionen, ja Billionenscheine in der Hand und konnte doch kaum etwas dafür kaufen. Einmal habe ich am Anfang des Monats mein kleines Gehalt bekommen, und wir konnten tatsächlich für das ganze Geld nur ein halbes Brot erstehen. Gut, daß ich als Schwiegervater einen Bauern hatte, der eines Tages mit einem Wagen kam und Kartoffeln, Gemüse und Brot brachte. In dem Winter wurde einmal ein Lichtbildervortrag über den Dienst der Inneren Mission gehalten. Am Schluß wurde eine Kollekte gesammelt. Vier bis fünf Körbe voll Scheinen trugen wir ins Pfarrhaus, haben dann miteinander das ganze Geld gezählt, es dauerte stundenlang, und wir hatten zuletzt, in RM umgerechnet, etwa 0,75 RM zusammen. Wir jungen Pfarrersleute mußten uns sehr einschränken. Auf dem großen Herd stand eine kleine »Hexe«, auf der meine Frau kochte. Sie mußte dazu auf einen kleinen Hocker steigen. Es fehlte das Brennmaterial. Auch da halfen später die Verwandten. Eines Tages kam ein Schiff mit Torf, den der Schwiegervater selbst gestochen hatte. Ich habe ihn mit ausgeladen und mit vieler Mühe in unserer alten Scheune aufgestapelt. Manches Mal haben wir erst um Mittag geheizt und sind abends früh schlafen gegangen, weil es zu kalt war. Bevor die RM kam, habe ich das Gehalt für alle Pfarrer des ganzen Bezirks persönlich im Rucksack aus Stade geholt, damit es nicht noch schneller entwertete. Nach Einführung der RM wußten wir kaum, wie uns geschah, und überlegten sehr genau, was wir mit den ersten Wertscheinen machen sollten. Und doch war es schön. Wir waren ja jungverheiratet. Was bedeuteten da die Schwierigkeiten, die auch alle anderen durchstehen mußten: Wir bekamen Besuch, sogar aus Dänemark, wir konnten die Eltern und Geschwister in Stade besuchen, oder sie kamen zu uns, es war Friede im Land; zwischendurch konnten wir auch im Garten arbeiten, was wohl Schweiß kostete, aber doch auch Freude bereitete. Nur im Blick auf die eigentliche Arbeit ging es durch immer größer werdende Nöte hindurch. Ich lernte es nur noch mehr als im Vikariatsjahr, wie schwer doch die ganze Lage der Kirche war, und wie sehr unser Mühen fast der Sisyphusarbeit glich. Heute muß ich darüber lächeln, wie ich gleich am ersten Tage meinte, so manche alteingewurzelte Tradition umstoßen zu können. Ich sollte am ersten Sonntag zwei Kinder taufen, erfuhr aber erst am Tage vorher, daß nicht einmal die Eltern in die Kirche kommen würden, um der Taufe beizuwohnen. »Das ist hier nicht Mode«, hieß es. Ich habe tatsächlich beide Familien noch am Sonnabendnachmittag besucht, obwohl ich erst am Tage vorher gekommen war, und habe gebeten, daß doch wenigstens der Vater kommen möge. Ich stieß auf völliges Unverständnis. Keiner der Väter erschien, nur die Hebamme stand mit einigen anderen Gemeindegliedern am Taufstein. Das erste Abendmahl, das ich »mitfeierte«, war nach dem eigentlichen Predigtgottesdienst. Wer aber blieb in der Kirche zurück? Zwei Menschen, eine Mutter mit ihrer Tochter. Wehen Herzens sang ich mit ihnen und reichte ihnen dann Brot und Wein. Wie völlig falsch aber die ganze innere Lage war, wurde am Karfreitag deutlich. Unser Nachbar war Schlachter. Es bestand ein gutes nachbarliches Verhältnis, es gab auch manches Gespräch über den Zaun hinweg. Aber zur Kirche kamen er und seine Leute nicht. Was sah ich am Karfreitag? Er ging im schwarzen Gehrock zur Kirche und kam dann mit seiner Frau zum Abendmahl. Er kam nur an diesem Tag und hatte natürlich die Überzeugung: Nun habe ich meine Pflicht gegenüber dem »Herrgott« getan und durch das Abendmahl Vergebung meiner Sünden bekommen (wenn er überhaupt Sündenerkenntnis hatte). Wir versuchten unsere Arbeit zu tun und zu helfen, wo und wie es ging. Eins habe ich damals erkannt: Zumal in unkirchlichen Gemeinden sind Gemeindebesuche vielfach wichtiger als noch so gute Predigten, weil die meist vor fast leeren Bänken gehalten werden. Ich habe danach gehandelt und bis in das hinterste Moor oft stundenlang Besuche gemacht. Hie und da gab es nur ein staunendes Kopfschütteln darüber, daß ich kam; aber es wurde auch dankbare Freude geäußert. Wir haben versucht, die jungen Mädchen zu sammeln. Manche der Bauerntöchter kamen gern ins Pfarrhaus. Ich habe auch »missionarisch« gepredigt, wenn auch sicherlich zu hoch und inhaltlich längst nicht zentral genug, der Kirchenbesuch wuchs auch, und es gab sogar hier und da ein Echo. Aufs Ganze gesehen aber war es eine Arbeit ohne Frucht, wahrscheinlich konnte kaum Frucht wachsen, weil die Menschen nur die normale oder muß ich sagen die unnormale Verkündigung gehört hatten! Darum waren wir im Grunde froh, als ganz unerwartet ein Ruf in eine lebendigere Gemeinde in Ostfriesland an uns herankam. Schon in der Studentenzeit hatte ich von einer Erweckungsbewegung vor allem im reformierten Teil Ostfrieslands gehört und mir im stillen gewünscht, eine ähnliche Arbeit dort in meiner eigentlichen Heimat einmal anfangen und erleben zu können. Dieser Wunsch wurde erfüllt. Zehn Jahre Gemeindearbeit in Ostfriesland Es war kein Zufall, daß wir für zehn Jahre in eine Gemeindearbeit im südlichen Teil Ostfrieslands (in Hollen bei Leer) kamen. Durch seinen Sohn wurde der alte Pastor Kortmann auf mich aufmerksam, und der Kirchenvorstand lud mich zu einer Gastpredigt ein. Ich predigte über den Text: »In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden« (Joh. 16, 33). Die Predigt muß für die Gemeinde eine Überraschung gewesen sein. Das haben mir später viele gesagt. Sie empfanden den jungen Pastor als Draufgänger. Eigentlich hatten nur die Bauern des Dorfes damals Wahlrecht. Aber auf Wunsch des Kirchenvorstandes wurde eine Art Vorwahl vollzogen; auch die vielen Einwohner auf den sogenannten Feimen sollten ihre Stimme abgeben. Dann wollte und sollte der Kirchenvorstand die Wahl treffen. So wurde es auch durchgeführt, und die Wahl fiel fast ohne Gegenstimme auf mich. Der Kirchenvorstand telegrafierte mir: »Einstimmig gewählt.« Diese erste Predigt hatte für mich eine überraschende Nachgeschichte. Einer der Bauern sagte mir Monate später bei einem Hausbesuch, wie dankbar und - wie enttäuscht manche, auch er selbst, gewesen seien. »Herr Pastor, wir haben Sie einstimmig gewählt, Sie haben eine gute Predigt gehalten. Wir haben uns gefreut und Vertrauen zu Ihnen gewonnen. Aber darf ich Ihnen sagen, was uns gefehlt hat?« Ich kann sein Platt hier leider nicht wiedergeben, weil es kaum allgemein verstanden werden kann. »Aber gerne, Herr N., ich freue mich, wenn ich lernen kann.« »Ja, Sie hatten als Text das Wort Jesu aus Joh. 16 gewählt. Sie haben klar ausgeführt, was es um die Angst in der Welt ist. Es gibt ja so viel Not durch Sünde und Schuld. Das war ja auch nicht so schwer ... Darin waren wir mit Ihnen eins. Auch das andere wurde noch klar, was Jesus für uns getan hat, daß er am Kreuz und durch Ostern die Welt überwand. Da hat er die Bresche geschlagen und die feindliche Front durchbrochen.« Ich hatte das Bild von Winkelried gebraucht, der bekanntlich auf die enggeschlossene Kampflinie der Feinde zusprang, soviel Speere an sich riß, wie er packen konnte, und dadurch einen Einbruch in die Front erreichte. Wohl mußte er selbst sterben, aber seine Leute konnten durch die entstandene Lücke in die feindliche Front einbrechen. Das hat ja auch Jesus getan und den Feind besiegt. - »Aber da saßen wir nun gleichsam wie arme Hühner. Sie sagten: >Amen.< Aber die Frage haben Sie nicht beantwortet: wie wir nun zu dem hinkommen, der für uns starb - und siegte ...« Ich hatte textlich »richtig« gepredigt; der kleine Vers war ausgelegt und ausgeschöpft. Das andere, was der Bauer erwartete, stand ja hier nicht im Text. Aber hatte er nicht'recht? Was nützt es, wenn wir die ganze Not der Menschheit und der einzelnen Menschen beschreiben und dann nur von Jesus sprechen als dem großen Herrn, der durch sein Kommen und Sterben die ganze Weltlage änderte, aber wir beschreiben nicht den Weg zu ihm? Ich weiß nicht mehr, wie ich geantwortet habe, wahrscheinlich ausweichend, aber vergessen habe ich diese Frage und diese Predigtkritik nie. Sie hat midi viel mehr im Laufe der Jahre beeinflußt, als der Bauer denken konnte. Daß ich gleich am Anfang dieser Gemeindearbeit das Steuer an einer anderen wichtigen Stelle herumwarf, ist mir auch erst viel später klargeworden. Ich machte meine ersten Gemeindebesuche. Da ergab es sich - es war keine bewußte Überlegung dabei -, daß ich auch zum Baptistenprediger hinging. Es war ein kurzes herzliches Grüßen, und wir haben zusammen gebetet. Die Baptistengemeinde war vor etwa zwei Jahrzehnten entstanden. Das hatte seinen Grund daran, daß mein Vorgänger stark, wahrscheinlich zu stark die lutherische Lehre der Tauf Wiedergeburt betonte. Dem hatten nicht wenige Gemeindeglieder aus innersten Gründen nicht zustimmen können und hatten sich zu einer Freikirche zusammengeschlossen. Das hatte den alten Pastor so gekränkt, daß er es nicht übers Herz bekam, mit diesen Gemeindegliedern die Verbindung aufrechtzuerhalten, geschweige denn, den Baptistenprediger zu grüßen oder gar Gemeinschaft mit ihm zu pflegen. Sie gingen sich aus dem Wege, und wenn sie sich begegneten, war immer eine Verlegenheit zwischen ihnen gewesen. Nun hatte ich in völliger Harmlosigkeit diesen Besuch gemacht. Es ist dann je länger, je mehr zu einer herzlichen Allianz mit allen freikirchlichen Gemeindegliedern gekommen. Die Baptisten kamen sogar gelegentlich zu meinen Gottesdiensten, umgekehrt besuchten viele gern die Stunden der Baptisten. Ich weiß noch, wie ein junges Mädchen durch eine Evangelisation bei den Baptisten zum lebendigen Glauben kam und sich dann auch taufen ließ. Ich habe sie in keiner Weise gehindert, das zu tun, und sie hat mit unserer kirchlichen Arbeit gerne Verbindung gehalten. Ähnlich ging es mir mit den Methodisten in der Gemeinde: Es gab eine Familie, die sich zu dieser freikirchlichen Arbeit hielt. Jeden zweiten oder dritten Sonntag fand in einem der Außenorte eine Stunde der Methodisten statt. Selbstverständlich besuchte ich auch diese Familie, und es kam bald zu einer herzlichen Gemeinschaft zwischen uns. Die Bibelstunde der Methodisten wurde dann sogar in ganz kurzer Zeit aufgegeben, und alle haben sich bei uns in der Kirche heimisch gefühlt. Wie oft habe ich später, gerade in diesem Hause, Bibelstunde gehalten und mich der Verbundenheit mit diesen Menschen gefreut. Ich weiß noch, wie an einem der ersten Sonntage der Hauptlehrer und Organist der Gemeinde ganz bewegt zu mir kam und sagte: »Wir haben einen Sieg errungen!« Es gab damals noch die heute völlig überholte Sitte, daß Plätze in der Kirche gemietet werden mußten. Das konnte ich am Anfang nicht ändern, es ist später wie von selbst abgestellt worden. Da saß nun zur Überraschung des Organisten auch der alte Methodist und mietete für sich und seine Familie einige Plätze. Das empfand der Hauptlehrer als einen Sieg, und es war in gewisser Weise auch tatsächlich so. Es ist sonderbar, daß heute noch hier und da von kirchlicher Seite die Baptisten und Methodisten als Sekten bezeichnet werden. Das ist wohl seltener geworden und ist ja völlig unmöglich. Ich habe damals gewußt und auch danach gehandelt, daß alle, die zu Jesus als ihrem Herrn beten, im Grunde zusammengehören, selbst wenn sie über Fragen etwa der Taufe und anderer Lehren nicht völlig derselben Meinung sind. Ich hatte es ja gut, weil ich an die Arbeit meines Vorgängers anknüpfen konnte, und durch all die Jahre hindurch, die er in einem Nachbarort noch verlebte, eine herzliche Verbindung mit ihm gehabt und ihn auch manches Mal in die Gemeinde eingeladen habe. Bei den Feiern der sogenannten Goldenen Konfirmation hat er immer die Hauptansprache gehalten. Er hielt sich weise zurück und besuchte die Gemeinde nur selten, aber er stand in vielen Häusern in so herzlicher Erinnerung, daß man sich nur freuen konnte. Man sagte von ihm das schöne Wort: »Wenn er gekonnt hätte, hätte er uns alle in den Himmel getragen.« Aber selbstverständlich - das hat er auch gar nicht anders erwartet, ja sogar begrüßt - wurde mandies neu angefangen oder umgestellt: die Verkündigung wurde zuerst nur der Form nach anders, inhaltlich hatte idi selbst ja noch keine volle Klarheit, darum habe ich zum Beispiel auch die Taufen zunächst so weiter vollzogen, wie es der kirchlichen Sitte entsprach. Auf der Kanzel verkündigte ich den gekreuzigten und auferstandenen Herrn, nur in einer neuen Weise - wohl mehr gegenwartsnah und auch sicher anschaulicher. Die Kirche war fast immer voll. Natürlich war viel Neugierde dabei, aber es war doch mehr: Es wurde ein Verlangen wach, tiefer in die Wahrheit der Bibel eingeführt zu werden, ja, ein Verlangen nach wahrem Leben. Erst später hat mir eine Frau in der Gemeinde erzählt, die uns in den späteren Jahren sehr nahestand,'daß sie unter einer der ersten Predigten zum Glauben gekommen sei. Es sei ihr ins Herz gefallen, worum es ging, und sie sei innerlich sehr froh geworden. Eine andere hat mir bezeugt, bei einer der ersten Abendmahlsfeiern habe sie erfassen können, daß Jesus auch für sie gestorben sei. Mit dieser Familie waren wir später freundschaftlich verbunden. Die vollbesetzte Kirche weckte nicht nur Freude, sondern auch größere Verantwortung bei mir. Ich begann vieles einzuführen, was es bisher so nicht gab: Wir fingen mit der Jugendarbeit an. Es entstand ein Kirchenchor unter der Leitung eines einfachen Kolonisten. Die jungen Männer baten darum, einen Posaunenchor beginnen zu dürfen. Ich schlug vor, auch zu Bibelstunden in den Schulen zusammenzukommen. Die drei Lehrer stellten mir die Schulräume zur Verfügung. Viele Male konnten die großen Klassen die Menschen nicht fassen, die da zusammenkamen. Vor allem aber bat ich, sich zu einer Gebetsgemeinschaft am Sonnabend im Pfarrhaus zusammenzufinden. Auch da kamen zuerst fünfzig und mehr Menschen. Manche hatten es nicht verstanden, worum es ging, und blieben dann im Laufe der Zeit fort. Später waren es regelmäßig acht bis vierzehn Menschen oder auch mehr, die sich durch Jahre hindurch treu am Abend vor dem Sonntag bei uns im Pfarrhaus trafen. Meine Hauptarbeit aber war: Hausbesuche, Hausbesuche, Hausbesuche! Ich machte es mir zu einer inneren Pflicht, jedes Jahr wenigstens einmal in alle Häuser zu kommen. In vielen Familien konnte ich dann auch mit einem Gotteswort und Gebet schließen. In diesen zehn Jahren habe ich an einzelnen Tagen oft stundenlang Menschen besucht, sie eingeladen, zu den Gottesdiensten zu kommen, mit ihnen ihre Nöte durchgesprochen und Gottes Wort betend gelesen. Es ging für mich bei all diesem Dienst auch durch Demütigungen hindurch. Bei einem Hausbesuch hatte ich im Gespräch übertrieben und war nicht ganz bei der Wahrheit geblieben. Ich merkte es sofort, fand aber nicht den Weg, die Sache gleich richtigzustellen. Im nächsten Haus wollte das Gespräch gar nicht recht gelingen, im übernächsten saß ich wie auf Kohlen. Ich ging dann nach Haus, versuchte zu arbeiten, spielte Klavier und las - alles vergebens. Die Unruhe war da und wollte nicht weichen. Es wußte niemand von meiner Lüge, aber ich wußte es - und ein anderer! Es blieb mir nichts übrig, als an demselben Tage nochmals in das Haus zu gehen und die Sache in Ordnung zu bringen. Das Erstaunen der Frau war natürlich groß, als ich zum zweiten Mal am selben Tag bei ihr eintrat. Das Erstaunen wuchs, als ich sie bat, sie allein sprechen zu dürfen. Dann habe ich die Sache klargestellt. Ich bat um Verzeihung, daß ich nicht ganz die Wahrheit gesagt habe. Da wurde mir leicht. Ich bin froh nach Haus gefahren. Es war ein schwerer Gang gewesen, aber er war nötig. Bei einer anderen Gelegenheit war ich erregt geworden. Ich war zu einem meiner Bauern gegangen, um ihm innerlich zu helfen. Er hatte sich aber in seine Sache verrannt und verbiß sich immer mehr in seinen Eigensinn. Ein Wort gab das andere. Er wurde sehr böse. Ich blieb nicht ruhig, verlor die Geduld und stand plötzlich draußen. Dabei hatte ich sogar die Tür donnernd hinter mir zugeschlagen. Mein Motorrad sprang an, ich fuhr nach Hause. Was aber nun? Da saß ich in meinem Studierzimmer und schämte mich. Ich suchte mir einzureden, daß alles am Starrsinn des anderen gescheitert sei, daß er jetzt wahrlich zuerst kommen müsse. Ich erzählte es meiner Frau. Wir beteten zusammen. Da wurde mir klar, daß ich sofort noch einmal hinfahren müsse, um aus der Sackgasse herauszukommen, in die ich hineingeraten war. Ich fuhr wieder los, und ich traf meinen Bauern in der Tür seines Hauses - im Sonntagsrock. Mit feuchten Augen sagte er, daß auch er gerade zu mir gewollt hatte. Auch ihn hatte die Unruhe gepackt, auch er hatte den schweren Gang gehen wollen, mich um Verzeihung zu bitten. Da zog große Freude in unser beider Herzen ein. Dann wagte ich etwas für die Gemeinde völlig Neues: Eine Evangelisation vorzubereiten und durchzuführen, wie sie dort noch nie gewesen war. Dabei gab es die ersten Spannungen, vor allem auch mit einigen Amtsbrüdern in der Nachbarschaft, aber es kam zu einer Erweckung in der Gemeinde. Die Spannung entstand dadurch, daß ich meinen Freund aus der Studienzeit, dem ich persönlich viel verdankte und der mir auch als ein gesegneter Evangelist bekannt war, zu jenem Dienst rief; aber Pastor Oltmann war ein reformierter Pfarrer (in der Nähe von Leer). Das führte zu einem scharfen Einspruch des sonst so prächtigen und eifrigen Superintendenten, der sehr lutherisch dachte und meinte, eine evangelistische Verkündigung durch einen Reformierten nicht erlauben zu können. Es gab ein ernstes Ringen um diese Frage, und es war nicht Eigensinn, daß ich darauf bestand, ihn doch zum Dienst zu rufen. Es war schon damals meine Überzeugung, diesen Unterschieden je länger, um so weniger Bedeutung beizumessen. Auch der Kirchenvorstand stand völlig auf meiner Seite, und er hatte darüber zu entscheiden, wer den Dienst auf der Kanzel tun sollte. Später hat auch der Superintendent sich herzlich über alles, was geschah, mit uns gefreut. Wir sahen Abend für Abend eine übervolle Kirche. Wohl strömten aus den Nachbargemeinden viele herzu, darunter natürlich auch Neugierige. Der größte Teil aber kam aus der eigenen Gemeinde, die etwa zweitausend Menschen umfaßte. Die Kirchenplätze reichten schon an den ersten Abenden nicht mehr aus. Es mußten Stühle und Bänke hereingeholt werden. An einem Abend standen die Hörer bis auf den Altarraum Kopf an Kopf und lauschten der Predigt, die in dieser Stunde plattdeutsch gehalten wurde. Die Predigt hatte vom reichen Narren gehandelt und die beiden Teile gehabt, die wie Hammerschläge die Herzen trafen: »Was der Tod dir nehmen wird, laß das! Was der Tod dir bringen soll, such das!« Nachmittags wurden Bibelstunden gehalten, die auch von Tag zu Tag mehr besucht wurden. Selbstverständlich waren auch schon Wochen vorher gemeinsame Gebetsstunden gehalten worden. Einige Themen der Abende seien als kennzeichnend genannt: »Jesus weint über unsere Gemeinden.« »Sind wir wirklich schon Christen?« »Hast du dich nicht auch verrechnet?« Und dann brach das Eis. Es kam zu entscheidenden Aussprachen im Pfarrhaus. Einige Male waren fast alle Zimmer im Pfarrhaus besetzt. Überall saßen Menschen, die mit dem Evangelisten sprechen wollten. Viele aber brauchten gar keine besonderen Aussprachen, zumal nicht mit dem Pastor. Sie fanden selbst den Weg zu Jesus und halfen sich gegenseitig in den Häusern. Die Gläubigen wurden vor lauter Freude über dieses neue Erwachen eifriger denn je und gingen den Suchen- den nach. Die Suchenden fanden von selbst den Weg zu den alten Christen und fragten um Rat. Die Hebamme der Gemeinde zum Beispiel konnte einen kurzen Satz nicht loswerden, den ihr der alte Gemeindevorsteher beim Hinausgehen aus der Kirche - natürlich plattdeutsch - leise ins Ohr flüsterte: »Na, wie steht es denn mit dir? Kommst du auch zurecht oder willst du alles auf schieben?« Am nächsten Tag war sie bei ihm und fand Frieden. Sie hat später durch ihren Wandel bezeugt, daß etwas Neues in ihr Leben gekommen war. Besonders der letzte Abend war entscheidend. Wir hatten für diesen Abend aus zwei Gründen besonders eingeladen: Es' sollte noch einmal kurz und deutlich der Weg zu Jesus gewiesen werden, und zum anderen sollte die ganze Evangelisation mit einer Abendmahlsfeier abgeschlossen werden. Es war darum gebeten worden, daß nur die erscheinen möchten, die wirklich innerlich zum Frieden kommen wollten. Alle nur Neugierigen waren aufgefordert worden, an diesem Abend femzubleiben. - Waren sonst Abend für Abend an die siebenhundert Menschen da gewesen, so hatten wir für diesen Abend etwa hundertfünfzig erwartet. Es kamen aber so viele, daß die Kirche wieder gefüllt war. Natürlich waren das nicht alles heilsverlangende Menschen, aber es waren viel mehr, als wir gedacht hatten. Das Wort schlug aufs neue durch und zündete in vielen Herzen. Mancher hat noch nach Jahren bekannt, daß er unter bestimmten Worten gerade dieses Abends den Weg zu Jesus gewagt habe. Es zeigte sich dann auch an der großen Beteiligung beim Abendmahl. Dabei muß man wissen, daß es in Ostfriesland keine falsche Abendmahlssitte gibt. Es kommen im allgemeinen nur die zum Tisch des Herrn, die wirklich verlangend oder besser noch, die gläubig sind. Darum ist bis heute in den meisten, vor allem in den reformierten Gemeinden die Abendmahlsscheu sehr groß. In Hollen kamen im ganzen Jahr - die Konfirmanden mitgezählt - etwa hundertachtzig Menschen zum Abendmahl. An diesem Abend blieben etwa zweihundert zurück. Ich erschrak beinahe, als ich an den Altar trat und der untere Teil des Kirchenschiffes fast voll besetzt war. Dabei ereignete sich noch ein bezeichnender Vorgang: Ein Ehepaar wollte — wohl zum ersten Mal im Leben - zum Abendmahl gehen. Während der kurzen Beichtansprache stehen beide Ehe- leute auf und verlassen die Kirche. Ich konnte sie natürlich nicht daran hindern und zurückrufen, weil ich sprach, war aber traurig, daß sie fortgingen. Zu meinem Erstaunen kamen sie nach kurzer Zeit in merklicher Erregung wieder herein und nahmen doch am Abendmahl teil. Was war geschehen? Vor der Kirchentür sind sie im Dunkeln von einem auswärtigen Gläubigen, der selbst nicht teilnehmen konnte, angeredet und ermuntert worden, doch ja nicht wegzugehen. Es sei nur der Teufel, der sie in Zweifel und Anfechtung hineintriebe. Dieser brüderlichen Zurechtweisung konnten sie nicht widerstehen und gingen darum wieder in die Kirche hinein. Sie kamen am selben Abend unter der Feier des Mahles zum frohen Glauben und haben es durch viele Jahre hindurch mit ihrem Leben bewiesen, daß Jesus ihr Herr geworden war. Die Nachwirkung dieser Evangelisation hielt noch lange an. Es kamen Tage und Wochen, wo man zu vielen gerufen wurde, ja, wo man hier und da in der Gemeinde hören konnte: Der und der hat Frieden gefunden, die und die ist zum lebendigen Glauben gekommen. Eine Evangelisation bei den Baptisten half entscheidend mit, daß das Erleben weiter um sich griff und in die Tiefe ging. Die Weisheit der baptistischen Brüder war so groß, daß sie in keiner Weise zur Taufe drängten, sondern nur Jesus als den Herrn unseres Lebens verkündigten. Es wurde darum auch mit einer Ausnahme niemand (zum zweiten Male) getauft. Ein alter Methodist erklärte zu dieser Zeit: »Ich habe jetzt meine Weide wieder in der Kirche.« Er kam seitdem mit seiner ganzen Familie treu zur Kirche. Hier sei ein kurzer Brief wiedergegeben, der mich in jenen Wochen erreichte. Ein junger Mann hat ihn aus großer Not heraus geschrieben. »An die liebe Gebetsgemeinschaft! Mit einer Bitte trete ich vor Euch hin, und zwar ganz persönlich. Das bringt der natürliche Mensch nicht so leicht fertig. Aber ich werde innerlich getrieben. Ich bitte Euch herzlich, betet heute abend einen Augenblick besonders für mich. Ich möchte doch auch so gern in dieser Zeit den Herrn finden. Mir ist aber, als wenn meine Gebete gar nicht durch den Berg der Sünde hindurchdringen. Da bitte ich Euch, helft mir beten, daß ich zur vollen Klarheit kommen möge über meinen verlorenen Zustand. Betet einen Augenblick direkt für mich. Vielleicht um 7.30 Uhr. Ich werde dann auch zur selben Zeit beten. Ruft mich bitte nicht hinein, ich möchte um diese Zeit allein sein. Gott muß mich erleuchten, in die Unruhe führen und mich dann Jesus als den Erretter erkennen lassen. Mit herzlichem Dank . . .« Es hat noch einige Zeit gedauert, bis der junge Mann zur vollen Klarheit durchdrang, aber er geht seit vielen Jahren einen frohen Weg mit Jesus. Noch ein kleiner Zettel findet sich unter den Papieren, die ich aus dieser Zeit aufbewahrt habe. Ihn hat ein älterer Mann in großer Erregung geschrieben und bei uns im Pfarrhaus abgeben lassen. »Wir haben Römer 14 gelesen. Wir sind in unserer Familie nicht eins geworden. Wir bitten, Sonntag darüber zu predigen. Bitte, vom Kreuz auf Golgatha zu sprechen. Es muß zur Verherrlichung Jesu dienen. Ich bin ganz aufgeregt. Ich brauche mehr Demut. ..« Wie treu hat dieser Mann später in der Gemeinde mitgeholfen. Bei ihm im Hause kam im nächsten Jahre einer der Hauskreise zusammen, und viele haben Segen davon gehabt. Selbstverständlich blieb das alles auch für uns und für mich persönlich nicht ohne Tiefenwirkung. Es waren Menschen da, die für uns beteten, ja, die uns besuchten, beunruhigten und weiterhalfen. Ich hatte einen älteren Gemeindevorsteher, der wohl in vielen Dingen etwas eng war, aber klar seinen Weg mit Jesus ging. Er konnte mit meinen Predigten damals nicht zufrieden sein. Oft ist er, manchmal sofort nach dem Gottesdienst, gekommen und hat mir seine Meinung gesagt: Das und das wäre nicht recht gewesen, da und da wäre er enttäuscht geblieben . .. Andererseits hat es mich gefreut, wenn er wohl auch sagen konnte, er wäre mit meiner Predigt zufrieden gewesen. Eines Tages sagte dieser Mann zu mir: »Herr Pastor, Sie sind ja in der Gemeinde einstimmig gewählt worden, aber ich habe mich der Stimme enthalten.« »Warum denn?« »Weil Sie nicht bekehrt sind!« Das war natürlich ein Schlag für mich! Meine Frau und ich waren nicht wenig überrascht, ja fast bestürzt. Aber böse konnte man dem Mann nicht sein. Er sagte es im Grunde so lieb und herzlich, daß man es ihm abnehmen mußte. Wir haben natürlich lange darüber gesprochen. Er hat uns ausführlich seine eigene Bekehrung erzählt, später noch mehrere Male. Sie ist mir in lebhafter Erinnerung: Er hatte betende Eltern gehabt; der Vater war sehr früh gestorben. Eines Tages findet er die Bibel seines Vaters. Darin hatte der Vater auf der ersten Seite geschrieben: Geboren am ... - ein genaues Datum - zum zweiten Male geboren am ... - wieder ein genaues Datum eingetragen. Da ist der junge Mann zu seiner Mutter gegangen: »Mutter, was heißt das, zum zweiten Male geboren?« »Damit meint Vater, daß er zum Glauben an Jesus Christus gekommen ist.« »Kann man das so genau wissen?« »Ja, das muß man wissen, auch wenn nicht jeder den genauen Tag der Wiedergeburt angeben kann.« Große Unruhe war die Folge. Der junge C. hat lange gesucht und gekämpft. Er erzählte, wie er oft Stunden auf dem Heuboden zugebracht, auf den Knien gelegen und gebetet habe. Dann sei ihm innerlich klargeworden: Der Herr hat mich angenommen! - Er hatte seine »Ecken und Kanten«, aber man spürte es ihm an: Er war ein Jünger Jesu, und er wollte nichts anderes, als ihm angehören. Das kannte ich so nicht. Es war auch mir schon mancherlei Erleben geschenkt worden, zum Beispiel als Student in Tübingen und Göttingen, aber klar zum Glauben gekommen war ich nicht. Das haben auch andere gemerkt und haben es mir ähnlich gesagt: Eines Tages halte ich eine Jugendstunde in einem Haus der Gemeinde. Wir hatten noch kein Jugendheim; das wurde erst später gebaut. Der alte Schiffer, ein echter Christ, hatte wohl an der Tür gelauscht. Beim Teetrinken hinterher sagte er ruhig, aber bestimmt zu mir: »Herr Pastor, wir beide sind noch nicht miteinander auf einem Brett.« Als ich ihn erstaunt ansah und beteuerte, daß ich doch auch an Christus glaube, sagte er nur: »Ja, Sie mit dem Kopf, aber ich mit dem Herzen.« Wir haben an dem Abend noch weiter darüber gesprochen, fast war ich über seine sichere Art, zu reden, etwas böse. Aber der Stachel saß und - schmerzte. Ich sehe mich noch in einem Kreis von Bauern sitzen, einem der kleinen Kreise, in denen man unter sich meist ohne den Pastor eine Predigt las, miteinander sang, sich austauschte, mit- einander betete. Ich hatte die Einleitung gehalten. Da fragte mich plötzlich einer der Bauern: «Herr Pastor, nun sagen Sie uns doch endlich, sind Sie bekehrt oder sind Sie es nicht?« Ich habe damals zu erklären versucht, daß es doch sehr verschiedene Arten der Bekehrung gäbe, und ich hatte ja damit auch recht, aber im Grunde mußte ich die Bauern enttäuschen, weil es eine Ausrede war. Noch entscheidender war es für mich, daß ein älterer Kolonist aus einer ganz anderen Gemeinde Ostfrieslands mir gerade in dieser Zeit der Gärung einen langen seelsorgerlichen Brief schrieb und ein Buch sandte, das ich durcharbeiten sollte. Er schrieb sehr ausführlich, wie er zu diesem Brief gekommen sei, er müsse einfach gehorchen, ohne zu ahnen, ob ich diesen Brief verstände, ja vielleicht sogar übelnehmen würde. Ich habe ihn wahrlich nicht beiseite gelegt, ich habe ihn sogar noch heute zur Hand, auch das Buch habe ich wirklich durchgearbeitet. Es sind mir dabei viele Dinge aufgegangen, die mir vorher verschlossen waren. So arbeitete der Geist Gottes an meinem und unseren Herzen weiter: In einem der Häuser kam es zu einem aufschlußreichen Gespräch mit einem jungen Bauern. Er sprach mit großer Dankbarkeit von der Gewißheit, die ihm geschenkt war, und er fügte dann zu meiner Frau gewandt hinzu: »Ja, Frau Pastor, das muß man wissen!« »Ja, das weiß ich auch«, sagte meine Frau und wußte es ja doch nicht genau. Er blieb ruhig, aber man spürte ihm sehr deutlich an, daß er keineswegs davon überzeugt sei, ob wir das wirklich schon wüßten. Später hat meine Frau bezeugt, daß sie durch diesen Mann innerlich sehr beunruhigt worden sei. Ihre Behauptung wäre mehr Verlegenheit oder Ärger über die vermeintliche Sicherheit dieses Mannes gewesen, im Grunde habe sie in ihrem Herzen ein großes Verlangen gehabt, auch zur vollen Gewißheit des Glaubens zu kommen. Es ging immer um das Entweder-Oder: Das Wort Gottes wurde, wie das Neue Testament sagt, »dem einen zum Tode, dem anderen zum Leben«. Dafür einige Beispiele: Ein Mann lag schwerkrank danieder. Früher war er verhältnismäßig treu zur Kirche gekommen. Er wußte genau, worum es im Christentum ging. Ich besuchte ihn auch in seiner Krankheit. Er war klar bei Verstand, er konnte gut auffassen, was ich ihm sagte, aber lehnte sich gegen alles auf. Er wollte nichts von der Botschaft wissen, ja konnte kaum noch zuhören. Als ich ihn zuletzt fragte, wohin er denn nun gehen würde, wenn der Tod käme, antwortete er scharf und spottend: »Ik goh nah 'n Karkhof, wider gift et nix!« (Ich gehe nach dem Friedhof, weiter gibt es nichts.) Wenige Tage später war der Mann gestorben. Ich wurde zu einer Frau gerufen. Ich war bange hinzugehen. Im Haus kannte man lebendiges Christentum. Alle anderen hatten sich ihm erschlossen, die Frau und Mutter dagegen hatte nie ein Hehl daraus gemacht, daß sie ganz anderer Meinung sei als ihre Hausgenossen, ja sie hatte, wenn irgend möglich, alle anderen zurückgehalten, zur Kirche zu gehen und sich um die Dinge der Ewigkeit zu kümmern. Nun kam es zum Sterben, es war fast grausig anzusehen: Schmerzverzerrt war auch ihr Gesicht, der Tod war ihr bereits auf der Stirn geschrieben. Aber der Verstand war klar und der Wille noch stark. Sie blieb bei ihrer Ablehnung und wies alles schroff, verächtlich lachend zurück. So starb sie. Ein älterer Mann wurde von mir viele Male besucht. Oft habe ich neben ihm gesessen, mit ihm gesprochen. Er antwortete freundlich, höflich, scheinbar auch nicht bewußt ablehnend, und doch: Wenn ich lange mit ihm geredet hatte, konnte er einige Worte aussprechen und Fragen stellen, die mir seine ganze innere Haltung klar vor Augen führten. Er war innerlich bereits so abgestorben, daß scheinbar nichts mehr von der Botschaft der Ewigkeit sein Innerstes erreichte. Er lebte nur noch im Äußeren und Irdischen. Er wurde alt. Noch einmal war ich bei ihm: dasselbe Bild, nun fast noch klarer. Dann kam der Tod. Ob das Verstockung war? Daneben drei andere Bilder: Der Mann hat noch lange Jahre in der Gemeinde gelebt. Die Frau war schon länger in der Ewigkeit. Manches Mal bin ich in dem Haus zu Gast gewesen. Meine Frau und ich verdanken beiden Menschen viel mehr, als sie selbst ahnen. Wir waren nicht über alle Einzelfragen des Glaubens einer Meinung. Erkenntnisse können ja verschieden sein und bleiben. Aber man konnte sofort spüren, daß hier Leben aus Gott war, daß hier Menschen lebten, die Jesus liebhatten und die für Jesus dasein wollten. Die Frau hat ein längeres Krankenlager gehabt. Ich habe oft an ihrem Bett gesessen, durfte ihr vorlesen und mit ihr beten, aber oft war ich in Not, daß ich als der Jüngere ihr kaum helfen konnte. Dann half sie mir. Ich nahm viel mehr von ihrem Krankenbett mit, als ich ihr geben konnte. Im Zusammensein mit dem Mann kam es wohl vor, daß schon nach wenigen Sätzen der Begrüßung das Gespräch auf Jesus kam. Dann fing er an, von der Herrlichkeit der Bibel zu reden. Das Herz wurde einem warm dabei. Treu kamen sie auch mit anderen zusammen zum gemeinsamen Lesen der Bibel. An einen jungen Menschen werde ich erinnert: Er nahm mit mir an einem Bibelkurs teil. Tagelang waren wir zusammen und sprachen über Gottes Wort und seine unergründlichen Wahrheiten. Er kam heim. Sein Leben hatte eine neue Ausrichtung bekommen, er war ein Jünger Jesu geworden. Er sprach nicht viel im Haus, aber er lebte das neue Leben vor. Wochen später komme ich zu den Eltern und spreche mit ihnen über ihren Sohn. Da war das Urteil des Vaters so, daß man sich nur freuen konnte. Es sprach ein dankbares Staunen aus allem, was er sagte. Die Freude der Eltern über die Wende im Leben ihres Jungen war groß. Sie waren selbst beunruhigt, weil ihnen das Leben in dieser Art fehlte. Sie sind dann später durch ihren Sohn zu Jesus geführt worden. Der Vater sagte mir damals: »Unser Junge lebt uns sein Christentum still zu Hause vor.« Ein alter Mann steht mir vor Augen. Ich habe selten solch einen lieben, freundlichen Mann gesehen. Dabei hatte er oft stärkste Kopfschmerzen. Er war selten ohne Kopfweh. Manchmal habe ich in seinem Hause gesessen und geplaudert. Wohl hörte ich auch ein leises Stöhnen, und wenn ich fragte, gab er zu, daß er stundenlang ohne Schlaf gelegen hätte und es kaum aushalten könne. Aber es kam keine Klage aus seinem Munde, im Gegenteil, er war dankbar und zufrieden. Am liebsten sprach er über Gottes Wort. Davon konnte er nicht genug hören. Wie konnte er sich freuen, wenn ich abends bei ihm im Hause eine Bibelstunde hielt und viele Nachbarn zusammenkamen, gemeinsam sangen, zuhörten, beteten. Dann wurde er krank. Er lag lange, viel länger, als alle dachten, auf seinem Krankenlager. Es war ein schweres Sterben mit viel körperlicher Not, und doch war es ein frohes Abschied- nehmen mit der dankbaren Gewißheit der Gemeinschaft mit Jesus. An seinem Grabe haben wir nur Lob- und Danklieder gesungen. Das war Leben, neues Leben aus der Gemeinschaft mit Jesus Christus. Wir haben dann im Laufe der nächsten Jahre immer wieder Evangelisationen halten lassen. Ich rief die verschiedensten Brüder in die Gemeinde: Pfarrer und Prediger aus der Gemeinschaftsbewegung oder auch Brüder der Freien Gemeinden. Aus alledem erwuchs die große, schöne Arbeit der Bibelkurse für junge Menschen und später auch für Väter und Mütter. Es fing damit an, daß ich gebeten wurde, bei einem solcher Bibelkurse für junge Männer in einer reformierten Gemeinde bei Emden mitzuhelfen. Schon seit längerer Zeit wurde durch den reformierten Pfarrer Brunzema zu solchen Treffen junger Bauernburschen und Bauernknechte eingeladen. Dann kam man in einer Gemeinde tagelang zusammen, vor allem im Winter, um miteinander die Bibel zu lesen, zu singen, zu beten, wohl auch zu spielen und allgemeine Fragen des Lebens zu besprechen. Das ging damals wie eine Welle durch viele junge Herzen. Was war das für ein Leben zum Beispiel in der kleinen Gemeinde Rysum! Wie unsicher ich dabei war, geht daraus hervor, daß ich selbst Fragen in den Fragekasten warf, der aufgestellt war, um Gelegenheit zu bieten, daß die jungen Menschen auf Fragen, die sie hatten, Antwort bekamen. Das haben die anderen gar nicht gemerkt, weil die Fragezettel ohne Namen eingesteckt wurden. Ich habe damals durch die Jungen manche Antwort bekommen, die ich im theologischen Seminar nicht erhalten hatte. Andererseits natürlich waren auch die jungen Menschen froh, wenn sie weitere Klarheit bekamen. Weil solch sichtbarer Segen auf dieser Arbeit lag, lud ich dann selbst zu solchen Bibelkursen in die eigene Gemeinde ein. Wir hatten noch kein Jugendheim, darum mußte die erste Bibelwoche im Gasthaus neben dem Pfarrhaus stattfinden. Über hundert junge Männer waren acht Tage lang zusammen; von Langeweile war wahrlich keine Rede. Wohl war es damals die Zeit der großen Arbeitslosigkeit, darum hatten viele die Möglichkeit, zu kommen. Aber daß sie überhaupt kamen und sich sehr schnell eine echte Bruderschaft um das Wort der Bibel herausbildete, war ein Wunder - sowohl für uns selbst, die wir die Leitung hatten, wie auch für alle, die es miterlebten, wie auch für die Gemeinde, die diese Schar ja auch im Gottesdienst sah und zum Teil in ihre Häuser und Familien aufnahm. Abends wurde dann immer die ganze Gemeinde zu einem Evangelisationsgottesdienst in die Kirche eingeladen. An einem dieser Abende wurde einer der jungen Bauern ganz besonders getroffen. Er hatte eine gläubige und betende Mutter. Schon manches Mal war er »gerufen« worden. Er hatte einen schweren Unfall gehabt, und ich weiß noch, wie ich mit ihm darüber sprechen und beten konnte. Aber wie es so geht: Er wurde wieder gesund und schlug dann alles in den Wind. Da stand in der Abendstunde in der Kirche ein einfacher »Laie«, wie wir so sagen, früherer Schlosser von Beruf, auf der Kanzel und verkündigte die frohe Botschaft so schlicht und einfach, wie wir Pfarrer es meist nicht können. Da traf es den jungen Mann. Er konnte es in der Kirche nicht mehr aushalten, er lief tief bewegt zur Hintertür hinaus. Ich ging ihm nach und fand ihn weinend auf einem Schemel sitzen. »Was haben Sie, Herr N.?« »He meent mi« (Er meint mich). Wir gingen dann zusammen ins Pfarrhaus und haben lange miteinander geredet. An dem Abend wurde er innerlich nicht frei und froh. Er wollte und konnte wohl noch nicht. Ich drängte nicht, sondern wartete ab. Aber dann gab er sehr bald darauf sein Leben dem Herrn, der ihn rief. Das hat seine Frau gemerkt und ist mit ihm dann denselben Weg gegangen. Das haben auch seine Schwiegereltern gespürt und sind mit ihm eins geworden. Das hat auch der alte Onkel erkannt und wurde noch vor seinem Tode ein Mensch mit Jesus. Noch heute merken es alle, die mit diesem Mann Zusammenkommen: Es liegt eine stille, strahlende Freude auf seinem Gesicht, er gehört zu den Treuen im Dorf und in der ganzen Gegend. Er ist später Kirchenvorsteher geworden und hat, zumal in der Vakanzzeit, die ganze Gemeinde mitgeleitet und entscheidend geformt, ja viele Male auch auf der Kanzel gestanden und die Predigt gehalten. Als die jungen Mädchen den Segen dieser Jungensbibelkurse spürten, baten sie darum, auch einmal so tagelang Zusammenkommen zu dürfen. Und im zweiten Jahr fiel das Wort: »Lämmer haben es gut in der Gemeinde, warum bekommen wir Böcke und Schafe so wenig? Die Jugend darf so zusammen- kommen, warum nicht auch wir Älteren?« Daraufhin habe ich schon im nächsten Winter für die Männer und dann auch für die Frauen Bibelkurse vorbereitet. Sie kamen in Scharen: Wir haben acht Tage lang in dem nun notwendig gewordenen Jugendheim der Gemeinde hundertzwanzig bis zweihundert Männer und zweihundertfünfzig bis vierhundert Frauen zusammengehabt. Es ging ihnen nur um das Wort Gottes, um seine Auslegung und Anwendung in der Praxis des Lebens. Morgens um neun Uhr waren sie alle da, und abends nach dem Gottesdienst gingen sie wieder auseinander. Auswärtige Gäste wurden in die Häuser mitgenommen, gegessen wurde in den Familien. Für die Jugend kochten wir im Pfarrhaus. Das war ein Strömen morgens und abends. Die Straße leuchtete abends von den Fahrradlampen! Als Leiter der Bibelkurse kamen die verschiedensten Brüder und Schwestern aus ganz Deutschland. Ich nenne nur Erich Schnepel, der damals in der Stadtmission Berlin seinen Dienst tat, und Friedrich Heitmüller vom Holstenwall in Hamburg, auch Frau Ufer Held, die Herausgeberin des weitbekannten Blattes »Frau und Mutter«. Abends hatten wir vor der eigentlichen Evangelisationsstunde noch Gebetsgemeinschaft in der Kirche. Da haben wir es erlebt, daß wohl hundert Männer und noch mehr Frauen gemeinsam beteten. Natürlich wurde auch zwischen den einzelnen Stunden und Tagen viel gebetet und gesungen. Das alles trug dazu bei, daß die Erweckung in der Gemeinde weiterging und bleibende Frucht gewirkt wurde. Wohl blieb nicht alles, wohl zeigte sich manches als Strohfeuer, wohl gab es auch Rückfälle, und doch: Das meiste blieb und erwies sich als echt und wirkt bis heute nach, es wurden einzelne Menschen froh, es wurden Ehen neu, es wurden ganze Familien lebendig. Schon gleich in den ersten Monaten in Hollen kam einer der Bauern zu mir und protestierte heftig gegen eine Predigt. In dieser Predigt hatte ich etwas über oder gegen den Alkohol und seine Gefahren gesagt. Es war einer der führenden Leute in der Gemeinde. Früher hatte er eine Gastwirtschaft gehabt und betrieb jetzt Landwirtschaft. Er wurde sehr heftig: »Herr Pastor, ich verbitte mir ein für allemal, daß Sie solche Dinge auf der Kanzel sagen!« Ich habe mich bei dem Mann bedankt, daß er gekommen sei, um das alles zu sagen. Das wäre auf jeden Fall besser, als hinter dem Rücken über mich zu reden. Später wurde dieser Mann einer der Treuesten in der Gemeinde und selbst Blaukreuzler. In einer der Bibelstunden kam seine Tochter zum lebendigen Glauben und ging zu ihm und sagte ganz schlicht: »Papa, ich habe den Heiland gefunden.« Er hat mir später erzählt, das wäre ein Schlag für ihn gewesen, der ihn tief getroffen hätte. Dann kam er kurze Zeit darauf selbst zum Glauben. Wie viele Stunden habe ich in seinem Hause gehalten, wie oft ist er mit dem Rad gefahren, um zur Gebetsstunde zu uns ins Pfarrhaus zu kommen! Auch den Spott der Leute, die ihn von früher her kannten, hat er tapfer ertragen. Etwas sehr Originelles erlebte ich mit ihm: Er hatte tiefe Segnungen erfahren und wollte gern, daß auch sein Nachbar zum Bibelkurs kommen möchte. Er betete darum und versprach, wenn der Nachbar mitgehen würde, wolle er hundert Mark für die Mission geben. Er hatte mit seinem Nachbarn mancherlei Spannungen gehabt, nun wünschte er, daß es zu einer neuen Gemeinschaft zwischen ihnen kommen möchte (hundert Mark waren damals sehr viel mehr als heute). Zu seiner Überraschung und Freude ging der Nachbar am nächsten Morgen mit und wurde innerlich erfaßt. Nun aber kam es bei diesem Bauern zu einem inneren Kampf. Niemand wußte ja, daß er hundert Mark versprochen hatte. Er fing an, mit Gott zu rechnen: »Wenn ich fünfzig Mark der Mission schenke, ja, wenn ich zwanzig Mark gebe, dann ist das doch auch schon viel.« Er nahm zwei Fünfzigmarkscheine mit. Als er mich vor dem Pfarrhaus stehen sah, kam er auf mich zu und sagte: »Herr Pastor, ich gebe Ihnen gleich etwas, dann müssen Sie aber schnell weglaufen .. .« Er gab mir den Umschlag mit den zwei Fünfzigmarkscheinen und - ich lief fort. Dann allerdings kam ich neugierig zurück und fragte ihn, was das zu bedeuten hätte, und erfuhr von seinem inneren Ringen. Wir haben herzlich miteinander gelacht, und ich konnte die hundert Mark an die Mission weiterleiten. Wieder einmal hatten wir uns in unserer schönen Kirche zur Gebetsgemeinschaft zusammengefunden. Einer betete nach dem anderen. Plötzlich höre ich mitten in all den Gebeten einen einzigen kleinen Satz: »Heiland, help doch uk mi!« Das sagte ein Mann laut und deutlich. Er sagte nicht mehr, nur diese wenigen kurzen Worte fielen. Ich hatte seine Stimme sofort erkannt, die anderen wohl auch, aber das gemeinsame Gebet ging weiter, und dies eine wurde darüber wohl von den meisten vergessen. Ich hatte es aber behalten und durfte es nicht überhören. Beim Hinausgehen redete ich den Mann an. Er war einer der Bauern der Gemeinde, der sich treu zur Kirche hielt. »Was haben Sie denn auf dem Herzen, daß Sie so gebetet haben?« »Ich habe gestohlen!« Ich erschrak doch etwas und wartete darauf, daß er weiterreden möchte. Tatsächlich: es brach aus ihm heraus. Es waren schon Jahre vergangen, aber es lag wie eine schwere Last auf ihm. Nun kam es heraus. Er war damals auswärtig beschäftigt gewesen. Es hatte niemand gemerkt, daß er von seiner Arbeitsstelle etwas mitgenommen hatte, aber sein Gewissen machte ihn unruhig, ja fast krank. Das ging schon tagelang so. Durch den Bibelkurs wurde er noch unruhiger. Wie wurde der Mann froh, als wir dann zusammen auf der Bank saßen und gemeinsam den Herrn anriefen. Er konnte es fassen: es gibt auch dafür Vergebung. Jahre später wurde der Mann schwer krank, so schwer, daß man es in seiner Nähe kaum aushalten konnte. Er wurde von einer bösen Krankheit sehr gequält. Aber auch da zeigte sich, wie er mit seinem Herrn verbunden war: Er hat die Krankheit getragen und die Schmerzen erduldet, wie es wohl nicht viele tun können. Er ist auch im Leiden vielen ein Vorbild gewesen. Der Herr hat damals und später sein Beten gehört und hat geholfen. - Er war ein reicher Viehhändler. Viele Male hat er mit seinen Kumpanen getrunken, Karten gespielt, im Wirtshaus Lärm gemacht. Dann kam er auf eigenartige Weise zu einem unserer Männerbibelkurse. Er kam einen Tag zu spät und fiel allen auf: Groß, breitschultrig, etwas verlegen, aber offen, wenigstens neugierig. Seine Tochter, eine ostfriesische Bäuerin, hatte ihn lange gebeten, doch einmal hinzufahren. Dann hat er es zuletzt mehr um seiner Tochter willen getan. Er saß staunend in der Ecke, hörte zu, sagte aber nichts. Viele erzählten aus ihrem Leben und Erleben, zwischendurch wurde gesungen und weiter Gottes Wort ausgelegt, dann wieder kam eine Zeugnisstunde, wo manche weiter aus ihrem Leben er- zählten, dann wurde wieder gesungen - er kam aus dem Staunen nicht heraus. Zuletzt hatte es ihn so gepackt, daß er nicht anders konnte, als unter vier Augen sein Leben zu ordnen. Er hat alles ausgesprochen, was ihn bedrückte, und ist dann froh mit zum Tisch des Herrn gegangen. Am nächsten Tage treffe ich ihn auf der Straße in Leer. Da grüßt er mich mit dem Satz: »Ich hätte vor Freude gestern abend bis nach Berlin fahren können.« Das wäre wohl ein bißchen weit gewesen, denn er meinte das Fahrrad. Aber er sprach damit auf seine Weise die tiefe Freude aus. Noch Jahre hindurch habe ich ihn besucht. Er ging klar seinen Weg mit Jesus. Fast stolz trug er die Blaukreuznadel. Er ist nie wieder zum Trinken und zum Kartenspielen gegangen. Er wurde vielen Menschen ein Vorbild in Handel und Wandel. Eines Tages klingelt bei mir das Telefon. Ich melde mich. Da höre ich: »Welch Glück ist's, erlöst zu sein, Herr, durch dein Blut.« Es ist das bekannte Gemeinschaftslied. - Wer war am Telefon? Mein Freund, der Viehhändler. Ich fragte, warum er anriefe. Er hatte nichts Besonderes auf dem Herzen und nur dieses Ferngespräch angemeldet, um mir von seiner großen Freude zu erzählen, die sein Herz erfüllte. - Als er starb, sagten sogar seine früheren Freunde: »Dem konnte man es im Leben abspüren, daß er anders geworden war.« Manchmal mußte auch erst große Not kommen, bis Menschen anfingen, in den entscheidenden Lebensfragen offen zu werden. Wie oft hatte ich schon die Familie besucht; aber vor allem der Mann verstand kaum, was ich wollte. Da ertrank während des Gottesdienstes, während der Vater in der Kirche war, eines der Kinder im Kanal, der am Hause vorbei ging. Die Mutter war im Stall gewesen, der Kleine hatte wohl draußen gespielt, war an den Kanal gelaufen und ins Wasser gefallen. Er konnte nur noch tot ins Haus getragen werden. Ich erfuhr von dem Unglück kurz nach dem Gottesdienst und radelte hin zu den Eltern, aber ich konnte kaum ein ruhiges Wort mit dem Vater reden: »Mein Kind, mein Kind ... ich war in der Kirche; warum konnte Gott das nicht verhindern? Wäre ich im Hause geblieben, würde unser Kind leben ...!« Auch die Mutter saß fassungslos im Stuhl. Wenige Tage später haben wir am Sarg Lob- und Danklieder gesungen, und zwar auf Wunsch des Vaters und der Mutter. Da hatte der Geist Gottes gewirkt. Später hat der Vater mir gesagt: »Der Herr mußte uns erst eins unserer Kinder nehmen, bis er uns fand, bis wir wirklich aufwachten und endlich Ernst machten.« Bei einem Männerbibelkurs wurde das Lebensbild des Elias behandelt, bei einem anderen haben wir das Bild Abrahams besprochen und abends dann Lichtbilder oder Vorträge über Rußland und die Lage der Christen in Rußland gesehen und gehört. An fünf Abenden sprach Erich Schnepel über die Freude, Jesus zu finden; die Freude, in der Bruderschaft der Gemeinde Jesu zu leben; die Freude, Jesus, dem Herrn, als ein Zeuge zu dienen; die Freude, in der Gemeinschaft Jesu zu bleiben, und die Freude, durch ihn einst vollendet zu werden. So haben wir immer neu versucht, einen Zugang zum Wort Gottes zu finden und unser Leben danach auszurichten. In all den Jahren waren aber noch Kämpfe anderer Art durchzustehen, sie halfen mit, daß das Wirken des Geistes Gottes weiterging. Das Urteil des alten Gemeindevorstehers über die neue Konfirmationsordnung, die ich einführte, lautete: »Theaterspiel in der Kirche ist zu Ende!« Bisher war es gewesen wie wohl allgemein: Die Kinder wurden unterrichtet, konfirmiert und zum Abendmahl zugelassen, ja, geradezu gebeten, auf jeden Fall an dieser Feier teilzunehmen. Das konnte ich nicht mehr so durchführen. Mit vielen anderen merkte ich: Die Kinder sind gar nicht reif dazu, sie werden überfordert, sie können das von ihnen erwartete Gelübde nicht ablegen und sind auch nicht zubereitet, die Feier des Abendmahls wirklich mitzufeiern. Schon das war neu, daß ich mit allen Konfirmanden vor der Konfirmation einzeln unter vier Augen sprach und meist kniend betete. Ich habe später von Brautpaaren, die ihre Trauung anmeldeten, erfahren, daß vieles, vielleicht alles vergessen worden war, aber daß ich als junger Pastor mit ihnen allein gesprochen und gebetet hatte, war ihnen haftengeblieben. Aber auch die Ordnung der Konfirmation änderte ich ab. Ich bat die Konfirmanden, möglichst nicht zum Abendmahl zu kommen. Sie sollten warten, bis sie innerlich danach Verlangen hätten. Sie hätten wohl nach der Ordnung der Kirche die Berechtigung, aber ich würde mich freuen, wenn sie noch warteten. Nur dann sollten sie kommen, wenn sie die völlige Freudigkeit hätten, wirklich auch in die Nachfolge Jesu zu treten. Am meisten Not machten mir die schweren Gelübdefragen, die nach der Agende der Landeskirche an die Konfirmanden gestellt wurden. »Glaubt ihr, daß dieser Glaube (nach den drei Artikeln) euer Glaube ist, in dem ihr gedenkt zu bleiben und zu wachsen?« Natürlich wußte ich aus der Geschichte der Konfirmation, wie es zu diesen Fragen gekommen war: Man wollte den Kindern, die getauft waren, Gelegenheit geben oder sie jedenfalls dazu anleiten, vor der Gemeinde persönlich zu bekennen, daß sie nun im Glauben stünden, das heißt das Angebot der Taufe angenommen hätten. Aber die allermeisten Konfirmanden waren noch nicht zum Glauben gekommen, sie wollten auch nicht kommen und konnten darum in diesem Glauben weder bleiben noch wachsen. Damals habe ich mir so geholfen, daß ich die Fragen der Agende den Kindern vorlas und dann zusammenfassend fragte: »Wollt ihr versuchen, in eurem Leben auf diese Fragen die rechte Antwort zu geben?« Ich weiß, daß das keine volle Lösung war, aber wie wollte ich als junger Pastor diese schweren Fragen der Konfirmationsordnung lösen?! In späteren Jahren habe ich aus diesen Glaubensfragen die Wissensfragen gemacht: »Wißt ihr, daß der lebendige Gott die Welt geschaffen hat, daß Jesus Christus als Erlöser in die Welt gekommen ist, daß der Heilige Geist euch zum Glauben ruft und im Glauben weiterführen will?« Darauf konnten die meisten Kinder nach einem Unterricht ohne weiteres mit Ja antworten. In der Gemeinde selbst gab es kaum Ablehnung. Nur einige ältere Leute verlangten, daß ihre Kinder doch zum Abendmahl gehen sollten. Natürlich ließ ich sie gehen. Der Kirchenvorstand stellte sich völlig hinter mich. Die meisten empfanden wie der alte Gemeindevorsteher, daß die Konfirmation leider allermeist nur eine äußere Sitte sei oder gar zur gefährlichen Heuchelei führte. Einen ernsteren Konflikt gab es mit dem Superintendenten und der Kirchenbehörde. Man verlangte von mir, an der alten Ordnung festzuhalten, ich dürfte nichts eigenwillig daran ändern. Die Überlegungen über eine neue Ordnung seien im Gange, ich sollte abwarten. Dadurch kam ich in große Not: Ich konnte die Konfirmation nicht mehr so vollziehen, weil ich nicht unwahrhaftig werden und die Kinder nicht vergewaltigen wollte, Nun war der abschlägige Bescheid da. Ich machte mir Vorwürfe, daß ich überhaupt gefragt hatte. Da erlebte ich etwas Überraschendes: Auf einem Pfarrkonvent traf ich mit dem Generalsuperintendenten zusammen. Ich ergriff die Gelegenheit, ihn um Rat zu fragen und um die Erlaubnis zu bitten. Es gab ein längeres Gespräch über die ganze Not, die er natürlich kannte. Wie sehr auch er darunter litt, merkte ich, als er sagte: »Fragen Sie mich nicht als Generalsuperintendenten, fragen Sie mich als Mensch!« Das ging doch eigentlich gar nicht, aber ich sagte: »Nun denn, ich frage Sie als Mensch, was ich tun soll.« »Ändern Sie ab, ich würde es auch tun!« Damit entließ er mich - lächelnd und doch ernst. Man sieht hier in die große Spannung hinein, die gerade die führenden Männer der Kirchen und wohl auch Freikirchen zu tragen haben, ja durchtragen müssen. Andererseits fehlte dort der Mut zur durchgreifenden Änderung der Tradition und der falschen Ordnung. Anstatt dem jungen Pastor wirklich zu helfen und ihn zu unterstützen, wurde ihm selbst die Verantwortung zugeschoben, und man entzog sich der eigenen Entscheidung. Inzwischen hat man in vielen Landeskirchen manches geändert. Man fängt an einzusehen, daß heilsame Neuordnungen nötig sind, wenn nicht überhaupt in all diesen Fragen der Gottesdienstordnung mehr Freiheit gewährt werden sollte. Das Ganze aber hatte in der Gemeinde in Hollen eine gute Nachwirkung: Viele begannen neu nach der Wahrheit zu fragen, als nun die Ordnungen in der Kirche mehr durchdacht und ernst genommen wurden. Auch etliche Konfirmanden haben mir später gesagt, daß ihnen dies alles sehr geholfen habe. Aber noch ein anderer Kampf trug dazu bei, Menschen in der Gemeinde aufzurütteln und weiterzuführen. Wir hatten seit Jahren außer den Schulbibelstunden viele kleine Hausbibelkreise, wo man unter sich zusammenkam, Gottes Wort oder eine Predigt las und besprach. Ich brauchte am Sonntagvormittag nur abzukündigen, daß ich den und den Kreis besuchen wolle. Dann wurden Nachbarn eingeladen oder Verwandte gebeten zu kommen. Da erschien im Herbst 1926 plötzlich in einer der Zeitungen eine Notiz: »Streit zwischen Besuchern einer Bibelstunde! Der Pastor von Hollen pflegt wöchentlich abends bei Gemeindegliedern Bibelstunden abzuhalten. Nachdem vorige Woche diese feierliche Stunde eben vorüber war und die Gläubigen das richtige Wort vernommen hatten, gerieten sie derartig in Streit, daß sie sich gegenseitig mit Schimpfworten belegten und, man hat kaum Worte dafür, mit Stühlen auf den Kopf schlagen wollten, so daß der Geistliche schlichtend'eingreifen mußte.« Was war geschehen? Es wird deutlich durch die Erklärung, die ich mit vielen Gemeindegliedern zusammen für die Zeitung abgab: »In einer Hausbibelstunde in Süd-Georgsfehn am 6. Oktober 1926 wurde in einem kleinen Kreis von etwa fünfundzwanzig Menschen eine Aussprache gehalten über die Frage: Woran erkennt man einen lebendigen Christen? Die Bibelstunde trug wie alle anderen familiären Charakter. Es wurde nicht nur von mir, sondern auch von anderen mehrfach geredet. Ich selbst habe, um den Abend ganz familiär zu gestalten, plattdeutsch gesprochen. An einer Stelle, als ausgeführt wurde, daß Christen unter Anfechtung zu leiden hätten, muß mir der Gedanke an den nicht weit entfernt wohnenden Gastwirt L. A. in den Sinn gekommen sein; in einer anderen Gegend der Gemeinde hätte ich vielleicht an einem solchen Familien-Ausspracheabend an jemand anders gedacht. In diesem Zusammenhang sind mir dann in einem Zwischensatz die Worte entschlüpft: >Ich glaube nicht, daß zum Beispiel L. A. Anfechtungen hat.< In demselben Augenblick, wohl in dem Bedürfnis, dies etwas abzuschwächen, habe ich hinzugefügt: »Gewissensbisse mag er wohl kennen; wenn er an mir vorbeifährt, sieht er mich nicht gerade an.< Dann ist das Gespräch sofort weitergegangen. Ich habe den ganzen Abend mit keinem Gedanken mehr an L. A. gedacht. Eine Beleidigung hat mir völlig ferngelegen. Auch die meisten Zuhörer haben diesen Satz in keiner Weise so empfunden. Keiner von ihnen hat den Eindruck gehabt, daß ich absichtlich L. A. beleidigen wollte.« So lautete unsere Erklärung. Den Fehler, einen Abwesenden in dieser Weise zu zitieren, hatte ich gemacht und - wie es oft bei solchen Hinzufügungen geschieht - ihn durch den Nachsatz eher erschwert als gemildert. Um so dankbarer mußte ich sein, daß Gott doch noch Gutes aus der Sache erwachsen ließ. Wenige Tage später sandten drei Bibelkreise der Gemeinde von sich aus eine Antwort an die Zeitung: »Wir stehen er- staunt vor dem Eingesandt des Gastwirts L. A. Pastor Bruns gegenüber. Es wundert uns, daß die Gastwirte so wenig die Stimmung der Gemeinde kennen oder kennen wollen. Wir stehen mit sämtlichen elf Bibelkreisen sowie den Jugendver-einen und den sonstigen denkenden christlichen Gemeindegliedern geschlossen hinter unserem Seelsorger. Ob nicht mancher ... über kurz oder lang, wenn nicht eher, dann auf dem Sterbebett zur Einsicht kommt: Pastor Bruns hat recht gehandelt und uns gewarnt! Dann ist es vielleicht zu spät!« Nach einem anderen Streit habe ich bewußt um Verzeihung gebeten und die Schuld auf mich genommen: Einer der Lehrer, ein tüchtiger und eifriger Mann, hatte eine Bemerkung von mir über ihn so völlig mißverstanden, daß er mir einen bösen Brief schrieb und auch seine Kollegen gegen mich beeinflußte. Zunächst gab es ein ungutes Hin und Her. Ich wollte mich verteidigen und beschuldigte zunächst auch ihn, manches gegen mich gesagt zu haben. Dann saß ich eines Tages bei der Vorbereitung zu einem Passionsgottesdienst. Da wurde mir klar: »Ich kann diesen Dienst nicht tun, ohne mich mit meinem Nachbarn zu versöhnen.« Der Gang ins Lehrerhaus ist mir nicht leicht geworden, beim erstenmal gelang es mir auch nicht, ich bin wieder umgekehrt und habe versucht weiterzuarbeiten. Dann mußte ich zum zweitenmal über die Straße hinüber und habe einfach um Vergebung gebeten. Damit kam alles in Ordnung. Ein Ringen um die Botschaft des Evangeliums hatte in der Gemeinde angefangen und schied die Geister. So hat es ja Jesus selbst für seine Jünger vorausgesagt: »Es wird Streit kommen zwischen Eltern und Kindern, zwischen Eheleuten und Nachbarn, der eine wird für mich, der andere gegen mich sein; ich bin dazu gekommen, nicht den Frieden, sondern das Schwert zu bringen.« Ich mußte mich darunter beugen, wenn es Streit gegeben hatte durch meine Schuld, durch übereilte Worte, durch mißverständliche Bemerkungen und anderes, aber ich konnte mich auch freuen über den Rumor in der Gemeinde, wenn Menschen klar auf die Seite Jesu traten und dafür sogar den Widerstand lieber Menschen ertrugen. Inzwischen hatten wir im Hause die Freude, daß wir eine Reihe von Kindern bekamen: Drei Jungens und eine Tochter wurden uns in den zehn Jahren der Gemeindearbeit in Hollen anvertraut. Bei der Geburt des ersten Kindes habe ich gebangt, ob es mir ähnlich ergehen würde wie meinem Vater. Meine Frau wurde ernstlich krank und hat am Rande des Todes gestanden. Aber sie blieb uns erhalten, und die Kinder wuchsen gesund und munter heran. Auch die Gemeinde nahm am Erleben im Pfarrhaus lebhaften Anteil. Vor kurzem war ich mit zweien meiner Söhne (der zweite ist im zweiten Weltkrieg verschollen) zu einem Missionsfest in unsere alte Gemeinde eingeladen. Es war eine Freude, in der vollen Kirche nacheinander auf der Kanzel zu stehen und die frohe Botschaft von Jesus Christus gemeinsam zu verkündigen. Wieder hat die Gemeinde sich mitgefreut. Manche, die damals das Aufwachsen der Kinder miterlebt haben, waren jetzt als alte Menschen in der Kirche und haben uns bewegt die Hand gedrückt. Auch der Mann unserer ersten Tochter und sie selbst waren dabei. Jeder wird verstehen, was das war: nach etwa fünfunddreißig Jahren so viele liebe Menschen in der alten Kirche so begrüßen zu können. Ein wichtiges Ereignis für die ganze Gemeinde war die erste Visitation durch Superintendent D. Schaaf, Potshausen, nach der es leider zu einem schweren Zusammenstoß mit der Kirchenbehörde kam. Die Visitation selbst verlief zu aller Freude. Auch der Superintendent war sichtlich beeindruckt und hat es offen ausgesprochen. Die Kirche war voll, ja übervoll. Auch am Kindergottesdienst nahm er mehr als interessiert teil. Wir hatten eine große Zeugnisstunde in dem inzwischen gebauten Jugendheim. Da hat er wohl zum erstenmal bei einer solchen Visitation miterlebt, daß viele Menschen sich an einer gemeinsamen Bibelarbeit beteiligten und in kurzen Zeugnissen von ihrem Leben mit Jesus berichteten. Auch das Zusammensein mit den Kirchenvorstehern war gut. Aber dann kam der fast unausbleibliche Zusammenstoß: Ich hatte in dem Visitationsbericht bei verschiedenen Fragen meine ernsten Bedenken im Blick auf Teile der Kirchenordnung zum Ausdruck gebracht, nicht nur bei der Konfirmation, auch bei der Taufe und Trauung: Ich könnte die Taufe nicht mehr nach der Agende vollziehen, wo stünde: »der dich nunmehr (in der Taufe) wiedergeboren hat«. Ich könnte auch nicht bei jeder Trauung sagen: »Hier haben sich jetzt die Eheleute als christliche Eheleute bekannt«, weil es doch in nicht wenigen Fällen auf der Hand lag, daß man nur einer äußeren Sitte folgte, aber alles wirkliche Christentum ablehnte. Ebenfalls hätte ich bei Beerdigungen in nicht allen Fällen gesagt: »Der und der Bruder wird jetzt hier zu Grabe getragen.« Vor allem aber hatte ich im Blick auf das Abendmahl mehr gewarnt als ermutigt zu kommen, weil ich immer mehr den Eindruck hatte, daß viele nur aus rein äußerer Gewohnheit zum Tisch des Herrn gingen, aber keine wirkliche Glaubens Verbundenheit zu Jesus hätten, ohne die doch kein Gang zum Abendmahlstisch möglich wäre. Auf alle diese Fragen ging der Superintendent bei der Gesamt- und Einzelaussprache ein. Er hatte auch Verständnis für meine Fragen, aber er verlangte doch, daß ich die kirchliche Ordnung halten müsse. Das war mir nicht möglich. Was geschah? Er hatte einen guten Gesamtbericht nach Hannover gesandt, aber dann auch geschrieben, daß ich an mehreren wichtigen Stellen meinte, die Agende der Gottesdienste ablehnen zu müssen. Daraufhin kam nach einiger Zeit ein sehr ernstes Schreiben vom Landeskirchenamt. Es war zunächst voller Anerkennung über vieles, was ich getan hatte; dann aber wurde ich aufgefordert, in »kürzester Frist« meine Bereitschaft zu melden, die Ordnung der Landeskirche wieder zu halten, anderenfalls müßte man disziplinarisch gegen mich einschreiten. Ich bin dann zum Superintendenten gefahren und habe ihn gefragt, was die beiden Worte »kürzeste Frist« bedeuteten, ob das einige Wochen oder Monate seien und was geschehen würde, wenn ich nicht zustimmen könnte. Er wich der Frage aus, konnte wohl auch nicht anders. Ich habe dann die Akte in den Schrank gelegt und meinen Dienst weiter getan, so wie ich ihn meinte, tun zu müssen. Es ist nie etwas geschehen; die kürzeste Frist ist bis heute nicht abgelaufen. Warum berichte ich dies alles so ausführlich? Die leise Drohung mit disziplinarischem Vorgehen und das darauf folgende Schweigen deuten die ganze Not einer Landeskirche an. Ordnung muß sein, aber die Ordnung darf nicht auf Kosten der Bibel und des Gewissens gehen. Ordnung muß immer mit großer Freiheit für die innere Entscheidung des Glaubens verbunden bleiben. Aber noch ernster ist: Viele Ordnungen unserer Kirchen (vielleicht auch der Freikirchen) können ein Hindernis für neuaufbrechendes Leben sein. Sie sind dann mit Bremsen zu vergleichen, die den Wagen im Fahren hindern. Hier ist inzwischen vieles geprüft und geändert worden. Es wird immer weiter geändert werden müssen mit dem einen Ziel, daß das Ordnungsdenken nie über das geistliche Anliegen gestellt werden darf: wie kommt es zu einer Erweckung in den Gemeinden, wie kommen Menschen zum lebendigen Glauben? Alle Ordnungen müssen immer wieder an der Bibel selbst geprüft werden. Nur so darf man Agenden herausgeben (Agenda heißt: »wie man es machen soll«). Mitten in dieses Ringen um Menschen und die Frage der Gemeindeordnung fiel dann die Entscheidung innerster Art für mich und meine Frau: Wir erfuhren beide, was eine biblische Wiedergeburt ist und wie dadurch das ganze Glaubensleben ein anderes Gesicht bekommt. Wir wurden ähnlich geführt, weil wir beide aus kirchlichen Häusern und Gemeinden kamen und bereits »christliche Leute« waren, außerdem in der Gemeinde viel Leben sahen, ja auch wirklich miterlebten, wie Menschen als Christen lebten und wie sie zu Christen wurden, und doch: es fehlte, um ein Bild zu gebrauchen, der Punkt auf dem i. Wie es im einzelnen bei uns soweit kam, war allerdings sehr verschieden. Meine Frau verdankt ihr neues Leben einem älteren Schifferehepaar in der Gemeinde. Wie oft sind wir da und ist sie zu den beiden erfahrenen Christen hingegangen und hat dort im Hause mit ihnen zusammengesessen und alles besprochen, hat gefragt und hat Antworten bekommen! Es waren strenge Lutheraner, hatten aber geistliches Leben und Verständnis für die Fragen des Glaubens. Dazu kamen dann Anregungen auf verschiedenen Pfarrfrauen-Freizeiten und zuletzt eine weite Reise zu einer alten Pfarrfrau, deren Bild noch heute auf ihrem Nähtisch steht. Sie half ihr innerlich weiter, und der Herr schenkte Gewißheit des Glaubens in der Verbundenheit mit Jesus, dem Herrn. Bei mir kam es zur Wiedergeburt durch die »Gruppenbewegung«, die man auch Oxfordbewegung genannt hat, die heute in Deutschland unter dem Namen »Marburger Kreis« ihre gesegnete Arbeit tut. Ich kam mit ihr in Berührung durch ein Buch ihres damaligen verantwortlichen Mitarbeiters in Deutschland, Pastor Laun: »Unter Gottes Führung.« Darin erzählte er von den verschiedenen Führungen seines Lebens und des Lebens vieler anderer, vor allem Frank Buchmans in den USA und anderen Ländern, auch in Deutschland. Als ich dieses Buch in die Hand bekam, merkte ich sofort, daß hier von demselben Leben die Rede war, das auch in unserer Gemeinde aufbrach und auf den verschiedenen Bibelkursen pulsierte. Darum schrieb ich ihm und erhielt sofort eine Einladung zur ersten größeren Gruppentagung in Deutschland. Ich bin hingefahren, und meine Frau hat später gesagt, von keiner der vielen Tagungen, auch Pfarrertagungen oder Konferenzen sei ich so verändert wiedergekommen, wie von dieser Konferenz in Mecklenburg. Was war geschehen? An einem der Abende wurde ich, wie es üblich war, gebeten, etwas aus meinem Leben zu erzählen. Das muß ich recht anschaulich getan haben, zumal ich aus dem Wirken in der Gemeinde wirklich manches erzählen konnte. Aber einer der Teilnehmer, ein adeliger Kunstmaler, hat mir wohl eine letzte Unsicherheit abgespürt und hat mich daraufhin am nächsten Tage ganz offen »gestellt«. Er war jünger als ich, kein Pfarrer, hatte aber ein klares Urteil. Ich war fünfunddreißig Jahre alt, es war im Jahre 1931. Er sagte: »Herr Pfarrer, Sie haben gestern abend sehr schön über Jesus gesprochen; aber haben Sie ihn auch?« Das war ein heilsamer Schock! Doch ich spürte: »Der Mann kann mir aus letzter Unklarheit und Halbheit heraushelfen.« Es kam zu einem Beichtgespräch. Ich hatte schon vieles geordnet. Aber er rührte an Dinge, die noch nicht in Ordnung waren. Ich hatte schon mit nicht wenigen zusammen gebetet, um ihnen zu helfen; er schlug ein gemeinsames Gebet vor, damit mir geholfen würde. Das geschah. Rückschauend kann ich es nur Neugeburt nennen. Ich habe damals bewußt und wie nie zuvor mein Leben in die Hand Jesu Christi gelegt. Er hat dieses schlichte Beicht- und Übergabegebet gehört und erhört. Hilfreich war mir bei diesem Erleben eins: Der junge Kunstmaler fragte mich unter anderem, ob ich etwa mit Menschen Spannungen hätte oder mit irgend jemandem in Unfrieden lebte. Sofort mußte ich daran denken, daß ich mit meinem Superintendenten und zweien meiner Amtsbrüder nicht gerade Streit hatte, aber doch nicht ohne ernste Spannungen lebte. Das hatte seinen Grund darin, daß sie meine Art der Verkündigung und der Gemeindearbeit weithin ablehnten. Aber es kam auch daher, daß ich vielfach zu schroff gesprochen und geantwortet hatte. Auf die Frage, ob ich bereit sei, um Vergebung zu bitten, sagte ich: »Ja, ich werde es gern tun.« Nun kam die Aufforderung: »Wollen Sie bitte bis heute abend die drei notwendigen Briefe schreiben?« »Ja«, und ich habe sie geschrieben. Von dem Superintendenten habe ich einen sehr herzlichen Antwortbrief erhalten. Das war zupackende und helfende Seelsorge zugleich. Ich weiß bei dieser Wiedergeburt kaum etwas von großen Gefühlserlebnissen zu sagen, habe auch keine überschäumende Freude empfunden, aber es wurde der Punkt auf das i gesetzt. Jede Geburt ist immer nur ein Anfang. Das eigentliche Leben beginnt dann erst. Bei mir hatten die »Geburtswehen« besonders lange gedauert. Es gab dann ein langsames, aber stetes Wachstum. Das ist nicht bei allen so. Bei nicht wenigen Menschen geschieht diese Geburt plötzlich, und es kommt hinterher vielfach zu einer Art »Kinderlähmung«, aber es ist die Wahrheit, die Jesus in Joh. 3, 3 und 5 ausspricht: »Wenn jemand nicht von ober her geboren wird, kann er das Reich Gottes nicht sehen, vor allem nicht hineinkommen.« Ich habe erst nach diesem Erleben die Gemeinde Jesu in ihrer Schönheit und Einzigartigkeit richtig gesehen, dann auch bewußt angefangen, sie mitzubauen. Bis heute bin ich dankbar für den Geburtshelferdienst des Mannes aus der Gruppenbewegung, und ich meine, daß darin einer der wesentlichen Dienste jedes Pfarrers oder jedes Christen besteht, anderen zu dieser Geburt zu helfen und dann im Wachstum beizustehen. Inzwischen war noch ein anderes eingetreten, das meinen Dienst in die Weite führte und doch zugleich der Gemeindearbeit zugute kam: Ich wurde schon während meiner zehnjährigen Gemeindearbeit in Hollen zu Evangelisationen gerufen. Damit begann der eigentliche Dienst meines späteren Lebens, der bis heute nicht aufgehört hat: Menschen durch eine besondere evangelistische Verkündigung in die Nachfolge Jesu zu rufen. Ich hatte in der Gemeinde vielfach erlebt, welch ein Segen aus einer solch konzentrierten mehrtägigen oder gar zweiwöchigen Verkündigung ruht. Nun sollte ich auch in anderen Gemeinden mithelfen, zum Glauben zu rufen und in ihm zu fördern. Das gab eine Überbelastung, weil ich oft die ganze Woche fort war. Der Unterrichtsdienst mußte dann vorher oder hinterher geschehen. Manchmal bin ich am Sonntag nach dem Gottesdienst fortgefahren und kam Freitag oder auch noch später zurück, um sofort wieder in die große Gemeindearbeit eingespannt zu werden. Andererseits bekam ich auch immer neue Belebung und Anregung. Der Blick weitete sich, und ich kehrte mit neuen Eindrücken und dankbarer Freude in die Gemeinde zurück. Auch ein großer Teil der Gemeinde nahm an diesem Erleben teil und wurde dadurch neu bereichert. An einen dieser Dienste während der zehn Jahre in Hollen muß ich besonders denken, an eine achttägige Evangelisation in einer der übernächsten Gemeinden, in Firrel. Dort hatte vor einiger Zeit ein junger Pastor seinen Dienst begonnen. Er war schon einmal mit seiner Frau bei uns zu Besuch gewesen, aber wir hatten diesen Besuch als überraschend kühl und mehr offiziell empfunden. Später stellte sich heraus, daß er mancherlei Dinge über mich gehört hatte, die nicht der Wahrheit entsprachen. Sehr bald entstand nun eine echte Freundschaft. Er kam dann mit seinen eigentlichen Fragen heraus, und wir haben mehr als einmal über ganz persönliche Dinge miteinander gesprochen und zusammen gebetet. Dann lud er mich ein, in seiner kleinen Gemeinde einmal acht Tage zu evangelisieren. Ich bin seiner Bitte mit etwas Bangen und doch mit Freuden gefolgt. Der Herr schenkte eine spürbare Erweckung. Nicht nur war Abend für Abend die Kirche überfüllt, daß kein Sitz- oder Stehplatz mehr frei war. Auch nachmittags waren die Bibelstunden sehr gut besucht. Vor allem aber kam es in vielen Häusern und Herzen zu einem wirklichen Fragen, wie man den Frieden mit Gott durch Jesus Christus finden könnte. Auch im Pfarrhaus selbst geschah Entscheidendes: Die beiden Pfarrersleute beteten zum erstenmal gemeinsam. Dadurch wurde naturgemäß die innere Verbundenheit noch größer. In einem Brief aus dem Jahre 1934 stehen die Sätze: »Ich kann nur dem Herrn für alles danken, was er hier gewirkt hat. Mein Leben wäre sicher anders verlaufen, wenn diese Tage nicht gewesen wären. Ob ich wohl in solcher Freudigkeit in meinem Amt stehen könnte und ob ich überhaupt den Menschen den Weg zur Seligkeit hätte weisen können, bleibt sehr dahingestellt. Ich sehe das Ganze als eine besondere und gnädige Führung und Fügung unseres Gottes an.« Im Laufe der Jahre bin ich noch manches Mal dort in der Gemeinde gewesen. Als ich eines Abends durch das Dorf ging und zu meinem Erstaunen niemand sah, der zur Kirche wollte, meinte ich schon, ich hätte mich mit dem Datum versehen. Im Pfarrhaus war nur die Haustochter, die mir sagte: »Sie sind alle bereits drüben in der Kirche, seit einer halben Stunde ist alles überfüllt.« Darum also hatte ich niemand mehr laufen sehen. In der Gemeindearbeit hat es auch an Erlebnissen nicht gefehlt, an die ich heute fast mit Lächeln zurückdenke, zum Beispiel die zwei »Teegeschichten«. Eines Tages machte ich wieder einmal Hausbesuche. In den meisten Fällen konnte ich mit den Leuten ein Gotteswort lesen und auch beten. Vor allem galt es, die sogenannten »kleinen Leute« nicht zu übersehen oder gar zu vergessen. So kam ich in eine ärmere Familie. Der Mann war seit langem arbeitslos, die Frau kränklich. Es war für sie eine große Freude, daß ich auch sie besuchte. Die Frau bot mir sofort, wie es Sitte war, Tee an. Ich hatte schon mehrere Tassen in andern Häusern getrunken, sah aber ein, hier durfte ich es unmöglich ablehnen. Platz war nicht viel in der Küche. Alle wohnten, schliefen und arbeiteten in einem Raum. Er war klein und auch nicht gerade sauber. Die Arbeit wuchs der jungen Mutter offenbar über den Kopf. Wer wollte ihr darüber Vorwürfe machen! Ein Stuhl war da. Er war wackelig, aber ich konnte darauf sitzen. Die Frau bereitete den Tee. Der Mann war zum Einkäufen gegangen, die Kinder draußen beim Spielen. Das Teewasser kochte. Da kamen die beiden Kinder herein, mit laufenden Nasen, wie das bei Kindern öfter zu sein pflegt. »Nun sagt mal dem Onkel Pastor schön »Guten TagAngst< vor Ihnen hatte, und doch habe ich Vertrauen zu Ihnen und im Grunde nur darauf gewartet, daß es zu einem solchen Gespräch mit Ihnen kommen möge. Gut, daß Sie es gemerkt haben, was ich wollte, als ich vorhin den kleinen Satz vom bösen Gewissen sagte.« Es gab ein langes Gespräch, am Schluß bat die Studentin Jesus um Vergebung und wurde über den Zuspruch der Vergebung sichtlich froh. Mehrere Abende lang saß ein Mann vor mir und hörte der Verkündigung aufmerksam zu, war aber immer auffallend schnell verschwunden. Am vierten Abend sah ich ihn bei seinem Auto stehen und redete ihn an: »Ich freue mich, Sie zu sehen, aber irre ich, wenn ich meine, wir sollten uns einmal unter vier Augen sprechen?« Es kam ein zögerndes »Nein«. Ich habe ihm dann vorgeschlagen: »Besuchen Sie mich doch morgen in meiner Wohnung.« Als er ablehnte, sagte ich nur noch: »Wenn Sie krank würden, hätten Sie auch Zeit. Ich werde morgen auf Sie warten.« Am nächsten Morgen um acht Uhr war der Mann bei mir. Und es war genau so, wie ich vermutet hatte. Nach einem langen Gespräch und nach einem gemeinsamen Gebet verabschiedete er sich dankbar: »Ich habe schon lange darauf gewartet, daß mich jemand einmal ansprechen würde. Wie froh bin ich, daß Sie es getan haben.« Natürlich kann man auch »Knospenfrevel« treiben, das heißt man darf keine Blüte aufbrechen, man darf keinen Menschen zwingen wollen. Und doch: die Fälle, wo ich hinterher erkennen mußte, daß es zu früh oder zu schnell gegangen wäre, sind viel seltener als die, bei denen die Menschen hinterher gesagt haben, wie dankbar sie für die anredende Seelsorge waren. Viele finden einfach den Weg nicht, obwohl sie in großer Not sind. Viele können sich nicht entschließen, einen Seelsorger aufzusuchen, obwohl sie schon ahnen, daß sie Hilfe brauchen und ohne sie nicht zurechtkommen können. Der Heilige Geist will uns ein feines Gespür dafür geben, ob Menschen auf uns warten, damit wir sie nicht enttäuschen. Selbst auf die Gefahr hin, daß Menschen uns nicht immer verstehen, gilt es, anredende Seelsorge zu üben. Schön ist es, wenn Menschen von sich aus auf die eigentlichen Nöte zu sprechen kommen und ohne viel Vorrede einfach anfangen zu beichten. Vielfach aber werden wir sie beun- ruhigen müssen, damit wir auf die eigentlichen Nöte zu sprechen kommen. Oft sind sie ungeschickt und auch zu aufgeregt, so daß sie von ganz anderen Dingen anfangen zu sprechen und darüber die Hauptsache vergessen. Auch hier haben wir biblischen Grund unter den Füßen, wenn wir es tun: Jesus gab während des Gespräches mit der Samariterin diesem plötzlich eine neue Wendung, als er sagte: »Gehe hin und hole deinen Mann!« Dadurch wurde die Frau in ihrem Gewissen gepackt, und Jesus konnte ihr innerlich helfen. - Ähnlich machte es Paulus, als er in Ephesus mit den zwölf Männern zusammensaß. Da fragte er sie dann ganz unerwartet: »Habt ihr den Heiligen Geist empfangen?« Ich traf nach dem zweiten Weltkrieg mit einem leitenden Bankbeamten zusammen. Er hatte viel Not durchgemacht. Zwei seiner Söhne waren gefallen, sein Haus wurde zerbombt. Er fing bei unserem Gespräch zunächst davon an, mir von all diesen Nöten zu erzählen. Ich hörte lange zu, dabei wurde mir klar, der Mann hat nicht nur Nöte, die ihn quälten, er hat auch Schuld, die ihn bedrückte. Darum fragte ich ihn nach einiger Zeit: »Sie sprechen viel von Ihren Nöten. Gibt es auch Schuld in Ihrem Leben?« Da brach es aus ihm heraus: »Ja, vor Ihnen sitzt ein Ehebrecher.« Und dann kam es heraus, daß er im Kriege seiner Frau nicht treu geblieben war. Das war die eigentliche Not, die ihn viel mehr quälte als alles andere. Zwei Stunden später fragte mich eine Schwester, die den Mann genau kannte: »Wissen Sie eigentlich, was mit ihm geschehen ist? Er ist ja völlig verändert.« Es lag eine strahlende Freude auf seinem Gesicht. »Herr Pfarrer«, so begann ein Arzt sein Gespräch, »können Sie mir wohl das Geheimnis der Dreieinigkeit erklären?« Ich antwortete: »Herr Doktor, das ist nicht leicht; auch die Bibel redet nicht sehr viel davon, aber erlauben Sie mir zunächst eine Gegenfrage: Kommen Sie wirklich deswegen zu mir, um mit mir über die Trinität zu sprechen! Das kann ich mir kaum denken. Wo liegt die eigentliche Not Ihres Lebens?« Nach kurzem Erstaunen sagte er: »Meine Ehe ist nicht in Ordnung, und außerdem bin ich ein schwer gebundener Raucher.« Wir haben über die Trinitätsfrage nicht mehr gesprochen, aber er verabschiedete sich bald darauf in dankbarer Freude. Ein Arzt muß bisweilen tief schneiden, damit er dem Patien- ten helfen kann. So darf auch ein Seelsorger nicht davor zurückschrecken. weh zu tun und die Wunden bloß zu legen; nur dann kann es wirklich zur Heilung kommen. Die Fälle, wo Menschen wegen einer direkten Frage nach ihrer Schuld »bcse« geworden wären, sind mir kaum in Erinnerung. Dagegen v/eiS ich von vielen, die es als eine Befreiung empfunden haben, wenn sie ohne viel Vorbehalte auf ihre eigentliche Not hin angeredet wurden und sie beunruhigende Seelsorge erlebten. Schön, wenn Menschen zu uns kommen, die bereits in der Nachfolge Jesu stehen und dann irgendeinen Rat von uns erwarten oder innerlich ermuntert oder getröstet werden wollen. Aber vielfach werden wir auch helfende Seelsorge üben müssen. So hat es auch Philippus dem Finanzminister aus Äthiopien gegenüber getan. Er verhalf dem vornehmen Mann zu einer bewußten Übergabe an den lebendigen Christus. Ähnlich wird es Paulus bei dem Gefängniswärter in Philippi ergangen sein. Auf die Frage: »Was muß ich tun, daß ich gerettet werde?« antwortete Paulus mit der frohen Botschaft von Jesus, und der Mann wurde ein Christ, ja, sein ganzes Haus wurde dadurch gesegnet. So erging es mir mit der Frau eines Landrates in einer süddeutschen Stadt: Wir waren am Tage vorher im kleinen Kreis zusammengewesen und hatten über die Fragen des inneren Lebens miteinander gesprochen. Da bemerkte ich, wie diese Frau helfende Seelsorge von mir erwartete. Ich habe dann am nächsten Tage angerufen und mich einfach zum Besuch angemeldet. Wohl war in dem reichen Hause zunächst eine gewisse Verlegenheit zu überwinden, dann aber kam es zu einem längeren Beichtgespräch und - zum ersten Male betete diese kluge Frau mit einem anderen zusammen. Es waren nicht viele Worte, und sie kamen recht unbeholfen heraus, doch es war der Anfang eines neuen Lebens mit Jesus. Manchesmal hat sie mir später für diesen Besuch gedankt. Eine andere Teilnehmerin dieses Kreises rief am nächsten Tage selbst an. Wir machten eine lange Autofahrt in den Wald. Dann mußte ich »Mut machen« zu beten, und bis heute ist auch hier Dankbarkeit im Herzen dieser Frau. Das erste laute Gebet schenkte ihr die Glaubensverbindung mit Jesus. Natürlich geht das nicht immer so schnell und einfach, und manchmal wird man ein Gespräch auch abbrechen müssen. Aber was tut der Arzt oder die Hebamme, wenn ein Kind geboren ist und will nicht recht atmen? Dann bekommt es einen Schlag - und atmet, dann kann es leben. So ist es auch im inneren Leben. - Es warten viel mehr Menschen auf solchen Dienst helfender Sorge, als wir denken. Manche Menschen gerade aus frommen Kreisen kommen nie zur rechten Klarheit und Freudigkeit, weil sie keine Hilfe erfahren, den ersten entscheidenden Schritt hin zu Jesus zu tun; sie bleiben vor der Tür des Glaubens stehen. Manchmal aber ist die innere Lage darum so ernst, weil besondere Gebundenheiten, vielleicht sogar dämonische und satanische Bindungen vorliegen. Da ist dann lösende Seelsorge nötig. Natürlich ist es schön, wenn Menschen von diesen dunklen Hintergründigkeiten des Lebens wissen und gerade deswegen kommen, um Hilfe zu erbitten. Sie haben sich mit Kartenlegen oder ähnlichen Dingen eingelassen, haben vielleicht sogar an spiritistischen Sitzungen teilgenommen oder sich wegen irgendwelcher Krankheiten besprechen lassen. Nun liegt es wie ein Bann auf ihnen, sie können nicht beten, sie haben keine Lust mehr an Gottes Wort, sie müssen manchmal geradezu fluchen, auch wenn sie es nicht wollen. Da kann man nur Mut machen, alles ehrlich auszusprechen und sich bewußt davon zu lösen, diesen bösen Mächten geradezu zu kündigen, sich davon freizubeten, indem sie den Namen Jesus nennen und anrufen. Es ist leider wahr, daß weithin eine völlige Unkenntnis im Blick auf diese Bindungen vorliegt. Der Teufel ist gerissen genug, dafür zu sorgen. Die Folgen, die durch das Mitmachen bei den genannten Dingen eintreten, werden nicht immer sofort sichtbar. Im Gegenteil, die Krankheiten können verschwinden, und äußerlich kann es lange Zeit von Erfolg zu Erfolg gehen, vielleicht auch im geschäftlichen Leben. Doch dann treten schwere Belastungen ein, weil die Menschen im Innersten an die Dämonen gebunden werden. Es kommt zu Spannungen im Ehe- und Familienleben, ja, auch zu schweren Erkrankungen - bis hin zum Wahnsinn. Ich sehe den Mann noch in meinem Studierzimmer vor mir sitzen. Äußerlich merkte man ihm nichts an. Aber innerlich war er unfroh und zerrissen, auch leiblich krank. Schon vor Jahren war er mit dunklen Dingen in Berührung gekommen, hatte er vieles mitgemacht und an sich tun lassen; jetzt aber waren ihm die Augen geöffnet, und er suchte Befreiung. Er hat in meiner Gegenwart den bösen Mächten abgesagt und geht heute froh seinen Weg in der Nachfolge Jesu. Da war lösende Seelsorge geschehen. Unwillkürlich wird man hier auch an Beispiele der Bibel erinnert. Alle Evangelisten erzählen, wie Jesus den Dämonen gegenüber gehandelt hat und sie austrieb. In Ephesus (Apg. 19) kam es zu einer Erweckung: Viele Menschen bekannten, daß sie diese dunklen Dinge getrieben hätten, und ungezählte Zauberbücher wurden auf öffentlichem Marktplatz verbrannt. Es ist gut, wenn wir es üben und lernen, hier gebietend und lösend einzugreifen, den Namen Jesus zu nennen und unserem Herrn ein immer größeres Vertrauen entgegenzubringen. - Je mehr wir ihm vertrauen und ihn lieben, um so mehr werden wir auch lösende Seelsorge tun dürfen. Hier werden manche Seelsorger neu lernen müssen, die Nöte zu sehen und die Hilfe zu bieten. Es ist vielfach vergessen worden, daß gerade auch Zaubereisünden wie alle anderen Sünden von Gott trennen, ja, daß sie dem Teufel in besonderer Weise Anrecht geben auf den Menschen, der sich damit einläßt. Wie zum Beispiel bei einem Diebstahl durch Hinwendung zu Jesus in einer klaren Bekehrung die Sünde wohl vergeben wird, aber erst durch eine Zurückerstattung die rechtlichen Ansprüche aufgehoben und die ganzen Dinge wieder geordnet werden, so kommt es auch bei den Zaubereisünden durch den Blick auf die vergebende Gnade Jesu zu einer Rückkehr zu Gott, aber das rechtliche Verhältnis zu Satan ist damit noch nicht berührt und muß noch geregelt werden. Vielfach wird hier nur gegen die Folgen der Zauberei gekämpft, also etwa gegen die Unreinheit, Lüge, Streitsucht und so weiter, aber es wird vergessen, auch die Wurzel bloßzulegen und im Tiefsten zu helfen. Das kann nur geschehen, wenn rechte »einwandfreie« Lösung durchgeführt wird. Etwa mit den Worten: »Ich entsage dem Teufel und all seinem finsteren Wesen und Werken und übergebe mich dir, dreieiniger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, und will dir im Glauben und Gehorsam treu sein bis an mein Ende.« Wenn dann durch den Seelsorger auf Grund von Joh. 20, 23 die Lösung zugesprochen wird, wird normalerweise Befreiung der Seele eintreten, sie bekommt Licht und kann ein neues Glaubensleben beginnen. - Ausnahmen bestätigen nur die Regel, zum Beispiel bei »Besessenen«, wo alles auch leiblich noch vielmehr ins Krankhafte hineingekommen ist und wo man am besten einen gläubigen Nervenarzt zur Beratung heranzieht. Im allgemeinen aber dürfen wir auf Grund der biblischen Botschaft und vielfacher Erfahrungen auf diesem Wege Menschen aus oft schweren Bindungen heraushelfen und sie zum Frieden führen. Und noch ein Letztes hier: In vielen Fällen wird rechte Seelsorge auch zur segnenden Seelsorge. Manche Menschen suchen uns mit der Bitte auf, sie möchten gesegnet werden. Sie haben schon ihre Erfahrungen mit dem Herrn gemacht und gelesen, daß in der Bibel viele Male vom Segnen die Rede ist. Es kommt ja im Alten und Neuen Testament viel häufiger vor, als man im allgemeinen denkt. Die Warnung des Paulus an den Timotheus: »Lege die Hände nicht zu schnell auf«, setzt ja geradezu voraus, daß das Händeauflegen sehr häufig geschah und das Normale war. Es sollte nur von dem jungen Timotheus nicht zu schnell geschehen. Auch Ananias hat dem Paulus die Hände aufgelegt, ja, beginnt sogar seinen Dienst an ihm mit Handauflegen. Ebenso hat später Paulus selbst den zwölf Männern in Ephesus die Hände aufgelegt - und sie bekamen den Heiligen Geist. Viele Menschen wissen von diesen Dingen nichts und sind erstaunt, wenn sie davon hören, ja, es geht ihnen oft eine völlig neue Welt auf. An an eine alte Schwester muß ich denken, die bei meinem Abschiedsbesuch kurz vor ihrem Tode darum bat, ich möchte ihr die Hände auflegen und möchte sie segnen. - Ich meine, wir gehen mancher inneren Segnung verlustig, wenn wir nicht auch hier einfach gehorchen und im Vertrauen handeln. Bei unseren kirchlichen Amtshandlungen haben wir noch einige Restbestände dieses Segnens vor uns. Es wird bei den Taufen und bei den Konfirmationen gesegnet, auch bei den Trauungen geschieht es, und bei jeder Ordination pflegt man die Hände aufzulegen, aber leider ist das weithin eine äußere Form geworden und geschieht nur, weil es so die »Ordnung der Kirche« ist. Es wird so hingenommen, weil es Sitte ist, vielfach ohne innere Teilnahme. Es ist die Frage, ob nicht darum auch der Kirche so viel innere Kraft fehlt, weil so wenig wirkliche Seelsorge geschieht. Ich gestehe, daß ich in sehr vielen Fällen die innere Freiheit habe und auch dem klaren Befehl meines Herrn gehorche, ein seel-sorgerliches Gespräch mit Auflegen der Hand abzuschließen. Viele haben mir dafür gedankt und es später erneut erbeten. Selbstverständlich kann alle solche Seelsorge nur betend geschehen. Dafür gibt es in der Bibel kein besonderes Beispiel, weil es selbstverständlich ist. Das wird nirgends besonders erwähnt und unterstrichen, weil Seelsorge gar nicht anders möglich ist als in betender Haltung, im Gebetsgeist und in der Fürbitte. Und wie geschieht nun diese Seelsorge im Auftrag und Namen Jesu praktisch? Drei Antworten sollen die Richtung andeuten: Durch Anhören der Beichte, durch Erteilen der Absolution, durch helfendes Gebet. Bei alledem bleibt das letzte Ziel: Hinführen zu Jesus selbst. Damit sind nicht alle, aber drei entsdieidende Punkte genannt, die kaum in der Seelsorge fehlen dürfen, wenn Menschen wirklich geholfen werden soll. Ob es nicht am besten klar wird, worum es geht, wenn aus der Praxis und für die Praxis durch Beispiele beleuchtet wird, was gemeint ist: Da kommt während einer achttägigen Evangelisation eine Frau in die Sprechstunde. Ohne daß ich viel zu sagen brauche, fängt sie gleich an und bittet mich, einfach zuzuhören. Sie habe so viel auf dem Herzen, sie müsse sich einmal alles vom Herzen reden. Viel Sünde wird genannt. Ich habe wohl länger als eine Stunde kaum ein Wort gesagt, nur immer wieder zwischendurch spüren lassen, daß ich wirklich teilgenommen hatte und mit wachem Sinn und Herzen folgte. Das war eine Beichte völlig »freiwilliger« Art aus übergroßer Not heraus. Ich komme mit einem Mann ins Gespräch. Wir machen einen langen Spaziergang zusammen. Er erzählt viel aus seinem Leben und sagt auch mancherlei Schuld, die ihn bedrückt. Ich werde den Gedanken nicht los, als wenn gewisse Dinge verschwiegen werden. Ich frage ihn danach. Er bestreitet es. Wir sitzen zuletzt auf seinem Zimmer zusammen. Ich schlage vor, eine längere Zeit still zu werden. Er ist zunächst überrascht, dann aber auch dazu bereit. Es dauert nur wenige Minuten, da zieht er aus seiner Tasche einen Brief heraus, der schon vor mehreren Tagen geschrieben wurde. »Bitte, lesen Sie ihn!« Ich las. Da wurde eine bestimmte schwere Sünde mit Namen genannt und bekannt. - Das war eine Beichte, die erst durch eine heilsame Stille in die letzte Tiefe geführt wurde. Da spricht auf einem anderen Spaziergang lange Zeit eine junge Frau mit mir. Wieder wird manches gesagt, aber auch viel verschwiegen. Wieder erinnere ich daran, sie möchte sich selbst das Leben nicht schwermachen, wenn sie jetzt Entscheidendes zurückhalte, sie würde doch innerlich nicht froh und frei werden. Wir gehen auseinander. Am anderen Morgen liegt auf meinem Platz am Kaffeetisch ein kleiner Zettel: »Ich muß Sie nachher sofort sprechen.« - Sie hatte eine unruhige Nacht. Nun erst sagte sie das entscheidende Schulderleben, das ihr seit Jahren Not machte . .. Das war eine Beichte, die abgebrochen und doch fortgesetzt wurde und erst nach Stunden schweren inneren Ringens zur Befreiung führte. Da kommt ein junges Mädchen mit einer Frage zu mir: »Ich habe keine Heilsgewißheit. Ich möchte Sie bitten, mir zu helfen. Ich habe schon Vorjahren eine Entscheidung für Jesus getroffen, aber es fehlt mir die freudige Klarheit« ... Ein längeres Gespräch folgt. Ich rede ihr freundlich zu, ja nicht auf Gefühle zu warten und zu bauen ..., endlich frage ich, ob vielleicht in den letzten Jahren auch Untreue und Sünde besonderer Art in ihr Leben getreten sei. Eine gewisse Leichtfertigkeit wird zugegeben, aber nichts mehr. Da frage ich ganz ruhig und bestimmt, ob nicht eine ganz besondere Sünde sie bedrücke. Da - bricht der Bann. Sie bekennt die Sünde. Sie betet. Sie dankt. Sie wird frei ... Das war eine Beichte, die erfragt werden mußte, damit wirklich geholfen werden konnte. Die Reihenfolge solcher Beispiele ließe sich unschwer weiterführen. Was klar werden soll, ist auch so klar. Selbstverständlich genügt auch eine Beichte allein vor dem lebendigen Gott. Es ist wahrlich kein Gesetz, daß ein Mensch vor einem Menschen alles aussprechen muß. Beichte ist keine Forderung Gottes, Beichte ist kein »gutes Werk« des Menschen. Aber Beichte, auch gerade vor Menschen kann eine große Hilfe sein und wird in den meisten Fällen immer Freudigkeit vermitteln, zumal wenn nichts bewußt verschwiegen wird, wozu man innerlich gedrängt wird. Beichte ist ein Geschenk Gottes, eine innere Wohltat, der man sich selbst nicht zu lange entziehen sollte. Darum sagt das Neue Testament: »Bekenne einer dem anderen seine Sünden« (Jak. 5, 16). Darum kamen schon zu Johannes dem Täufer die Menschen und bekannten ihre Sünden (Mark. 1, 5). Es liegt hier ein tiefes inneres Verlangen der Seele vor: Der innere Mensch ist durch Sünde und Schuld gleichsam verletzt worden, es hat sich viel Schuld aufgehäuft. Die Seele ist bedrückt und kann unter diesem Druck nicht leben. Da nun Seele und Leib Zusammenhängen, wirkt sich viel innere Not häufig genug auch auf das leibliche Leben aus. Viele Erkrankungen, vor allem nervlicher Art, sind die Folgen irgendeiner Versündigung. Wenn nun dieser Zusammenhang erkannt und durch eine Beichte zerrissen und dann durch eine Absolution im Namen Jesu Vergebung der Sünde erfahren wird, ist es schon häufig auch zu körperlicher Heilung gekommen. Eine Voraussetzung aller Beichte wird mit recht immer zuerst und vor allen Dingen genannt: das Beichtgeheimnis. Selbstverständlich muß es gewahrt werden. Wo es nicht geschieht, wird viel Vertrauen verscherzt, ja mißbraucht und großer Schaden angerichtet. - Darüber aber darf eine andere Voraussetzung nicht vergessen werden: das Vertrauen, das der Seelsorger »erringen«, das er besitzen muß, damit Menschen zu ihm kommen und zur Beichte Mut bekommen. Solches Vertrauen kann nicht erzwungen werden, es ist und bleibt ein Geschenk. Es hängt allerdings mit zwei wichtigen Dingen zusammen, was bei aller Seelsorge nicht übersehen werden darf: Einmal muß in Verkündigung und in Gesprächen immer wieder auf die Bedeutung und Hilfe rechter Beichte hingewiesen werden, damit Menschen davon hören und es dann wagen, zur Beichte zu gehen. Zum andern muß der Seelsorger das Beichten selbst kennen und üben. Ja, es liegt ein überraschender Zusammenhang vor: Sobald zum Beispiel ein Pfarrer (oder jemand anderes) selbst die Beichte sucht, werden Menschen, oft ohne das zu wissen, geradezu zu ihm hingetrieben, als ob ihn sofort eine Art »seelsorgerliche Luft« umgibt und die ganze Atmosphäre seelsorgerlich reif wird. Es hat schon mehr als einer aus der praktischen Erfahrung berichtet: Er hätte zum Beispiel auf einer Freizeit zum erstenmal in seinem Leben gebeichtet, er kommt nach Hause, da wartet schon ein anderer aus der Gemeinde auf ihn und bittet, ihm beichten zu dürfen. - Vielleicht ist viel Beichtnot darum noch nicht behoben, weil viele »Seelsorger«, die es sein sollten und könnten, selbst die Beichte nicht ernst genug nehmen und treu genug suchen. Um seiner selbst und anderer willen müßte jeder das Geschenk der Beichte erbitten. Hier noch einige Beispiele aus all diesem Dienst der Seelsorge: Ja, das war er wirklich: von Gott los. So hat er es jetzt selbst gesagt. - Jetzt steht er staunend und fragend davor, wie er so lange Jahre völlig ohne Gott leben konnte! Er begreift es nicht mehr. Viel Schweres hat er durchgemacht, im Krieg beide Beine verloren, im Luftkampf über den feindlichen Linien abgeschossen, dann aber doch noch lebend gelandet, jetzt geht er mit Schienen an beiden Beinen. Aber vor allem war viel Sünde geschehen. Da trifft er auf eine sonderbare Weise mit einer gläubigen Schwester zusammen und bekommt einen tiefen Eindruck von der schlichten Jesusfröhlichkeit dieses Menschen. Es wurden nicht viel Worte gewechselt, aber sie waren ins Herz gefallen. Sie sollten ihn nicht wieder loslassen. In der Kirche war er seit Jahren nicht mehr gewesen, außer bei einer Trauung. Christen hatten ihn enttäuscht, sofern er überhaupt lebendige Christen getroffen hatte. Jetzt war eine Sehnsucht erwacht: Gibt es also doch echte Glaubensgemeinschaft mit diesem Jesus von Nazareth?! Die Schwester brachte ihn zu mir. »Ich kann jetzt mit Ihnen nicht sprechen, ich muß erst noch einige Zigaretten rauchen, ich gehe lieber hinunter in den Garten, um Ihnen die Luft nicht zu verpesten.« Aber er kam schneller wieder herauf, als ich und er selbst gedacht hatten. Und dann gab es ein »Nachtgespräch«, wie es wohl Jesus mit Nikodemus gehabt hat. Es ging um all die Fragen der Neugeburt, des Neuanfangs mit diesem Jesus des Neuen Testamentes, um die Fragen der Schuld und der Beichte, um Vergebung und innere Befreiung ... Er hat erzählt, bekannt, gefragt, zugehört, gestaunt, weitergefragt, weitergebeichtet . .. In der Nacht gab es zunächst nicht viel Schlaf, zumal die Beine schmerzten wie selten zuvor, aber das Herz war bewegt, die Fragen wollten nicht zur Ruhe kommen. Dann kam doch ein erquickender Schlaf - und am nächsten Morgen ging es weiter. Unvergeßlich ist mir ein Beichtgespräch in einer schönen Sakristei einer norddeutschen Kirche. Ein Vortrag über Seelsorge ging voran. Ein älterer Amtsbruder hatte ihn mit angehört. Nun kam er und bat mich, mir einige besonders wertvolle Altarstickereien zeigen zu dürfen. Fast wollte ich im ersten Augenblick etwas ärgerlich werden, weil ich meinte, dazu keine Zeit zu haben. Aber ich ging doch mit. Als wir in der Sakristei waren, sagte der andere plötzlich: »Die Stickereien will ich Ihnen nachher zeigen, ich möchte zunächst einmal mein ganzes Leben ins Licht Gottes stellen, bitte hören Sie mir zu . ..« Er beichtete . . . Dabei erlebte ich etwas, was ich so bisher kaum noch erlebt hatte: Es wurde auch mein Leben beleuchtet. Ich wurde vor allem an zwei Dinge erinnert, die auch ich getan, aber noch nicht geordnet hatte. Als der andere geendet hatte, wollte ich ihm von Jesus sagen. Er wehrte ab. Dann kniete er nieder und erbat unter Handauflegung die Absolution. Mit Bewegung habe ich ihm diesen segnenden Dienst getan. - Dann aber erbat auch ich von ihm denselben Dienst im Blick auf die zwei Dinge, die mir klargeworden waren. Nun wollte er im ersten Augenblick abwehren, verstand aber dann sofort, worum es ging, und hörte auch meiner Beichte zu. Dann kniete ich nieder und er segnete mich. Mit gemeinsamem Gebet fand diese besondere Stunde in der Sakristei ihren Abschluß. Hier wird deutlich, um welch heilig ernste Dinge es sich handelt. Aber so ist es im Neuen Testament befohlen und verheißen: Matth. 16, 19 und Joh. 20, 23. So darf es geschehen und sollte es viel mehr getan werden. Ich habe viele Male die sogenannten Beichtfragen unserer Kirchen so im persönlichen Gespräch gebraucht: »Sind dir diese Sünden von Herzen vor Gott leid? Ist es dein ernster Wille, der Sünde den Kampf anzusagen und mit Gottes Hilfe der Heiligung nachzujagen?« Ein dreifaches Ja leitet dann zur Absolution über: »Ich spreche dich hiermit im Namen Jesu aller deiner Schuld und Sünde ledig, du darfst und sollst dein Gewissen darin zufriedenstellen und bestimmt wissen, meine Sünden sind mir vergeben, so gewiß Jesus auch für deine Sünden gestorben ist.« - Vielfach wird es sich bei solcher Absolution ergeben, daß sie kniend erbeten und oft auch unter Handauflegung empfangen wird und allermeist wird dann solche Stunde in einem Dankgebet ausklingen. Seelsorge in dieser Weise hat wunderbare Verheißung und gibt großen inneren Frieden. Oft liegt aber die Not der Seelsorge auf einer ganz anderen Linie: es handelt sich darum, Menschen überhaupt erst ganz in die heilige und gesegnete Bindung mit Christus hineinzuführen. Wir müssen nämlich darüber völlige Klarheit haben, daß bei sehr vielen, wohl bei den meisten Menschen die letzte Übergabe an Christus fehlt. Sie sind vielleicht kirchlich interessiert, sie sind vielleicht schon vielfach innerlich angerührt worden und haben schon mancherlei Segnungen erfahren, aber sie haben doch keinen klaren Schritt zu Jesus getan, wagen es darum auch nicht, davon zu sprechen. Im Bilde gesprochen, sie stehen vor der Tür. Leider sind die allermeisten Menschen überhaupt noch nicht einmal in der Nähe der Türe, wollen auch von dieser »Tür« nichts wissen, ahnen kaum etwas von der Möglichkeit einer Lebensverbindung mit Gott durch Christus. Aber ebenso traurig ist das andere, daß viele Menschen, die tatsächlich davon gehört haben und immer neu davon hören, nicht durch die Tür hindurchgehen, sondern entweder ehrfurchtsvoll oder furchtsam unsicher vor der Tür stehen bleiben. - Auch da ist Hilfe seelsorgerlicher Art dringend nötig. Wieder kann am besten ein Beispiel veranschaulichen, woran hier gedacht wird: Jahr um Jahr hatten die beiden Eheleute am kirchlichen Leben ziemlich regelmäßig teilgenommen. Sie hatten wirklich schon manches gute Wort von der Kanzel gehört und im Hause gelesen. Es fehlte ihnen aber an Klarheit und letzter Freudigkeit. - Nach einem Evangelisationsabend, wo über »lebendiges Christentum« gesprochen worden war, kam es in einem Nachbarhaus zu einem Austausch über all die Fragen, die jetzt in der Gemeinde aufgebrochen waren. Die beiden Menschen baten mich, daß ich sie am nächsten Abend doch in ihrem eigenen Haus besuchen möchte. Das war ergreifend mitzuerleben: kaum, daß ich gekommen war, begannen sie sofort das Gespräch. Zunächst bekannte der Mann eine bestimmte Schuld, dann die Frau - sie wollten auch voreinander keine Geheimnisse haben. Dann sagte ich ihnen ganz persönlich von Jesus als dem Herrn der Sünder, er würde aber auch die Übergabe im Glauben erwarten. Dann knieten wir beide nieder und beteten. Sie übergaben in schlichter und klarer Weise ihr Leben Christus und - wurden ihres Glaubens an Jesus froh. Oft liegen schwere Hindernisse im Wege, Sünde und Schuld, Bindungen und Verirrungen . . . Dann müssen diese Hindernisse beseitigt werden. Oft aber geht es gar nicht darum, sondern fehlt nur ein ganz schlichtes Beten, das nicht gewagt wird, oft löst ein erstes lautes Gebet, das gesprochen wird, eine große Freude aus. Schön, wenn nach einer längeren klärenden Aussprache dies Gebet von dem Beichtenden selbst gesprochen wird. Je und dann ist es aber auch nötig, sogar dabei noch zu helfen . . . Ein Beispiel auch dafür: Ein Bauer (damals Ortsbauernführer eines Dorfes) wollte gern letzte Klarheit haben. Er war Abend für Abend im Gottesdienst und hörte aufmerksam zu. Er bat mich um einen Besuch. Ein langes Gespräch entspann sich. Zuletzt war es mir völlig klar, der Mann stand unmittelbar »vor der Geburt«. Es war nur noch ein Schritt nötig. Das sagte ich ihm auch, und er gab es sofort zu. »Aber beten kann ich nicht«, sagte er beinahe bange. »Das brauchen Sie auch nicht, Gott hört auch Ihr Seufzen, aber es wäre gut und für Sie eine letzte Hilfe, wenn Sie es so schlicht wie möglich doch tun würden. Lassen Sie uns niederknieen und beten.« Er tat es mit mir zusammen. Ich betete. »Nun beten Sie auch!« »Ich kann nicht.« »Dann sprechen Sie mir einfach nach: Herr Jesus, ich komme jetzt zu dir und will dir mein Leben in deine Hand geben . . .« Er sprach es nach und - dann -brach es aus ihm heraus . . . Ein langes, dankbares Gebet ... Es war eine helle Freude es mitanzuhören. - Er steht bis heute als Vorbild in seiner Gemeinde. Wir haben manchesmal miteinander auch später noch beten können. Was würde geschehen, wenn so oder ähnlich die seelsorger-liche Betreuung in den Gemeinden und Gemeinschaften vollzogen würde? Es gibt im Grunde kein Schema, es gibt kein Gesetz. Jeder Fall ist wieder verschieden, weil auch jeder Mensch ver- schieden ist und sich in jedem Menschen immer ein neuer Gedanke Gottes offenbart. Und doch: Wir dürfen und sollen einander helfen und auch im seelsorgerlichen Dienst einer dem anderen die Winke geben, wie er weiterkommen kann. Darum noch einige Beispiele: »Dieser Tag ist wichtiger als hundert und mehr Kollegs« Das ist der Ausspruch eines Theologiestudenten kurz vor seinem Examen. Wer auch nur etwas davon weiß, wie stark manchmal Studenten von ihrer Wissenschaft und ihren Kenntnissen überzeugt sind, wird sich nur mehr über diesen Satz wundern und mitfreuen, wenn er den Zusammenhang erfährt und mit durchdenkt: Die junge Braut des Studenten war zum lebendigen Glauben an Jesus gekommen. Noch vor kurzem hatte sie gemeint, sie wäre doch getauft und konfirmiert, eine klare und bewußte Entscheidung wäre doch für sie als »christliches Mädchen« nicht nötig. Da waren ihr durch eine Bibelstunde die Augen geöffnet worden für die Sünden in ihrem Leben und für die Freude, die es durch Jesus geben kann. Da hatte sie betend ihr Leben ihm übergeben. »Wie aber sage ich das jetzt meinem Verlobten?« - Das kann man brieflich kaum recht klarmachen, außerdem war auch so viel anderes zu besprechen und zu fragen, daß sie sich kurz entschloß, ihn telefonisch zu bitten, sie zu besuchen, damit er mit ihr sprechen könnte; sie hatte nur einen Wunsch, daß sie doch zusammen den Weg mit Jesus gehen möchten. Und tatsächlich: er kam. Ob er geahnt hat, was der Sonntag für ihn bedeuten sollte? Es war nur zu begreiflich, daß er zunächst mehr als zurückhaltend war, als wir uns morgens vor dem Gottesdienst nur kurz sprechen konnten. Dann erlebte er eine dreifache Verkündigung an dem Tage mit: einen erwecklichen Gottesdienst in der Dorfkirche, eine lehrmäßige Seelsorgestunde vor einer großen Zahl von Schwestern und eine Gemeinschaftsstunde in einem Bauernhause. Das begab sich alles so, obwohl es schon vor Tagen so geordnet worden war. Ich habe nichts Besonderes gesagt, ihm war es aber völlig neu in der Form und auch im Inhalt. Zwischendurch hatten wir eine frohe und herzliche Gemeinschaft und haben über vieles gesprochen, was das äußere und innere Leben angeht, vom politischen Geschehen an bis hin zu den persönlichen Fragen unseres inneren Lebens. Ich habe mit keinem Wort zu einer Aussprache gedrängt, aber er bat darum und - es wurde eine Lebensbeichte. Da kam alles heraus, was an Not und Schuld sich angesammelt hatte und trotz vieler Kopferkenntnisse noch nicht »behoben«, ja kaum erkannt worden war. Dann haben wir zusammen Jesus angerufen, der allein helfen kann. Kollegs können wahrlich viel bedeuten, es gibt wirklich auch echte Theologie, wo »stellvertretendes Denken« geübt wird, aber was bedeutet es doch, wenn dieser junge Theologe beim Abschied sagen konnte: »Dieser Tag ist wichtiger als hundert und mehr Kollegs.« Jahre später traf er mich und bezeugte, daß dieses Erleben bis heute nachwirkt. Durch eine kleine Lücke blockiert Im ersten Augenblick meinte ich tatsächlich, daß der junge Student wirklich von ernsten Gedankenzweifeln gequält sei. Er sprach von all den theologischen Fragen, die heute viele junge Menschen umtreiben: Er wußte um die sogenannte Bultmann-sche Theologie, er hatte von anderen gehört, daß es in der Bibel mancherlei verschiedene Deutungen gäbe, und meinte nun, mit der Bibel nichts mehr anfangen zu können. Ich versuchte, ihm diese Zweifelsfragen ein bißchen zu klären. Im Hören und Reden aber wurde ich daran erinnert, daß vielfach die Zweifel ihren eigentlichen Grund gar nicht im Wissen haben, sondern im Gewissen. Darum fragte ich ihn, ob es nicht Dinge in seinem Leben gäbe, an die er nicht gern zurückdenke. - Daraufhin gab er sofort zu: »Ja, ich habe gelogen, ich habe in einem Geschäft etwas mitgenommen, was mir nicht gehört. Es ist wohl nur eine kleine Sache, aber ich muß oft daran denken.« Im weiteren Gespräch wurde es deutlich, daß er wohl auch dankbar war, auf manche gedankliche Fragen eine erste neue Antwort zu bekommen, aber daß er vor allem froh war, diese Lüge einmal einem Seelsorger zu sagen und mit ihm darüber zu beten. Hier war es nur »ein kleiner Stein«, der gedrückt hatte. Als dieser Stein »aus dem Schuh herausgenommen war«, konnte der junge Mensch froh seinen Weg weitergehen. Zwei junge Leute werden von Jesus gesucht und gefunden Zwei junge Leute - er war Student - melden sich zur Aussprache in meinem Hotel an und erscheinen dann auch am nächsten Tag fast auf die Minute. Ich fragte: »Warum kommen Sie?« Antwort: »Wir haben nur eine Bitte: Helfen Sie uns beiden, daß wir zu Jesus kommen.« Sie haben es beide nicht leicht gehabt: In ihrer Jugend haben sie viele Enttäuschungen erlebt, zumal die junge Frau mit ihrer Mutter: Die Mutter hat sie völlig von sich gewiesen und zurückgestoßen. Sie lebte und lebt nur ihren Interessen. Auch ihr Mann hat sich von ihr scheiden lassen. - Und die Schwiegertochter sagte: »Hier hat fast nur allein die Mutter Schuld.« Die Tochter hat es noch einmal versucht, die Mutter aufzusuchen, um doch mit der Frau, die sie geboren hat, Verbindung zu haben und zu behalten. Die Mutter hat sie fast die Treppe hinuntergestoßen und ihr verboten wiederzukommen. Auch sonst gab es schwere seelische Nöte: Männer stellten der jungen Frau nach, Mädchen traten in das Leben des jungen Mannes . . . Dabei hatten sie von inneren Dingen nichts oder fast nichts gehört, wenigstens nichts erfaßt und verstanden. Wohl wurden sie konfirmiert, aber das glitt an ihnen herunter wie Wasser am Stein. Wohl wurden sie auch getraut, weil vor allem der Vater das so wollte. Es war ja doch »Sitte«, aber es hatte keine Bedeutung für sie. Da bekommen sie das von mir neu übertragene Neue Testament in die Hand. Sie haben mir später geschrieben, wie völlig überrascht sie waren, als sie anfingen, darin zu blättern und zu lesen. Durch all die äußeren und inneren Nöte waren beide fragend und suchend geworden, sie hatten aber bisher keine Antwort gefunden. Sie lasen dann im Neuen Testament weiter und kamen aus dem Staunen kaum heraus über das, was da alles drin stand. Nun wurden die Unruhe und innere Sehnsucht nach wahrem Leben noch größer. Aber wie sollte ihnen geholfen werden? Wie sollten sie zur Klarheit kommen? Da fügte es sich so, daß ich gerade in den Wochen der inneren Gärung in ihre Stadt kam und sie von meinen Vorträgen lasen. Gleich am ersten Gottesdienst waren sie dabei, und gleich das erste Wort schlug bei beiden ein: Nirgends wäre Verlaß, nur Jesus wäre das Wort, auf das man ein Leben aufbauen könnte. Menschen würden immer versagen, Gruppen und Parteien würden enttäuschen, Gefühle könnten täuschen, nur einer, dieser Jesus, könne alle Schuld vergeben und neues Leben schenken . . . Schon am nächsten Tag kam es zu der entscheidenden Aussprache. Es bedurfte keiner weiteren Hilfe, es war alles reif. Vielfach ist es ja nötig, Menschen erst unruhig zu machen; hier hatte der Geist Gottes längst eine heilsame Unruhe gewirkt. Vielfach muß man als »Geburtshelfer« noch »eingreifen«. Hier hatte der Herr selbst schon zur Wiedergeburt alles vorbereitet. Beide Eheleute erzählten von ihrer Not, ihren Fragen, ihren Enttäuschungen, aber vor allem von ihrer Sehnsucht, wirklich ein neues Leben beginnen zu dürfen. Und beide Eheleute haben dann Jesus um Vergebung angerufen und gehen seitdem einen klaren Weg mit diesem Herrn. Es hat an Krisen und Demütigungen nicht gefehlt, und es darf ja auch nicht daran fehlen, aber es geht gut weiter. Andere haben es gespürt, andere haben nun Segen davon. Wie im Anfang gesagt: Das Ziel der Seelsorge kann nur sein, daß Menschen in die Abhängigkeit von Jesus kommen. Dann ist der beste Dienst in der Seelsorge geschehen, wenn menschliche Seelsorge entbehrlich wird und Menschen ganz in die Führung Jesu hineingestellt werden und von diesem ihren Herrn abhängig bleiben. Über den Dienst der Verkündigung Ob nicht doch in einem Lebensbericht eines Evangelisten auch ein Wort darüber stehen muß, wie er diesen Dienst sieht und zu tun versucht hat und was er dabei erlebte? Zehn Jahre lang habe ich das Wort Gottes auf der Kanzel und in den Schulen und Häusern meiner alten Gemeinde Hollen verkündigt. Schon in jener Zeit wurde ich auch in andere Gemeinden gerufen und tue nun diesen Evangelisationsdienst seit 1934 in Deutschland und manchmal auch im Ausland, auf Kanzeln und Kathedern, in Schulen und Zelten, in Kirchen und Freikirchen, in kleinen Gemeinschaften oder auch auf größeren Konferenzen. Drei Ziele stehen mir bei all meinem Dienst vor Augen: 1. Die Bekehrung derer, die von Christus nichts oder kaum etwas wissen. 2. Die Tieferführung derer, die schon eine Begegnung mit dem Herrn gehabt haben, sei es durch weitere Einführung in die Wahrheiten der Schrift oder auch dadurch, daß sie Heiligung erfahren und in der Heiligung weiterkommen, aber auch 3. Die »Entfrommung« der Frommen. Was ist zumal mit letzterem gemeint? Das kann man kaum recht mit Worten ausdrücken. Ich frage nur: Gibt es nicht in vielen kirchlichen und gerade auch Gemeinschaftskreisen eine gewisse Frömmigkeitsform bis hin zu den Gesichtem und der ganzen Haltung, die man irgendwie als »fromm« empfindet? Es sei wahrlich nichts dagegen gesagt, daß wir als Christen ernste Leute sind und sein müssen, es geht um zu große Dinge, wie Sünde und Buße und Bekehrung, Heiligung und Zubereitung. Da kann man nicht scherzen und in den Tag hineintändeln. Aber ist es nicht über diesem Ernst fast vergessen worden, daß es sich im Evangelium um eine »frohe« Botschaft handelt, daß wir zur »Freude der Kinder Gottes« berufen sind, daß wir Lichter sein sollen in der dunklen Welt? Vielfach sind wir da so verkrampft und versteift geworden, daß schon ein herzhaftes Lachen und ein kindliches Sich-freuen als unrecht empfunden werden. »Wie können Sie noch Freude haben an einer Blume?« fragte mich vor Jahren einmal eine liebe Frau, die alles so schwer nahm im Leben und darum in all ihrer Treue so bedrückend wirkte. »Ich wundere mich, daß Sie noch eine Rose auf Ihrem Schreibtisch stehen haben, die Zeiten sind doch so ernst«, so sagte mir eine andere Frau, die es auch herzlich gut meinte und dabei doch so falsch fromm war. Es gibt auch in vielen Kreisen ernster Christen eine Art von Zugeknöpftheit, wo es immer nach derselben »Melodie« gehen muß, man kann es sich kaum noch anders vorstellen und merkt gar nicht, daß man weithin festgefahren ist und die Form des Zusammenseins fast »heiliger« geworden ist als der Inhalt. Da meine ich nun, daß wir uns »entfrommen« müssen. Es gilt in keiner Weise weniger ernst zu sein, aber doch freier, frischer und fröhlicher zu werden. Einmal tut das dem »Frommen« selbst viel mehr gut, als er zunächst denkt, er fühlt sich in seiner »frommen Uniform« im Grunde gar nicht so wohl, wie er meint; zum anderen tut es den vielen anderen wohl, die mit ihm Zusammenkommen, und das Christentum bekommt größere Anziehungs- und Werbekraft. Alle falsche Frömmigkeit stößt im Grunde »vor den Kopf« und hält viele vom Christentum ab. Echtes, freies und fröhliches Christentum hat etwas Lockendes und Gewinnendes. Und das will doch der Herr. Wie das im einzelnen gelingt, ganze Kreise oder einzelne Menschen zu »entfrommen«, ist schwer zu sagen. Es ist im Grunde auch ein Geschenk und ein Wirken des Heiligen Geistes. Aber es kann schon etwas bedeuten, mal eine Stunde nicht mit Gesang oder Gebet zu beginnen, mal eine Geschichte zu erzählen, über die man herzhaft lachen darf, es ist schon wesentlich, alles etwas freier und lockerer zu gestalten (auch die ganze Form etwa einer Bibel- oder Abendstunde nicht immer nach derselben Weise zu halten). Vielleicht werden sich manche »Frommen« zunächst entsetzen - wie sich ja auch die Frommen zur Zeit Jesu entsetzt haben, als er mit den Zöllnern verkehrte; sie haben ihn sogar Weinsäufer genannt. Auf jeden Fall wird eine lockerere Art der Verkündigung und Stundengestaltung dazu beitragen, daß wir selbst freier und dann auch anderen mehr zum Segen werden. Wenn das dadurch geschenkt wird, ist viel geschehen. Es ist diese »Entfrommung« nicht die Hauptsache, aber sie hat schon ihre Bedeutung. Und wir sollten sie als ein Ziel fest im Auge haben. Wir haben selbst nur Gewinn davon. Über den Inhalt dieser Verkündigung bedarf es kaum eines Wortes: Er heißt einfach und schlicht: Jesus, der gekreuzigte, auferstandene und wiederkommende Herr! Darf an dieser Stelle ein kurzer Abschnitt aus meiner »Laiendogmatik« seinen Platz finden: »Vieles in der Bibel ist von Geheimnissen umschlossen. Manches ist so gewaltig, daß wir es nicht begreifen können. Entscheidend aber ist auch nicht eine Erkenntnis über all diese Fragen mit dem Kopf, sondern das Leben mit dem lebendigen Christus hier auf Erden mit Kopf, Herz, Seele und Leib, daß wir von ihm das Leben im tiefsten Sinn des Wortes empfangen und unter ihm unser Leben meistern ... (»Was glauben die Christen eigentlich?« S. 88.) So sagte mir vor Jahren ein Psychotherapeut: »Sie sind zu beneiden. Ich habe Sie nun mehrere Abende lang gehört und Ihren Dienst beobachtet. Sie fangen da an, wo ich eigentlich aufhören muß. Ich versuche auf mancherlei Weise, durch Traumanalysen und ähnliches, die Not der Menschen, die zu mir kommen, zu erkennen und ihnen dann zu raten, aber im entscheidenden Augenblick weiß ich in sehr vielen Fällen nicht weiter. Da fängt Ihr Dienst an. Sie sagen die Botschaft von Jesus Christus und können seelsorgerlich weiterhelfen.« Ich konnte ihm nur recht geben und raten, selbst Christ zu werden, dann würde er diesen Dienst auch tun können. Mir ist durch dieses Gespräch wieder deutlich geworden, welch einen schönen Dienst wir Evangelisten oder allgemein gesagt: wir Christen tun dürfen: Den Jesus des Neuen Testamentes den Menschen vor die Augen malen (Gal. 3, 1) und sie ermuntern, diesen Herrn als ihren Herrn in ihr Leben hineinzunehmen. Dabei kann ich dann immer neu in den ganzen Reichtum der Bibel hineingreifen: Er ist unausschöpfbar groß und unauslotbar tief. Vor allem darf ich dann mit der Hilfe des Heiligen Geistes selbst rechnen. Er steht zu seinem Wort und bekennt sich zu dem Dienst seiner Boten. Es heißt einmal bei Justin: »Wo der Name Jesus genannt wird, weichen die Dämonen.« Was dieser alte Kirchenvater gesagt hat, ist wahr bis auf den heutigen Tag. Auch gegenüber den Mächten der Finsternis und des Aberglaubens ist dieser eine Name da, er befreit und macht froh. Man kann diesen Satz auch erweitern: Wo der Name Jesus recht verkündigt wird, da sind die großen Fragen der Menschheit, die der Schuld und des Todes, gelöst und beantwortet. Darum ist auch das Ziel einer Verkündigung im Grunde ganz einfach; Paulus hat es einmal so gesagt: »Ich bin allen alles geworden, damit ich ihrer etliche gewinne« (1. Kor. 9,19). Natürlich werden wir auch zu manchem Geschehen des politischen und wirtschaftlichen Lebens Stellung nehmen und auch auf die Frage nach Ehe, Familie und Erziehung eingehen müssen, und doch bleibt die Hauptsache: Menschen von Jesus zu sagen und mit Jesus in Verbindung zu bringen. Dabei müssen wir die ganze Lage, in der wir stehen, wohl mit den Augen der Liebe und der Hoffnung und doch völlig illusionslos sehen; sonst können wir den Dienst der Verkündigung nie recht tun. Je mehr die Entkirchlichung, ja, Entchristlichung unseres Volkes fortschreitet, um so mehr muß alle Verkündigung missionarisch und seelsorgerlich ausgerichtet werden, nur dann hat sie Verheißung. Ich kann darum nur zustimmen, wenn führende Männer der Kirche und Theologie die Gesamtlage je länger, um so mehr nüchtern kennzeichnen. So schrieb schon 1949 von Thadden, der Präsident des Kirchentages, in einem Rundbrief des »Bundes für lebendige Kirche«: »Es ist ein Irrtum der Kirche, wenn sie meint, man könne mit der objektiven Richtigkeit einer bekenntnistreuen Verkündigung das offenkundige Faktum aus der Welt schaffen, daß die Predigt der Kirche in den breiten Schichten der gebildeten Welt wie in Kreisen der Arbeiterschaft nicht mehr verstanden wird. Die Hartnäckigkeit der Kirche ist schier unausrottbar, mit der sie an dem Begriff einer seit langem nicht mehr bestehenden Volkskirche festhält, um auf diesem Ruhekissen ungestört im alten Trott zu beharren. Ähnlich schrieb Thielicke im Deutschen Pfarrerblatt 1949: »Es ist eine ganz neue Welt um die Kirche herum entstanden, die Welt des Arbeiters. Deren Umkreis ist aber keineswegs auf den sogenannten vierten Stand beschränkt, sondern ihr unerhörter, materieller und ideologischer Sog hat seit vielen Jahrzehnten auch die anderen sozialen Schichten in ihre Einflußzone gezwungen. Man sieht das Problem viel zu verengt, wenn man in theologischen Kreisen nur davon spricht, daß die Sprache Kanaans unverständlich geworden ist; dasselbe gilt auch für die Sprache Griechenlands.« Und Wilhelm Busch schreibt im August 1950: »Die letzten Jahrzehnte haben dem Menschen einen völlig neuen Lebensrhythmus gegeben. Alle christlichen Formen aber stammen aus der Zeit vorher: Die Dauer unserer Gottesdienste, die Lieder, die Tracht der Pfarrer, die Form der Sprache. Wenn ein Mensch, der in diesem modernen Lebensrhythmus arbeitet, mit Menschen der Kirche zusammenkommt, findet er sich in der Lage eines Mannes, der von der fahrenden Straßenbahn auf das Pflaster der Großstadt springt. Das kann nicht gut gehen. Bei solcher Überlegung kann man tatsächlich schlaflose Nächte bekommen.« Bischof Lilje meint sogar, daß es ein Zeichen göttlichen Gerichtes ist, wenn in der gegenwärtigen Stunde der Gemeinde Jesu das rechte Wort nicht gegeben ist. Er erinnert dabei an einen Satz des Hiob (Hiob 12, 20): »Er entzieht dem Bewährten die Sprache.« Vor einigen Jahren haben die führenden Bischöfe der Kirche ganz offen erklärt: »Wir sind kein christliches Volk mehr.« Im wahren Sinne des Wortes hat es nie ein christliches Volk gegeben. Aber es ist ein gutes Zeichen der Zeit, daß man diese Erkenntnis nun auch von seiten der Kirche offen ausspricht. Mir wurde dieser Tatbestand, den wir sehen müssen, um wirklich helfen zu können, vor kurzem durch ein Ärzteehepaar bestätigt. Sie kamen durch ein langes seelsorgerliches Gespräch zum lebendigen Glauben und gingen dann am nächsten Sonntag zur Kirche. Sie kamen traurig und enttäuscht zurück, weil sie überhaupt nichts verstanden hatten von dem, was da in der Kirche geschah oder geschehen sollte. Auch die Predigt war viel zu hoch und zu schwer; sie sind zuletzt fast aus der Kirche hinausgelaufen und fragten mich nun, wohin sie am nächsten Sonntag gehen sollten. Daraus folgt, daß wir noch ganz anders als bisher eine missionierende Kirche werden müssen. Es gilt nicht nur, davon zu reden, daß wir im Übergang von der konstitutionellen Kirche zur missionierenden Kirche leben, sondern es gilt auch, damit Ernst zu machen. Es ist mir daher immer mehr zu einem inneren Auftrag geworden, überall missionarisch zu sprechen und jede Gelegenheit, die sich ergibt, zu nützen, Menschen zu Jesus zu rufen, Ich meine sogar, wir sollten das Wort »Predigt« möglichst vermeiden, zumal es im Grundtext des Neuen Testamentes nicht vorkommt und einen fatalen Nebenklang hat, der hindert und stört. Paulus schreibt im Römerbrief: Der Glauben kommt aus dem Hören auf das Wort »des Christus« (Röm. 10, 10). Es heißt im Neuen Testament immer »verkündigen« oder einfach »erzählen«. Auch Emil Brunner hat in seiner Schrift »das Mißverständnis der Kirch«< auf diesen Tatbestand aufmerksam gemacht. Die ersten Boten Jesu haben gar nicht »gepredigt«, sondern erzählt und bezeugt. Schon in der Gemeindearbeit habe ich mich je länger, um so mehr als Missionar gefühlt. Für die wirklich Glaubenden gilt es, auch lehrmäßig und vertiefend zu sprechen, etwa in den Bibelstunden oder kleineren Gemeindeveranstaltungen; sonst aber müssen wir »evangelisieren«. Wir haben, was schon Luther in der »Deutschen Messe« richtig empfunden und herausgestellt hat, zu praktizieren und im öffentlichen Gottesdienst die Menschen zum Glauben zu rufen (Luther schreibt: »Wie die Türken zum Glauben zu reizen«) und dann »die mit Emst Christ sein wollen«, in kleineren Kreisen zu sammeln und dort innerlich weiterzuführen. Hier kommt sogar die Frage auf uns zu, wieweit wir an den kirchlichen Ordnungen zum Beispiel der Perikopen (Evangelien und Episteln) festhalten sollen. Die Evangelien wurden für alle Menschen geschrieben, die Episteln des Neuen Testamentes aber richten sich nur an die Gläubigen in den verschiedenen Gemeinden. Da wir sie aber kaum oder nur wenig haben, sind eigentlich Epistelpredigten gar nicht möglich. Diese Gedanken haben mich im Laufe der Jahrzehnte geradezu umgetrieben und die Art meiner Verkündigung völlig neugestaltet. Dabei ist mir auch eine Beobachtung aus dem Neuen Testament bedeutsam geworden, daß die Evangelien im Grunde eine Sammlung von beispielhaften Geschichten sind: Eine Geschichte nach der anderen wird aneinandergereiht, und nur hier und da werden einzelne Kapitel lehrmäßig eingefügt, zum Beispiel sind bei Matthäus nur die Kapitel 5-7, 10 und 13 lehrmäßiger Art; alle anderen berichten von dem, was die Jünger mit Jesus und vielen Menschen, die zu ihm kamen oder hingebracht wurden, erlebt haben. Darum gilt es, bildlich und anschaulich mit vielen Beispielen aus dem Leben heraus die Botschaft lebendig zu machen. Wohl wird das in einer einzelnen Gemeinde nicht so leicht möglich sein, und doch muß jeder Verkünder darum ringen, bildhaft zu reden. »Predigten« ohne Beispiele aus dem Leben wirken blaß, dagegen mit anschaulichen Bildern aus dem täglichen Leben bleiben sie haften. Es wird bei alledem auf vier P ankommen: Persönlich, ich könnte auch sagen: zeugnismäßig. Ich meine, daß man den bekannten Satz: »Alles, was nicht per du geht, geht perdu« (deutsch: verloren), ergänzen muß durch den anderen Satz: »Alles, was nicht per ich geht, trifft das Ich nicht!« Jesus hat nicht gesagt: »Ihr sollt Referenten des Christentums sein«, sondern: »Ihr sollt meine Zeugen sein.« Zeuge kann man nur sein, wenn man überzeugt ist, und ein Zeuge wird gar nicht anders können, als persönlich Zeugnis abzulegen von dem, was er erfahren hat. Die wenigen Ansprachen, die wir im Neuen Testament vor uns haben, zeigen uns, daß auch die Apostel so persönlich geredet haben. Petrus sagt: »Wir sind des Zeugen!« (Apg. 2, 32). Paulus sagt: »Ich bekenne vor dir, daß ich auf diesem Wege meinem Gott diene« (Apg. 24, 14). Er wagt dann sogar, den König ganz persönlich anzureden: »Glaubst du das, König Agrippa?« (Apg. 26, 27). »Persönlich« heißt nicht, immer seine Bekehrungsgeschichte erzählen, aber doch so reden, daß alle merken: Hier liegt persönliche Erfahrung vor. »Persönlich« heißt nicht, immer und sofort die Menschen »anrempeln« oder gar taktlos werden, aber so reden, daß alle spüren: »Hier bin ich gemeint.« Primitiv, einfach und unkompliziert! So hat es schon Luther gesagt: »Den Leuten aufs Maul sehen!« das heißt, so sprechen, daß der einfachste Mensch es verstehen kann. - Hier bleibt der Herr selbst das unerreichte Vorbild. Er hat sich sogaij- nicht gescheut, ganz einfache Vorgänge in der Küche, wie etwa das Bild vom Sauerteig zu gebrauchen. - Auch die Pfingstpredigt enthält keine großen theologischen Gedankengänge, sondern stellt einfach die Tatsache vor die Hörer hin, die sie selbst gerade erlebt haben. - Wenn wir kunstvolle Predigten halten, die vielleicht sogar druckreif sein sollen, dann reden wir über die Köpfe hinweg. Der moderne Industrielle oder auch der Arbeiter und der Kaufmann wissen heute nichts mehr oder wenig vom Inhalt der Bibel. Da gilt es, aus dem Leben und für das Leben so einfach wie möglich das volle Evangelium zu bezeugen. Praktisch: Es muß das Ziel sein, daß jeder etwas mitnimmt für sein Haus, seine Familie, seine Arbeit, sein Geschäft. Jesus hat praktisch vom Sorgen, vom Schätzesammeln, von böser Nachrede, vom Ehebruch, kurz von allem geredet, was sich im Alltag begab. Demgegenüber ist bei uns so vieles weltfremd geworden. Es gilt, die Hörer dort »abzuholen«, wo sie sich gerade im Alltag befinden. Darum werden wir mit Bildern und Gleichnissen in die Welt hineingreifen müssen, die die Hörer täglich vor sich haben. Wir sollten uns nicht scheuen, ganz praktisch über die Ehe, die Kindererziehung, über Zeiteinteilung und anderes zu reden oder daß Jesus auch der Herr in der Küche, im Büro oder im Geschäft sein will. Plastisch: das heißt bilderreich und anschaulich. Jesus hat nie nur gedanklich gesprochen, sondern immer plastisch verkündigt. Paulus fängt in Athen mit den Altären an, die er gesehen hat, und knüpft an den »Altar für den unbekannten Gott« an. - Der moderne Mensch ist nach Thielicke ein einziges Nervenbündel, der vor allem für optische Eindrücke offen ist. Lange Reden, zumal, wenn sie stark lehrhaft sind, »landen« nicht mehr! Wir haben bekanntlich nicht nur zwei Ohren, sondern auch zwei Augen, das heißt wir wollen etwas sehen. Wenn wir zugleich sehen und hören, dann erfassen wir alles leichter. Vielfach gleicht unsere Verkündigung einem Haus ohne Fenster. Dabei ist die heutige Bauweise noch offener als die frühere. Natürlich darf unsere Verkündigung nicht nur »aus Fenstern bestehen«; aber eine zu lange gedankliche Darbietung ohne Beispiel und ohne Bilder geht an der Wirklichkeit des Lebens vorbei! Thielicke wagt in diesem Zusammenhang in einem Aufsatz »Die christliche Verkündigung im Zeitalter der Masse« (Deutsches Pfarrerblatt 1949) sogar die Frage zu stellen, ob wir nicht ganz anders damit Ernst machen müssen, daß Jesus wirklich »Mensch« wurde. Das fleischgewordene Wort hat den himmlischen Glanz Seiner Hoheit preisgegeben und ist in die Abgründe der Menschlichkeit hinabgekommen, um uns die verlorene Rückverbindung aufs neue zu schenken. Luther hat gemeint, man könne den Herrn nicht tief genug ins Fleisch ziehen; dann ehre man ihn, wenn man ihn so in die Tiefe hineinziehe, auch bei der Verkündigung. Wir müssen das Wagnis unternehmen, nun nicht nur in den Kirchenräumen die altkirchlichen Lieder zu singen, sondern an Straßenecken und an Zäunen um der armen Nervenbündel willen, die da vorüberziehen, auch einmal englische Lieder mit ihrem Rhythmus zu spielen und vielleicht sogar etwas wie eine Revue nicht zu verachten. Mag man das auch Kitsch nennen; aber es könnte auch eine ethische und liturgische Form des Pharisäismus und damit der Lieblosigkeit sein, wenn wir Jesus nicht auf dem Wege ins »kitschige Fleisch« folgen wollten um der Menschen willen, die es zu erreichen gilt. Es gilt auf jeden Fall, aus unsern gewohnten »Gleisen« herauszukommen. Dazu eine kleine Erinnerung: In einer württembergischen Gemeinde war eine achttägige Evangelisation angesetzt. Sie begann mit einem Gottesdienst in der großen Kirche. - Es gab in der Gemeinde auch eine alt-pietistische und eine Hahnsche Gemeinschaft. Sie hatten ihre Stunden am Nachmittag um zwei beziehungsweise drei Uhr. Es war mir eine ganz natürliche Sache, auch diese Kreise zu besuchen. Darum ging ich mit dem Pfarrer der Gemeinde gleich am ersten Sonntag um zwei Uhr in die eine und um drei Uhr in die andere Gemeinschaft. Ich wollte sie alle nur grüßen und vor allem auch um Fürbitte für die Tage bitten, die vor mir lagen. In der ersten Gemeinschaft wurde mir selbstverständlich mitgeteilt, daß sie in dieser Woche alle Stunden ausfallen lassen würden, damit jeder Gelegenheit hätte, an den Abenden in der Kirche teilzunehmen. Bei der Hahnschen Gemeinschaft war das nicht geplant, sie wollten in gewohnter Weise auch in dieser Woche Zusammenkommen, um ihre Stunden zu halten. Gerade an dem Sonntag hatte man nun in der dortigen Gemeinschaft die Geschichte von dem Einzug Jesu in Jerusalem als Text. Einer der alten Brüder sagte ein gutes Wort darüber. Dann wurde ich überraschenderweise aufgefordert, auch etwas dazu zu sagen. Da ging es mir durch den Sinn, eine Frage zu stellen, die sich aus dem Text ergab. Es steht ja da: »Die Jünger taten, wie ihnen Jesus geboten hatte« (Matth. 21, 6). Jesus hatte ihnen befohlen, in den Flecken zu gehen und seinen Einzug dort vorzubereiten, und sie gehorchten. Und nun dachte ich: Was werden die Geschwister in diesem Kreis in dieser Woche tun? Werden sie ihrer Tradition folgen und ihre Stunde einfach weiter halten, oder werden sie zum mindesten fragen, was der Herr ihnen sagt, und dann danach handeln? Darum stellte ich an Hand dieses Verses die Frage: »Wir haben jetzt eine Evangelisation im Ort, und ihr habt ja im allgemeinen eure Stunden für euch. Das kann ich gut verstehen, und das hat einen guten Sinn. Aber: was tut ihr nun? Haltet ihr einfach eure Stunden oder - fragt ihr den Herrn, was ihr tun sollt? Und wenn er euch nun sagt: >Laßt die Stunden ausfallen, auch um der Allgemeinheit willen, Christen gehören zusammen, Christen rücken zusammen, Christen können auch nachgeben, Christen demonstrieren gleichsam ihre innerste Zusammengehörigkeit.« Was werdet ihr dann tun?« Ich sehe noch die Verlegenheit der leitenden Brüder, als ich das sagte. Sie wurden mir nicht böse, sie ahnten auch wohl, was eigentlich richtig gewesen wäre, aber die Tradition war stärker. Sie hielten ihre Stunden auch in der Woche weiter. Es hat der ganzen Arbeit kaum geschadet. Die Kirche füllte sich mehr und mehr, aber sie konnten über ihren eigenen Schatten »nicht springen«. Die Frage aber bleibt: War das eine wirklich geistliche Haltung? Nur als ein Beispiel für ungezählte andere sei hier eine Rundfunkansprache wiedergegeben, damit es noch etwas deutlicher wird, wie ich immer wieder anders versuche, die Botschaft der Bibel heute weiterzugeben. Drei entscheidende Lebensfragen Drei Fragen möchte ich heute an alle stellen, drei Fragen, die entscheidende Bedeutung für unsern Alltag haben. Es geht jedesmal um dieselbe große Sache, nur wird sie dreimal von verschiedenen Seiten aus beleuchtet. Ich weiß nicht, welche der Fragen für den einzelnen die schwerste ist, für mich und viele ist es wohl die zweite Frage. Auf jeden Fall gilt: Wer auf diese drei Fragen nicht klar und bestimmt mit ja antworten kann, hat irgendwie noch nicht die rechte Haltung Gott und Menschen gegenüber, wer ein Ja sagen kann, ist gut dran. Ich freue mich, daß ich auf alle drei Fragen mit einem stillen Ja antworten kann. - Es geht um ein Wort Jesu, das er seine Jünger gelehrt hat, das in der Christenheit tausendfach gebraucht ist und wird, nur wird es selten in seinem ganzen Ernst erfaßt und bedacht. Erste Frage: Kannst du vergeben? - Überlege! An wen mußt du jetzt unwillkürlich denken? Kannst du vergeben, wenn Menschen dich beleidigt, verleumdet, hintergangen, betrogen haben? Kannst du vergeben, wenn Menschen dir wehtaten und dich verletzten? -Jesus lehrte seine Jünger beten: Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unsern Schuldigem! Im Urtext steht es sogar noch anders und ernster: »Wie wir vergeben haben unsern Schuldigem«! Zu einem Bauern kam sein Pfarrer. Es war Streit in der Familie, der Bauer hatte seit Jahren seinem Bruder kein Wort gesagt, sie hatten wegen Erbschaftssachen eine schwere Spannung miteinander. Der Bruder war längst willig zum Frieden, der Bauer wollte nicht. Der Pfarrer redete ihm gut zu. »Nein, ich will mit meinem Bruder nichts mehr zu tun haben.« - Es war eine gute Sitte, daß der Pfarrer am Schluß eines solchen Besuches mit den einzelnen betete. Er tat es auch hier, und der Bauer erwartete es auch nicht anders. Wie betete er? »Vater unser... und dann: Vergib uns unsere Schuld! Amen! Dann ging der Pfarrer schnell fort. - Dies abgebrochene Vaterunser hat den Bauern überwunden. Es ging ihm auf: Ich kann ja das Vaterunser nicht mehr beten, habe es noch nie recht gekonnt. Er ging noch an demselben Tag hin und versöhnte sich mit seinem Bruder. Können wir die fünfte Bitte des Vaterunser beten? Kannst du vergeben? Viele sagen wohl: Ich will es vergeben, aber kann es nicht vergessen! Falsch! - Wer nicht auch wenigstens vergessen will, hat auch nicht recht vergeben. Es mag im Gedächtnis bleiben, aber wenn es wirklich vergeben ist, stört es nicht mehr und ist im Grunde auch vergessen. Schrecklich, wenn Menschen nicht vergeben können und wollen! Dann machen sie sich selbst und vielen anderen das Leben zur Qual. Es sind manche deswegen schon in den Tod getrieben worden, weil sie die Spannung mit einem anderen nicht mehr aushalten konnten, es sind Menschen schon krank geworden und mußten vielleicht sogar in eine Nervenheilanstalt. Der Grund der Erkrankung aber war nicht leiblicher Art, sondern die Erkrankung hatte seelische Gründe. Schön, wenn Menschen es lernen und üben, zu vergeben und zu vergessen. Ich kenne einen Mann, der von einem Bekannten angezeigt worden und deswegen beinahe ins Gefängnis gekommen wäre. Er ist Christ. Er konnte vergeben. Als die Gefahr vorüber war, ist es zu einer klaren Aussprache gekommen, es ist alles vergeben und darum alles in Ordnung. Was würde es bedeuten, wenn viele, wenn alle Menschen nach dieser fünften Bitte Jesu im Vaterunser leben würden! Was hat das mir und dir zu sagen? - Kannst du vergeben? Wem solltest du heute noch vergeben? Zweite Frage: Kannst du um Vergebung bitten? Überlege! - An wen mußt du jetzt unwillkürlich denken? Jetzt ist die Sache umgekehrt: Jetzt hat dir nicht ein anderer wehgetan, jetzt hast du jemand beleidigt, gekränkt, übervorteilt. - Kannst du nun hingehen und um Verzeihung bitten: Es tut mir leid, vergib! - Jesus hat seine Jünger gelehrt: »Wenn du zum Altar gehst und wirst allda eingedenk, daß dein Bruder etwas wider dich hat, so gehe zuvor hin und versöhne dich mit deinem Bruder.« Hier steht nicht: »Wenn du etwas gegen deinen Bruder hast«, sondern: »wenn dein Bruder etwas wider dich hat...«! Ist es nicht sonderbar: Dazu haben wir Mut, einen andern zu kränken und ihm wehzutun. Haben wir auch Mut, es wieder in Ordnung zu bringen? - Gewiß: Es ist oft schwer, den untersten Weg zu gehen. Aber ist es nicht eigentlich selbstverständlich, daß wir es tun? Ist es nicht viel schwerer für den andern, den wir verletzten? Schwerer, wenn es nicht in Ordnung kommt? Das gilt einmal für die Fälle, wo die Schuld eindeutig auf unserer Seite liegt: Ich hatte vor Jahren unserem ältesten Sohn wehgetan. Es war irgend etwas vorgekommen, was ich nicht verstand. Ich sagte ein hartes Wort. Kurz darauf erklärte meine Frau mir auf einem Spaziergang, daß ich den Jungen völlig mißverstanden und damit ihm wehgetan habe. - Wir sind bald nach Haus gegangen. Mein Junge stand im Studierzimmer. Ich bin nur auf ihn zugetreten und habe gesagt: Mein Junge, Mutter hat mir alles nochmals erklärt. Ich habe dir wehgetan. Bitte, vergib mir! - Ein kurzes Wort kam als Antwort: Er gab mir die Hand und sagte nur: Vater! Das gilt aber auch für Fälle, wo vielleicht beide die Schuld haben. Da ist es entscheidend, wer es zuerst fertigbringt, ein freundliches Wort zu finden, z. B. in der Ehe. »Recht behalten wollen ist der Tod der Ehe«, hat ein weiser Mann gesagt. - Hier will es oft besonders schwerfallen, um Vergebung zu bitten. Viele können sehr lange nachtragen, viele sagen oder denken einfach: »Schwamm drüber«, nur wenige gehen den einzig richtigen Weg und bitten wirklich um Vergebung. Es ist in unserer Ehe (um das sagen zu dürfen) ein schöner Kampf, daß wir uns darin üben, »die Sonne nicht untergehen zu lassen über unserm Zorn«, wie Jesus sagt. Spannungen können Vorkommen, aber es kommt darauf an, daß diese Spannungen gütlich überwunden werden, indem einer dem andern zuvorkommt und um Verzeihung bittet. Das gilt aber auch dann, wenn wir vielleicht tatsächlich die viel geringere Schuld haben. Dann nur nicht berechnen: Habe ich 10 Prozent und der andere 90 Prozent oder 60 und 40 Prozent? Nein: den Teil Schuld auf sich nehmen, den man hat, und für den Teil um Verzeihung bitten, dann wird alles gut. Ich habe mehr als einmal erlebt, wie schwer und doch zugleich wie schön es ist, wenn man auf diese Weise Spannungen aus der Welt bringt, indem man hingeht und seinen Teil Schuld auf sich nimmt. Also wieder die Frage: Kannst du um Vergebung bitten? Wen solltest du heute noch bitten? Wer wartet vielleicht darauf? Und die dritte Frage: Hast du Vergebung deiner Schuld vor dem lebendigen Gott? - Was denkst du jetzt? Sdiuld hast du, Schuld haben wir alle. - Alle Schuld Menschen gegenüber ist auch eine Schuld Gott gegenüber. - Und auch nach Vergebung der Schuld sehnt sich der Mensch, wenigstens jeder ernste Mensch. Ohne Vergebung der Schuld kann man im Grunde nicht recht froh werden, ohne Vergebung auch nicht im Sterben selig werden. Dann liegt es irgendwie wie ein Druck auf uns und steht wie ein großes Hindernis vor uns: die unvergebene Schuld! Nun aber die frohe Botschaft: Wir können Gewißheit der Vergebung aller Schuld bekommen. Dazu kam Jesus auf diese Erde, um Menschen diese fröhliche Nachricht zu bringen: Gott vergibt jedem, der zu ihm kommt. Darum hat Jesus gelitten und ist gestorben, um alle Schuld auf sich zu nehmen und den Weg freizumachen zum Herzen Gottes. Wir brauchen nicht einmal diese schweren Zusammenhänge zwischen Schuld und Sühne gleich ganz zu verstehen, wenn wir nur kindlich ihm vertrauen und auch Gott um Vergebung bitten, dann können wir der Vergebung aller Schuld froh werden. Darum ja die fünfte Bitte: Vergib uns unsere Schuld .. . und die klare Botschaft im ganzen Neuen Testament: Jesus bietet Vergebung an. Es kommt dabei auf drei B an, wenn wir diese Vergebung bekommen wollen: Beugung, Beichte, Bitte. Einmal Beugung! das heißt, es gilt, seine Schuld zu sehen und zuzugeben: das habe ich gesagt, das habe ich getan. Nichts beschönigen wollen, nichts verdecken und verharmlosen. Dadurch wird es nur schlimmer, nein: sich vor Menschen und vor Gott wirklich beugen, das ist der erste Schritt, der nötig ist. Dann Beichte! Unwillkürlich denken wir hier an die katholische Kirche. Schade! - Luther hat die Privatbeichte nie abschaffen wollen und hat selbst viele Male vor einem Menschen gebeichtet. Gewiß: es soll und darf kein Zwang sein! Wir müssen nicht beichten, zumal nicht alle Sünden und brauchen dazu keine Priester. Aber es ist gut, daß wir in der evangelischen Kirche wieder anfangen, den Segen einer rechten Beichte zu entdecken. Und Ungezählte haben das sechste Hauptstück in Luthers Katechismus praktisch ausprobiert und sind darüber seHf froh geworden. Beichte ist nicht nötig, aber echtes Bekennen der Sünde ist eine große Hilfe. Und dann Bitte: Eine einfache, aber ehrliche und herzliche Bitte: Herr, vergib! Verdient habe ich es nicht, aber ich will Jesus vertrauen. Dann wird und ist alles gut. Ich habe es vielmals seibst und bei andern erlebt, wie dann durch Gottes Geist eine stille Gewißheit geschenkt wird: Ich darf der Vergebung meiner Schuld gewiß sein. Größeres gibt es eigentlich nicht. Drei Fragen. - Und wie lautet unsere, wie deine Antwort? - Luther sagt in seinem Katechismus: Wo Vergebung der Sünde ist, da ist Leben und Seligkeit. Umgekehrt gilt es auch: Wo keine Vergebung der Sünde ist, da ist Tod und Verdammnis. Darum Mut gemacht: Von Gott aus ist alles getan, daß wir Vergebung bekommen und es in seiner Schule lernen, zu vergeben und um Vergebung zu bitten. Wohl uns, wenn wir mit einem frohen Ja antworten können! Vollmächtige und gegenwartsnahe Verkündigung hat auch heute vielfache Verheißungen. Ich stehe beschämt vor der Tatsache, daß im Laufe der Jahrzehnte eine große Anzahl von Menschen den Weg zu Jesus gefunden hat und seit Jahren den Weg in der Nachfolge Jesu geht. - Gewiß werde ich in der Ewigkeit auch erkennen, wieviel Menschen ich durch meine Art und durch mein Wesen gehindert habe, aber ich freue mich, daß das Wort Gottes auch heute vielfache Frucht brachte und bringt. Vom Dienst am gedruckten Wort Vor vielen Jahren - es war zwischen den beiden Weltkriegen - besuchte ich in Goslar den alten Dr. Hermann Menge. Ich traf ihn, wie er mit siebenundneunzig Jahren an seinem Schreibtisch saß, seine Bibelübersetzung Seite um Seite durchsah und viele Verbesserungen einfügte. Wir hatten ein kurzes herzliches Gespräch, und er schrieb mir dann auf meine Bitte hin in meine Menge-Bibel ein Gotteswort mit seinem Namen. Ich habe das Bild dieses treuen Mannes nicht vergessen. Hätte mir damals jemand gesagt, daß ich nach vielen Jahren einen ähnlichen Dienst tun würde, ich hätte nur den Kopf geschüttelt und es für völlig unmöglich gehalten. Und doch, es ist so geworden. Ich habe mich später an dieselbe Arbeit machen müssen, zuerst das Neue Testament, dann auch die Psalmen und zuletzt die ganze Bibel in unsere heutige deutsche Sprache zu übertragen, ja, mit Erklärungen und neuen Überschriften zwischen den einzelnen Versen zu versehen und bei jeder neuen Auflage weiter und weiter zu verbessern und zu feilen. Es war dies nicht der erste Dienst am gedruckten Wort: Schon als junger Student habe ich die Arbeit eines holländischen Pfarrers über meinen damaligen Lehrer Carl Stange, Göttingen, ins Deutsche übertragen. Es gab damals ein führendes Blatt in der deutschen Gemeinschaftsbewegung: »Auf der Warte«. Es ist eigentümlich, wie es dazu kam, daß ich hier durch mehrere Jahre hindurch Mitarbeiter wurde, viele Artikel und Buchbesprechungen geschrieben habe. Ich hatte wegen eines Aufsatzes über den Völkerbund an den Herausgeber Karl Möbius geschrieben und ihm meine kritischen Gedanken ganz offen mitgeteilt. Sofort kam die Anfrage an mich, ob ich nicht positiv mithelfen wollte; er bäte um regelmäßige Mitarbeit. Ich habe zugesagt und gern mitgeholfen, das Denken vor allem der Gemeinschaftsleute in damaliger Zeit mitzuprägen. Möbius war großzügig wie wenige und veröffentlichte auch Aufsätze, deren Inhalt er persönlich gar nicht immer zustimmte. Aber es kam ihm darauf an, daß Kirche und Gemeinschaft sich gegenseitig befruchten möchten; da war er für jede Hilfe dankbar. Es ging damals schon um die gleichen Fragen, die uns heute noch bewegen: Volkskirche oder Gemeinde Jesu, die Bedeutung der Sakramente, vor allem die Not mit der Kindertaufe, die Verantwortung der Christen für das öffentliche Leben, etwa bei den Wahlen, Stellung zur Obrigkeit und vieles andere. Mehrere Male habe ich als Vertreter der evangelischen Presse auch an internationalen Tagungen teilgenommen, wie etwa der des Luthertums in Kopenhagen, habe aber auch über die großen Lehrkonferenzen des Gnadauer Verbandes Bericht erstattet. Das hat mir den Blick geweitet, und es half mit, daß ich lernte, über die Zäune von Kirche und Gemeinschaft hinaus das Große des Reiches Gottes zu sehen. Im Laufe der Jahre habe ich viele kleinere und größere Schriften herausgegeben. Davon im einzelnen zu erzählen, würde zu weit führen, aber manchmal erhalte ich noch heute Briefe von Menschen, die die eine oder andere Schrift in die Hand bekommen und sich darüber freuen. Das gedruckte Wort lebt eben länger und wirkt weiter nach als das gesprochene. So rief eines Tages ein Studienrat an und bedankte sich für ein längst vergriffenes Buch »Die Gottesstunde«. Wir vereinbarten ein Treffen, damit wir uns kennenlernen möchten. Nach einem Gottesdienst in Gießen hatten wir ein langes Gespräch auf dem nahegelegenen Friedhof. Daraus erwuchs nicht nur eine herzliche Freundschaft der Familien, sondern auch die Berufung dieses Mannes in das Werk der Inneren Mission, dem ich angehörte. Ihm war eben seine Arbeit um des Glaubens willen gekündigt worden, und wir suchten neue Mitarbeiter. Seit langem liegt mir am Herzen, auf die Bedeutung guter Lebensbeschreibungen hinzuweisen. Außer dem Lesen der Bibel hilft kaum etwas so sehr, wie das Studium von Biographien von Männern und Frauen des Reiches Gottes. Darum finden sich unter den kleineren Büchern von mir mehrere kurze Lebensbeschreibungen, zum Beispiel über E. Modersohn, M. Popken, aber auch über den Verfasser der »Kirchen- und Ketzerhistorie« G. Arnold und über Ph. J. Spener und J. Vetter. Viele Nichttheologen warteten auch auf eine schlichte Zusammenfassung der großen Wahrheiten der Bibel, auf eine Art Laiendogmatik. Ich habe eine solche Arbeit unter dem Titel: »Was glauben die Christen eigentlich?« herausgebracht (zur Klärung des Glaubenslebens oder als Grundlage für Besprechungen im kleinen Kreis). Es gibt viele gute Andachtsbücher, aber mir schien, daß man zu wenig an die Menschen gedacht hatte, die der Botschaft der Bibel fernstehen. Darum ist unter meinen Büchern eine Art Besinnungsbuch, in dem ich für alle Tage des Jahres eine kurze Hilfe gebe, auch für die, die etwa als Gäste oder als heran-wachsende Kinder an den Morgen- und Abendandachten des Hauses teilnehmen. Ich gehe da nicht von einem Gotteswort aus, sondern wähle eine packende Überschrift oder eine Lesefrucht. Erst unten auf der Seite erscheint der Hinweis auf ein Wort des Alten oder Neuen Testamentes. (Dies Buch wurde viel an Menschen verschenkt, die die Bibel noch nicht kennen, es wurde jetzt auch für die Alten mit Großbuchstaben gedruckt.) Vierzehn Jahre hindurch gab ich das früher von Daniel Schäfer gegründete und geführte Blatt »Glaube und Leben« heraus. Es war eine schöne »Neben«arbeit, alle vierzehn Tage ein größeres Blatt zur Weckung und Vertiefung des Glaubenslebens zu füllen und zu gestalten. Es hat viel Freude bereitet und gab viel dankbares Echo. Nicht wenige Leser haben das Blatt Jahre hindurch gelesen, zumal, weil ich viel aus dem Leben der Gemeinde Jesu heute berichtete, aber auch an eigenem Diensterleben teilnehmen ließ. Dabei aber kam die Auslegung des Wortes nie zu kurz. Das Blatt hatte erwecklichen Charakter. Ich versuchte, in jeder Nummer ein bestimmtes Thema zu behandeln, so daß es auch für Pfarrer und Prediger eine Hilfe war, weil ihnen hier Stoff für manche Stunde an die Hand gegeben wurde. Ich habe zu meiner tiefen Freude gehört, daß Menschen durch das Lesen des Blattes zum Glauben kamen und es gern gebrauchten und Angehörigen zum Lesen vermittelten. Noch heute ist es meine Aufgabe, an dem Verteilblatt »Das Wichtigste« mitzuarbeiten, das von vielen Arbeitgebern ihren Arbeitern in die Lohntüte gesteckt wird (Auflage 40000), und monatlich das kleine Verteilblatt »Eltern und Kinder« zu füllen, in dem ich jeweils die Erwachsenen und Kinder zu beraten versuche, wie sie sich ihren Eltern oder Kindern gegenüber einstellen soll(t)en. Ausführlicher aber muß ich berichten von meiner »Altersarbeit«, der Übertragung der Bibel in unsere Sprache, vor allem, wie es dazu kam und wie sie aufgenommen wurde. Schon seit vielen Jahren machte ich bei alt und jung, bei hoch und niedrig die Beobachtung, daß ungezählte Menschen keinen rechten Zugang mehr haben zu unserer Lutherbibel. Ich denke da an eine alte Dame in Österreich, deren Wiedergeburt ich miterlebt habe. Sie fing mit einem geradezu rührenden Eifer an, die Bibel zu lesen. Aber sie schrieb mir dann im Laufe der Jahre einen traurigen Brief nach dem anderen: Sie verstünde an vielen Stellen beim besten Willen nicht, was gemeint sei; sie gäbe daher den Versuch auf, sie wolle sich mit einem guten Andachtsbuch begnügen. Ähnlich ging es bei jungen Menschen, die kürzere oder längere Zeit bei uns im Hause waren. Auch da zeigte sich, wie wenig der Luthertext im Grunde verstanden wurde. Und auch meine Frau und ich haben uns beim Bibel- lesen manchmal gefragt, was eigentlich gemeint sei, oder was uns der tägliche Bibelabschnitt zu sagen hätte. Daraus ist der Gedanke erwachsen, ob man nicht in ganz neuer Weise versuchen müßte, die Bibel zu übertragen. Ich schrieb in diesem Sinne an mehrere Bischöfe unserer Kirche, zum Beispiel an Dibelius. Die Antworten waren: Ich hätte völlig recht, es wären schon seit langem die Vorarbeiten dazu im Gange, einen revidierten Luthertext herauszugeben, vom Neuen Testament wäre die erste Ausgabe dieser Art bereits vorhanden. Damit war ich aber nicht zufrieden. Ich fuhr zum Vorsitzenden der Stuttgarter Bibelanstalt, Prälat D. Schiatter in Ludwigsburg. Von ihm wußte ich, daß auch er der Meinung war, man sei bei der Revision des Luthertextes viel zu konservativ und vorsichtig gewesen. Darum hatte er selbst einen noch mehr veränderten Text herausgebracht. Ich fand für mein Anliegen bei ihm volles Verständnis, ja, er stimmte mir auch sofort zu, als ich meinte, man müsse die sogenannte Jubiläumsbibel neu bearbeitet herausgeben. Auch hier lag ja bereits eine Bibelausgabe mit Erklärungen zwischen den Versen vor, aber sie stammte aus dem vorigen Jahrhundert, und manche Erklärungen waren auch wohl überholt. Mir wurde gerade bei dem Gespräch mit Prälat Schiatter deutlich, daß man eine etwas freiere Übertragung mit neuen Überschriften und Erklärungen zwischen den einzelnen Versabschnitten herausbringen müsse. Schiatter machte mir Mut und hat dann auch geholfen, erste Versuche durchzusehen und Verbesserungen vorzuschlagen. Dann bat ich den damaligen Leiter des Brunnenverlages in Gießen, Karl Peters, fernmündlich, ob ich den Verlag wohl einmal besuchen dürfe, um etwas Wichtiges mit ihm zu besprechen. Als ich auf seine Frage andeutete, es ginge um eine völlig neue Übertragung des Neuen Testamentes mit Erklärungen zwischen den einzelnen Versen, bekam ich die Antwort: »In zwei Stunden werden wir bei Ihnen sein, um mehr zu hören.« Peters hat mir später erzählt, daß es ihm blitzartig klargeworden sei, hier läge ein völlig neuer Versuch vor, da wolle er gern mithelfen. Und tatsächlich: Zwei Stunden später saßen die beiden verantwortlichen Brüder Peters und Perschel in meinem Studierzimmer, und ich konnte ihnen die beiden ersten Evangelien mitgeben. Kurz darauf faßte die Verlagsleitung einstimmig den Beschluß, mir zur weiteren Arbeit Mut zu machen; sie wollten es wagen, das so bearbeitete Neue Testament herauszubringen. Glücklicherweise lag vieles an Vorarbeit bei mir vor. Ich hatte schon mehrere Auslegungen über Abschnitte des Alten wie auch des Neuen Testamentes herausgebracht, zum Beispiel Samuel, Barnabas und die Apostelgeschichte. Ich machte mich mit Freuden an die Riesenarbeit. Manchmal wollte ich verzagen, zum Beispiel als ich mit dem Römerbrief anfing, oder als es galt, nun auch die Offenbarung zu erklären. Aber es gab kein Zurück mehr, im Gegenteil, es wurde je länger, um so mehr ein innerer Auftrag, es war ein heiliges Muß, das mich an der Arbeit festhielt. Langsam reihte sich Kapitel an Kapitel. Ich stenografierte das Ganze, dann übergab ich es einer Frau aus der Stadt, die meine Stenografie lesen konnte. Zu meiner Freude erklärten sich auch mehrere Freunde bereit, mir beim Durchlesen der ersten Entwürfe zu helfen. Ich konnte manchem guten Rat folgen. Dann ging das Ganze in die Druckerei nach Gießen. Dort hatte es im Verlag fast einen kleinen Streit gegeben: Man war sich nicht gleich einig darüber, wie hoch die erste Auflage sein sollte; der eine meinte, 5000 würden genügen; andere schlugen 20000 vor, selbst wenn man sie erst während vieler Jahre verkaufen würde. Man wagte dann 20000. An meinem Geburtstag, am 7. 10. 1958, lag das erste Exemplar des Neuen Testamentes vor. Der Verlag hatte dem Buch eine schöne Ausstattung gegeben, zum Beispiel auch keinen schwarzen, sondern einen Umschlag in hellen, in die Augen fallenden Farben gewählt. Was geschah? Schon nach zwei Monaten waren die 20000 verkauft, ja, die Druckerei kam in den nächsten Monaten mit dem Druck kaum nach; mehr als einmal mußten die Buchhandlungen »vertröstet« werden, weil alles vergriffen war. Nun begann ich sofort mit der weiteren Arbeit, Druckfehler zu beseitigen und Verbesserungen anzubringen. Dabei erfuhr ich zum Teil rührende Unterstützung: Es gab sofort viel dankbare Zustimmung, aber auch nicht wenige machten mich auf Druckfehler aufmerksam oder rieten mir zu einer besseren Fassung des Textes oder der Erklärungen. Viele dieser Ratschläge habe ich dankbar befolgt, dabei aber immer darauf aufmerksam gemacht, daß es sich um eine Übertragung, nicht Übersetzung handele. Wohl hatte ich nach dem griechischen Grundtext gearbeitet, aber bewußt alles etwas freier wiedergegeben. Es hat auch an Kritik nicht gefehlt. Ein Jurist aus München hat sogar gemeint, er müsse mich wegen dieser Arbeit nach Gal. l, 9 »verfluchen« und nach i. Kor. 5, 5 »dem Satan übergeben«, ich sei auf jeden Fall kein Christ, man könne nur vor jeglichem Umgang mit mir warnen. Auch ein aus der Kirche ausgetretener Schweizer Pfarrer schrieb in großer Schärfe gegen mich. Von seiten der theologischen Wissenschaft kam zum Teil ein hartes »Nein«, einmal sogar im Rundfunk unter dem Titel: »Eine gefälschte Bibel«. Wohl traf mich das, besonders weil es in liebloser Weise geschah. Ich habe aber diese kritischen Hinweise dankbar benutzt; vielfach wurden auch offene Türen eingerannt, wo in den weiteren Auflagen die Fehler bereits verbessert waren, auf die hingewiesen wurde. Das dankbare Echo aber war viel größer als die negative Kritik. Die Auflage wuchs von Jahr zu Jahr, Ende 1964 war für das Neue Testament schon die Auflagenzahl von 300000 erreicht. Viele haben geschrieben, daß sie einen völlig neuen Zugang zum Worte Gottes bekommen hätten; nicht wenige bekannten, daß sie überhaupt jetzt erst anfingen, freudig und dankbar die Bibel zu lesen; eine junge Studentin aus Paris schrieb, durch das Lesen des Neuen Testamentes in dieser Form sei sie zum Glauben an Jesus gekommen. Ein Doppeltes hat dazu beigetragen, daß ich mich zunächst an die Psalmen machte, dann auch an das Alte Testament. Ein reicher Amerikaner, der durch das Lesen des Neuen Testamentes besonders gesegnet wurde, war bereit, 50 000 DM zu leihen. Die Herausgabe des Alten Testamentes wurde dadurch sehr erleichtert. Noch wichtiger war, daß mir ein Professor der alt-testamentlichen Theologie, mit dem ich befreundet bin, Mut machte, selbst wenn ich mich mehr an den griechischen Grundtext halten würde. Es käme vor allem darauf an, das Ganze durch Überschriften neu aufzuteilen und ähnlich wie beim Neuen Testament das Verständnis durch seelsorgerliche Erklärungen zu erleichtern. Wieder stand eine Riesenarbeit vor mir. Manchmal schien es mir, als handele es sich um die Besteigung des Montblanc. Auch diesmal wurde mir manche Hilfe dadurch zuteil, daß einige das Geschriebene und Gedruckte mitlasen und Verbesserungen vorschlugen. Auch hier konnte ich auf manche Vorarbeiten früherer Jahre zurückgreifen. Hier seien zwei Beispiele genannt, wo mir vor allem durch die Beschäftigung mit den Arbeiten des Marburger Theologieprofessors D. Bornhäuser klarwurde, daß hier und da einzelne Verse durch eine bessere Übersetzung klarer werden und einen guten neuen Sinn bekommen: Was heißt »Anathema«? (Galater x, 8-9 und 1. Korinther 16, 22) Die gewöhnliche Übersetzung lautet: »Verflucht sei, wer ein anderes Evangelium verkündet.« »Wer den Herrn Jesum nicht lieb hat, der sei verflucht.« - Menge läßt diese Übersetzung ruhig stehen und schreibt: »Fluch über ihn.« Auch Thimme ändert nichts. Viele haben immer wieder sehr unter diesen beiden Worten Pauli »gelitten«: Wie konnte der Apostel so schreiben? War es nicht eine furchtbare Entgleisung, spürt man hier nicht, daß der jüdische Rabbi »mit ihm durchging«? - Zumal der Satz aus dem 1. Korinther-Brief tut besonders weh: Wie kann man einen Menschen, der Jesus nicht lieb hat, verfluchen? Und das soll Paulus »mit eigener Hand« geschrieben haben? Alles andere hat er diktiert, hatte er wirklich nichts anderes persönlich unter den Brief zu schreiben, als einen solch harten Satz? Wir werden schon vorsichtiger, wenn wir einmal neuere Übersetzer fragen. Schiatter schreibt: »Er sei gebannt.« »Er sei im Bann!« (Ähnlich andere Übersetzungen: »Er sei verbannt!«) - Hier sind wir auf der richtigen Spur. Bornhäuser erklärt aus seiner reichen Kenntnis der jüdischen Sprache, zumal des Talmud: Was für den griechischen Leser Anathema bedeutet, ist für den jüdischen charam, das bedeutet aber nicht »verflucht«, sondern: er sei im Bann. Fluch und Bann sind etwas völlig verschiedenes. Es wird niemand charam mit verflucht übersetzen, dann müßte im Hebräischen katarah stehen! Außerdem muß man wissen: Wer im Bann war, war selbst nicht völlig ausgeschlossen von allem, sondern er durfte nur nicht mehr am Unterricht teilnehmen und keinen Unterricht mehr erteilen. Auf einen Menschen, der in den Bann getan war, durfte niemand mehr hören, weil er sonst selbst in die Gefahr des Bannes hineinkam oder anders Schaden nehmen konnte. So verstanden, bekommen Gal. i und l. Kor. 16 einen völlig anderen Sinn, und dieses Verständnis der beiden Stellen leuchtet ohne weiteres ein: Wer ein anderes Evangelium als wirklich das von Jesus als dem gekreuzigten, auferstandenen und wiederkommenden Herrn verkündigen wollte, wie etwa manche »Theologen«, der sollte nicht zum Lehren zugelassen werden. Wer noch andere »Liebschaften« hatte als Jesus, wer also im tiefsten Grunde seines Herzens noch völlig anders ausgerichtet war, der sollte auch keine Erlaubnis haben, in der Gemeinde als Lehrer aufzutreten. Die Liebe zu der Gemeinde und auch zu dem einzelnen trieb Paulus dazu, so ernst zu schreiben, auch dazu, gerade diesen kleinen Satz noch »mit eigener Hand« dem ersten Brief hinzuzufügen. Alle sollten erschrecken und sich überlegen: Sind wir wirklich von Jesus erfaßt und erfüllt, um dann auch echte Lehrer der Gemeinde sein zu können? Die Gemeinde sollte vor falschen Einflüssen bewahrt bleiben und nur von solchen Männern geführt werden, die wirklich von Jesus wußten, und deren Herz für ihn brannte. Diese Deutung fügt sich auch völlig in den Zusammenhang der Briefe ein: Es geht Paulus am Anfang des Galaterbriefes um die rechte Verkündigung, er hatte Sorge, daß die Galater irgendwie »unter das Gesetz kommen« und nicht mehr von Jesus allein her leben! Darum die heilige Erregung (er unterläßt hier an dieser einzigen Stelle seiner Briefe sogar den herzlichen Gruß!): Anathema: nur Menschen, die Jesus als ihren alleinigen Herrn kennen und ihm gehorchen, sollen verkündigen. - Es geht Paulus im 1. Brief an die Korinther darum, angesichts all der vielen Fragen, die Vorlagen, immer wieder auf Jesus selbst hinzuweisen: Darum schreibt er 1. Kor. 13 das Hohelied der Liebe, darum 1. Kor. 13 das Hohelied des Lebens und der Auferstehung - darum fügt er am Schluß hinzu: Nur Liebhaber Jesu können verkündigen, denn der Herr kommt bald. Es ist keine Entgleisung oder eine irgendwie peinliche Abirrung vom Zentrum, es war und ist nur eine heilige Liebe, mit heiliger Zucht verbunden und darum geradezu vorbildlich: Die beiden Stellen verlieren völlig ihr falsches Ärgernis, im Gegenteil, sie leuchten neu auf und stellen mit ernster Freude Jesus als den Herrn in den Mittelpunkt des ganzen Gemeindelebens. Was bedeutet die »Taufe für die Toten« (i. Korinther 15, 29) Eine bisher kaum verstandene Stelle des Neuen Testamentes ist der dunkle Vers im 1. Kor. 15, 29: Was heißt »Taufe für die Toten«? Die gewöhnliche Auffassung ist die: Man war so von der Bedeutung der Taufe überzeugt, daß man sich sogar noch für die Toten taufen ließ, das heißt also noch irgend eine Wirkung der Taufe für die Toten erhoffte. - Paulus macht auf diese anscheinend bestehende Sitte in dem Zusammenhang mit der Auferstehung aufmerksam und will damit nur aufs neue bezeugen: es gibt eine Auferstehung der Toten, darum ist es doch nicht etwas Verwunderliches, wenn es auch eine Auferstehung Jesu gibt. Kann diese Auffassung einer (fast) magisch bestimmten Taufhoffnung richtig sein? Es ist doch undenkbar, daß Paulus einer Auffassung Vorschub geleistet hat, daß auch Menschen, die nicht mehr glauben können, weil sie tot sind, noch durch eine Taufe, die andere für sie vollziehen, irgendwie erreicht und gesegnet werden? - Gibt es eine Lösung in dieser Frage? Gibt es ein besseres Verständnis dieser schwierigen Stelle? Bornhäuser schlägt folgendes vor: Man hatte damals (wie auch weithin noch heute etwa in den heidnischen Religionen) eine viel lebendigere Auffassung von echter Familienzusammengehörigkeit, als wir sie zuweilen in unseren Großstädten und Dörfern haben. Nun waren einige aus einer Familie zum lebendigen Glauben an Jesus Christus gekommen, aber sie starben und gingen heim zu ihrem Herrn. Sie waren natürlich traurig von den Ihren geschieden, weil sie mit ihnen nicht so im Glauben verbunden waren, wie sie es gern gehabt hätten, vielleicht war auch eine letzte Bitte ausgesprochen worden: Laßt uns doch verbunden werden auch in diesen innersten Dingen, Christus ist auch für euch da, kommt doch zu ihm, laßt auch ihr euch taufen! Da wurde in den Nachkommen der Entschluß geweckt: Aus Liebe zu den Toten, aus innerer Verbundenheit mit den Toten, aus »Interesse« für die Toten wollen wir uns auch taufen lassen .. . Sie meldeten sich zum Taufunterricht, sie wurden unter- wiesen, sie - wurden getauft. Die Liebe also zu einem Toten war der letzte Anstoß für eine Bekehrung zu Christus. - So verstanden, hat die Taufe »für die Toten« einen guten Sinn! So kommt sie auch heute noch in der Heidenmission vor. Zwei Missionare aus ganz verschiedenen Gesellschaften haben es Bomhäuser geschrieben, daß er mit dieser Auslegung dieser Stelle recht habe: Es käme gar nicht selten vor, daß der Tod eines Christen bei den Angehörigen den Entschluß weckt, nun auch zu Christus zu kommen und mit ihm zu gehen. Das Heimweh nach dem lieben Toten würde der Antrieb zur Bekehrung. (Das wäre natürlich noch nicht das tiefste Motiv einer echten Entscheidung, aber hilft dabei mit und führt auch hin!) Nebenbei wird bei dieser Auffassung der Stelle auch noch einiges andere klar: Einer falschen Vergeistigung der Taufe wird gewehrt, es kommt nicht nur auf das innere Erleben bei der Taufe an, sondern auch auf die Wassertaufe. Einer falschen Gesetzlichkeit im Blick auf die Taufe wird aber auch entgegengetreten: Nicht nur letzte und tiefste Beweggründe müssen es sein, die zur Taufe führen, die Liebe läßt auch vorläufige Motive gelten und gebraucht sie, um dann weiterzuführen. -Besonders unterstrichen wird auch, daß Gott Wohlgefallen hat an einem wirklich engen und festen Familienverhältnis und auch auf diese Weise Menschen in seine Nachfolge zieht. Wir dürfen also Menschen ruhig sagen: Bekehre dich, auch wenn du es für dich selbst noch gar nicht ganz fassen kannst, komm zur Taufe schon aus Liebe zu den Deinen, es wird sich dann schon zum Segen auch für dich auswirken! Recht verstanden und gedeutet hat auch diese dunkle Stelle einen tiefen Klang und enthält eine vielfache Botschaft. Aber es schien ein fast unmögliches Wagnis zu sein; dennoch gab es auch hier kein Zurück. Erst kamen die Psalmen in einer kleinen Sonderausgabe heraus, dann nach längerer Zeit das ganze Alte Testament und bald darauf die Gesamtbibel in einem Band. Das Echo war ähnlich wie beim Neuen Testament: Die scharfe Kritik fehlte nicht, aber die dankbare Zustimmung war größer. Für viele Leser war es geradezu eine Neuentdeckung der »Bibel Jesu«. Ein Urteil hat mir besonders Freude bereitet: Man sei deswegen so froh über die Übertragung und Erklärung des Alten Testamentes, weil ich Verständnis hätte für die Heilsbedeutung des Volkes Israel. (Ich kann dem nur froh zustimmen, ich ehre und liebe das auserwählte Volk.) Viele haben erst jetzt den Zugang, etwa zu den »kleinen« Propheten gefunden; erst jetzt wußten sie, welch ein Reichtum gerade auch im Alten Testament vor uns ausgebreitet liegt. Die Auflagen gingen nicht so schnell in die Höhe wie beim Neuen Testament, der Preis war ja auch höher, aber auch hier mußten bald weitere Auflagen gedruckt werden; sogar bei der Gesamtbibel war die erste Auflage von 20000 überraschend schnell vergriffen (es geht jetzt in die 60 000). Inzwischen haben manche andere ähnliche Versuche gemacht, wenigstens das Neue Testament dem Menschen unserer Zeit nahezubringen. Für das Alte Testament ist es wohl bisher bei den Vorarbeiten geblieben. Das Ganze hat gezeigt, wieviel größer die Sehnsucht auch in unseren Tagen ist, einen neuen Zugang zur Bibel zu finden. Das ist eins der guten Zeichen der Zeit, daß neben der wachsenden Gottlosigkeit und der völligen Abkehr von Gottes Wort doch viele Tausende sich dankbar freuen, wenn sie zum Alten und Neuen Testament einen neuen Zugang finden. Der Verlag ist mit mir dankbar, daß zum Beispiel manche Pfarrer Brautleuten diese neue Übertragung des Neuen Testamentes in die Hand geben und Pfarrer und Lehrer das Neue Testament beim Unterricht verwenden, auf jeden Fall viele Tausende neu angefangen haben, die Bibel zu lesen. Für Zeit und Ewigkeit kann uns Menschen nur geholfen werden, wenn wir die Bibel lesen, verstehen und ausleben. Gerade in einer Zeit, in der auf der einen Seite eine falsche und ehrfurchtslose Bibelkritik vielen der Leser den Weg zu diesem Buch der Bücher verbaut, ist es mir eine Freude, daß ich mithelfen durfte, den Zugang zum Worte Gottes für viele freizulegen. Ich werde wohl bis an mein Lebensende dabei bleiben, hier weiter zu feilen und zu verbessern, aber ich kann nur danken und dem Herrn der Bibel die Ehre geben, der solch einen Auftrag gab und bei der Erfüllung des Auftrages durch seinen Geist half. Es ging und geht mir wie dem Psalmisten, der bezeugt hat: »Ich freue mich über dein Wort als einer, der auf eine große Beute stößt« (Psalm 119,162). An dieser Stelle sei das Urteil von Bischof D. Lilje angefügt. Er schrieb es zu meinem siebzigsten Geburtstag in seinem »Sonntagsblatt«. Schon die Überschrift »Dolmetscher für Selbstleser« ist völlig richtig gewählt. Gerade das wollte ich, den Selbstlesern helfen, das Wort besser zu verstehen. Er schreibt: »Er hat selber darüber berichtet, wie er nach einer reichen Wirksamkeit als Erbauungsschriftsteller zu der Übersetzung des Neuen Testamentes und später audr der ganzen Bibel kam. Der Buchhändlerische Erfolg dieser Übersetzung, die inzwischen fast die Zahl vierhunderttausend erreicht hat, läßt aufhorchen. Aus den Kreisen der Erweckung ist immer wieder das Verlangen nach einer zeitgemäßen Verdeutschung der Bibel hörbar geworden, denn die Erweckten liebten Gottes Wort und wollten es genau kennen. So sind manche Übersetzungen entstanden, die heute nicht mehr sehr weit bekannt sind - Thimme, Wiese, und vor allem Menge. Als Hans Bruns seine Arbeit begann, war offensichtlich noch einmal die Stunde dafür reif. Aber der Erfolg seiner Übersetzung erklärt sich nicht nur daraus, daß die Leser das Empfinden hatten, hier das Bibelwort in einer verständlichen, auf die Gegenwart bezogenen Sprache zu hören; ein besonderer Zug der Brunsschen Übersetzung ist ihre sehr eingängige Aufteilung in Sinnabschnitte, mit hilfreichen Teilüberschriften und knappen erläuternden Anmerkungen. Hier nahm Bruns die Methode wieder auf, die einst (1912) von der Stuttgarter »Jubiläums-bibeh geübt war; sie hat, so sehr sie damals geschätzt wurde, ihre Zeit gehabt. In derartigen Erläuterungen steckt eine ganze Theologie, in der Übersetzung eine ganze Exegese. Wieviel von beiden erforderlich ist, das wird von den Unkundigen fast immer unterschätzt. Weil in der Übersetzung das Ganze der heutigen exegetischen Erkenntnis zum Vorschein kommen muß, darum ist der Versuch einer Bibelübersetzung so selten unternommen und noch seltener gelungen. Wer eine Ahnung davon hat, wie viele umwälzende Einzelerkenntnisse und grundsätzliche Einsichten der Exegese in den beiden letzten Jahrzehnten zugewachsen sind (Qumran!), der würde wohl nie den Mut zu einer solchen Arbeit finden. Aber Hans Bruns hat es in der Unbekümmertheit des Glaubens gewagt. Daß eine solche Arbeit auch kritischen Stimmen begegnet, ist nicht verwunderlich. Der Exeget, der die strengen Maßstäbe seiner Fachwissenschaft anlegt, wird manches für ungenügend erklären. Aber was würde es nützen, einen schwerfälligen Text zu liefern, der mehr korrekt als verständlich ist? So ist zum Beispiel die Forderung, jede (um des Sinnes willen vorgenommene) Abweichung vom strikten Wortlaut des Textes auch im Druck kenntlich zu machen, durchaus nicht überzeugend; das führt nur zu einem schwer oder gar nicht lesbaren Text. Was nun die Erläuterungen in der Bibelübertragung von Bruns angeht, so wird naturgemäß nur der sie unbefangen hinnehmen, der die theologischen Voraussetzungen des Verfassers teilt. Aber für den Großteil der bibellesenden Gemeinde, die ja nicht ständige kritische Auseinandersetzung sucht, sondern Verständnis der Heilswahrheit, sind solche Erläuterungen, die nicht nur textkritische Hilfe, sondern Hinweise auf die Glaubenswahrheit bieten, sehr vonnöten. Die Brunssche Übersetzung ist nicht für den Kreis der Fachgelehrten geschrieben, sondern für den in der Welt lebenden Christen, dem das Wort Gottes »seines Fußes Leuchte< sein soll. Wie aber kann es je »mündige« Christen geben ohne intensive Kenntnis der Heiligen Schrift? Gott weiß, daß wir diese »Selbstleser« der Bibel, wie Kähler zu sagen pflegte, bitter nötig haben.« Pia desideria heute So nannte der »Vater des Pietismus«, J. Ph. Spener, seine »frommen Wünsche«, besser seine »heiligen Forderungen« im Blick auf die damalige Kirche. Im Jahre 1937 schrieb ich eine Biographie dieses »Reformators nach der Reformation«. Kein Geringerer als Professor K. Heim schrieb ein ernstes Vorwort dazu und bekannte sich zu Spener und seinem Anliegen vor aller Öffentlichkeit. Aus dieser Schrift sei der letzte Absatz an den Schluß dieser Selbstbiographie gestellt. Nur eins sei vorher noch ausgesprochen, weil es in einem Lebensbericht von mir nicht fehlen darf; es ist kennzeichnend für mein Leben, daß ich stark politisch interessiert gewesen bin und bleibe. Nicht zufällig hängen neben den vielen Bildern von Männern und Frauen des Reiches Gottes über meinem Schreibtisch auch Photographien von Männern des politischen Lebens, zum Teil mit eigenen Unterschriften dieser Männer. Das Interesse hat sich einmal in der regelmäßigen Fürbitte gerade für die Menschen des öffentlichen Lebens gezeigt, und wahrlich nicht nur für die unseres Volkes. Auf meinen Gebetszetteln, die mir helfen sollen, in der Fürbittearbeit möglichst wenige zu vergessen, stehen viele Politiker aus West und Ost voran! Es zeigt sich auch darin, daß ich gern die Nachrichten am Tage höre oder Zeitungen lese, und zwar betend, das zeigt sich darin, daß ich auch in meinen Predigten und Bibelstunden nicht selten gerade auch auf die politischen Zusammenhänge hin-weise und sie vom Worte Gottes her beleuchte (darin bin ich nach Meinung mancher je und dann sogar zu weit gegangen). Ich bin der Meinung, daß Christen an all diesen Fragen nicht gleichgültig Vorbeigehen dürfen, sondern mitverantwortlich sind auch für die Entwicklung all der politischen Dinge. Zwei Worte, auf Postkarten gedruckt, stehen seit Jahren auf meinem Bücherbord: »Wer Fürbitte tut, nimmt teil an der Weltregierung Gottes« (Tholuck). »Deus et in satana agit, das heißt Gott wirkt auch im Teufel« (Luther). Sie kennzeichnen auch in etwa diese meine Haltung zu den politischen Fragen. Daß dahinter Worte der Bibel stehen, die mich dabei leiten, wird sofort klar, wenn ich etwa an Jer. 29 denke »suchet der Stadt Bestes« und an 1. Tim. 2. 1 ff., wo Paulus gerade auf die Fürbitte für die politischen Leute hinweist. Und doch: das alles tritt zuletzt völlig in die zweite Linie. Es geht mir um die Sache des Reiches Gottes und den Bau der Gemeinde Jesu, gerade auch in unserer Zeit. Darum mag das Ganze ausklingen in diese pia desideria für unsere Tage! Was ich 1937 schrieb, ist noch heute meine Hoffnung und mein Anliegen. Es heißt dort unter anderem: Es darf nicht so bleiben, daß wir uns mit der »noch« herrschenden Kirchlichkeit beruhigen und die Augen vor der ungeheuren Entfremdung unseres Volkes von Kirche und Christentum verschließen. Es darf nicht so bleiben, daß wir für das alles die Schuld in der politischen oder weltanschaulichen Entwicklung seit eineinhalb Jahrhunderten suchen und nicht auch eine Riesenschuld bei uns selbst finden. Es darf nicht so bleiben, daß die »Kirchengemeinden« auch in der Anrede der Predigt als gläubige Gemeinden angesehen werden. Es darf nicht so bleiben, daß man sich doch wieder mit der gottesdienstlichen Verkündigung meist nur eines Predigers begnügt, auch wenn sie hier und da durch Bibelstunden oder Gemeindeabende ergänzt wird. Es darf nicht so bleiben, daß man wohl um lehrmäßige Klarheit ringt, die evangelistische und erweckliche Predigt meist aber viel zu sehr zurücktreten läßt und vielleicht gar als pieti-stisch und methodistisch abtut. Es darf nicht so bleiben, daß man das geistliche Priestertum aller Gläubigen nur theoretisch anerkennt oder herzensmäßig wünscht, in der Praxis aber kaum Emst damit macht und auch nicht machen will. Es darf nicht so bleiben, daß unsere Kirche doch mehr oder weniger als Pastorenkirche erscheint, die praktische Mitarbeit aber der »Laien« kaum gewünscht und die Pflege wahrer Gemeinschaft unter dem Wort nur wenig geübt wird. Es darf nicht so bleiben, daß man die Ausbildung der angehenden Gemeindepastoren einseitig auf den theologischen Fakultäten mit ihrer Überbetonung wissenschaftlicher Bildung geschehen läßt und darüber die Prüfung der inneren Eignung viel zu sehr versäumt. Es darf nicht so bleiben . . ., so könnte ich fortfahren und Sorgen und Nöte aussprechen. Das alles geschieht aus Liebe zur Volkskirche mit ihren großen Missionsaufgaben, aus Liebe zu unserem Volk, dem diese Kirche sich verpflichtet weiß, vor allem aus Liebe zu Jesus und seinem Evangelium, ohne das keine Rettung für Zeit und Ewigkeit möglich ist. Die Gedanken eilen weiter .. ., zumal die ganze weithin so notvolle kirchliche Arbeit geschieht in einer Zeit größter weltanschaulicher Auseinandersetzungen rings um uns her. Von ganzem Herzen freut man sich über jede biblisch-gläubige Arbeit in Kirche und Freikirche, in den Gemeinschaften und Bünden, wo sie auch geschehen mag. Von ganzem Herzen freut man sich über jedes Jahr, in dem die Botschaft von dem lebendigen Christus noch weitergegeben werden kann. Im tiefsten Herzen schmerzt es aber, wenn die Zeichen der Zeit doch nicht klar genug erkannt und darum die Möglichkeiten nicht völlig genug ausgenutzt werden. Im tiefsten Herzen schmerzt es auch, wenn so viel Verkürzung und Verengung der Botschaft und so viel Verkrampfung in ihrer Verkündigung zu finden ist oder auch wenn in dem berechtigten Kampf um die Wahrheit mancherlei Fanatismus und Blindheit ohne die rechte Liebe sich auswirkt. Es sollte so sein, daß bei allen eine heilige Unzufriedenheit mit dem Erreichten lebendig wird. Es sollte so sein, daß auf allen Seiten eine ehrliche Beugung unter die eigene Schuld stattfindet. Es sollte so sein, daß alle sich zur gegenseitigen Befruchtung zusammenschließen. Es sollte so sein, daß jede Illusion über den Zustand unserer Gemeinden in Volks- und Freikirche überwunden und aufgegeben wird. Es sollte so sein, daß jede Predigt, wenigstens im öffentlichen Gemeindegottesdienst, auch evangelistische Klänge in sich birgt. Es sollte so sein, daß jede »Amtshandlung« auch ein Locken zu Jesus und ein Hinführen zum Glauben wird. Es sollte so sein, daß vielfach Gelegenheit geboten wird, wirkliche Gemeinschaft unter dem Wort Gottes zu haben. Es sollte so sein, daß alle geistlichen Menschen zu den mannigfachen Diensten am Wort hinzugezogen werden. Es sollte so sein, daß in den gemeinsamen Stunden der Austausch der Erfahrungen gepflegt wird. Es sollte so sein, daß regelmäßig auch dem gemeinsamen Gebet Raum gegeben wird. Es sollte so sein, daß die gegenseitige Hilfe aller als selbstverständlich erkannt und mit Freuden begrüßt wird. Es sollte so sein, daß keiner zum besonderen Dienst in einer Gemeinde berufen wird, wenn er nicht - seiner Führung gemäß - eine klare Entscheidung für Jesus getroffen hat. Es sollte so sein, daß bei der Vorbereitung auf diesen Dienst alles auf die praktische und vor allem auch seelsorgerliche Arbeit in der Gemeinde ausgerichtet wird. Es sollte so sein . . ., wieder könnte ich so fortfahren. Der Geist Gottes will viel mehr, als wir jetzt haben. Der Geist Gottes will klare Entscheidung für Jesus. Der Geist Gottes will dankbare Gemeinschaft unter Jesus. Der Geist Gottes will frohes Leben mit Jesus. Der Geist Gottes will verantwortungsvolle Gemeindekerne durch Jesus. Der Geist Gottes will Erweckung, Belebung, Vertiefung. Der Geist Gottes will Bekehrung, Heiligung, Hoffnung. Jesus selbst hat einst seine Gemeinde gegründet und gelehrt. Jesus selbst hat diese Gemeinde durch alle Zeiten der »Kir-chen«geschichte hindurchgeführt und erhalten. Jesus selbst will diese seine Gemeinde weiter bauen und fördern. Auch Kirchen formen und Kirchen Ordnungen sind dazu nötig. - Sie aber werden vergehen. Das Entscheidende ist, daß wirklich Menschen für Jesus gewonnen und Menschen in ihm befestigt werden. Das Entscheidende ist, daß in der Arbeit wirklich Menschen durch Jesus gerettet und gefördert werden. Das Entscheidende ist, daß diese zu Jesus gerufenen Menschen auch in ihm zusammengeschlossen werden. Das Entscheidende ist, daß dann alle als eine Schar von Jesusmenschen in der christuslosen Welt ihre heilige und schöne Aufgabe erfüllen. An Gott und Jesus liegt es nicht, wenn es unter uns nicht lebendiger ist und wird. Der Heilige Geist ist da, um auch unter uns die Gemeinde Jesu zu bauen. Eine »Reformation an Haupt und Gliedern« hat uns Gott in unserer deutschen Geschichte geschenkt. Es liegt allein an uns, zumal in dieser entscheidungsreichen Zeit, ob wir diese Reformation neu wollen und anpacken. Zum Verzagen ist kein Grund vorhanden. Alles falsche Klagen fruchtet nichts. Die Dinge sehen, wie sie sind, die Arbeit Gottes verstehen, wie er sie tat und haben will. Froh mit der Wirklichkeit des lebendigen Herrn rechnen und dankbar sein nie versagendes Evangelium verkündigen. Das sind die Gebote der Stunde. Wir dürfen siegesgewiß an diese Arbeit gehen. Der Sieg gehört dem lebendigen Herrn Jesus Christus! Anhang: Seelsorgerliche Briefe meiner Frau Drei entscheidende Fragen einer gesegneten Seelsorgerin (Eine Erinnerung) 1934 kamen wir nach Marburg. Uns wurde eine große Etage zur Wohnung gegeben. Ich war so froh, daß nun keine Gemeinde mehr an mir »zerrte« und kein Riesengarten bestellt W’erden mußte. Ich war ganz frei für die Familie. Wir wohnten im zweiten Stock. Da geschah es nach etwa einem Vierteljahr, daß mich die Eingeschlossenheit der Etage mit aller Macht überfiel. Es gab kein Stück Erde, in das ich meine Hände stecken konnte. Über uns wohnten Menschen, die nicht gestört sein wollten, unter uns wohnte eine Professorenfamilie, die wir möglichst auch nicht stören wollten. Und doch war die große Familie da, fünf Kinder, die durch die großen Pfarrgärten in Freiheit aufgewachsen und nun »eingesperrt« waren, nicht nur von oben und unten, sondern auch noch durch meine dauernden Mahnungen: »Seid still, seid still . . .!« Ich wurde nervös und fing an zu weinen, ja, weinte und weinte. Mein Mann war fast verzweifelt, er kannte mich so nicht, und wir suchten, eine Möglichkeit zum Bauen zu finden. Aber wir hatten kein Geld, und es war auch niemand da, der uns das Geld leihen konnte. Um Ostern machte ich mich mit allen fünf Kindern auf die Reise in meine Heimat, nach Norddeutschland, um etwas Abstand zu bekommen, aber als wir zurückkamen, war alles wie vorher. Da kam im Sommer eine Einladung nach Mrodschen (in der Nähe von Bromberg) auf ein großes Gut. Wir durften die drei großen Jungen mitbringen. Sofort entstand in mir der Wunsch, von da aus meine liebe alte Seelsorgerin Maria Voss zu besuchen. Sie wohnte nicht weit von Breslau. Und mein Mann erfüllte mir den Wunsch. Ich fuhr hin. Es war eine weite Reise von Pommern nach Schlesien, aber es war so richtig. Meine alte mütterliche Freundin lag todkrank und konnte mich nur kurz empfangen. Aber sie hörte den Bericht über meine Not mit der Etage an und stellte dann nur drei Fragen: »Ist es Gottes Weg, daß ihr nach Marburg kamt? Ist es Gottes Weg, daß ihr in die Etage kamt? Willst du Gottes Weg gehen? - Es kommt nicht darauf an, daß er schwer ist!« Mit diesen drei Fragen wurde ich in den Garten hinausgeschickt. Die beiden ersten Fragen konnte ich sofort bejahen, zu der dritten mußte ich Stellung nehmen: Gottes Weg war also die Etage, und Gottes Weg wollte ich gehen. Nach gründlichem Durchdenken aller Konsequenzen sagte ich »ja« zu der Etage. Von da an wurde ich ganz froh. Die Last war weg, nie mehr später hat mir die Etage eine Last bedeutet, und wir wohnten bis 1962 im zweiten Stock nicht nur mit sechs Kindern, sondern dazu noch mit Haustöchtern und viel Besuch. Die eingefahrenen Spuren, der »breite Weg« bei uns Christen (Ein seelsorgerliches Wort an Gläubige) Wir wissen sehr viel. Wir wissen, daß wir nicht lügen und stehlen sollen, wir wissen, daß wir den Nächsten lieben sollen wie uns selbst, wir wissen, daß wir Gott unseren Vater nennen dürfen und nicht sorgen sollen, wir wissen, daß wir nur anvertrautes Gut haben und keine Besitzer sind - wir wissen - wir wissen. Wir wissen auch, daß dieses Wissen zum Tun werden soll und, da wir Jesus Christus kennen, auch zum Tun werden kann. Aber die Spuren sind so eingefahren, daß wir, eh' wir uns versehen, wieder drin sind in der alten Unehrlichkeit und Lieblosigkeit, im Sorgengeist und Recht auf Besitz. Als wir gläubig wurden, wurden wir herausgerissen aus den eingefahrenen Spuren, merkten aber schnell, wenn wir wieder hineinrutschten, litten darunter und bereuten es. Aber so allmählich schliffen sich die scharfen Ränder der Spuren ab, der Rutsch war nicht mehr so plötzlich und wurde immer sanfter, so nach und nach ebnete sich die Spur ein; es entstand, unbemerkt von uns selbst, der »christliche breite« Weg. Und nun sieht die Sache in vielen Fällen so aus: Wir hören eine Wahrheit, sie trifft unser Herz mehr oder weniger, wir fangen an, viele Gedanken darüber zu haben und darüber zu sprechen. Wir erbauen uns an unseren eigenen Erkenntnissen und sind fromm geworden in einem Sinn, der anderen einen faden Geschmack auf die Zunge bringt. Wir wissen - und wissen, daß wir tun sollten, daß wir sein sollten, aber zum Tun kommt es in vielen Fällen nicht. Wir aber täuschen uns selbst, als ob unser Wissen Tun ist. Wir fragen uns oft, warum unser Zeugnis so wenig wirkt - und unsere Taten sprechen lauter als unsere Worte. Unser Bewußtsein gehört Christus und unser Unterbewußtsein ist unser Eigentum geblieben. Wir sagen wohl: Christus lebt in mir, aber in Wahrheit lebe ich selbst in mir und aus mir. Und dieses Ichleben ist fade und sauer für die anderen. Wir rufen die anderen vom breiten Weg zurück und merken nicht, daß wir selbst auf einem »christlich-getarnten« breiten Wege sind. Wie kommen wir da heraus? Zunächst gehört dazu ein ganzes wirkliches Stillwerden, und der einfache Mut, uns selbst ehrlich ins Gesicht und ins Herz zu schauen, die eingefahrenen Spuren zu entdecken und sie als falsch anzuerkennen. Dann ist wirkliche Reue nötig und ein Wiedergutmachen vor Menschen, wo Gott es zeigt. Dann den Punkt oder die Punkte fest im Auge behalten und auf der Hut sein, das heißt wachen! Wenn es dem Feind so oft gelungen ist, uns bei bestimmten Dingen ins Rutschen zu bringen, wird er es so lange weiterversuchen, bis wir ernstlich bereit sind für den neuen Weg. Wenn wir nicht mehr auf ihn eingehen, wird er das Feld räumen. Und das alles, jedes Stück dieses Weges ist lauter Gnade. Gottes treue Arbeit an unserer Umbildung in sein Bild Es ist uns oft im Kopf klar, daß uns alle Dinge zum Besten dienen. Aber bis wir das Stück um Stück in der Praxis lernen, das dauert wohl bis an unser Lebensende. Gott führt nämlich immer neue Dinge herauf, an denen wir es lernen, damit er uns von seiner Zusage überzeugen kann. Ich merke immer wieder, wie tief in uns Menschen die Vorstellung sitzt, daß alles, was glatt und »glücklich« geht, unser Glück ist. - Wir sind meistens sofort bedrückt, wenn nicht alles glatt geht. Wir vergessen den Kampf, den uns der Teufel angesagt hat, und wir vergessen die Hartnäckigkeit unserer alten Natur. Wie dankbar bin ich dafür, daß Gott mich mit seinem Wort (meist ist es ein bestimmtes Wort, das mir ins Herz fällt) »herausholt« und den göttlichen Weg zeigt. Wir meinen ja, daß dauernde Harmonie das Glück wäre. Dahinter steht tief verborgen der Gedanke von unserer und der anderen »Vollkommenheit«! Aber wenn wir wollen, daß Gott mit uns weitergeht und unser Wesen in sein Bild umgestaltet (und wir bitten ihn sogar darum), dann muß er uns unser eigenes Wesen und das der anderen zeigen. Und das geschieht eigentlich meist durch »Katastrophen« oder wie man es nennen will. Ich will es Dir praktisch erklären, damit es ganz deutlich wird. Vater und ich hatten vor ein paar Tagen eine »Differenz« über ganz kleine Dinge. Wir gingen zur Ruhe, sprachen darüber und beteten auch, dann wollten wir einschlafen. Aber in meinem Herzen saß noch etwas, ich konnte nicht recht schlafen und quälte mich. Ich wollte einerseits wohl meine Schuld sehen, aber ich war auch noch nicht davon los, Vater Vorwürfe zu machen. Dann habe ich Gott immer wieder um Gnade zur Buße gebeten und dabei gemerkt, wie hart mein Herz ist. Morgens kam Vater und sagte freundliche Worte und war lieb, dann habe ich einfach gesagt, was in meinem Herzen alles war: Gekränktsein, Empfindlichkeit, Selbstmitleid, nicht zuletzt Rechthaberei und Hochmut. Ich habe einfach die Dinge beim Namen genannt, die Gott mir zeigte. Und dann konnte ich wieder recht beten, ja, dann wurde mein Herz wieder froh, und es war alles wieder gut. Ich kann nur dafür danken, daß Gott mich ge-demütigt hat. Nur darin ist Hilfe. Wir sind ununterbrochen in der Gefahr, »vollkommen« sein oder scheinen-zu wollen, weil wir auch Vorbilder sein wollen. Der Teufel verdreht uns das so leicht im Herzen. Es geht nicht um Fehlerlosigkeit (das führt immer zur Heuchelei), sondern um die Bereitschaft, immer tiefer das eigene Herz zu erkennen, immer wieder Gott Recht zu geben, immer neu vom »Thron der Selbstgerechtigkeit« herunterzusteigen und immer wieder diesen »Sterbensweg« zu gehen. Ich habe gefunden, daß das wirklich ein Sterben bedeutet, darum kostet es auch so viel. Es ist merkwürdig, daß wir das nicht ein für allemal tun können, sondern daß Gott das ununterbrochen an uns tut, wenn wir unsere Einwilligung zu dem Weg gegeben haben. Der Heilige Geist arbeitet so. Darum sollten wir uns nicht so vor solchen Spannungen fürchten (leider tun wir es und möchten sie vermeiden), sondern einfach und kindlich hineingehen, wenn sie kommen. Und sobald Gott uns dann so weit hat, daß wir uns nicht mehr mit der Schuld des anderen aufhalten, sondern ganz allein bei der unseren bleiben, dann gibt es diese große Gnade, Buße tun zu können, und dann ist das Herz demütig, und dem Demütigen gibt Gott Gnade. Hilty sagt, ohne Leiden bleiben wir immer in der Mittelmäßigkeit. Darum muß Gott einem jeden sein Teil geben, damit wir nicht in dieser Mittelmäßigkeit bleiben. Wie er das macht und wann er das tut, das brauchen wir glücklicherweise nicht zu bestimmen. Er weiß den Weg am besten, auch wenn einer dabei Schmerzen in der Seele hat. Das sieht der andere meist nicht, darum täuschen wir uns so oft über das Wohlergehen des anderen. Du wirst es auch noch erfahren, daß man als Mutter oft den inneren Stand des Kindes im Herzen spürt, ob man es will oder nicht. Und so spüre ich euch in meinem Herzen. Beim Vater ist das anders; das kommt wohl daher, daß das Kind so direkt aus der Mutter hervorwächst. Es ist nun sehr wichtig, daß unser mütterliches Herz frei wird von Selbstmitleid für das Kind. Das sind oft harte kämpfe, aber wirklich helfen können wir Mütter nur in dem Maße, wie wir frei werden von dem eigenen Selbstmitleid und dem falschen Mitleid für das Kind. Gott hat das Leiden in diese Welt hineingestellt, und wir müssen aneinander, miteinander und füreinander leiden. Das ist auch ein Anteil an der Vaterschaft Gottes, wenn er uns solcher Leiden würdigt. Je freier unser Leid wird vom Selbstmitleid (das hat ja Gott nicht), um so besser können wir helfen und tragen. Aber um frei zu werden von diesem verborgenen Feind, muß es herausgeläutert werden, weil wir es so lieb haben und es so festhalten. Gott gibt uns nicht auf, so wollen wir uns selbst auch nicht aufgeben. - Und auf Gottes Weg gibt es auch immer unvorhergesehene Erquickungen. Deine Mutter Das Ja zum Leben (Ein Brief an alle Mütter) Es geht um das Ja zur Wirklichkeit, zur Wirklichkeit unseres ganzen Lebens mit all seinen alltäglichen und kleinen Dingen, und es gilt im besonderen ein Ja zu haben zu dem großen Kampf, in den wir hineingedrängt sind und der doch wieder für uns in kleinen Dingen besteht. Wir haben immer die Möglichkeit zu drei verschiedenen Einstellungen: 1. Wir können uns gegen vieles oder alles Geschehen in unserem Leben ablehnend verhalten. Die Folge ist Trauer, Verbitterung, Nervosität und so weiter. 2. Wir können gleichgültig und unbeteiligt danebenstehen. Dann verlieren wir unsere Seele und werden stumpf. 3. Die dritte Möglichkeit aber ist die, daß wir die Dinge, die an uns herankommen, willig hinnehmen, dann werden sie uns zum Gewinn, und wir werden anderen Menschen zur Hilfe. Das mag an ein paar Beispielen erläutert werden: nehmen wir das große Geschehen in unserer Zeit. Handeln wir nach der ersten Art, so stöhnen und klagen wir. Unsere Gesichter werden versorgt, unsere Gedanken sind in Auflehnung. Wir sehen überall die Hindernisse und Erschwerungen des Lebens. Wir stecken damit andere an und werden unseren Angehörigen zur Last. Oder wir gehen gleichgültig an all dem Großen und Schweren vorüber. Dann lösen wir uns aus der Volksgemeinschaft und der Gemeinschaft der Liebe. Welch ein Unterschied ist es, mit wem man spricht! Hört man nur Klagen über Einsamkeit, Arbeitsüberlastung und so weiter, so ist die Gefahr der Ansteckung sehr groß. Wenn ich aber das Ja zu allen diesen Dingen habe, bleibe ich vor dem Ansteckungsbazillus bewahrt, aber: wir sollen ja nicht nur bewahrt bleiben, sondern wir können anderen auch den Segen zeigen und anderen etwas davon vermitteln, wenn wir innerlich das Ja haben. Wir wollen hinweisen auf den lebendigen Gott, der alle Menschen und Dinge in der Hand hält. Dann sind wir im gewöhnlichsten Gespräch Segensträger. Einige von den Schwerpunkten der Zeit will ich noch beson- ders nennen: Sorge um die Verantwortungslast, die Erziehungsnot. Wenn wir uns gegen diese Not auflehnen und sträuben, gehen wir daran zugrunde. Dann folgen Tränen und schlaflose Nächte, gereizte Nerven und Aufregungen mit den Kindern und manche andere Schwierigkeiten. Nehmen wir diese Not aber willig an, als uns jetzt von Gott aufgetragen, dann können wir in ihr stehen und Gottes Leitung und Kraft, innere Ruhe und tiefen Frieden haben. Aber sehen wir noch einmal in unser alltägliches Leben hinein. Wie sind unsere Kinder? Sind sie nach unseren Wünschen, oder sind sie so ganz anders, als wir sie uns gedacht haben? Wir können uns wieder verschieden verhalten: Wir können den Wünschen nachhängen und dadurch die Kinder ungerecht behandeln und ihnen damit sehr wehtun, oder wir können sie eins wie das andere nehmen, wie sie sind, als Geschenke von Gott, als Gaben und Aufgaben. Nehmen wir sie in ihrer Wirklichkeit, dann wird es uns viel leichter gelingen, mit Liebe herauszufinden, was Gott in sie hineingelegt hat. Es gilt, alle hochfliegenden Pläne ruhig loszulassen und statt dessen horchen zu lernen auf die Seele der Kinder, auf das, was Gott mit ihnen vorhat. Es gilt, auch ja zu sagen zur Arbeitsüberlastung und zum Nichtfertigwerden! ja zu sagen zu den Menschen, die mit uns zusammengestellt sind! ja zu sagen zu den kleinen Dingen, mit denen wir täglich umgehen müssen. Jesus sagte ein völliges ja zu uns in unserer Sünde und Verirrung, zu allen Nöten des Leibes und der Seele, zu all den irdischen Unzulänglichkeiten. Wie hätte er uns sonst erlösen können! Nur da, wo er nein sagte, sollen auch wir nein sagen, zur Sünde. »Denen, die Gott lieben, dienen wirklich alle Dinge zum besten« (Röm. 8, 28). Das Christentum besteht nicht darin, daß wir viel wissen von Jesus und dadurch vielleicht sogar hochmütig werden, sondern daß wir die Erkenntnis, die er uns schenkt, im Alltag in die Tat umsetzen. Seine Kraft ist uns dabei gewiß zugesagt. - Gott segne uns alle und führe uns tiefer in die Verbindung mit ihm im Alltag. Das große Kapitel von der Liebe Wo man in die Schar derer, die Christen sein wollen, hineinsieht, das eigene Leben nicht ausgeschlossen, spürt man überall einen großen Mangel an Liebe. - Wir haben mancherlei Erkenntnisse und Erfahrungen. Wir können lebendige Predigten und Zeugnisse hören, aber immer wieder spürt man den Mangel an Liebe. Aber die Liebe, die warme, herzliche, die Bibel sagt »inbrünstige Liebe«, ist doch das einzige, an dem die Welt sehen kann', daß wir Gottes Kinder sind. Es ist fesselnd und interessant, einem Menschen zuzuhören, wenn er von seiner biblischen Erkenntnis spricht, es kann uns auch innerlich weiterführen, aber um wieviel stärker wird der Eindruck und die Wirkung, wenn die Liebe zu den Zuhörern aus den Augen spricht, auf dem Gesicht liegt. Wir sind alle so hungrig nach Liebe und Sonne. Wir wissen auch, daß wir Liebe geben sollen, aber merkt ihr nicht immer wieder, wie schwer uns Mensdien das wahre Lieben wird? Wie ist es denn mit unserer Liebe, wenn uns aus einem Gesicht Kritik und kühle Beobachtung entgegenblickt? Es geht ein großes Gericht über die Christen, Gott richtet uns, er deckt den Mangel an Liebe unter uns auf, um uns noch zu heilen und doch endlich noch brauchbar zu machen, machen zu können in seinem Dienst. Der ganze Schaden wird besonders deutlich an der Lieblosigkeit unter den Gotteskindern selbst. Da richtet einer den anderen, da beschuldigt einer den anderen. Wie soll die Welt da noch merken, daß Christus wirklich der Weltüberwinder ist? Dodr wir wollen bei einem ganz praktischen Punkt anfangen. Seit einigen Jahren beschäftigt mich besonders das Kapitel von dem Richten. Ich bitte einmal Matth. 7, 1-5 und Röm. 2, 1-5 aufzuschlagen und durchzulesen. Meine Gedanken sind immer wieder auf Römer 2 geführt worden: »Worin du einen anderen richtest, verdammst du dich selbst, weil du ebendasselbe tust, was du richtest.« Ich habe gedacht, wenn das in Gottes Wort steht, muß es doch richtig sein, und nun in meinem persönlichen Leben darauf geachtet, ob das wirklich in allen Fällen zutrifft. Und da ist es mir zuerst ganz deutlich geworden an der Ordnung. Man kann sich sehr leicht und schnell erheben über einen Menschen, dessen Unordnung offen zu Tage tritt. Wie leicht kommt ein aburteilender Gedanke, ein scharfes, falsch mitleidiges Wort über unsere Lippen. Aber bin ich in allen Stücken frei von Unordnung? Frage sich jeder selbst! Gott wird es schon zeigen, wenn ihr stillehaltet. In dem Augenblick nun, wo ich den anderen in seiner Unordnung auch nur innerlich verurteile, klage ich mich selbst vor Gott an (Römer 2, 3). Ja, in Vers 5 steht sogar: Du häufest dir selbst den Zorn auf den Tag des Gerichtes. Denn vor Gott ist es ganz gleich, ob ich offen oder verborgen, mehr oder weniger unordentlich bin. Und so ist es auf jedem Gebiet des menschlichen Lebens. Es gibt Menschen, die große Klatschbasen sind, und es sind solche, die im Verborgenen Dinge weitergeben. Es gibt Menschen, die unwahr sind in ihren Worten, und solche, die es in ihrem Wesen sind. Gott hat mir gezeigt, daß alle Sünde, die ich bei anderen entdeckte und sah, auch irgendwie von mir schon getan wurde und noch immer getan wird, zum wenigsten liegt in mir die Möglichkeit, dasselbe unter bestimmten Verhältnissen auch zu tun. Hier gilt überall Christi Wort: »Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein.« Das soll nun auf keinen Fall heißen, daß wir Lüge nicht Lüge, Hochmut nicht Hochmut, überhaupt Sünde nicht Sünde nennen sollen. Nein, wir sollen die Sünde verabscheuen und hassen, aber nicht (nur) bei den anderen, sondern zuerst bei uns selbst. Und wir haben keinen Grund, uns über irgendeinen Sünder irgendwie zu erheben. Wenn ich einen Menschen nicht mehr richte, komme ich in die rechte Haltung zu ihm. Die Haltung ohne Hochmut, die es überhaupt erst möglich macht, daß ich ihm diene und helfe. Dieses Nichtrichten ist der erste Schritt zur Liebe, aber die Liebe selbst ist viel, viel größer. Beim Nichtrichten bleiben wir sozusagen noch vor dem Nächsten stehen. Die Liebe selbst will sich betätigen, und da kommen die anderen Schritte, die wirklich auf den Nächsten zu gemacht werden. Da könnten wir viel anführen. »Vor allem habt untereinander eine inbrünstige Liebe.« Denkt einmal darüber nach, was das alles in sich birgt! Ich will nur einiges anführen: Einer achte den anderen höher als sich selbst; einer trage des anderen Last-sich gegenseitig ermuntern zu Liebeswerken, einander zurechthelfen, in Sanftmut füreinander eintreten vor Gott und Menschen und so weiter. Zur inbrünstigen Liebe gehört unbedingt noch das Vertrauen, das sidi iiidrt enttäuschen läßt, das tragen, heilen und verbinden kann. Ihr werdet sicher noch vieles andere finden. Lest nur dazu i. Kor. 13, von dem Weg, den Paulus uns als den köstlichen Weg zeigt. Die dritte, höchste Stufe der Liebe deutet uns Paulus in Galater 4,19 an. Das ist die priesterliche Liebe, deren höchstes Maß wir in dem Kreuzestod Jesu vor Augen haben. Christus neigt sich nicht huldvoll zu uns herab, sondern steigt auf unsere Stufe herunter, er wird für uns zur Sünde. Wo leiden wir so umeinander? Nun denkt ihr sicher: »Ja, das sollte alles so sein, aber dahin können wir nicht kommen.« Und nun lest einmal Johannes 17. Wie ist es das Herzensanliegen unseres Herrn, daß wir zu diesem Einssein, zu dieser Liebe kommen! Die Einheit kommt aber nie in Bausch und Bogen oder indem sie in größeren Kreisen anfängt, sondern sie kommt nur, wenn wir anfangen zu lieben bei dem Nächsten, der uns heute begegnet oder der uns täglich begegnet. Christus hat uns geliebt, als noch nichts Liebenswertes an uns war. Laßt uns diese unendliche Liebe, diese große Liebe Christi immer wieder anschauen, dann werden wir verklärt werden in dasselbe Bild Schritt um Schritt. Sich ärgern ist Sünde Heute wollen wir einmal nachdenken über eine Sache, die wir wohl alle kennen, die wir aber, wie viele ähnliche Dinge, oft nicht ernst nehmen, sondern sie als selbstverständliche, wenn auch unangenehme Beigabe zum täglichen Leben betrachten. Sie wird mit dem einen Satz angedeutet: »Ich habe mich geärgert!« Liegt in diesem kleinen Satz nicht der »Stachel« unserer menschlichen Gemeinschaft, ist er nicht der Quälgeist, der uns Tag um Tag verfolgt und uns das Leben schwerer macht als manches große Leid? Drei kleine Erlebnisse möchte ich voranstellen: 1. In einem Buch von Jungnickel las ich folgende kleine Geschichte: »Ich traf einen Lehrer. Er war schon lange nicht mehr im Dienst. Weißhaarig, vornübergebeugt, mit gütigen Händen und mit Augen, die den Himmel fühlten. Ein Mann, dem wohl alles nach seinen Wünschen gegangen war. Ich fragte ihn: »Haben Sie jemals etwas getan, daß Sie bis in die innerste Seele bereuten?' Er sah mich lange forschend an und überlegte. Dann wurden seine Augen seltsam traurig, und er sagte: »Als ich noch im Dienst war, hatte ich einen kleinen Schüler. Zehn Jahre war der Bengel alt. Ich sehe ihn noch heute vor mir. Karl Schröter hieß er. Der Junge hatte immer etwas Strahlendes. Er lernte ausgezeichnet. Eines Tages wurde nach Diktat geschrieben. Ich sah die Hefte durch. Karl Schröter kriegte eine glatte Eins. Ich reichte die Hefte zurück. Der kleine Schröter lächelte, ja, lächelte die ganze Zeit. Ich wußte nicht: war das Freude oder Spaß? Jedenfalls: ich ärgerte mich darüber und schrieb den Jungen ins Klassenbuch. - Und wie ich das getan hatte, da wurde der Junge still. Ein starrer, ernster Zug kam in seine Augen, und ich sah, wie die Augen wässerig wurden. Na, und was soll ich Ihnen sagen: Ich hatte mich fürchterlich geirrt. Der kleine Schröter hatte sich vorgestellt, wie er seiner Mutter die gute Note nach Hause bringen, wie er das Diktatheft vor der Nase seiner Mutter aufschlagen und wie sie glücklich über seine Leistung sein würde. Deshalb hatte er ge-lächelt. Sehen Sie: Als ich das erfuhr, da ging ein tiefer Schmerz durch meine Seele. Bis heute habe ich das nicht vergessen.'« 2. Bei mir sitzt ein lieber Mensch, der plötzlich aufseufzt und sagt: »Ach, wenn doch die schrecklichen Gedankensünden nicht wären!« Ich sah bei diesen Worten eine große Zahl von Gedankensünden vor mir aufsteigen: heimlicher Neid, Haß, Mißgunst und all den vielen Ärger. 3. Ein junges Mädchen klagte mir eine Ungeschicklichkeit ihrer Mitgehilfin in der Küche. Zuletzt sagte sie: »Daß Käthe die Suppe anbrennen läßt, ist ja nicht so schlimm, aber daß ich mich so über sie geärgert habe.« Da sah ich den Geist Gottes am Werk, der an dem Herzen dieses Mädchens arbeitete. Woher stammt eigentlich das Wort »ärgern«? Es hängt zusammen mit arg. Und der, der alles Arge in sich verkörpert, der Satan, wird in der Bibel »der Arge« genannt. Mit ihm steht tatsächlich all das Ärgern und Geärgertwerden zusammen. Er ist es, dem es Freude bereitet, irgendwie Ärgernis anzurichten. Wir möchten vielleicht sagen: »All diese kleinen Ärgerlichkeiten des Tages sollen so schlimm sein? Ist das nicht übertrieben?« Nein, das Ärgern ist uns nur so selbstverständlich geworden, daß wir es gar nicht mehr als das erkennen, was es ist, nämlich: als ein Stück Finsternis in uns. Wir werden zwar auf dieser Erde nicht sündlos, aber es ist doch für unsere ganze innere Entwicklung von entscheidender Bedeutung, ob wir gerade auch in diesem Punkt die Finsternis erkennen und uns von ihr abwenden und dem Licht zukehren. Ein Beispiel mag zeigen, wie der Ärger die Atmosphäre vergiftet und den Samen des Wortes Gottes verderben kann. Eine mir sehr gut bekannte Hausfrau hatte eine Haustochter. Sie war durch den Hochmut und Richtgeist der Gläubigen ihrer Heimatgemeinde abgestoßen, so daß sie am liebsten vor allem Christentum geflohen wäre. Nun war sie aber doch zu einer gläubigen Frau gekommen. Und Gott hatte es so wunderbar gefügt, daß sie an dem Christentum in ihrem Hause keinerlei Anstoß nahm, sondern allmählich merkte, daß auch sie nicht um eine Entscheidung herumkam. So gingen drei Viertel des Jahres hin. Das junge Mädchen schüttete ihr Herz aus vor der Hausfrau und besprach alles mit ihr. Es war eine feine Gemeinschaft zwischen den beiden sonst so ganz verschiedenen Menschen. Dann verreiste die Hausfrau. In der Zeit tat das junge Mädchen etwas, was die Hausfrau betrübte und - ärgerte. Und was geschah? Als die beiden wieder zusammenkamen, war das Vertrauensverhältnis wie abgeschnitten. Die Hausfrau war innerlich unfrei dem Mädchen gegenüber, das Mädchen dagegen war verschlossen, obgleich man ihr anmerkte, daß sie gern alles geordnet hätte, sie konnte aber nicht, weil sie den »kalten« Geist bei der Hausfrau merkte. So entstand eine Atmosphäre im Haus, daß es keinen Tag ohne Not gab und der Hausherr das Mädchen fast fortgeschickt hätte. Mehr und mehr aber sah die Hausfrau, daß ihr Ärger entscheidend schuld war an dem traurigen Verhältnis. Sie litt darunter, daß sie nicht einmal traurig sein konnte über den Ärger, ja, daß sie innerlich immer bei dem Anklagen gegen die andere stehenblieb. Schließlich bat sie Gott um Gnade zur Buße. Gott erhörte ihr Gebet und zeigte ihr die Sünde des Ärgers in ihrer ganzen Tiefe, so daß ein rechter Abscheu vor jeglichem Ärger in ihr geweckt wurde. Und nun kam das Gebet: »Herr, gib mir noch einmal das Vertrauen dieses Menschenherzens zurück, das ich mir verscherzt habe.« Die Not um die Verantwortung für die andere wurde wach. Es dauerte einige Wochen, dann wurde das Mädchen ernstlich krank. Die Hausfrau pflegte es mit Liebe ohne Ärger. Als die Genesung kam, sagte das Mädchen eines Tages: »Ich habe wohl gemerkt, daß Sie sich über mich geärgert haben.« Da kam eine große Freude in das Herz der Frau, und sie bat um Verzeihung wegen dieses Ärgers. Da brach es aus dem Herzen des Mädchens heraus: »Nein, ich bin schuld, ich habe Sie betrübt.« Da waren sie zwei geworden, die ihre eigene Schuld vor Gott sahen, und alles wurde wieder neu. Aller Schutt war hinweggeräumt, das Verhältnis entstand in neuer Frische (Die Hausfrau war ich selbst). Wenn wir mit offenen Ohren in die Bibel hineinhorchen, dann werden wir bald merken, daß aller Ärger unter das Gericht Gottes gehört. Und da wir so mit der Sünde verflochten sind, muß dieses Sichärgern immer wieder unter das Gericht Gottes gebracht werden, zumal es nach außen hin so verheerend wirkt, daß der andere auch das Wort Gottes oft nicht mehr von uns annimmt. Da aber dürfen wir uns von ganzem Herzen freuen. Es heißt: »So wir unsere Sünden bekennen, so ist er treu und gerecht, daß er uns unsere Sünde vergibt« (l. Joh. l, 9). Oder in einem anderen Wort desselben Briefes: »So wir im Licht wandeln, wie er im Licht ist, so haben wir Gemeinschaft untereinander« und »das Blut Jesu Christi, seines Sohnes, macht uns rein von aller Sünde« (1. Joh. 1, 7). Wie gut haben wir es doch, daß wir diese Vergebung Jesu hinnehmen dürfen. Das sollte unser Herz mit großer Dankbarkeit erfüllen und uns anspornen, dem Geber solcher Vergebung von ganzem Herzen zu dienen. Um das Ärgernis des Kreuzes wird kein Mensch je herumkommen. Aber hüten wir uns, durch eigenes Ärgern die Botschaft des Kreuzes zu verderben! Brief an eine Mutter, die in großer Sorge ist um ihr Kind Ja, wie gut kann ich Deine Not und Deinen Schmerz verstehen! Ich habe neulich gedacht, wenn wir Christen nicht solche Schmerzen zu leiden hätten um ein Kind, dann hätten wir keine Ahnung von den Schmerzen Gottes um all die vielen verlorenen Kinder. Wer noch in seinem Herzen nichts ahnt von den tiefen Schmerzen um einen lieben Menschen, der hat auch noch keine Ahnung von dem Jammer, der Jesus erfaßte, als er die Stadt Jerusalem sah und anfing zu weinen. Aber was mir in letzter Zeit dabei klarwurde, ist das wirkliche Danken für jeden Druck. Wie wenig würden wir umgestaltet werden in das Bild Jesu Christi, wenn wir nicht gedrückt würden und uns nicht allerlei Leid überkäme. Ich bin da erst in den Anfängen, aber ich übe mich darin, für jeden Druck zu danken, auch wenn ich es nicht verstehe, warum er kommt und was er im einzelnen bedeutet. Das Danken bekundet vor uns selbst und vor Gott, daß wir einverstanden sind mit dem, wie er uns führt. Ich war jetzt wieder länger krank und habe viel liegen müssen. Da ging es mir auf, wie wenig wir von der Liebe Gottes erfassen, die uns im Grunde doch nur helfen will, von uns selbst loszukommen. Wir werden so leicht mißtrauisch gegen Gott und sind verzagt, wenn Druck und Leid kommt. Wenn wir es aber lernen, den uns gewiesenen Weg zu gehen, und dabei unser Herz auszuschütten vor ihm, ja ihn bitten, daß er selbst die Sache in die Hand nimmt, dann kommt Friede und Trost und Ruhe ins Herz, ja, es kommt sogar Mut und Freude. Daß solch ein Beten aus der Tiefe nicht »zwischen Tür und Angel« geschehen kann, sondern daß es ein Ringen ist mit dem eigenen Unglauben und Verzagen, ist selbstverständlich. Ich meine sogar, daß solche Gebete eigentlich nur in der Nacht gebetet werden können, vielleicht nur vom eigenen Krankenbett aus! Dabei muß die Seele ganz allein auf Gott ausgerichtet werden, ungestört von irdischen Dingen. Sie braucht Zeit, bis sie alles ausgebetet hat, bis gleichsam alles ausgeatmet ist. Es kommt mir solch ein Beten vor wie das Ausatmen von Giftstoffen. Wir sind oft geneigt, Dinge, die unseren Kindern scheinbar helfen, als gut anzusehen, auch wenn sie vor Gott gar nicht gut sind. Wir stehen immer wieder in der Gefahr, das zu tun. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Wir müssen dann immer neu zu Gottes Urteil über die Dinge zurückfinden. Das ist nicht leicht, aber das ist nötig, auch wenn es uns wehtut und zunächst gar nicht einleuchten will. Eine andere Frage ist, ob wir in solchen Fällen richten dürfen oder gar verurteilen. Dazu haben wir kein Recht. Wir werden liebhaben müssen, aber im Urteil über die Sünde, die im einzelnen vorliegt, dürfen wir nicht irre werden, selbst wenn oder gerade weil wir den Sünder »nur« lieben müssen. Ein Drittes ist, daß in den meisten Fällen dieser Art viel Geduld nötig ist. Wir werden die Dinge, wie sie sich entwickeln, oft gar nicht oder wenigstens vorerst nicht ändern können, sondern müssen schmerzhaft Zusehen, wie es läuft ... Im Gegenteil, je mehr wir versuchen, die Dinge zu ändern, um so mehr pflegen die Menschen sich dagegen zu wehren, und dann wird es immer schlimmer . . . Aber was bei Menschen unmöglich ist, ist ja bei Gott möglich . .. Nur, wenn wir dann versuchen, unsere Hilfe allein auf Gott zu setzen, merken wir neu, wie gering unser Vertrauen auf ihn ist. Dann müssen wir unser ganzes Versagen erkennen, ja mehr, alle unsere Zweifel und unser Mißtrauen vor ihm bekennen. Vielfach werden uns die Sünden nur dann bewußt, wenn Gott uns in solche ausweglose Lagen führt! Je echter aber und je stärker unser Vertrauen wird, um so unverkrampfter und kindlicher können wir beten . . . Und unser Herz wird dann doch fröhlich und ruhig . . . Dieses Beten muß dann immer weiter gereinigt werden. Gott aber sieht das Herz an und weiß, wann er uns erhören kann. Er tut ja »alles fein zu seiner Zeit«, heißt es in der Bibel, und so ist es auch die Erfahrung. Es fällt uns sehr schwer, seine Zeit abzuwarten. Wer weiß das nicht aus eigener Erfahrung! Aber er hat tausend Möglichkeiten . . ., auch da, wo wir keinen Weg sehen. Wir möchten unsere Kinder vielfach behüten und sollen es ja auch tun, vor allem vor »Sünden und Schanden«. Aber Gott hat ein großes Ziel mit uns, daß wir seine Kinder und daß wir in sein Bild umgestaltet werden. Leider finden wir allermeist diesen Weg nicht, ohne daß wir selbst in Sünde verfallen, weil wir ja nur dann erfassen, wozu Jesus da ist . . . Darum kann es sogar so kommen, daß wir unsere Kinder in Sünde »hineinlassen« müssen . . . (Das ist jetzt sehr mißverständlich ausgedrückt, aber Du verstehst vielleicht, was ich meine.) Es ist für uns Eltern ein sehr schwerer Weg der Demütigung, vor allem, wenn die Kinder dann in das »Gerede« der Leute kommen. Aber was das für ein Mutterherz (aber wohl ähnlich für den Sinn des Vaters!) bedeutet, das weiß ich . .. Aber eins dürfen wir wissen, daß der lebendige Gott auch da ist, wenn unsere Kinder sich verirren, und wir dürfen wieder ihn anrufen, daß er ihnen das Herz aufschließt . .. Beten, beten .. . immer wieder schreien, daß er sein Werk an uns und an den Kindern weiter tut, das ist der Weg .. . Wir sollen weiter umgebildet werden, sie sollen wieder herauskommen aus ihren falschen Wegen ... Er will es ja, er wird es tun, selbst wenn wir es je und dann nicht mehr erfahren und es bis nach unserem Tode dauert. Er ist der Heilige, der uns reinigen will. Er ist die Liebe, die uns nie aufgibt . . ., auch unsere Kinder nicht. Er gebraucht die Mittel oft, die wir nicht verstehen, oft auch tiefe Demütigungen ... Es gilt nur, immer wieder einverstanden zu sein . . . Ich habe Dir einfach mein eigenes Herz ausgeschüttet ... Vielleicht ist es Dir eine Hilfe .. . Wir helfen betend mit.. . Hilfen bei der Arbeit des Heiligen Geistes Alle Mittel zur Hilfe sind in Jesus Christus selbst und in der Schrift enthalten. Gott selbst ist der Helfer und kommt uns durch sein Wort direkt und persönlich zu Hilfe. Er selbst spricht der Seele, und zwar jeder einzelnen persönlich das Wort zu, das sie braucht - wenn wir es nur lesen und hören. Sein Wort an uns ist Ermächtigung, nicht nur Forderung. Besonders deutlich und beispielhaft ist mir das immer am Gichtbrüchigen (Mark. 2). Wir müssen uns diesen Verkrüppelten, von Schmerzen geplagten Mann nur mal richtig vorstellen. Jahrelang lag er so, völlig ohnmächtig und auf die Hilfe der Freunde angewiesen. Da sagt Jesus: »Steh auf, nimm dein Bett, und geh heim!« War das nicht unmöglich? Hier wird deutlich, daß die Kraft zum Aufstehen und Gehorsam ihm zuströmte durch das Wort von Jesus. Genauso ist heute das Wort, das von Gott kommt, schöpferisch wie damals. Gott sprach - und es ward! Im Hören auf dieses schöpferische Wort können wir handeln, können wir Unmögliches tun. Wir erfahren es alle, daß uns solch ein kraft-und lebensspendendes Wort zu einem Tun bringt, das wir in eigener Kraft nie hätten vollbringen können. Wenn wir diesem Wort gehorchen, dann »geschieht« es in uns, an uns, dann schafft Gott das Wollen und Vollbringen. Die Bibel ist voll von solchen Hilfen und Verheißungen, wir können sie alle erfahren. Einmal wurde mir zum Beispiel das Wort lebendig: »Laß dich nicht das Böse überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem!« Da konnte mit einemmal das Böse, das mir von einem anderen täglich in kleinen Nadelstichen begegnet, hingenommen und dem anderen Liebe entgegengebracht werden. Das ist nichts, dessen man sich rühmen kann, sondern da steht man innerlich anbetend und demütig vor dem Wirken des Heiligen Geistes im eigenen Herzen. Die entscheidende Hilfe gibt Jesus selbst, indem er alle unsere Sünden auf sich genommen hat und wir uns täglich von ihm reinigen lassen. Je klarer das Licht des Heiligen Geistes in uns hineinleuchtet, desto deutlicher sehen wir, wie wir mit Sünde durchsetzt und unter die Sünde verkauft sind. Wie groß ist da die Freude und der Dank, wenn wir täglich und stündlich, ja, jeden Augenblick jede Sünde bringen dürfen, die uns überfällt. Er reinigt uns von aller Untugend. Und bei dieser Reinigung weist Jesus uns darauf hin, daß der andere uns im Namen Jesu von unserer Sünde lossprechen darf und soll. Daraus entsteht neue Gemeinschaft mit Gott und den Menschen. Da ist Freude im Himmel und unter den Gliedern des Leibes Jesu Christi. Wenn wir so im Gehorsam auf das uns ermächtigende Wort Gottes leben, geschieht das Wunder, daß Jesus mit dem Vater (nach Joh. 14,23) in uns wohnen wird, daß der Heilige Geist uns regiert und treibt. Und hier wird ganz deutlich, daß all die guten Früchte nur dem Heiligen Geist gehören, daß wir nur anbetend dabei sein können. Christus für uns, das ist unsere Erlösung, Christus in uns, das ist unsere Heiligung! Der Heilige Geist erzieht uns zu immer feinerem und pünktlicherem Gehorsam. Wir können ihn betrüben und dämpfen, aber er hört nicht auf, dann von dieser, dann von jener Seite immer wieder an denselben Punkt zu rühren. Eine letzte und stärkste Hilfe ist das Leiden, gegen das wir uns alle von Natur aus mit allen Fasern unseres Wesens wehren. »Wer am Fleisch leidet, der hört auf mit Sündigen« (i. Petr. 4, i). Wir alle kennen den Segen kleiner oder schwerer Krankheiten am eigenen Leibe. Wir begegnen Menschen, deren durch Krankheit und Leiden geläuterte Seele aus den Augen leuchtet. Darum, wenn wir auf diesen großen Gewinn sehen, können wir auch danken für Leid und Schmerzen. Gott geht mit uns allen solche zubereitenden Wege, damit wir fertig werden für die Ewigkeit, damit wir gelöst und bereit sind, wenn wir sterben. Er schafft es in uns und an uns, daß wir als ganz Befreite in die Herrlichkeit eingehen können. Er will uns dahin führen, daß wir von ganzem Herzen sagen können: »Nichts hab' ich zu bringen, alles, Herr, bist du!« Zuletzt ist dann noch das Allerheiligste: das Leiden um ]esu Willen. Das ist eine Gnade, die nur wenigen zuteil wird, eine Gnade, vor der wir uns fürchten. Paulus wurde schon bei seiner Berufung gesagt: »Ich will ihm zeigen, wieviel er um meines Namens willen leiden muß.« - Und wir sehen es in den Briefen, wie sich dieses Wort an ihm erfüllte. Phil. 2, 17 kommt er darüber zur Freude und fordert die Gemeinde zur Mitfreude auf. Wo Menschen um Jesu willen leiden, da leidet Christus in ihnen. Ganz deutlich wird das bei den ersten Märtyrern. Die Sklavin Perpetua bekommt ein Kind im Gefängnis und stöhnt und jammert, so daß ihre Mitgefangenen fragen, wie sie es ertragen wolle, wenn sie den gierigen Tieren vorgeworfen wird, wenn sie jetzt schon klage. Sie antwortete, daß sie jetzt als Mensch leiden muß, aber daß dann Christus in ihr leiden wird. Und als dann die schwachen Frauen den hungrigen Tigern vorgeworfen werden, weichen diese zurück und rühren sie nicht an. Christus selbst leuchtete aus den Frauen heraus - wie konnten seine Geschöpfe ihn anrühren? Das ist auch das Geheimnis Daniels in der Löwengrube. Hin und wieder offenbart Gott so seine Herrlichkeit. Und wenn es bis zum Letzten kommt, zum Zersetzen der menschlichen Persönlichkeit, der Heilige Geist im Menschen kann nicht zersetzt werden. Darum ist die Hilfe in einem Satz ausgedrückt: »Lasset uns aufsehen auf Jesum, den Anfänger und Vollender des Glaubens.« Er ist überall gegenwärtig, er hat alle Gewalt im Himmel und auf Erden, und seine Liebe hat er bewiesen durch sein Leiden und Sterben. Mit ihm dürfen wir reden, mit ihm können wir den Kampf des Glaubens kämpfen. Er heiligt sich selbst für uns, er ist unsere Heiligung. »Der Gott alles Friedens heilige Euch durch und durch und völlig tadellos möge Euer Geist samt der Seele und dem Leibe bei der Wiederkunft unseres Herrn Jesus Christus bewahrt bleiben. Treu ist er, der Euch beruft; er wird es auch vollführen!« (i. Thess. 5, 23-24). Keine Forderungen stellen, sondern liebhaben! (Aus einem Brief in die »Ost«zone) . . . Das Kapitel »Abstand«, das Sie in Ihrem Brief berühren und bewegen, ist wohl eins der Hauptkapitel unter uns Menschen überhaupt. In letzter Zeit sehe ich das Leiden Jesu Christi immer klarer von der Seite. Wie muß er gelitten haben unter dem, was er in uns Menschen sah. Schon unter unserer Atmosphäre! Und wie stark sind wohl alle Handlungen der Menschen auf ihn zugekommen! Wie haben sie ihn bedrängt und wie alleingelassen! Und dann all die inneren »Forderungen«, die für uns kaum sichtbar sind: wie verlangten sie immer wieder, daß er das sein sollte, was er nicht sein konnte und nicht sein durfte: der Messias, der Wundertäter. Und das, was er ihnen so gern geben möchte, das wollten sie nicht, das erkannten sie nicht. Es ist natürlich unmöglich, uns irgendwie mit Jesus Christus vergleichen zu wollen. Aber dieselben Linien sind doch da: Sind nicht alle Menschen voller Forderungen anderen gegenüber, fordert nicht einer unwahrscheinlich viel von dem anderen? Ist der Nächste nicht oft der, an den wir unsere Forderungen richten, sei es nun öffentlich oder verborgen? Zuletzt wirkt sich beides so aus: Die Forderungen trennen, anstatt zu verbinden. Der Mensch, der fordert, sei es Liebe, Verstehen, Anerkennung oder was es sonst sei möchte gern Verbindung mit dem anderen, aber durch seine Forderungen trennt er und verhindert er oft das, was im Werden ist. Das ist das Wunderbare, daß der »Abstand«, das Loslassen, den anderen in seiner Gemeinschaft mit Gott alleinsein lassen, Gemeinschaft stiftet und zwar immer erneuerte und vertiefte Gemeinschaft. Es gilt da: »Wer sein Leben liebhat, der wird es verlieren, wer es aber verliert um meinetwillen, der wird es finden.« In letzter Zeit meinte ich oft nicht atmen zu können vor allen Forderungen, die von einzelnen Menschen auf mich zukamen. Da ist nur eine Hilfe, alles Bedrängtsein an Gott hin »auszuatmen«, es ihm im Gebet hinzugeben. Es ist mir oft wie das körperliche Ausatmen von Giftstoffen. Mir wird in den letzten Jahren immer klarer, daß ich als Christ keinerlei Forderungen an den anderen haben darf, denn Gott nimmt mich ja glücklicherweise auch so, wie ich bin, und daß es zum Weg des Christen gehört, daß er bereit ist, die Forderungen der anderen auf sich zukommen zu lassen. Am sdrwersten ist es, da das Fordern zu lassen, wo man am engsten verbunden ist: in der Ehe, unter Eltern und Kindern und in der Freundschaft. Auch da können ja die tiefsten Zerstörungen angerichtet werden. Mir ist es immer wieder ein tiefer Schmerz, wenn ich mich da beim Fordern ertappe. Denn wie das Fordern des anderen in meinem Herzen Betrübnis anrichtet, so betrübe ich den anderen mit meinem Fordern. Und dauerndes Fordern muß trennen. Dabei brauchen wir Menschen das Alleinsein, mit Gott, ob wir es wissen oder nicht, ob wir es schon kennen oder nicht! Diese letzte Einsamkeit muß für ihn freibleiben. Und jeder, der da hineindringt, dringt in das Geheimnis Gottes hinein. Gott schenkt hin und wieder ein Stück göttlicher Gemeinschaft unter Menschen, die auch gleichzeitig tiefe menschliche Gemeinschaft ist, aber er läßt es keinen Dauerzustand sein, denn nur, wenn der einzelne seine Gemeinschaft in Gott immer wieder stärken kann in der Einsamkeit mit Gott, ist er auch fähig, zu immer neuer menschlicher Gemeinschaft. An allem anderen stirbt die beste menschliche Gemeinschaft. Dieser »Abstand« und dieses sich gegenseitig immer wieder Loslassen bringt Schmerzen mit sich. Aber diese Schmerzen gehören zu unserem Menschsein und zu unserem Wachstum. Diese Schmerzen führen gerade immer tiefer zu der Gemeinschaft, nach der wir uns sehnen, das heißt wenn wir diese Schmerzen bejahen und annehmen, während das Ablehnen dieser Schmerzen zur Forderung, zum Anspruch führt und gerade dann zertrennt. Es ist mir ein tiefes inneres Anliegen und Bedürfnis, den anderen in seiner Freiheit vor Gott und mit Gott zu lassen. Und es bringt mich immer wieder in inneres Bangen und Zittern, wenn ich hin und wieder meinte, einen Auftrag gehabt zu haben, als Hilfe und Unterstützung neben dem anderen zu stehen in seiner Entscheidung, wo er sie nicht allein fällen konnte. Da gibt uns Gott etwas von dem anderen, was wir aber in Heiligen Händen halten und sofort loslassen und zurückgeben müssen, wenn der andere zur eigenen freien Entscheidung fähig wird. Und wir dürfen so etwas auch nur tun, wenn wir ganze Klarheit haben, die den anderen nicht überfordert, sondern seine Schwachheit weiter stützt. Die Frage der »Haustöchter« und »Hausgehilfinnen« (Aus einem Brief an eine kinderreiche Mutter) Ein besonders schweres »Kapitel« ist das der Haustöchter und Hausgehilfinnen. Ich meine und weiß, daß Gott unser Vater ist und daß er darum weiß, was wir bedürfen. Wir meinen zwar, zu wissen, was wir nötig haben, und es gibt liebe Freunde und Bekannte, die meinen, es noch besser zu wissen. Aber ich bleibe dabei, daß Gott, unser Vater, es am besten weiß. Dieses Nötighaben erstreckt sich ja nicht nur auf die Frage: Was oder wen habe ich zur Hilfe nötig, sondern Gott sieht es sicher auch so: was oder wen habe ich zu meinem inneren Wachstum, zu meiner Reifung, zu meiner Erziehung nötig. So habe ich mich in Hausgehilfinnenfragen schon seit langer Zeit nur noch an Gott gewandt und dabei nur Wunder erlebt. Er allein weiß, was und wen ich wirklich nötig habe. So habe ich immer nur gebeten: »Herr, du weißt, welcher Mensch in unserem Hause sein soll, und den schicke oder zeige uns bitte.« Und das ist immer geschehen. Es kann ja auch mal sein, daß ich keine Hilfe haben soll. In der Bibel haben wir keine Verheißung, daß wir immer eine Hausgehilfin haben sollen, wohl aber, daß er unsere Hilfe ist und daß er den Müden Kraft gibt und Stärke genug den Unvermögenden. Wenn wir eine Hilfe suchen nach unseren Anforderungen, so werden wir bestimmt keine finden, denn solche Idealbilder gibt es kaum, und was ich so an alten, erfahrenen Mädchen sehe, so sind sie auch nicht solche Ideale. Wenn ich aber nach Gottes Willen für mein Haus frage, so wird die Sache klar. Er allein weiß ja, ob wir in unseren gläubigen Häusern ein gläubiges Mädchen haben sollen. Konnte es nicht auch sein, daß wir eine Missionsaufgabe hätten an einer suchenden Seele, an einer, die Gott in den Dienst nehmen will? Wenn wir ganz einfach nach Gottes Weg und Auftrag fragen, dann gibt er für diesen Weg und Auftrag auch die Kraft, weil er ja mittendrin ist. Suchen wir aber nach eigener Meinung und nach eigenem Ermessen und Maßstab, ist Gott mit seiner Kraft nicht in diesem eigenen Wege; auch wenn er viel leichter zu sein scheint, wird dieser eigene Weg doch zu schwer. In Jes. 26, 12 heißt es nach Menge: »Herr, du wirst uns Heil verleihen; denn auch alle unsere Taten hast du, Herr, uns vollführt.« Und im Neuen Testament heißt es auch, daß wir »in den Werken wandeln sollen, die Gott für uns bereitet hat« (Eph. 2, 10). Also ist es das einfachste, wenn wir ihn bitten: »Herr, welche Aufgabe gibst du mir in dem Menschen, den du in meinem Hause haben willst?« Dieser geschickte Mensch ist dann nicht nur Aufgabe, sondern auch Hilfe, einmal mehr, einmal weniger, der eine in diesem Punkt, der andere in dem anderen. Gott weiß ja auch, daß wir keinen Menschen haben können, der unsere Kinder verdirbt. Er selbst hat doch die Kinder lieb und lieber als wir. Ich habe eigentlich nie einen solchen Menschen zugeführt bekommen. Nur in zwei Fällen war es notvoll, aber da war es ein ganz klarer Auftrag. Und dann ist es ja so, daß Gott auch dafür die Verantwortung trägt und uns alle dadurch wachsen läßt. Wir sollen natürlich bei den Menschen, die zu uns hereingebracht werden, fragen: »Herr, ist das dein Wille?« Aber ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, daß Gott in irgendeiner Weise Klarheit schenkt; wie und wann, das ist seine Sache. Es kommt nur darauf an, daß ich als sein Kind alle eigenen Wünsche loslasse, alles aus der Hand gebe und keine Vorbehalte habe. Wenn ein neuer Mensch ins Haus kommt, ist immer meine erste Frage: Was soll ich lernen? Was er, der andere, lernen soll, ergibt sich dann später und von selbst. Die Frage des Frauenberufes An dem Punkt des Frauenberufes bricht eigentlich das Elend der »ganzen Welt« aus. Ich schreibe Ihnen einfach, was Gott mir gezeigt hat, und von da aus wird vielleicht dann auch Ihre Lage etwas beleuchtet. Die Anmaßung (Hybris) des Mannes ist, daß er immer wieder sein will wie Gott, und die Anmaßung der Frau, daß sie sein will wie der Mann. Gott hat die Frau geschaffen, daß sie Gehilfin eines Mannes sein soll. 1. Moses 3,16 bei der Austreibung aus dem Paradies heißt es: »Dein Verlangen soll nach deinem Mann sein und er soll dein Herr sein.« Da wird aus der Gemeinschaft eine Abhängigkeit. Und je weiter sich die Menschheit von Go.tt entfernte, desto stärker wurde die Sklaverei der Frau unter dem Mann und desto mehr wurde aus der Gehilfin eine sexuelle Bindung auch von seiten der Frau. Da kam Christus, und er hat auch die Frau völlig befreit und sie wieder in den alten Stand zurückgebracht, Gehilfin des Mannes zu werden. Aber je mehr wir uns wieder als Menschheit »selbständig« gemacht haben, desto mehr fing auch die Frau an, sich selbständig zu machen. Das »Gehilfinsein« genügt ihr nicht, sie will gleich sein, gleichberechtigt sein, aber in einer falschen Weise. Das äußert sich besonders in der falschen Überschätzung des Intellekts, das wird offenbar in der Neigung der Frau nach Männerkleidung und Männerart, und gleichzeitig hat es zur Folge, daß bei vielen Männern eine weibliche Linie auftaucht. (Sie müssen mich recht verstehen, ich habe nichts dagegen, wenn eine Frau aus recht praktischen Gründen Hosen trägt zu bestimmten Zwecken.) Die teuflische Überschätzung des Intellekts bringt die Frau dazu, diesen Intellekt auch einseitig ausbilden zu wollen, um unbedingt neben dem Mann zu stehen. Die Frauen meinen, unbedingt studieren zu müssen. Aber nach dem, was ich an mir selbst und an vielen jungen Mädchen und an studierten Frauen beobachtet habe, ist ein Studium für viel weniger Frauen wirklich von Gott gewollt, als gedacht wird. Es fragt eben im allgemeinen keine Frau mehr: »Was will Gott, das ich tun soll?«, sondern was kann ich werden, um selbständig zu sein, wo liegen meine Fähigkeiten, wie kann ich mich selbst zu einer Persönlichkeit entwickeln, wo verdiene ich am meisten, und wo habe ich am meisten freie Zeit? Und was der menschlichen Fragen mehr sind. Ein anderer Teil der Frauen, der aus irgendeinem Grunde keine Möglichkeit zum Studium hat, sucht seinen »Beruf« in Bürotätigkeit, Arzthilfen, bis zur Gemeinde- und Pfarrgehilfin. Daraus entsteht dann in den meisten Fällen eine Ehenot. Wenn ein Mann eine fremde Frau dauernd um sich hat als Gehilfin, dann kann es kaum ausbleiben, daß er bald mit dieser nicht nur die geistigen Dinge teilt, sondern daß auch andere Beziehungen in Schwingungen geraten. Der Mann, der seine geschäftlichen oder geistigen Arbeitsdinge mit einer fremden Frau besprochen hat, hat sein Herz »befreit« und hat der eigenen Frau bald nichts Rechtes mehr zu sagen. Dazu kommt noch, daß die geistige Gehilfin sich besser pflegen kann, die Frau aber oft durch die Mühe und Arbeit mit Kindern und Haushalt ungepflegt und früh verbraucht ist. Es kostet auch für Christen etwas, in dieser Beziehung den Weg gegen die Welt zu gehen, sei es für einen selbst oder für die Kinder. Aber, da Gott das Herz ansieht und nicht den Verstand, kommt es doch zuletzt darauf an, ob das Herz Gott folgt und den Verstand »unter den Gehorsam Christi stellt«. Der wirklich echte Frauendienst ist in der ganzen Welt verpönt. Das ist das Werk des Teufels. Er will den Menschen immer zum Hochmut führen, und hier gelingt ihm der Fall, den er haben will. Jesus aber sagt: »Wer der größte unter euch sein will, der sei aller Diener.« Wir ändern diese Lage, in der wir in der ganzen Welt sind und an der offenbar wird, wie nahe wir am Abgrund und am Ende sind, natürlich nicht durch Reden, denn dafür sind kaum Mütter und junge Mädchen offen. Aber wem Gott das Herz dafür aufgetan hat, der kann an seinem Punkt anfangen, sich neu zu diesem von Gott gewollten Dienst ausrüsten zu lassen. Ich weiß nicht, ob Sie die Übung der Stille kennen, wo man sich miteinander unter Gottes Wort setzt, um den Geist Gottes bittet und dann jeder aufschreibt, was ihm an Gedanken »kommt«. Man braucht oft gar keine bestimmten Fragen zu stellen. Gott sagt einem da manche unangenehmen Dinge. Danach tauscht man aus, was in die Öffentlichkeit gehört. (Was in die Beichte oder vor andere Ohren gehört, bringt man dahin.) Versuchen Sie doch mal diese Art Stille allein für sich. Wenn Sie eine andere Art Stille suchen sollen, wird Gott Ihnen das sicher zeigen. Er zeigt immer den Weg, den die Seinen gehen sollen. Mir ist es ein Geschenk Gottes, von Ihnen zu hören, daß auch Sie von all diesen Fragen bewegt werden; ich weiß, daß er seinen Kindern doch auch in diesen Linien Neues zeigen will. Bisher fand ich nur eine junge dänische Pfarrfrau (sie ist Schweizerin), die auch durch solche Fragen bewegt ist. Aber hin und her im Land gibt es doch schon kleine Bewegungen in diese Richtung; dafür bin ich sehr dankbar. Immer neu Jesus vertrauen! Liebes Kind! . .. Ich lese im Augenblick und immer mal wieder ein englisches Buch über »Das Geheimnis des Christen über ein glückliches Leben«. Dieses Buch erfreut und erquickt midi so, daß ich es am liebsten übersetzen möchte. Die Dinge sind in ihm so einfach und so klar gesagt, wie ich es noch nie in einem anderen Buch fand. Ich weiß gar nicht, was ich schreiben soll von all den Wahrheiten, die dort ausgesprochen sind und die ich auch mit meinen Worten so schlecht wiedergeben kann. Die Verfasserin kommt immer wieder darauf zurück, daß es Unsinn ist, wenn wir sagen, daß wir nicht glauben können. Denn in Wahrheit glauben wir unaufhörlich den verschiedensten Menschen. Wir vertrauen unsere Kinder jungen Mädchen an, wir essen das Essen, das Menschen kochen, wir vertrauen dem Schlachter, daß er uns kein vergiftetes Fleisch verkauft, wir vertrauen jedem Busfahrer und Lokomotivführer, aber bei Gott sagen wir, wir können nicht glauben. Ohne immerwährenden Glauben an Menschen würden wir einfach nicht leben können. Und so kann unsere Seele nicht leben ohne Gott, ohne Glauben an Gott. Wenn Du zum Beispiel mir die Kinder anvertraut hast, dann legst Du Dich doch ruhig ins Bett und quälst Dich nicht mit Sorgen und Angst um die Kinder. Wenn Gott uns nun sagt, daß wir ihm alles anvertrauen sollen, wenn Jesus sagt, daß er für uns sorgt, und wir quälen uns mit der Last und Sorge herum, dann machen wir ihn zum Lügner und betrügen ihn, weil er uns dann nicht helfen kann. Es heißt in dem Buch: Ich kenne eine Frau mit sehr schwerer irdischer Bürde. Die Not nahm ihr den Schlaf und den Appetit. Es bestand die Gefahr, daß sie gesundheitlich zusammenbrechen würde. Eines Tages fand sie eine kleine Schrift: »Hannas Glaube«. Sie griff danach in der Hoffnung auf Hilfe. Die Schrift handelte von einer armen Frau, die sieghaft durch ein Leben mit außergewöhnlichen Sorgen getragen wurde. Sie erzählte ihr Leben einem Besucher, und als sie schloß, sagte der Besucher: »O Hanna, ich kann nicht sehen, wie du so viel Sorgen tragen konntest!« - »Ich trug sie nicht«, war die schnelle Antwort, »der Herr trug sie für mich.« »Ja«, sagte der Besucher, »das ist die rechte Antwort, wir müssen unsere Sorgen und Lasten auf den Herrn werfen.« »Ja«, antwortete Hanna, »aber wir müssen mehr tun als das, wir müssen sie dort liegen lassen. Die meisten Leute bringen ihm ihre Bürde, aber sie nehmen sie wieder mit sich und sind genau so betrübt und unglücklich wie früher. Aber ich nehme meine Sorgen und lasse sie bei ihm und gehe weg und vergesse sie. Wenn die Sorge und Not zurückkommt, bringe ich sie ihm wieder hin, und so tue ich es immer neu, bis ich zuletzt vergesse, daß ich Sorgen hatte, und ich werde vollkommen ruhig.« Das ist auch für uns der Weg, für uns alle; alle Sorgen nur sofort wieder auf Jesus legen, wenn sie wieder angeflogen kommen! Wir tragen uns an unseren Sorgen kaputt, aber Jesus hat Kraft - und Weisheit für alles. Und dabei nicht auf die Ungerechtigkeiten sehen! Das ist eine falsche Blickrichtung. Wir haben es in allen Dingen nur mit Jesus zu tun. Wie sollen wir auch im Glauben und Vertrauen geübt werden, wenn es immer glatt und gut geht. Wir sehen das äußere Gutgehen so leicht als Maß der Güte Gottes an. Aber es wird uns auch in Not und Leid gutgehen, wenn wir uns nur an Jesus halten. Zuletzt ist doch die innere Ruhe und der Herzensfriede das Gute und das Glück. Denk an die kleinen Kinder! Ihr Leben ist ein dauerndes Vertrauen von Tag zu Tag, von Jahr zu Jahr. Sie vertrauen überall. Und sie sind dabei ruhig und glücklich. Das können wir doch Jesus gegenüber noch ganz anders tun. Wir binden ihm die Hände zur Hilfe durch unser Mißtrauen. Was würdest Du wohl sagen, wenn Eure Kinder täglich sich darum sorgen wollten, ob Du auch kochst, ob Du auch ihre Sachen wäschst, ob Du sie auch zu Bett bringst und ihre Kleider in Ordnung hältst und was es sonst noch alles gibt? Laß es uns üben, ihm alles zuzutrauen und alles hinzulegen! Gestern fiel mir das Wort ein: »Wirf auf Jehova die Last Deines Weges - er wird handeln« (Ps. 37, 5). Ich vertraue Jesus, daß er mit allen Schwierigkeiten fertig werden kann. Wenn ich manchmal denke, was noch alles an Schwierigkeiten kommen kann, dann will mir wieder die Angst kommen, aber ich will nur einen Schritt gehen, was soll ich mich schon mit den Dingen plagen, die mir der Teufel »vorspiegelt«. Ich habe es nur allein mit Jesus zu tun. Er ist unser bester »Rechtsanwalt«. Und wenn wir von ihm sogar gewürdigt werden, Unrecht zu leiden, dann stehen wir ja dicht neben ihm und werden dadurch geübt und sind doch seine lieben Kinder. In diesen Dingen ist immer der Feind mittendrin, er will uns immer und überall vom Glauben und Vertrauen, vom Blick auf Jesus wegbringen. Überall, wo Du merkst, daß Du nicht mehr glauben kannst, ist der Feind am Werke, und Du traust ihm mehr als Gott, der uns so liebt, daß er uns Jesus geschickt hat. Wir haben doch unser Leben Jesus übergeben, also hat er uns in seiner Hand. In dem Buch heißt es: Angenommen, Dein Kind würde zu Dir kommen und sagen: »Ich will Dir jetzt immer gehorchen und will das tun, was Du als das beste für mich ansiehst.« -Würdest Du Dich dann nicht freuen und dieses Kind liebhaben? So freut sich Gott, wenn wir ihm alles ausliefern, und er denkt sich keine schrecklichen Dinge für uns aus. - Wir verwechseln so oft das, was Gottes Sache und was unsere Aufgabe ist. Gottes Sache ist immer das Tun, die Tat, und unsere Aufgabe der Glaube. - Sobald wir tun wollen, was Gott tut, dann kann es nicht gelingen. Das Gefühl gibt Gott oft nebenhinein, aber es steht nie am Anfang. Gottes Tat - unser Glaube und danach die Erfahrung, das Gefühl, nicht umgekehrt, sonst wäre es kein Glaube mehr. Das Gefühl hat nichts mit Glauben zu tun. Wenn ein Kind weiß und vertraut, daß die Mutter alles für es tut, so ist doch das Herz nicht immer gleichmäßig voll Liebes ge fühl. Vertrauen ist die Gewißheit, daß Gott es tut, auch wenn im Herzen kein Gefühl ist. Es heißt weiter in dem Buch: »Ich kannte eine Frau, die sich Christus übergab im Glauben unter einem großen Erleben des Heiligen Geistes und einer wunderbaren Flut von Licht und Freude. Sie vermutete darum, daß das eine Vorbereitung für einen besonders großen Dienst sei, und erwartete, daß sie sofort in das Erntefeld Gottes hineingestellt würde. Statt dessen verlor ihr Mann alles Geld, und sie war in ihr Haus gestellt und mußte alle Arbeit tun. Da behielt sie keine Zeit für irgendeine Evangelisationsarbeit. Sie nahm diese Zucht an und fing an, zu fegen, zu kochen, zu backen und zu nähen, genauso ernsthaft, wie sie für Gott gepredigt oder geschrieben oder gebetet hätte. Und die Folge war, daß Gott sie durch dieses >Trai-ning< zu einem brauchbaren Gefäß machte, dem Meister zum guten Gebrauch. - Eine andere Frau, die in das Glaubensleben unter ähnlichen Umständen und Segenswundem eintrat, die auch erwartete, daß sie ausgesandt würde, große Werke zu tun, wurde damit beauftragt, zwei unnormale Kinder zu pflegen und sich Tag für Tag mit ihnen zu beschäftigen. Diese Frau nahm diese Aufgabe nicht an, sondern klagte und murrte, ja, wurde bitter und rebellierte. Schließlich verlor sie allen Segen und wurde wieder traurig und kalt. - Sie hatte nicht verstanden, warum und wozu Gott sie zuerst getröstet hatte. Sie entzog sich Gottes Hand, und der Ton verdarb und wurde von der Töpferscheibe geworfen.« Unsere Aufgabe ist weiter nichts, als einfach ihm vertrauen und, sobald unser Herz davon abweichen will, es schnell zum Vertrauen auf Gottes Liebe und Macht wieder zurückzuholen. Das ist der Glaubenskampf, den wir zu kämpfen haben, alles andere geht uns nichts an. Deine Mutter Brief an einen Einsamen Es war vor der Geburt eines unserer Kinder, als Gott mich so ganz und gar in die Einsamkeit stellte. Obgleich ich zu manchen von meiner Not gesprochen hatte, kam doch niemand, niemand kümmerte sich um mich. Mein Mann war meist unterwegs und konnte mir darum nicht helfen. Eine Bekannte, die ich zur Geburt erwartete, kam nicht zur bestimmten Zeit. Gottes Wort fand überhaupt keinen Eingang in mein Herz. Es war eine tiefe Not. Da fand ich in meiner Verzweiflung eines Tages in meiner Briefmappe eine Postkarte, die Pastor v. D. ein paar Monate zuvor an mich geschrieben hatte. Darauf stand: »Wenn in großen Schwierigkeiten Glaubenslose matt verzagen, sehen wir Gelegenheiten, es mit Gott erst recht zu wagen.« Das war ein Funken, der in meine Seele fiel. Es geschah in mir ein »Sichauf-raffen«, ein »Jasagen« zu meiner Lage. - Es war aber nur ein Funken, ein gütiger Trostfunken, von Gott gewesen. Noch in den ganzen nächsten Wochen sagte mir Gottes Wort kaum etwas. Sogar während der Geburt »zündeten« die Worte Gottes nichts, die mir von manchen zugerufen wurden. Ich blieb allein in einer großen Einsamkeit, ohne eine Hilfe von Gott. Zuletzt habe ich ein ganzes »Ja« zu dieser Einsamkeit gesagt. Da ist mir aufgegangen, daß alle Menschen zuletzt allein sind. Der Mann kann seine Frau nicht erreichen, die Frau ihren Mann nicht, die Mutter die Kinder nicht, der Bruder die Schwester nicht und der Freund den Freund nicht. Wir Menschen sehnen uns zwar nach voller Gemeinsamkeit und Harmonie mit einem Menschen. Aber dieses volle Erlebnis versagt uns Gott, weil er nämlich diesen tiefsten Punkt sich selbst Vorbehalten hat. Wenn er das nicht täte, dann würden wir in unserem Suchen nach Harmonie doch bei einem Menschen Ruhe finden und ihn, Gott, ja dann nicht mehr brauchen. So ist die Welt erfüllt von lauter einsamen Menschen, und nur der, der ein ganzes »Ja« findet zu dieser von Gott gewollten Einsamkeit, kann anderen Menschen in ihrer Einsamkeit helfen. Nur wer mit Gott in die Einsamkeit hineingeht, ist fähig, anderen beizustehen, wenn sie in die Einsamkeit hineingestoßen werden. Das bedeutet nicht, daß wir nicht wunder- bare Gemeinschaft mit Menschen haben können, daß es nicht immer wieder Höhepunkte der Harmonie gibt zwischen Mann und Frau, zwischen Mutter und Kind, zwischen Freunden, zwischen Kindern Gottes, aber diese Harmonien sind nur Höhepunkte, keine Dauerzustände. Sie werden uns immer wieder als Geschenk gegeben, nehmen können wir sie uns niemals, auch wenn wir alles daransetzen. Die wirkliche Ruhe ist für uns Menschen nur in Gott. Darum sagt Augustin mit Recht: »Das menschliche Herz ist unruhig, bis daß es ruht in Gott.« Das Vorläufige und hin und wieder Gegebene mit Menschen genügt dem menschlichen Herzen zuletzt nicht. Aber in der Ruhe in Gott ist wirklich tiefste Gemeinschaft, denn er allein kennt und erkennt uns ganz und hat uns dennoch lieb. Vor ihm ist nichts verborgen, bei ihm brauchen wir uns nicht zu bemühen, wie wir uns verständlich machen sollen. Er versteht uns schon vorher. Um all der Einsamkeit willen in der Welt führt Gott manche seiner Kinder in das Bewußtsein und in die Not des letzten Alleinseins. Und wer zu dieser Einsamkeit »ja« sagt und sich dabei dennoch an Gott klammert, wer da nicht mehr in das Selbstmitleid mit seiner Einsamkeit kommt, der ist den Einsamen zur Hilfe gegeben. Es ist nicht so, als ob das Selbstmitleid in diesem Punkt ein für allemal überwunden wäre, es versucht immer mal wieder, seine Schlingen um uns zu legen, aber wir lernen es schnell erkennen und uns aufraffen. Wenn ich in solchem Fall an Epheser 6 erinnert werde, so geschieht in meinem Wesen ein richtiges »Zusammenraffen«. Da wird der Gürtel straffer angezogen, der Helm festgebunden, der Schild des Glaubens in die Hand genommen und das Wort ergriffen. Da geschieht in uns: »Seid männlich und stark!« Zuletzt ist es natürlich nur Gnade, wenn Gott mit uns diesen Weg geht. Die andere Art Einsamkeit, die wir auch bejahen müssen, ist: wenn Gott mit uns voranschreitet, werden wir von selbst einsamer. Denn wenn es auch eine allgemeine Gemeinschaft der Kinder Gottes gibt, die man auf Konferenzen erlebt und die einem wohl das Herz tief erfreuen kann, so gibt es auch die Einsamkeit derer, die mit Gott voranschreiten. Da gibt dann Gott hin und wieder ganz besondere Erquickungen, wenn er uns Menschen begegnen läßt, die mit uns auf dieser Stufe eins sind oder die uns mitziehen. So wie es im natürlichen Leben im Alter ein Alleinstehen gibt, so gibt es das auch im inneren Reifwerden. Und welch Geschenk ist es für einen Alten, wenn er einen Jugend- oder Altersgenossen trifft! Welch eine Güte Gottes, wenn man einem innerlich Gleichgestimmten begegnet! Zu diesem Voranschreiten gehört aber auch, daß im Glauben junge Menschen nicht überfordert werden und daß mit dem Voranschreiten das Hinabgehen in die Demut Hand in Hand geht. Sonst ist es ein unausstehliches Besserwissen! »Wer hat des Herren Worte in seinem Sinn erkannt? Wir stehen an der Pforte und tasten mit der Hand. -O Tiefe, unergründlich, drin Gottes Weisheit ruht; o Geist, unüberwindlich, der seine Wunder tut.« In diesem Sinne grüße ich Sie aus der Gemeinschaft unseres Herrn heraus. Ohne Wiedergeburt kein Leben und keine Heiligung Heiligung ist genau wie die Erlösung nicht Menschenwerk. -Wir können sie durch keine noch so große Anstrengung erlangen. Wie lange habe ich mich mit dem Wort gequält: »So wir im Licht wandeln, wie er im Licht ist, haben wir Gemeinschaft untereinander und das Blut Jesu Christi macht uns rein von aller Sünde« (i. Joh. 1, 7). Ich strengte mich an, im Lichte zu bleiben, und wurde verzagt über meine dauernden Niederlagen, bis mir das Wunder und die Kraft des Nachsatzes aufging: »Das Blut Jesu Christi macht mich rein von aller Sünde. Heiligung ist Frucht, wie es uns in Joh. 13 deutlich gesagt wird, und zwar Frucht des Heiligen Geistes, nicht unsere Frucht. Unsere Früchte schmecken immer irgendwie sauer oder bitter, unsere Früchte haben den Wurm in sich und können Gott nicht gefallen. Hier wird auch das Wort gesagt, an dem wir praktisch unser ganzes Leben lernen: »Ohne mich könnt ihr nichts tun« (Joh. 15, 5). Heiligung ist Zusage (1. Thess. 4, 3): »Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung«, ist nicht Forderung, sondern Geschenk, »denn Gott ist es, der beides, das Wollen und das Vollbringen, in euch wirkt« (Phil. 2,13). Darum ist es auch unmöglich, daß jemand, der nicht von neuem geboren ist, je Heiligung erlangt, denn er kann nicht einmal das Reich Gottes sehen, geschweige denn hineinkommen (Joh. 3, 3.5). Es gibt viele Menschen, die heilig aussehen, die menschlich sehr gut sind, sie sind freundlich, gütig und können opfern, aber von Jesus wissen sie nichts. Dieses menschliche, natürliche Gutsein stört den Feind gar nicht, er freut sich, daß sie selbst und andere die gute Meinung haben, es sei alles aufs Beste geordnet, auch für den Himmel. Dem Feind liegt daran, daß wir nicht erlösungsbedürftig werden, und darum freut er sich, wenn so viele in ihrem eigenen Gutsein bleiben und zufrieden sind. Die Hilfe Jesu, das Reich Gotes suchen wir nur, wenn wir elend und arm in uns selbst sind. (Matth. 5: »Selig sind, die geistlich arm sind, denn das Himmelreich ist ihrer; selig sind, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit [die Gott gibt], denn sie sollen satt werden.«) Darum ist das Tor zur Heiligung die Wiedergeburt, der Glaube, denn »ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen« (Hebr. 11, 6). In der Wiedergeburt wird uns der Heilige Geist geschenkt, da nimmt Jesus Christus, der Anfänger und Vollender unseres Glaubens, selbst in uns Wohnung. Da wird er nicht nur unsere Erlösung, sondern auch unsere Heiligung. Und von da an wirket er ununterbrochen in uns »das Wollen« und »das Vollbringen«. Von da an sind wir auf dem Wege, der Jesus Christus heißt. Ein dringender Rat Liebes Fräulein .../ Es freut mich, daß Sie nun Ihren Weg klar vor sich sehen. Es geht jetzt um die kleinen Gehorsamsschritte. Gute Vorsätze helfen nichts. Es hilft nur, wenn wir auf die leisen Mahnungen des Heiligen Geistes achten. Das geht am besten, wenn wir ganz kleine Schritte tun. Sie müssen sich nicht den ganzen Berg dessen, was Sie lernen müssen, vorstellen, sondern Schritt für Schritt weitergehen. »Gott will uns mit seinen Augen leiten.« Er will uns dazu die Kraft geben. Unsere Aufgabe ist nur zu gehorchen. Der Feind ist immer dabei, uns abzulenken auf irgendwelche Dinge, die uns gerade in die Augen fallen, die wir meinen, schnell tun zu müssen und zu können. Gott liegt an unserem Gehorsam. Machen Sie sich doch vor Gott einen Plan, und dann lassen Sie sich nicht abhalten durch Dinge, die Lust bereiten, etwa durch Spaziergänge oder Musik und irgend etwas anderes, was vielleicht Freunde an Sie herantragen. Bitten Sie um ein hörendes Ohr und gehorsames Herz. Wir haben ja die wunderbare Verheißung, daß Jesus uns durch seinen Geist leiten will und es alles in uns schaffen wird. Gehen Sie aber nicht darauf ein, sich von der Stille vor Gott abbringen zu lassen! Sie brauchen die Quelle des Lebens, damit Sie leben können. Große Berge werden nur Schritt um Schritt bezwungen. Sehen Sie immer auf den Helfer! Er hat den Sieg für uns, auch in den Alltagsdingen ... Schrifttum des Verfassers »Jesus kommt«. Ansprachen für die Weihnachtszeit gesammelt von Pfarrer H. Bruns. Verlag Ungelenk, Dresden 1934 Die Bankrotterklärung der Deutschen Glaubensbewegung. Querschnitt durch das Buch des Grafen Reventlow: »Wo ist Gott?« Dresden 1935. 24 Seiten Positives Christentum. Was ist es? Bad Blankenburg 1935. 24 Seiten Rosenbergs »Mythos des 20. Jahrhunderts«. Einführung in seine Gedankenwelt und erste Anleitung zu einer Auseinandersetzung mit ihm. 2. Auflage. Neumünster 1935. 64 Seiten »Komm, Heiliger Geist«. Ansprachen für die Pfingstzeit gesammelt von Pfarrer H. Bruns. Verlag Ungelenk, Dresden 1935 Ein Weizenkorn, das Frucht brachte. Lebensbild von Pfarrer Curt Köhler, Hausvater des Diakonissen-Mutterhauses »Hebron«. Marburg 1935. 158 Seiten Barnabas. Ein Jünger Jesu. Furche-Verlag, Berlin 1937. 62 Seiten Ein Reformator nach der Reformation. Leben und Wirken Philipp Jakob Speners. Marburg 1937. 149 Seiten Wo sind wir in hundert Jahren? Marburg 1937.15 Seiten Samuel. Ein Mann unter der Führung Gottes. Furche-Verlag, Berlin 1938. 77 Seiten Wie waren die ersten Christen? Zeugnisse und Bilder aus den ersten vier Jahrhunderten nach Christus. Nach Gottfried Arnold zusammen-gestellt. 6. neubearbeiteie Auflage. Marburg 1939. 175 Seiten Feuer vom Himmel. Seelsorgerliche Gedanken über Erweckungen in der Bibel. Furche-Verlag/ Berlin 1939. 125 Seiten Seelsorge, ganz praktisch. Bäuerle, Karlsruhe 1947. 23 Seiten Ein Vater. Ein erstes Lebensbild Theophil Krawielitzkis. Im Auftrag des Deutschen Gemeinschafts-Diakonieverbandes herausgegeben. Bauer Verlag, Stuttgart 1948. 335 Seiten Nachrichten vom Weltenkriegsschauplatz. Bauer Verlag, Stuttgart 1948. 17 Seiten Winke für die Seelsorge. Bäuerle, Karlsruhe 1949. 27 Seiten Unser Gebetsleben. Bäuerle, Karlsruhe 1949. 15 Seiten Von der Bibel und vom Bibellesen. Bäuerle, Karlsruhe 1949.18 Seiten Gott schweigt nicht. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1949. 2x9 Seiten Was ist lebendiges Christentum? Bäuerle, Karlsruhe 1949. 23 Seiten Dämonische Mächte und dennoch Sieg. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1949. 11 Seiten Tatsachen überzeugen. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1949. 12 Seiten Zweifel an Gott. Antwort an einen jungen Mann. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1950 Verpaßte Gottesstunden. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1950. 19 Seiten Davon kann man nicht schweigen. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck X950. ix Seiten Wie werde ich mit dem Leben fertig? Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1950. 15 Seiten Ziele, Zeugen, Zellen. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1950. xx Seiten Bewahrung und Bewährung. Lebenszeugnisse, zusammengestellt aus Biographien bekannter und unbekannter Männer und Frauen des Reiches Gottes. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1952. X79 Seiten Kleine Entdeckungsfahrten im Neuen Testament. Verlag Goldene Worte, Stuttgart X95X Die Entscheidungsstunde. 28 Selbstzeugnisse bekannter Männer und Frauen über ihre Bekehrung zu Christus mit erklärenden Hinweisen über Vorgeschichte und Nachwirkung dieser entscheidenden Stunde. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 195X. 276 Seiten Die Gottesstunde. 43 Selbstzeugnisse bekannter Männer und Frauen im Reiche Gottes über ihre Bekehrung zu Christus mit erklärenden Hinweisen über Vorgeschichte und Nachwirkung dieser entscheidenden Stunde. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck X950. 254 Seiten Leben und Sterben in Christus. Goldene Worte, Stuttgart 2951. 32 Seiten Unsere Verkündigung heute. Brockhaus, Wuppertal 1952. 30 Seiten Unsere Kinder und wir. 2. Auflage, Brockhaus, Wuppertal 2952. 23 Seiten Hör mal zu! Kurze Erzählungen aus Leben und Dienst. 3. Auflage. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1955. 77 Seiten Hör weiter zu! Aus Leben und Dienst schlicht erzählt. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 2952. 88 Seiten Erlebt — erzählt. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1954. 87 Seiten Denk einmal darüber nach. Kurze Betrachtungen eines Seelsorgers über seine Erlebnisse mit Menschen. Goldene Worte, Stuttgart 1956 87 Seiten So lebten die ersten Christen. Die Apostelgeschichte neu übersetzt mit Erklärungen zwischen den Versen. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1957. 200 Seiten Ernst Modersohn. 2. Auflage. Brunnen-Verlag, Gießen 1953. 95 Seiten Minna Popken. 3. Auflage. Brunnen-Verlag, Gießen 1956. 95 Seiten Jakob Vetter. Brunnen-Verlag, Gießen 1954. 96 Seiten Philipp Jakob Spener. Brunnen-Verlag, Gießen 1955. 109 Seiten Gottfried Arnold. Brunnen-Verlag, Gießen-Basel 1957. 78 Seiten Pandita Ramabai. 2. Auflage. Brunnen-Verlag, Gießen 1961. 72 Seiten Die ersten beiden Christen in Europa. Francke Buchh., Marburg 1953. 39 Seiten Sie waren Gottes Mund. Die Botschaft der zwölf kleinen Propheten. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1956. 111 Seiten Sind wir wirklich Christen? Sieben Spiegel an der Hand der Bibel und des Lebens. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1958. 63 Seiten Was glauben die Christen eigentlich? Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck i960.172 Seiten Menschen begegnen Jesus. 2. Auflage. Brunnquell-Verlag, Metzingen 1962. 112 Seiten Nimm dir einen Augenblick Zeit. Ein Buch der Besinnung für alle Tage des Jahres. 4. Auflage. Brunnen-Verlag, Gießen 1962. 375 Seiten Seelsorge — ganz praktisch. Goldene Worte, Stuttgart 1962. 38 Seiten Ergriffen von Jesus Christus. (Gekürzte Neuauflage von »Die Gottesstunde«.) Selbstzeugnisse bekannter Männer über ihre Bekehrung. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1963. 128 Seiten Ehe unter Gottes Führung. 8. Auflage. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1963. 40 Seiten Gott kann. Berichte vom Wirken Gottes in der Gegenwart. Goldene Worte, Stuttgart 1963.102 Seiten So wirkt Jesus. Erlebnisse aus der Seelsorge und dem Reisedienst eines Evangelisten. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1963. 80 Seiten Entschieden für Jesus. Selbstzeugnisse bekannter Männer und Frauen über ihre Bekehrung zu Christus. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1964,164 Seiten Im Leiden bewährt und bewahrt. Lebenszeugnisse zusammengestellt aus Biographien bekannter und unbekannter Männer und Frauen des Reiches Gottes. Schriftenmissions-Verlag, Gladbeck 1964. 156 Seiten Begegnungen mit Christus. Zeugnisse von Menschen unserer Tage. Herausgegeben von Hans Bruns. 4. erweiterte Auflage, Brunnen-Verlag, Gießen. 192 Seiten Engelke, Fritz: Briefe aus der Gefangenschaft. Paulus an die Philippen Neu bearbeitet von Hans Bruns. Francke Buchhandlung, Marburg 1954. 32 Seiten Engelke, Fritz: Ein zweiter Brief aus der Gefangenschaft. Paulus an die Epheser. Neu bearbeitet von Hans Bruns. Francke Buchhandlung, Marburg 1956. 39 Seiten Haun, Arno. Festschrift. Freude im Dienst. Ein Wort zum Pietismus heute. Herausgegeben von Hans Bruns. 2. Auflage. Francke Buchhandlung, Marburg 1961. 159 Seiten mit 1 Tafel Schnepel, Erich. Festschrift. Erlebte Bruderschaft. Zusammengestellt von Hans Bruns. Francke Buchhandlung, Marburg 1963. 127 Seiten mit x Titelfoto Das Neue Testament neu übertragen, mit neuen Überschriften und Erklärungen von Hans Bruns. Brunnen-Verlag, Gießen 1959. 709 Seiten Die Psalmen. Unter Einsichtnahme alter und neuer Übersetzungen neu übertragen und mit Überschriften und Erklärungen versehen von Hans Bruns. Brunnen-Verlag, Gießen 1962. 166 Seiten Das Neue Testament und die Psalmen neu übertragen, mit neuen Überschriften und Erklärungen von Hans Bruns. Brunnen-Verlag, Gießen 1961.135 Seiten Das Alte Testament neu übertragen, mit neuen Überschriften und Erklärungen von Hans Bruns. Brunnen-Verlag, Gießen 1963. 1262 Seiten Die Bibel oder die ganze Heilige Schrift des Alten und Neuen Testaments neu übertragen, mit neuen Überschriften und Erläuterungen von Hans Bruns. Brunnen-Verlag, Gießen 1963. 575 Seiten, Balacron Als Herausgeber von Zeitschriften: »Heilig dem HERRN« in den letzten Monaten vor dem Verbot (1942) Herausgeber: P. Modersohn »Glaube und Leben«. 14. Jahrgänge (1952 bis 1964) »Eltern und Kinder« »Das Wichtigste« (Mif-herausgeber) Als Mitarbeiter in der Tonbandmission, Tübingen Vorträge von Pastor Hans Bruns (auf Langspielband, Geschwindigkeit 9,5 cm) »Bereit zum Leben und zum Sterben« und »Vergib uns unsere Schuld« Nr. 015 »Wie lerne ich besser beten?« Nr. 702 »Hast du den heiligen Geist bekommen?« Nr. 703 »Kennst du dich selbst?« — »Kennst du Jesus Christus?« — »Kennst du den Weg zu Jesus Christus?« Nr. 701 Schallplatte Nr. T. 72887/0993 »Jesu, meine Freude« »Trost in allem Leid« (Schallplatten-Verlag K. Schreppel, Frankfurt/Zeilsheim) Inhalt Vorwort ................................................. 5 Sünder und Heiliger...................................... 7 Mein »Beruf« ............................................ 8 Erinnerungen aus Kindheit und Jugendzeit................ 16 Aus der Schulzeit ...................................... 22 Gütige Menschen, die mein Leben bereicherten .... 24 Aus der Studentenzeit .................................. 27 Siebeneinhalb Jahre Soldat.............................. 36 Ein Jahr als Vikar...................................... 42 Verlobung und Hochzeit — Ehe und Familie................ 44 Ein erstes Jahr Gemeindearbeit.......................... 51 Zehn Jahre Gemeindearbeit in Ostfriesland............... 54 Aus dem Dienst im Gemeinschafts-Diakonieverband Marburg................................................. 92 Gruppenbewegung. Moralische Aufrüstung. Marburger Kreis ..................................................110 Meine Stellung zum Nationalsozialismus..................117 Begegnungen mit Menschen................................121 In Pfarrhäusern und auf Pfarrerfreizeiten...............127 Bilder aus dem Dienst in den Gefängnissen...............133 Als Reiseleiter im Norden und Süden (Reise nach Jordanien) ..................................................142 Aus dem Dienst der Seelsorge............................155 Über den Dienst der Verkündigung........................173 Vom Dienst am gedruckten Wort...........................186 Pia desideria heute.....................................199 Seelsorgerliche Briefe meiner Frau......................204 Schrifttum des Verfassers...............................236 in iM. ! :: . v •! ;Si