Bruno Vollmert Das Molekül und das Leben Vom makromolekularen Ursprung des Lebens und der Arten: Was Darwin nicht wissen konnte und Darwinisten nicht wissen wollen Grundlage allen Lebens und Schlüssel der Vererbung: Je mehr wir über das Makromolekül DNS wissen, desto unverständlicher wird es uns. Rowohlt In diesem Buch geht es um die Frage: Konnte das Leben von selbst entstehen? Die erste Voraussetzung Für alles irdische Leben ist das Makromolekül DNS, das die genetische Information trägt. Die Frage nach der Entstehung von zunächst kurzen Stücken dieses kettenförmigen DNS-Makromoleküls in den Gewässern der frühen Erde (den sogenannten Ursuppen) und sein weiteres Wachsen im Laufe der Erdgeschichte bis zur Länge der Säugetier-DNS ist unter exakt-naturwissenschaftlichen Aspekten das Kernproblem der biologischen Evolution und daher das zentrale Thema dieses neuen Buches in der Reihe «Authentische Wissenschaft». Die Entstehungs- bzw. Synthesereaktionen von Makromolekülen werden seit Jahrzehnten mit großem Aufwand in Forschungslaboratorien untersucht, so daß man heute die Bedingungen und Gesetze, unter denen sich Makromoleküle bilden können, genau kennt. Damit sind Darwins Abstammungslehre und die heute herrschende Lehre des Neodarwinismus den Kriterien der exakten Naturwissenschaften unterworfen, speziell der Makromolekularen Chemie. Einer der bekanntesten Wissenschaftler auf diesem Gebiet ist Professor Bruno Vollmert, der Direktor des Polymer-Instituts der Universität Karlsruhe. Polymerchemiker befassen sich mit der Synthese von Kunststoffen, die ja auch aus Makromolekülen bestehen. Wenn es also um die Frage nach der erstmaligen Entstehung des Makromoleküls DNS geht, aus dem - nach der heute herrschenden Lehre - alle Formen des Lebens hervorgegangen sind, ist die Makromolekulare Chemie zuständig. Vollmert bewegt sich streng im Rahmen seiner Kompetenz als Polymerchemiker, wenn er «... eine Intelligenz von solcher Erhabenheit, daß verglichen damit das ganze systematische Denken und Handeln des Menschen ein höchst unbedeutender Abglanz ist.» Albert Einstein über die Evolution56 Bruno Vollmert Das Molekül und das Leben Vom makromolekularen Ursprung des Lebens und der Arten: Was Darwin nicht wissen konnte und Darwinisten nicht wissen wollen Rowohlt Schutzamschlag- und Einbandgestaltung von Manfred Waller Fotos auf dem Umschlag von Bruno Vollmert i. Auflage September ^85 Copyright © 1985 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg Alle Rechte Vorbehalten Gesetzt aus der Trump Mediaeval Gesamtherstellung Clausen & Bosse, Leck Printed in Germany ISBN 3 498 07055 x Inhalt Vorwort 9 Einleitung 17 Das Molekül 17 ... und das Leben 18 Der molekulare Ursprung des Lebens 18 Was Darwin nicht wissen konnte 22 Was Darwinisten nicht wissen wollen 24 Ideologie und Wissenschaft 25 Von der Uratmosphäre zum Makromolekül 31 Darwins Lehre und ihr naturwissenschaftlicher Kern 31 Makromoleküle 34 Selbstorganisation 38 Der UREY-MiLLER-Versuch: «Ursuppen« 39 Ohne DNS kein Leben 45 DNS-Synthese als Polykondensation 46 Sequenz 48 Einfluß des Wassers auf die Kettenlänge 50 Einfluß monofunktioneller Moleküle auf die Kettenlänge 54 Nylonsynthese als Evolutionsexperiment 58 Wie sicher wissen wir, daß die Polykondensationsgesetze gelten? 63 «Erst wenn der Organismus gestorben ist, streben alle Reaktionen dem Gleichgewichtszustand zu- (M. Eigen) 65 An der Grenze der Selbstmontage 70 Evolutionsexperimente 75 «Proteinoide» 75 Oligonucleotide 76 Großaufbereitungsanlagen durch geologische Selbstmontage 79 Die Kette wächst durch Jahrmillionen 83 Präbiotische Evolution 84 Mutation — Selektion auf Molekülebene 85 Spontanentstehung von Zellvorstufen: Eobionten, Protobionten, Microspheres 89 Generatio spontanea 93 Bioevolution 95 Evolution als Ideologie 95 Zufallsereignisse 100 Zufall und Notwendigkeit 103 Die Zwischenstufen 104 Varietäten - Mutanten 105 Die Lebewesen und ihre Makromoleküle 107 DNS-Kettenwachstum über Jahrmillionen 110 Mutation-Polykondensation 114 DNS als Folge kooperativer Gene 116 Wahrscheinlichkeit einer passenden Genaddition 11 Syntheseketten und biochemische Zyklen: keine Selektion 120 Evolutionsstrategie 123 Optimierung und Neukonstruktion 124 Die Birkenspanner-Geschichte, ein typisches Optimierungsbeispiel in natura 127 Neue Arten 128 Bildungswahrscheinlichkeit von Genfolgen in der DNS-Kette 129 Entstehungs- und Ankoppelungsmechanismen neuer Gene 132 Neue Gene durch illegitimes Crossing-over und Umsequenzierung 133 Wenn Darwin sich irrte, wie war es dann? 136 Vom Makromolekül zum Organismus 141 Information und Formprinzip 141 Wachsen - Bauen - Montieren 148 Selbstmontage 151 Stoffkonzentration und Form 155 Postdarwinistischer Blick auf das Leben 159 Das Phänomen «Leben» 159 Leben und Sterben 163 Parasiten 168 Evolution 174 Die zukünftige Evolution 179 Von Menschenhand gesteuert 185 Kosmische Evolution 188 Anhang 191 Die Struktur der DNS 191 Die Synthese der DNS in der Zelle 197 Die Aufgabe der DNS in der Zelle 199 Experimente, Gleichungen, Ableitungen 205 Glossar 220 Literaturhinweise 243 Sachregister 247 Vorwort In Aphorismen sagen uns die Weisen auf geistreiche Art, was sich schickt. So hören wir von Wittgenstein: «Worüber man nicht sprechen kann, darüber muß man schweigen.» Keinem Geringeren als Manfred Eigen, dem Göttinger Nobelpreisträger und Direktor des Max-Planck-Instituts für Biophysikalische Chemie, verdanke ich den freundlichen Hinweis auf Wittgensteins klugen Ausspruch. Eigens Hinweis findet sich (als milde Rüge zu verstehen) in seiner ausführlichen Erwiderung auf meinen Aufsatz «Konnten die Lebewesen von selbst entstehen?» (beide in der Zeitschrift «natur»r, worin ich zu dem Ergebnis gekommen war, daß die Entstehung des Lebens zu den Vorgängen gehört, von denen wir mit Sicherheit nur wissen, daß wir niemals wissen werden, wie sie sich wirklich zugetragen haben. Eigen bestätigt es, indem er schreibt: «Die Frage nach dem historischen wie der Entstehung des Lebens hat eine kurze und klare Antwort: «Wir können es nicht wissen.*» Wir wiederholen beide nur Du Bois-Rey-monds berühmten Seufzer vor rund hundert Jahren auf dem Phy-siologen-Kongreß in Berlin: «Ignoramus et ignorabimus.» Wie nun? Können wir nicht reden über das, was wir nicht wissen? Jeder, der oft Vorträge mit anschließender Diskussion hört, weiß, daß gerade über das am meisten gesprochen wird, worüber man am wenigsten weiß. Was man definitiv weiß (oder zu wissen meint), ist abgehakt und kommt in die Lehrbücher. Die Forschung wendet sich dem Unbekannten zu. Und wie ist das mit der Entstehung des Lebens? Andere haben darüber gesprochen, Charles Darwin zum Beispiel, aber auch Manfred Eigen, wenn er schreibt: «Die frühe Erde war der Schauplatz eines der geheimnisvollsten Vorgänge im Universum: der Entstehung des Lebens. Wie sich die ersten Gene bildeten, im Konkurrenzkampf verbesserten und mit primitiven Enzymen in Wechselwirkung traten, läßt sich heute lückenlos nachzeichnen.»3 Andere schreiben ähnlich. Sie sprechen und schreiben über etwas, was niemand wissen kann, über etwas, worüber man folglich nicht sprechen kann und (nach Wittgenstein) schweigen sollte. Was meine Vorträge und Aufsätze betrifft, so spreche ich primär gar nicht über die Entstehung des Lebens, sondern über die Frage nach der Entstehung, nach der Bildung, nach der Synthese eines Moleküls (des Makromoleküls DNS) als einer ganz wesentlichen und unabdingbaren Voraussetzung für die Entstehung von Leben der uns bekannten Art. Wenn ich von Makromolekülen und ihrer Bildungswahrscheinlichkeit spreche, hat dies den großen Vorteil, daß ich über etwas sprechen kann, worüber man etwas weiß. Nicht nur etwas weiß man darüber. Die Synthesereaktionen von Polymeren oder Makromolekülen gehören zu den bestuntersuchten Reaktionen der Organischen und Technischen Chemie. Ich habe mein ganzes Berufsleben lang über Makromoleküle und ihre Synthesen experimentell im Laboratorium gearbeitet und weiß daher, worüber ich spreche. Daß andererseits eine Von-selbst-Entstehung des Lebens (der ersten Zelle in Ursuppen und der vielen Arten im Laufe der Erdgeschichte) ohne Von-selbst-Entstehung der zugehörigen DNS-Ma-kromoleküle unmöglich ist, ist unbestritten und unbestreitbar. Wenn wir also schon über den Vorgang der Entstehung des Lebens mit naturwissenschaftlichen Methoden nichts erfahren können, so lassen sich doch die beiden folgenden Fragen auf der Basis experimentell gesicherter Erkenntnisse der Makromolekularen Chemie beantworten: 1. Konnten unter den Bedingungen der frühen Erde Makromoleküle von selbst entstehen? 2. Konnte (unter den Bedingungen der lebenden Zelle) im Laufe der Erdgeschichte eine Polymerkette mit 30000 bis 50000 verschiedenen Strukturelementen in bestimmter Reihenfolge von selbst (durch statistische Copolykondensation) entstehen? Wenn die Antwort «Nein» heißt, läßt sich daraus der Schluß ziehen, daß auch die Lebewesen nicht von selbst entstehen konnten, denn ohne Makromoleküle konnte und kann irdisches Leben nicht entstehen, und ohne DNS-Kette mit 40000 Genen, in bestimmter zeitlicher Folge verfügbar geworden, konnten die Arten vom Einzelligen bis zu den Säugetieren nicht entstehen. Wenn die Antwort «Ja» heißt, wäre die Situation sehr viel kom- plizierter. Dann würde sich eine neue Frage ergeben, nämlich: «Genügt die Entstehung von DNS-Makromolekülen mit einer Folge von kooperativen Genen zur Entstehung von Lebewesen?» Diese Frage wird zwar in einem kurzen Kapitel «Vom Makromolekül zum Organismus» behandelt (siehe Seite 141 f), für unsere erste Frage: «Konnten die Lebewesen von selbst entstehen?», ist der Zusammenhang von DNS und lebender Form (über den man so gut wie nichts weiß) insofern nicht entscheidend, als die Antwort auf beide Fragen nicht «Ja», sondern «Nein» heißt. So einfach und zwingend die Schlußfolgerung: «Also konnte auch Leben nicht von selbst entstehen» ist, so unbefriedigend ist sie für den Naturwissenschaftler und den im naturwissenschaftlich-technischen Zeitalter Aufgewachsenen. Wir wollen letztlich nicht wissen, warum etwas nicht geht oder so nicht abgelaufen ist, sondern wie und warum ein Vorgang abläuft. Gerade das aber läßt sich - das ist das eigentliche Ergebnis meiner Überlegungen -mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht erforschen. Das Besondere (das besonders Beunruhigende) an diesem Ergebnis ist nicht, daß hier eine Ffypothese widerlegt wurde (das ist im naturwissenschaftlichen Bereich etwas Alltägliches), sondern daß kein Ersatz in Sicht ist. Gewöhnlich wird eine Flypothese oder Theorie durch eine andere, eine neue ersetzt. Wenn aber das Makromolekül DNS, wie man es in Säugetierzellen an trifft, nicht von selbst (durch statistische Copolykondensation nämlich) entstehen konnte, steht als Alternative nur die gesteuerte Copolykondensation zur Verfügung, wie sie heute in allen gentechnischen Laboratorien ausgeführt wird, denn Selbstorganisation nach dem DARWiN-Schema von Mutation-Selektion (die sich auf den ersten Blick als Scheinaltemative anbietet), ist ja gerade das, was durch die Gesetze der Polymersynthese einerseits und die vorgegebenen Rahmenbedingungen andererseits widerlegt wurde. Ich kann dazu nur sagen, daß das Thema «Leben» ganz eindeutig den Rahmen der exakten Naturwissenschaften sprengt. Darwins Weg endet im Weglosen ganz unvorstellbar geringer Wahrscheinlichkeiten im Bereich von kleiner als 1 : 101000 (101000 ist eine namenlose Zahl: eine Eins mit tausend Nullen - 1083 ist die Zahl der Atome des gesamten Universums!). Manfred Eigen hat darüber gespottet, indem er von Zahlenorgien sprach ’, aber das hat Darwin nicht verdient, denn er konnte wirklich von Makromolekülen und ihren Synthesen nichts wissen. Zudem hatten die Fachkollegen von der Organischen und Physikalischen Chemie schon immer eine gewisse, von der Sache her schwer zu begründende Abneigung gegen die Makromolekulare Chemie, so daß man von Biologen erst recht nicht erwarten kann, daß sie sich für dieses Fachgebiet näher interessieren. Als Polymerchemiker hat man (nun umgekehrt und erst recht) keinen Anlaß, sich auf der fachlich-beruflichen Ebene mit Problemen der Entstehung und Entwicklung des Lebens zu befassen. Auch ich hätte das höchstwahrscheinlich nicht getan, wenn ich nicht vor einigen Jahren die Neuauflage meines Lehrbuches «Grundriß der Makromolekularen Chemie» hätte bearbeiten müssen. Dabei zeigte sich, daß das Makromolekül DNS mit seiner inzwischen bekanntgewordenen überragenden Bedeutung als Träger genetischer Information nicht einfach übergangen werden konnte. Folglich habe ich im Lehrbuch die DNS-Synthese so behandelt, wie es die Polyesterstruktur des Moleküls erfordert, nämlich als Polykondensation. Das Ergebnis dieser Arbeit wurde 1979 erstmals mit dem Erscheinen der «Grundriß»-Neuauflage veröffentlicht. Das Lehrbuch wird an fast allen deutschsprachigen Universitäten (die englische, chinesische und andere fremdsprachige Ausgaben enthalten das Kapitel noch nicht) in Vorlesungen und Praktika verwendet, und es ist mir bis heute noch von keinem Fachkollegen eine kritische Anmerkung zu diesem Kapitel zugegangen. Ich bin daher gern der Aufforderung des Rowohlt Verlags gefolgt, die aus meiner Arbeit über die Entstehung des DNS-Makromoleküls durch Polykondensation resultierende Widerlegung der neodarwinistischen Evolutionshypothese einer breiteren Öffentlichkeit vorzulegen. Mit der Raumfahrt und der Frage nach der Entstehung des Lebens ist unser Streben und Trachten nach Ausweitung unseres Könnens und Wissens an eine kritische Grenze gestoßen, die sich mit fortschreitender Detailerforschung immer deutlicher abzeichnet. Diese Grenze ist auch anderweitig erfahrbar, wenn wir etwa nach der Herkunft der Materie und der ihr eingeprägten Struktur fragen. Die Antworten «Urknall» oder «Zufall» («Zufällig entstand die Raumzeit aus ihrem eigenen Staub» [Atkins5]) sind doch recht unbefriedigend, wenn die letztere nicht als Persiflage der naturwissenschaftlichen Forschung oder des menschlichen Denkens schlechthin gemeint war. Neuere Bücher wie «Das Geheimnis der Evolution» von Gordon Rattray Taylor lassen erkennen, daß es immer größere Mühe macht, die Schöpferrolle des Zufalls, die zuerst Charles Darwin diesem zugewie- sen hatte, zu retten. Wenn, wie Taylor schreibt6, der bloße Gedanke daran, daß es einen lenkenden Einfluß auf die Evolution geben könnte, manche Forscher zur Weißglut bringt, weil sie fürchten, wir könnten zum Glauben an einen göttlichen Plan zurückkehren, ist das kein gutes Zeichen für die Einstellung dieser Forscher zu ihrer Tätigkeit. In Weißglut geraten eigentlich nur Ideologen, wenn sie für ihre Sache streiten. Naturwissenschaftler haben das nicht nötig; wir möchten nur gern wissen, wie sich eine Sache in Wirklichkeit verhält, ohne zu wünschen, sie möge so oder so sein. Die Darwinismus-Diskussion ist bisher, ein Erbe aus dem 19. Jahrhundert, vielfach noch auf der weltanschaulichen Ebene geführt worden: Darwinisten gegen Creationisten. Deshalb ist man für Darwinisten automatisch ein Creationist oder missionarischer Eiferer, wenn man Argumente gegen eine durch Zufall (Mutation-Selektion) «gesteuerte» Evolution vorbringt. Ich habe im Darwinismus nie einen Drachen gesehen, den es zu töten galt, und habe daher auch nie nach Argumenten gegen Darwins Lehre gesucht. Vielmehr bin ich darüber gestolpert, als ich im Rahmen meiner wissenschaftlichen Beschäftigung mit der Synthese von Makromolekülen der Frage nach den Synthesemöglichkeiten des im Laufe einer Evolution entstandenen DNS-Ma-kromoleküls nachging. Die Verlagerung des Problems von der Entstehung der Lebewesen auf die Entstehung (Synthese) von Molekülen und die daraus resultierenden Zahlen sollten eigentlich eine sachliche Diskussion ermöglichen. Ich würde es jedenfalls begrüßen. In früheren Zeiten war man geneigt, das Leben der Sphäre des Geheimnisvollen, nie ganz zu Erklärenden zuzuordnen. Fleute gibt es für viele Naturwissenschaftler grundsätzlich keine Geheimnisse mehr. Was man nicht weiß, weiß man noch nicht. Irgendwann werde man es wissen. Das macht es den Konstrukteuren von Weltmodellen leicht, in diese grauen Zonen des Noch-nicht-Wissens allerlei abzuschieben, was nicht ins Bild paßt, und daraus zu entlehnen, was man brauchen kann. Für viele Biologen und Biophysiker ist die Disziplin der Makromolekularen Chemie eine solche Zone. Den Makromolekülen werden märchenhafte Fähigkeiten zugetraut - im Bereich der Zelldifferenzierung und Formbildung während des Embryonalwachstums etwa, aber auch schon bei ihrer Synthese, wobei die Autoren oft beim Literaturstudium eine Auslesebrille aufsetzen. Wie kann man sich sonst erklären, daß ein renommierter Wissenschaftler wie Rupert Riedl, Biologe und Systemtheoretiker an der Universität Wien und erfolgreicher Buchautor, noch 1984 über die ersten Schritte der Entstehung des Lebens in Ursuppen schreibt: «Man hat die Retorte der Urmeere im Labor nachgebaut und begonnen, die chemische Evolution im Labor zu wiederholen. In einem Destillationskreislauf über kochendem Wasser wurde eine Atmosphäre aus Methan, Ammoniak und Wasserstoff von elektrischen Entladungen tagelang durchflutet. Das Resultat ist heute gut bekannt und vielfach bestätigt. Es entstehen immer kompliziertere Verbindungen: Zunächst solche wie Formaldehyd oder Essigsäure (übrigens tödlichste Gifte für die lebende Zelle heute) und aus diesen Zucker, Basen und Aminosäuren, wie Glycin oder Alanin, sowie Ketten von Polymeren; die Bausteine der Proteine, des Eiweiß. Jeweils ein Dutzend und mehr Atome verbinden sich in ihnen und Hunderte in Ketten zu gesetzmäßig vorhersehbarer, sich perpetuierend wiederholender Ordnung.»7 So, wie Rupert Riedl es noch 1984 drucken ließ, kann es auf keinen Fall gewesen sein. Bereits im Juli 1983 fand in Mainz eine wohl historisch zu nennende Vortragsveranstaltung der ISSOL* statt. Im Resümee des Tagungsleiters Klaus Dose heißt es: «Andererseits muß die spontane Bildung von einfachen Nucleotiden oder gar von replikationsfähigen Polynucleotiden auf der präbiotischen Erde auf Grund zahlreicher, aber erfolgloser Experimente als unwahrscheinlich angesehen werden.» Andere Tagungsteilnehmer stellten unwidersprochen fest, daß «alle Thesen zur Evolution lebender Systeme aus spontan entstandenen Polynucleotiden ohne experimentelle Grundlage sind».2 Dies bestätigt meine auf den theoretisch abgeleiteten und in Jahrzehnten immer wieder experimentell überprüften Gesetzen der Polykondensation beruhenden Aussagen über die Entstehung des Makromoleküls DNS. Wenn nun seit 1953 (S. L. Miller17) Jahr für Jahr in der Fachliteratur Versuchsergebnisse publiziert werden, aus denen eindeutig hervorgeht, daß bei Versuchen der von Riedl angedeuteten Art keine Proteine entstehen und wenn schließlich der Chairman einer internationalen wissenschaftlichen Tagung Aussagen wie die Riedls über die Entstehung von Makromolekülen bei * ISSOL: International Society for the Study of the Origin of Life. H Miller-Versuchen im offiziellen Organ der Gesellschaft deutscher Chemiker in fast feierlicher Form als falsch proklamiert *, dies aber auf die Welt, Leben und Geist umspannende «Evolutionäre Erkenntnistheorie» in der Version Rupert Riedls zum Beispiel ohne Wirkung bleibt - dann wird jedem klar, wie schwer es eine sachliche Argumentation auf diesem Gebiet hat. Ich möchte mit diesem Buch dazu beitragen, daß auch Leser ohne Spezialkenntnisse sich selbst ein Urteil über die Fragen der Entstehung und Entwicklung des Lebens bilden können. Leser, die sich über Polykondensation als naturwissenschaftliche Basis der in den ersten beiden Kapiteln enthaltenen Aussagen über die Entstehung des Lebens und über die Chemie des Makromoleküls DNS genauer informieren wollen, möchte ich auf die Ausführungen im Anhang (S. 191 ff) und die wissenschaftliche Literatur hinweisen. * Ausführlich zitiert auf Seite 43. Einleitung «Die Frage nach dem historischen wie der Entstehung des Lebens hat eine kurze und klare Antwort: «Wir können es nicht wissen.*» Manfred Eigen1 Das Molekül Moleküle, die mit dem Leben etwas zu tun haben, gibt es viele: kleine und große, einfache und kompliziert gebaute, solche, die fast überall auf der Welt in großen Mengen Vorkommen (wie Wassermoleküle zum Beispiel) und solche, die sich nur in lebenden Zellen finden, wie das Makromolekül DNS (Desoxyribonuclein-säure), auf das sich der Buchtitel bezieht. Das kettenförmige Makromolekül DNS (oder DNA, wenn man die Abkürzung des englischen Namens «desoxyribonucleic acid» vorzieht) ist insofern ein besonderes Molekül, als es Träger der genetischen Information, der Erbinformation, ist. Die vier verschiedenen Kettenbestandteile oder Kettenbauteile bilden durch ihre Reihenfolge eine schriftartige Anweisung für die Synthese von Proteinen. Diese Information ist auf den langkettigen DNS-Molekülen gespeichert wie Zahlen auf den Knotenschnüren (den Quipus) der Inka. DNS-Kettenstücke mit einer bestimmten Anzahl von Zeichen, die als Kettenbauteile in einer bestimmten Reihenfolge angeordnet sind, sind identisch mit dem, was man in der klassischen Vererbungsforschung als Gene bezeichnete. Das DNS-Makromolekül ist somit auch richtig dargestellt, wenn man es als eine Abfolge von Genen beschreibt, die kettenförmig miteinander verbunden sind. Unter chemischen Aspekten gehört DNS zur großen Gruppe der makromolekularen Stoffe, die außer den Nucleinsäuren noch weitere Naturstoffe wie die Proteine (Eiweißstoffe), die Polysaccharide (Cellulose, Stärke, Pektin) und Naturkautschuk sowie die technisch so bedeutsame Klasse der Kunststoffe umfaßt. Innerhalb des Verbandes der makromolekularen Stoffe (oder Polymeren) zählt DNS zu den Polyestem und ist seiner Molekülstruktur nach mit den synthetischen Polyesterfasern Diolen und Trevira verwandt. ... und das Leben Wie sich durch Änderung der Molekülstruktur die Eigenschaften der aus diesen Molekülen bestehenden synthetischen Fasern verändern lassen, so ändern sich durch Änderung der Struktur des DNS-Moleküls die Eigenschaften eines Lebewesens, dessen Erbinformation in der Struktur des betreffenden Moleküls gespeichert ist. Solche Änderungen der DNS-Struktur können spontan bei der jeder Zellteilung vorausgehenden Verdoppelungssynthese eintreten, die normalerweise so abläuft, daß dabei eine perfekte Kopie der Matrix-DNS entsteht, in der die Reihenfolge der vier Kettenbauteile dieselbe ist wie im Matrixmolekül - bis auf die gelegentlich während der Synthese spontan-zufällig auftretenden Sequenzänderungen. Diese Änderungen, die heute als Mutationen bezeichnet werden, sind die molekulare Voraussetzung für das - Züchtern und Biologen seit langem bekannte - immer wieder zu beobachtende plötzliche Auftreten von Individuen einer Art mit erblich veränderten Eigenschaften, von Darwin als Varietäten, heute als Mutanten bezeichnet. Der molekulare Urspmng des Lebens Charles Darwin, Alfred Rüssel Wallace und einige andere Biologen, die systematisch Beobachtungsmaterial über dieses Phänomen sammelten, kamen auf die Idee, das Entstehen neuer Tier- und Pflanzenarten durch eine Folge von spontan-zufällig auftretenden «Varietäten» zu erklären, indem sie sich vorstellten, daß die Natur die Rolle eines Züchters übernimmt, der aus der Vielzahl der zufällig immer wieder entstehenden Varietäten (Mutanten) zwangsläufig diejenigen favorisiert (ausliest, selektiert), die unter den jeweils gegebenen Umweltbedingungen (Landschaft, Klima, Pflanzen- und Tierbestand) am besten gedeihen. Wenn sich dieses Spiel von spontanen Erbgutänderungen und natürlicher Auswahl der Tüchtigsten über genügend lange Zeit oft genug wiederholt hatte - meinte Darwin -, konnte es nicht aus-bleiben, daß sich die Eigenschaften der wieder und wieder mutierten Lebewesen nach und nach immer weiter von denen ihrer nichtmutierten Artgenossen entfernten, so daß schließlich, wenn noch eine gewisse Isolation solcher sich durch Mutation-Selektion immer weiter von ihren Artgenossen fortentwickelnden Erbfolgen hinzukam, zwangsläufig eine neue Art entstehen mußte. Vor hundert Jahren konnte jemand leicht auf eine solche Idee verfallen, zumal die Vorstellung einer Entwicklung seit langem diskutiert wurde und seit Lamarck konkrete Form angenommen hatte. Der LAMARCKschen Vorstellung von der Vererbung erworbener Eigenschaften setzten Wallace und Darwin ihr Schema der spontanen Erbgutänderung mit nachfolgender natürlicher Auslese (in heutiger Sprechweise: Mutation-Selektion) entgegen, das sich durch die Aufklärung der molekularen Basis der Vererbungsvorgänge als das allein mögliche, im Rahmen der als Voraussetzung notwendigen chemischen Reaktionen als das allein realisierbare Schema erwies. Die als Reihenfolge oder Sequenz von vier verschiedenen Struktureinheiten in der DNS-Kette enthaltene Information wird dem genetischen Code gemäß zur Synthese von Proteinen mit bestimmter Aminosäuresequenz verwertet. Eine anderweitige Proteinsynthese, die etwa durch eine neuartige Verwendung eines Organs angeregt und die nun umgekehrt zur Einführung eines neuen Gens in die DNS-Kette führen würde, gibt es nicht. Andererseits berechtigt die Kenntnis der Struktur des DNS-Moleküls und seiner Funktion als Träger der Information für die Synthese von Proteinen mit bestimmter Aminosäuresequenz nicht zu der Annahme, daß die DNS die genetische Information schlechthin enthält, das heißt die vollständige Anweisung für die Verwirklichung des Wachstumsprozesses, der zu einem Lebewesen einer bestimmten Art mit einer für diese Art typischen Form führt. Gerade dies aber wird heute im Rahmen des neodarwini-stischen Lehrprogramms mit der größten Selbstverständlichkeit i9 angenommen. Danach war es nur konsequent anzunehmen, daß erstes primitives Leben durch spontane Bildung eines DNS-Ma-kromoleküls in einer «Ursuppe» mit den richtigen Ausgangsstoffen unter geeigneten Ausgangsbedingungen und durch zufälliges Zusammentreffen dieses DNS-Moleküls mit einem ebenfalls spontan gebildeten Proteinmolekül entstanden sei. Man hat diesen Gedanken wegen der ungeheuerlich hohen Unwahrscheinlichkeit bald wieder fallengelassen und versucht jetzt, die Entstehung des Lebens durch Übertragung des DARWiNschen Mechanismus (Mutation-Selektion) auf die Ebene von Molekülen zu erklären. Die Begeisterung, nun endlich und endgültig den Schlüssel zum «Schauplatz eines der geheimnisvollsten Vorgänge im Universum: der Entstehung des Lebens» gefunden zu haben, war so groß, daß der Göttinger Nobelpreisträger Manfred Eigen 1981 verkündete: «Wie sich die ersten Gene bildeten, im Konkurrenzkampf verbesserten und mit primitiven Enzymen in Wechselwirkung traten, läßt sich heute lückenlos nachzeichnen.»3 Wie immer es sei, ob die Wechselwirkung von primitiven Enzymen mit ersten Genen in «Ursuppen» nach dem Muster von Mutation und Selektion mit naturgesetzlicher Notwendigkeit zur Entstehung erster lebender Zellen führte oder ob (dies ist meine Meinung) DNS-Makromoleküle (Gene) und Proteinmakromoleküle (Enzyme) lediglich unabdingbare Voraussetzung, conditio sine qua non, für die Existenz von Lebewesen sind, immer ist die Frage: «Konnten Lebewesen von selbst entstehen?» gekoppelt mit der Frage: «Konnte das Makromolekül DNS von selbst entstehen?» Dies gilt nicht nur für die erste Stufe vom Molekül zur Zelle, sondern auch für die weitere Entwicklung vom Einzeller zu Wirbellosen, zu Fischen, zu Reptilien und schließlich zu Säugetieren. Denn auch hier handelt es sich, soweit es die als Voraussetzung für unser irdisches Leben absolut unentbehrliche molekulare Basis betrifft, letzten Endes immer nur um das weitere, sich über viele Jahrmillionen hinziehende Kettenwachstum des DNS-Ma-kromoieküls im Sinne einer Zunahme der genetischen Information. Das Kettenwachstum von Makromolekülen aber ist eine chemische Reaktion, die weltweit in den Forschungslaboratorien der Universitäten und der chemischen Großindustrie mit größtem Aufwand untersucht worden ist und deren Gesetzmäßigkeiten man daher sicher und genau kennt, so sicher und genau, wie nur eine in weltweiter Kooperation über Jahrzehnte fortgesetzte experimentelle Bearbeitung und Überprüfung eine chemische Reaktion (in diesem Falle die Polykondensation) kennenzulernen gestatten. Man hat diese Reaktion deshalb so sorgfältig studiert, weil sie die Basis für eine Großproduktion, nämlich die Produktion von Synthesefasern wie Nylon, Perlon, Diolen, Trevira, Lycra ist. Mit der Reduzierung der Frage nach dem Ursprung des Lebens auf die Frage nach der Entstehung (Synthese) eines Makromoleküls ist diese in den Kompetenzbereich des Makromolekularchemikers oder Polymerchemikers gerückt, soweit es um die Frage geht: «Konnten Makromoleküle von der Art der DNS unter den gegebenen Rahmenbedingungen der frühen Erde von selbst entstehen? >> Wenn man von den Rahmenbedingungen nichts wüßte, könnte man auch bei bester Kenntnis der Polymersynthese die Frage nicht beantworten. Rahmenbedingungen, Schauplatz des Geschehens, auf dem sich die Entstehung des Lebens abgespielt hat, war die Erde in ihren jungen Jahren, von uns aus gesehen: vor drei bis vier Milliarden Jahren. Niemand kann behaupten, er wisse genau und im Detail, wie es vor drei Milliarden Jahren auf der Erde aussah und zuging. Aber niemand sollte auch einfach von den «- uns nicht bekannten - historischen Rahmenbedingungen» 1 für die Entstehung des Lebens sprechen und so tun, als wüßten wir gar nichts über die Geologie der frühen Erde. Das, was man zur Beantwortung unserer Kernfrage wissen muß, weiß man heute sehr wohl, nämlich die grobe Zusammensetzung von Uratmosphären und Ursuppen. In späteren Wachstumsphasen (vom Einzellerstadium an) sind die DNS-Moleküle in Zellen bzw. Zellkernen eingeschlossen und so den Wechselfällen der Umgebung weitgehend entzogen. Die Synthesereaktionen werden von Enzymen geregeltyund das Problem ist nun weniger die Länge der DNS-Moleküle als die Reihenfolge der vier Kettenbauteile, der Nucleotide, die von äußeren Bedingungen unabhängig ist. An der mangelhaften oder fehlenden Kenntnis der Rahmenbedingungen wird also die Beantwortung unserer Frage nicht scheitern. Was Darwin nicht wissen konnte Das alles: die Struktur des Makromoleküls DNS, seine Funktion als Speicher der genetischen Information*, die chemische Natur der Mutationen als Ursache für das Entstehen von Mutanten («Varietäten»), das Kettenwachstum des DNS-Makromoleküls als Voraussetzung für das Entstehen neuer Arten und die Gesetze, die das Kettenwachstum (die Synthese) von Makromolekülen bestimmen - das alles, im Buchtitel kurz als «Der makromolekulare Ursprung des Lebens» bezeichnet, konnte Darwin noch nicht wissen. So konnte er auch nicht ahnen, daß es wenig mehr als hundert Jahre nach Aufstellung seiner das Denken unserer Zeit so tiefgreifend beeinflussenden Abstammungslehre ein Molekül (das DNS-Molekül) und seine Reaktionen sein würden, die über seine Lehre entscheiden sollten. Und dieses Urteil heißt: richtig, was die Nichtvererbbarkeit erworbener Eigenschaften, richtig auch, was das Phänomen von Mutation und Selektion als solches betrifft, falsch aber (trotzdem falsch) in der eigentlichen Aussage über die Entstehung der Arten. Die gleichen molekularen, experimentell erschlossenen Mechanismen, die die Nichtvererbbarkeit erworbener Eigenschaften und das Schema von Mutation-Selektion als artstabilisierenden Vorgang beweisen, widerlegen zugleich auch die Vorstellung von der Entstehung neuer Arten auf dem Wege von Mutation und Selektion. Das ist eine durchaus überraschende Wendung. Denn die Entstehung des Lebens ist ein historischer Vorgang, der sich einer exakt-naturwissenschaftlichen Nachprüfung, die immer auf das beliebig oft wiederholbare Experiment angewiesen ist, grundsätzlich entzieht. Ich weiß genauso wenig wie sonst jemand, wie das Leben entstanden ist und wie im Laufe von Jahrmillionen die vielen Arten mit ihrem überwältigenden Formenreichtum entstanden sind. Was ich aber weiß, ist, daß die modernen Hypothesen über die Entstehung des Lebens durch Selbstorganisation und die Entstehung der Arten durch Mutation-Selektion sich auf exakt-naturwissenschaftlich überprüfbare Aussagen berufen und daß diese es sind, die mit den experimentell gesicherten Erkenntnissen der Makromolekularen Chemie (genauer: den stöchiometrischen, thermodynamischen ' genetische Information = Anweisung für die Aminosäuresequenz von Proteinen. und statistischen Gesetzen der Synthesereaktion von langketti-gen Molekülen) im Widerspruch stehen und so als widerlegt gelten müssen. Nur deshalb also, weil die Frage nach dem historisch einmaligen Vorgang der Entstehung des Lebens in die Frage nach der Synthese eines Makromoleküls überführt werden kann, ohne die einerseits Leben nicht denkbar ist und deren Gesetze andererseits als Polykondensation im Laboratorium experimentell erforscht werden können, ist aus der historischen Fragestellung ein naturwissenschaftlich-experimentell überprüfbares Phänomen geworden. In diesem Buch ist daher nicht die Rede von Mikroben, Würmern, Haifischen, Krokodilen und Sauriern, nicht von Löwen und Antilopen, Affen und Menschen und nicht von Gräsern, Blumen und Bäumen, sondern nur und immer wieder von einem Molekül, einem bestimmten Molekül, von dem ein winziger Ausschnitt als zehnmillionenfach vergrößertes Modell auf dem Buchumschlag abgebildet ist und das alle Pflanzen und Tiere in ihren Zellen beherbergen. Unter chemischen Aspekten ist es immer das gleiche Molekül: eine Kette aus Millionen bis Milliarden Kettengliedern. Immer sind es die vier gleichen Kettenglieder, die in unregelmäßiger Folge die DNS-Ketten bilden, nur die Reihenfolge der vier beteiligten Kettenglieder und die Länge der Gesamtkette sind verschieden, um so verschiedener, je mehr sich Individuen und Arten unterscheiden. Diese Reihenfolge ist es, die die stofflichen Abläufe in den Zellen eines Organismus reguliert und die somit auch über Gesundheit und Krankheit entscheidet. Und insofern ist freilich, wenn von diesem Molekül die Rede ist, immer auch vom Leben die Rede: nicht davon, wie es entstanden ist (wir wissen es nicht und werden es voraussichtlich nie wissen), sondern davon, ob die neodarwinistische Behauptung, es sei durch Zufall oder «gesteuerten Zufall» entstanden, richtig oder falsch ist, darüber, nur darüber (aber auch exakt darüber) kann uns das Molekül, das Makromolekül DNS und seine Synthese, Auskunft geben, eine Information, die Darwin noch niemand geben konnte, weil über Makromoleküle noch nichts bekannt war. Die Struktur und Synthese der Makromoleküle wurden erst in den zwanziger Jahren unseres Jahrhunderts aufgeklärt, und daß DNS ein Makromolekül bzw. eine makromolekulare Substanz ist, wurde noch später entdeckt und ist den meisten Wissenschaftlern, die über die Entstehung des Lebens reden und lückenlos nachzeichnen zu können meinen, wie sich die ersten Gene bildeten und im Konkurrenz- kampf verbesserten, selbst heute noch nicht aufgegangen, vielleicht weil sie es nicht wahrhaben wollen, weil mit diesem Wissen ein in vielen Jahren liebevoll aufgebautes Weltbild zusammenbricht. Was Darwinisten nicht wissen wollen Die durch Erweiterung des ÖARWiNschen Entwicklungsgedankens auf das gesamte Universum entstandene Evolutionstheorie ist nämlich heute eine weltweit im Denken von Biologen, Philosophen und Theologen verankerte und durch Wissenschaftsmagazine, Wissenschaftsbeilagen von Tages- und Wochenzeitungen und Fernsehsendungen bis in die entlegenste Dorfschule getragene Weltanschauung geworden, die niemand mehr missen möchte, weil sie die weitgehend abgelöste biblisch-christliche Weitsicht (die bisher im europäisch-westlichen Kulturbereich vorherrschend war) an Anthropozentrik* noch übertrifft. Daher sind die Behandlung der wissenschaftlichen Hypothesen zum Ursprung des Lebens unter den Aspekten der Makromolekularen Chemie und die sich daraus ergebenden, Darwins Lehre widerlegenden Schlußfolgerungen nicht nur etwas, was Darwin nicht wissen konnte, sondern auch etwas, was Darwinisten nicht wissen wollen. Wie ungern sich Menschen von liebgewordenen Theorien trennen, zeigt das Beispiel des ptolemäischen Weltbildes (Claudius Ptolemäus, 100-180 n. Chr.), das mit seinen epizyklischen Planetenbahnen jeder irdisch-physikalischen Erfahrung auf dem Gebiet der Mechanik hohnsprach, und sich trotzdem über eineinhalb Jahrtausende gegen das richtige ältere Modell des Ari-starch (Aristarch von Samos, 310-230 v. Chr.) behaupten konnte, weil es den Vorteil hatte, als geo- und anthropozentrisches System der menschlichen Eitelkeit zu schmeicheln. Darwins Lehre läßt zwar die Gestirne, wo sie hingehören, ist aber in ganz anderer Hinsicht anthropozentrisch, indem sie den Menschen als derzeitige Spitze einer zufälligen Evolution autonom setzt, niemandem Rechenschaft schuldig und vollkommen * Anthropozentrisch ist ein Weltbild, das den Menschen in den Mittelpunkt stellt. frei, seine Fähigkeiten nach Maßgabe seiner Macht beliebig zu entfalten, auch und gerade gegen die Schwächeren. Um einerseits der großen Bedeutung des Darwinismus als Weltanschauung Rechnung zu tragen und andererseits der Gefahr einer Vermischung mit der streng naturwissenschaftlichen Beweisführung vorzubeugen, wird das Thema «Darwinismus als Weltanschauung» in einem separaten Kapitel behandelt. Das Besondere (das ganz Neue und auch wieder ganz Alte) der neodarwi-nistischen Weltanschauung wird deutlich, wenn man sie zum Beispiel der alten biblischen gegenüberstellt, wie es in diesem Kapitel geschieht. Ideologie und Wissenschaft «Darwinismus» oder gar «Neodarwinismus» (Abstammungslehre unter Einbeziehung der Molekularbiologie) sind Bezeichnungen, die heute wegen des Anspruchs der Evolutionstheorie, Naturwissenschaft zu sein und auf einer exakt-naturwissenschaftlichen Basis zu stehen, nämlich der Chemie und Physik des DNS-Makromoleküls, nicht mehr gern gehört werden, weil die Wortendung -ismus auf eine Ideologie schließen lasse. Dann sollte man natürlich auch erwarten, daß die Diskussion über das Thema «Evolution» sich entsprechend versachlicht hätte. Erfreulicherweise trifft dies - soweit die Diskussion unter Chemikern und Physikern geführt wird - auch weitgehend zu. Nach meiner Erfahmng bei Diskussionen nach Vorträgen im Hörsaal oder im Rundfunk oder Aufsätzen in Zeitschriften (Hörer- bzw. Leserzuschriften) hört die Sachlichkeit aber oft schon bei Biologen auf, und man wird gern als Creationist* verdächtigt. Nun bin ich als Chemiker und Technologe zwar keine besonders gute Zielscheibe für solche Temperamentsausbrüche, aber es ist doch bedauerlich, daß das Niveau der Diskussion dadurch leicht auf eine Ebene abgleitet, auf der es nicht viel mehr zu diskutieren gibt und oft genug solche Diskussionsteilnehmer das Wort führen, die von der Sache selbst, der Synthese von Makromolekülen, wenig oder nichts verstehen, ja sich nicht einmal des- ' Creationist: Vertreter einer (religiösen) Weltanschauung, die als Ursprung der Welt und des Lebendigen einen Schöpfergott annimmt. sen bewußt geworden sind, daß es sich beim Thema «Evolution» immer um Selbstorganisation und damit zwangsläufig um die Entstehung (Synthese) des Makromoleküls DNS handelt. Und bei diesem Thema sollte es doch wohl gleichgültig sein, ob der Autor Mohammedaner, Christ, Buddhist oder Atheist ist. Damit ist auch der zweite unsachliche Vorwurf schon beantwortet: «Was versteht ein Kunststoffchemiker schon von Evolution?» Wer so fragt, zeigt durch seine Frage, daß er in der Tat nicht weiß, wovon wir sprechen, wenn wir Evolution sagen. Denn es ist einfach unbestreitbar, daß alle Moleküle, die im Zusammenhang mit Evolution eine Rolle spielen, Makromoleküle sind. Ebenso unbestreitbar ist es, daß die Gesetzmäßigkeiten der Synthese von Makromolekülen durch experimentelle Untersuchungen der Synthese von Kunststoffen und synthetischen Fasern gefunden wurden. Je strenger sich meine Argumentation im exakt-naturwissenschaftlichen Rahmen hält, indem ich die Bioevolution ganz im neodarwinistischen Sinne als Zufallsgeschehen, nämlich (in der Fachsprache des Polymerchemikers) als statistische Copoly-kondensation behandle, desto weniger Scheu habe ich, als Alternative zum Darwinismus die Erschaffung der Welt durch einen allmächtigen Schöpfergott in Betracht zu ziehen - ohne die Probleme zu übersehen, die das mit sich bringt. Ich finde es jedenfalls recht merkwürdig, wenn reihenweise in Büchern auf vielen Seiten die Argumente gesammelt und besprochen werden, die eindeutig gegen die neodarwinistische Selbstorganisationshypothese sprechen, wenn zugleich aber der Gedanke an eine göttliche Schöpfung von vornherein und ohne jede Begründung als indiskutabel zurückgewiesen wird. Zum Beispiel von Gordon Rattray Taylor6: «Wenn es eine bestimmte Tatsache gibt, die eindeutig aus dem Studium der Evolution hervorgeht, so ist es die, daß die Evolution nicht die Ausführung eines vollkommenen Gesamtplans - göttlichen oder anderen Ursprungs - ist.» Man kann nicht gut die Neodarwinisten des starren Festhaltens an einem Dogma bezichtigen, wie Taylor es tut, um schleunigst ein anderes Dogma aufzustellen, das letztlich doch wieder auf dasselbe hinausläuft. Mit der Vergöttlichung oder Vergötzung der Wissenschaft werden die großen Wissenschaftler zu Heroen und Halbgöttern, die man auch dann noch verehrt, wenn ihre Lehre schon zerbröckelt. So schreibt Taylor in seinem Buch «Das Geheimnis der Evolution»6: «Alles in allem ist die Evolution beinahe noch ebenso rätselhaft wie vor Darwin und seiner These», um wenig später eilig zu versichern, daß er nicht die Absicht habe, Darwin herabzusetzen: «Er war in jeder Hinsicht ein Genie.» Taylor hofft, daß man Darwins Ideen retten könne, indem man sie in einem größeren Kontext sieht. Genau diese Hoffnung wird man aufgeben, wenn man sich erst klargemacht hat, was Selbstorganisation als Von-selbst-Entstehung des Makromoleküls DNS in seiner exakt-naturwissenschaftlichen Beschreibung als statistische Copolykondensation bedeutet. Ich setze in diesem Zusammenhang nicht «Evolutionstheorie» gegen «Schöpfungstheorie», sondern sehe (anders als Karl Popper4) in der Evolutionstheorie durchaus einen harten Kem in Form einer wissenschaftlich-experimentell überprüfbaren Aussage, wohingegen es in der «Schöpfungstheorie» gerade keine solche Aussage gibt. Daher ist und bleibt Schöpfungs- und Heilsgeschichte immer eine Sache des persönlichen Glaubens, für den man sich entscheiden kann, ohne auch nur die wissenschaftlichen Thesen (Darwins oder anderer) eines Blickes zu würdigen, den man aber auch ablehnen (und bekämpfen) kann: «Wenn sich aber manche Wissenschaftler genötigt sehen, einen lenkenden Einfluß auf die Evolution zu postulieren, so bringt der bloße Gedanke daran andere zur Weißglut. Das kommt daher, daß sie fürchten, wir könnten zu dem Glauben an einen göttlichen Plan zurückkehren», schreibt Taylor dazu.6 Es ist auch mein Eindruck, daß die Furcht vor der Alternative - dem göttlichen Plan-uns heute in Gefahr bringt, die Augen vor wissenschaftlichen Fakten zu verschließen: nicht wissen zu wollen, was Darwin nicht wissen konnte. Manches, was gegen die Zufallshypothese spricht, konnte auch Darwin schon wissen. Er hat es gewußt und oft genug (seine Briefe und seine Autobiographie geben davon Kunde) unter diesem Wissen gestöhnt. Das Problem der Herkunft der Blütenpflanzen nannte er «ein abscheuliches Geheimnis». Bekannt sind seine Äußerungen über das Auge und die Pfauenfeder.6 Der Gedanke daran machte ihn im Glauben an seine Abstammungslehre ' In einem Brief an seinen amerikanischen Freund, den Botaniker Asa Gray, schrieb Darwin 1860: «Der Anblick einer Feder in einem Pfauenschwanze, macht mir übel, sobald ich sie anstaune.»9 Das Zitat über die Blütenpflanzen findet sich bei Gordon Rattray Taylor, Seite 319.6 irre. In Henning Kahles8 Buch «Evolution, Irrweg moderner Naturwissenschaft?» sind die biologischen und paläontologi-schen Einwände zusammengefaßt und geordnet, neuerdings auch in Taylors «Geheimnis der Evolution». Darwinisten haben für alles Ausflüchte gefunden, gegen die sich schwer argumentieren läßt, weil sie sich auf noch zu erhoffende Forschungsergebnisse berufen, umstrittene Befunde einseitig deuten oder aber einfach darauf hinweisen, daß Evolution des Beweises nicht bedarf, wie andere offenkundige Fakten, zum Beispiel die Existenz von Gebirgen. Schon Darwin tröstete sich über die großen Lücken bei den Fossilfunden mit der Hoffnung hinweg, daß sie eines Tages geschlossen werden oder daß der Übergangsformen so wenige waren, daß man sie deshalb nicht finden kann. Im Bereich der Biologie verschwimmen die Argumente (für und gegen) letzten Endes immer im totalen Dunkel der Formenbildung. Über die Steuerung der Ontogenese, der Entwicklung des Lebewesens aus der befruchteten Eizelle, weiß man so gut wie nichts. Daran liegt es, daß die Frage: «Konnten die Lebewesen von selbst entstehen?» nur auf der Ebene der Molekülsynthese mit einem im naturwissenschaftlichen Sinne klaren Ja oder Nein beantwortet werden kann, weil sie sich auf die Frage der Bildungswahrscheinlichkeit von Makromolekülen (Copolymermolekülen) unter vorgegebenen Bedingungen reduzieren läßt. Die Synthese von Makromolekülen ist eine chemische Reaktion, deren Gesetzmäßigkeiten man kennt, weil man sie im Laboratorium beliebig oft wiederholen und systematisch untersuchen kann. Die Synthese einer Maus, eines Fisches, eines Wurmes oder auch nur einer lebenden Bakterienzelle ist dagegen ein hoffnungsloses Beginnen. Es ist bei diesem Problem keineswegs so, daß wir hoffen könnten, mit fortschreitendem Wissen und immer weiter verfeinerter Experimentierkunst kämen wir der Realisierung des alten Homunkulustraumes (wenn auch nur in der bescheidenen Version einer künstlichen Bakterienzelle) näher. Im Gegenteil: es geht uns hier nicht anders als mit den hochfahrenden Träumereien der frühen Raumfahrt: Je mehr das Wissen über Struktur und Funktion der Zelle wächst, desto mehr müssen die Forscher erkennen, wie aussichtslos solche Pläne sind. So wird es auch in Zukunft bei der paradox anmutenden Situation bleiben, daß das sichtbare, vor unseren Augen sich vollziehende Wachsen einer Pflanze oder eines Tieres uns in seinem Ab- lauf geheimnisvoll verborgen ist, während die ganz und gar unsichtbaren Vorgänge bei der Synthese (der Bildungsreaktion) von Molekülen im hellen Licht der naturwissenschaftlichen Forschung vor uns liegen. «Das schönste Glück des denkenden Menschen ist, das Er-forschliche erforscht zu haben und das Unerforschliche ruhig zu verehren», schrieb Goethe («Maximen und Reflexionen», 1207). Man kann sich aus zwei Gründen von Mühe und Aufwand des Forschens und Beobachtens dispensieren: 1. weil man eine Sache für vollkommen erforscht hält oder für so offen zutage liegend, daß sie des Erforschens nicht bedarf, und 2. weil man meint, man könne die Antwort auf eine Frage schon durch bloßes Nachdenken finden. Bezüglich der Frage: «Konnte Leben von selbst entstehen?» neigen Biologen heute zum ersteren: Evolution (im Sinne von Mutation-Selektion) bedarf keines Beweises, sie ist ein Faktum, wie es ein Faktum ist, daß es Gebirge gibt (das kann man tatsächlich in Schulbüchern und Sachbüchern lesen!72). Philosophen, auf der anderen Seite, neigen zu der zweiten Begründung, auf Beobachtung und Experiment zu verzichten. Als Wallace und Darwin ihre These von der Entstehung der Arten durch natürliche Auswahl der dem jeweiligen Milieu am besten angepaßten, zufällig durch Erbgutveränderungen fort und fort entstehenden Varietäten (Mutanten) aufstellten, gingen sie von zwei zu ihrer Zeit weder beweisbaren noch widerlegbaren Voraussetzungen aus: 1. Durch zufällig-spontan in einem Organismus eintretende genotypische (in der Erbsubstanz stattfindende) Veränderungen entstehen Individuen mit phänotypisch, das heißt in ihrem Erscheinungsbild variierten Merkmalen (Varietäten). In heutiger Sprechweise: Eine Folge von Mutationen, also von zufälligspontan auftretenden Veränderungen der Nucleotidsequenz des DNS-Makromoleküls, kann zur Entstehung von Organismen (Mutanten) mit neuen Organen und Formen führen, die sich im Leben als nachteilig oder vorteilhaft erweisen. 2. Das Auftreten von Varietäten, die unter günstigen Umständen (nach und nach) zu einer neuen Art oder Klasse führen, kann durch Mutationen, das heißt durch Sequenzänderungen eines bestehenden, im Einsatz befindlichen Genoms, verursacht werden. Daß diese Voraussetzungen für Selbstorganisation gegeben sind, ist weder selbstverständlich noch undenkbar. Und damit ist auch Selbstorganisation weder eine Gegebenheit wie Gebirge, Naturgesetze oder Himmelskörper, noch ist sie von vornherein undenkbar. Ob sie stattgefunden hat oder nicht, ist eine Frage, die sich nicht durch Nachdenken allein und nicht durch Behauptungen und Gegenbehauptungen prominenter Wissenschaftler, sondern nur durch Beobachtung beantworten läßt. Wie aber soll man einen Vorgang beobachten, der sich vor drei oder vier Milliarden Jahren in den Ursuppen der frühen Erde und in den letzten 500 Millionen Jahren der Erdgeschichte (Auftreten der Arten) einmalig und unwiederholbar in den Keimzellen von Lebewesen abgespielt hat und dessen einzelne Phasen sich über viele Jahrmillionen erstreckten? Den Vorgang selbst hat in der Tat niemand beobachtet, und niemand kann ihn je beobachten, aber das Geschehen hat seine Spuren hinterlassen: 1. die Fossilien, die in den verschiedenen durch Ablagerungen entstandenen Schichten der Erdrinde gefunden werden, und 2. die Milliardenfolge der im Laufe der Erdenzeit zur Kette gereihten Nucleotideinheiten des Makromoleküls DNS in den Zellen bzw. Zellkernen der heutigen Lebewesen, dessen Struktur aufgeklärt wurde und dessen Längenzunahme von den frühen Einzellern bis zu den Säugetieren sich durch Laboratoriumsuntersuchungen der DNS jetzt noch existierender, in den verschiedenen Erdzeitaltern aufgetretener Arten verfolgen läßt. Das fast plötzliche Auftreten der verschiedenen Pflanzen- und Tierklassen in den verschiedenen Erdepochen spricht, wie Henning Kahle in einer sorgfältigen Untersuchung gezeigt hat8, ganz gegen eine in kleinsten Stufen durch Mutationen bewirkte Entwicklung. Was sonst alles noch gegen die neodarwinistische Hypothese von Mutation-Selektion spricht, findet sich bei G. R. Taylor.6 Ich beschränke mich auf das Makromolekül DNS und seine Synthese, die als conditio sine qua non, als unabdingbare Voraussetzung, alles Leben auf der Erde begleitet hat und begleitet. Von der Uratmosphäre zum Makromolekül Darwins Lehre und ihr naturwissenschaftlicher Kern Wie immer das zustande kommen mag, was man öffentliche Meinung nennt, es ist im Hinblick auf das Thema «Evolution» nicht zu übersehen, daß seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Augen der Öffentlichkeit Evolutionstheorie und Wissenschaft gleichgesetzt werden. Wer sich gegen Evolution auszusprechen wagte, war automatisch ein Fundamentalist, ein rückständiger Hinterwäldler, ein religiöser Fanatiker, der mit missionarischem Feuereifer auszieht, einen Drachen zu töten. Selbst heute, obwohl man Theologen, die gegen die Evolutionslehre etwas einzuwenden haben, mit der Lupe suchen muß, hat sich diese Meinung gehalten, die man kaum besser ausdrücken kann, als es der Philosoph Ludwig Feuerbach um die Mitte des vorigen Jahrhunderts getan hat.10 «Der Ursprung des Lebens ist unerklärlich und unbegreiflich; es sei; aber diese Unbegreiflichkeit berechtigt dich nicht zu den abergläubischen Konsequenzen, welche die Theologie aus den Lücken des menschlichen Wissens zieht, berechtigt dich nicht, über das Gebiet der natürlichen Ursachen auszuschweifen, denn du kannst nur sagen: Ich kann nicht aus diesen mir bekannten natürlichen Erscheinungen und Ursachen oder aus ihnen, wie sie mir bis jetzt bekannt sind, das Leben erklären, aber nicht: Es ist schlechterdings, überhaupt nicht aus der Natur erklärbar, ohne dir anzumaßen, den Ozean der Natur bereits bis auf den letzten Tropfen erschöpft zu haben: berechtigt dich nicht, durch die Annahme erdichteter Wesen das Unerklärliche zu erklären; berechtigt dich nicht, durch eine nichts erklärende Erklärung dich und andere zu täuschen und zu belügen; berechtigt dich nicht, dein Nichtwissen natürlicher, materieller Ursachen in ein Nichtsein solcher Ursachen zu verwandeln, deine Ignoranz zu vergöttern, zu personifizieren, zu vergegenständlichen in einem Wesen, welches die Ignoranz aufheben soll und doch nichts anderes aus- drückt als die Natur dieser deiner Ignoranz, als den Mangel positiver, materieller Erklärungsgründe. Denn was ist das immaterielle, un- oder nicht körperliche, nicht natürliche, nicht weltliche Wesen, woraus du dir das Leben erklärst, anderes als der präzise Ausdruck von dem dir nicht gegenständlichen Sein, von dem Nichtwissen materieller, körperlicher, natürlicher, kosmischer Ursachen? Aber statt so ehrlich und bescheiden zu sein, schlechtweg zu sagen: Ich weiß keinen Grund, ich kann es nicht erklären, mir fehlen die data, die Materialien, verwandelst du diese Mängel, diese Negationen, diese Leerheiten, diese Poren deines Kopfs vermittels der Phantasie in positive Wesen, in Wesen, die immaterielle, d. h. keine materiellen, keine natürlichen Wesen sind, weil du keine materiellen, keine natürlichen Ursachen weißt. Die Ignoranz begnügt sich übrigens mit immateriellen, unkörperlichen, nicht natürlichen Wesen, aber ihre unzertrennliche Gefährtin, die üppige Phantasie, die es immer nur mit höchsten und allerhöchsten und überhöchsten Wesen zu tun hat, erhebt sogleich diese armen Geschöpfe der Ignoranz in den Rang von übermateriellen, übernatürlichen Wesen.» Man kann die ganze Menschheitsgeschichte als Befreiungsbewegung schreiben. Immer waren und sind einzelne Menschen, Gruppen, Gemeinschaften, Völker in der Situation des Gefangenen, Unterdrückten, Dienstbaren, aus der sich diese in oft jahrhundertelangem Bemühen zu befreien versuchten. Letzten Endes reiben wir uns an der Zwangsjacke unseres Daseins schlechthin, an der Situation der Sterblichen, die auf dem Weg von der Wiege zum Grab mancherlei Beschwerden unterworfen sind, und dies nicht freiwillig, sondern durch den, der sie - die Schöpfung - der Vergänglichkeit unterworfen hat. Und um ihn, den Schöpfer, ging es bei der Auseinandersetzung um Darwins Lehre: die einen fühlten sich bei der Vorstellung von der Entstehung der Arten durch zufällige (Darwin selbst* vermied es, von Zufall zu sprechen) Erbgutvariationen und natürliche Zuchtwahl und die damit gegebene Ausschaltung des Schöpfergottes befreit, die anderen fühlten sich durch die ■ Seltsamerweise machen auch moderne Darwinisten11 wieder einen großen Bogen um den Zufall - oder versuchen es und verheddern sich dabei in Widersprüche. Wozu eigentlich diese Manöver? Auch der Neodarwinismus modernster Prägung beruht auf Mutation und Selektion, und Mutationen sind nun einmal wesensgemäß Zufallsreaktionen. Selektion ist eine zwangsläufig-unvermeidbar ein tretende Folge der zufälligen Mutationen einerseits und der unverrückbar feststehenden, von Menschenwunsch und -willen nicht beeinflußbaren geophysikalischen und biologischen Rahmenbedingungen, in die das Leben eingespannt ist. Da der Mutationszeitpunkt zufällig ist, kann man umgekehrt auch sagen, daß zum Zeitpunkt der Mutation die Umweltbedingungen zufällig gerade so waren und nicht anders. Abstammung vom Affen erniedrigt, gedemütigt, in ihrer Menschenwürde verletzt. Im Grunde ist das bis heute so geblieben, nur daß es nicht mehr so offen gesagt wird, weil kein Anlaß mehr dazu besteht, denn die Evolutionslehre (in modernisierter Form) ist zur offiziellen Lehrmeinung avanciert. Wer etwas dagegen vorbringt, wird zum Außenseiter. Dann aber hat sich-im Laufe der fahre auch beides etwas abgestumpft: sowohl die Begeisterung über die vermeintliche Befreiung vom Schöpfungsmystizismus, weil man eingesehen hat, daß die Fragen und Probleme doch letztlich die alten geblieben sind und von Befreiung gar nicht die Rede sein kann, als auch der Gram, w^il man eingesehen hat, daß das Tiersein des Menschen nicht zu übersehen ist und daß die Würde des Menschen auch noch durch ganz andere Dinge gefährdet sein kann als durch seine Verwurzelung im Tierreich. Weitab vom leidenschaftlichen Streit der Ideologen um Dar-'wins Lehre und unbemerkt von jenen, die, berauscht vom Glücksgefühl, nun endlich den Stein der Weisen gefunden zu haben, an einer allumfassenden «Evolutionären Erkenntnistheorie» stricken, hat sich etwas Merkwürdiges begeben: Das, wovon Darwin ständig sprach, seine Varietäten, die der natürlichen Zuchtwahl vorausgingen und diese erst ermöglichten, wurde im streng wissenschaftlichen Sinne aufgeklärt. Darwin rätselt über lange Seiten seines Buches an den möglichen Ursachen für das Auftreten von Varietäten (Tieren und Pflanzen mit abgeänderten, erblichen Merkmalen) herum und ist sich seines Nichtwissens durchaus bewußt: «Die Gesetze, denen die Vererbung unterliegt, sind größtenteils unbekannt. Niemand weiß, warum dieselbe Eigentümlichkeit bei verschiedenen Individuen einer Art oder verschiedener Arten zuweilen erblich ist und zuweilen nicht; warum ein Kind oft diese und jene Merkmale des Großvaters oder der Großmutter oder noch früherer Ahnen aufweist; warum ...»11 Darwin wußte es nicht und konnte daher auch nicht wissen, daß Varietäten Mutanten sind und daß Mutationen allein niemals - auch nicht im Wechselspiel mit Selektion - Stufen auf dem Wege von einer Art zu einer anderen sein können. Die Chemie der Vererbung und damit natürlich auch die Chemie der Entstehung der Arten und der Entstehung des Lebens im Sinne Darwins wurde Schritt für Schritt aufgedeckt: 1944: O. T. Avery, C. M. Mac Leod, C. M. Mac Carthy: DNS (Desoxyribonucleinsäure) ist das Trägermolekül der genetischen Information 1950: E. Chargaff: Komplementaritätsregel (Basenpaa- rung im DNS-Molekül) 1953: J.D. Watson, EH. C. Crick: Doppelhelixstruktur der DNS 1955: A. Kornberg: In vitro-Synthese von DNS (Replika- tion) 1955: S. Ochoa: Invitro-SynthesevonRNS i960- M. Nirenberg, H. G. Khorana, S. Ochoa: Auf- 1966: klärung des genetischen Code, Transkription und Translation (DNS-gesteuerte Proteinsynthese) Alles läuft auf Struktur, Synthese und Funktion des Makromoleküls DNS hinaus. (Zusammenfassende Darstellung zum Beispiel bei Bresch62 oder Vollmert.21) Makromoleküle Die Bedeutung der «Chemie der Makromoleküle» oder «Makromolekularen Chemie» wurde aus irrationalen historischen Gründen von maßgeblichen Vertretern der klassischen Chemie-Lehrstühle lange nicht erkannt. Warum? Das geht zurück auf die gespannten persönlichen Beziehungen des Begründers der Makromolekularen Chemie zu den Größen der deutschen Chemie der zwanziger und dreißiger Jahre. Hermann Staudinger hatte das Strukturprinzip der Makromoleküle bei Cellulose, Naturkautschuk und einigen Kunststoffen wie Polyformaldehyd und Polystyrol gefunden und verfocht seinen Standpunkt mit Vehemenz. Die Autoritäten von damals waren aber der Meinung, Makromoleküle könne es nicht geben. Ihre Gründe sind mir und allen Chemikern heute ganz unbegreiflich. Im Ausland ging man über die Vorurteile der deutschen Kapazitäten zur Tagesordnung über: 1953 erhielt Staudinger für sein bahnbrechendes Strukturkonzept «Makromolekül» den Nobelpreis. Jetzt hätte man meinen können, damit wäre die Sache erledigt. Aber weit gefehlt. * * 1980 erschien in dem angesehenen Weinheimer Verlag Chemie das Buch eines jungen Chemikers, C. Priessner15, der die Geburtswehen der Makromolekula- Was das Makromolekül DNS angeht, so hat die Verdrängung der Makromolekularen Chemie zur Folge gehabt, daß man zwei Arten von chemischen Reaktionen nicht unterscheiden lernte: Mutation und Polykondensation. Obwohl es unbestritten ist, daß das «die» genetische Information tragende (man kann auch sagen: aus Genen bestehende) DNS-Molekül ein Makromolekül ist, und obwohl es unbestritten ist, daß Makromoleküle von der Art des DNS - MoIekurCdurch Polykondensation entstehen (durch ma- trixgesteuerte Polykondensation bei der Replikation, durch intel-ligenzgesteuerte Polykondensation bei der gentechnologischen Synthese und durch statistische Copolykondensation bei der Selbstorganisations- und Ürsuppensynthese, von der jetzt gleich die Rede sein wird) - obwohl also jede DNS-Synthese dem internationalen Sprachgebrauch nach eine Polykondensation ist, bin ich gleichwohl in der Selbstorganisationsliteratur diesem Schlüsselbegriff noch nicht begegnet. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß bei der jahrzehntelangen Diskussion über biologische und präbiotische Evolution die makromolekulare Basis dieses Geschehens einfach übersehen wurde. Das ist um so erstaunlicher, als nicht nur das informationsträchtige DNS-Molekül ein Makromole-i kül ist, sondern auch alle anderen Moleküle, von denen im Zusammenhang mit Evolution die Rede ist: die verschiedenen RNS-Arten, die als Boten- und Transfer-RNA die Nucleotid- s , Sequenz der DNS in Aminosäuresequenz der Proteine übertra- ren Chemie kaum vom Hörensagen kannte und der sich vor die unlösbare Aufgabe gestellt sah, die Geschichte der Makromolekularen Chemie aus einem Paket nachgelassener Briefe zu rekonstruieren. In Priessners Buch wird dargelegt, daß das Strukturprinzip “Makromolekül» bereits im 19. Jahrhundert bekannt war. Ich habe in einer Buchbesprechung14 die Haltlosigkeit der Priess-NERschen Argumentation im einzelnen belegt, frage mich aber vergebens, welche Motive hinter solchen Bemühungen stehen. Wenn ich recht informiert bin, war es Schopenhauer, der das Schicksal aller unliebsamen großen Entdeckun-~gen~so schematisierte: Im ersten Stadium weiden sie ignoriert; wenn das nicht, mehr geht, werden sie isoliert [alle renommierten Fachzeitschriften haben.eim. gutfunktionierendes Refereesystem, das auf der einen Seite unentbehrlich ist, auf der anderen Seite aber die Gefahr der Zensur in sich birgt]; und wenn auch Isolierung..nicht..mehr hilft, werden sie mit. allen .Mitteln bekämpft. Versagt schließlich auch dieses Mittel, so tut man so, als ob das alles schon längst, schon immer bekannt gewesen wäre. Warum freilich das Strukturprinzip der Makromoleküle lange Zeit so unbeliebt war oder als überflüssig empfunden wurde im Fakultätsbereich Chemie, ist nach wie vor rätselhaft. gen, sind Makromoleküle, die vielen Proteine, die als Gerüstsubstanzen die Tierkörper aufbauen und als Enzyme den gesamten Stoffwechsel der Zellen steuern, sind Makromoleküle, die Ribosomen, die als Protei nfahrike.n der Zelle bezeichnet werden, bestehen aus Makromolekülen, und Mutationen sind chemische Reaktionen an Makromolekülen. Die ganze Ursuppen-Diskus-sion dreht sich um die Entstehung von Makromolekülen, auch die Cellulose, die Gerüstsubstanz der Pflanzenzelle, ist ein Makromolekül. Ob man sich nun darüber wundert, daß die Aspekte der Makromolekülstruktur und der Polymersynthese bei der wissenschaftlichen Diskussion über das Thema Evolution bisher nicht beachtet wurden, oder ob man es angesichts der akademischen Abseitsstellung der Makromolekularen Chemie erklärlich findet, sicher ist, daß man dem Polymerchemiker, der sich von Berufs wegen mit der wissenschaftlich-experimentellen Untersuchung der Synthese makromolekularer Stoffe befaßt, eine Kompetenz auch in Sachen Evolution zugestehen muß. Diese Kompetenz wird ihm nicht von Biologie- oder Chemie-Professoren und nicht von einflußreichen wissenschaftlichen Gesellschaften zugesprochen, sondern fließt ihm aus der Sache selbst zwangsläufig zu, denn letztlich ist das Kernproblem der chemischen und biologischen Evolution eine Frage nach der Entstehung des Makromoleküls DNS - freilich (man kann nicht oft genug darauf hinwei-sen, weil es immer wieder übersehen wird) nicht in dem Sinne, daß Entstehung und Entwicklung des Lebens durch das Makromolekül DNS (seine Struktur und Funktion) erklärt werden, sondern nur in dem Sinne, daß Entstehung und Kettenwachstum (Polykondensation) des DNS-Makromoleküls eine unabdingbare Voraussetzung für Entstehung und Entwicklung des Lebens sind. Das gilt für die Ontogenese (Embryonalem Wicklung des Individuums) ebenso wie für die Phylogenese (Stammesgeschichte aller Lebewesen, Evolution). Nehmen wir also Abschied von den ideologischen Parolen des 19. Jahrhunderts', nehmen wir auch Abschied von der Bio- * Zu Ludwig Feuerbachs zitierten Ausführungen sollte man vielleicht folgendes bedenken: Es gibt - so paradox das klingen mag - Wissenslücken, die nur der Unwissende nicht wahmimmt, Wissenslücken auch, von denen nur der Unwissende noch hoffen kann, daß sie einmal durch Wissen ausgefüllt werden, Wissenslücken, die um so mehr an Kontur gewinnen, je mehr wir über die Sache, um die es logie (obwohl es um die Entstehung des Lebens geht, hat die Biologie uns dazu nichts zu sagen, denn die Synthesen von Tieren und Pflanzen sind und bleiben eitle Homunkulusträumereien) und wenden uns den Molekülen zu, speziell der Frage nach der Bildungsmöglichkeit des Makromoleküls DNS und der Proteinmakromoleküle auf der frühen Erde, denn nur diese Synthesen sind einer exakt-wissenschaftlichen Behandlung zugänglich. Das Leben hat seinen Weg auf der Erde mit der Synthese von Makromolekülen (DNS, RNS, Proteinen) begonnen oder wiederaufgenommen (ich wähle diese Ausdrucksweise mit Bedacht, weil, wie wir sehen werden, die heute gängige Ansicht, daß es durch Selbstorganisation entstand, unhaltbar geworden ist). Die Makromoleküle aber sind durch Assoziation (Polykondensation) von bifunktionellen kleinen Molekülen (Monomeren) in «Ursup-pen», Gesteinsporen oder wo immer auf der Erde oder im Weltall entstanden. Die Monomeren bildeten-sich aus den noch kleine-ren Molekülen der Uratmosphäre und diese aus den Atomen von Kohlenstoff, Wasserstoff, Stickstoff, Sauerstoff und Phosphor. Diese aber entstammen der mehr als 2cTMillionen Grad heißen Kemregion von Galaxien und Supernova-Explosionen. Galaxien und Sterne schließlich haben sich durch Ballung der großen Wa_s_-, serstoff- und Helium-Gasmassen gebildet, die vielleicht einer großen Urexplosion entstammen. Die letzten Stufen dieser langen Kette von Kondensationsvorgängen haben sich auf unserer Erde abgespielt, der jungen oder frühen Erde vor drei bis vier Milliarden Jahren (wenn die Altersbestimmungen richtig sind, was zuweilen angezweifeltIS, meist aber bestätigt wird74). Jetzt geht es um die Frage: Konnten Makromoleküle von der Art der DNS- und Proteinmakromoleküle, ohne die kein irdisches Leben möglich ist, unter den Bedingungen der frühen Erde von selbst entstehen? Von selbst entstehen heißt: durch statisti-sche Copolykondensation entstehen, denn eine matrixgesteu- geht, wissen. Eine solche Wissenslücke, die sich mit zunehmendem Wissen ständig vertieft, sind die «historischen» Details um die Entstehung der Materie oder des Lebens. - Eine andere, sich mit fortschreitender Forschungwertiefende Wissenslücke ist die zwischen Stoff-Infoimation, welche als Nucleotid-Reihenfolge der DNS-Kette gespeichert ist, einerseits, üncTForm-Information, die sich beim embryonalen Wachsen in der Entstehung der hochdifferenzierten Organe und ihrer Funktion manifestiert, andererseits. erte* DNS-Synthese kommt für eine Erstentstehung nicht in Betracht, da ja auch die Matrix ein DNS-Makromolekül ist, das erst einmal entstehen mußte, bevor es seinen Dienst als Matrix oder Schablone (template) aufnehmen konnte. Selbstorganisation Dem Chemiker ist der Gedanke an Selbstorganisation keineswegs fremd. Jede chemische Reaktion ist eine Neuorganisation, eine Neuanordnung von Atomen, eine Neu- oder Umstrukturierung von Molekülen. Daß dies von selbst geschieht, das heißt unter dem Einfluß der völlig regellosen molekularen Wärmebewegung und der damit verbundenen Zusammenstöße der Moleküle einerseits und unter der Einwirkung von Kräften, die den Atomen innewohnen, andererseits, ist so selbstverständlich, daß man es nicht jedesmal wieder erwähnen muß. Die Reaktionen verlaufen unter vorgegebenen Bedingungen {Konzentrationsverhältnisse der reagierenden Komponenten, Temperatur, Druck) immer mit dem gleichen Ergebnis, so daß man bei den meisten Reaktionen das Ergebnis bereits im voraus kennt. Niemand braucht einem Chemiker zu sagen, daß aus Alkoholen und Carbonsäuren Carbonsäureester entstehen, aus Carbonsäuren und Aminen Carbonsäureamide und aus Isocyanaten und Alkoholen Urethane und so weiter. Wegen der Gewöhnlichkeit, Voraussehbarkeit und Erklärbarkeit des Geschehens verwendet man dafür auch keine besonderen Namen, sondern spricht schlicht von Reaktionen. So wundert man sich nicht darüber, wenn unter den Bedingungen der HABER-BoscH-Synthese immer und überall in der Welt aus Wasserstoff und Stickstoff von selbst Ammoniak entsteht. Fritz Haber hat sich vielleicht beim erstenmal darüber gewundert und sich darüber gefreut. Heute würde man sich höchstens sehr wundern, wenn unter den Bedingungen der HABER-BoscH-Synthese einmal kein Ammoniak gebildet würde. Unverzüglich machte * Bei der vor jeder Zellteilung stattfindenden DNS-Synthese durch Replikation ranken sich die neu entstehenden Tochterstränge um die im Zellkern bereits vorliegenden DNS-Ketten, die daher als Matrixstränge bezeichnet werden. Dabei wird die Nucleotidfolge der Matrixstränge in komplementärer Form von den Tochtersträngen übernommen (siehe Anhang S. 191 ff). man sich auf die Suche nach der Ursache für die Stömng und hätte sie auch bald in einer Verunreinigung («Vergiftung») des Katalysators oder des Synthesegases gefunden. Ähnlich ist es bei der Nylonsynthese und ähnlich auch bei dem bekannten Versuch von Harold Clayton Urey und Stanley Miller17, der zur Basis aller Selbstorganisationshypothesen geworden ist. Der UREY-MiLLER-Versuch: «Ursuppen» Die frühe Erde war, so nehmen Geologen an, von einer Atmosphäre umgeben, die neben Kohlendioxid (C02) und Wasserdampf (HjO) Ammoniak (NH3) und Methan (CH4) enthielt. Es ist nicht erwiesen, daß die frühe Erdatmosphäre diese Zusammensetzung hatte, aber diese Annahme ist auch nicht unbegründet, wenn man weiß, daß die großen Planeten Jupiter und Saturn heute noch Atmosphären ähnlicher Zusammensetzung besitzen - dies freilich nur dann, wenn man den relativ hohen Wasserstoffund Heliumanteil abzieht, der auf der Erde wegen ihrer geringen Größe durch Diffusion in den Weltraum verlorenging. Auch Vulkangase, die in erster Linie in Frage kommen als Quelle der zweiten Atmosphäre (die erste Atmosphäre aus überwiegend Wasserstoff und Helium kann sich bei kleineren Himmelskörpern mit geringer Schwerkraft nicht lange halten), bestehen hauptsächlich aus W'asserdampf und Kohlendioxid; Methan, Ammoniak und Schwefelwasserstoff sind in der frühen Erdatmosphäre nur in geringen Konzentrationen vorhanden gewesen. Urey und Miller gingen bei ihren ersten Simulationsexperimenten von Gasgemischen mit sicherlich viel zu hohen NH3-und CH ^Konzentrationen aus, nämlich je 40 Volumenprozent und dazu 20 Prozent Wasserstoff. Für die wesentliche Aussage des MiLLER-Versuchs ist das ohne Bedeutung.* Die MiLLERSche Apparatur wurde nach Einfüllen von Wasser in den Rundkolben K evakuiert und durch Einsaugen mit dem * Wenn heute immer von dem berühmten MiLLER-Versuch (1953) gesprochen wird, vergißt man dabei, daß bereits 1913 von W. Loeb ganz ähnliche Experimente mit realistischeren Gasmischungen mit ähnlichen Ergebnissen durchgeführt wurden. P. H. Abelson veröffentlichte seine gleichartigen Versuche fast gleichzeitig mit Miller. Groth und Suess haben 1938 Versuche mit CO, / H ,0-Gasmischungen unter UV-Bestrahlung durchgeführt.16 Gasgemisch gefüllt. Wenn man das Wasser im Kolben K zum Sieden erhitzt und den Kühler (Kondensator) in Betrieb nimmt, kondensiert ständig Wasser im Kühler und läuft über die Siphon-Sperre in den Kolben zurück. Bei Millers Versuch wurde im oberen Kolben eine Funkenstrecke gezündet und die Anlage eine Woche lang in Betrieb gehalten. Das Ergebnis dieses für die gesamte Ursuppen- und Selbstorga-nisations-Diskussion fundamental wichtigen Experiments, das in zahlreichen Laboratorien der ganzen Welt an die hundert Male wiederholt wurde, wird in der Sekundärliteratur leider oft völlig falsch oder unvollständig wiedergegeben. So wurde die irrige Meinung verbreitet, durch den MiLLER-Versuch sei experimentell bewiesen, daß sich in der Atmosphäre der frühen Erde Aminosäuren, die Bausteine der Proteine, und Nucleotide, die Bausteine der Nucleinsäuren (DNS, RNS), gebildet haben, aus denen sich unter den Bedingungen der früheren Erde Makromoleküle, wie Nucleinsäuren und Proteine, bilden konnten. In der Zeitschrift «Selecta» beispielsweise wird in einem Referat über einen Vortrag des Nobelpreisträgers Manfred Eigen der MiLLER-Versuch folgendermaßen beschrieben: «Sie mischten eine aus Methan, Ammoniak, Wasserstoff und Helium, führten dann über Funkentladungen oder Stoßwellen Energie zu und fanden anschließend im Bodensatz der Retorte -einst - neben zahlreichen organischen Verbindungen auch Nucleotide und Aminosäuren. Demnach ist es gerechtfertigt, Nucleotidketten, also Nucleinsäuren, als potentielle Träger der frühen, präbiotischen Evolution zu betrachten.»18 Dieses Evolutionstempo ist in der Tat atemberaubend, begeisterter Beifall und gelehrte Diskussionsbemerkungen ließen dann auch, wie der Berichterstatter zu melden weiß, «erkennen, was viele der Zuhörer, auch der Sachkundigen, am Ende dachten: So muß es gewesen sein ...» M. Eigen selbst drückt seine Ansicht über die Ergebnisse von Simulationsversuchen so aus3: «Blitzschlag, Schockwellen, ultraviolette Strahlung und heiße Vulkanasche waren allgegenwärtige Energiequellen, die, wie Experimente gezeigt haben, allesamt chemische Umwandlungen hervorbringen konnten, bei denen die Stoffe auf der Oberfläche der frühen Erde in bedeutenden Mengen in Substanzen überführt wurden, die man heute als organisch einstufen würde. Im frühen solaren System gab es eine Unmenge von Material, das aus Kometen oder Meteoriten stammte und von dem ein großer Teil auf der Versuchsapparatur für MiLLER-Experimente. Das Ergebnis eines typischen Miller-Versuchs ist in Tab. S. 42 wiedergegeben Erdoberfläche deponiert war. Bei der Einwirkung des Sonnenlichts auf das ultrakalte Material, aus dem diese Überreste der Kondensation des Sonnensystems bestanden, könnten sich organische Moleküle von der Größe biologischer Polymerer gebildet haben.» Solchen und ähnlichen euphorischen Fehlinterpretationen dessen, was «Experimente gezeigt haben», die von Theoretikern stammen, die nach einer experimentellen Basis für ihre sonst im Leeren schwebenden Selbstorganisationshypothesen suchen, stehen die nüchternen Zahlenangaben der Originalliteratur gegenüber, die zwar dem Chemiker zugänglich sind, dem Leser populärwissenschaftlicher Zeitschriften aber leider nicht. Diese wahrheitsgemäß aus MiLLER-Versuchen (und dessen Variationen) resultierenden Zahlenangaben wurden von Dose und BIFUNKTIONELLE MOLEKÜLE MONOFUNKTIONELLE MOLEKÜLE RELATIVE ANZAHL DER MOLEKÜLE RELATIVE ANZAHL DER MOLEKÜLE IN DER LÖSUNG IN DER h2n-ch2-cooh 1.0 HCOOH 3,0 GLYCIN AMEISENSÄURE h2n-ch -cooh 0,54 CH3-COOH 0.3 CH3 ESSIGSÄURE ALANIN AMINOSÄUREN: 1,54 £ y> ch3-ch2-cooh 0,3 ho-ch2-cooh GLYKOLSÄURE 0.9 PROPIONSÄURE MONOCARBONSÄUREN : 3,6 ch3-nh2 5.0 HO- CH-COOH 0,73 METHYLAMIN ch3 MILCHSÄURE ch3-ch2-nh2 0,5 HYDROXYCARBONSÄUREN: 1,63 0.5 O AETHYLAMIN MONOAMINE: 5.5 hooc-ich2 )2-cooh o © BERNSTEINSAURE NUCLEOSIDE: < 0.003 0© (UNTER DER NACHWEIS-BARKEITSGRENZE ) Typisches Resultat von MiLLER-Versuchen Rauchfuss in ihrem Buch19 zusammengestellt. Sie finden sich (soweit sie für die Frage nach der Entstehung von Makromolekülen in Ursuppen von Bedeutung sind) in der obigen Tabelle, die ich der Aufmerksamkeit des Lesers ganz besonders empfehle. Danach werden unter MiLLER-Bedingungen (Funkenstrecke in Gasgemischen, die in der Ffauptsache Methan, Ammoniak und Wasserdampf enthalten) circa 1,6 mol Prozent, das heißt: 1,6 von hundert Methanmolekülen, zu Aminosäuren, hauptsächlich zu Glycin und Alanin, umgesetzt, circa 3,6 mol Prozent aber zu Monofunktionellen, wie Ameisensäure, Essigsäure und Propionsäure. Bei UV-Bestrahlung (die nach übereinstimmenden Aussagen von Geologen und Physikern auf der frühen Erde sehr intensiv war) wie auch bei Röntgenbestrahlung entstehen in MiLLER-Gasgemischen große Anteile von monofunktionellen Aminen wie Methylamin und Aethylamin (rund 5 bis 6 mol Prozent).19 Nucleoside und Nucleotide (DNS / RNS-Bausteine) konnten unter MiLLER-Bedingungen nicht nachgewiesen werden19 und liegen daher mit Sicherheit unter 0,03 mol Prozent (in dieser Menge wurde Adenin* bei Elektronenbestrahlung von Miller-Gasgemischen gefunden20). Alle Berichte, wonach sich bei Miller-Versuchen Proteine oder Nucleotide (DNS/RNS) gebildet haben sollen (zum Beispiel EiGEN-Vortrag, referiert von W. Frese in «Selecta»18, oder R. Riedl in seinem Buch «Die Strategie der Genesis»7), entsprechen nicht den Tatsachen. Zusammenfassend schreibt darüber Professor Klaus Dose, Universität Mainz, in seinem Resümee über die von ihm organisierte und geleitete ISSOL-Tagung in Mainz 1983, auf der prominente Origin of Life-Forscher aus aller Welt in 150 Vorträgen und Posterbeiträgen über ihre neuesten Forschungsergebnisse berichteten: «Andererseits muß man jedoch festhalten, daß biologisch bedeutende Makromoleküle, wie Peptide, Eiweißkörper, Nucleotide, Nucleinsäuren, Saccharide und ähnlich komplexe Verbindungen in keinem Fall im interstellaren Raum, in Kometen, in Meteoriten, auf anderen Planeten oder auch nur in älterem Sedimentgestein unserer Erde nachgewiesen werden konnten (M.W. Irvine, Amherst/USA; f.M. Greenberg, Lei-den/Holland)... Andererseits muß die spontane Bildung von einfachen Nucleo-tiden oder gar von replikationsfähigen Polynucleotiden auf der präbiotischen Erde auf Grund zahlreicher, aber erfolgloser Experimente heute als unwahrscheinlich angesehen werden (K. Dose, Mainz; R. Shapiro, New York/USA; L.E. Orgel, San Diego/ USA). Louis Pasteur machte 1864 an der Sorbonne in seinem historischen Vortrag über die Ablehnung der Doktrin der spontanen Generation lebender Zellen die Aussage, daß sich diese Doktrin niemals von dem tödlichen Schlag erholen würde, den sie durch seine Experimente erhalten hätte. Analog mag die Mainzer Tagung historische Bedeutung erhalten, weil hier erstmals von mehreren Wissenschaftlern widerspruchslos festgestellt wurde, * Adenin ist eine der vier Basen, die in Verbindung mit Ribose und Phosphorsäure die Bausteine des DNS-Moleküls (Nucleotide) bilden. daß alle Thesen zur Evolution lebender Systeme aus spontan entstehenden Polynucleotiden ohne experimentelle Grundlage sind.»1 2 Es ist eine weithin vorherrschende Meinung, daß (wenn es schon bis jetzt nicht gelungen ist) es vielleicht doch in absehbarer Zukunft gelingen werde, unter präbiotischen Bedingungen Polymere nach Art der DNS / RNS oder der Proteine zu synthetisieren. Das aber wird nach einer klaren Aussage der Polykondensationsgesetze und der Miller-Versuche nicht möglich sein. Viele können dies nur deshalb nicht einsehen, weil gerade das für die Frage der Lebensentstehung wesentliche Ergebnis der MiLLER-Versu-che, besonders in der populärwissenschaftlichen Evolutionsliteratur, nicht mitgeteilt wird. Wie wir nämlich gleich sehen werden, ist für die Frage, ob sich biologisch relevante Makromoleküle auf der frühen Erde von selbst bilden konnten (gleichbedeutend mit der Aussage, daß sie sich zwangsläufig bilden mußten), nicht nur die Feststellung von Bedeutung, daß sich bei Miller-Versuchen Aminosäuren bilden, sondern ganz wesentlich auch die Beobachtung, daß bei diesen Versuchen, so oft sie auch wiederholt werden, immer unvermeidlich ein Vielstoffgemisch entsteht, das zwar in geringen Mengen biologisch relevante, kettenbildende, bifunktionelle Monomere wie Aminosäuren enthält, ganz überwiegend aber aus ketten-abbrechenden monofunktionellen Molekülen wie Ameisensäure, Essigsäure, Propionsäure, Methylamin, Aethylamin besteht (siehe Tab. S. 42). In der Lösung eines solchen Stoffgemisches aber, als das wir nach den Ergebnissen der MiLLER-Experimente (wie auch aller anderen einschlägigen Experimente) die Ursuppe ansehen müssen, können sich Makromoleküle nicht bilden, 1. weil das Verhältnis q der kettenbildenden funktionellen Gruppen (-COOH, —NH 1; -OH) in ganz auffallender Weise von q = i abweicht, «q nahe bei 1» aber unabdingbare Voraussetzung für die Entstehung von Makromolekülen mit langen Ketten ist, und 2. weil in Ammoniumformiatlösungen («Ursuppen») wegen des Gleichgewichtcharakters der Polykondensationsreaktion die Kettenspaltung (Hydrolyse) eine Kettenbildung zunichte machen würde - selbst wenn das Verhältnis q = 1 wäre. Daß das co ist und warum es so ist, soll in den folgenden Abschnitten speziell für die Synthese von Nucleinsäuren (DNS, RNS) und Proteinen erklärt werden. Ohne DNS kein Leben Nach neodarwinistischer Auffassung ist Leben nichts weiter als ein sich autokatalytisch steuerndes Wechselspiel zwischen Genen (DNS-Kettenstücken) und Enzymen: Enzyme (über 2000 verschiedene Enzyme sind bereits in einer Coli-Zelle* tätig) werden nach Weisung der Gene synthetisiert und steuern ihrerseits durch ihre hochspezifische katalytische Wirkung den gesamten Stoffwechsel der Zelle und so nebenbei auch noch die Synthese der Gene und der Strukturpolymeren (Proteine im Tierreich und Cellulose im Pflanzenreich). Nach vorherrschender Meinung enthält das Makromolekül DNS die genetische Information im Sinne eines Gesamtprogramms, das ein Lebewesen zum automatischen Aufbau seines Körpers und dessen Funktionen befähigt: Jeder Stoff wird zur richtigen Zeit am richtigen Ort in der richtigen Konzentration produziert und formgerecht eingebaut. Entstehung des Lebens kann daher gleichgesetzt werden mit Entstehung dieses Programms. Da dieses Programm, die genetische Information, als Nucleotidreihenfolge eines DNS-Makromoleküls abrufbereit gespeichert ist, ist Selbstorganisation die Von-selbst-Entstehung eines DNS-Makromoleküls, das, einmal entstanden, die Fähigkeit hat, sich selbst zu reproduzieren, wobei das bereits vorhandene DNS-Mo-lekül jeweils als Matrix oder Matrize dient. Bei der erstmaligen Entstehung kann die Synthese natürlich nur ohne Matrize abgelaufen sein. Eine matrizenfreie nichtgesteuerte Entstehung einer DNS-Kette ist eine statistische Copolykondensation mit den vier verschiedenen Monomeren A, T, C und G, eine Reaktion also von der Art, wie sie zur Herstellung von Kunststoffen und Synthesefasern in der chemischen Industrie seit langem verwendet wird, eine Reaktion, deren Gesetzmäßigkeiten sorgfältig stu- * Escherichia coli, ein für molekularbiologische Untersuchungen besonders bevorzugtes Bakterium der Darmflora. diert wurden, sorgfältiger als bei vielen anderen chemischen Reaktionen, die man kennt. Auch wenn man (wie ich) die Ansicht, das Leben eines Individuums sei durch seine DNS, durch seine Gene also, vollständig bestimmt, nicht teilt, wird man doch nicht bestreiten wollen, daß intakte DNS mit einer bestimmten Reihenfolge ihrer Kettenbauteile (Nucleotide) unentbehrliche Voraussetzung für die Entstehung von Leben ist, so daß in jedem Falle die Aussage gilt: Ohne DNS mit bestimmter, für jede Art, für jedes Individuum charakteristischer Sequenz kein Leben. Die im Rahmen der exakten Naturwissenschaften nicht zu beantwortende Frage: «Konnte Leben auf der frühen Erde von selbst entstehen?» reduziert sich damit auf die unter streng naturwissenschaftlichen Aspekten sehr wohl zu beantwortende Frage: «Konnten Makromoleküle auf der frühen Erde von selbst entstehen?» Man kann diese Frage deshalb mit naturwissenschaftlicher Exaktheit beantworten, weil man erstens die Bedingungen, unter denen sich Makromoleküle durch statistische Polykondensation bilden, durch fortlaufend wiederholte Experimente im Rahmen der Kunststoffchemie so sicher und so genau kennt, und weil man zweitens die Bedingungen auf der frühen Erde mit einer für die Beantwortung der Frage völlig ausreichenden Sicherheit kennt. DNS-Synthese als Polykondensation Abb. S. 47 zeigt zunächst die Gleichartigkeit des Syntheseverlaufs bei DNS (oder RNS) und bei einem Kunststoffmolekül (Polycarbonat). Diese Gleichartigkeit des Struktur- und Syntheseprinzips erlaubt die Darstellung der beiden verschiedenen Reaktionen mit den gleichen Symbolen, nämlich Kugeln mit Druckknöpfen. In der Abbildung sind Beispiele gewählt, bei denen zwei verschiedene Arten von Monomeren (im Modell: Kugeln mit Druckknöpfen) miteinander reagieren; die eine Kugelsorte hat zwei Knöpfe (Druckknopfteiie) und die andere Sorte hat zwei «Nut»-Druckknopfteile. Man kennt andere Polykondensationen, bei denen es nur eine Sorte von Monomeren gibt, solche nämlich mit zwei verschiedenen funktionellen Gruppen (Haftstellen) am gleichen Molekül, entsprechend Kugeln, die mit zwei verschiedenen Druckknopfteilen ausgerüstet sind. In Abb. S. 49 ist als Beispiel KOHLEN- BISPHENOL A SÄURE- POLYC ARBON AT - K E T T E CHLORID Mitte: Veranschaulichung der Kettenbildung mit Hilfe von Kugelsymbolen. Durch diese Darstellung lassen sich beide Reaktionen gleich gut beschreiben für diesen Reaktionstyp die der Nylon-6-Synthese entsprechende Polykondensation mit einer Proteinsynthese aus Aminosäuren verglichen. Im Reaktionsablauf besteht zwischen beiden Polykondensationstypen gemäß Abb. S. 47 und Abb. S. 49 kein Unterschied. Das ergibt sich schon daraus, daß man in vielen Fällen die beiden verschiedenen Monomeren der Abb. S. 47 zunächst so miteinander reagieren lassen kann, daß ein Monomeres mit zwei verschiedenen funktionellen Gruppen am gleichen Molekül entsteht, die dann wie in Abb. S. 49 zum Polymeren weiterreagieren. Die lebende Zelle hat Enzyme, die die Bildung von Adenosin-, Thy-min-, Cytosin- und Guanosintriphosphaten katalysieren. Auch im Labor lassen sich mit Hilfe von Polyphosphorsäure Nucleosid-phosphate hersteilen, nur steht auf der Erde das Element Phosphor nicht in Form von Polyphosphorsäure, sondern nur als schwerlösliches Mineral (Apatit, Phosphorit) zur Verfügung, und man kann sich nicht recht vorstellen, wie daraus die Nucleosid-phosphate entstanden sind. Für die Beantwortung unserer Frage nach der Wahrscheinlichkeit der Entstehung von DNS durch Selbstorganisation (Selbstmontage) kann man diese Frage auf sich beruhen lassen. Ich gehe davon aus, daß bifunktionelle Monomere der einen oder der anderen Art auf der frühen Erde zur Verfügung standen, freilich nicht in reiner Form, sondern stets begleitet von monofunktionellen Molekülen. Und diese wirken sich, was ihren Einfluß auf die Kettenlänge betrifft, in beiden Fällen (Abb. S. 47 und Abb. S. 49) gleich aus. Sequenz Bei den für die Entstehung des Lebens relevanten Polykondensationen werden mehrere verschiedene Monomere zur Kette verbunden: Bei DNS/RNS sind es vier verschiedene Nucleoside, die mit Phosphorsäure eine Kette bilden, und bei den Proteinen sind es gar zwanzig verschiedene Aminosäuren, die über die gleiche Kupplung (Carbonamidbindungen) lange Ketten bilden. Wollte man das mit Hilfe von Kugelmodellen darstellen, müßte man im ersten Falle vier und im zweiten gar zwanzig verschieden gefärbte Kugeln verwenden. Man kann sich leicht vorstellen, daß bei der statistischen Copolykondensation, das heißt bei einer rein zufäl- -AMINOCAPRONSÄURE NYLON-6 (PERLON) iitte: Darstellung beider Reaktionen mit Hilfe von Kugelmodellen mit Druckknöpfen ligen Aneinanderreihung der Kettenbauteile, die «Farbfolge», die Sequenz, bei jedem Kettenmolekül eine andere ist.'Wie die lebende Zelle es anstellt, daß alle Moleküle einer Proteinsorte die gleiche Sequenz haben und daß in jeder Zelle eines aus vielen Billionen Zellen bestehenden höheren Lebewesens ein Chromosom mit einer DNS-Kette mit genau gleich vielen (zum Beispiel 7 831479) Nucleotiden (A, T, C, G) in genau der gleichen Reihenfolge ist, läßt sich heute erklären (vgl.21). Hier, bei der Frage nach der Entstehung von RNS- oder DNS-Ketten in Ursuppen, können wir einfachheitshalber die Sequenz außer acht lassen und uns nur auf die Länge der Kettenmoleküle beschränken. Die Sequenz wird uns im nächsten Kapitel noch beschäftigen. Die Frage nach der Entstehungsmöglichkeit von DNS- und Proteinmolekülen in Ursuppen («unter präbiotischen Bedingungen») reduziert sich damit zunächst einmal auf die Frage: «Welche Einflußgrößen bestimmen und begrenzen die Länge der bei einer statistischen Copolykondensation entstehenden Makromoleküle?» Einfluß des Wassers auf die Kettenlänge Was im Druckknopfmodell nicht zum Ausdruck kommt, ist die Freisetzung eines Wassermoleküls bei der Bildung einer Estergruppe. Für die Entstehung von Makromolekülen ist das von Bedeutung, denn ebenso wie unter Austritt eines Wassermoleküls die beiden Monomermoleküle durch Bildung der Estergruppe verbunden werden, können sie durch Eintritt eines Wassermoleküls in die Kette unter Rückbildung von OH- und Säuregruppen auch wieder getrennt werden (Hydrolyse). Diese Rückläufigkeit der Reaktion wird in Abb. S. 49 durch den Doppelpfeil angedeutet. Sie hat zur Folge, daß in einer Lösung von bifunktionellen Alkohol-und Säuremolekülen nicht alle OH- und COOH-Gruppen zu Estergruppen (-C00) + H20 umgesetzt werden, so daß die Ketten nicht beliebig lang werden können. Vielmehr stellt sich ein Gleichgewichtszustand ein, der dann erreicht ist, wenn pro Sekunde ebenso viele Kettenbindungen wieder gespalten werden wie neu entstehen. Quantitativ wird der Einfluß der Wasserkonzentration auf die Kettenlänge durch das auf dem 2. Hauptsatz der Fließgleichgewicht: Solange der Wasserzulauf anhält, bleibt der Wasserspiegel des Brunnens oberhalb des Auslaufrohres (bei richtiger Regulierung mit dem Ablaufhahn). Hört aber der Wasserzulauf auf oder wird er zu spärlich, läuft der Brunnen bis zur Höhe des Auslaufrohres leer. Das System reguliert sich in gewissen Grenzen selbst: Wird der Zulauf verstärkt, steigt der Pegel so lange, bis die mit steigendem hydrostatischen Druck zunehmende Ausflußmenge (pro Minute) wieder gleich der neuen Zulaufgeschwindigkeit ist. Thermodynamik beruhende Massenwirkungsgesetz beschrieben. Gegen eine Begrenzung der Kettenlänge durch Hydrolyse wurde eingewendet, daß die Erde ein offenes System sei und daher die Gleichgewichtsthermodynamik durch eine Nichtgleichgewichtsthermodynamik * zu ersetzen sei.1 Es ist sicher richtig, daß Leben ein Fließgleichgewicht darstellt, was, seit Ludwig von Bertalanffy diesen Begriff einführte, kaum noch jemand bestreiten wird. Das Brunnenbild sagt mehr als viele Worte. Nur: Wie soll das einleuchtende Brunnenmodell auf die Kettenlänge bei einer Polykondensation übertragen werden? Ohne Reparaturenzyme22, die auftretende Kettenspaltungen schnell wieder flicken (Risse in dem Brunnengemäuer), dürfte da nichts zu machen sein. Enzyme aber gibt es in der Ursuppe ohne Makromoleküle nicht. Die sollen ja erst entstehen. Man hat zwar schon an einen ständigen Zufluß von hochreaktiven Monomeren gedacht, wodurch die Kettenwachstumsgeschwindigkeit gegenüber der Abbaugeschwindigkeit stark erhöht wird, jedoch wird dadurch i. ein durch Hydrolyse angerichteter Schaden nicht behoben (jetzt muß man an die Erhaltung der Sequenz denken), besonders wenn die hydrolytische Spaltung gerade eine selten gute Mutante getroffen hatte,- * Auch als «irreversible Thermodynamik» bezeichnet. 2. hat in einer wäßrigen Lösung (ohne die etwas mysteriösen, aber hochwirksamen Reparaturenzyme) die Hydrolyse immer das letzte Wort, weil sie Ketten statistisch spaltet und an den Spaltstellen nichtaktivierte Endgruppen hinterläßt und insofern die Geschwindigkeit der statistischen Kettenspaltung durch Zufuhr aktiver Monomerer nicht beeinflußt, das heißt nicht vermindert wird, so daß eine (wie auch immer bewirkte) Erhöhung der mittleren Kettenlänge stets eine Erhöhung der Anzahl Spaltstellen pro Kette zur Folge hat, das heißt zu einer rascheren Abnahme der Kettenlänge bei gleichbleibender Anzahl der Spaltereignisse pro Sekunde führt*; 3. haben hochreaktive Monomere eine mehrstufige Synthesekette zu durchlaufen, so daß ihre Konzentration gegenüber den Primärprodukten aus der Uratmosphäre zwangsläufig sehr gering ist. Schließlich wird (unabhängig von der Hydrolyse) die Kettenlänge durch das Zahlenverhältnis q der funktionellen Gruppen begrenzt. Davon wird im nächsten Abschnitt die Rede sein. Was die Nichtgleichgewichtsthermodynamik (Fließgleichgewicht) betrifft, so darf man sich von ihr für das Entstehen und Bestehen langer Ketten in wäßriger Lösung (Ursuppe) nicht zuviel versprechen; genaugenommen gar nichts. Jeder, der will, kann sich davon überzeugen, daß lange Kettenmoleküle mit hydrolyseempfindlichen Kettenbindungen (Nucleinsäuren, Proteine) in lebenden Zellen erstaunlich lange stabil sind. Man kann sich aber auch überzeugen, daß sie es nicht mehr sind, wenn man sie aus der lebenden Zelle herausnimmt und sie ihres Enzymschutzes beraubt - oder wenn das Lebewesen gestorben ist. Dann wird lebende Substanz wieder zur toten Ursuppe, von selbst (durch Verwesung, Hydrolyse), unter dem Zwang des Massenwirkungsgesetzes. Der umgekehrte Weg, von der Ursuppe zum Leben, wäre der Weg der Selbstorganisation. Die Ursuppe aber ist tot und kennt nur einen Weg, den Weg hin zum thermodynamischen Gleichgewicht.** Man kann die mittlere Gleichgewichtsket- * Siehe dazu Seite 67. *' Manfred Eigen: «Erst wenn der Organismus gestorben ist, streben alle Reaktionen dem Gleichgewichtszustand zu.»1 Das gilt selbstverständlich auch für die noch tote Ursuppe. Damit bestätigt auch Eigen, daß sich in Ursuppen Makromoleküle wie DNS oder RNS oder Proteine nicht bilden können. tenlänge Pn berechnen. Sie liegt bei Wasserkonzentrationen über 80 Prozent in der Größenordnung von Pn ~ 2, das heißt lange Ketten können sich ohne Fließgleichgewicht nicht bilden. Ein Fließgleichgewicht aber ist nur mit Reparaturenzymen aufrechtzuerhalten, die in der Lage sind, hydrolytische Kettenspaltungen wieder rückgängig zu machen. Reparaturenzyme aber setzen lebende Zellen voraus.“ Auch durch Laboratoriumsversuche mit hochreaktiven Monomeren ist die Gültigkeit des Massenwirkungsgesetzes (Gleichgewichtsthermodynamik) für den Einfluß der Wasserkonzentration auf die Kettenlänge bei Polykondensationsversuchen von Nucleo-sidphosphaten bewiesen worden.23 Die umfangreichsten experimentellen Erfahrungen mit der Hydrolysestabilität bzw. Hydrolyseanfälligkeit der verschiedensten Nucleosidphosphatmonomeren und Nucleotidoligomeren (das sind kurze DNS-Kettenstücke) sind neueren Datums und stammen aus den gentechnischen Laboratorien. Die Spezialisten, die sich dort mit der Synthese von DNS-Kettenstücken befassen, kennen und behandeln Wasser als ihren Feind, so daß sie es aus Apparaturen und Reagenzien so sorgfältig wie nur möglich entfernen und ausschließen. Gentechnologen bezeichnen Nucleotide und Oligo-nucleotide als «chemisch außerordentlich unbeständig».244 Quantitativ wird das Gesagte durch folgende theoretisch abzuleitende Gleichung, die den Rang eines Naturgesetzes hat, beschrieben (Ableitung siehe Seite 212 ff): Sie besagt, daß die Kettenlänge Pn der Wurzel aus dem Produkt von Wasserkonzentration [H20] und Umsatz p umgekehrt proportional ist. Bei realistisch angesetzten Wasserkonzentrationen von höher als 99 Prozent ergeben sich nach (1) mittlere Kettenlängen von weit unter Pn = 2. Versuche von L. Orgel haben bestätigt, daß bei Wasserkonzentrationen höher als 99,5 Prozent keine Polykondensation von Nucleotiden stattfindet, weil die Kettenspaltung durch Hydrolyse zehn- bis hundertmal schneller verläuft als der Kettenaufbau durch Polykondensation23 - eine experimentelle Widerlegung von Eigens Behauptung1, die Gleichgewichtsthermodynamik der Gleichung (1) habe für die Frage der Entstehung des Lebens durch Selbstorganisation keine Bedeutung. Der Einfluß monofunktioneller Moleküle auf die Kettenlänge Während der Einfluß des Wassers auf die Kettenlänge durch einfache Modelle nicht zu erklären ist, so daß die Diskussion dieser Frage für den Nichtchemiker verwirrend wirkt, ist der Einfluß monofunktioneller Moleküle auf die Kettenlänge mit Hilfe von Kugelmodellen leicht zu erklären und auf den ersten Blick zu erkennen. Makromoleküle sind lange, kettenförmige Gebilde. Sie entstehen im Grunde nicht anders als gewöhnliche Perlenketten oder Gliederketten, nämlich dadurch, daß ein Kettenglied nach dem anderen an die so immer länger werdende Kette angefügt wird. Nur sind Moleküle unsichtbar klein, so daß sie sich selbst mit der feinsten Pinzette nicht fassen lassen. Das ist aber für das Entstehen der langkettigen Makromoleküle auch gar nicht nötig. Wenn man geeignete Moleküle hat, die man als Monomere bezeichnet, fügen sich diese unter dem Einfluß der Molekularbewegung von selbst zur Kette zusammen. Immer dann tun sie das, wenn die verwendeten monomeren Ausgangsmoleküle bifunktionell sind, das heißt sozusagen zwei klebrige Stellen nach Art eines Klettenverschlusses haben, mit denen sie bei passenden Zusammenstößen aneinander hängenbleiben, so daß zwangsläufig lange Ketten entstehen. Voraussetzung für das Funktionieren dieses Mechanismus ist, daß die Monomermoleküle genau zwei Haftstellen haben. Wenn auch Moleküle dabei sind, die nur eine Haftstelle haben und an der anderen Seite glatt sind, besetzen diese sogenannten Monofunktionellen die Kettenenden, und eine Verlängerung der Ketten ist unmöglich, weil zum wiederholten Einhaken von Molekülen notwendigerweise zwei Haftstellen oder Haftgruppen pro Molekül notwendig sind. Als Modell für die Entstehung einer Makromolekülkette stelle man sich einen Kasten mit Kugeln vor, die an zwei gegenüberliegenden Stellen als Haftstellen zwei Druckknöpfe haben, ein Knopfteil und ein Nutteil. Solange nur solche Kugeln mit je zwei verschiedenen Druckknopfteilen im Kasten sind, kann man beliebig lange eine Kugei nach der anderen aus dem Kasten holen und sie an die immer länger werdende Kette anfügen. Wenn man aber im Vorratskasten bifunktionelle Kugeln (die je zwei Druckknopfteile besitzen) mit monofunktionellen Kugeln (die nur ein Druckknopfteil haben) mischt und mit dieser Mischung eine Kette zu bauen versucht, scheitert das Unternehmen der Kettenbildung sehr bald. Natürlich darf man nur blind in den Kugelkasten greifen, denn Moleküle haben keine Intelligenz und können nicht auswählen, das heißt alle Zusammenstöße geschehen zufällig. Kugeln mit nicht an die Kettenenden passenden Druckknopfteilen gibt man in den Kasten zurück, denn die entsprechenden Zusammenstöße würden bei Molekülen nicht zu einer Verbindung führen. Herausgegriffene Kugeln, deren Druckknöpfe an eine Seite der im Bau befindlichen Kette passen, werden an die Kette angefügt. Nun kann es sein, daß man Glück hat, indem man zufällig zwei- oder dreimal hintereinander eine bifunktionelle Kugel mit zwei Druckknöpfen zu fassen bekommt, ehe man Kugeln mit nur einem Druckknopfteil greift. Dann entsteht eine Kette mit zwei oder drei oder vier Kugeln pro Kette. Die Wahrscheinlichkeit für das Entstehen von Ketten aus zwei oder drei Kugeln wird aber um so geringer, je größer der Anteil an Kugeln mit nur einem Druckknopfteil in der Ausgangsmischung im Kasten ist. Lange Ketten können sich schon bei geringem Anteil an monofunktionellen Kugeln, das heißt solchen mit nur einem Druckknopfteil, nicht mehr bilden. Was mit diesem Modellspiel veranschaulicht wird, ist das Gesetz der konstanten Proportionen, auch Stöchiometriegesetz genannt. Dieses Gesetz besagt, daß die Bildung von Makromolekülketten unmöglich ist, wenn sich neben den bifunktionellen größere Anteile an monofunktionellen Molekülen - entsprechend den Kugeln mit nur einem Druckknopfteil - in der Ausgangsmischung befinden, und liefert somit eine klar umrissene naturgesetzliche Bedingung für das Entstehen von Makromolekülen durch Polykondensation. Will man das Ergebnis solcher Modellexperimente auf eine Formel bringen, so kann man sich wieder der schon mehrfach benutzten Kugelsymbole mit den Druckknopfteilen bedienen, wie in Abb. S. 56. Man wird solche Darstellungen (dasselbe gilt auch von Abb. S. 47 und S.49) natürlich nicht •■wörtlich» verstehen, das heißt es ist nicht die Anzahl der reagierenden Moleküle (Kugeln) gemeint, sondern das Zahlenverhältnis. Was im Modellbild einmal dargestellt ist, ereignet sich viele Billionen Male in einem Reagenzglas, aber eben immer in dem durch die Reaktionsgleichung oder die Modelle dargestellten Zahlenverhältnis 1: i; 50/ 50, 1000/1000 etc. oder 2: i; 67/33; 200/100 etc. Abb. S. 56 zeigt eine bildhaft-symbolische Darstellung dessen, m o+ o+ o ♦ o+ o+ ooooo - Zum Einfluß der Stöchiometrie der Komponenten auf die mittlere Kettenlänge Pn bei Polykondensationen (1) Bei strengem i: i-Verhältnis der funktionellen Gruppen werden die Ketten bei vollständigem Umsatz (p = i) unendlich lang (2) Verschiedene Möglichkeiten des Bi: Mono-Verhältnisses: 1 Bi:Mono=i:i, ausreichend, um alle x-Gruppen zu blockieren, Ursuppensituation nach Miller: Aminosäure: Ameisensäure (etc.) = i: 3 2 Bi:Mono = 1: i; z. B. Methylamin und Aethylamin blockieren die Polykondensation von Aminosäuren (Ursuppe) 3 o-Gruppen-Überschuß bei Zweikomponentensystemen (zum Vergleich) 4 Mischung von Monomeren mit beiden Sorten von monofunktionellen Molekülen Bi: Mono = 1:2 5 Mischung mit einer aktivierten (schneller reagierenden) Komponente; Ursuppenbeispiel: Adenosintriphosphat in Mischung mit verschiedenen monofunktionellen Alkoholen, Aminen und Säuren, wobei Säuregruppen (x) langsamer reagieren. q ist das reale Verhältnis der beiden funktionellen Gruppen bei Zweikomponentenpolykondensationen gemäß Abb. S. 47. q' ist das äquivalente Verhältnis bei Einkomponentenpolykondensatio-nen(gemäßAbb. S. 49) bei Gegenwart von monofunktionellen Molekülen was eine theoretisch abgeleitete Gleichung (siehe Seite 57) erwarten läßt, was man sich durch Modellsimulationen mit Druckknopfkugeln handgreiflich klarmachen kann und was durch ungezählte Laboratoriumsexperimente bestätigt worden ist. In Worten ausgedrückt, sagt die Abbildung: Monofunktionelle Moleküle (Kugeln mit nur einem Druckknopf) brechen die Kette ab. Lange Ketten entstehen nur, wenn monofunktionelle Moleküle ausgeschlossen sind. Ein Überschuß an Monofunktionellen n + n K^)* 12) 1 + xQo macht eine Kettenbildung um so unwahrscheinlicher, je größer der Überschuß ist. * Das aber bedeutet, daß sich in Ursuppen keine Makromoleküle durch Polykondensation bilden können. Wenn man nämlich von den phantasievollen Übertreibungen absieht, die von Nucleotiden oder gar von Polymeren wissen wollen, die bei Miller-Versuchen entstanden sein sollen, so bleibt als Resultat des inzwischen an die hundertmal mit den verschiedensten Gasmischungen wiederholten Miller-Versuchs (siehe Tab. S. 42): Neben relativ geringen Mengen von bifunktionellen Molekülen (wie Aminosäuren) enthalten Ursuppen ein Mehrfaches an monofunktionellen Molekülen. Die Hauptkomponenten sind Ameisensäure und Methylamin, die als Salz (Methylam-moniumformiat) die hydrolytische Aggressivität der Ursuppe bestimmen. Nucleotide, die Kettenbauteile von DNS oder RNS (auch Vorstufen derselben), wurden bei Miller-Versuchen mit Funkenentladungen nicht gefunden. Bei Versuchen mit Elektronenstrahlen (Höhenstrahlung, ß-Zerfall) wurde Adenin (eine von drei Komponenten des RNS/DNS-Kettenbestandteils Adenosinphosphat) in vierhundertfach geringerer Konzentration als Aminosäuren gefunden.20 Zahlenmäßig wird der beschriebene Einfluß eines Überschusses einer Art von funktionellen Gruppen und der Einfluß von Monofunktionellen * * auf die Kettenlänge durch folgende Gleichung beschrieben: Pn = (i+q)/(i+q-zp-q) (2) Pn = Polymerisationsgrad (Maß für die Kettenlänge) q = nA:nB = Verhältnis der funktionellen Gruppen A und B * * p = Umsatz = Anzahl der bei der Polykondensation umgesetzten Gruppen A oder B zu Anzahl der umsetzbaren Gruppen A + B Abb. S. 58 zeigt die Abhängigkeit der Kettenlänge vom Verhältnis q gemäß Gl. (2). Man sieht, daß schon bei kleinsten Abweichungen von q = 1 die Kettenlänge auf kleine Werte absinkt. Der Überschuß an monofunktionellen Stoffen (Ameisensäure ' Vgl. dazu Anhang S. 208 ff. * * Ein monofunktionelles zählt wie ein überschüssiges bifunktionelles Molekül mit zwei gleichen funktionellen Gruppen. Zum Einfluß des Gruppenverhältnisses q gemäß Abb. S. 5 6 auf die Kettenlänge (Pn) q = i : gleich viele funktionelle Gruppen von beiden Sorten 1000 BOO 600 400 200 ■ 100 ■ p = 0,999 M p= 0,899 p = 0,666 ~0fi 0> 0]8 0'9 i]Ö (1 (2 ' U' 1,5 q und Methylamin) ist im Hinblick auf die Frage nach der Proteinsynthese in Ursuppen so groß (q kleiner als 0,3) und im Hinblick auf die Frage nach der Möglichkeit einer Nucleinsäuresynthese so gewaltig (q kleiner als 0,001), daß eine Polykondensation schon im Ansatz blockiert ist. Eine andere Möglichkeit der Von-selbst-Entstehung von Makromolekülen als die der Polykondensation aber gibt es nicht. Für Leser, die sich den das Kettenwachstum blockierenden Einfluß von monofunktionellen Stoffen wie Ameisensäure, Essigsäure oder Methylamin durch ein Experiment bestätigen lassen wollen, beschreibe ich einen Vorlesungs- und Praktikumsversuch, der als ein die Bedingungen der frühen Erde wirklichkeitsgetreu nachahmendes Evolutionsexperiment gelten darf: Nylonsynthese als Evolutionsexperiment Nylon stellt man technisch durch Polykondensation von Adipinsäure und Hexamethylendiamin bei Temperaturen von 250 bis 300° C her: n H2N-ICH2)6-NH2 + n HO-C-ICI^-C-OH ---► Hj-NH-ICl^lg-NH-C-IC^U-C j-OH + n -1 H2O HEXAMETHYIEN- 0 0 0 DIAMIN ADIPINSÄURE NYLON-6.6 Demonstrationsversuch zum Einfluß monofunktioneller Stoffe auf die Kettenlänge bei Polykondensationen a) Apparatur zur Herstellung von Polyamiden durch Grenzflächenpolykondensation (Schema) H = Hexamethylendiamin (4,4gin 50cm3 H20) S = Sebacinsäurechlorid (3 cm3 in roocm3 CC14] b) Grenzflächenpolykondensation im Laboratorium c) Reaktionsgefäß bei laufendem Versuch Bei dieser Art der Synthesedurchführung bestimmt die Wasserkonzentration nach dem Massenwirkungsgesetz die Länge der Kette. Will man lange Ketten, muß man das bei der Reaktion entstehende Wasser aus dem Reaktor entfernen. Man kann die Nylonsynthese aber auch in einem wäßrigen System mit großem Wasserüberschuß durchführen, wenn man statt der langsam reagierenden Adipinsäure das viel schneller reagierende Adipinsäuredichlorid oder das homologe Sebazinsäuredi-chlorid einsetzt, das man aus technischen Gründen bei diesem Versuch lieber verwendet. Zur Durchführung (s. Abb. oben) über- schichtet man vorsichtig in einem Becherglas eine Tetrachlorkohlenstofflösung, die das Sebazinsäuredichlorid enthält, mit einer wäßrigen Lösung, in der das Hexamethylendiamin gelöst ist und die sich mit der Tetrachlorkohlenstofflösung nicht mischt. Dann bildet sich an der Grenzfläche, wo die beiden Molekülarten Zusammenstößen können, momentan ein dünner Nylonfilm gemäß folgender Reaktion: n H2N-(CH2)6-NH2 ♦ n CI - C-fCH2)g-C-CI ► H-^- NH—(CH2)ß— NH — C — JCH2)ß — C-J- CI + n-1HCI HEXAMETHYLENDIAMIN SEBAZINSÄUREDICHLORID NYLON-6,10 Mit einer Pinzette kann man in der Mitte des Glases bzw. der Grenzschicht den Nylonfilm fassen und hochziehen. Dabei hebt sich der Film trichterförmig von der Grenzfläche ab und bildet einen dünnen Schlauch, der sich auf einer langsam rotierenden Trommel aufwickeln läßt. Dabei wird der Film an der Grenzfläche vom Rande her ständig nachgebildet, so daß der in der Mitte abgezogene Faden bzw. Schlauch nicht abreißt. Die kleine Nylonfabrikation läuft, solange die in den Lösungen vorgegebenen Monomeren reichen; das sind bei den üblichen Laboransätzen etwa 15 bis 20 Minuten. Man kann die Lauf dauer verlängern, wenn man kontinuierlich oder von Zeit zu Zeit Monomerlösungen nachfließen läßt. Dabei muß man sorgfältig darauf achten, daß das Molverhältnis von Sebazinsäuredichlorid und Hexamethylendiamin r : 1 ist. Um den Einfluß von monofunktionellen Molekülen zu zeigen, gibt man, während der Versuch läuft, mit einer Pipette in die Tetrachlorkohlenstoffschicht bzw. den seitlichen Tubus eine kleine Menge eines monofunktionellen Säurechlorids, zum Beispiel Essigsäurechlorid oder Buttersäurechlorid. Daraufhin hört die Polykondensation sofort auf, und der Nylonfaden reißt ab. Dasselbe geschieht, wenn man der wäßrigen Schicht ein monofunktionelles Amin (Aethylamin oder Butylamin) zuführt. Die Polykondensation hört auf, weil, wie wir uns mit Hilfe der Kugelmodelle klargemacht haben, die bifunktionellen Moleküle gemäß der Abb. auf S. 56 mit den monofunktionellen reagieren und so eine Kettenbildung unmöglich wird. Im Falle des beschriebenen Versuchs reagiert das Hexamethylendiamin um so häufi- ger mit dem zugegebenen monofunktionellen Essigsäurechlorid, je höher dessen Konzentration ist, so daß das Diamin zur Kettenbildung nicht mehr zur Verfügung steht: '— HN-(CH2)6-NH2 + CI-C-CH3 -*• -~~~~HN-(CH2)6-NH-C-CH3 + HCl ö ö WACHSENDE NYLONKETTE ACETYL- ABGEBROCHENE NYLONKETTE CHLORID OÖOÖO^o -OööOOo CH3-C-CI + H2N-(CH2)6-NH2 + CI-C-CH3 -► CH3-C-NH —(CH2)6-NH-C-CH3 ö 000 o * <0 * o * oO^ ACETYL- HEXAMETHYLEN- ACETYL- HE XAMETHYLENDIACETAT CHLORID DIAMIN CHLORID (VERHINDERTE KETTEI Es handelt sich hier um einen Vorgang, der jedem Polymerchemiker seit langem bekannt ist und der auch in der Industrie bei der Synthese von Polymerwerkstoffen und Synthesefasern streng beachtet wird. Nur Selbstorganisationstheoretiker weigern sich, ihn zur Kenntnis zu nehmen und reden sich ein, die richtigen Komponenten würden schneller reagieren. Freilich kann man das im Laboratorium so einrichten, daß die monofunktionellen Stoffe in einer Form vorliegen, in der sie langsamer reagieren als die bifunktionellen, indem man beispielsweise statt des Essigsäurechlorids im beschriebenen Versuch Essigsäureaethylester zugibt. Dann findet zwar auch eine Reaktion mit dem Diamin statt, aber diese ist merklich langsamer als die des Säurechlorids. Im Laboratorium geht das, weil man das Säurechlorid und den Ester in getrennten Ansätzen herstellen kann. In der Ursuppe dagegen liegen die mono- und bifunktionellen Komponenten als Gemisch vor, und alles, was mit den Gruppen der bifunktionellen Komponenten geschieht, geschieht auch mit den entsprechenden Gruppen der monofunktionellen Komponenten. Die Vorstellung, die Komponenten hätten sich von selbst trennen können, kann ich nur als abenteuerlich und unrealistisch bezeichnen. Bei einer Filmvorführung auf der schon mehrfach erwähnten ISSOL-Ta-gung 1983 in Mainz, bei der der oben beschriebene Versuch der Grenzflächenpolykondensation mit Kettenabbruch durch Essigsäurechlorid als Film* gezeigt wurde, meinte Professor Sidney • Der Videofilm wurde von W. Götz und W. Arbogast im Polymer-Institut der Universität Karlsruhe hergestellt. Fox, einer der bekanntesten Verfechter der Selbstorganisationshypothese in den USA, nachdem er sich an unserem Posterstand den Film angesehen hatte, das sei nicht von Bedeutung, da alle monofunktionellen Komponenten so niedrige Siedepunkte hätten, daß sie sich aus der Ursuppe und aus der Uratmosphäre verflüchtigt hätten. Die Siedepunkte der homologen Reihen der Amine und Säuren kann man in Tabellenwerken, die jeder Chemiker ständig zur Hand hat, nachschlagen, wenn man sie nicht im Gedächtnis hat. Sie liegen bei den höheren Gliedern der Reihe weit über ioo°C. Aber auch die kleinsten unter den monofunktionellen Molekülen, Ameisensäure und Methylamin, konnten nicht verdunsten, weil sie unter Ursuppenbedingungen zwangsläufig als Salz vorliegen. Auf die vieldiskutierte Trennung durch Freiluftchromatographie werde ich gleich noch zurückkommen. Versuche, die die Reaktionsbedingungen in Ursuppen möglichst wahrheitsgetreu wiedergeben sollen, müssen von Gemischen aus mono- und bifunktionellen Stoffen mit hohem Überschuß an Monofunktionellen ausgehen. Das Ergebnis solcher Versuche zeigt der beschriebene Grenzflächenpolykondensationsversuch in aller Deutlichkeit: Selbst wenn die Polykondensation weitab vom Gleichgewicht mit energiereichen Monomeren durchgeführt wird, genügt das Vorhandensein einer geringen Menge von gleichartigen monofunktionellen Stoffen, um das Entstehen von Makromolekülen mit hohem Molekulargewicht unmöglich zu machen. Ein berechtigter Einwand gegen die Bedeutung solcher Versuche für die Frage der Selbstorganisation ist folgender: Bei Versuchen nach Art der Nylonsynthese wird der Einfluß des mittleren Molekulargewichts auf die Festigkeit des Fadens sichtbar. Zum Start einer DARWiNschen Entwicklung genügt aber schon ein einzelnes Makromolekül, das lang genug ist, um eine Vermehrung nach Art der semikonservativen Replikation zu ermöglichen. Wie lang die Kette eines solchen Moleküls mindestens sein muß, damit eine molekulare Evolution in Gang kommt, läßt sich heute noch nicht mit Sicherheit angeben. Man spricht von einer Länge von io bis 20 Nucleotiden eines RNS-Moleküls, das sich unter geeigneten Bedingungen bereits replikativ vermehren könne. Das ist vorerst eine ziemlich optimistische Vermutung, für die es keine experimentelle Stütze gibt. Statt dessen gibt es aber massive Gegenargumente gegen ein Kettenwachstum durch Poly- Wie sicher wissen wir, daß die Polykondensationsgesetze gelten? kondensation in wäßriger Lösung, das sich ja der replikativen Verdoppelung überlagern muß, wenn es zu einer Entwicklung im DARWiNschen Sinne auf Molekülebene kommen soll: 1. Die Wahrscheinlichkeit der Bildung von Makromolekülen nach Art der RNS/DNS unter Ursuppenbedingungen ist so ungeheuer gering, daß selbst die Bildung eines einzigen RNS-Mo-leküls mit 20 bis 50 Nucleotiden in der Kette als so gut wie unmöglich bezeichnet werden muß. Zumindest aber läßt sich dabei zwischen Zufall und Fügung grundsätzlich nicht mehr unterscheiden. 2. Unter Ursuppenbedingungen arbeitet die Zeit für die Hydrolyse (= Kettenspaltung), so daß ein Von-selbst-Entstehen langer Ketten ohne den Schutz der lebenden Zelle mit ihren Reparaturenzymen nicht möglich ist. Die quantitative, das heißt durch Zahlenangaben belegte Antwort auf die Frage nach der Anzahl einzelner Kettenmoleküle, die sich unter gegebenen Bedingungen bilden, ist die Kettenlängen-Verteilungsfunktion (ScHULZ-FLORY-Verteilung). Die Rechnung zeigt, daß auch die Bildungswahrscheinlichkeit einzelner kurzer Kettenmoleküle unter 1: ios°bis 1: io100 liegt (siehe Seite 208ff). Wie sicher wissen wir, daß die Polykondensationsgesetze gelten? Sind die Aussagen, die sich aus den Polykondensationsgesetzen herleiten, einerseits und die Aussagen über die Rahmenbedingungen der frühen Erde andererseits so sicher, daß die verneinende Antwort auf die Frage nach der Entstehung des Lebens durch Selbstorganisation zwingend ist? Was die stöchiometrischen Polykondensationsgesetze betrifft, so gehören diese zu den fundamentalen Aussagen, die sich unmittelbar von der atomaren Struktur der Materie herleiten, das heißt, die atomare Struktur der Materie läßt eine andere Aussage über die Abhängigkeit der Kettenlänge vom Bi-: Mono-Verhält-nis als die der Stöchiometriegleichung (siehe Seite 57) nicht zu: Bei großem Überschuß an monofunktionellen Stoffen mit glei- eher Reaktionsgeschwindigkeit ist die Entstehung von Makromolekülen durch Polykondensation extrem unwahrscheinlich, um so unwahrscheinlicher, je höher das Molekulargewicht ist. Anders möchte man (zumindest auf den ersten Blick) die Aussagen über die Zusammensetzung von Uratmosphäre und Ur-suppe bewerten, denn der Zustand der Erdoberfläche vor vier bis fünf Milliarden Jahren ist unserer direkten Beobachtung entzogen. Speziell die Zusammensetzung der Uratmosphäre ist umstritten und wird dies wohl auch in Zukunft bleiben. Trotzdem wäre es falsch, nun pauschal von «uns nicht bekannten historischen Rahmenbedingungen»1 zu sprechen und so zu tun, als wüßten wir von der frühen Erde gar nichts. Die Zusammensetzung der Uratmosphäre mag im Detail gewesen sein, wie sie will, sie war mit Sicherheit einer starken UV-Strahlung, dem Sonnenwind (mit wechselnder Stärke, je nach Stärke des erdmagnetischen Feldes) und der kosmischen Strahlung ausgesetzt, so daß sich kleine organische Moleküle bilden konnten. Formaldehyd (CH20), aus dem sich Ribose und andere Zucker bilden können, und Blausäure (HCN), die als Ausgangsmaterial für die vier in den Nucleinsäuren mit Ribose verbundenen Basen in Betracht kommt, sind im interstellaren Gas nachgewiesen, zahlreiche Aminosäuren wurden in Meteoriten gefunden, so daß die Annahme einer Uratmosphäre, die bei Energiezufuhr (Strahlung, Hitze, Blitze) Aminosäuren bildet, nicht unbegründet ist. Ganz sicher aber ist, daß da, wo sich Aminosäuren bilden konnten, immer auch monofunktionelle Stoffe wie Ameisensäure, Essigsäure und Amine entstehen mußten. Das ergibt sich zwingend aus den MiLLER-Versuchen (siehe Seite 42), die ja nun wirklich oft genug in den verschiedensten Laboratorien immer mit dem gleichen Resultat wiederholt worden sind. Die in der neueren Literatur' zu findende Annahme, daß die richtigen Monomeren, die Nucleotide oder Aminosäuren, schneller reagierten, ist durch nichts zu begründen. Im Gegenteil haben Experimente gezeigt, daß zum Beispiel Nucleosidphos-phate fünfzigmal rascher mit NH2-Gruppen (die sich auch in Aminosäuremolekülen befinden) reagieren als mit den OH-Grup-pen der Ribose23, mit denen sie eigentlich reagieren müßten, um RNS zu bilden. Im allgemeinen gilt: Wie auch immer die richtigen Monomeren unter günstigen Bedingungen aktiviert werden, die monofunktionellen Kettenabbrechermoleküle sind mit von der Partie. Nur Enzyme, die hochspezifischen Biokatalysatoren, sind in der Lage, bestimmte Moleküle auszuwählen und zu begünstigen. Enzyme aber gab es in der Ursuppe nicht, denn Enzyme sind Proteine mit hohen Molekulargewichten. «Erst wenn der Organismus gestorben ist,.> streben alle Reaktionen dem Gleichgewichtszustand zu» (M. Eigen) Völlig unabhängig von mehr oder weniger gut begründeten Aussagen über Uratmosphären- und Ursuppenzusammensetzung ist die Begrenzung der Kettenlänge durch Hydrolyse. Denn daß es zu der Zeit, als das erste Leben auf der Erde erwachte, Wasser gab, Wasserdampf in der Atmosphäre und Wasser in Seen, Meeren oder Ozeanen, wird so leicht niemand anzweifeln. Es mag Formen des Lebens geben, die extreme Trockenperioden überstehen, am üppigsten und auf die Dauer gedeiht Leben da, wo reichlich Wasser ist - begreiflicherweise, denn lebende Zellen bestehen zu 70 bis 80 Prozent aus Wasser. Die Form des unregelmäßig geknäuelten Makromoleküls erlaubt diesen merkwürdigen Gelzustand, in welchem eine verdünnte wäßrige Lösung als formbeständiges Gebilde auftritt. Nicht nur jeder Chemiker, auch jeder Abiturient, der einen leidlich guten Chemieunterricht hatte, weiß, daß im thermodynamischen Gleichgewicht keine physikalische oder chemische Zustandsänderung stattfindet (aG = o in der Gibbs-Helmholtz-Formulierung * der thermodynamischen Hauptsätze) und daß chemische Reaktionen oder sonstige Zustandsänderungen nur dann und nur deshalb von selbst ablaufen, wenn oder weil entweder der Energiezustand (Anregungszustand) der Atome oder ihre Anordnung im Molekül dabei auf ein niedrigeres Niveau ab- ' aG = aH-TaS Bei chemischen Reaktionen ändern sich oft beide Größen, aH und aS. Die Reaktion kann nur dann von selbst ablaufen, wenn aG negativ ist, das heißt auch bei Entropieabnahme (wie im Falle der Kettenbildung), wenn zugleich aH ausreichend negativ ist, das heißt bei stark exothermen Reaktionen. gleitet (Enthalpiedifferenz aH negativ) oder die Entropie zunimmt (Entropiedifferenz aS positiv), indem zum Beispiel die Anzahl oder die Beweglichkeit der Moleküle zunimmt. Bei einer Polymersynthese werden viele kleine Moleküle zu einer langen Kette zusammengekettet und verlieren dabei einen großen Teil ihrer Beweglichkeit. Daher kann eine Kettenbildung nur stattfinden, wenn in der Kettenanordnung das Energieniveau der Atomanordnung gegenüber den Monomeren niedriger ist und so der Entropieverlust (hier: Einbuße an Beweglichkeit) durch einen Gewinn an innerer Stabilität (niedrigeres Energieniveau) ausgeglichen wird. Der Gewinn an Stabilität ist um so größer, je energiereicher die Ausgangsmonomeren sind. Im konkreten Beispiel der RNS/DNS-Bildung heißt das: nicht Phosphorsäure reagiert mit Ribose, sondern die viel energiereicheren Phosphorsäureanhydride, die in der lebenden Zelle ihre Energie letztlich aus dem Assimilationsvorgang*, von der Sonnenstrahlung also, beziehen, die möglicherweise aber auch durch Erwärmen von geeigneten Phosphorverbindungen entstehen können, wenngleich deren Vorkommen auf der frühen Erde ungewiß ist. Aber selbst wenn man annimmt, daß Adenosintriphosphat oder energetisch äquivalente Phosphorverbindungen auf der frühen Erde verfügbar waren und so eine Polykondensation denkbar ist, sind weder die Monomeren noch die Polymeren dem hydrolytischen Zugriff des Wassers entzogen und vor Spaltungsreaktionen geschützt. Nicht die Entstehung der Ketten ist unter dem Aspekt des thermodynamischen Gleichgewichts das eigentliche Problem (vorübergehend können sich Nucleotidketten, wie Versuche von Leslie E. Orgel gezeigt haben, in wäßriger Lösung, wenn auch nicht unter Ursuppenbedingungen, schon bilden), sondern der Bestand von langen Ketten in wäßrigen Lösungen. Damit aber sind wir wieder bei den Reparaturenzymen, die in der lebenden Zelle hydrolytische Spaltungen ausbessern, die aber in der Ursuppe nicht verfügbar waren (ihre Entstehung ist ja gerade das Rätsel). Manfred Eigen hat die Unmöglichkeit der dauerhaften Bildung längerer DNS/RNS-Ketten in Ursuppen so ausgedrückt: «Wir müssen durch stetige Zufuhr von Energie in Form von Nahrung und durch Stoffwechsel verhindern, daß sich thermodyna- * Umwandlung des in der Luft zu 0,03 Prozent enthaltenen Kohlendioxids in Zucker mit Hilfe des Chlorophylls der grünen Blätter. misches Gleichgewicht einstellt. Erst wenn der Organismus gestorben ist, streben alle Reaktionen dem Gleichgewichtszustand zu.»1 Dies gilt natürlich, da die Ursuppe (dies ist vielleicht der einzige Punkt, in dem sich alle einig sind) ein totes Meer war, auch für die Ursuppe. Dabei ist es für die Länge der Polymerkette gleichgültig, von welcher Seite die Polykondensationsreaktion das Gleichgewicht anstrebt, vom Monomeren her oder vom Polymeren her. Beide Ausgangssysteme können durch Energieschwellen in ihren Positionen festgehalten werden; wie lange und wie fest, hängt von der Art der Polymeren ab: Nylon, Diolen/Trevira (Polyester) oder Polycarbonat sind bei normaler Temperatur gegen Hydrolyse relativ resistent, die wasserlöslichen Nucleinsäu-ren dagegen werden schon im schwach sauren oder alkalischen Milieu hydrolytisch gespalten. Wie wenig beständig sie sind, weiß jeder, der einmal im Laboratorium mit Nucleinsäuren oder Oligonucleotiden experimentiert hat. Eine einfache Modellüberlegung zeigt, daß bei gleicher Hydrolysegeschwindigkeit der Kettenabbau (Abnahme der Kettenlänge pro Spaltung) um so schneller geht, je länger die Kette ist. QQGGQO OOOOOO QOGOQO OOOOOO « I) OOOOOO OOOOOO OOOOOO OOOOOO GQQQO QOGO OQOO OGQQO OOOOOO fl QOOOGGOOQOQQGÖGOQQGOOOOO t t t t Abnahme der Kettenlänge durch hydrolytische Kettenspaltung bei verschiedenem Ausgangsmolekulargewicbt und bei gleicher Spaltgeschwindigkeit von vier Kettenspaltungen pro Zeiteinheit L bei Pn = 6 sinkt die Kettenlänge auf die Hälfte des Ausgangswertes (Pn = 6)_—»(Pn = 3) (Mittelwert) II: bei Pn = 24 sinkt die Kettenlänge auf ein Fünftel des Ausgangswertes (Pn = 24)-* (Pn = 5) (Mittelwert) | bzw. J, Spaltstellen Das bedeutet, daß bei einer Polykondensation die Kettenaufbaureaktion irgendwann (bei welcher Kettenlänge das ist, hängt bei gegebener Wachstumsgeschwindigkeit von der Hydrolysegeschwindigkeit ab) von der Kettenspaltungsreaktion (Hydrolyse) eingeholt wird, so daß die Kettenlänge, während beide Reaktionen mit gleicher Geschwindigkeit weiterlaufen, konstant bleibt. Die Abbildung ist daher eine Veranschaulichung des Massenwirkungsgesetzes und zeigt, daß man eine Polykondensation zu größeren Kettenlängen führen kann, wenn man entweder die Abbaugeschwindigkeit verringert oder die Kettenwachstumsgeschwindigkeit erhöht. Gewöhnlich verringert man die Spaltungsgeschwindigkeit durch Verminderung der Wasserkonzentration, zum Beispiel durch Anlegen eines Vakuums. Man kann aber auch die Wachstumsgeschwindigkeit erhöhen, indem man (bei sonst gleichem Monomer) reaktionsfähigere funktionelle Gruppen wählt. Bei einer Freiluftpolykondensation im Urmeer geht nur das letztere, wenn Bedingungen auftreten, unter denen solche aktivierte Monomere entstehen. Pauschal wird dadurch zwar die mittlere Kettenlänge Pn erhöht, aber man sollte sich nicht der Illusion hingeben, damit wäre einer präbiotischen Evolution auf die Beine geholfen, denn eine einzige Kettenspaltung zerstört irreversibel eine durch eine mühsame Folge von Mutationen vielleicht errungene Spitzenposition (angenommen, es gäbe dergleichen bei Molekülen). Nichts ist damit gewonnen, daß infolge hoher Kettenwachstumsgeschwindigkeit die durch Hydrolyse halbierten Ketten rasch wieder ihre alte Länge erreichen, denn die durch die Reihenfolge der Kettenbauteile (die Nu-cleotidsequenz) gegebene Information ist und bleibt verloren. Verminderung der Kettenspaltungsgeschwindigkeit wäre daher besser, aber die ist bei der hohen Wasserkonzentration in Ursup-pen nicht zu haben. Der gern gegebene Hinweis auf das Eintrocknen von Urseen oder Tümpeln in der Sonne führt nicht weiter, denn i. stellt der nächste Regen den alten Zustand wieder her und 2. hört im trok-kenen Zustand wegen der fehlenden Wärmebewegung jede Polykondensation auf. Oberhalb der Schmelzpunkte aber zersetzen sich sowohl die monomeren Ausgangsstoffe als auch die Oligo-und Polynucleotide. Die Polykondensation von Nucleotiden in wäßrigen Lösungen gleicht im Endeffekt einer negativen Autokatalyse, einer Hemmung durch hydrolytische Kettenspaltung, die um so wirkungs- voller wird, je länger die Ketten werden (s.Abb. S. 67). Das gilt schon für wäßrige Lösungen der reinen Monomeren. Bei Ursup-pengemischen kommt noch der von der Kettenspaltung durch Hydrolyse ganz unabhängige Einfluß monofunktioneller Moleküle hinzu, die - wenn sie (wie in Ursuppen) im Überschuß vorhanden sind — mit den bifunktionellen reagieren und so jedes Kettenwachstum blockieren. Die Rahmenbedingungen der frühen Erde, Naturgesetze und geologische Gegebenheiten, schließen daher die Entstehung von Makromolekülen wie DNS, RNS und Proteinen durch statistische Copolykondensation und damit die Entstehung des Lebens durch Selbstorganisation der Materie aus. Wie die biologischen Makromoleküle (DNS, RNS, Proteine) entstanden sind, wissen wir nicht. Beweisbar ist nur, daß sie durch statistische Copolykondensation, das heißt durch einen durch die Zufallsgesetze der Thermodynamik und Stöchiometrie bestimmten Ablauf der Kettenbildung nicht entstehen konnten, so daß ein Mutations-Selektions-Mechanismus auf Molekülebene (Hyperzyklus oder dergleichen) erst gar nicht in Gang kommen konnte, weil die wichtigste Voraussetzung, nämlich sich selbst reproduzierende Makromoleküle, fehlte. Auf die oft gestellte Frage: «Konnten DNS-Makromoleküle nicht nach einem anderen Mechanismus entstehen, der uns heute noch unbekannt ist, den man aber vielleicht eines Tages erforscht haben wird», kann ich nur antworten: «Nach einem solchen (heute noch unbekannten) Mechanismus zu suchen, ist genauso aussichtslos wie die Suche nach einem Perpetuum mobile.» Denn seit die Materie eine atomare Struktur besitzt und solange sie eine solche besitzen wird, gelten für alle chemischen Reaktionen unbeugsam die Gesetze der Stöchiometrie, und seit die thermodynamischen Hauptsätze gegolten haben und solange sie gelten werden, ist der Umsatz einer Esterbildungsreaktion und damit die Kettenlänge von Polyestern von der Wasserkonzentration abhängig. Die Suche nach einem Ersatzmechanismus für die Entstehung von Makromolekülen in Ursuppen ist daher nicht nur genauso aussichtslos wie die Suche nach einem Perpetuum mobile, sondern sie ist auch aus dem gleichen Grunde aussichtslos, der die Suche nach einem Perpetuum mobile zwecklos macht. Unser Nichtwissen um die Frage nach der Entstehung des Lebens ist daher leider keine vorübergehende Wissenslücke, wie Feuerbach und viele seiner Zeitgenossen meinten (siehe Seite 31), sondern eine solche, mit der man sich abfinden muß, wie man sich mit astronomischen und geologischen Gegebenheiten («Rahmenbedingungen») und den Naturgesetzen abfinden muß. Die verbreitete Meinung, daß alles, was ist, sich mit Hilfe der naturwissenschaftlichen Methode erklären lassen werde, beruht auf Unwissen. Es ist das gleiche Unwissen, das jemanden, der noch nie ein Auto gesehen hat, in die Vermutung fallen lassen kann, Automobile entstünden von selbst* (wie Steine, Felsen, Gebirge), wenn er eines irgendwo in der Wüste findet. Man sollte nicht meinen, eine solche Vermutung sei ein Zeichen von Primitivität des Denkens, denn das gleiche Unwissen (mangelhafte Beobachtung) führte den großen griechischen Philosophen Aristoteles zu der Meinung, Frösche und Würmer entstünden in Sümpfen von selbst (generatio spontanea). Louis Pasteurs sorgfältige Beobachtungen brachten die Hypothese zu Fall. Sorgfältige theoretische und experimentelle Untersuchungen der Polykondensationsreaktion zeigen die Unhaltbarkeit der modernen Selbstorganisationshypothesen, die nur wegen der vorherrschenden Unkenntnis in Fragen der Entstehung von Makromolekülen durch Polykondensation eine so weite Verbreitung finden konnten. An der Grenze der Selbstmontage Warum eigentlich soll das nicht immer so weitergehen mit der Selbstmontage oder Assoziation? Protonen und Neutronen finden sich zu positiv geladenen Atomkernen zusammen, die positiven Kerne fangen Elektronen ein und bilden die elektrisch neutralen Atome. Die Atome tauschen Elektronen aus und verbinden sich zu allerlei Molekülen. Einige der auf der Oberfläche der frühen Erde in Tümpeln, Seen und Ozeanen sich tummelnden Moleküle bilden bei Zusammenstößen lange Ketten, RNS/DNS- und Proteinmoleküle, die sich zu komplizierten räumlichen Gebil-' den falten, die mit anderen Kettenmolekülen so in Wechselwirkung treten, daß dabei bestimmte Reaktionen bevorzugt ablau- * In der heute üblichen Sprechweise: durch naturgesetzlich gesteuerten Zufall 3'39 oder: durch Selbstorganisation der Materie. fen, unter anderen auch diejenigen, durch die Nucleinsäuremole-küle identisch kopiert werden, die eine Art Rezeptur für den Aufbau solcher katalytisch wirksamer Proteine enthalten. Schließlich werden einige der Nucleinsäuremoleküle durch zufällige (versehentliche) Reihenfolgeänderungen ihrer vier Kettenbauteile in der langen Kette so verändert, daß sie Proteine hervorbringen, die sich von selbst zu Membranen zusammenfinden, die die kooperierenden Moleküle umhüllen. Und damit wäre die erste primitive Zelle entstanden - durch Selbstorganisation und Selbstmontage. Irgendwo und irgendwann hätten sich dann einmal viele einzelne Zellen so zusammengefunden, daß ein Körper mit Organen daraus wurde. So ging das weiter, vorerst bis zum Menschen mit seinem Gehirn - nach neodarwinistischer Lehre. Warum also sollte in dieser Selbstmontagereihe* irgendwo eine Lücke auftreten, wo es von selbst nicht mehr weiterging? Stellt man diese Frage zunächst einmal ohne «Warum», ist sie nicht so sehr an den die theoretischen Möglichkeiten Erwägenden gerichtet als vielmehr an den Beobachtenden. Die Frage drückt Erstaunen aus: Warum eigentlich, wieso eigentlich, wo man doch weiß, daß die Natur keine Sprünge macht (natura non facit saltus)? «Willst du unbedingt den lieben Gott wieder einführen?» fragte mich ein befreundeter Kollege, als wir uns kürzlich trafen, nachdem er die neue Auflage meines Lehrbuchs «Grundriß der Makromolekularen Chemie»21 angesehen hatte. Das ist die Frage, fast bin ich versucht zu sagen: das ist der Verdacht, der bei vielen Kollegen spontan aufkommt, wenn eine Arbeit zum Thema «Evolution» vorgelegt wird, die diese Theorie nicht bestätigt. Hier sieht man, wie fremd uns der Gedanke an einen Schöpfergott geworden ist, der mehr tut, als nur unbeteiligt Zusehen, wie der «Mechanismus» abrollt, den er irgendwann einmal in Gang gesetzt hat. Es ist ja, wie man spätestens seit Heisenberg weiß, keineswegs so, daß alles Geschehen im Universum nach einem kausal definitiv festgelegten Schema abrollt, sondern ein Geschehen ist mit vielen offenen Möglichkeiten. Und der Gott der Quarks und Jt-Mesonen (Pionen), der diese Struktur erfand, braucht keine Langeweile zu haben, denn er darf selbst neugierig und gespannt sein zu sehen, wie das Schauspiel, das «Glasperlenspiel mit dem Zufall»70, weitergeht: «Nun können wir den nächsten Schritt tun und die Folgen dieser Selbstreplikation im * Gern als Assoziation zu Gebilden mit immer höherer Komplexität bezeichnet. Frühstadium der Evolution betrachten, ohne uns den Kopf darüber zerbrechen zu müssen, ob die präbiotische Evolution auch wirklich so fortschreiten konnte. Sie schritt voran!»3 Gewiß, sie schritt voran, die Evolution, bis in unsere Zeit, aber es war nicht der Zufall der Mutationen, der ihren Schritt «lenkte». Zufallsmutationen können Ordnung nur zerstören, aber nicht aufbauen. Manfred Eigen versäumt in seinen Selbstorganisationsarbeiten seit einigen fahren nicht, seine noch in alten religiösen Traditionen («Schöpfungsmystizismus» hat er das früher genannt25) befangenen oder gefangenen Leser mit diesem Zuschauer-Gott oder Spinoza-Go« zu trösten, indem er sie darauf hinweist, wieviel größer doch dieser Gott ist, der nur «im Anfang» schuf und dann sein Werk dem Lauf oder den Möglichkeiten der ihm eingepflanzten Gesetze und dem Spiel des Zufalls überließ. Andere haben daraus inzwischen den «unendlich faulen Schöpfer» gemacht.5 Wenn wir Gott (diesen Gott) verehren und respektieren wollen, müssen wir auch seine Naturgesetze anerkennen, meint Eigen. Natürlich wird man das tun, wenn man klug ist, aber muß man auch glauben, daß ER seine Gesetze anerkennen muß, daß ER im Netz seiner Gesetze gefangen ist? Welchen Gott - ob überhaupt einen - ein Mensch anerkennt, ist eine Entscheidung, die jeder Mensch persönlich zu treffen hat und die ihm keine Wissenschaft abnehmen kann. Ich kann nur feststellen und darauf hinweisen, daß die evolutive Selbstmontagefolge vom Elementarteilchen bis zum Säugetier beim Übergang vom Monomer- zum Polymermolekül (DNS/RNS und Proteine) abrupt abreißt. «Die Natur macht keine Sprünge» ist einer von den voreiligen Sprüchen, die man bei Philosophen lesen kann, die das Denken an die erste und das Beobachten an die zweite Stelle setzen. Erst beobachten, dann denken und dann reden ist sicher die bessere Maxime. Jeder, der sich ein wenig für Physik interessiert, weiß, daß alles Naturgeschehen in Sprüngen abläuft, aber nicht dieser feine Raster der sehr kleinen, sehr zahlreichen Quantensprünge ist gemeint, wenn ich hier nach dem «Warum» des abrupten Abreißens der schönen Assoziations- und Selbstmontagereihe von den Elementarteilchen bis zum Menschen frage, die man beim Übergang von den kleinen Monomermolekülen zu den langkettigen Makromolekülen der Nucleinsäuren DNS/RNS und der Proteine beobachtet. Die eingangs gestellte Frage ist (das zeigen diese Überlegungen) zunächst einmal eine rhetorische Frage, die die derzeitige Stimmungslage erkennen läßt. Man könnte sie nämlich genausogut auch so stellen: Warum eigentlich sollte die Assoziationsreihe ohne Einschnitt so weitergehen bis zum Menschen? Es gibt ja auch andere große Zäsuren, wie die beim Mond in der astronomischen «Hierarchie». Das schön hierarchisch geordnete, astronomische Karussellspiel der Spiralnebel, Sonnen (mit ihren Planeten) und Planeten (mit ihren Monden), alle schön kugelrund, hört bei den Monden plötzlich auf, um erst mit einem linearen Zwischenraum von 16, entsprechend einem Volumensprung von 48 Zehnerpotenzen bei den Atomen weiterzugehen. Der Zwischenraum ist ausgefüllt mit Brocken von völlig unregelmäßiger Gestalt und jeder Größe zwischen Mond (7,35 -10“ kg) und Kolloidpartikelchen (Staubteilchen, ca. io~I5g), die im interplanetaren und interstellaren Raum herumvagabundieren, sich allenfalls zu Kometen ballen, die mit ihren stark elliptischen Bahnen und ihrem Gas- und Staubschweif ein Abschiedswinken an die große Ordnung des Kosmos bedeuten. Natürlich hat der Mond nichts mit Makromolekülen zu tun, aber er zeigt doch, wie plötzlich ein sich wiederholendes Muster irgendwo abreißt, hier weil das Verhältnis der beteiligten Größen (Masse, Kraft, Entfernung und Geschwindigkeit) den Bestand eines rotierenden Systems nicht mehr gewährleistet. Bei den Polymersynthesen ist es die Abhängigkeit der die Stoffeigenschaften bestimmenden Strukturparameter (Kettenlänge, Sequenz, Kettenbeweglichkeit und damit auch Assoziationstendenz) von den Rahmenbedingungen, die in das weite Feld der zahllosen Möglichkeiten (io1000 verschiedene Sequenzmöglichkeiten schon bei einem Copolymeren mit vier Komponenten bei einer Kettenlänge von 1660 Nucleotiden) führt. Ein konkretes Beispiel, das zeigt, was gemeint ist: Man kann bei der Synthese niedermolekularer Stoffe wie Ascorbinsäure oder Aspirin oder Indigo bei den einzelnen Synthesestufen die Konzentration der Komponenten in gewissen (oft weiten) Grenzen variieren, ohne daß etwas anderes entsteht als Ascorbinsäure oder Aspirin oder Indigo. Bei einer Polymersynthese genügt bereits die Anwesenheit kleinster Mengen eines monofunktionellen Stoffes wie Essigsäure, Ameisensäure oder Alkohol in der Reaktionsmischung, um den wichtigsten Strukturparameter, die Kettenlänge, radikal zu verändern. Im Falle der niedrigmolekularen Stoffe än- dert sich bei Änderung der Rahmenbedingungen allenfalls die Ausbeute (Quantität) des Syntheseprodukts, bei makromolekularen Stoffen aber ändert sich die Struktur des Moleküls (Länge, Sequenz) und damit seine Eigenschaften (Qualität). Die katalytische Wirkung eines Enzyms etwa kann völlig verlorengehen, wenn auch nur eine von tausend oder zweitausend Positionen in der Reihenfolge der Kettenbestandteile eines Enzyms oder Gens sich zufällig ändert. Das zeigt, wie bei den Polymersynthesen, das heißt bei der Assoziation von Tausenden kleiner Monomermoleküle zu lang-kettigen Gebilden, die Art der Assoziation (die Reihenfolge der Komponenten) durch die Struktur der Monomeren nicht mehr zwingend vorgegeben ist. Schon einer Mischung von vier verschiedenen Monomerkomponenten eröffnet sich bei der Polykondensation zu DNS-Ketten in Genlänge eine unfaßbar große Zahl (ioIOO°) von Assoziationsmöglichkeiten. Das ist es, was als Ende der Selbstmontage, als Bruch der Assoziationsreihe zwischen Monomer und Polymer in Erscheinung tritt, erst in Ursup-pen, dann in lebenden Zellen. Mehr noch als das Auftreten der großen Unstetigkeit in der langen Assoziationsreihe als solche überrascht ihr Ort, ihre Lage. Ohne nähere Kenntnis und Berücksichtigung des Polykondensationsvorgangs hätte man (wenn überhaupt) das Auftreten einer Singularität eher zwischen Molekül und Zelle vermutet. Wir werden im nächsten Kapitel sehen, daß es sich bei der Entstehung des Lebens und der Arten oder anders gesagt: bei der dieses Geschehen notwendig begleitenden erdgeschichtlichen DNS-Syn-these keineswegs nur um eine Singularität handelte, sondern um eine ganze Kette von konstruktiven Maßnahmen (oder: eine Kette von ungeheuerlich-unfaßbaren Zufällen). Forscher in aller Welt haben daher, weil sie das Abreißen der Selbstmontagereihe zwischen Monomer und Polymer nicht wahrhaben wollten und wollen, immer wieder Laboratoriumsexperimente ausgeführt, die die Möglichkeit einer Entstehung von Nucleinsäure- und Proteinmakromolekülen unter «präbiotischen Bedingungen» beweisen sollen. Evolutionsexperimente Man hat schon früher darüber diskutiert, ob die Proteine (Eiweißstoffe) zuerst da waren oder die Nucleinsäuren. Wenn Leben sich von selbst entwickeln sollte, mußten beide Arten von Makromolekülen dasein und kooperieren. Diese Kooperation, eine Art DARWiN-Entwicklung auf Molekülebene, ist ein reizvolles Problem, offensichtlich, denn es hat in den letzten Jahrzehnten Theoretiker von Format auf den Plan gerufen, die ihre Modelle (Hyperzyklusmodelle und ähnliche) entworfen haben, lange bevor geklärt war, ob die Voraussetzungen für eine solche molekulare Evolution, eben die biologischen Makromoleküle (DNS/ RNS und Proteine), überhaupt gegeben waren. Man hat einfach vorausgesetzt, daß der Übergang von Aminosäuren zu Proteinen und der von Purin /Pyrimidin-Basen, 5-Ring-Zuckern und Phosphaten zu Nucleinsäuren kein ernsthaftes Problem sein würde. «Proteinoide» Eine Zeitlang war die Vorstellung beliebt, Proteine hätten sich auf heißem Vulkangestein durch Schmelzpolykondensation gebildet. Also wurden unter breit variierten Bedingungen reine und reinste Aminosäuren unter Schutzgas, meist unter Stickstoff erhitzt. Die Polykondensationsprodukte hatten Molekulargewichte bis 30000, waren aber sonst alles andere als proteinoid oder proteinähnlichI9: Die Hydrolyse von «Proteinoiden» zeigt stark wechselnde Ausbeuten an Aminosäuren, oft nur um 50 Prozent der bei Proteinen zu findenden Werte. Helixanteile, die für Proteine charakteristische und für die Ausbildung von Überstrukturen unentbehrliche Spiralform der Kettenmoleküle, wurden nicht gefunden. Kaum die Hälfte der Kettenbindungen sind Peptidbindungen wie in Proteinen. Aminosäuren zeigen das Phänomen der Spiegelbildisomerie, das heißt synthetisch hergestellte Aminosäuren bestehen zu gleichen Teilen aus Molekülen, die sich nur dadurch unterscheiden, daß sie wie Bild und Spiegelbild sind. Natürliche Aminosäuren, die man durch hydrolytische Kettenspaltung erhält, sind L-Aminosäuren, das heißt: sie enthalten nur eine der spiegelbildlichen Molekülformen. Selbst wenn zur Schmelzpolykondensation reine L-Aminosäuren verwendet wurden, bestanden die bei diesen Versuchen gebildeten Proteinoide stets aus Mischungen der spiegelbildlichen Moleküle. Das Ergebnis dieser Versuche war entmutigend: Durch Polykondensation von Aminosäureschmelzen konnten die ersten Proteine nicht entstanden sein. Bessere Ergebnisse hinsichtlich der Qualität der erhaltenen Proteinoide liefert die Polykondensation der viel schneller als Aminosäuren reagierenden Aminosäureanhydride (oft zitierte Versuche von Mella Paecht-Horo-witz und A. Katchalsky mit Montmorillonit, einem Bestandteil des Tons, als Katalysator26). Aber wie bei allen bisher veröffentlichten Versuchen zur Herstellung von Nucleinsäuren und Proteinen gingen auch hier die Experimentatoren von reinsten Monomeren aus und nicht von Ursuppen. Für die Frage nach der Entstehung des Lebens auf unserer Erde sind solche Versuche daher von höchst zweifelhaftem Wert. Wenn sie eines gezeigt haben, so dies: daß Ursuppen ein denkbar schlechtes Medium für die Entstehung von Makromolekülen sind. Oligonucleotide Das wurde durch die Versuche von Leslie Orgel zur Synthese von Nucleinsäuren in wäßrigem Medium besonders deutlich. Die Versuche wurden mit reinsten Nucleosidphosphaten durchgeführt, die unter strengem Ausschluß von Wasser hergestellt waren. In der Arbeitsvorschrift wird viermal daraufhingewiesen, daß Lösungsmittel und Geräte wasserfrei sein müssen. Das fertige Monomerpräparat wurde in einem hochevakuierten Gefäß (Exsiccator) über den schärfsten Trockenmitteln, P2Os und NaOH, (Phosphorpentoxid und Ätznatron) aufbewahrt, damit es sich nicht zersetzte. Von präbiotischen Bedingungen kann daher auch nicht andeutungsweise die Rede sein.23 Selbst bei diesen, von reinsten Phosphorsäureanhydriden (zum Beispiel Adenosin-5-phosphorimidazolid) ausgehenden Versuchen wurde nur eine mittlere Ketteniänge von fünf Nucleotiden erreicht. Und das, obwohl bei den Versuchen langkettige, mit KoRNBERG-Enzym synthetisch hergestellte RNS-Präparate als Matrize vorgegeben wurden. Das aufschlußreichste Resultat dieser Versuche, das aber in Selbstorganisationsarbeiten nicht erwähnt wird, ist der starke Einfluß der Wasserkonzentration auf die Kettenlänge: Wenn in 2,5 prozentiger wäßriger Lösung der Nucleosidphosphate die mittlere Kettenlänge der entstehenden Oligonucleotide Pn = 5 war, so bildeten sich in o,5prozentiger Lösung nur noch wenige Prozente des Dimeren*: Die Polykondensation unterblieb so gut wie ganz.23 Bei diesem zuletzt genannten Versuch von Orgel betrug die Monomerkonzentration immerhin noch 0,5 Prozent. Die Lebewesen, die aus diesen Monomeren in Ursuppen entstehen sollten, konnten von solchen Konzentrationen nur träumen, wenn man an die 0,03 mol Prozent Adenin20 und die daraus unter günstigsten Umständen vielleicht entstandenen 0,003 Prozent Adenosin (Adenylribose) und 0,0003 Prozent Adenosinphosphat denkt, die eine Ursuppe enthalten haben mag, wenn man von einem 10 Prozent Aminosäuren enthaltenden Gewässer ausgeht. Bei alledem muß man noch eines berücksichtigen: In einer Lösung mit zahlreichen Monomerkomponenten entstehen immer Copolymerketten, das sind solche, an deren Aufbau alle in der Mischung befindlichen bifunktionellen Moleküle mit geeigneten Gruppen (OH, COOH, NHJ im Verhältnis ihrer Konzentrationen und Reaktionsgeschwindigkeiten beteiligt sind. Im Modell: Man hat eine Mischung von roten, grünen, weißen, blauen, größeren und kleineren Kugeln mit Druckknöpfen in einem Behälter und greift blind eine Kugel nach der anderen heraus. Die Druckknöpfe rasten ein, unabhängig davon, welche Farbe und Größe die Kugeln haben. Für die Ursuppe bedeutet das: Selbst wenn Ketten entstehen könnten, wären dies keineswegs Nucleinsäure- oder Proteinketten, sondern Copolymerketten, enthaltend Aminosäure-, Milchsäure-, Glykolsäure-, Bernsteinsäure- und Nucleo-sidphosphat-Bauteile in bunter Folge. Die Anzahl der copolymerisierbaren Monomeren umfaßt erheblich mehr Aminosäuren, als die in Proteinen vorkommenden zwanzig. Viele solcher fremder Aminosäuren wurden bei modifizierten MiLLER-Experimenten gefunden.27 Hinzu kommt, daß alle Aminosäuren und Nucleotide doppelt zu zählen sind, da ihre Moleküle in einer linkshändigen und einer rechtshändigen Form als Spiegelbildisomere in 50: 50-Mischung existieren und in dieser racemischen Mischung natürlich auch in eine Polymerkette eingebaut würden, wenn eine Kettenbildung möglich wäre. * Dimere sind Moleküle mit zwei Kettengliedern. Zur Rettung der Selbstorganisationshypothese hat man Zuflucht gesucht in der Behauptung, die richtigen Kettenbauteile (Nucleosidphosphate) reagierten schneller als die kettenabbre-chenden Monofunktionellen, und als Stütze die (zweifellos vorhandene) Wirkung von Stapelkräften angeführt.1 L. Orgel, dessen sorgfältig durchgeführte Experimente zur Synthese von Oligo-nucleotiden in Selbstorganisationsaufsätzen gern als experimenteller Beweis für die Möglichkeit der Entstehung von RNS-Ketten in wäßriger Lösung hingestellt werden, hat dazu einige interessante Experimente durchgeführt und die Resultate veröffentlicht: Statt des im Sinne der DNS-Synthese richtigen, OH-Grup-pen am Ribosering enthaltenden Monomermoleküls hat er ein Nucleosidphosphatmonomer bei seinen Polykondensationsversuchen eingesetzt, bei welchem eine OH-Gruppe durch eine NH2-Gruppe ersetzt war, mit dem Ergebnis, daß dieses im Sinne der DNS-Synthese falsche Monomer fünfzigmal schneller reagierte als das richtige Monomer mit OH-Gruppe.23 Die Vorstellung, die richtigen (bifunktionellen) Monomeren würden den falschen (monofunktionellen) durch höhere Reaktionsgeschwindigkeit den Rang ablaufen, ist daher völlig unbegründet. Orgel hat mit seinem Versuch noch einmal bestätigt, was bei Polykondensationsexperimenten mit mehreren konkurrierenden Komponenten immer wieder beobachtet wurde: Für die Additionsgeschwindigkeit spielt es keine Rolle, ob reaktionsfähige Moleküle mit ähnlicher Struktur mono- oder bifunktionell sind. Der Orgel-Versuch ist besonders deshalb so interessant, weil die Ursuppe nach experimentellen Befunden (UV-Strahlenexperimente) besonders viele monofunktionelle Amine enthält, die nach den Versuchen Orgels die Kettenbildung besonders effektiv blockieren. Speziell zum Einfluß der Stapelkräfte auf die Kettenbildungsfähigkeit hat Orgel ein Experiment durchgeführt, bei dem die Polykondensation nicht von monomeren Nucleotiden, sondern von kurzen Ketten mit drei bis fünf Nucleotiden ausging, mit dem Ergebnis, daß keine weitere Polykondensation zu beobachten war. Das zeigt eindeutig, daß die Entstehung von Oligomerketten durch Stapelung der Nucleotide in der Spiralkette nicht begünstigt wird. Über die Gleichgewichtskettenlänge hinaus kann eine Addition wegen der hydrolytischen Kettenspaltung ohnehin nur vorübergehend zu längeren Ketten führen (solange nicht Reparaturenzyme der lebenden Zelle für ihren Bestand sorgen). Großaufbereitungsanlagen durch geologische Selbstmontage Weil die Entstehung von reinen Nucleinsäure- und Proteinketten aus den dargelegten Gründen in Ursuppen so extrem unwahrscheinlich ist, haben einige Befürworter der chemischen Evolution bedauert, daß die Konzeption von der Ursuppe «sich trotz thermodynamischer und organisch-chemischer Widersprüche seit bald einem halben Jahrhundert in der Fachliteratur hat halten können»19, während gerade neuerdings wieder besonders prominente Autoren, blind gegen die Aussagen der Polykondensationsthermodynamik und -Stöchiometrie (Gruppenverhältnisse), behaupten, die präbiotische Ursuppe habe ein geeignetes Medium für einen DARWiNschen Evolutionsprozeß dargestellt.3 Wenn es nicht die rohen Ursuppen waren, in denen die ersten RNS- und Proteinmakromoleküle entstanden sein sollen, dann müssen es, wenn man an der Hypothese zur Entstehung des Lebens durch Selbstorganisation festhalten will, gereinigte, aufbereitete Ursuppen sein, die in ihre Komponenten zerlegt und im idealen Verhältnis neu zusammengeführt wurden. Im Laboratorium und in der technischen Großproduktion ist die Trennung von Stoffgemischen in reine Komponenten durch Adsorption-Desorption nach Art einer präparativen Chromatographie durchaus möglich, aber man benötigt dazu recht komplizierte Anlagen mit einer Vielzahl sinnvoll angeordneter Säulen, deren jede ihre spezielle Art von Füllkörpern besitzt. Mit einem Sandstrand und ein wenig Brandung, durch die einige Selbstorganisationstheoretiker ihre Ursuppen gereinigt sehen wollen, ist da nichts getan. Selbst wenn man annehmen würde, daß irgendwo auf der frühen Erde geeignete Bedingungen für eine adsorptive Trennung von Ursuppenkomponenten existiert haben, hätte das noch keineswegs bedeutet, daß damit auch schon die Bedingungen für die Entstehung von RNS-Ketten durch Polykondensation erfüllt waren. Unter den für die frühe Erde anzunehmenden vermutlich recht turbulenten geologischen und meteorologischen Gegebenheiten mit Gewittern und Sturmfluten wären alle getrennt adsorbierten Stoffe nach und nach wieder ausgewaschen worden und so letztlich wieder in der Ursuppe gelandet. Würde man aber eine Jahrhunderte- oder jahrtausendelange Schönwetterperiode annehmen, wäre eine Polykondensation durch die räumliche Trennung und die Immobilisierung der Komponenten erst recht verhindert worden. Wollte man die jeweils für eine bestimmte Synthese reiner Oli-gomerketten zusammengehörenden Komponenten in der richtigen Kombination wiedervereinigt sehen, so müßte man sich Erdbeben ausdenken, durch die die verschiedenen Gesteinszonen, die die richtigen und die störenden Stoffe getrennt adsorbiert enthielten, so präzise voneinander getrennt wurden, daß ihre Stoffe bei nachfolgenden Regenfällen in getrennten Rinnsalen in getrennte Tümpel, die für eine Polymersynthese benötigten Stoffkomponenten aber in gemeinsame Seen geführt wurden, die natürlich durch das Erdbeben so geformt werden mußten, daß sie dicht waren und auf ihrem Grund auch gerade die richtigen Mineralien als Reaktanten oder Katalysatoren enthielten: Phosphate (neben Mg++ und Harnstoff) für die Reaktion von Nucleo-siden zu Triphosphaten, Zn++ und Mg++ als Katalysatoren für die Nucleotidpolykondensation und spezifische Tonerden für die Peptidsynthese. Die Wahrscheinlichkeit derartiger geologischer Selbstorganisationen zu Großaufbereitungsanlagen für Ur-suppen zu reinsten Monomeren (in ihrer Komplexität moderne Fabrikanlagen zur Aufbereitung von Crackgasen zu den Monomeren Aethylen, Propylen und Butadien noch übertreffend), kann man zwar nicht wie die biologische Selbstorganisation mit Zahlen belegen, aber sie dürfte noch sehr viel geringer sein als diese. In theoretischen Abhandlungen werden solche Großaufbereitungsanlagen für Ursuppen schlicht als «das Vorhandensein einer räumlich und zeitlich gegliederten Umwelt» bezeichnet, oder es ist die Rede davon, «daß solche Substanzen nur an speziellen Stellen der Urerde angereichert werden konnten, in denen eine Vielfalt von besonderen Bedingungen erfüllt war».28 Eine so verallgemeinernde Redeweise birgt die Gefahr in sich, daß der wahre Sachverhalt übersehen wird, wenn man es nämlich versäumt, sich klarzumachen, was das ist, diese «Vielfalt von besonderen Bedingungen», die erfüllt sein mußte, damit eine Polykondensation von Nucleosiden und Phosphorsäure zu DNS- oder RNS-Ketten stattfinden konnte. Dazu ist nicht mehr und nicht weniger erforderlich als das Von-selbst-Entstehen komplizierter Anlagen aus Urgestein zur Auftrennung eines komplexen Vielstoffgemisches (Ursuppe) in reine Komponenten und zur Zusammenführung der für die Nucleotidsynthese benötigten Komponenten. Besondere Bedingungen kann man sich noch viele ausdenken, so zum Beispiel auch bei der Polykondensation: Man kennt die Verfahrenstechnik der Grenzflächenpolykondensation, bei der das Zahlenverhältnis der komplementären Monomermoleküle in den beiden nicht mischbaren Phasen nicht i: i sein muß. Dann müssen aber die Monomerkonzentrationen den Diffusionskoeffizienten genau angepaßt sein. Das aber macht das Entstehen von RNS-Ketten nicht wahrscheinlicher, abgesehen davon, daß man sich nicht denken kann, welches die zweite, mit Wasser nicht mischbare Flüssigkeit gewesen sein soll. Man kennt seit kurzem auch die Polykondensation von Ami-nosäureestem von langkettigen Fettalkoholen, die nach Art der Seifen an der Wasseroberfläche unter geeigneten Bedingungen monomolekulare oder bimolekulare Schichten bilden, in denen wegen der Orientierung der Moleküle eine besonders rasche Polykondensation stattfindet.19 Auch diese besonderen Bedingungen waren auf der Urerde nicht wahrscheinlicher als die Selbstentstehung von Fabrikanlagen zur Ursuppenaufbereitung, die der Bildung der seifenartigen Aminosäureester unbedingt hätte vorausgehen müssen, wenn das «monolayer-Verfahren» erfolgreich funktionieren sollte. Denn immer und überall da, wo Aminosäureester von Fettalkoholen entstehen konnten, mußten zwangsläufig auch Essigsäure-, Propionsäure-, Milchsäure- und Glykolsäureester der gleichen Fettalkohole sich bilden. Außerdem: Wenn in der Uratmosphäre Methyl- und Aethylamin und Fettalkohole entstanden, muß auch die Bildung von Fettaminen angenommen werden. Alles zusammen aber, Aminosäureester, Fettamine und langkettige Essigester, hätte wieder die Situation (2) der Abb. S. 56 ergeben, das heißt: keine Kettenbildung. Die Kette wächst durch Jahrmillionen Makromoleküle der gleichen Art (wie DNS, RNS oder Proteine) sind, obwohl sie den gleichen Namen tragen, nicht gleich. Sie unterscheiden sich durch ihre Länge und (wenn mehr als eine Art von Monomeren an ihrem Aufbau beteiligt ist) durch die Reihenfolge der Komponenten. Ein Makromolekül kann, solange wenigstens eines der Kettenenden noch eine funktionelle Gruppe trägt, wachsen, das heißt: Seine Kettenlänge kann unter geeigneten Bedingungen zunehmen. Die Evolution ist von einem solchen Kettenwachstum des DNS-Moleküls begleitet. Begonnen hat dieser Weg mit der Entstehung relativ kleiner DNS-Kettenstücke (sogenannter Oligonucleotide) aus den in Ursuppen vielleicht von selbst entstandenen Mononucleotiden ( = Nucleosidphosphaten wie zum Beispiel Adenosintriphosphat). Schon die Von-selbst-Entstehung solcher Oligonucleotide (Ketten mit wenigen, etwa io bis 20 Kettengliedern) unter Ursuppen -bedingungen ist, selbst wenn man von der Reihenfolge der Kettenbestandteile ganz absieht, extrem unwahrscheinlich. Berücksichtigt man auch noch die Reihenfolge der Kettenglieder (die Nucleotidsequenz) und bedenkt, daß für das Entstehen einer genetischen Information (gleich welcher) keineswegs jede beliebige Reihenfolge in Frage kommt, so sinkt die Wahrscheinlichkeit einer Von-selbst-Entstehung einer langen DNS-Kette durch ungesteuertes Kettenwachstum - also, wie der Terminus technicus bei den Polymerchemikern heißt, durch »statistische Copolykondensation» - auf unabsehbar kleine Zahlenwerte. Und dies selbst dann, wenn man ideale Bedingungen für die Bildung langer Ketten durch Polykondensation als gegeben vorfindet, wie in lebenden Zellen mit ihren Kettenbildungs- und Reparaturenzymen. Der Weg von Ursuppe und ersten Makromolekülen, selbst wenn diese sich in Ursuppen bilden könnten, bis zur ersten von selbst - also nach dem Mechanismus von Mutation-Selektion -entstandenen Zelle ist indessen durch unüberwindliche Hindernisse versperrt. Dieser als - (microspheres) von Polypeptiden, die bei 170 bis 180° C durch Polykondensation von Aminosäuren hergestellt und durch langsames Abkühlen als Dispersion abgeschieden wurden, nach S. W. Fox unten: Polybutylacrylatpartikel in Polystyrol als Matrix eingebettet, hergestellt als Film durch Eindunsten einer methanolischen Lösung von Styrol-Acrylsäure-Copolymerisat (90/10) und Butyl-acrylat-Acrylsäure-Copolymerisat (90/10), nach W. Schoene Die Abscheidung von makromolekularen Stoffen als kugelförmig disperse Phase ist ein weitverbreitetes Phänomen, das mit der Bildung von Zellen in der lebenden Natur nichts zu tun hat. quenz der DNS-Kette über den genetischen Code gekoppelt ist. Bereits die Änderung der Sequenz einer dieser Proteinketten kann das Leben der Zelle zerstören. Selbst wenn man annimmt, daß die Urzellen, die vor drei Milliarden fahren auf der Erdoberfläche lebten, mit einigen ioo oder io Proteinen (Enzymen und Membranproteinen) ausgekommen sind - was aber schon schwer vorstellbar ist -, bleibt doch der ganz prinzipielle Unterschied zwischen lebenden Zellen und jenen experimentell erzeugten Latexpartikeln, daß die Proteine der Zelle - auch der primitivsten Zelle -ganz bestimmte, bei allen Molekülen einer jeden Proteinart gleiche, auf ihre spezielle Aufgabe hin orientierte Aminosäuresequenzen haben müssen, während bei den Latexpolyamiden mit der Bezeichnung «microspheres» auf Grund ihrer Entstehungsweise die Ausbildung von speziellen Sequenzen absolut ausgeschlossen ist. Wer Foxsche Dispersionen als Vorstufen der Zelle diskutiert, geht noch aus einem weiteren Grunde am Problem vorbei, denn -ob Mikrokugeln oder Protobionten - in beiden Fällen wurden die Kolloidpartikel durch spontane Assoziation von gelösten Proteinen oder Polypeptiden, also gleichsam von außen gebildet. Das Protein der lebenden Zelle dagegen wird nach der in der DNS der Zelle enthaltenen Anweisung gebildet und von innen in die Zellwand eingebaut. Wenn aber ein nacktes Nucleinsäure-Protein-Assoziat von einer sich spontan bildenden Proteinkugelhaut nach Art der «microspheres» eingehüllt wird, ist nicht denkbar, wie die Produktion der «Mikrokugel»-Polypeptide, uneinheitlich in bezug auf Kettenlänge und Aminosäuresequenz, wie sie sind, in das DNS-Programm des Urassoziats aufgenommen werden soll. Andererseits ist aber auch nach allem, was wir von makromolekularen Lösungen wissen, absolut undenkbar, daß sich aus einer Lösung eines Polypeptidgemisches, als das wir günstigstenfalls das imaginäre Urkonzentrat ansehen können, Kolloidteilchen mit einheitlich langen Proteinen und mit gleicher Aminosäuresequenz abscheiden. Aber selbst wenn dies - unter welch rätselhaften Umständen auch immer - einmal möglich gewesen sein sollte, so wären auch diese Proteinkolloide als Fremdlinge mit demDNS-Enzym-Komplexzusammengekommen, und beide hätten miteinander partout nichts anfangen können, es sei denn, zu jenem seltsam unwahrscheinlichen Ereignis der Urzeugung wäre ein weiteres, noch weit unwahrscheinlicheres hinzugetreten: ________________________________________Generatio spontanea daß nämlich auch die Proteine*, aus denen die auf rätselhafte Weise entstandenen polymer- und sequenzeinheitlichen «Proto-bionten» aufgebaut waren, bereits auf der DNS des DNS-Protein-•Komplexes, mit dem sich eines dieser Protobiontenpartikel zufällig am Rande eines Weltmeeres zusammenfand und zur Urzelle wurde, vorprogrammiert waren, und zwar unter Verwendung des gleichen Code, der bereits durch die Zuordnung von Nucleotiden und Aminosäuren des Ur-DNS-Protein-Komplexes festgelegt war, und daß zugleich auch die ungeheuer komplizierte Zellteilungsorganisation mit ihrer hochkomplizierten Chemie und Mechanik in den Protobionten vorhanden war, denn ohne Zellteilung wäre das unglaublich unwahrscheinliche Ereignis dieses zufälligen Zusammentreffens ja ohne jede Folgewirkung für die Zukunft geblieben. Microspheres und dergleichen gehören zum Primitivsten, was heute als Vorstufen auf dem Wege der Entstehung des Lebens durch Selbstorganisation der Materie angeboten wird. Generatio spontanea Die Lehre von der Entstehung des Lebens durch Selbstorganisation in Ursuppen ist keineswegs neu. Daß in Sümpfen und Faulschlamm Leben von selbst entsteht (generatio spontanea), wurde - auch von den größten Gelehrten - mehr als 2000 Jahre mit größter Selbstverständlichkeit geglaubt, nachdem schon Aristoteles gelehrt hatte, daß Kröten, Schlangen und Würmer aus der Morastsubstanz von Sümpfen spontan entstehen. Die «generatio spontanea» entsprach der täglichen Erfahrung in einer Zeit ohne Kühlschrank und Sterilisieren (Maden in Fleisch und Käse), bis ' In Wirklichkeit ist die Zellwand von Bakterien keineswegs ein nur aus irgendwelchen Proteinen bestehender Film, sondern - grob schematisch gesehen - ein Dreischichtenfilm34: Die Stützmembran (Murein) ist ein - bei gramnegativen Bakterien - regelmäßig gebautes Flächennetzwerk aus Polysaccharidketten (N-acetylglucosamin-N-acetylmuraminsäure-Copolymer), die über Oligopeptidketten (D- und L-Aminosäuren enthaltend!) vernetzt sind.” Bei grampositiven Bakterien sind mehrere Netzflächen über Oligopeptidketten covalent miteinander zu einem mehrschichtigen räumlichen Netzwerk verbunden. Außen über der Stützmembran befindet sich eine plastische Schicht, bestehend aus Lipoproteinen, Lipopolysacchariden, Proteinen, Polysacchariden und Teichonsäuren. An der Innenseite ist die Stützmembran vom Zellinnem durch die Zytoplasmamembran abgegrenzt, die im wesentlichen aus Phospholipiden als Matrix und eingelagerten Proteinen besteht.36 sie durch die Versuche von Louis Joblot (1720) und Louis Pasteur (1860) widerlegt wurde. Pasteur sagt in seinem berühmten Vortrag an der Sorbonne am 7. April 1864: «Die generatio spontanea von Mikroorganismen ist auch auf Grund dieser Versuche ein Hirngespinst. Nein, es sind heute keine Umstände bekannt, unter denen Mikroorganismen ohne vorhandene Keime, ohne Vorfahren, die ihnen ähnlich sind, erzeugt worden wären. Diejenigen, die dergleichen behaupten, sind Opfer von Illusionen, von schlecht durchgeführten Versuchen, deren Fehlerquellen sie nicht bemerken oder nicht vermeiden konnten. Die Lehre der generatio spontanea wird nach dem tödlichen Schlag, den sie durch ein einfaches Experiment erlitten hat, nie auferste-hen.»* Louis Pasteurs Experimente bezogen sich auf die gegenwärtige Situation. Daß seine Aussage auch für Ursuppen zutrifft, hat die Behandlung der Selbstorganisation als Synthese des Makromoleküls DNS gezeigt. Hier ist die Bilanz: 1. In «Ursuppen» (nach Art der bei MiLLER-Experimenten anfallenden Lösungen) können weder Makromoleküle noch Oligomere (P = 10) in Konzentrationen entstehen, die eine molekulare Evolution diskutierbar erscheinen lassen. (Konzentrationen von weniger als 1 Nucleotidkettenmolekül in io4°g Urpolykondensat sind keine Basis für eine im Rahmen der Naturwissenschaften diskutierbare Hypothese, vgl. Tab S. 210). 2. Für den Ablauf einer präbiotischen Evolution fehlen - ebenso wie bei der Bioevolution - die wichtigsten Voraussetzungen: Die Polykondensation von Nucleotiden zu einer Kette von io6 Struktureinheiten (Bakterien-DNS) ist unerklärlich. Kleine Schritte (durch Mutationen bewirkt) begründen keinen Selektionsvorteil, und große Schritte sind extrem unwahrscheinlich. 3. Alle bislang veröffentlichten Experimente zur Polykondensa-tion von Nucleotiden oder Aminosäuren sind für das Problem der Evolution auf Molekülebene irrelevant, da sie mit reinen Monomeren und nicht mit «Ursuppen» aus MiLLER-Experi- * Zitiert nach J. Tomcsik: Pasteur und die Generatio spontanea. Verlag Hans Huber, Bern 1964. Das «einfache Experiment» ist nichts anderes als das Verhindern von Leben (Fäulnis und Schimmel] durch Sterilisieren. menten durchgeführt wurden. Polykondensationsexperimente aber mit Ursuppen oder den darin gelösten Stoffgemischen sind ebenso überflüssig wie Versuche zur Konstruktion eines Perpetuum mobile. 4. Großaufbereitungsanlagen für Ursuppen zur Produktion reinster Monomerer, wie sie zur spontanen Bildung von RNS / DNS und Proteinen oder deren Oligomervorstufen unbedingt erforderlich wären, konnten auf der frühen Erde nicht von selbst entstehen. Bioevolution Evolution als Ideologie Auch heute noch, hundert Jahre nach Darwins Tod, stehen sich Gegner und Anhänger seiner Lehre unversöhnlich gegenüber. Im Lager der Anhänger versammeln sich ideologisch so verschieden geprägte Leute wie Faschisten, Kommunisten, Kapitalisten, Christen und viele andere, die sich zu keiner bestimmten weltanschaulichen Richtung bekennen, wie zahlreiche Vertreter der naturwissenschaftlichen Disziplinen. Alle sehen im Darwinismus eine befriedigende Erklärung für die Entstehung des Lebens in seinen vielfältigen Formen, befriedigend vor allem deshalb, weil hier nicht das Walten aus mythischen Fernen entlehnter Schöpfergottheiten bemüht werden muß. Die unverhohlene Freude über die vermeintliche Widerlegung des Schöpferglaubens spiegelt sich in zahlreichen Äußerungen, unter denen die von Friedrich Engels in seinem schon kurz nach Erscheinen des DARWiNschen Buches geschriebenen Brief von 1859 an seinen Freund Karl Marx nur ein besonders bekanntes Beispiel ist. In diesem Brief heißt es: «Übrigens ist der Darwin, den ich gerade jetzt lese, ganz famos. Die Teleologie* war nach einer Seite hin noch nicht kaputt gemacht, das ist jetzt geschehen.» Kein großer Schritt liegt zwischen diesem Zitat aus dem Jahr, in dem Darwins epochemachendes Hauptwerk «Über den Urspmng der Arten durch natürliche Zuchtwahl» erschienen ist, und dem Wort des bekannten Göt- * «Teleologie» nennt man eine philosophische Auffassung, nach der Ereignisse oder Entwicklungen durch bestimmte Zwecke oder Endzustände (griech. «telos») im voraus bestimmt sind und sich darauf zubewegen. tinger Nobelpreisträgers für Chemie im Jahre 1967 und Mitglieds der päpstlichen Akademie der Wissenschaften Manfred Eigen, das dieser 1973 in seinem Vorwort zu Jacques Monods Buch «Zufall und Notwendigkeit» schrieb: «Die Molekularbiologie hat dem Jahrhunderte aufrechterhaltenen Schöpfungsmystizismus ein Ende gesetzt, sie hat vollbracht, was Galilei begann.»25 Was die einen - leichtfertig und voreilig, wie mir scheint - bejubeln, nämlich die Zerstörung der Basis eines über Jahrtausende bewahrten religiösen Glaubens, sehen die anderen mit Entsetzen. Einige Darwinismus-Gegner versuchen sich zu wehren, indem sie auf die ihrer Meinung nach schädlichen Folgen des Darwinismus für die menschliche Gesellschaft hinweisen. Das Stichwort lieferte ihnen Darwin mit der Formel vom «Kampf ums Dasein», durch den nach seiner Lehre die «Auslese der Tüchtigsten» bewirkt wird. Wenn auch nachzuweisen ist, daß FIitler und andere Wegbereiter und Vollstrecker des «Dritten Reiches» sich auf Darwin berufen haben, um ihre mörderischen Rassengesetze als «Selektion» zu rechtfertigen, ist damit noch nicht gesagt, daß Darwin ein Wegbereiter des Faschismus war. Und selbst wenn es so wäre, könnte man höchstens den Darwinismus in Mißkredit bringen, über die Richtigkeit seiner Aussagen läßt sich so nicht befinden. Wie immer man den «Kampf ums Dasein» bewerten mag, ob man ihn im menschlichen Bereich als brutal-egozentrisch ablehnt, ob man ihn gar als permanentes Wirken eines destruktiven Prinzips in der Welt sieht oder ob man ihn als Einrichtung zur Gesunderhaltung der Arten oder deren Höherentwicklung begrüßt, das Phänomen selbst ist so alt wie das Leben auf unserer Erde und hat von Darwin nur den Namen bekommen. Selbst wenn es gelingen würde, den Kampf ums Dasein im zwischenmenschlichen Bereich auszuschalten, was aber - wie der bisherige Verlauf der Weltgeschichte im großen wie im kleinen gezeigt hat - eine Illusion ist, würden zur Ernährung der Menschheit immer noch circa eine Million Tiere täglich getötet, gar nicht zu reden von den vielen, die lebenslange Fronarbeit leisten müssen oder als Versuchskaninchen enden. Es ist kurzsichtig, das Leiden der Kreatur immer nur im menschlichen Bereich zu sehen und zu bedauern. Tiere erleiden den Schmerz wie wir. Sosehr wir also auch den Kampf ums Dasein als Doktrin ablehnen mögen, wir können nicht umhin, uns aktiv daran zu beteiligen, solange wir leben, es sei denn, wir machen es wie der große Schweizer Heilige Nikolaus von der Flüe und enthalten uns jeder Nahrung. Daß das Leben ein Kampf ist, der bestanden werden will, ist eine Tatsache, die jeder Mensch mehr oder weniger bewußt erlebt. Jeder Organismus führt einen beständigen, ununterbrochenen Kampf gegen unsichtbare Feinde, gegen Bakterien, Pilze, Viren und Würmer. Auch daß ein Lebewesen des anderen Nahrung ist und folglich die eine Art die andere jagt und frißt, gehört zum alltäglichen Kampf ums Dasein und ist sicher keine Erfindung von Charles Robert Darwin, ebensowenig wie die grausamen Massenmorde des 20. Jahrhunderts die Konsequenzen des Darwinismus sind. Diese Verbrechen hätten auch ohne Darwin geschehen können, wie sie in den Jahrhunderten vor Darwin dauernd und überall geschehen sind - wenn auch unter anderen ideologischen Aspekten. Niemand kann etwas daran ändern, daß die Tüchtigsten überleben und sich durchsetzen. Niemand aber kann zu irgendeiner Zeit Vorhersagen, wer diese Tüchtigen morgen und übermorgen sein werden. Das liegt im System von Mutation-Selektion begründet: Da Mutationen wesensgemäß Zufallsreaktionen sind, wird grundsätzlich erst im nachhinein, durch den Verlauf der Evolution selbst, offenbar, welche Lebewesen sich als die tüchtigsten erwiesen haben. Oft genug waren es gerade nicht die, die weithin den Eindruck der Tüchtigkeit erweckten, nicht die Brutalen und Rücksichtslosen, die Großen, Starken und Mächtigen. Man denke nur an das Schicksal der Saurier, um ein Beispiel dafür zu haben, wie es mit den Mächtigen dieser Erde zu Ende gehen kann, und wie dann die Stillen, Unscheinbaren, am Rande Lebenden diejenigen sein können, die sich auf längere Sicht als die Tüchtigeren erweisen. Hitler und Rosenberg taten so, als wüßten sie bereits, daß die «nordische Rasse» (was immer das sein mag) die tüchtigste sei, und bewiesen damit, daß sie Darwins Lehre nicht verstanden hatten oder nicht verstehen wollten und sie nur als Vorwand mißbrauchten, wie es alle tun, die sich auf Darwin berufen, wenn sie «brutal» als «gut» deklarieren. Wenn unter Berufung auf Darwin Untaten begangen wurden, sollten wir daran denken, daß dies unter anderem auch unter Berufung auf die christliche oder islamische Lehre geschehen ist. Das Christentum ist zweifellos eine entschiedene Absage an den Kampf ums Dasein, soweit er den menschlichen Bereich be- trifft. Der Verzicht auf das eigene Leben, die Pflege des Kranken und Schwachen werden dem Christen zur Pflicht. Würde diese Moral weltweit praktiziert, wäre die Menschheit binnen absehbarer Zeit ausgestorben oder degeneriert. Das Prinzip der Auslese dagegen (Kern der Lehre Darwins) ist auch dem Christentum keineswegs fremd. Als Auserwählung hat Gott der Herr sich die Selektion selbst Vorbehalten. Das Ergebnis des göttlichen Gerichts ist (wie bei der Selektion) Vernichtung oder Leben. An die Stelle des persönlichen Schöpfergottes und höchsten Richters treten bei Darwin Zufall und Notwendigkeit, Mutation und Selektion. Was den Kommunismus betrifft, so hat er zum Darwinismus ein gespaltenes Verhältnis: einerseits kommt ihm die vermeintliche Widerlegung der biblischen Schöpfungsberichte natürlich sehr gelegen; andererseits nagt die molekularbiologisch bewiesene Nichtvererbbarkeit erworbener Eigenschaften an den Wurzeln der sozialistischen Lehre. Und daß es Tüchtigere geben soll-unabhängig von Umwelteinflüssen - ist ein Greuel in sozialistischen Ohren. Aber man hat sich arrangiert. Wie für die großen Kirchen heute Evolution der Weg der Schöpfung ist, ist für den Kommunismus Evolution der Weg der sozialistischen Errungenschaften. Umgekehrt waren Darwin Annäherungsversuche von Marx eher peinlich. Eine ständige Begleitmusik aller Darwinismus-Diskussionen ist die Abstammung des Menschen vom Affen. Friedrich Nietzsche bemerkte dazu: «Was ist der Affe für den Menschen? Ein Gelächter und eine schmerzliche Scham.» Ein Besuch im Zoo ist immer ein Blick in den Spiegel. Wir sehen den Menschen, uns selbst, eingeordnet in eine große Vielfalt tierischer Formvarianten. Wer nachschlägt, findet, daß es rund eine Million verschiedene Tierarten gibt, die wir teils als schön, graziös, elegant, teils aber auch als häßlich, plump, unbeholfen, ja ekelhaft einstufen. Was haben wir eigentlich gegen eine Stammesverwandtschaft mit dem Affen? Der Anthropologe Arnold Gehlen schrieb, daß es '«einen deutlichen Unterschied ausmacht in seinem Verhalten, ob er (der Mensch) sich als Geschöpf Gottes versteht oder aber als arrivierten Affen». Ist aber für den, der den Menschen als Geschöpf Gottes betrachtet, nicht auch der Affe ein Geschöpf Gottes - wie alle Kreatur? Was also haben wir gegen den Affen oder vielmehr gegen eine Verwandtschaft mit ihm, wenn wir alle Geschöpfe Gottes sind? Nun, der Anblick des Affen erinnert uns daran, daß unsere laut Grundgesetz unantastbare Würde eine aufgepfropfte Würde ist, die an ganz dünnen Fäden hängt, an den Fäden des Ebenmaßes, der Gesundheit und der Kultur. Wir sollten uns aber daran erinnern, daß es nicht nur körperliche Mängel und Nöte sind, durch die wir der Gefahr der Lächerlichkeit preisgegeben sind. «Gelächter und schmerzliche Scham?» Dazu bedarf es nicht einmal des Anblicks eines Affen oder anderen Tieres. Ob es uns gefällt oder nicht, ob es uns Freude macht oder bittere Pein, es ist ein Faktum, an das wir täglich unbarmherzig erinnert werden, daß wir alle Tiere sind. Das ist keine neue Erkenntnis. Sie findet sich bereits in der Bibel (Prediger Salomo 3,18-21) in aller Nüchternheit und Offenheit ausgesprochen: «Was die unschuldig verurteilten Menschen betrifft, dachte ich mir: Gott hat sie herausgegriffen, um zu zeigen, daß sie eigentlich Tiere sind. Denn wenn man das Geschick jedes Menschen mit dem der Tiere vergleicht: sie haben ein und dasselbe Geschick. Wie diese sterben, so sterben jene. Beide haben ein und denselben Atem. Beide gehen an ein und denselben Ort. Beide kommen vom Staub her, beide kehren zum Staub zurück. Wer weiß, ob die Seele der einzelnen Menschen wirklich nach oben steigt, die Seele der Tiere aber ins Erdreich hinabsinkt?» Damit habe ich einige Fragen gestreift, die im Zusammenhang mit dem Thema Darwinismus seit dem Erscheinen von Darwins Buch über die Entstehung der Arten die Gemüter erregt haben und zum Teil noch erregen. Unnötig, wie ich meine, denn Mutation-Selektion und der damit verbundene Kampf ums Dasein sind ein mit unserem irdischen Leben ganz wesenhaft verbundenes Phänomen, ja dieser Kampf ist ein integraler Bestandteil alles irdischen Lebens, ohne den es gar nicht bestehen könnte. Mutation-Selektion ist ein grausam-konsequenter Mechanismus zur Gesunderhaltung der Arten und damit zur Artstabilisierung und damit natürlich auch zur Anpassung der Gesamtheit der Lebewesen an eine sich ändernde Erdoberfläche. Niemand wird also ernsthaft in Frage stellen, daß es den Kampf ums Dasein und die damit verbundene Selektion gibt. Wohl aber ist es berechtigt zu fragen, ob der in Vergangenheit und Gegenwart unvermeidliche, die Arten stabilisierende Kampf ums Dasein und die damit verbundene Auslese dazu führen konnten, daß über eine Folge von Individuen mit Erbgutvarianten, also Individuen mit spontan aufgetretenen, veränderten, erblichen Ei- genschaften, die wir heute kurz als Mutanten bezeichnen, sich von selbst und zwangsläufig neue Arten und Klassen von Lebewesen entwickeln mußten. Genau diese Frage ist es, die ich in diesem Buch unter streng naturwissenschaftlichen Aspekten zu beantworten suche. Die eigentliche Aussage der auf Darwin zurückgehenden Evolutionshypothese heißt: Die Lebewesen haben sich im Laufe von drei bis vier Milliarden Jahren auf unserer Erde (und vielleicht auf vielen anderen Planeten) durch Mutation und Selektion von selbst entwickelt, entwickelt im Sinne einer Abstammung der jeweils jüngeren Arten von den jeweils älteren. Mutationen sind zufällige Änderungen von Erbmerkmalen. Selektion, die Auswahl der tüchtigsten Mutanten, ergibt sich zwangsläufig durch das Leben selbst. Gesunde, starke, vermehrungsfreudige, anpassungsfähige Lebewesen sind kranken, schwächlichen, nachwuchsarmen und auf spezielle Umweltbedingungen angewiesenen Lebewesen überlegen und werden unter Umständen die anderen, weniger tüchtigen, verdrängen, was keineswegs immer, aber doch meistens mit Kampf verbunden ist. Zufallsereignisse Der Gedanke, daß alles, was ist, eine Ursache haben müsse, sei es nun, daß es auf das Tun eines Verursachers zurückzuführen ist oder daß es von selbst, das heißt ohne das zielbewußte Tun eines Menschen, entstanden ist, nährt sich aus unserer Alltagserfahrung. Wir kennen beides. Im zweiten Fall, wenn etwas ohne menschliches Zutun geschieht oder entsteht, kann man Geschehen mit und Geschehen ohne erkennbare Ursache unterscheiden. Ist die Ursache nicht erkennbar, zweifeln wir gleichwohl nicht an dem Vorhandensein einer solchen. Wir begeben uns auf die Suche und ruhen nicht, bis wir sie gefunden haben. Eine große Schar von Forschern ist ständig dabei, rätselhafte Vorgänge zu untersuchen und - wenn möglich - ihre verborgenen Ursachen aufzudecken. Nun gibt es freilich Geschehnisse, von denen die moderne Physik behauptet, daß ihre Ursache grundsätzlich nicht erkennbar sei, der Zerfall eines einzelnen Radiumatoms zu einer bestimmten Zeit zum Beispiel. Die Nichterkennbarkeit der Zerfallsursache manifestiert sich darin, daß niemand Vorhersagen (berechnen) kann, wann der Zerfall eintreten wird. Da gibt es freilich viel ioo trivialere Beispiele, Glücksspiele etwa. Wann (nach wieviel Würfen) jemand mit einem Würfel eine Sechs werfen wird, läßt sich nicht Vorhersagen: grundsätzlich nicht oder nur nicht, weil der Verlauf des Würfelvorgangs so kompliziert-unüberschaubar ist, daß man die Gesetze der Mechanik auf die Torkelbewegung des Würfels nicht anwenden kann? Zwar wird niemand daran zweifeln, daß sie auch hier gelten, aber man kann (jedenfalls an einem einzelnen Wurf) ihre Gültigkeit auch nicht prüfen und beweisen. Das Bemerkenswerte an solchen Zufallsereignissen ist, daß sie in die strengen Bahnen statistischer Gesetze einmünden, wenn man sehr viele Ereignisse zusammenfaßt: Unter tausend Würfen mit einem korrekten Würfel sind ziemlich genau 166 Sechswürfe. Der mit der mathematischen Wahrscheinlichkeit (Zahl der Fallereignisse geteilt durch Zahl der insgesamt möglichen Ereignisse) identische Anteil eines bestimmten Ereignisses wird experimentell um so genauer bestätigt gefunden, je größer die Anzahl der untersuchten Ereignisse ist. Dies ist die einzig mögliche, exakte Definition und zugleich experimentelle Überprüfungsmöglichkeit der Behauptung, ein Ereignis sei zufällig, das heißt: ohne erkennbare Ursache eingetreten; nicht erkennbar, weil, wie im Falle des Würfelspiels, alle Alternativmöglichkeiten exakt die gleiche Wahrscheinlichkeit (alle zusammen: W=i) besitzen. Ein Stoff, der mit einer anderen Halbwertzeit zerfällt als t1/2) = 1600 Jahre, kann nicht Radium (“I Ra) sein. Daß sich der Zerfall eines einzelnen Atoms eines radioaktiven Elements nicht vorausberechnen läßt, liegt daran, daß die in einem bestimmten Atomkern ablaufenden Vorgänge für menschliches Forschen und Messen definitiv unzugänglich sind - nicht etwa nur vorläufig, weil das dem Physiker verfügbare Instrumentarium noch zu unvollkommen ist, sondern für immer, weil jede Untersuchungsmethode (auch die denkbar feinste) in grober Weise in diese Vorgänge eingreifen würde: Je feiner die Untersuchungsmethode, desto gröber der Eingriff, die Störung. Je genauer der Impuls eines Elementarteilchens bestimmt wird, desto ungenauer ist die Bestimmung seines Ortes. Zu dieser Art von Ereignissen, deren Eintritt sich grundsätzlich nicht berechnen läßt, gehören auch die Mutationen, die zu den der DARWiNschen Theorie zugrunde liegenden Varietäten führen und von denen Darwin noch nichts wissen konnte, weil ihre Entdeckung noch ausstand. Zufallsereignisse sind zwar nicht ohne Ursache, aber ein und dieselbe Ursache verteilt sich gleichmäßig auf mehrere Alterna-tivvorgänge, bei DNS sogar auf sehr viele, nämlich Tausende von Nucleotiden oder Tripletts in der Kette, die bei einer Molekülverdoppelung (Replikation) alle in gleicher Weise von einer spontanen Änderung der Reihenfolge bedroht sind, so daß>grundsätzlich nicht erkennbar ist, warum als nächstes gerade dieses und nicht jenes Triplett durch eine Mutation seine Bedeutung wechselt.* Daß Darwin nicht von Zufall sprach, soll nach Auskunft seiner Biographen auf sein vorsichtig-zurückhaltendes Wesen zurückzuführen sein, daß die Darwinisten der letzten Jahrzehnte betont und ausgiebig von Zufall sprachen, war richtig und ehrlich, denn Mutationen sind und bleiben nun einmal Zufallsereignisse: Jacques Monod: «...so folgt daraus mit Notwendigkeit, daß einzig und allein der Zufall jeglicher Neuerung, jeglicher Schöpfung in der belebten Natur zugrunde liegt. Der reine Zufall, nichts als der Zufall, die absolute, blinde Freiheit als Grundlage des wunderbaren Gebäudes der Evolution -diese zentrale Erkenntnis der modernen Biologie ist heute nicht mehr nur eine unter anderen möglichen oder wenigstens denkbaren Hypothesen; sie ist die einzig vorstellbare, da sie allein sich mit den Beobach-tungs- und Erfahrungstatsachen deckt.»41 Carsten Bresch: «Der Zufall ist als Hintergrund aller Evolution ebenso unbestritten, wie die Erkenntnis, daß Selektion ein Sieb darstellt, das von allen Zufällen nur die vorteilhaften, die passenden weitergehen läßt.»42 Rupert Riedl: «Nun, wir müssen uns zwar mit der Tatsache abfinden, daß dieser Kosmos als Konstrukteur nur den Zufall kennt, Versuch und Irrtum in seiner ganzen Konzeptlosigkeit, aber er kennt nicht minder die Manipulation des Zufalls, wenn auch diese wieder nur durch den Zufall.»7 Das Dauergerede vom Zufall ist dann aber doch wohl vielen auf die Nerven gefallen: Wer möchte schon immer wieder als der Wissenschaft letzten Schluß zu hören bekommen, er (der Mensch) sei ein Zufallsprodukt der Natur, eine Wegwerfpackung, gerade gut genug, ein paar Gene eine Generation weiterzutrans- ■ Das schließt nicht aus, daß in gewissen Bereichen eines Genoms (Gesamt-DNS-Kette einer Zelle) gewisse Mutationen bevorzugt auftreten können. portieren, eine Raketenstufe, die abgeworfen wird, sobald sie ausgebrannt ist, und was dergleichen anschauliche Vergleiche mehr waren? Darum wird jetzt in der neueren Evolutionsliteratur das Wort Zufall peinlichst vermieden. Allenfalls spricht man noch vom «gesteuerten Zufall».39 Manfred Eigen gab die Parole aus: «•Nicht der Zufall, sondern die Naturgesetze haben die Entstehung des Lebens gesteuert.»3 «Der Zufall hatte keine Chance.»18 Der berühmte Harvard-Biologe Ernst Mayr befindet gar: «Nichts beweist besser, daß jemand Darwins Selektionstheorie nicht verstanden hat, als wenn er sie eine Zufallstheorie nennt.»43 Aber natürlich ist sie eine Zufallstheorie, und auch Mayr kann nicht umhin, sie als solche zu beschreiben: «Der moderne Darwinist vermeidet also das uralte Dilemma, Zufall oder Notwendigkeit, was selbst den besten Denkern, von den Griechen bis Jacques Monod, Schwierigkeiten gemacht hat. Der erste Schritt des Selektionsvorgangs, die Produktion der Variabilität, wird in der Tat vom Zufall regiert. Beim zweiten Schritt jedoch spielt der Zufall eine vermutlich geringere Rolle, denn hier kommt es, in Konkurrenz mit den Artgenossen, darauf an, «der ,Beste' zu sein«.»43 Zufall und Notwendigkeit Schon Aristoteles hat den Grundgedanken des Darwinismus klar ausgesprochen, zwar nicht mit Bezug auf die Entstehung der Arten, wohl aber am Beispiel der Entstehung von Organen (er hat sich die Zähne als Beispiel ausgesucht). Darwin wurde von einem Bekannten auf die Stelle bei Aristoteles44 hingewiesen und bringt sie im Wortlaut auf einer der ersten Seiten seines Buches I2: Zufällig entsteht irgend etwas (ein Organ, eine «Varietät») durch Veränderung von Bestehendem, weil oder wenn es unter den vorherrschenden Bedingungen (die auch zufällig so sind, wie sie gerade sind) stabil ist (geeignet, angepaßt, zweckmäßig, tauglich, tüchtig, der Konkurrenz gewachsen), hat es Bestand. Ist die «Varietät» dagegen weniger tauglich, weniger zweckmäßig, geht sie zugrunde: «Dinge, bei denen alles einzelne gerade so sich ergab, als entstünde es um eines Zweckes willen, hätten sich, nachdem sie grundlos in tauglicher Weise sich gebildet hätten, auch erhalten; diejenigen aber, bei denen dies nicht der Fall war, seien zugrunde gegangen und gingen noch zugrunde.» So führt Aristoteles einen Gedanken des Empedokles fort, den dieser am Bei- spiel des Regens erläutert hat, der weder fällt, um das Korn wachsen zu lassen, noch um es zu verderben, wenn es unter freiem Himmel gedroschen wird. Darwins Buch führt diesen Gedanken breit aus an Hand vieler Beispiele und Beobachtungen: Bei Pflanzen- und Tierarten können zufällig («grundlos») Varietäten (erbliche Spielarten) entstehen. Wie der Mensch für Züchtungszwecke die für ihn am besten geeigneten (ertragreichsten, gegen Krankheiten resistenten, schönsten, schnellsten, am besten dressierbaren) auswählt, werden auch von der Natur unter den zufällig entstandenen Varietäten diejenigen ausgewählt, die sich am stärksten vermehren, bei Umweltänderungen sich am besten anpassen, am schnellsten und ausdauerndsten laufen, klettern und fliegen können, die sich gegen Feinde am besten wehren können. Die anderen, die das alles nicht können, gehen zugrunde. Nach Darwins Lehre sollte eine Folge von Varietäten immer weiter wegführen von der ursprünglichen Art, bis schließlich in der Kette der Varietäten eine neue Art sich herausbildete, indem aus der Vielzahl der Varietäten durch natürliche Auslese immer die unter den jeweils vorherrschenden Bedingungen besten übrigblieben. Die Zwischenstufen Die Frage, die Darwin sich stellte und die ihm auch von seinen Fachkollegen sofort gestellt wurde, war die nach den Übergangsvarietäten. Kein Züchter der Welt, so viele Varietäten auch immer ihm zur Verfügung standen und wie sorgfältig und konsequent er seine Zuchtwahl (Selektion) auch betrieben haben mag, hat je beoachtet, daß seine züchterischen Bemühungen Lebewesen einer neuen Art oder gar Klasse hervorgebracht hätten. Aber man weiß ja schon: die Jahrmillionen. Indessen: was ist mit den Jahrmillionen? Wo sind die fossilen Übergänge zwischen den Arten, die «missing links»? Zoologen werden unwillig, wenn man ihnen diese Frage zu stellen wagt, wo das doch alles so klar ist. Aber schlimmer noch: Weder Darwin noch sonst ein Biologe ist je in der Lage gewesen zu erklären, wieso im DARWiNschen Modell Arten und Varietäten sich unterscheiden sollen. Wenn Darwins Hypothese richtig wäre, müßte es so viele Arten wie Varietäten geben, denn jede Varietät, soweit man sie als Zwischenstufe auf dem Wege zu einer neuen Art ansehen kann, ist dies ja nach Darwin nur deshalb, weil sie den anderen Varietäten überlegen ist, und hätte folglich eine sich aus dieser Überlegenheit ergebende weite Verbreitung finden müssen (worin sonst hätte sich ihre Überlegenheit äußern sollen?). Was man dagegen beobachtet, ist, daß alle Varietäten immer der einen oder der anderen Art zugeordnet werden können und daß auch unter den fossilen Arten keine unumstritten als solche anerkannten Übergänge existieren. Alles, was Darwin dazu vorbringt, klingt wenig überzeugend: Die Varietätenfolge zwischen den Arten sei so individuenarm gewesen, daß fossile Exemplare nicht gefunden worden seien und ihr Auffinden auch in Zukunft nicht zu erwarten sei. Es bleibt der Widerspruch: einerseits sind es die tüchtigsten Varietäten, die zu neuen Arten führen, andererseits müssen sie auch besonders individuenarm gewesen sein, weil sonst fossile Überreste gefunden worden wären, ein Widerspruch, der nur im Nebel der fahrmilliarden an Schärfe verliert, in Verbindung mit dem Makromolekül DNS aber wieder in aller Deutlichkeit hervortritt; vgl. hierzu S. 123 ff. Varietäten - Mutanten Darwin fragte sich zwar nach den Ursachen für das Auftreten von Varietäten, konnte aber noch nicht einmal wissen, wo er suchen sollte. Die entscheidende Entdeckung gelang in Brünn, der Hauptstadt Mährens, des Ostteils der heutigen Tschechoslowakei, wo um die Mitte des 19. Jahrhunderts im Klostergarten der Abt der Augustinereremiten, Gregor Mendel, seine berühmten Kreuzungsversuche, besonders mit Erbsen und Bohnen, anstellte und die nach ihm benannten Mendelschen Regeln entdeckte, die zur Basis der klassischen Genetik wurden. Mendels Versuche um 1850, die freilich erst ein halbes Jahrhundert später Resonanz gefunden haben, wiesen auf eine lineare Anordnung der Erbmerkmale oder Gene hin, die sich (noch einmal ein halbes Jahrhundert später) als genetische Information in der linearen Folge von vier verschiedenen Kettenbestandteilen eines Makromoleküls (DNS) realisiert erweisen sollte. Mit der Aufklärung von Struktur, Funktion und Synthese dieses Moleküls war auch die Frage nach der Ursache für das Auftreten von Varietäten beantwortet: War, wie durch eine Reihe berühmt gewordener Experimente gezeigt wurde, die Reihenfolge der vier verschiedenen, am Aufbau des DNS-Kettenmoleküls beteiligten Nucleotide die Schrift, in der die Anweisungen der genetischen Information gespeichert und den zuständigen Zellorganen übermittelt wurde, so war eine spontane Änderung in der Nucleotidfolge der DNS-Kette die Ursache für das Auftreten von Varietäten. Auch für diese als Mutationen bezeichneten Sequenzänderungen im DNS-Molekül und ihre Auswirkungen (Sequenzänderungen in den entsprechenden Proteinmolekülen) gab es bald eine Fülle experimenteller Beweise. Die Begeisterung über alle diese Entdeckungen war groß. Man hatte eine neue Welt entdeckt, eine neue Wissenschaft war entstanden, die Molekularbiologie. Aber wie das so geht in der ersten Begeisterung: Niemand machte sich klar, daß mit dem Auftreten neuer Arten neue Gene benötigt wurden und auch tatsächlich entstanden waren und daß das Hinzukommen neuer Gene im Lichte der neuen Erkenntnisse nichts anderes ist als ein Wachsen, hier ein sich über viele Jahrmillionen hinziehendes Wachsen des DNS-Makromoleküls - und nicht eine bloße Sequenzänderung oder Mutation, die ja nur an einer bereits vorhandenen DNS-Kette stattfinden kann. Die langsame Längenzunahme der DNS-Molekülkette im Laufe der Evolution ist von Art zu Art nicht sehr bedeutend, so daß sie im Rauschen der Längenschwankungen innerhalb der Arten untergeht: Durch das mehrfache Auftreten von Genen und langen DNS-Kettenstücken (Chromosomen) oder des ganzen Genoms (Polyploidie) kann man die Längenzunahme von Art zu Art leicht übersehen. Wenn man aber die Gesamtentwicklung ins Auge faßt, ist die DNS-Kette auf dem Wege vom Bakterium zum Säugetier von i mm auf i m (haploid) angewachsen, eine Zunahme um den Faktor 1000. Das Kettenwachstum eines Makromoleküls von der Art der DNS ist eine seit längerem als Polykondensation in der Kunststoffchemie wohlbekannte Reaktion, die für die Herstellung von Synthesefasern wie Nylon, Diolen, Trevira, Dacron große Bedeutung gewonnen hat. Zur Ableitung der Kettenlängenverteilung und der Segmentlängenverteilung bei Copolymeren hat man gelernt, nach der Wahrscheinlichkeit der Entstehung einer Polymerkette bei der Synthesereaktion zu fragen, und kann diese Frage, da die Kettenbildung bei der «in freier Wildbahn» stattfindenden Polykondensation ein zufällig-statistischer Vorgang ist, auch beantworten. Die Lebewesen und ihre Makromoleküle Die naturwissenschaftliche Untersuchung der Evolution ist dadurch möglich geworden, daß man die Frage nach der Entstehung der Lebewesen auf die Frage nach der Entstehung von Molekülen zurückführen kann. Nicht daß man deshalb der Meinung sein müßte, das Leben sei durch das zufällige Wechselspiel von chemischen Reaktionen vollständig zu erklären, aber Leben ist ohne bestimmte Makromoleküle nicht möglich, deren Entstehungswahrscheinlichkeiten man - wie gesagt - nach den allgemeingültigen statistisch-thermodynamischen Gesetzen der statistischen Copolykondensation berechnen kann, weil man diese Synthesereaktionen durch viele Laboratoriumsexperimente gut kennt. Die Bildung von Lebewesen selbst dagegen ist uns ein Buch mit sieben Siegeln, weil wir die Vorgänge der Zelldifferenzierung und der Formentstehung durch Zellteilung beim Wachsen von der befruchteten Eizelle zum fertigen Individuum grundsätzlich nicht zu erklären vermögen. Im ersten Kapitel habe ich begründet, warum Makromoleküle von der Art, wie wir sie in Lebewesen als Informationsträger, als Biokatalysatoren und als Zellgerüstsubstanz antreffen, in Ursup-pen nicht von selbst, das heißt nach den physikalisch-chemischen Gesetzen, die für die Synthese von Makromolekülen bestimmend sind, entstehen konnten, weil nämlich in Ursuppen die für die Bildung von langen kettenförmigen Molekülen aus kleinen Monomermolekülen notwendigen Voraussetzungen nicht gegeben sind. Wer es anders sagt, verschließt entweder die Augen vor dem, was wir über die Beschaffenheit der frühen Erde, speziell über Uratmosphäre und Ursuppen wissen, oder er übersieht die thermodynamischen und stöchiometrischen Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, wenn Makromoleküle sich von selbst bilden sollen. Einige Forscher, die eingesehen haben, daß Ursuppen keine geeignete Basis für die Entstehung von Makromolekülen sind, sagen daher, die molekulare Evolution habe sich in besonderen Bereichen, das heißt porösen Gesteinen, in denen die Kettenbestandteile in gereinigter und von kettenabbrechenden Stoffen befreiter Form Vorgelegen haben sollen, abgespielt. Wieder andere - darunter so prominente und bekannte wie der britische Biologe und Nobelpreisträger von 1962 Francis Harry Crick und der britische Astrophysiker Fred Hoyle - verlegen die Entstehung von Makromolekülen und ersten Zellen kurzerhand in die Weiten des Weltalls, von wo sie mit abgestürzten Kometen oder mit Astronautenfahrzeugen auf die Erde gelangt sein sollen.40 Aber auch so bleibt die Frage nach der Entstehung der ersten Zelle unbeantwortet. Die Entstehung des Lebens gehört zu den historischen, einmaligen Vorgängen, von denen wir nur eines sicher wissen, nämlich, daß wir nie wissen werden, wie sie sich wirklich zugetragen haben. In diesem Kapitel nun geht es nicht um die Entstehung, sondern um die Höherentwicklung des Lebens, und die Frage lautet: Konnten die vielen verschiedenen Tier- und Pflanzenarten nach dem DARWiNschen Selektionsprinzip, das heißt durch zufällige Erbgutänderungen und Auslese der bestangepaßten Individuen, entstehen? Wieder beschränke ich mich - Schuster, bleib bei deinem Leisten - auf Makromoleküle, und zwar auf das Makromolekül DNS und seine erstmalige Entstehung* durch Polykondensa-tion im Laufe der Erdgeschichte. DNS, Desoxyribonucleinsäure, ist ein kettenförmiges Makromolekül, das seiner Struktur nach zur Gruppe der Polyester gehört - wie die bekannten Synthesefasern Diolen, Trevira und Mylar. Die Reihenfolge der vier Kettenbauteile oder Nucleotide A = Adenin, T = Thymin, C = Cytosin und G = Guanin in der bis zu viele Millionen Nucleotide langen DNS-Kette ist eine Schrift, eine Information im Sinne einer Anweisung in molekularen Dimensionen. Je drei Nucleotide sind zu einem Codon, einem Schriftzeichen, zusammengefaßt, und jedes dieser Codo-nen ist - dem genetischen Code gemäß - einer Aminosäure zugeordnet, so daß demnach die Reihenfolge der Nucleotide in der DNS-Kette die Reihenfolge der Aminosäuren in den Eiweißoder Proteinmolekülen und diese schließlich die hochspezifische Wirkung der Proteine als Enzyme bestimmt. Die Enzyme aber steuern das gesamte physiologische Geschehen in der Zelle, so daß man letztlich in der Nucleotidreihenfolge des DNS-Mole-küls den zentralen Informationsspeicher eines Lebewesens zu sehen hat. Die so gespeicherte Information ist in Form der DNS-Kette, die man in gewissen Zellteilungsstadien als Chromoso- * Im Gegensatz zu seiner Entstehung durch Replikation (kopierende Synthese an den in jeder Zelle schon vorliegenden DNS-Strängen vor der Zellteilung). men im Zellkern unter dem Mikroskop sehen kann, in allen Zellen präsent, weil das in Form einer Doppelspirale vorliegende DNS-Molekül die Fähigkeit hat, sich mit Hilfe von speziellen Polymeraseenzymen so zu verdoppeln, daß die Nucleo-tidreihenfolge der Tochterstränge dieselbe ist wie die der Matrixstränge. Bei dieser Verdoppelung (Replikation), die ein echter Kopiervorgang ist, kann es, sehr im Gegensatz zu unseren Kopierautomaten, zu allerlei Kopierfehlern kommen, die man als Mutationen bezeichnet. In diesen Mutationen hat man den molekularen Mechanismus der DARWiNschen Erbgutänderungen zu sehen. Im Gegensatz zu Manfred Eigen, dem es, wie er in seiner Entgegnung auf meine Veröffentlichungen schreibt1, nicht um eine Rekonstruktion der Wirklichkeit, sondern um das Prinzip der Selbstorganisation geht, frage ich nach der Wirklichkeit, das heißt nach dem historischen Prozeß der Entstehung der Tier-und Pflanzenarten, freilich nicht in der Meinung, es ließe sich etwas über den historischen Ablauf der Lebensentstehung in Erfahrung bringen, sondern nur indem ich die Richtigkeit einer Hypothese in Frage stelle, die sich anmaßt, den historischen Vorgang der Entstehung neuer Tier- und Pflanzenklassen erklären zu können. Darwin hat sich ja keineswegs darauf beschränkt, das Prinzip von Mutation und Selektion aufzustellen, sondern hat behauptet, daß nach diesem Prinzip die hier auf der Erde anzutreffenden Arten von Lebewesen entstanden seien. Auch Eigen behauptet, man könne heute lückenlos nachzeichnen, wie sich die ersten Gene bildeten, im Konkurrenzkampf verbesserten und mit primitiven Enzymen in Wechselwirkung traten.3 Während also die neodarwinistische Lehre eine detaillierte Aussage über das historische Geschehen der Entstehung der Lebewesen macht, beschränke ich mich darauf, die Synthesewahrscheinlichkeit des Makromoleküls DNS zu beschreiben, dessen Entstehung und Wachstum durch statistische Copoly-kondensation Voraussetzungen für eine Evolution im Sinne Darwins gewesen wären. Auf diese Weise ist es möglich, eine klare Entscheidung über die Richtigkeit der den historischen Prozeß der Lebensentstehung und -entwicklung betreffenden neodarwinistischen Selbstorganisations- und Evolutionshypothese zu treffen, ohne selbst zu wissen, wie die Lebewesen wirklich entstanden sind. Ich interessiere mich hierbei nicht dafür, ob dieses Prinzip von Mutation - Selektion bei frei erfundenen Rahmenbedingungen -zum Beispiel in Spielen mit selbst aufgestellten Spielregeln - zu bestimmten Ergebnissen führt, bei denen es Verlierer (Aussterbende) und Gewinner (Überlebende) gibt. Die gibt es in jedem Spiel mit entsprechenden Spielregeln. Nein, mir geht es um die Frage, ob durch eine Folge von chemischen Reaktionen, die man Mutationen nennt, im Laufe von Jahrmillionen neue Klassen von Lebewesen entstehen konnten oder nicht. DNS-Kettenwachstum über Jahrmillionen Die Entstehung neuer Arten setzt die Entstehung neuer Gene voraus. Neue Gene sind neue Kettenstücke des Makromoleküls DNS. Die Entstehung neuer Kettenstücke des DNS-Makromole-küls aber ist eine als Polykondensation sorgfältig erforschte Synthesereaktion. Und so geht die Frage nach der historischen Entstehung neuer Klassen von Lebewesen über in die viel einfachere, mit exakt-naturwissenschaftlichen Methoden zu behandelnde Frage nach der Synthese eines Makromoleküls. Das ist eine durchaus überraschende Wendung. Denn historische Prozesse sind wegen ihrer Einmaligkeit grundsätzlich der Erforschung mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden entzogen, weil diese Methoden auf das beliebig oft wiederholbare Experiment angewiesen sind, wogegen Geschichte ein einmaliges, nicht wiederholbares Geschehen umfaßt. Dadurch aber, daß nach neodarwinistischer Lehre Lebewesen durch ihre DNS vollständig definiert sind, kann man die Entwicklung von Lebewesen von einem bestimmten Urbakterium zu einem bestimmten Säugetier - wie lange der Prozeß auch immer gedauert haben mag - mit der Synthese ihrer DNS im Laufe dieser Zeit gleichsetzen. Man darf - ja man muß - diese Synthese als statistische Polykondensation beschreiben, wenn man die Entstehung der Arten als einen von selbst ablaufenden, das heißt nicht geplanten, nicht gesteuerten Prozeß'im Sinne Darwins auffaßt, und kann dann - wie bei Polymersynthesen üblich - nach der Wahrscheinlichkeit für die Bildung des Makromoleküls DNS auf dem Wege von einem bestimmten Urbakterium zu einem bestimmten Säugetier fragen. Das Kettenwachstum, die Längenzunahme eben dieses DNS-Makromoleküls im Laufe der Erdgeschichte, ist ein unbestrittenes Faktum. Wenn die fossilen Funde richtig gedeutet werden, 1000 r 900 [ 800 700 j-600 r 500 i-400 ^ 300 h 200 ► DNS- KETTENLANGE in mm 100 \ BAKTERIEN SAUGETIERE *$• 9 * .O- REPTILE * Ö-------- REPLIKATON ■ REPLIKATION - WIRBELLOSE REPLIKATION 900 800 700 600 500 400 300 200 100 Mio JAHRE KAMBRIUM DEVON TRIAS TERTIÄR Zunahme der DNS-Kettenlänge in mm bei den aufsteigenden Tierklassen im Laufe der Erdenzeit, aufgetragen als Kurve im linearen Koordinatensystem waren die ältesten Lebewesen Einzeller nach Art der Bakterien. Die Länge der DNS-Kette in den heutigen Bakterien liegt bei einem Millimeter. Die Bakterien-DNS-Kette enthält eine Folge von einigen Millionen Nucleotidkettengliedern oder einigen tausend Genen, denn die als Gene bezeichneten Teilstücke der DNS-Kette enthalten im Mittel circa je 1500 Nucleotide. Die Länge der DNS-Kette der Archaebakterien, von denen man annimmt, daß sie vor drei oder vier Milliarden Jahren lebten, mag wohl etwas kürzer gewesen sein als die der heutigen Bakterien, sicher aber nicht länger. Die (haploide) Länge der DNS-Kette von Säugetieren liegt im Mittel bei einem Meter, so daß die Länge der DNS-Kette im Laufe der Evolution um mindestens den Faktor 1000 zugenommen hat. Ob dabei die Zahl der als Informationsträger genutzten Gene von 2000 auf 2000000 zugenommen hat oder nur von 500 auf 50000, also nur um den Faktor 100 statt um den Faktor 1000, ist für das Ergebnis meiner Überlegungen völlig irrelevant. Alle Einwände, die sich auf die damit angesprochene Redundanz des Genoms beziehen, das heißt auf die Frage, wieviel Prozent der DNS-Ketten-länge als Gene, sprich Informationsträger, effektiv ausgenutzt werden, sind müßig, zumal niemand sicher weiß, wie groß die in SÄUGETIERE: DHS-Länge ca. 100 cm entepr. ca. 3 Mrd. Nucleotidpaaren; entepr. ca. 2 Mio Genen E. coli und M. flavus ( ----i 1/1000 mm) Kettenlängenwachstum des DNS-Makromoleküls im Laufe der Erdenzeit in bildhafter Darstellung Redundanz nun wirklich ist. Sicher ist nur, daß die Länge der DNS-Kette, des Makromoleküls also, das die Information für die Struktur der Bausteine eines Lebewesens trägt, im Laufe der Erdgeschichte von relativ kleinen Anfängen von weniger als einem Millimeter bei Bakterien auf circa einen Meter bei Säugetieren angewachsen ist. Dieses Faktum kann insofern nicht ernstlich bestritten werden, als es das Resultat experimenteller Befunde ist: Einzeller, die primitivste Stufe des Lebens, gibt es heute noch, so daß man mit Hilfe von Bakterienpräparaten ebenso wie in Gewebepräparaten von Säugetieren über eine Massebestimmung der DNS pro Zelle auch deren Länge bestimmen kann. Die DNS-Masse hegt bei Säugetieren in der Größenordnung von 7 mal io-12 oder sieben Billionstel Gramm pro Zelle. Daraus errechnet sich ein Molekulargewicht von rund 4 mal io12 und eine Kettenlänge von rund zwei Metern, die sich allerdings - je nach Chromosomenzahl - auf mehrere Stücke verteilt. Berücksichtigt man die Diploidie, das heißt den Umstand, daß in den Zellen höherer Lebewesen die DNS-Moleküle in doppelter Ausfertigung vorhegen, reduziert sich die Kettenlänge für das einfache Säugetiergenom auf circa einen Meter. Es ist gewiß wenig, was wir über die historischen Rahmenbedingungen der Bioevolution wissen, aber dieses Wenige wissen wir sicher, und es gibt sich einem schwerwiegenden Irrtum hin, wer pauschal von den «— uns nicht bekannten - historischen Rahmenbedingungen» spricht1, um dann, von keinerlei Fakten beschwert und eingegrenzt, mit dem Prinzip von Mutation - Selektion frei spielen zu können. Die Konsequenz aus der ersten sicher bekannten historischen Rahmenbedingung, nämlich dem großen Wachstumsprozeß des DNS-Makromoleküls im Laufe der Erdgeschichte, heißt: Neue Tierklassen konnten nicht durch Mutation, nicht also durch Veränderung der Sequenz vorhandener DNS-Ketten, sondern nur durch Polykondensation, das heißt: durch Anwachsen zahlreicher neuer Gene an die DNS-Kette entstehen. Mutation - Polykondensation Sprechen wir zuerst von den Mutationen: Mutationen sind Änderungen in der Reihenfolge der Kettenbauteile der DNS; der Nucleotide. Solche Änderungen können naturgemäß nur an DNS-Ketten stattfinden, die schon vorhanden sind. Und diese Sequenzänderungen, die bei der Replikation der DNS-Doppelhelix vor jeder Zellteilung als Kopierfehler spontan-zufällig auftreten können, haben - nicht immer, aber in aller Regel - eine Änderung des Eigenschaftsbildes (des Phänotypus) des von der Mutation betroffenen Lebewesens zur Folge, weil die DNS-Kette der Informationsspeicher und damit die Steuerzentrale eines Organismus ist. Und was geschieht, wenn in der elektronischen Steuerzentrale einer Fabrik oder eines Gerätes ein willkürlicher Eingriff vorgenommen wird, weiß man aus Erfahrung: Das Gerät ist defekt und funktioniert nicht mehr, es ist gestört oder fällt ganz aus. Nicht anders bei einem Lebewesen, nur mit dem Unterschied, daß es hier auch unter Umständen einmal zu einer für die jeweils vorherrschenden oder künftigen Umweltbedingungen günstigen Gen- und Eigenschaftsänderung kommen kann - wohlgemerkt immer im Rahmen des vorhandenen Genoms, das heißt, ohne DNS-Kettenverlängerung. Warum diese Einschränkung? Man könnte doch ohne weiteres definieren, daß auch Kettenverlängerungen als Änderungen einer vorhandenen DNS-Kette zu gelten haben und somit auch unter den Begriff der Mutation fallen. Eine solche Definition ist deshalb nicht sinnvoll, weil solche Kettenverlängerungen im allgemeinen Genverdoppelungen sind, die nicht zu neuen Eigenschaften führen und die Funktion des in Betrieb befindlichen Genoms, das ist die Summe aller Gene, in keiner Weise verändern, beeinflussen, stören. Das heißt: Eine solche Änderung der Kettenlänge führt - als einzelner Reaktionsschritt - nicht zur Bildung von Mutanten und kann daher auch nicht sinnvoll als Mutation bezeichnet werden, sie ist vielmehr eine von mehreren Möglichkeiten einer Ketten Verlängerung, die gemäß einer internationalen Übereinkunft als Polykondensation bezeichnet wird. Polykondensation ist die Neuentstehung von Makromolekülketten, und zwar mit Hilfe von sogenannten funktionellen Gruppen, das sind Molekülteile mit Druckknopffunktion, durch deren Reaktion die einzelnen Monomerbauteile zur Kette zusammengefügt werden. Bei der Frage der Entstehung von Makromole- Mutation und Polykondensation Durch Mutation (von rechts nach links) wird die Reihenfolge verändert, die Länge der Kette aber bleibt unverändert Durch Polykondensation verlängert sich die DNS-Kette durch Ankoppelung neuer Gene, wobei das vorhandene Genom in seiner Nucleotidrei-henfolge (Sequenz) unverändert bleibt külen in Ursuppen ging es um die Bedingungen, die die Länge der Ketten bestimmen. Hier geht es auch um die Reihenfolge der Nu-cleotide* und damit auch der Gene bei dem einmaligen Wachs- * Das bedeutet nicht, daß das Problem der Beständigkeit langer DNS-Ketten in wäßriger Lösung geklärt wäre; man weiß nur, daß es Reparaturenzyme gibt, die dafür sorgen, daß durch Hydrolyse entstandene Kettenspaltungen rückgängig gemacht werden. Die Frage nach der Ursache der Hydrolyseresistenz ist mit dem Hinweis auf ein Fließgleichgewicht keineswegs beantwortet, sondern nur in ein Bündel neuer Fragen aufgefächert (Wirkmechanismen der Reparaturenzyme). tumsprozeß, der im Laufe der Erdgeschichte zu der langen DNS-Kette der Säugetiere geführt hat. Wir können davon ausgehen, daß es Kettenverlängerungsmechanismen gegeben hat und gibt, obwohl wir keineswegs sicher wissen, wie sie funktionieren. Für die Überlegungen, die zur Klärung der Frage führen, ob neue Pflanzen- und Tierklassen von selbst entstehen konnten, ist die Art und Weise, der Mechanismus der DNS-Kettenverlängerung ohne alle Bedeutung, gleichgültig also, ob die Nucleotidmonome-ren einzeln an die Kette addiert wurden, ob die Kettenverlängerung durch Insertion von ganzen Genen oder Genfolgen geschah oder durch replikative Genverdoppelung oder durch illegitimes Crossing-over mit nachfolgender Umsequenzierung - lauter Mechanismen, die zur Zeit diskutiert werden wichtig ist nur festzuhalten, daß zur Entstehung neuer Lebewesenklassen die Bildung zahlreicher neuer Gene mit neuen Nucleotidsequenzen und damit neuer Information notwendig war. Was auch immer der Wachstumsmechanismus gewesen sein mag, die große erdgeschichtliche Polykondensation hat stattgefunden. Nimmt man-wie heute üblich - an, daß dieses Kettenwachstum zufällig geschah, dann war dies in der Ausdrucksweise der Polymerchemiker eine «statistische Copolykondensation» - im Gegensatz zur kontrollierten, gesteuerten, im Laboratorium und zur technischen Produktion ausgeführten: die eine zur Herstellung von Kunststoffen, die andere im Rahmen der Gentechnologie. DNS als Folge kooperierender Gene Der Einfachheit halber beschreibt man die große erdgeschichtliche Polykondensation nicht als Addition der Einzelnucleo-tide, sondern als Addition von Kettenstücken in Genlänge. Gene sind DNS-Kettenstücke, die aus circa 1500 monomeren Nucleotidkettenbauteilen bestehen. Sie unterscheiden sich voneinander durch die Reihenfolge der vier verschiedenen Nu-cleotid-Bauteile A, T, C und G. Wie man leicht ausrechnen kann, Hbt es sehr viele, nämlich rund 10700 verschiedene Gensequenzen.* 10700 ist eine Eins mit 700 Nullen, eine Zahl, für ' Diese Angabe bezieht sich auf eine mittlere Genkettenlänge (DNS-Kettenab-schnitt) von 1660 Nucleotiden (es gibt kürzere und längere Gene). Die Anzahl verschiedener Sequenzen dieser Länge ist 41660 = io1000. Daß diese Zahl nicht ______________________________DNS als Folge kooperativer Gene die es keinen Namen gibt. Niemand weiß genau, wie viele dieser verschieden sequenzierten Gene auch eine verschiedene Wirkung der nach ihrer Anweisung entstehenden Proteine zur Folge haben. Für ein bestimmtes Säugetier können wir jedoch die Aussage machen, daß es mindestens 30000 bis 50000 verschiedene Gene sein müssen, die in seiner DNS-Kette enthalten sind, denn ungefähr so viele verschiedene Proteine hat ein Säugetier. Da diese Aussage für jedes einzelne Säugetier gleichermaßen zutrifft, gelten die auf dieser Basis abgeleiteten Resultate generell. Eine zweite Gegebenheit, die man im weiteren Sinne durchaus auch als historische Rahmenbedingung betrachten kann und um die man - auch ganz ohne Kenntnis von geschichtlichen Details -nicht hemmkommt, wenn man den Prozeß der Evolution mit strenger Sachlichkeit als Synthese eines Makromoleküls beschreiben will, ist die Notwendigkeit einer bestimmten Reihenfolge des Wirksamwerdens der 50000 Gene einer bestimmten Säugetier-DNS im Laufe der Erd- und Lebensgeschichte. Das ist einzusehen, wenn man bedenktTHaßledes Gen oder Enzym nur in einem ganz bestimmten Zusammenhang, und das heißt fnuTTn einer ganz bestimmten Evolutionssituation in Verbindung mit bestimmten anderen Enzymen, seinen Beitrag zum Leben eines Organismus leisten kann und folglich auch umgekehrt in einer bestimmten Evolutionssituation immer gerade ein ganz bestimmtes unter den 50000 Enzymen, Proteinen oder Genen eines bestimmten Säugetiers brauchbar (kooperationsfähig) war. Was nützte beispielsweise einem evolutiv aufwärtsstrebenden Wurmgenom ein Gen, das in eine Synthesefolge paßt, die mit der Vergrößerung des menschlichen Gehirns oder mit der Ausbildung der menschlichen Sprachorgane (Stimmbänder usw.) zu tun hat oder mit dem Wachsen eines Fingernagels - oder aber ein Protein hervorbringt, das hochtoxisch ist? Man denke nur an die Schlangen- oder Pilzgifte! Möglicherweise sind die meisten der 10700 verschiedenen möglichen Proteine giftig. Immer wieder hört man die gedankenlos weitergegebene An- mit der Anzahl 20553 = io720 maximal möglicher Aminosäuresequenzen in Proteinen übereinstimmt, liegt an der Degeneration des genetischen Code (für jede Aminosäure codieren mehrere Basentripletts der DNS). Würde die Natur den durch den Triplettcode gegebenen Spielraum von 43- 64 Aminosäuren ausnützen, würden die Sequenzanzahlen übereinstimmen: 64*” = ioIOOO = 41660. sicht, daß die Genreihenfolge gleichgültig sei, da ja gerade durch irgendeine beliebige, sich zufällig ergebende Sequenz bestimmt werde, in welche Richtung die Entwicklung weitergehe. Irgendwie sei sie ja, das zeige die Existenz der Lebewesen, weitergegangen. Der Freiburger Genetiker Carsten Bresch drückt das so aus: “Würfelereignisse sind Zufall - das Würfeln der nächsten -6> wird aber zur Notwendigkeit, wenn man es nur oft genug versuchen kann.»45 Das ist zwar richtig, nur suggeriert man mit dieser richtigen Aussage eine völlig falsche Vorstellung, wenn man nicht dazusagt, wie oft man es versuchen muß, um eine Evolutions-Sechs zu würfeln, nämlich io100-, io5°°- oder ioIOO°mal*, je nachdem, welchen Evolutionsschritt man betrachtet. Man erhält diese Auskunft, wenn man sich an die Realitäten auf unserer Erde und an die Realität des großen DNS-Ketten-wachstums hält, von den vielen Säugetieren ein ganz bestimmtes Individuum herauspickt und nach der Entstehung von dessen DNS-Kette fragt. Dann ist die obige Aussage klar und unabweisbar, daß bei jeder Genaddition, besser bei jeder Inbetriebnahme eines neuen Gens, nur ein ganz bestimmtes von den 50000 wirkverschiedenen Genen dieses Genoms in den in einer bestimmten Evolutionssituation durch die Sequenzen der bereits vorhandenen Gene fest abgesteckten Rahmen paßte, alle anderen 49 999 sind in dieser bestimmten Situation unbrauchbar. Was aber für diese eine willkürlich herausgegriffene Reihe von Individuen von einem bestimmten Bakterium bis zu einem bestimmten Säugetier gilt, daß nämlich in jeder Evolutionssituation nur eines von 50000 verschiedenen Genen im Sinne einer Kooperation mit den übrigen Genen an die Kette paßt, gilt mit gleicher Berechtigung für jede beliebige andere Reihe und ist damit allgemein gültig: Wenn ein in einer Entwicklungsreihe stehendes Individuum lebensfähig oder gar überlegen sein soll, müssen die im Rahmen der großen Copolykondensation neu an seine DNS-Kette angefügten und in Funktion tretenden Gene mit den * Vier Milliarden Jahre sind ro17 Sekunden; das ist eine winzige Zeit für io,0° «Versuche» im Sinne von Bresch, von den größeren Evolutionsschritten mit ros" «Versuchen», bis zur nächsten «Sechs», erst gar nicht zu reden. Selektion ändert daran gar nichts, wie wir sehen werden. Die Generationsdauer von Bakterien liegt bestenfalls in der Größenordnung von ro3 Sekunden, das heißt: selbst bei einer so kurzen Generationsfolge hätten die Lebewesen auf ihrer Evolutionsreise es nur 1014mal versuchen können - bestenfalls! ______________Wahrscheinlichkeit einer passenden Genaddition schon vorhandenen und den noch anwachsenden harmonisch kooperieren. Die Begrenzung der Brauchbarkeit neuer DNS-Stücke als Gene leitet sich also keineswegs aus einer dem Evolutionsgeschehen innewohnenden oder ihm von außen aufgezwungenen Zielvorstellung her, sondern ergibt sich notwendig aus der erforderlichen Kooperationsfähigkeit der jeweils neuen Gene mit den schon in der DNS-Kette vorhandenen. Wahrscheinlichkeit einer passenden Genaddition Wenn von 50000 verschiedenen Genen eines Säugetiers in einer gegebenen Evolutionssituation immer nur eine Sequenz brauchbar war, ist ein Fünfzigtausendstel der Bruchteil der in dieser bestimmten Situation als Gen brauchbaren Nucleotidsequenzen. Oder mit anderen Worten: Die Wahrscheinlichkeit, daß in einer gegebenen Evolutionssituation von den 5 o 000 verschiedenen Genen gerade das mit der für diese Situation richtigen Sequenz entsteht, beziehungsweise seine Funktion aufnimmt, ist höchstens i: 50000, denn möglicherweise gibt es sehr viel mehr wirkverschiedene Gene als 50000, da es bei einer mittleren Genlänge von 1660 Nucleotiden ja insgesamt circa 10700 verschiedene Nucleotidsequenzen gibt. * Die Frage, ob es unter den 10700 verschiedenen Sequenzen in Genlänge mehr als 50000 Sequenzen gibt, die die Synthese von Enzymen mit verschiedener Wirkung steuern und wie viele es * Da es sehr unwahrscheinlich ist, daß sich in den 10700 verschiedenen Sequenzen in Genlänge io69Smal eine Genkombination nach Art des Säugetiergenoms wiederholt (natürlich nicht der Sequenz nach, sondern nur was die Funktion der exprimierten Proteine betrifft), wird es sehr wahrscheinlich viel mehr als 50000 wirk- und sequenzverschiedene DNS-Stücke mit 1660 Nucleotiden, die meisten ganz ohne biologisch relevante Information, geben, so daß die Wahrscheinlichkeit der Entstehung eines passenden Gens viel kleiner als 1: 50000 ist. An der Länge der Säugetier-DNS-Kette gemessen, könnte es circa 2 Millionen verschiedene Gene geben. Man nimmt jedoch zur Zeit an, daß weniger als 1 Prozent der DNS-Länge für die Informationsspeicherung in Anspruch genommen wird. Obwohl keineswegs bewiesen ist, daß der Anteil der überschüssigen oder redundanten DNS so groß ist, habe ich hier mit nur ro4 wirkverschiedenen Genen (weniger als 0,5 Prozent des Genoms) gerechnet, um zu zeigen, daß die Entstehungswahr-scheinlichkeiten durch starke Redundanz kaum beeinflußt werden. Auf Seite 216 ist erklärt, wie man zu der Anzahl 101000 bzw. 10700 kommt. sind, können wir völlig außer acht lassen, wenn wir uns mit der gesicherten Aussage begnügen, daß es mindestens so viele sein müssen, wie es Säugetierenzyme gibt, also mindestens 50000, so daß die Wahrscheinlichkeit, daß eines davon zu gegebener Zeit in einer Zelle entstand, höchstens 1: 50000 sein kann. Syntheseketten und biochemische Zyklen: keine Selektion Nun muß man bedenken - und dies ist ein weiteres Faktum, das als eine durch biochemische Untersuchungen experimentell gesicherte Rahmenbedingung zu gelten hat -, daß ein neues Gen in einer Zelle nichts bewirkt, weil im Mittel nicht weniger als zehn Enzyme für die Synthese eines einzigen neuen, physiologisch wirksamen Stoffes benötigt werden. Beispielsweise verläuft die Synthese der Aminosäure Phenylalanin über neun unbedeutende Zwischenstufen, bis schließlich das Phenylalanin entsteht, und jede Zwischenstufe benötigt als chemische Reaktion ihr eigenes Enzym, und jedem Enzym ist in der Kette des DNS-Makromole-küls ein eigenes Gen zugeordnet. Ein anderes Beispiel ist die Synthese der Glykocholsäure, einer Gallensäure, die ausgehend von Essigsäure über neunzehn Zwischenstufen verläuft. Und auch hier benötigt jede Zwischenstufe ihr eigenes Enzym, das heißt, es sind neunzehn neue Gene erforderlich, um die Produktion von Glykocholsäure zu ermöglichen. Wie bei den genannten Beispielen ist es bei all den vielen physiologisch wirksamen Stoffen, die in einem Organismus auf- und abgebaut werden: Die vielen verschiedenen Synthesestufen bilden Reihen und Zyklen, die vielfach ineinandergreifen und miteinander verzahnt sind, so daß nicht nur eine Reaktion ohne die anderen, zur gleichen Synthesereihe gehörenden, für die Zelle nichts bedeutet, sondern darüber hinaus auch eine Stufenfolge ohne die anderen zu einem Zyklus gehörenden Folgen bedeutungslos wäre, das heißt: ein im Laufe der Evolution im Werden befindlicher biochemischer Zyklus ist für die Zelle so gut wie gar nicht vorhanden, solange er noch nicht voll funktionsfähig ist. Die zahlreichen Zwischenprodukte, die bei der Biosynthese von physiologisch wirksamen Stoffen auftreten, haben nur die Hilfsfunktion der Zwischenstufe und sonst keine Bedeutung, so daß ihre Anwesenheit allein keine Eigenschaftsänderung bewirken kann. Eigenschaftsveränderungen sind erst dann zu erwar- Syntheseketten und biochemische Zyklen ENZYM (?) -HjO ENZYM (£) + ATP ©J © ENZYM (?) -h2o. -co2 ENZYM (?) AMINO- SÄURE b C = 0 H,C COOH / \ ✓ H-C-OH + C N II H-C-OH 0 U Brenztrauben- h2c-o-(£; säure Erythrose -U-phosphat OH J \COOH H0\----/OH II 0 Dehydrochina -säure -H20 OH Dehydroshikimi säure .COOH 0-® -Enoläther 0 .COOH ■3- Chorismlnsäure e©-o-c; CH2 Phosphoenol-pyruvat hoC^COOH ^ 0-0 -Phosphat COOH C = 0 Q':H2 -H20 :ooh _co2 Prephensäure COOH 1 C=0 ch2 -------► Phenylpyruvat OH hoC>COOH OH Shi kimisäure H2N-CH-COOH Phenylalanin 3Essigsäure ------► ß-Hydroxy - ß-methyl- ------► Mevalonsäure -----► Mevalonsäure- -----► glutarsäure diphosphat ----► Isopentenyl- » Geranyl- -------------► Geranyl- ....-»■ Farnesyl- -----► Praesqualen- - - ■» diphosphat diphosphat kation diphosphat diphosphat ----► Squalen ----► 2,3-Oxidosqualen ------► Hydroxysqualen --------► [Praelanosterin] --► Lanosterin-----► ■ 7a -Hydroxy-cholesterin Cholsäure ----► Glyko- cholsäure • Desoxy - cholsäure --- • Koprostan-3a, 7a -diol ■ Koprostan- 3a, 7a, 12a -triol • Glyko - desoxycholsäure Beispiele für mehrstufige Synthesen (Karlson46): (1) Biosynthese der Aminosäure Phenylalanin (9 Stufen) a Schema b Formeln (2) Biosynthese der Gallensäuren (19 bzw. 20 Stufen) jede Synthesestufe benötigt ihr eigenes Enzym ten, wenn neue Zyklen mit 30 bis 50 Enzymen zugeschaltet werden können. Die Steuerung der in den lebenden Zellen ablaufenden chemischen Reaktionen durch Enzyme und der Umstand, daß die Synthese der physiologisch wichtigen Stoffe aus einer Folge von zahlreichen chemischen Reaktionen besteht, von denen jede einzelne ihr spezielles Enzym benötigt, sind für unser irdisches Leben charakteristisch und insofern wichtige, vorgegebene Rahmenbedingungen für den Ablauf der Evolution. Für unser Problem des Kettenwachstums der DNS und seine Wahrscheinlichkeit ist diese Koppelung zahlreicher Enzyme zu Enzymketten, die erst dann wirksam werden können im Sinne neuer Stoffe und damit neuer Eigenschaften, wenn die gesamte Synthesekette mit 10 bis 20 beziehungsweise ganze Zyklen mit 30 bis 50 neuen Enzymen beziehungsweise Genen für alle Zwischenstufen der Synthese mit den richtigen Sequenzen verfügbar sind, von zentraler Bedeutung. Während nämlich bei Mutationen, die ja einen Eingriff in ein in Betrieb befindliches Genom darstellen, schon die kleinste spontan-zufällige Änderung der Nucleotidsequenz, hervorgerufen durch eine einzige chemische Reaktion, eine in aller Regel sofortige, oft drastische Eigenschaftsänderung zur Folge hat, die wegen der ständigen Auseinandersetzung der Lebewesen mit ihrer Umgebung zwangsläufig zur Selektion im Sinne Darwins führt, zeigt die Koppelung von Enzymen zu Enzymketten von 10 bis 50 Enzymen, entsprechend 50 mal 1500 gleich 75000 chemischen Reaktionsschritten, daß eine Selektion bei der Polykondensation, das heißt beim Kettenwachstum des DNS-Makromoleküls durch Anfügung neuer, noch nicht in Betrieb befindlicher Gene nicht möglich ist. Warum? Weil die Addition eines neuen Gens oder auch vieler neuer Gene so lange ohne jede Konsequenz für das betroffene Lebewesen bleibt, bis sich die neuen Gene in neuen Eigenschaften manifestieren. Und das geschieht keinesfalls bei jeder Addition eines neuen Gens, ja nicht einmal immer durch eine Folge von vielen neuen Genen, denn durch die Addition neuer Gene an die Kette wird das Funktionieren der bereits vorhandenen Altgene in keiner Weise verändert - weder zum Besseren noch zum Schlechteren -, und das Leben der Zelle geht ungestört weiter. Das aber hat zwangsläufig zur Folge, daß die Polykondensation durch Addition neuer Gene - ganz im Gegensatz zur Mutation -grundsätzlich keine Selektion auslösen kann, weil es keine Test- __________________________________________Evolutionsstrategie möglichkeit dafür gibt, ob ein neu addiertes Gen ein passendes, kooperatives Gen war oder nicht. Und eine Testmöglichkeit gibt es nicht, weil die Neugenaddition nicht mit dem Auftreten einer neuen testbaren Eigenschaft verbunden ist. Evolutionsstrategie Wegen der zentralen Bedeutung der Selektion im DARWiNschen System will ich die Möglichkeit von Selektion bei Mutationen einerseits und die Unmöglichkeit von Selektion beim Kettenwachstum der DNS durch Polykondensation andererseits an einem Beispiel erläutern, das als «Evolutionsstrategie» bekannt geworden ist.61 Der Berliner Ingenieur Professor Ingo Rechenberg versteht darunter einen Optimierungsprozeß technischer Systeme durch zufällige Systemvariationen. Man stelle sich zum Beispiel eine Reihe von sechs parallel angeordneten Metall- oder Kunststofflamellen vor, die längsseitig durch Scharniere verstellbar miteinander verbunden sind. Wenn alle Gelenke auf Winkel von i8oGrad eingestellt sind, bilden die Lamellen eine ebene Platte. Wird sie in diesem Zustand von einem Luftstrom schräg angeblasen, hat sie einen minimalen Anblaswiderstand. Das sogenannte «Evolutionsexperiment» geht von stark gewinkelter, unregelmäßiger Zickzack-Einstellung mit hohem Anblaswiderstand aus. Man ändert nunmehr die Winkel um einen jeweils nach einem Zufallsmechanismus ermittelten Betrag und prüft nach jeder Winkelveränderung (sprich Mutation) den Anblaswiderstand. Ist er größer als vorher, das heißt für das «Ziel» eines möglichst geringen Widerstandes* ungünstiger, wird die Winkeländerung rückgängig gemacht: Die «Mutante» ist zugrunde gegangen. Ist aber die neue Einstellung günstiger als die vorhergehende, insofern als sie bei der Messung einen kleineren Anblaswiderstand zeigt, wird sie beibehalten und eine nächste zufällige Winkelverstellung vorgenommen. Das Ergebnis der Versuche: Nach durchschnittlich 200 Winkeländerungen war der als «Evolutionsstrategie» bezeichnete Optimierungsvorgang durchlaufen, und die Lamellen hatten ihren fast ebenen Zustand mit minimalem Anblaswiderstand erreicht. * In der Natur ist das -Ziel” (der Selektionsdruck) durch die zufällig gerade vorliegenden Umweltbedingungen gegeben. Im technischen System sind alle zwischen dem Ausgangszustand und dem optimalen Zustand auftretenden Zwischenstufen im Windkanal prüfbar, weil nach jeder zufälligen Winkeländerung zwangsläufig ein größerer oder kleinerer Anblaswiderstand im Vergleich zur vorhergehenden Einstellung auftritt. Der Techniker tut dann genau das, was die Natur bei Mutationen auch tut: Das Günstige bleibt erhalten, das Ungünstige wird ausgelöscht. Ganz anders aber bei den Eigenschaften von Lebewesen, deren Erwerb an die Synthese von neuen Stoffen und damit an ein Wachstum der DNS-Kette um viele neue Gene gebunden ist. Hier sind die einzelnen zufälligen Kettenverlängerungsschritte durch An- oder Einbau neuer Gene nicht testbar, weil ein einzelnes Gen nicht einmal einen neuen Stoff, geschweige denn eine neue Eigenschaft bewirkt. Optimierung und Neukonstruktion Die angebliche »Evolutionsstrategie» ist ein typisches Beispiel dafür, wie oberflächliches Denken zu falschen Schlußfolgerungen führt: Hier wird ein technischer Optimierungsvorgang, der mit der Absicht vorgenommen wird, eine bestehende Konstruktion in ihrer Funktion zu verbessern, mit der Entstehung neuer Arten und Klassen in der Natur verglichen. Durch Mutation und Selektion (der Vergleich mit der Optimierung technischer Systeme nach dem RECHENBERG-Verfahren macht es klar) werden bestehende Arten in ihrem Bestand gefestigt. Das und nur das ist es, was Darwin überzeugend gelehrt hat. Neue Arten von Lebewesen können so gmndsätzlich nicht entstehen, weil neue Gene in großer Zahl erforderlich sind, die durch Veränderung von bereits Vorhandenem (durch Mutation) grundsätzlich nicht entstehen können. * Durch schrittweise Ankoppelung neuer Gene an die vorhandene DNS-Kette aber werden die phänotypischen Eigenschaften des betroffenen Lebewesens in keiner Weise verändert, weil das vorhandene Genom in seiner Funktion so bestehen bleibt, wie es ist. Wenn aber das phänotypische Eigenschaftsmu- * Den sachkundigen Leser möchte ich darauf hinweisen, daß ich keineswegs den Vorgang der Genverdoppelung mit nachfolgender Umsequenzierung übersehe. Dieser Vorgang ist ein echter Polykondensationsschritt und keine Mutation. Ich komme darauf in einem besonderen Abschnitt zurück; vgl. Seite 133 f. _________________________Optimierung und Neukonstruktion ster eines Lebewesens durch einzelne Genadditionen unverändert bleibt, kann es grundsätzlich auch keine Selektion geben. Wenn man den Vorgang der Entstehung einer neuen Lebewesenklasse mit einem entsprechenden Vorgang im technischen Bereich vergleichen will, kann dies korrekt nur durch Vergleich mit dem Entstehen einer Neukonstruktion geschehen. Die sogenannten -großen Übergänge», wie die Entstehung neuer Klassen und Stämme (Würmer —> Fische —> Amphibien/Reptilien —> Säugetiere) oft fälschlich bezeichnet wird (die «großen Übergänge» sind geradezu dadurch charakterisiert, daß es keine Übergangsformen gibt), sind alles andere als Optimierungsvorgänge von Vorhandenem. Ein Fisch ist kein optimierter Wurm, sondern ein neuartiges Lebewesen, wie ein Flugzeug kein optimiertes Automobil und ein Auto keine optimierte Kutsche ist, so viele Bauelemente der alten sich auch für die neue Konstruktion verwenden lassen. An erster Stelle steht der neue Gedanke, die Idee «Flugzeug», dann kommt die konstruktive Detailarbeit, die Konstruktionszeichnung und schließlich das Fertigungsprogramm (dem DNS-Mole-kül entsprechend). Nach dem RECHENBERG-Modell soll es dagegen eine Entwicklung geben, bei der an einer Kutsche (ohne daß sie aus dem Verkehr gezogen wird) von Zeit zu Zeit irgendwelche zufälligen kleinen Änderungen vorgenommen werden (den Mutationen entsprechend). Dann sieht man zu, wie sich diese Kleinstveränderungen in der Praxis bewähren, wobei zu bedenken ist, daß ja auch das Antriebsaggregat, die Pferde, mit zu dem in kleinsten Schritten zu verändernden System gehören. Ich überlasse es der Phantasie des Lesers, sich das im einzelnen auszumalen. Noch grotesker wird die Sache, wenn man die «Entwicklung» vom Auto zum Flugzeug betrachtet: Man kann sich leicht vorstellen, daß sich kein Testpilot finden würde, der das Zufallsflugzeug in den verschiedenen Stadien seiner Entwicklung zu testen bereit wäre. Man kann ein «Gefährt» mit unvollständigen Tragflächen oder noch fehlendem Leitwerk einfach nicht in der Luft testen. Wo sonst aber sollte sich die Überlegenheit der neuen «Art» zeigen? Die einzige Möglichkeit, eine Kutsche zum Auto oder ein Auto zum Flugzeug umzubauen, besteht darin, daß man das Gefährt aus dem Verkehr zieht, es in einer Werkstatt komplett umkonstruiert und erst dann für Testfahrten beziehungsweise -flüge zuläßt, wenn ein Auto oder ein Flugzeug daraus geworden ist. Man muß nicht Chemiker, Physiker, Ingenieur oder Biologe sein, um das einzusehen. Jeder aber, der sich das klargemacht hat, hat aufgehört, an die darwinistische Selektionstheorie zu glauben. Denn ebensowenig wie die einzelnen Konstruktions- und Montageschritte und -stufen im Beispiel der Auto- und Flugzeugkonstruktion konnten zufällige Additionen von neuen Genen einzeln getestet werden, ja noch viel weniger als diese, denn sie konnten ja nicht einmal in Erscheinung treten. In Erscheinung treten konnten sie erst dann, wenn so viele Gene an die wachsende Kette angefügt wurden, wie notwendig waren, damit sich durch die Wirksamkeit der neuen Gene neue Stoffe bilden konnten, die zu phänotypisch manifesten Eigenschaftsänderungen führten, im Beispiel der Glykocholsäuresynthese also erst nach der Eingliederung von mindestens 20 passenden neuen Genen in das Zellgeschehen. Und selbst dann, wenn einmal das äußerst unwahrscheinliche Ereignis der zufälligen Entstehung einer harmonischen Genfolge eingetreten sein sollte, einer Genfolge nämlich, die der Zelle eine Reihe von Proteinen bescherte, die als Enzyme eine kooperative Stufenfolge von 10 oder 20 Reaktionen nach der Art von Abb. S. 121 ermöglichten, wäre damit noch wenig gewonnen, denn alle Zwischenstufen, die z. B. auf dem Evolutionswege vom Reptil zum Vogel hätten entstehen müssen, hätten (soweit sie überhaupt testbar waren) auf dem Erdboden getestet werden müssen, denn in der Luft hätte erst die Endstufe, der fertige Vogel, getestet werden können. Auf dem Erdboden aber hätten alle die vielen stofflichen und morphologischen Veränderungen, die für die freie Bewegung in der Luft notwendig waren, keinerlei Selektionsvorteile gebracht. Zwischenstufen (das gilt für alle großen Übergänge) wären als hilflose Nicht-mehr- und Noch-nicht-Wesen hoffnungslos der Selektion zum Opfer gefallen. Das ist der Gmnd, warum es sie nicht geben kann - der Grund auch dafür, daß die gesamte Folge von stofflichen Veränderungen auf dem Wege von einer Art zur nächsten, von einer Klasse zur nächsten, und das diese Veränderungen ermöglichende DNS-Kettenwachstum grundsätzlich latent, und somit ohne Selektion verlaufen mußten. Die Birkenspanner-Geschichte, ein typisches Optimierungsbeispiel in natura Vor diesem als Rahmenbedingung für unser irdisches Leben unverrückbar vorgegebenen Hintergrund, daß ein Schritt auf dem Wege zu einer neuen Art immer nur über die phänotypisch nicht in Erscheinung tretende Angliederung zahlreicher (im Beispiel der Glykocholsäuresynthese: 20) neuer, passender Gene getan werden kann, nicht aber über eine Sequenzänderung oder Mutation im Bereich des vorhandenen, in Betrieb befindlichen Genoms, sind Geschichten wie die Birkenspanner-Story*, ein in seinen Auswirkungen ungeheuerlicher Selbstbetrug, wenn man diesen arterhaltenden oder artverbreitenden Mutations-Selek-tions-Vorgang als Evolutionsschritt hinstellt, der er gar nicht sein kann, weil es erstens sehr unwahrscheinlich ist, daß die dunkle Farbe durch eine neue Synthesekette mit vielen Stufen und entsprechend vielen neuen Genen hervorgerufen wurde. Diese Genfolge hätte nämlich im Laufe der Zeit ohne das Sieb der Selektion entstehen müssen, und das ist, wie wir sehen werden, äußerst unwahrscheinlich. Zweitens wäre aber auch dann, wenn es sich beim dunklen Birkenspanner nicht um eine Defektmutante handelte, sondern um eine Varietät mit einer Folge neuer oder doch anderer Gene für den dunklen Farbstoff, die dunkle Mutante in keiner Hinsicht ein Schritt auf dem Wege zu einer neuen «Art». Wo sollte man hier etwas sehen, was auch nur im entferntesten in * Für ältere Leser, die die Geschichte aus Schulbüchern, Fernsehreportagen usw. (jetzt auch schon in Märchenform für den Kindergarten zurechtgemacht) noch nicht kennen: Es gibt eine Schmetterlingsart mit hellen Flügeln, die auf hellem Untergrund (Birkenstämmen) gut getarnt ist. Als in der rußhaltigen Luft der großen Industriegebiete Englands sich jeglicher Untergrund grau und dunkel färbte, wurden die hellfarbigen Birkenspanner durch solche mit dunklen Flügeln ersetzt. Eine Mutante war aufgetreten (Ausfall eines Gens, das für ein Enzym der Synthese des weißen Farbstoffs codierte), die wegen ihrer dunklen Flügel auf dem nun dunklen Untergrund vor den suchenden Augen hungriger Vögel besser getarnt war und die daher die industriebedingte Umweltveränderung überlebte, während der helle Wildtyp, seiner Tarnung beraubt, in Industriegebieten ausstarb. Hier haben wir ein typisches Beispiel für Arterhaltung bzw. Artverbreitung durch Mutation - Selektion, wobei es gleichgültig ist, ob die Mutation zur Zeit der aufstrebenden Großindustrie entstand oder irgendwann viel früher und die dunkle Mutante seitdem als eine die dominierende helle Form begleitende Rarität existierte, die nun, da der Untergrund dunkel wurde, als besser angepaßte Spielart (Varietät, Mutante) die Oberhand gewann. die Richtung Chordata oder Wirbeltiere wiese? So kann uns das Beispiel des Birkenspanners helfen, Mißverständnissen um den Begriff der Art vorzubeugen. Neue Arten Neue Arten sind im Laufe der Evolution viele entstanden. Es mag unter den vielen Arten eines Pflanzen- oder Tierstammes viele geben, die sich in ihrem Genbestand nicht oder nur wenig unterscheiden. Die Abb. S. in macht aber deutlich, daß neue Arten, die auf dem Wege der Evolution aufwärts führen, in erster Linie durch zusätzliche neue Gene gekennzeichnet sind und nicht durch die übliche auf Carl von Linne zurückgehende botanisch-zoologische Artdefinition. Im Sinne des LiNNEschen Systems sind die Arten phänotypisch in Erscheinung tretende Evolutionsstufen mit ähnlichem, in seiner Kapazität vergleichbarem Genbestand. Die vielen «Arten» auf dem Wege zu neuen Klassen und Stämmen mit ihrem von «Art» zu «Art» wachsenden Genom dagegen treten phänotypisch nicht in Erscheinung (weder als rezente Pflanzen und Tiere noch als Fossilien), und es ist nicht auszumachen, ob es sie überhaupt gegeben hat. Das heißt: Wir wissen nicht, ob das Genom zum Beispiel von der Länge 2,5 cm (bei Fischen) bis 50 cm (bei Reptilien) in kurzer Zeit gewachsen ist oder mehr oder weniger gleichmäßig in den vielen Jahrmillionen, die zwischen dem Auftreten der Fische und dem Auftreten der ersten Reptilien liegen, in vielen latenten Stufen entstand (was wegen der Mutationsgefahr sehr unwahrscheinlich ist, aber auch nicht undenkbar, denn auch Mutationen sind, wie Kettenbrüche, reparabel, wenn auch nicht statistisch). Für unsere Frage nach der Wahrscheinlichkeit der Entstehung von informationsträchtigen DNS-Ketten, das heißt solchen mit einer Folge von kooperativen Genen, durch statistische Copoly-kondensation sind die Details der Artenentstehung belangslose Randerscheinungen. Entscheidend ist, und das sollte man bei der Komplexität der sich um das DNS-Kettenwachstum rankenden Lebensvorgänge festhalten, daß dem Entstehen neuartiger Lebewesen mit neuartigen Organen und neuartigen Gliedern in jedem Falle das Entstehen zahlreicher neuer Gene vorangehen mußte, die in geordneter Weise, nämlich in bestimmter Reihenfolge in Betrieb genommen wurden. Dazu war eine Vielzahl neuer Stoffe erforderlich, von denen j eder einzelne nur durch eine Synthese mit 5 bis 20 Synthesestufen entstehen konnte. Diese Vielzahl passender neuer Gene ist es, die das Entstehen einer neuen Art im Sinne der Abb. S. in/115 so unvorstellbar unwahrscheinlich macht, weil sie auf dem wiederholten (oder gleichzeitigen) Eintreten eines an sich schon recht unwahrscheinlichen Ereignisses beruht. Bildungswahrscheinlichkeit von Genfolgen in der DNS-Kette Wenn nämlich der Eingliederung eines neuen Gens die Wahrscheinlichkeit von höchstens 1: 50000 zukommt, ist die Wahrscheinlichkeit (W), daß sich dasselbe Ereignis (Eingliederung eines passenden Gens) zwanzigmal wiederholt (damit zum Beispiel Glykocholsäure in der Zelle gebildet werden kann), W = (1: 5 0000)10 oder (wenn man sich bei der Wahrscheinlichkeit für die Eingliederung eines neuen Gens nicht so genau festlegen will): W = (io~4)i0 bis (io-5)20 gleich 10-8° bis 10~100. Das ist eine unvorstellbar geringe Wahrscheinlichkeit, wenn man bedenkt, daß die Zahl der Atome des gesamten Universums die Größenordnung von 1083 hat! Weil es sich bei den Schritten des historischen Wachstumsprozesses der DNS-Kette jeweils um einen Ereigniskomplex handelt, bei dem der Eintritt des nächsten Ereignisses das jeweils vorausgehende unabdingbar voraussetzt, ergibt sich die Gesamtwahrscheinlichkeit durch Multiplikation der Einzelwahrscheinlichkeiten. Das ist wie bei dem bekannten Würfelspiel: Die Wahrscheinlichkeit, eine Sechs zu würfeln, ist 1:6. Die Wahrscheinlichkeit, zweimal hintereinander eine Sechs zu würfeln oder mit zwei Würfeln im Becher zwei Sechsen zu haben, ist i: 62 gleich 1:36, weil die Kombination 6-6 eine von 36 möglichen Kombinationen 1 — 1, 1-2, 1 — 3 und so weiter 2 - 1, 2 - 2, 2-3 und so weiter ist. Mit drei Würfeln drei Sechsen zu werfen, ist dementsprechend ein Ereignis, dem die Wahrscheinlichkeit i: 63 gleich 1:216 zukommt und so weiter. Wenn daher die Wahrscheinlichkeit, daß ein kooperatives, das heißt in einer bestimmten Evolutionssituation gerade brauchbares Gen an die DNS-Kette anwächst, 1: 50000 ist, oder sagen wir vorsichtiger, irgendwo zwischen 1:10000 und 1:100000 liegt, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß dieses Ereignis ein zweites Mal stattfindet (io~4)2 bis (io~s)2, daß es ein drittes Mal stattfindet (io~s)3, ein viertes Mal (io~5)4 und so weiter. Allgemein ist die Wahrscheinlichkeit, daß durch einen Zufallsprozeß, also durch statistische Polykondensation, ein neues Stück einer DNS-Kette mit irgendeiner Zahl x oder n kooperierender Gene entsteht: (io~4)n bis (io_s)n. Ein bestimmter Zahlenwert für den Exponenten n ergibt sich nur bei einer jeweils konkreten Fragestellung, durch die die Anzahl der Gene festgelegt wird, um die die DNS-Kette gewachsen ist. Fragt man beispielsweise nach der Wahrscheinlichkeit für die Entstehung eines neuen Stoffes, dessen physiologische Wirkung in einer bestimmten Evolutionssituation für das Zusammenwirken mit anderen, bereits vorliegenden Stoffen benötigt wird, so ist - wenn wir als Beispiel wieder die Synthese der Glykocholsäure wählen - der Exponent n gleich 20, weil 20 neue Enzyme und damit Gene erforderlich sind, bis sich frühestens die neue Eigenschaft phänotypisch manifestieren kann, so daß die gefragte Wahrscheinlichkeit (10 _4)20 bis (io-s)20 gleich 10_8° bis io~IO° ist. Betrachtet man aber einen größeren Evolutionsabschnitt und fragt zum Beispiel nach der Wahrscheinlichkeit für das Entstehen einer neuen Tierklasse im Sinne eines großen Übergangs durch statistische Polykondensation von Genen, so muß man zunächst definieren, was man unter einem «großen Übergang» verstehen will. Teilt man etwa die Evolution in fünf große Stufen ein: von der Ursuppe zur Zelle, von der Zelle zu den Wirbellosen und so weiter zu den Fischen, zu den Reptilien und zu den Säugetieren, so ergibt sich für jede Stufe ein mittlerer Längenzuwachs der DNS von 50000: 5 gleich 10000 Genen, so daß für dieses Ereignis n gleich 10000 ist. Die Wahrscheinlichkeit für den Übergang von einer dieser Entwicklungsstufen zur nächsthöheren durch statistisches (also zufälliges) Kettenwachstum ist dann im Mittel (IO-4)10000 gleich 10-40000. Selbst wenn man bei jeder Stufe 2c Zwischenglieder annähme, von denen aber bisher kein einziges gefunden wurde, wäre die Wahrscheinlichkeit pro Stufe immer noch sehr gering, nämlich (io-4)500 gleich io-1000. Wenn man sich eine Vorstellung von der Unwahrscheinlichkeit einer solchen Ereigniskette machen will, kann man - wie gesagt - daran denken, daß die Anzahl der Atome des gesamten Üniversums in der Größenordnung von 1080 liegt. Wenn also das ganze Universum aus Nucleinsäuremolekülen bestände, so wäre die Chance, darin auch nur eine zufällig entstandene DNS-Kette mit 400 oder 500 miteinander im Sinne der Bildung von Enzym- ketten kooperierenden Genen zu finden, immer noch unvorstellbar gering. Oder anders: Die Population der Reptilien müßte die groteske Anzahl von io2000 erreicht haben, damit unter der Unmenge von Individuen im Mittel eines zu finden wäre, das man als erste von 20 lebensfähigen Urvogel-Zwischenstufen auf dem Wege der Zufallsentwicklung zum Vogel hätte ansprechen können. Das Weltall wäre nicht groß genug, um solche Mengen von Lebewesen zu beherbergen. Man könnte versucht sein, dieses Ergebnis einer streng physikalisch-chemischen Beschreibung der biologischen Evolution als Zahlenorgien abzutun. Aber: DNS ist nun einmal ein kettenförmiges Makromolekül, das aus Genabschnitten von circa 1000 bis 2000 Nucleotiden besteht. Daraus ergibt sich zwangsläufig die Zahl der möglichen verschiedenen Anordnungen der Nucleotid-Struktureinheiten zu 101000 beziehungsweise io700, wenn man die Zahl der verschiedenen durch diese Sequenzen bei der Translation exprimierbaren Proteine meint. Selbst wenn man diese Zahl auf io4 bis 105 reduziert, weil man nur diese im Bereich des irdischen Lebens als Folge von Genen in der DNS-Kette eines Säugetiers realisiert findet, ist die Anzahl der Anordnungsmöglichkeiten von n-Genen in der Kette (1: io4)n. Diese ganz einfache, von jedem Mensch-ärgere-dich-nicht-Spieler leicht nachzuvollziehende Kettenstatistik gibt auf die Frage: «Konnten die Lebewesenarten von selbst entstehen?» die Antwort: «Die Wahrscheinlichkeit der zufälligen Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl im Sinne Darwins war sehr viel kleiner als 1:10100°.» Verzichtet man auf eine Zahlenangabe, so heißt die Antwort schlicht und einfach: Nein. Die «Zahlenorgien» sind nicht (wie behauptet wurde1) von mir inszeniert worden, sondern letztlich von dem großen Charles Darwin. In der Ungeheuerlichkeit der negativen Exponenten zeigt sich das Groteske einer als Jahrhundertidee gefeierten, rundherum falschen Hypothese über die Entstehung der Arten, wenn man sie (wie ich es hier getan habe) übernimmt und an Hand der erdgeschichtlichen DNS-Synthese als statistische Copolykondensation zu Ende denkt. Der Begriff der Selektion taucht in dieser von Darwins Illusion befreiten, korrekten Beschreibung der Bioevolution als Kettenwachstumsprozeß des Makromoleküls DNS gar nicht auf. Selektion taucht bei korrekter (auf die molekulare Basis des Evolutionsgeschehens reduzierter) Beschreibung deshalb nicht auf, weil es sie bei dem evolutiven DNS-Kettenwachstum nicht gibt. Es gibt sie deshalb nicht, weil bei der Kettenverlängerung (wie auch immer sie im einzelnen vor sich gehen möge) das in Betrieb befindliche Genom unangetastet, unverändert intakt bleibt und folglich keine Mutanten entstehen. Mutanten aber (Individuen mit phänotypisch in Erscheinung tretenden Veränderungen der Nucleotidsequenz ihrer DNS, Darwins Varietäten) sind Voraussetzung für Selektion. Nicht, daß es Mutanten nicht gäbe! Es gibt sie und gab sie in Mengen, alle Arten existieren als Mutantenschwärme oder Mutantenverteilungen, aber in Verbindung mit Selektion führt Mutation zur optimalen Umweltanpassung und damit zur Stabilisierung der Arten. Neue Arten aber, die über die Grenzen der Stämme hinausgehen, haben oder brauchen neue, zusätzliche Gene, und diese entstehen nicht durch Mutationen, nicht also durch Änderungen der Nucleotidsequenz von bereits existierenden DNS-Ketten in Bereichen, die als Gene durch Transkriptionin Anspruchgenommenwerden, sondern durchPolykon-densation. Besonders deutlich wird der Unterschied, wenn man nach den möglichen Mechanismen der Kettenverlängerung fragt. Entstehungs- und Ankoppelungsmechanismen neuer Gene Es war bisher immer nur die Rede von der Bildungswahrscheinlichkeit neuer Gene, von DNS-Stücken also mit rund 1500 in bestimmter Reihenfolge (Sequenz) angeordneten Nucleotiden. Dabei wurde die Wahrscheinlichkeit der Entstehung solcher DNS-Kettenstücke ausschließlich auf die Nucleotidsequenz bezogen, die Art der Reaktionen aber, durch die die Kettenstücke und ihre Sequenz entstehen, völlig außer acht gelassen - mit Recht, denn die Bildungswahrscheinlichkeit von DNS-Stücken mit bestimmter Sequenz ist in der Tat von der Art (dem Mechanismus) der Bildungsreaktion unabhängig, weil bei allen diskutierbaren Synthesen neuer DNS-Ketten für deren Sequenz eine Zufallsverteilung der vier beteiligten Monomeren (A, T, C, G) zu erwarten ist, die durch die Chemie der Bildungsreaktion in keiner Weise beeinflußbar ist. Davon ausgenommen sind die im Laboratorium durchgeführten Synthesen, bei denen von vornherein eine ganz bestimmte Sequenz vorgegeben ist, die dann durch intelligentes Planen, durch Aufstellung einer Synthesestrategie und konsequentes, präparatives Vorgehen nach diesem Plan zielstrebig angegangen wird, wie bei den Protein- und Oligonucleotid-synthesen im Rahmen der Gentechnologie. Obwohl die Art ihrer Entstehung auf das Ergebnis der Entstehungswahrscheinlichkeit neuer Gene nicht den mindesten Einfluß hat, möchte ich wenigstens eine von verschiedenen Möglichkeiten der Ankoppelung neuer Gene an eine DNS-Kette kurz vorstellen, weil ja diese Wachstumsreaktion der DNS-Kette und die dabei oder auch danach (durch Sekundärreaktionen) entstehende Sequenz neuer DNS-Stücke das entscheidende, zentrale chemische Geschehen im Laufe der Evolution darstellt und nicht, wie immer gesagt wird, die Mutationen. Im Gegensatz zur chemischen oder präbiotischen Evolution, die sich in Meeren, Seen oder Tümpeln (Ursuppen) abspielte, fand die Bioevolution in lebenden Zellen statt, die über einen mehr oder weniger aufwendigen Enzympark verfügten, so daß man die Möglichkeit von Kettenverlängerungsreaktionen durch Polymerase- oder Ligaseenzyme voraussetzen darf. Neue Gene durch illegitimes Crossing-over und Umsequenzierung In bestimmten Stadien der meiotischen Zellteilung kommt es zur Paarung homologer Chromosomen mit einer normalerweise exakten Vis-ä-vis-Stellung der homologen Gene. Dabei können DNS-Ketten an bestimmten Stellen, nämlich zwischen zwei Genen, durch enzymatische Hydrolyse quergespalten werden, worauf die getrennten Kettenenden durch ein herbeieilendes Liga-seenzym wieder verbunden werden, aber - da offenbar keines der Ketten enden mehr weiß, wie sie zusammengehörten - (manchmal) überkreuz. Ein solches - im Mikroskop als Chiasma der Chromosomen zu beobachtendes - Crossing-over ist in Abb. S. 134 schematisch dargestellt. Es kann bei einer derart gewagten Operation zu allerlei Verwirrung kommen, die als illegitimes Crossing-over bezeichnet wird. Man sieht, daß letztlich einer der DNS-Stränge verlängert und der andere verkürzt aus der Prozedur hervorgeht, so nämlich, daß einer der homologen Stränge das Gen 5 doppelt besitzt, während dem anderen das Gen 5 fehlt. In dieser durch illegitimes Crossing-over bewirkten Genverdoppelung haben wir möglicherweise den Mechanismus zu sehen, durch den die DNS-Kette im Laufe der Evolution sprunghaft-stetig um eine oder mehrere Genlängen gewachsen ist.47 Der Organismus, der später nach der Paarung den mit einem 12 3 4 6 7 Normales und illegitimes Crossing-over mit DNS-Verlängerung durch Gen-Verdoppelung bei einer der homologen DNS-Ketten. Chromosomenstrang = DNS-Doppelhelix Doppelgen ausgestatteten Chromosomensatz erhält, kann nun zwar das zugehörige Protein reichlicher und schneller produzieren, hat aber noch kein neues Gen. Der Prozeß der Neugenbildung geht erst weiter, wenn die Doppelgene durch Blockade des Operators von der Translation abgekoppelt sind. Das Gen ist jetzt sozusagen aus dem Verkehr gezogen mit der Folge, daß Mutationen, die dieses Gen betreffen, von dem Lebewesen nicht mehr wahrgenommen werden. Wäre das Gen nicht blockiert, könnte sich eine Sequenzumwandlung durch Mutationen zum neuen Gen dort nur dann vollziehen, wenn die Mutationen ganz überwiegend auf eines der doppelten Gene beschränkt würden und wenn die dort konzentrierten Mutationen alle unschädlich wären. Beides ist extrem unwahrscheinlich. Bei einem abgeschalteten Gen dagegen können sich dort auch bei normaler Mutationsvertei-lung Sequenzänderungen unbemerkt ansammeln, während die meisten der auf anderen Genen durch Mutationen betroffenen Individuen sterben oder so geschädigt werden, daß sie von der Fortpflanzung ausgeschlossen bleiben. Die Wahrscheinlichkeit, daß bei einer irgendwann zufällig einmal erfolgten Wiedereinschaltung des oder der durch Mutationen umsequenzierten Gene die neuen Sequenzen sich im Augenblick gerade als brauchbar erweisen, ist natürlich genau wie bei jeder anderen Art einer Neusyn- these eines Gens i: io4 oder (i: io 4)n bei n neuen Genen. Das gilt auch dann, wenn an dem Doppelgen nur eine einzige Sequenz geändert werden müßte, gleichgültig ob dies durch eine einzige Mutation oder durch eine Vielzahl von Mutationen und Rückmutationen erreicht würde: Immer ist die neue brauchbare Sequenz eine unter io4 möglichen (genauer: irgendeine von 10696 brauchbaren unter 10700 möglichen). Man sollte sich also nicht der Illusion hingeben, daß hier eine Kettenverlängerung durch Mutationen bewirkt worden wäre. Vielmehr wird hier gewohnheitsmäßig ein Vorgang als Mutation bezeichnet, der in Wirklichkeit (und gemäß internationaler Nomenklaturvereinbarung) eindeutig ein Polykondensationsschritt ist. Wie bei jeder DNS-Kettenverlängerungsreaktion gilt auch hier, daß die Einzelschritte ohne Selektionsmöglichkeit sind. Das wird durch die zeitweilige Abkoppelung der in derUmsequen-zierungsphase befindlichen DNS-Stücke von der Transkription-Translation noch besonders deutlich. Da sich die außer Betrieb gesetzten, gleichsam narkotisierten Gene nicht an der Synthese von Proteinen beteiligen können, können sie auch nicht die Entstehung von Mutanten verursachen, obwohl sich ihre Nucleotid-sequenz immer wieder ändert. Im übrigen ist, was die dem Vorgang zugrunde liegenden chemischen Reaktionen betrifft, nichts aufgeklärt: Die Umesterungsreaktion nach vierfachem Kettenbruch an homologer Stelle zwischen zwei Genen ist eine höchst eigenartige Reaktion. Die Ab- und Ankoppelungsreaktionen, die jeweils spezifische Veränderungen an den Operatorgenen erforderlich machen, laufen auf Mutation und Rückmutation hinaus, die bei genreichen DNS-Ketten eine sehr unwahrscheinliche Reaktion ist. Das Besondere an diesem hypothetischen Wachstumsmechanismus ist, daß es nur relativ wenigen Individuen einer Population vergönnt sein dürfte, diese spezielle Art des illegitimen Crossing-over zu erleben oder zu überleben, und daß die Umsequenzierung durch Mutationen ein langwieriger Prozeß ist, der auf die normale, das Gesamtgenom betreffende Mutationsrate angewiesen ist. Es wurden daher auch schon andere Mechanismen vorgeschlagen.48'21 Allen gemeinsam ist, daß die Kettenbildungswahrscheinlichkeit durch die spezielle Art der Polykondensationsschritte nicht beeinflußt wird. Wenn Darwin sich irrte, wie war es dann? Naturwissenschaftliche Forschung hat uns gelehrt, daß Entstehung und Bestand irdischen Lebens Entstehung und Bestand des Makromoleküls DNS voraussetzen. Naturwissenschaftliche Forschung hat uns auch gelehrt, unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Wahrscheinlichkeiten Makromoleküle mit bestimmter Länge und bestimmter Sequenz entstehen. Geologie, Biochemie und DNS-Forschung haben außerdem die Rahmenbedingungen aufgezeigt, unter denen sich der erdgeschichtliche Wachstumsprozeß des DNS-Makromoleküls vollzog. Berücksichtigt man die Gesichtspunkte der Naturwissenschaften, speziell der Makromolekularen Chemie, indem man die Bioevolution als statistische Copolykondensation beschreibt, erhält man (in drei Sätzen zusammengefaßt) folgendes Resultat: 1. Mutationen sind «polymeranaloge Umsetzungen» (chemische Reaktionen an Makromolekülen ohne Änderung der Kettenlänge) und setzen die Existenz der Makromoleküle als Reaktionspartner voraus. Zu ihrer Entstehung tragen sie nichts bei. DNS-Ketten können also durch Mutationen nicht entstehen und nicht wachsen. 2. Makromoleküle entstehen durch schrittweises Anhängen von einzelnen Kettenbauteilen und Zusammenfügen von Kettenteilstücken (Polykondensation). Die für das Leben einer Zelle notwendige, perfekte Kooperation aller DNS-Bauteile (Gene) im Rahmen von Genketten erfordert nicht nur eine strenge, aufs Ganze abgestimmte Sequenz der Nucleotide in den Genen, sondern auch eine strenge zeitliche Folge des Einbaus der Gene in die Gesamtkette. Das Entstehen einer derartigen kooperativen Sequenz in der DNS-Kette durch normale Copolykondensation (Zufallsadditionen) ist unsagbar unwahrscheinlich (W < io"1000). 3. Selektion ist ein Mechanismus zur Gesunderhaltung der Arten und wirkt artstabilisierend, zusammen mit Mutationen auch bei sich ändernden Umweltbedingungen. Auf dem Wege zu neuen Klassen und Stämmen aber gibt es keine Selektion, weil bei den Reaktionsschritten der statistischen Copolykondensation das vorhandene Genom (DNS-Kette) unverändert bleibt und somit keine Mutanten entstehen können. Beschreibt man das in großen Schüben fortschreitende Wachstum des Makromoleküls, das das Leben auf seinem Weg durch die Erdenzeit begleitet hat, als statistische Copolykondensation und hält sich das Resultat (die drei Punkte) vor Augen, ist man ernüchtert - und irritiert. Denn man steht sofort vor der Frage nach einer Alternative: «Wenn Darwin sich irrte - wie war es dann? >> Wie immer es war, es gibt keine naturwissenschaftlich begründete Alternative. Jede Forschung ist auf positive Ergebnisse ausgerichtet: Wir möchten wissen, wie eine Struktur aussieht, wie ein Mechanismus funktioniert, wie man die Synthesen nützlicher Stoffe realisieren kann. Als Chemiker sagt man so leicht nicht: «Diese Synthese geht nicht», weil man oft genug erfahren kann, daß man nur zu ungeschickt war, sie zu realisieren. Und ebensosehr scheut man sich zu sagen: «Das wissen wir nicht.» Man sagt höchstens: «Das wissen wir noch nicht.» Man gibt den Mut nicht auf im Sinne von Galileis Ausspruch: «Alles messen, was meßbar ist, und versuchen, meßbar zu machen, was es noch nicht ist.» Das ist löblich und verständlich, aber es gibt eben auch die Perpetuum mobile-Träume, die sich grundsätzlich nicht realisieren lassen. Viele Naturgesetze, darunter ganz grundlegende, wie der 2. Hauptsatz der Thermodynamik oder das PAULi-Prin-zip, sind Negativaussagen. Auf die Frage, warum ein Naturgesetz so ist und nicht anders, heißt die Antwort des Naturwissenschaftlers immer: «Wir wissen es nicht.» Zu dieser Art von Fragen gehört auch die Frage nach der Entstehung der Lebewesen, die keine Evolution (im Sinne einer naturgesetzlich notwendigen Entwicklung des Neuen aus dem schon Existierenden) war, sondern eine zeitliche Folge der Entstehung und Ankoppelung neuer DNS-Kettenstücke durch offensichtlich gesteuerte Polykondensationsreaktionen zu den sequenzspezifischen langen DNS-Ketten in den Zellen der Lebewesen und insofern eine zeitliche Folge von historischen Ereignissen, einmalig und unwiederholbar wie alles historische Geschehen. Nicht Evolution also, sondern Geschichte des Lebens. Die Entstehung der Lebewesen ist daher auch kein Problem der Naturwissenschaften, die wesensgemäß auf Reproduzierbarkeit ihrer Experimente angewiesen sind. Bei dieser negativen Aussage endet die Kompetenz des Chemikers. Alle Überlegungen, die darüber hinausgehen, tragen meta- physischen Charakter und werden daher, so interessant sie auch sein mögen, unter naturwissenschaftlichen Aspekten niemals als richtig oder falsch bezeichnet werden können. Die beiden außerwissenschaftlichen Erklärungsmöglichkeiten für die Entstehung der lebensnotwendigen DNS-Makromoleküle mit einer als genetische Information geeigneten Nucleotidse-quenz: 1. das Wirken intelligent planender Kräfte und 2. das zufällige* Eintreten einer Folge von Mutationen bedürfen, wenn man sie annimmt, einer Glaubensentscheidung. Der bekannte rumänisch-französische Biochemiker Ernest Kahane von der Universität Montpellier charakterisierte in seinem Vortrag bei Cern in Genf am 17.11.1964 über «L'ori-gine de la vie» die Situation des Darwinisten so: »Es ist absurd und absolut unsinnig zu glauben, daß eine lebende Zelle von selbst entsteht; aber dennoch glaube ich es, denn ich kann es mir nicht anders vorstellen.»69 Ein so starker und unbeirrbarer Glaube an die gestaltende Kraft des Zufalls ist insofern verwunderlich, als er sich über unsere alltägliche Erfahrung hinwegsetzen muß. Niemand würde vermutlich bereit sein zu glauben, daß jemand tausendmal hintereinander eine Sechs gewürfelt habe. Sähen wir mit eigenen Augen, daß es wirklich geschieht, würden wir nicht zögern, daraus zu schließen, daß hier der Zu- * Zufall selbst ist schwer zu definieren. Wir sind gewohnt, Ereignisse als zufällig zu betrachten, wenn ihre Eintrittshäufigkeit bei fortgesetzter Wiederholung einem konstanten Wert zustrebt. Die mathematische Wahrscheinlichkeit, um die es hier geht, ist definiert als ^ Anzahl der ausgewählten (günstigen) Ereignisse Anzahl der insgesamt möglichen Ereignisse Das Würfeln einer Sechs ist ein Ereignis von sechs möglichen, hat also die Wahrscheinlichkeit W'ürfelt jemand einmal eine Sechs, sagen wir, es war Zufall, würfelt er aber iooomal, waren mit ziemlicher Sicherheit 166 Sechsen darunter, nämlich Vt von 1000 (Anteil = Wahrscheinlichkeit). Zufall und Notwendigkeit hängen also aufs engste zusammen. Weicht die Anzahl der Sechsen erheblich von 166 ab, war Manipulation im Spiel. So kann man die Zufälligkeit von Ereignissen durch die Konstanz der ihrer Wahrscheinlichkeit entsprechenden Eintrittshäufigkeit prüfen: Ist sie nicht konstant, können die Ereignisse nicht zufällig eingetreten sein, ist sie konstant, sagen wir, sie seien zufällig eingetreten, strenggenommen müßten wir sagen: «Sie können zufällig eingetreten sein«, wie z. B. der Zerfall von Radiumatomen. Bei Ereignissen mit extrem geringen Wahrscheinlichkeiten kann man nicht einmal die Konstanz der Eintrittshäufigkeit prüfen, weil sie zu selten eintreten. Die Frage «Zufall oder nicht?» bleibt daher offen. fall durch einen gezielten Eingriff (Schwerpunktverlagerung) ausgeschaltet wurde. Vor der gleichen Situation bei der Evolution des Lebens dagegen weigern wir uns beharrlich, das Wirken zielbewußt lenkender Kräfte auch nur in Erwägung zu ziehen, weil wir zäh an dem Dogma festhalten, daß alles, was ist und geschieht, natürlich (im Sinne von naturwissenschaftlich) erklärbar sein muß. Das gilt für die Enstehung des Lebens durch Selbstorganisation der Materie ebenso wie für das Problem der Entstehung der Materie selbst. Mit dem Zurückschieben der Frage nach dem Ursprung in immer weitere zeitliche und räumliche Fernen (Entstehung der Materie im Urknall, Entstehung des Lebens im Weltall) ist im Grunde nichts gewonnen. Für uns alle, ob wir nun an den Primat des Geistes oder der Materie glauben, bleibt die erste und umfassendste Frage, warum nicht nichts ist, unbeantwortet. Vom Makromolekül zum Organismus Genetische Information und Formprinzip Zu den Fragen, die sich der Beantwortung mit Hilfe naturwissenschaftlicher Methoden entzogen haben, gehört die nach der Entstehung pflanzlicher und tierischer Form (oder Gestalt). Das trifft in gleicher Weise zu auf die Entwicklung des Lebens von den einzelligen Lebewesen bis zu Vögeln und Säugetieren (Phylogenese) und auf die Entwicklung der befruchteten Eizelle zum ausgereiften Organismus (Ontogenese). Man weiß zwar jetzt, wie die Natur es anstellt, einheitliche Proteine mit gleicher Länge und gleicher Sequenz herzustellen, man weiß aber nicht, warum die Zellen - je nach der räumlichen Lage in einem wachsenden Organismus - bald die einen, bald die anderen Proteine herstellen, und man weiß auch nicht, wie daraus so verschiedenartige Zellen wie Nerven-, Flaut-, Muskel-, Knorpel-, Haar-, Magenschleimhaut-, Netzhaut- oder Glaskörperzellen entstehen. Wir haben auch nicht die geringste Vorstellung davon, wie es möglich ist, daß diese Zellen sich zu Organen ganz bestimmter Größe und genau definierter Form zusammenfügen und wie aus vielen Milliarden Zellen und den daraus gebildeten Organen eine Funktionseinheit mit ganz bestimmter Größe und Form entsteht, nämlich das fertig ausgebildete Lebewesen. Mit anderen Worten: Die Aufklärung der DNS-Struktur, die Aufklärung der Art der Informationsspeicherung und die Aufklärung des genetischen Code mitsamt der enzymatischen Proteinsynthese gibt keine Antwort auf die Frage der Zelldifferenzierung und des embryonalen Wachstums, also des eigentlichen makroskopischen Formbildungsvorgangs aus molekularen Bauelementen. Bekannt ist, daß die DNS-Information - in jeder Körperzelle ist die Gesamtinformation für den Bau aller in einem Organismus tätigen Enzyme enthalten - so lange durch Repressoren verriegelt ist, bis durch bestimmte Substanzen, die als Effektoren oder Induktoren bezeichnet werden, die Verriegelung für bestimmte DNS-Abschnitte (Gene) aufgehoben wird, so daß sie für die betreffende Proteinsynthese verfügbar sind. Für jeden DNS-Abschnitt sind andere Induktoien als Schlüssel wirksam, so daß durch deren Konzentration die jeweilige Proteinsynthese gesteuert wird. Rätselhaft bleibt aber, in welcher Weise die Form eines Organs oder Organismus, die ja als solche ein durchaus nichtmaterielles Prinzip ist, eine Idee oder ein Bild im Sinne Platos, wie also diese jedem Lebewesen eigene Form durch Proteinsynthesen, Zellteilung und Zellenassoziation von innen heraus aus einer im wesentlichen bei allen Lebewesen gleichgestaltigen, nahezu kugelförmigen Eizelle gebildet wird, so daß schließlich so verschie-dengestaltige Wesen das Licht der Welt erblicken wie die Mücke und der Elefant, die Libelle und das Krokodil, der Löwe und die Gazelle, die Nachtigall, der Adler, das Wiesel, der Affe und der Mensch, und alle die vielen Arten der Pflanzen: Rosen und Orchideen, Nadel- und Laubbäume, das Gras und die Lilie. Dabei muß man berücksichtigen, daß der Begriff der Form bei Lebewesen ja nicht nur die äußere Form umfaßt, sondern auch die innere Form: das Knochengerüst mit den komplizierten Gelenken, das ungeheuer verästelte und doch streng auf seine Funktion hin geordnete System der Gefäß- und Nervenbahnen und das Gehirn. Was die Eizellen der vielen verschiedenartigen Lebewesen in einer für uns erkennbaren Weise unterscheidet, ist die Länge und die Nucleotidsequenz der in den Zellkernen enthaltenen DNS. Die chemisch-physikalischen Vorgänge, durch welche die in der DNS-Sequenz enthaltenen Anweisungen zur Ausbildung all der vielen verschiedenen Formen verwendet werden, sind uns unbekannt. Erwiesen ist: Eine intakte DNS ist eine absolut notwendige Bedingung für das Entstehen, Wachsen und Existieren eines Lebewesens. Das heißt aber nicht - wie man zuweilen liest -, daß in der DNS das Wesen des Lebens begründet ist. Vielmehr ist DN S nur eine von vielen Voraussetzungen für Leben, wenn auch eine herausragende von zentraler Bedeutung. Andere Bedingungen sind durch die ganz spezielle Umwelt des wachsenden Keims gegeben, darunter so triviale Bedingungen wie die Aufrechterhaltung einer bestimmten Temperatur oder die Gegenwart von Wasser, Licht, C02 und Sauerstoff. Eine weitere, der DNS an Bedeutung nicht nachstehende Bedingung für das Entstehen von belebter Form ist das Wirken eines Prinzips, das die Formbildung beim embryonalen Wachsen steuert, wie das Kontaktthermometer die Temperatur eines Thermostaten, das also in der Lage ist, Soll-Wert (vollendet ausgebildete Form) und Ist-Wert (jeweiliges Embryonalstadium) zu vergleichen und die notwendigen Signale auszulösen, die das wachsende System dem Soll-Wert zuführen, das heißt: am richtigen Ort und zu gegebener Zeit die jeweils notwendigen Enzymsynthesen in Gang bringen und stoppen. Ohne ein solches Formprinzip des Körpers - für das wir keinen neuen Namen zu suchen brauchen, denn seit Aristoteles71 ist dafür die Bezeichnung «Seele»* eingeführt - ist eine formorien- ' Wir sind gewohnt, Seele nur als Forschungs- und Behandlungsobjekt der Psychologen zu sehen oder im Zusammenhang mit religiösen Vorstellungen. In der obigen Definition von Seele als Formprinzip, als lebendige Form bewirkendes und erhaltendes Prinzip, ist Beseeltsein eine universelle Eigenschaft alles Lebendigen. Nach Aristoteles ist Seele die Entelechie (das ist das formbildende Prinzip) eines bestimmten Lebewesens und als solche untrennbar mit dessen Körper verbunden. In «Herders Kleines Philosophisches Wörterbuch» heißtes: «Seele ist das Wesens-, Wirk- und Gestaltungsprinzip (Energie oder Entelechie) eines organbegabten Körpers, also mit diesem wesenhaft verbunden in der substanzialen Einheit des Leibes.» Die philosophischen Begriffe «Entelechie» und «Seele»' haben keine naturwissenschaftliche Relevanz, es läßt sich also kein Bezug zu irgendwelchen naturwissenschaftlichen Größen hersteilen, wie beispielsweise bei der Kristallform über den Atomabstand im Kristallgitter zu den Interferenzmaxima der Röntgenbeu-gting. Wenn man also den Begriff «Seele» heranzieht, um den Vorgang der Formbildung von Lebewesen zu beschreiben, so tritt man damit aus dem Bereich der Naturwissenschaft heraus in der Erkenntnis, daß es eine Wirklichkeit (Wirksamkeit) gibt, die mit naturwissenschaftlich relevanten Begriffen nicht zu beschreiben ist. Man wird dabei zu bedenken haben, daß die naturwissenschaftliche Erkenntnis sich in den letzten Jahrhunderten ständig ausgeweitet hat, so daß immer weitere Bereiche des Unerklärlichen in den naturwissenschaftlich erhellten Bereich einbezogen wurden. Das hat vielfach zu der Meinung geführt, daß es für die naturwissenschaftliche Methode des Erkennens keine Grenzen gibt. Im Fall des Begriffes «Entelechie», der von Hans Driesch zur Bezeichnung der Zielstrebigkeit in der lebenden Natur verwendet wurde, ist eine naturwissenschaftliche Erklärung bisher nicht möglich gewesen. Die heute bei Biologen fast allgemein vertretene Auffassung, daß die Kenntnis der DNS und ihrer Funktion in der Zelle den Begriff der Entelechie überflüssig gemacht habe, beruht auf einem Irrtum: Die Formbildung im Bereich der Lebewesen ist durch die bisherigen Kenntnisse über DNS nicht zu erklären. Man sollte andererseits auch nicht meinen, durch Einführung der Begriffe «Entelechie» und «Seele» sei etwas zur naturwissenschaftlichen Klärung des Vorganges beigetragen. Durch Verwendung dieser Begriffe wird lediglich zum Ausdruck gebracht, daß hier etwas wirkt, das mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht zu beschreiben ist. tierte Zellteilung und Zelldifferenzierung nicht denkbar. Die Seele bildet mit der lebenden Materie als deren formende Kraft nach dem berühmten Gleichnis des Aristoteles genauso eine innere Einheit, wie die Form einer Statue mit dem Marmorblock, den sie prägt, zu einem unteilbaren Ganzen verschmilzt. Das Problem des Zusammenhangs von Körper und Seele, das Schopenhauer als den «Weltknoten» bezeichnet hat, kann durch das Studium der Zelldifferenzierung während des embryonalen Wachstums sicher keiner Lösungzugeführt werden; aberesistdoch möglich, daß man es im Zusammenhang mit der DNS-Triplettse-quenz - welche j a als «geschriebene »Information auch kein materielles Prinzip darstellt - unter neuen Aspekten zu sehen lernt. Die Differenzierung der Zellen eines wachsenden Lebewesens zum (mehr oder weniger) formvollendeten Individuum zeigt uns wie vielleicht kein anderer Vorgang in aller Deutlichkeit die Einheit und Ganzheit von Körper und Seele: Einerseits sind ohne das Wirken eines formenden Prinzips im Sinne einer Soll-Wert-Ist-Wert-Kontrolle in der Meß- und Regeltechnik keine lebendige, funktionstüchtige Form und kein Wachsen des Keims zur lebendigen Form des Pflanzen- und Tierkörpers von innen heraus denkbar. Andererseits aber sind das Wachsen und die dadurch sich formende Gestalt total an die in der Primärstruktur, also in der Basensequenz der DNS vorgegebene, materiell fixierte Anweisunggebunden, wie man zum Beispiel an der bis ins Detail gehenden Ähnlichkeit eineiiger Zwillinge erkennt. Auch die erblichen Mißbildungen, die unter Umständen bereits durch die Blockade oder Störung einer oder einiger weniger Enzymsynthesen zwangsläufig ein treten, zeigen in aller Deutlichkeit die engen, im Materiellen, das heißt im Stoff und im Stoffumsatz durch chemische Reaktionen liegenden Grenzen, in denen das Wachsen eines Lebewesens verläuft. Wenn man an die schrecklichen Mißbildungen durch Chemikalieneinwirkung während des Embryonalstadiums und durch Chromosomenaberrationen wie zum Beispiel Trisomie 21 (früher auch Mongolismus genannt) und das unkontrollierte Wachsen von Karzinomen* denkt, ist man versucht, das ganze Kapitel «Leben» mit «Macht und Ohnmacht der Seele» zu überschreiben. * Krebs ist ein Wachstumsvorgang, bei dem die formorientierte Steuerung ausgeschaltet ist und der möglicherweise - wie viele Erkrankungen des Körpers - auch durch psychische Störungen verursacht werden kann. DNS ist nicht nur ein Kettenmolekül, sie ist auch eine Sklavenkette, die das Leben an die Materie fesselt, mit all den grausamen, unerbittlichen Konsequenzen, die sich daraus ergeben. Diese totale Abhängigkeit des Lebens von den materiellen Voraussetzungen beweist indessen nicht, daß Pflanzen, Tiere und Menschen ohne Seele sind, was bekanntlich eine heute weitverbreitete Meinung ist. Das Wirkprinzip Seele ist mit einem Handwerker zu vergleichen, der, um Haus, Fenster, Möbel, Geräte, Instrumente bauen zu können, auf das Vorhandensein von Rohmaterial, Werkzeug und Bauplan angewiesen ist. Das Rohmaterial -für die Pflanze - ist C02, H20, anorganische Salze und Licht, als Werkzeuge dienen die Enzyme, und der Plan ist die jedem Lebewesen eigene DNS. Enzyme und DNS sind in der Keimzelle vorhanden, werden also beim Beginn des Wachsens bereits vorgefunden. Der während des embryonalen Wachstums stattfindende Aufbau vollzieht sich in einer für jeden Techniker äußerst befremdlichen Art, die man als ein dreidimensionales Wachsen von innen heraus wahmimmt und die durch die nicht nur an der Oberfläche, sondern auch im Innern eines wachsenden Körpers stattfindenden Zellteilungen hervorgerufen wird. Auf eine uns nicht erklärliche Weise wissen oder erfahren die Zellen, wo sie sich, wie rasch und wie lange sie sich zu teilen haben, damit der Organismus die ihm durch die Erbinformation vorgegebene Gestalt annimmt. Sie erfahren auch genau, an welchen Stellen und wie sie sich in Knochenzellen, Nervenzellen, Gefäßzellen, Blutkörperchen usw. umzuwandeln haben. Bisher ist kein Mechanismus bekannt, der nur auf Grund der Anwesenheit oder Abwesenheit bestimmter Enzyme auf dem Wege der Zellteilung makroskopische Gebilde mit genau definierter Gestalt hervorbringt: eine Hand, ein Bein, einen Augapfel, ein Gesicht oder die geometrisch genau festliegende Führung von Nervensträngen und Blutgefäßen mit ihren komplizierten, aber wohldefinierten Krümmungen und Verästelungen, oder die bewunderswerte Mechanik eines Gelenks. Das Wort von der «Selbstorganisation der Materie», die heute vielfach als Ursprung des Lebendigen angesehen wird, ist leicht ausgesprochen, aber seinen physikalisch-chemischen Inhalt kennen wir nicht. Es dürfte sicher sein, daß bei den Vorgängen der Zelldifferenzierung während des Wachstumsprozesses hochkomplizierte, ineinandergreifende, automatisch wirkende Regelkreise eine bedeutende Rolle spielen. Automatisch arbeitende Regelsysteme benötigen jedoch - wenn sie funktionieren sollen - Sensoren oder Meßsonden (etwa Kontaktthermometer oder Pt-Widerstandsfühler bei Thermostaten), die den jeweiligen Ist-Zu-stand mit dem Soll-Zustand vergleichen. Wir können uns weder denken, wie die vollständige Information über den Soll-Zustand einer bestimmten makroskopischen Körperform (Außen- und Innenform) als Basentriplettsequenz auf der DNS untergebracht sein soll, wo wir doch wissen, daß dadurch lediglich die Synthese von Proteinmolekülen mit bestimmter, codegerechter Aminosäuresequenz ermöglicht wird noch können wir uns denken, wie das Kontrollsystem beschaffen sein soll, das den Wandel der Form während des Embryonalwachstums beobachtet und durch Regulation von Teilungsgeschwindigkeit und Differenzierung der Zellen den Zellverband seinem Soll-Wert, dem fertig ausgebildeten Individuum, entgegensteuert. Weder physikalische Faktoren wie die Schwerkraft oder elektrische oder magnetische Felder oder Lichteinwirkung oder Lichtwechsel, noch chemische Faktoren wie unterschiedliche Ernährung oder Stimulation von Zellen durch verschiedene Diffusionswege oder -geschwindigkeiten verschiedener Stoffe kommen für ein derartiges Kontrollsystem in Frage. Die Informationsübertragung durch Konzentrationsgradienten und Stoffaustausch scheint besonders nahezuliegen, weil bei einigen Mikroorganismen die Regulierung von Enzymsynthesen nach dem Schema des anabolischen oder katabolischen Operons* nachgewiesen wurde. Zur Bildung eines räumlichen Musters verschiedener Induktorkonzentrationen sind Diffusionsvorgänge jedoch ungeeignet, denn erstens erfolgt durch Diffusion stets ein Konzentrationsausgleich [2. Hauptsatz der Thermodynamik), so daß auf größere Entfernungen Konzentrationsgefälle immer geringer und die zu differenzierenden Zonen immer unschärfer werden, und zweitens verlaufen Konzentrationsgradienten konzentrisch um das Diffusionszentrum, so daß eine gezielte Steuerung, wie sie bei der embryonalen Entwicklung effektiv vorhanden ist, durch Diffusion nicht möglich ist.** Eine orientierte Diffusion, das heißt verschiedene Diffusionsgeschwindigkeiten in verschie- ' Ein- und Ausschalten von Enzymsynthesen durch Stoffkonzentrationen.'1'61 * * Das gilt grundsätzlich auch für die vieldiskutierten “dissipativen Muster»65, die durch oszillierende chemische Reaktionen entstehen. Formbildung durch dissipative Muster würde ein räumliches Muster von Reaktionszentren voraussetzen, dessen Entstehung so rätselhaft wäre wie die Formenbildung selbst. denen Richtungen, setzt bereits eine Differenzierung voraus. Daher ist das in der folgenden Abbildung gezeigte «spielerische Modell» von Carsten Bresch, das von einer spontan auftretenden Veränderung (i) einer Zelle (schwarzer Kreis) eines zunächst homogenen Zellverbandes ausgeht, von der aus dann durch Diffusion ein Hemmstoff ausgesandt wird, der eine Veränderung zweiter Art um so sicherer verhindert, je höher seine Konzentration ist, so daß sich an der entferntesten Stelle mit der größten Wahrscheinlichkeit diese Verändemng (2) (weißer Kreis) ereignet, nur dazu geeignet, die ganze Hilflosigkeit zu demonstrieren, mit der wir als Chemiker vor dem Phänomen der Differenzierung stehen, aber auch die Unbekümmertheit vieler Biologen, mit der sie physikalisch-chemischen Vorgängen allerlei geheimnisvolle Fähigkeiten zuschreiben, die sie nun einmal nicht haben. Man versuche nur einmal, die Entstehung von so verschiedenen Gebilden wie Nervenzellen und Muskelzellen in unmittelbarer Nachbarschaft von wenigen 10 oder 50 Ä Abstand durch Polarisierungsund Diffusionsmechanismen zu verstehen, deren Prinzip durch das BRESCHsche Schema dargestellt wird. Ein «spielerisches Modell- zur Veranschaulichung des Prinzips der Zelldifferenzierung durch Konzentrationsgefälle von Effektoren oder Hemmstoffen infolge einer von bevorzugten Punkten ausgehenden Diffusion nach C. Bresch62 1 Zufällige Entstehung einer Sonderzelle (1), die einen Hemmstoff produziert, der die Entstehung von Sonderzellen (2) verhindert 2 Sonderzelle (2) entsteht in größter Entfernung von (1), weil dort die Hemmstoffkonzentration am geringsten ist 3 Oben-unten-Altemative und Symmetrieachse als Folge der Sonderzellen 4 Sonderzelle (2) hat die Eigenschaft, sich vorübergehend rascher zu teilen 5 Durch Stoffe, die verschieden rasch von (1) und (2) diffundieren, entstehen da, wo sich beide Stoffe in Außenzellen treffen, Sonderzellen (3) und (4), von denen aus die Arme und Beine wachsen Wachsen - Bauen - Montieren Das Befremdliche des embryonalen Wachstums, das wir uns eigentlich gar nicht richtig vorstellen können, ist uns im allgemeinen nicht bewußt, weil wir es buchstäblich von Kindesbeinen an gewohnt sind. Es wird uns aber bewußt, wenn wir uns fragen, wie wir denn wohl einen funktionsfähigen Tier- oder Menschenkörper bauen würden, der nicht nur wie die Gebilde der Künstler aus Stein oder Holz in seinen äußeren Umrissen, sondern auch im Innern völlig naturgetreu beschaffen sein soll. Wir könnten gar nicht anders Vorgehen als so, wie es ein Handwerker, Ingenieur oder Architekt gewöhnlich tut: Wir müßten unter zweidimensionaler Kontrolle bauen, das heißt, wir müßten an einer Stelle, beispielsweise bei den Zehen oder am Kopf anfangen und dann Zelle für Zelle, Teil für Teil zusammenfügen in der Art, daß man - wie beim Bau eines Hauses - stets zweidimensionale Schnitte zur Hand und vor Augen hat, um die zu bauende und langsam entstehende Form mit dem Plan vergleichen zu können. Der Plan selbst würde bei diesem Vorgehen aus einer sehr großen Anzahl (Größenordnung io7 bis io8) einzelner Schnittzeichnungen bestehen müssen, wenn er Lage, Größe und Form jeder einzelnen Zelle enthalten sollte. Auch dem Chirurgen, der in Teilbereiche eines Körpers Einblick nehmen und dort Eingriffe vornehmen will, bleibt nichts anderes übrig, als Schnitte zu legen: Er öffnet die in sich geschlossene Körperform mit dem Skalpell und sieht den Innenbereich des Körpers, in dem er operieren will, durch Aufspreiten des Schnittes flächenhaft vor sich. Nach dem Eingriff überläßt er es der Natur, nach grobem Zusammenfügen der Trennflächen, wieder zusammenzuwachsen, zu heilen. Der Göttinger Anatom Erich Blechschmidt hat die Schnittserienmethode verwendet, um den inneren Aufbau von menschlichen Embryonen in verschiedenen Wachstumsphasen sichtbar zu machen. Die Embryoleichen wurden in außerordentlich zahlreiche dünne Schnitte zerlegt. Die Schnitte wurden durch Anfärbemethoden präpariert und abgebildet und lieferten so die »Zeichnungen», nach denen größere Schnittserienrekonstruktionen aus Kunststoff angefertigt wurden. Eine andere Art des technischen Bauens ist die Montage, wie sie bei Instrumenten, Maschinen und Industrieanlagen üblich ist. Hier werden fertige, das heißt die endgültige Form und Größe be- Schnittserienre- konstruktion eines 7,5 mm großen menschlichen Embryos nach Erich Blechschmidt63 zur Veranschaulichung eines überall gleichzeitig erfolgenden zentral gesteuerten Wachsens von innen heraus. In der Kopfpartie: Ausbildung des Gehirns. Im fertig ausgebildeten Zustand besteht das menschliche Gehirn aus schätzungsweise mehreren Milliarden Neuronen, die alle sinnvoll untereinander durch Ner- venstränge -verdrahtet” sind. Man versuche sich vorzustellen, wie das durch Diffusion von Stoffen und ein dadurch entstehendes Konzentrationsmuster geschehen sein soll. In der Rumpfpartie: Herz-Leber-Massiv. Seitlich am Herzwulst bereits die Anlage des Handtellers. reits besitzende Einzelteile oder Stücke (Funktionseinheiten wie Zahnräder, Kugellager, Ventile, Linsen, Federn, Rohrleitungsstücke usw.) zum Ganzen zusammengefügt. Auch diese Art des Vorgehens beim Bau dreidimensional-räumlicher Strukturen ist vom organischen Wachsen grundverschieden, wenn auch das fertige Werk, die Maschine, etwa das Uhrwerk oder die chemische Produktionsanlage, zu Vergleichen mit dem lebenden Körper herausfordert. Eine dritte Art des Formgebens ist das Gießen flüssiger oder plastischer Massen (Bronze, Stahl, Polymerwerkstoffe) in vorgegebene Formen, deren Umrisse nach Größe und Gestalt genau kopiert werden. Die so erhaltenen Körper sind innerlich struktur- los (soweit man von der Kristallstruktur und dem Gefüge der aus dem flüssig-plastischen Zustand erstarrten Werkstoffe absieht). Durch Vergleiche des Wachsens mit unseren Techniken des Konstruierens, des Bauens, Montierens und Gießens, erkennt man Parallelen und Unterschiede. Man erkennt auch die Überlegenheit des Bauens von dreidimensionalen Strukturen durch stetige Kontrolle von einem nicht an diese drei Dimensionen gebundenen und durch sie beschränkten Kontrollzentrum aus. Ein von einem höherdimensionalen Raumsystem aus operierendes Regelsystem könnte ein dreidimensionales Wachsen genauso leicht überschauen und kontrollieren, wie wir -von oben», aus der dritten Dimension, ein flächenhaft wachsendes Gebilde überblicken und steuern können. Denn mit der gleichen Leichtigkeit und Vollständigkeit, mit der uns von der dritten Dimension aus alle Details eines flächenhaften Mosaiks unmittelbar, das heißt ohne daß der Zugang zu der zu kontrollierenden oder zu bearbeitenden Stelle erst vom Rande her freigelegt werden müßte, zugänglich sind, sollte das Innere von dreidimensionalen Gebilden von einer höheren Dimension aus direkt zugänglich und offen sein. So aber müssen unsere Monteure immerzu in einer im Bau befindlichen dreidimensionalen Anlage hemmlaufen und hemmklettern, um den Fortschritt des Baues durch Messen linearer und planarer Dimensionen, die durch flächenhaft darstellende Baupläne (Querschnitt- und Aufrißzeichnung) vorgeschrieben sind, zu beobachten und zu kontrollieren. Wäre der Bau für uns nicht offen, das heißt wären die Lücken zwischen den räumlich-massiven Bauelementen kleiner als unsere Körperdimensionen oder unsere Instrumente, so wäre all unsere Intelligenz nutzlos, wir könnten den Bau nicht realisieren. Genau das aber ist bei den Pflanzen- und Tierkörpern der Fall: Sie sind für uns geschlossen. Jeder Eingriff erfordert den öffnenden Schnitt, um den flächenhaften Überblick und die Operation von der Oberfläche her zu ermöglichen. Nur mit großem Aufwand ist es möglich, auf offenen, «begehbaren>> Kanälen Sonden (Katheter) ins Körperinnere einzuführen, zum Beispiel über Arterien in die Herzkranzgefäße, über die Harnwege bis zu den Nieren oder durch die Speiseröhre in den Magen. Und selbst von diesen Kanälen aus sieht man immer wieder nur Oberflächen und niemals das eigentliche Innere eines Körpers, das in allen Details nur «von oben», also von einer höheren Dimension her erfaßt werden kann. Um sich die Besonderheit und das Befremdliche des organi- sehen Wachsens vor Augen zu führen, sollte man noch andere Beispiele zu geschlossenen Körpern mit bestimmten Formen führenden Wachsens zum Vergleich heranziehen: das Kristallwachstum und die Kondensation gasförmiger Materie, die wegen der Oberflächenspannung stets primär zu kugelförmigen Gebilden führt (vom Nebeltropfen bis zu den riesigen Gasbällen der Fixsterne). Im Gegensatz zu dem durch Intelligenz planmäßig gesteuerten «Wachsen» von Maschinen und Fabrikanlagen folgt dieses Wachsen nur den Gesetzen der Thermodynamik, so daß dabei ein Minimum an potentieller Energie resultiert. Nur von Temperatur und Druck hängt es ab, ob der Vorgang zur Kondensation, also zur Bildung von Assoziaten, oder aber zur Auflösung von Assoziaten führt (Verdampfung, Diffusion, Auflösung). Es ist zwar Mode geworden, den Unterschied zwischen intelligenter Steuerung und Molekülassoziationen dadurch zu verwischen, daß man den Molekülen intelligentes Verhalten zuschreibt (Moleküle haben Gedächtnis, Moleküle erkennen sich usw.), aber der Unterschied zwischen dem Wachsen einer Pflanze oder eines Tieres und dem Wachsen eines Kristalls aus einer Lösung bleibt für jeden bestehen, der willens ist, ihn zu sehen: Es ist der gleiche Unterschied, der zwischen belebt-beseelter und toter Materie besteht. Es gilt zwar auch für den Menschen, daß er Staub ist und zu Staub zurückkehren wird, aber zwischen dem Staub, der er während seines Lebens ist und dem Staub, als der er zu Grabe getragen oder verbrannt wird, besteht jener Unterschied, der das Leben ausmacht. Selbstmontage Dem Vorgang der Kristallisation ist ein Assoziationsprinzip, das als Selbstmontage bekannt ist, eng verwandt, das man auch als Lego-Prinzip* bezeichnen könnte. Es spielt bei Proteinen und Nucleinsäuren eine bedeutende Rolle: Die Makromoleküle besitzen entlang der Kette eine bestimmte Folge von funktionellen Gruppen, deren Abstand sich aus der enzymatischen Synthese durch die Basensequenz der DNS zwangsläufig ergibt. Im Zusammenwirken mit räumlichen Faktoren entsteht daraus spontan * Der Lego-Baukasten der Natur enthält Tausende bis Millionen von verschiedenartigen Bausteinen und Paß-Mustern. eine bestimmte Tertiärstruktur, die ihrerseits - nun überwiegend durch räumliches Aneinanderpressen und Einrasten in Positionen minimaler potentieller Energie - Strukturen höherer Ordnung zum Beispiel aus vier Untereinheiten ausbilden können. Proteinmoleküle oder Polysaccharidmoleküle an der Oberfläche von Zellen können nach dem gleichen Einrastprinzip bestimmte Zellassoziationen zwangsläufig-spontan herbeiführen. Ein instruktives Beispiel für das hervorragende Funktionieren dieses Lego-Prinzips ist die zum Teil spontan erfolgende Montage von «vorgefertigten» Teilen des Coli-Phagen T4 zum intakten, virulenten Phagenpartikel. Durch Unterschung von Mutanten ließ sich ein bereits erstaunlich gutes Bild von dem Bildungsmechanismus erhalten, wobei freilich die den Teilab- Genkarte des Coli-Phagen T4 mit ringförmiger DNS. Die Karte wurde mit Hilfe von Defektmutanten aufgestellt Nach W. B. Wood und R. S. Edgar64 schnitten zugrunde liegende Chemie noch völlig im dunkeln liegt. Abbildung S. 152 zeigt die der Ring-DNS des Phagen entsprechende Genkarte und Abb. S. 153 die Montage, links die Spontanmontage von Teilstücken am Beispiel von Mutanten mit defekten Genen und rechts das Schema der Gesamtmontage, bei der freilich nur ein Teil der Schritte nach dem Einrastprinzip erfolgt. Es kann als sicher gelten, daß das Selbstmontageprinzip beim Aufbau von Organen eine bedeutende Rolle spielt. Ebenso sicher ist es aber, daß höhere Organismen ihre Form nicht nach diesem Prinzip erhalten können, es sei denn, die Zellen erfahren von Kontrollzentren, welche Art von Paßstellen sie jeweils auszubilden haben. Mutante defekt m Mutante defekt in Gen 27 Gen 23 aktive Phagen-PaMikel Q Schwanz 56 7.8.10.2526 ..27 28 29.51 S3 \ 9.11 12 \ Kopf : 20. 21 22 i 23.24.3V 2.0 60 O ■16.17. C9 Schwanztaden Montage des Coli-Phagen T4 durch «seif assembly» a Zwei Defektmutanten liefern nur ein unvollständiges Sortiment von Teilstücken. Bei Vereinigung beider Lösungen entstehen virulente Phagen b Durch das Studium von Defektmutanten ermitteltes Schema der Gesamtmontage. Die Zahlen geben die Gene an, bei deren Blockierung die jeweiligen Teilschritte unterbleiben Nach W. B. Wood und R. S. Edgar64 Wie das Wachsen im einzelnen auch stattfindet, es ist ein automatischer Vorgang mit einer Vielzahl von ineinandergreifenden, aufeinander abgestimmten Regelkreisen, die nur dann funktionieren können, wenn eine Steuerzentrale da ist, die imstande ist, die jeweils erreichte Ist-Form - mit allen inneren Details - mit der angestrebten Soll-Form zu vergleichen und die Wachstumsprozesse an den vielen (Größenordnung: > Milliarden) einzelnen Stellen eines wachsenden Lebewesens zu koordinieren. Was uns für das Verständnis des Wachstumsvorgangs fehlt, ist die Kenntnis des Systems, das in der Lage ist, Form zu erkennen und die Bausteine (Zellen, Proteine) mit dem Ganzen des wachsenden Lebewesens in Beziehung zu setzen, das heißt ortsbezogene Anweisungen für die Proteinsynthese zu geben, eine Art Code also zwischen Form und Materie. Der Vergleich von Kristallwachstum mit Pflanzen- oder Tierwachstum läßt den Unterschied zwischen Flächenwachstum und räumlichem Wachstum (Wachsen von innen her) deutlich erkennen: Beim Kristall reiht sich an der Kristalloberfläche Atom an Atom, Molekül an Molekül, immer in gleichbleibender Anordnung. Die Bausteine bleiben unverändert, sie werden im fertigen, endgültigen Zustand auf der Oberfläche des Kristalls in das Kristallgitter eingebaut. Die Bausteine der lebenden Körper dagegen, die Zellen, sind in fortwährender Veränderung: Sie teilen sich und differenzieren sich, das heißt das Wachsen erfolgt nicht an der Oberfläche, sondern überall, auch im Innern des wachsenden Körpers, gleichzeitig, aber nicht gleichmäßig, sondern differenziert, hier langsam, dort rasch, hierzu Nervensträngen, dortzuMembra-nen, hier zu Haaren, Nägeln, dort zu Augenlinsen, zu Blutkörperchen usw. Chemische Reaktionen von der Art, wie wir als Chemiker sie kennen und untersuchen, sind grundsätzlich nicht in der Lage, von sich aus, also ohne Steuerung, Körperformen von der Art der Pflanzen und Tiere auszubilden. Eine Steuerung anzunehmen, die in den Reaktionen selbst liegt, halte ich für einen falschen Denkansatz. Hier werden - bevorzugt von Biologen - in die Moleküle und ihre Reaktionen Fähigkeiten hineingezaubert, die sie einfach nicht besitzen. Wir kennen keinen physikalisch-chemischen Vorgang, der beispielsweise beim Wachsen eines Armes zu erkennen gestattete, wann eine laut Plan (wie dieser auch immer beschaffen sein mag) gegebene Länge erreicht ist, ganz abgesehen von der noch viel differenzierteren inneren Gestaltung des Armes, den Gelen- ken, Knochen, Sehnen, Nerven- und Muskelsträngen. Wir haben auch nicht die geringste Kenntnis darüber, ob und wie eine dafür erforderliche Information, der Bauplan, auf der DNS deponiert ist. Gerade weil wir wissen, daß die DNS-Information in Form von Basentripletts vorliegt und diese Basentripletts nach dem Schema des genetischen Code in Aminosäuresequenzen von Enzymen oder Hormonen umgesetzt werden, fällt es dem Chemiker schwer, einen praktikablen Modus zu sehen, nach welchem die Entstehung dieser Enzyme von der räumlichen Lage der Zellen im wachsenden Organismus abhängig ist, wobei man immer bedenken muß, daß die Form der Eizelle, von der aus das Wachstum beginnt, bei all den verschiedenen Lebewesen weitgehend gleich ist, und die Form, die erst entstehen soll, noch keinen Einfluß auf die Produktion von Effektoren, Induktoren und Repressoren, die die Freigabe der jeweils richtigen DNS-Abschnitte bewirken, ausüben kann. Eine Signalisierung durch Nervenreize scheidet aus, da die Nervenstränge erst einmal gebaut werden müssen. Aber selbst wenn sie vorhanden wären, wie sollten die Enden wissen, wo welche Zellen zu bilden sind, wenn kein Steuer- und Kontrollzentrum zu erkennen ist und vielmehr jede einzelne Zelle dieselbe komplette Produktionsanweisung für Enzyme enthält? So lassen sich Zellkerne aus Zellen der Darmschleimhaut von ausgewachsenen Fröschen (Xenopus laevis) in entkernte Eizellen transplantieren, die sich dann zu normalen Fröschen entwickeln. Die Umgebung des die DNS enthaltenden Kerns ist also entscheidend dafür, welche Abschnitte der DNS jeweils in Funktion treten.66 Stoffkonzentration und Form Seit O. T. Avery bei seinen Transformationsversuchen mit Pneumokokken nachgewiesen hatte, daß die DNS des Donorstammes das «transformierende Prinzip» war, ist es mehr und mehr üblich geworden zu sagen, DNS sei der stoffliche Träger «der Erbinformation». Richtig ist, daß weitere Verbindungen, die als Informationsträger in Frage kämen, nicht bekannt sind. Sicher ist aber auch, daß wir nicht wissen, wie mit Hilfe eines Systems, dessen Anweisungen sich auf die Produktion von Proteinen mit definierter Aminosäuresequenz beschränken, das formbildende Wachstum gesteuert werden soll. In wachsenden Pflanzen- und Tierkörpern erfolgt nicht nur die Zellteilung, sondern überhaupt die Produktion von Stoffen in strenger Abhängigkeit von der jeweiligen Lage in einem durch das Formprinzip eines Körpers gegebenen, in den Zellen des Körpers selbst fest verankerten räumlich-zeitlichen Koordinatensystems, das - zumindest bei höheren Tieren - von den durch die Astronomie gegebenen Raumkoordinaten weitgehend unabhängig ist. Es kann keinem Zweifel unterliegen, daß der Mechanismus von Freigabe und Verschluß der DNS-Abschnitte, die über Transkription und Aminosäuresequenz die Enzymaktivität steuern, seinerseits wieder durch ein Konzentrationsmuster verschiedener Stoffe (Induktoren/Repressoren) gesteuert wird. Damit ein solches sich auf ein dreidimensionales Koordinatensystem erstreckendes Konzentrationsmuster in streng koordinierter zeitlicher Abfolge steuernd wirksam werden kann, muß es erst einmal aufgebaut werden. Nun ist es zwar möglich, daß in einer Kaskadenreaktion nach und nach durch die von Reaktion zu Reaktion entstehenden Stoffe immer neue DNS-Abschnitte zur Kopie freigegeben und auch wieder verriegelt werden. Aber eine solche Reaktionsfolge ist ihrem Wesen nach ortsblind und zur Musterbildung unfähig, weil Zonen mit scharfen Konzentrationsgrenzen, die der Bildung von unterschiedlichen Geweben mit präziser räumlicher Begrenzung vorausgehen müssen, ohne bereits vorgebildete strukturelle Anisotropien nicht entstehen können. Denn durch Diffusion (ohne vorgegebene strukturelle Anisotropie) bilden sich um jedes Erzeugerzentrum konzentrisch-kugelsymmetrische Zonen gleicher, mit zunehmender Entfernung vom Zentrum stetig abfallender Stoffkonzentration. Induktoren, die die Produktion von bestimmten Enzymen, die ihrerseits wieder bestimmte Syntheseschritte katalysieren, blok-kieren oder freigeben, können nur dann formbildend wirksam werden, wenn sie in bestimmten räumlichen Bezirken anwesend sind, in anderen aber nicht, denn nur so kann in verschiedenen Zonen eine unterschiedliche Teilungsgeschwindigkeit und eine verschiedenartige Ausgestaltung der Zellen möglich werden. Nun haben aber Konzentrationsdifferenzen normalerweise stets das Bestreben, sich durch Diffusion auszugleichen. Es hat daher großes Aufsehen erregt, als chemische Reaktionen gefunden wurden, die auf Grund von Rückkoppelungsmechanismen (Autokatalyse) in der Lage sind, in zunächst homogenen Medien Konzentrationsdifferenzen von selbst entstehen zu lassen. Bei geeigneter Wahl der Ausgangskonzentrationen bilden sich zum Beispiel bei der BELUSOV-ZHABOTiNSKii-Reaktion Konzentrationsmuster in Form von parallel verlaufenden Streifen oder - bei Anwesenheit von Initiierungskeimen, zum Beispiel Staubpartikeln (sogenannten «Schrittmachern») -in Form von konzentrischen Kreisen, die durch Farbindikatoren sichtbar gemacht werden können und die als «dissipative Muster» bezeichnet und im Zusammenhang mit der biologischen Formbildung (Morphogenese) viel diskutiert werden.65,39 Ein wesentliches Merkmal dieser Reaktionen ist die strenge Periodizität der zu beobachtenden zeitlichen oder räumlichen Konzentrationsschwankungen. Nun gibt es zwar im Bereich des Lebendigen einige periodische Phänomene (etwa zeitlich-periodische, wie die Kontraktion des Herzmuskels, oder räumlich-periodische, wie die Anordnung von Schuppen, Haaren, Blättern oder Nadeln), die vielleicht durch oszillierende chemische Reaktionen gesteuert werden können, für die Formbildung im Laufe des biologischen Wachsens dagegen ist eine betonte Aperiodizität geradezu charakteristisch zu nennen - in auffallendem Gegensatz zum Kristallwachstum, das zu streng periodischen Strukturen führt. Dissipative Muster sind daher denkbar ungeeignet, die Entstehung biologischer Strukturen zu erklären. Ganz abgesehen davon aber sollte man bei der Diskussion über die Entstehung lebender Form durch Diffusion oder dissipative Muster nicht übersehen, daß man auf diesem Wege dem Kern des Problems nicht näherkommt, denn die Steuerung der Formbildung durch die Konzentration von Induktoren - die bestimmte Enzymsynthesen freigeben oder blockieren - mit Hilfe von Diffusionsvorgängen oder oszillierenden chemischen Reaktionen setzt bereits Form voraus, nämlich das räumliche Muster der Erregungszentren beziehungsweise die zeitliche Änderung dieses Musters im verfügbaren Raum. Die Entstehung eines solchen Musters aber ist ebenso rätselhaft wie die Entstehung der Form selbst. Die im Zusammenhang mit der Embryonalentwicklung oft zitierte, von dem französischen Mathematiker R. Thom67 entwickelte Theorie zur Stabilität und Gestaltung biologischer und physikalischer Formen («Katastrophentheorie») betrifft nicht die hier behandelte Frage nach dem Zusammenhang von Basensequenz der DNS und Gestalt der Lebewesen. Unsere Kenntnisse über DNS-Replikation und Transkription gemäß dem genetischen Code sind vornehmlich an Mikroor- Q b a Das Gefäßsystem des menschlichen Herzens (Röntgenkontrastaufnahme: Bayer AG) als Beispiel für aperiodische Formbildung im Bereich der lebenden Natur b Polyformaldehydkristall (nach E. W. Fischer) als Beispiel für periodische Stmktur im Bereich der Polymerwerkstoffe ganismen, Einzellern, Viren und Phagen oder im Reagenzglas gewonnen worden, und die bisher bekannten Regelvorgänge (Lac-Operon u.ä.) beziehen sich ausschließlich auf die Regelung von Stoffkonzentrationen in Lösung. Das Problem der Formwerdung durch Zelldifferenzierung und formgesteuerte Zellteilung existiert bei Viren und Phagen nicht. Es ist daher mehr als voreilig, das, was man bei Viren und Phagen kennengelernt hat, als das Ganze des Lebens zu betrachten und zu übersehen, daß durch Phagenstudium das Wesen des Lebens in keiner Weise erhellt wurde. Eher das Gegenteil ist wahr: Das Hoffnungslose unseres Beginnens, das Geheimnis des Lebens zu entschleiern, das heißt: durch physikalisch-chemische Vorgänge zu beschreiben, ist durch die Kenntnisse von der DNS-Syn-these und von der Art und Weise, wie genetische Information gespeichert und ausgewertet wird, erst recht deutlich geworden. Postdarwinistischer Blick auf das Leben Das Phänomen «Leben» Man muß nicht Naturwissenschaftler sein, um von der Vielgestaltigkeit der Natur fasziniert zu sein: In der Biosphäre unseres Planeten gibt es Leben in Gestalt von über 500000 Pflanzenarten und über doppelt soviel Tierarten - allein die Insektenordnung der Käfer umfaßt an die 300000 Spezies! Und von der Amöbe bis zum Baobab, dem wohl größten Organismus unserer Erde (Adansonia digitata oder auch Affenbrotbaum), bestehen alle Pflanzen und Tiere und Menschen aus Zellen. Im Kern jeder einzelnen lebenden Zelle findet sich immer der gleiche Typus von Makromolekülen, nämlich DNS, die sich bei den vielen Arten von Lebewesen nur durch ihre Kettenlänge und ihre Sequenz, das heißt die Reihenfolge der vier Nucleotidbau-teile, unterscheiden. Auch die Art und Weise, wie die genetische Information gespeichert und abgenommen wird, der Triplettraster, der genetische Code, die Übertragung der Triplettfolge der DNS-Ketten in Proteinketten mit entsprechender Aminosäuresequenz durch Transkription und Translation, dies alles ist von der gleichen Art bei Bakterien, Pflanzen und Tieren, weil es zur Inneneinrichtung einer Zelle gehört und alle Lebewesen aus Zellen bestehen. Auffallend ist, daß sich an dieser Organisation im Innern der Zelle in so langer Zeit, also während der Erdgeschichte im Laufe von drei bis vier Milliarden Jahren, so gut wie nichts geändert hat. Vielgestaltigkeit also in Form und Bauplänen, Uniformität aber an der molekularen Basis: ein nicht zu übersehender Hinweis auf die gemeinsame Wurzel allen Lebens. Was tun die vielen Lebewesen hier auf der Erde? Man weiß es natürlich: Sie leben und sterben jedes auf seine Weise. Einige Län- der unternalten eine aufwendige Verhaltensforschung, um bei immer mehr Tieren immer genauer zu untersuchen, was sie während ihres Lebens so tun und treiben, erleben und erleiden. Es ist gewiß reizvoll, Tieren zuzusehen, wie sie spielen und sich ihres Lebens freuen. Das tun sie aber nicht immer, genaugenommen nur kurze Zeit, denn das Leben ist alles andere als nur Spiel, es ist blutiger Ernst. Das Leben der Pflanzen und Tiere, so arten- und formenreich sie auftreten und so verschieden ihre Lebensweise im Detail auch sein mag, ist im Grunde doch recht eintönig und bei allen Lebewesen gleich (wie die molekulare Basis): geboren werden, Nahrung aufnehmen, wachsen, für Nachkommen sorgen und sterben. Pflanzen entfalten keine Aktivität, alles geschieht scheinbar von selbst und zwangsläufig: das Aufsteigen der wäßrigen Salzlösungen aus dem Boden und die Assimilation, das ist die Umwandlung von Kohlendioxid und Wasser in Glucose bei Lichteinwirkung in den Blättern, alles geschieht, ohne daß die Organe der Pflanze (abgesehen von wenigen insektenfangenden Arten) aktiv bei der Nahrungsaufnahme mitwirken, im Gegensatz zu Tieren, die die Nahrung suchen und sie oft in dramatischer Jagd verfolgen und erbeuten müssen. Auch die Suche des Geschlechtspartners, die Paarung und die Aufzucht der Jungen erfordert das aktive, wenn auch instinktgesteuert-zwangsläufige Mitwirken des Tieres. Die Fähigkeit, durch Photo- oder Chemosynthese organische Kohlenstoffverbindungen herzustellen, besitzen nur die autotro-phen, die «sich selbst ernährenden» Pflanzen. Indessen vermögen die meisten Bakterien, alle Pilze und einige nichtgrüne höhere Pflanzen ebenso wie sämtliche Tiere ihren Kohlenstoffbedarf nur durch den Abbau bereits vorher produzierter organischer Substanz zu decken. Die heterotrophen Lebewesen (uns Menschen natürlich eingeschlossen) sind im weitesten Sinne Schmarotzer, weil sie nämlich parasitär von der Syntheseleistung der autotro-phen Pflanzen leben. Unter chemischen Aspekten ist der Tierkörper ein kontinuierlich arbeitender Reaktor vom Typ des Strömungsrohres: Die Nahrung, hauptsächlich Polysaccharide in Form von Blättern, Getreide usw. und Proteine in Form von Milch und Fleisch, wird periodisch eingespeist und durchläuft, peristaltisch gefördert, die verschiedenen Abschnitte des Verdauungstraktes. Unter dem Einfluß von Enzymen werden die kettenförmigen Makromoleküle der Proteine und Polysaccharide in ihre Bestandteile zerlegt: die Proteine in Aminosäuren und die Polysaccharide (ganz überwiegend in Form von Stärke) in Glucose, bekannt als Traubenzucker. Aminosäuren und Glucose können die Darmwand passieren. Glucose wird in den Körperzellen als Energielieferant benutzt (und dabei wieder in Kohlendioxid und Wasser umgewandelt). Die Aminosäuren dienen zur Synthese von körpereigenen Proteinen, die teils als Gerüstsubstanz tierischer Zellen, teils als Enzyme, das heißt als Biokatalysatoren, die den Stoffwechsel steuern, benötigt werden. Nicht alles, was vom Tierkörper als Nahrung aufgenommen wird, wird im Körper verwertet. Ein erheblicher, bei verschiedenen Nahrungs- und Futtermitteln verschieden großer Anteil wird ungenutzt ausgeschieden. Im Idealfall werden die tierischen und menschlichen Verdauungsrückstände in der Landwirtschaft als Naturdünger verwendet und so dem Kreislauf des Lebens wieder zugeführt. Das dicht besiedelte Mitteleuropa hat sich von diesem Ideal einer zyklischen, biologischen Wirtschaftsform freilich immer weiter und weiter entfernt. Ich habe den Tierkörper mit einem Strömungsrohr-Reaktor verglichen. In der chemischen Industrie werden Strömungsrohr-Reaktoren betrieben, um aus einem - für Menschen - geringerwertigen Rohstoff ein - für Menschen - höherwertiges Reaktionsprodukt herzustellen, zum Beispiel aus Erdöl Kunststoffe wie Polyaethylen und Polystyrol oder synthetische Fasern wie Polyamide (Nylon) und Polyaethylenterephthalat (Diolen, Trevira), die dann zu Kleiderstoffen, Teppichen, Gardinen, Möbelbezügen und dergleichen weiterverarbeitet werden. Der Reaktor hat dabei nur die Funktion eines Behälters, der die miteinander reagierenden Stoffe für die Dauer der Reaktion aufnimmt, ist also nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel zum Zweck, nämlich zur Produktion von nützlichen Erzeugnissen, die den Reaktor als ■■Austrag» verlassen und direkt oder nach verschiedenen Reinigungsoperationen ihrer Verwendung zugeführt werden. Im biologischen Bereich entstehen gerade umgekehrt aus vergleichsweise hochwertigen* Ausgangsstoffen, nämlich lebenden Organismen, die als Futter zugeführt werden, bei der Magen-Darm-Passage relativ minderwertige* Stoffwechselprodukte, * Der Wert einer Sache ist relativ: Wasser ist für den Verdurstenden in seiner Notsituation sicher das Wertvollste schlechthin. Der Ertrinkende dagegen wird aus seiner Sicht über den Wert des Wassers entschieden anderer Meinung sein. So nämlich Wasser und Kohlendioxid, die als solche direkt ausgeatmet werden, sowie Harnstoff und Exkremente, die erst im Boden von Kleinlebewesen zu Kohlendioxid und Wasser umgesetzt werden. Die mineralischen Restbestandteile werden vom Boden aufgenommen. Der Zweck der chemischen Prozesse im «Reaktor Tierkörper» ist daher ganz offensichtlich nicht die Erzeugung wertvoller, nützlicher Stoffe, sondern die Stoffwechselprozesse laufen ab, damit der «Reaktor» betriebsfähig bleibt, das heißt: damit der Organismus am Leben erhalten wird. Das aber nur für eine gewisse, vergleichsweise kurze Zeit, die den Tieren gewährt ist, Nachkommen aufzuziehen, die an ihre Stelle treten, um - wie die Eltemgeneration - zu fressen und gefressen zu werden. Der Tierkörper altert, stirbt und verwest: Er geht, wie zuvor schon die aufgenommene Nahrung, durch die Tätigkeit von Bakterien und Kleintieren oder von Aasfressern nun auch in seiner Gesamtheit in Wasser und Kohlendioxid, H20 und C02, über, das von den Blättern der Pflanzen aufgenommen und mit Hilfe des grünen Blattfarbstoffes Chlorophyll unter Lichteinfluß zum Aufbau der Pflanzenkörper verwendet wird. So schließt sich der Ring: Der Kohlenstoff, der zum Beispiel von Rindern auf der Weide in Form von Gras aufgenommen wird, wird teils als C02 ausgeatmet, teils im Tierorganismus zur Bildung von Milch und Fleisch verwendet, das entweder nach dem Tod der Rinder durch den Verwesungsprozeß in H20 und C02 umgewandelt wird oder aber erst anderen Lebewesen als Milch und Fleisch zur Nahmng dient und nach deren Tod wieder als C02 für das Wachsen von Gras und Blattpflanzen zur Verfügung steht, die erneut von Tieren gefressen werden. In groben Zügen ist das die Chemie des Lebens: Ein Kreisprozeß, der vom Sonnenlicht in Betrieb gehalten wird, denn das Licht ist die Energie, mit deren Hilfe Wasser und Kohlendioxid, das in der Luft nur zu 0,03 Prozent enthalten ist, in den Blättern der Pflanzen in die energiereiche Glucose umgewandelt werden. Durch stufenweise Oxidation, das heißt durch Reaktion von beurteilen wir den Wert einer Sache nach dem Maßstab des Nutzens, den sie uns bringt, oder allgemeiner: nach dem Maßstab der Bedeutung, die sie für uns hat, wie lieb sie uns ist. Eine absolute Wertskala kann sich nur auf ein absolut Höchstes beziehen (vgl. dazu die Fußnote auf Seite 169). Glucose mit dem eingeatmeten Sauerstoff in den Zellen der Organismen, gewinnen die das Leben ermöglichenden chemischen Reaktionen ihre Triebkraft, wobei aus der energiereichen Glucose letztlich wieder die energiearmen Endprodukte H20 und COj entstehen. Leben und Sterben Pflanzen und Tiere sind mehr als Chemikalien. Sie leben und empfinden, jedenfalls die höheren Tiere, Freude und Schmerz wie wir. Zwar sind vor dem Gesetz Pflanzen und Tiere Sachen, die man kaufen und verkaufen kann wie andere Waren. Trotzdem aber ist für den Nachdenklichen und Empfindungsfähigen jedes Pflanzenleben und jedes Tierleben ein Drama, eine Tragödie wie das Leben der Menschen: Es endet mit der Katastrophe Tod. Mit jedem Tod wird ein Meisterwerk zerstört, das allen technischen Werken der Menschen weit überlegen ist. Was übrigbleibt, ist zunächst ein schmutziger, feuchter Fleck: die Fliege an der Wand, der überfahrene Frosch, Igel oder Hase auf der Straße und letztlich Kohlendioxid, Wasser und Mineralstoffe. Schon mit dem Zerschlagen einer Eierschale zerstört man eine gewachsene Form, die durch keines Menschen Geschicklichkeit wiederhergestellt werden kann. In jedem Jahr sterben auf der Welt, bei einer Population von rund vier Milliarden und einem mittleren Lebensalter von 40 Jahren, mnd 100 Millionen Menschen, das sind pro Tag rund 300000 und pro Stunde rund 11000 Tote, soviel wie in der Bundesrepublik Deutschland jährlich im Straßenverkehr oder durch Selbstmord sterben. Pro Minute sterben auf der Erde etwa 200 Menschen. Nicht die Zahl der Toten ist das Schreckliche, sondern das Sterben als solches, der Tod des einzelnen Menschen, des einzelnen Lebewesens. Für jedes einzelne Lebewesen bricht im Tod seine Welt zusammen, für jedes Lebewesen ist der Tod Weltuntergang. Die Dichte einer Population steuert einem stationären Zustand zu, der dann erreicht ist, wenn pro Minute ebenso viele Individuen einer Population sterben, wie neu geboren werden. Wegen der Endlichkeit der Erdoberfläche, besser: der Biosphäre und ihrer Biotope, muß es für jede Population, die keine (oder zu wenige) natürliche Feinde hat, irgendwann zu einer kritischen Bevölkerungsdichte kommen, die sich durch sogenannte Crowding-Effekte (Dichteschäden) zu erkennen gibt, von denen ich nur die Tötung des eigenen Nachwuchses erwähnen will. Man sollte indessen nicht meinen, der Tod sei eine notwendige Folge, die sich aus der Begrenztheit des verfügbaren Raumes ergäbe. Ein solcher Zusammenhang ist nur oberhalb einer kritischen Populationsdichte diskutabel. Sonst aber ist das mittlere Lebensalter nicht von der jeweiligen Populationsdichte abhängig, sondern ist in umweltbedingten Grenzen artspezifisch und genetisch festgelegt. Alter und Tod haben - unter naturwissenschaftlichen Aspekten - keine erkennbare Notwendigkeit, das heißt: es wäre durchaus (was die stoffliche Basis des Lebens betrifft) auch ein System denkbar, das - auf das Individuum bezogen - einem stabilen Fließgleichgewicht zustrebt und in diesem Zustand verharrt. Der Tod durch Gewalteinwirkung würde in diesem Falle freilich noch schrecklicher ins Gewicht fallen. Von eben diesem Tod durch Gewalt, dem «Fressen und Gefressenwerden», soll jetzt die Rede sein. Wie herrlich leuchtet mir die Natur! Wie glänzt die Sonne! Wie lacht die Flur! Es dringen Blüten aus jedem Zweig und tausend Stimmen aus dem Gesträuch, und Freud und Wonne aus jeder Brust. O Erd', o Sonne, o Glück, o Lust! ... So beginnt Goethes verliebtes «Mailied». Die Lebensfreude, die Harmonie der Schöpfung, die belebte Landschaft, ihre Schönheit, das Wachsen, Blühen, Gedeihen, die Resonanz der Menschenseele mit dem Jubel, dem Jauchzen der Schöpfung ist es, was Dichter, Maler und Komponisten zu allen Zeiten angeregt hat, das Großartige und Schöne in der Natur zu besingen und darzustellen. Die Rose, das Veilchen, der Adler, der Falke, Hund und Pferd als Freunde des Menschen sind Themen von Gedichten, Romanen und Gemälden. Wer sich mit dem Formenreichtum der lebenden Natur und ihrer Organismen befaßt, kommt aus dem Staunen über die wunderbare Präzision, mit der alles aufeinander abgestimmt ist, nicht mehr heraus. «Allein schon der Anblick einer Pfauenfeder, wo immer ich einer solchen begegne und sie betrachte, macht mich krank», schrieb Darwin 1860 an seinen amerikanischen Freund Asa Gray. Was Darwin von der Pfauenfeder sagte, hätte er ebensogut von jeder Pflanze, jedem Organ jedes Tieres sagen können. Alle Hymnen, alle Naturbegeisterung, alle Bewunderung ihrer zweckmäßigen Ordnung können aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß letztlich die Welt im argen liegt. «Durch die ganze Schöpfung zieht sich ein Seufzen; sie liegt in Wehen bis auf den heutigen Tag» (Römer8,22). Eine objektive Betrachtungsweise wird die Natur, wird Welt und Leben weder preisen noch beklagen, sondern sich mit der Feststellung dessen begnügen, was man beobachten kann. Dazu gehört freilich auch die Beobachtung, daß es Menschen gibt, die Kampf ums Dasein, Tod und Vernichtung für beklagenswerte Übel halten, und solche, die darin den Weg der Evolution sehen, welcher der darwinistischen Definition gemäß automatisch (dank Selektion) der Weg zum Besseren, Höheren ist. «Haus Waldfrieden» ist ein beliebter Name für Hotels, Pensionen, Sanatorien. Tatsächlich hat man in einem einsamen Waldgebiet unwillkürlich die Vorstellung von Ruhe und Frieden, von ungestörter Natur, zu allen Zeiten von Dichtern besungen, von Malern gemalt, von stressgeplagten, termingejagten Großstadtmenschen gesucht. Und doch ist der Waldfriede in Wirklichkeit ein Zustand eines erbarmungslosen Dauerkrieges aller gegen alle. Auch im Wald hat jedes Lebewesen seine natürlichen Feinde, für die es nichts anderes bedeutet als Beute, Futter, Nahrung. In seines Feindes Rachen ist selbst das zierlichste, anmutigste und schönste Lebewesen nicht mehr wert als der Brei, zu dem die Zähne seines Jägers es zerreißen und zerreiben oder zu dem die Enzyme des Magens das Verschlungene zersetzen. Leben bedeutet meist zugleich Jagd und Flucht. Der Vogel jagt Insekten und flieht vor Mardern und Raubvögeln. Je besser er beides beherrscht, Jagd und Flucht, desto größer sind seine Überlebenschancen. Alle werden gejagt bis auf die Tiere, die Land, Wasser oder Luft beherrschen: die Wölfe, Bären und Katzen: Löwe, Tiger und Panther, die Haie, Wale und Rochen, die großen Greifvögel: Adler, Habicht, Falke und Bussard. Erst im Menschen ist auch ihnen der Jäger erwachsen, der nur noch von seinesgleichen gejagt wird: Mensch gegen Mensch, Menschenmassen gegen Menschenmassen. Wer leben will, muß essen; und wer essen will, muß töten. Selbst im tiefsten Waldfrieden, selbst in einer optimal verbesserten Welt bleibt der Tod, der durch Krankheit, Alter, Unfall oder Überfall erlittene und der den Mitbewohnern unserer Erde zugefügte Tod, es bleibt die beschämende Last der im weitesten Sinne parasitären Lebensweise, das als Schande empfundene Reaktorsein, Reaktionsgefäß, in dessen Innerem die Verwesungsprozesse der Leichen anderer Lebewesen, die wir getötet haben, ablaufen, und durch die unser Leben erhalten wird. Es bleibt die Not, leben zu können nur durch Ausbeutung und Vernichtung anderen Lebens. Der Gedanke liegt nahe, darauf eine Rangordnung im Tierreich zu begründen: Die Art, die eine andere als Beute jagt und frißt, ist höher einzustufen als die jeweils überfallene und gefressene. Natürlich läßt sich das nicht durchhalten, denn wenn eine Bakterienart oder gar eine Virusspezies Tiere oder Menschen befällt und tötet, wird niemand bereit sein, Viren oder Bakterien deswegen eine höhere Rangstufe einzuräumen. Im darwinistischen System ist die Frage der Rangordnung einfach gelöst: Je später eine Art auf der Bühne der Evolution erscheint, desto höherrangig (= besser angepaßt) ist sie. Der Satz: «Wer leben will, muß essen; und wer essen will, muß töten» bezeichnet einen grausamen Zwang, dem alles tierische Leben unterliegt und der einen seltsamen Kontrast darstellt zu aller Naturbegeisterung in Dichtung und Kunst, Kontrast aber auch zu der nicht zu übersehenden, oft überschäumenden Daseinsfreude alles Lebendigen - trotz allem. Zu diesem, das individuelle Leben betreffenden Verhängnis kommt ein zweites, das die Arten betrifft: Es ist unvermeidlich, daß bei der jeder Zellteilung vorausgehenden DNS-Replikation aus thermodynamischen Gründen, aus Gründen also, die mit der Wärmebewegung der Moleküle zu tun haben, Kopierfehler auf-treten, Veränderungen nämlich in der Reihenfolge der DNS-Ket-tenbestandteile, die als Mutationen bekannt sind. Mutationen bei der meiotischen Zellteilung haben die Entstehung genetisch geschädigter, erbkranker oder erbgeschwächter Individuen zur Folge. Eine Art kann als Art aber nur bestehen, wenn die so benachteiligten, genetisch geschädigten Individuen von der Fortpflanzung ausgeschlossen werden. Das geschieht teils automatisch durch Unfähigkeit der betroffenen Individuen, teils aber auch durch einen Verdrängungsprozeß, der darin besteht, daß die Überlegenen den weniger Lebenstüchtigen Nahrung und Partner streitig machen, ein Vorgang, der als Kampf ums Dasein von Darwin einen Namen erhalten hat und dem unter dem Stichwort « Selektion» eine Bedeutung für die Entstehung neuer Arten beigemessen wurde, die ihm nicht zukommt. Selektion ist lediglich ein in der wilden Natur mit unbarmherziger Strenge ablaufender Prozeß, der einer Degeneration der Arten entgegenwirkt. Im menschlichen Bereich wurde der Ausmerzung des Kranken durch humanitäre Bestrebungen unter dem Motto «Nächstenliebe» oder «Freiheit-Gleichheit-Brüderlichkeit» Einhalt geboten. Was die für eine menschliche Population zu befürchtenden Folgen betrifft, so hat Goethe mit sicherem Blick den wunden Punkt aller humanitären Bestrebungen erkannt, wenn er am 8. Juni 1787 aus Rom an Charlotte von Stein über Johann Gottfried Herders Buch «Briefe zur Beförderung der Humanität» schrieb: «Er (Herder) wird gewiß den schönen Traumwunsch der Menschheit daß es dereinst besser mit ihr werden möge trefflich ausgeführt haben. Auch muß ich selbst sagen halt ich es für wahr, daß die Humanität endlich siegen wird, nur fürcht ich daß zu gleicher Zeit die Welt ein großes Hospital und einer des andern humaner Kranckenwärter werden wird.» Nun hat Goethe zweifellos das Tempo des Fortschritts zum Siege der Humanität überschätzt, so daß auch das Umkippen einer allgemeinen Humanisierung in eine allgemeine Hospitalisierung noch nicht stattgefunden hat. Wer aber die Diskussion um das bundesdeutsche Gesundheitswesen verfolgt, kann die Befürchtung nicht von der Hand weisen, daß Goethe die Gesamtsituation richtig beurteilt hat. Ein «soziales Netz» schwebt nicht von allein in der Luft, sondern muß von einer hinreichenden Zahl gesunder, intelligenter und fleißiger Bürger getragen werden. Die Ironie des GoETHE-Zitats gipfelt darin, daß er diese dritte Gruppe, die die humanen (und gut bezahlten) Krankenwärter unterhalten muß, mit keinem Wort erwähnt. Alle sozialen Maßnahmen erreichen ihre Grenze da, wo die Mittel fehlen. Ein Verhungernder kann keinen Verhungernden ernähren, wie ein Blinder keinen Blinden führen kann. Parasiten Einzellige Lebewesen, die sich vor zwei oder drei Milliarden Jahren in den Ozeanen der Erde aufhielten, waren, als Autotrophe, im Stande der Unschuld. Wir wissen zwar nicht im einzelnen, wie diese Einzeller (Bakterien) sich ernährt haben, aber es spricht alles dafür, daß ihre Nahrung aus im Wasser gelösten Salzen und möglicherweise vorhandenen organischen Verbindungen, zum Beispiel Aminosäuren, bestand, die später - bei den Chlorophyll besitzenden Pflanzen - durch Kohlendioxid ersetzt wurden, das mit Hilfe des Sonnenlichts in Glucose und Sauerstoff umgewandelt wird, aus denen dann in der Zelle weitere lebensnotwendige Stoffe wie Aminosäuren und DNS-Bausteine entstehen. In den Pflanzen erleben wir die lebende Natur in ihrer liebenswertesten, bescheidensten, reinsten und unschuldigsten Form. Sie sind «Kinder des Lichts» und leben von Luft und Wasser und den darin gelösten Salzen des Bodens. Ihre einzige Kohlenstoffquelle ist das in der Luft nur zu 0,03 Prozent enthaltene Kohlendioxid, und ihr Hauptstoffwechselprodukt ist Sauerstoff, den sie an die umgebende Atmosphäre abgeben. Erst durch diesen Sauerstoff wird die Atmosphäre zur Luft, dem Lebensraum der Tiere. Die Pflanzen und frühen Einzeller gehören zu den Lebewesen, die - ganz überwiegend - das Böse nur erleiden. Die Heterotrophen, vor allem die Tiere, dagegen leben von der Zerstömng anderen Lebens: Sie töten, um selbst zu leben. Der parasitäre Grundzug alles Tierischen reicht hinab bis zur primitivsten Stufe biologischer Aktivität und setzt sich fort bis zur höchsten Stufe, zum Menschen.* Bereits das einzellige Bakterium ist bedroht von den Bakteriophagen, einer Virenart, die nur Bakterien befällt. Wie die Viren sind auch die Phagen mehr oder weniger kunstvoll in Proteinhüllen verpackte DNS-Makro-moleküle, die sich an der Oberfläche von Bakterienzellen festheften und dann ihre DNS in den Bakterienleib einspritzen. Die eingedrungene DNS bedient sich des Enzymbestandes der Zelle, um * Die Sprache bewahrt zeichenhaft auf, was Menschen in Jahrtausenden gedacht haben. Sie zeigt, daß der menschlichen Vorstellung von Welt und Leben seit eh und je eine hierarchische Ordnung zugrunde lag, in der die leblose Materie die unterste Rangstufe einnimmt und die Lebewesen als niedere (Amöben, Würmer) und immer höhere (immer menschenähnlichere) ihren Platz in aufsteigender Rangfolge einnehmen bis hin zum Menschen als des Schöpfergottes Ebenbild. Die moderne molekularbiologische Forschung hat uns gezeigt, daß es auf der molekularbiologischen Ebene insofern keine Rangunterschiede gibt, als nicht nur der genetische Code, sondern auch die Ablese-, Regulations- und Expressionsmechanismen (Transkription, Translation) der Zelle bei allen Lebewesen vom Einzeller bis zum Menschen dieselben sind. Bei allen Lebewesen haben diese Einrichtungen das gleiche Niveau der physikalisch-chemischen Kompliziertheit. Auch die gesamte Biochemie des Stoffwechsels, des Protein- und Polysaccharidaufbaus und -abbaus rechtfertigt keine Rangunterschiede, in der Sprache der Bibel (Prediger 3, 18-21): >• Beide, Mensch und Tier, gehen an den gleichen Ort. >■ Das zeigt, daß Rang und Würde der Lebewesen nicht systemimmanent sind, sondern verliehen wurden. Ohne Bezug auf eine höchste konstruktive Macht ist jede Hierarchie ohne innere Berechtigung und ohne Halt. Vielleicht kann man den Informationsgehalt der DNS-Kette (eine nichtmaterielle Prägung eines materiellen Substrats) als Rangabzeichen betrachten. einen vielfach wiederholten Replikationsprozeß zu durchlaufen, durch den eben diese Phagen-DNS vermehrt wird. Auch das Hüllenprotein wird an den zuständigen «Organen» der Bakterienzelle, den Ribosomen, nach dem Translationsschema mit Teilkopien der Phagen-DNS als Boten-RNS hergestellt, so daß sich die fertigen Phagen bilden können. Dann bringen die Eindringlinge mit Hilfe eines ebenfalls auf ihrer DNS programmierten Enzyms die Bakterienzellwand zur Auflösung, und die vielfach vermehrten Phagenpartikel entweichen ins Freie, um weitere Bakterien anzugreifen: ein Urbild von Überfall, Einbruch, Vergewaltigung und Mord. Und so ging es fort durch die Jahrmillionen: Evolution ist eine Straße des unentwegten Kampfes aller. Wer leben will, muß sich wehren. Ohne intakte Abwehr wäre jede Grippeinfektion, die ja nichts anderes ist als ein Virusüberfall, tödlich. Das böse Prinzip, die auf Vernichtung anderen Lebens und-im Bereich der Staaten - Einverleibung anderer Populationen gerichtete Ausweitung eigener Lebens- und Machtbereiche, ist, wie das Beispiel der Phagen und Viren zeigt, so tief in der Natur verwurzelt, daß man Liebe, Barmherzigkeit, Pflege des Kranken und Schwachen als im Widerstreit mit der Natur liegende Verhaltensweisen bezeichnen muß. Wenn auch vereinzelt Phänomene auf-treten, die den Eindruck von Selbstlosigkeit vermitteln, überwiegt doch das brutale Sichdurchsetzen und Sichbereichern auf Kosten des anderen, das nicht selten sadistische Züge trägt. Der Begriff des Bösen enthält ein Werturteil: Der Tod - Inbegriff des zu erleidenden Bösen - ist eine Naturerscheinung: faszinierend, erschreckend. Wer würde einen Sonnenuntergang gut oder böse nennen? Erst im Hinblick auf ihre Auswirkungen auf die betroffenen Menschen und ihre Habe nennen wir einen Orkan schlimm und einen Regen nach langer Dürre segensreich. Und erst in bezug auf ein Gesetz werden Handlungen böse und die das Böse Verübenden schuldig. Nur durch einen über allem Geschaffenen stehenden Schöpfergott und sein Gesetz gibt es eine für alle Lebewesen geltende Verhaltensnorm, die festlegt, was gut und böse ist: «Du sollst nicht töten» (was auch als «Du sollst nicht morden» übersetzt wird). Gibt es keinen solchen Schöpfergott, ist das Leben eine Folge von Zufallsereignissen mit starren Naturgesetzen als Spielregeln, dann ist es wenig sinnvoll, von gut und böse im Sinne einer allgemeingültigen Wertordnung zu sprechen. Was gut und was böse ist, wird dann durch die in den verschiedenen Machtbereichen geltenden - stets willkürlich (zum Beispiel mehrheitlich) festgesetzten und meist nur von einem Teil einer Population akzeptierten - Philosophien und Gesetze bestimmt. Da der Mensch in diesem Falle ein Tier unter vielen ist, verfallen Begriffe wie Menschenwürde, Menschenrecht oder Ehrfurcht vor dem Leben langsam, aber sicher - langsam nur deshalb, weil sie durch den jahrtausendealten Glauben an Schöpfungsmythen vor dem Verfall bewahrt wurden und werden. Man kann die abendländische Tradition nicht einfach abschalten wie ein elektrisches Gerät, aber man kann sie nach und nach ruinieren oder «reformieren» und auf den Ruinen neue Gesetze errichten, die das Zusammenleben regeln, indem man diese auf neue Weltanschauungen oder Ideologien stützt und mit staatlicher Macht die jeweils erwünschten Konsequenzen erzwingt: Gut ist, was deinem Volke dient, gut ist, was der Partei dient, gut ist, was «dem Menschen» dient, gut ist, was dem Fortschritt dient... Es ist daher inkonsequent, nur von dem «sogenannten Bösen» (Konrad Lorenz) zu sprechen. Wenn man sich auf den Standpunkt einer Zufallsentwicklung stellt, muß man alle jene Begriffe, die eine sich aus dem göttlichen Schöpfungsplan ergebende Sonderstellung des Menschen rechtfertigen, mit dem Beiwort «sogenannt» verzieren, und das sind nicht wenige. Der parasitären Lebensweise steht die Symbiose gegenüber: Zwei völlig verschiedenen Arten angehörige Lebewesen bilden eine so enge Lebensgemeinschaft, daß sie nur noch gemeinsam leben können, weil sich die Partner spezialisiert haben: A produziert lebensnotwendige Stoffe für B und umgekehrt. Im Grunde stellt jedes höhere Lebewesen eine Symbiose dar, die aus einer Anzahl verschiedenartiger Zellen besteht, die eine arbeitsteilige Zellgemeinschaft, den Organismus, bilden, dessen Abbild im menschlichen Bereich die arbeitsteilige Gesellschaft ist. Nicht nur durch Symbiose, auch durch das parasitäre Zusammenleben vieler Arten entstehen stabile, in einem stationären Zustand befindliche Pflanzen- und Tiergemeinschaften, Biozönosen, in denen Freundschaft (gegenseitige Existenzhilfe) und Feindschaft (gegenseitige Vernichtung) aufs engste verflochten sind. Zum Beispiel können in einem Land, in dem es viel Gras gibt, viele Schafe leben. Die Schafe werden sich ohne Konkurrenten und natürliche Feinde so lange vermehren, bis weite Landstriche kahlgefressen sind und veröden, so daß es nun auch bei den Tieren zu Mangelerscheinungen kommt. Schreitet die Verödung fort, wird den Tieren die Existenzgrundlage entzogen. Kommen aber natürliche Feinde wie Wölfe, Schlangen oder Viren hinzu, ist dafür gesorgt, daß die Schafe sich nicht zu stark vermehren, so daß sich ein stationärer Zustand einstellen kann, der dann erreicht ist, wenn pro Jahr ebenso viele Tiere sterben wie geboren werden. Wenn die Populationsdichte in diesem Zustand klein genug ist, daß dem Gras Zeit zum Nachwachsen bleibt, ist der Zustand stabil. In Wirklichkeit sind die Biotope unserer Erde wegen der großen Anzahl der miteinander (gegeneinander, voneinander) lebenden Tier- und Pflanzenarten sehr viel komplexer als das schematische Beispiel. Was den Menschen betrifft, so ist er unter biologischen Aspekten zur Zeit das mächtigste Raubtier der Welt, das tagtäglich ungeheure Mengen anderer Lebewesen verschlingt. Pro Jahr werden auf der Erde von Menschen rund 80 Millionen Tonnen Fleisch verzehrt. Das entspricht rund 800 Millionen Tieren, die jährlich getötet werden, um dem Menschen als Nahrung zu dienen, wenn man das mittlere Gewicht eines Schlachttieres oder Wildes mit 100 kg ansetzt. So gierig und rücksichtslos geht der Mensch vor, daß immer mehr Tierarten durch sein Tun vom Aussterben bedroht sind, zum Beispiel die Wale. Der Mensch begnügt sich nicht damit, Tiere zu seiner Ernährung zu töten, auch für luxuriöse Bekleidung und Dekor sterben jährlich Hunderttausende von Tieren: Robben, Raubkatzen, Elefanten, Nashörner, Krokodile. Was heute meist nur noch des Erwerbs wegen oder aus Freude am «edlen Weidwerk>> betrieben wird, war über 30000 oder -wenn man will - über 300 000 Jahre hin die fast einzige Beschäftigung der Männer. Wenn sie nicht gerade schliefen, rauften oder mit dem Verzehren der Beute beschäftigt waren, waren sie auf der Jagd oder trafen Vorbereitungen zur Jagd, die zugleich ein Kampf mit ebenbürtigen, ja in mancher Hinsicht überlegenen Gegnern war. Der Mensch lebte, wie die großen Raubtiere heute noch leben, bis er dazu überging, Tiere zu domestizieren und Getreide anzubauen, und die Jagd das Vorrecht der Könige, Edlen und Reichen wurde. Ob im Wald und auf der Heide oder auf dem Opferaltar oder im Schlachthof oder in den großen Versuchslaboratorien, das Tier dient dem Menschen als Nahrung, Rohstofflieferant und Versuchskaninchen. Das sollte indessen nicht zu der Vorstellung verleiten, der Mensch sei unumschränkter Herr und ohne natürliche Feinde. Die großen Raubtiere sind zwar - seit es zuverlässige Schußwaffen gibt - keine Gefahr mehr, dafür aber hat er viele kleine, meist unsichtbare Feinde, die ihm nicht wie die großen Tiere respektvoll aus dem Wege gehen, sondern ohne Bedenken über ihn herfallen: Insekten, Würmer, Pilze, Bakterien und Viren. Zwar wurden auch im Kampf gegen Mikroben in den letzten ioo Jahren erhebliche Erfolge erzielt, aber die Gefahr ist nicht gebannt. Vor allem aber ist der Mensch des Menschen Feind. Das wird zwangsläufig noch ausgeprägter in Erscheinung treten, je mehr die Bevölkerungsdichte zunimmt. Wo man auch anfängt, das Leben als Phänomen zu beschreiben, immer gelangt man zu denselben Fragen, um deren Beantwortung sich die Menschen mühen, seit sie damit begonnen haben, das, was sie mit ihren Sinnen wahrnehmen, zu bedenken; das aber heißt: seit es Menschen gibt. Diese Fragen beziehen sich letztlich auf Sinn und Zweck des Lebens, auf seine Herkunft und seine Zukunft. Die Phänomene, die mit der Beantwortung dieser Fragen eine befriedigende Erklärung finden sollten, betreffen die Eigenarten unseres irdischen Lebens, so vor allem seine ungeheure Formenvielfalt, seine enge (für den Menschen oft schmerzlich und peinlich enge) Verflechtung mit der leblosen Materie, vor allem über das Element Kohlenstoff, das wir mit Hilfe der Pflanzen (und des Sonnenlichts) aus der Erdatmosphäre beziehen, die 0,03 Prozent C02 (sprich Kohlendioxid) enthält, und die unlösbare Verschlingung des Lebens mit seiner Vernichtung, mit dem Tode. Aber nicht genug damit, daß alle Lebewesen nach einer bestimmten Zeit sterben müssen (ohne ersichtliche, natürliche Notwendigkeit übrigens), das Leben ist auch so eingerichtet, daß - jedenfalls im Tierreich - die Individuen nur leben können durch Tötung anderer Lebewesen. Ein weiterer Vemichtungs- oder Verdrängungsprozeß findet statt im Interesse der Arterhaltung: Durch Mutationen geschädigte Individuen werden von den gesunden Artgenossen verdrängt, ein Vorgang, der von Darwin als Selekion im Kampf ums Dasein bezeichnet wurde und dem er eine Bedeutung für die Entstehung neuer Arten zumaß, die ihm nachweislich nicht zukommt. Daß das Leben ständig mit seiner Verneinung, dem Tod, konfrontiert ist, spiegelt sich in allen Lebensbereichen: Dem Schönen steht das Häßliche, das Scheußliche gegenüber, dem Guten das Böse, den konstruktiven Kräften die destruktiven. Mit der Verflechtung des Gegensätzlichen, ja des sich gegenseitig Ausschließenden, ist es wie mit den sprichwörtlichen zwei Seiten einer Medaille: Man bekommt nicht beide gleichzeitig zu Gesicht, versucht man es, sieht man weder die eine noch die andere Seite. Deshalb darf man sich nicht wundern, wenn Dichter und Künstler, Prediger und Politiker das Leben als Symphonie der Freude darstellen und den Schöpfer preisen, daß er alles so gut und schön gemacht hat - sie sehen (oder zeigen) eben nur die eine Seite. Den anderen, die die Kehrseite erleben, ist im allgemeinen nicht nach Singen und Preisen zumute, oder sie befinden sich hinter hohen Mauern, in Krankenhäusern, Altenheimen, Irrenanstalten, Gefängnissen oder Arbeitslagern, so daß ihre Klagen nicht nach draußen dringen. Evolution Darwin war bescheiden genug, seine Lehre auf den Versuch zu beschränken, die Entstehung der Arten zu erklären. Inzwischen ist das von ihm gegebene Stichwort «Entwicklung» in seiner lateinischen Form «Evolution» zur Bezeichnung für eine Ontologie geworden, die das Dasein des Kosmos vom Urknall vor io bis 20 Milliarden Jahren bis zu fernsten Zukunftsträumereien von kosmologisch begeisterten Theologen und Molekularbiologen umfaßt. Was bewegt so viele Wissenschaftler, vor allem Biologen und Theologen, aber auch ein breites Publikum von Lesern populärwissenschaftlicher Literatur, so begeistert an der Evolutionslehre im Sinne Darwins oder des französischen Jesuiten Pierre Teil-hard de Chardin festzuhalten, der versucht hat, die überlieferte christliche Lehre den neodarwinistischen Evolutionshypothesen anzupassen? Was also macht den Darwinismus so anziehend? i. Das unmittelbar-spontan Einleuchtende des Mechanismus von Mutation und Selektion auf den ersten Blick, bei oberflächlicher Betrachtung, das heißt, wenn man sich nicht die Mühe macht oder nicht in der Lage oder nicht willens ist, zwischen Mutation und Polykondensation zu unterscheiden. 2. Das Gefühl, eine universale, moderne, wissenschaftliche Welterklärung zu besitzen, die ohne «Schöpfungsmystizismus», ohne Gott und ohne Jenseitsglauben auskommt und daher keine moralischen Verpflichtungen auferlegt, vielmehr den Menschen zu einem autonomen, niemandem Rechenschaft schuldigen Wesen erhebt. 3. Die für den einzelnen freilich wenig tröstliche Gewißheit, daß die Menschheit (oder eine andere Art) insgesamt automatisch und unfehlbar einer besseren Zukunft entgegengeht, die das Bedrückende der gegenwärtigen Lage nur als ein vorübergehendes Übergangsstadium erscheinen und ertragen läßt. Evolution im weitesten Sinne beginnt mit der Urexplosion und umfaßt das ganze Universum. Jede Galaxie, jeder Fixstern, jeder Planet macht seine Entwicklung durch. In diesen Rahmen ist die Entwicklung des Lebens eingebettet. Der myriadenfache Tod der Individuen, den der darwinistisch nicht vorgebildete Mensch als ein Übel zu betrachten gewohnt ist, ist im Rahmen der Evolution im höchsten Grade sinnvoll im Bezug auf das Ganze, denn er ermöglicht erst das Entstehen immer neuer Individuen und damit den Vorgang von Mutation-Selektion und so - nach Darwins Lehre - die Entstehung besserer, überlegener Arten. Der Tod ist eine Huldigung an den Sieger, den Sieger im großen Spiel um die besseren Gene. Im darwinistischen Weltbild ist die Höherentwicklung des Lebens nicht an irgendwelche Auflagen gebunden, die von den Lebewesen erfüllt werden müssen, um diese Höherentwicklung zu gewährleisten. Das Verhalten der einzelnen Lebewesen hat keinen Einfluß auf den Weg des Lebens insgesamt. Die Aufwärtsbewegung zu immer höherer Komplexität, zu immer leistungsfähigeren Arten, die immer harmonischer in ihre Umwelt eingepaßt sind, ist dem Verhalten einzelner Individuen, speziell dem «guten» oder «bösen» Willen einzelner Menschen völlig entzogen, denn sie geschieht, immer vorausgesetzt, Darwins Lehre wäre richtig, zwangsläufig mit absoluter Unvermeidlichkeit, nämlich durchMutation-Selektion, einen Mechanismus, wieerzwingender und unausweichlicher nicht gedacht werden kann. Die Höherentwicklung geschähe automatisch mit innerer Notwendigkeit, durch nichts von uns zu erzwingen, aber auch durch nichts zu verhindern: Wenn einzelne Individuen, Gruppen, Populationen oder ganze Arten versagen, sei es durch Degeneration, sei es US durch Unfähigkeit, sich an veränderte Umweltbedingungen anzupassen, werden sie von der Gesamtentwicklung einfach übergangen. Alles Mangelhafte scheidet aus dem Spiel des Lebens aus, fällt wie Sandkörner durch die Maschen eines Siebes. Selektion ist das unerbittliche Sieb des Lebens, das alles aussondert, was nicht paßt (nicht angepaßt ist): Individuen, Rassen, Arten. Immer warten andere bereits auf den freigewordenen Platz. Im Bereich menschlicher Gesellschaftsordnungen führt das Prinzip der Selektion unweigerlich zur Kollision mit überkommenen Vorstellungen einer auf Christentum oder Humanismus beruhenden Ethik. Wenn auch in allen Schulen in Ost und West Darwinismus mit Begeisterung gelehrt wird, wird es in zivilisierten Staaten doch kein Politiker wagen, Darwins Lehre in letzter Konsequenz in die gesetzgeberische Praxis zu übertragen. Die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts hat aber auch gezeigt, daß es nur eines kleinen Gedankenschrittes bedarf, um die Übertragung des biologischen Selektionsprinzips auf die politische Praxis nahezulegen. Da aber die in allen Winkeln der Natur lauernden destruktiven Kräfte stets nach einem Mantel (möglichst Schafspelz) suchen, kamen die darwinistischen Konzepte «Kampf ums Dasein» und «Natürliche Auslese» in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wie gerufen, um in der Blütezeit des europäischen Imperialismus und Hochkapitalismus einerseits und des marxistisch-materialistischen Sozialismus andererseits eine willkommene Rechtfertigung (naturwissenschaftliche Basis) abzugeben. Man sollte aber erstens nicht meinen, «Herrenmoral» im Sinne einer vom Menschen programmierten Selektion lasse sich mit Darwins Lehre entschuldigen. Mutation-Selektion ist ein in der freien Natur unentbehrlicher Mechanismus der Arterhal-tung, der nur durch das gegen unsere Natur gerichtete Gebot der Nächstenliebe und eine entsprechende Sozialgesetzgebung im menschlichen Bereich abgelöst werden kann (mit der Gefahr der Degeneration). Und man sollte zweitens nicht meinen, die Gefahr von Massenmorden sei allein schon durch die Erinnerung an die brutalen «Säuberungen» und «Endlösungen» diktatorischer Regime der jüngeren Vergangenheit gebannt. Einmal ist das Wachhalten der Erinnerung an solche Greueltaten kein verläßlicher Schutz, solange man nicht eine ethische Einstellung zum Leben praktiziert, die im Töten das Böse schlechthin sieht. Mit Selbstorganisation und Mutation-Selektion läßt sich nämlich keine Moral begründen, die diesen Namen verdient. Zum anderen kann das Hinweisen auf Genozide der Vergangenheit leicht dazu benutzt werden, von gegenwärtigen oder drohenden Aktionen vergleichbaren Umfangs abzulenken. Wie freilich auch umgekehrt der Hinweis auf den Völkermord etwa in Kambodscha - um nur ein Beispiel zu nennen - dazu mißbraucht werden kann, die »Endlösung der Judenfrage» - um ebenfalls nur ein Beispiel zu nennen - moralisch zu nivellieren. Ich weiß wohl, daß ich mich jetzt in eine Tabuzone vorwage, wenn ich in diesem Zusammenhang an die massenhafte Tötung durch legalisierte Abtreibung erinnere. Die molekularbiologische Forschung hat aber nun einmal gezeigt, daß die biologische Art eines Lebewesens durch die Nucleotidsequenz seiner DNS-Kette geprägt ist. Ein Lebewesen mit der menschenspezifischen Sequenz seiner DNS ist ein Mensch, in welchem Stadium seines embryonalen Wachstumsprozesses es sich auch gerade befindet-also vom Augenblick der Befruchtung an ist die erste Zelle ein Mensch! Wegen der Distanz zum mikroskopisch Kleinen fällt uns die mitmenschliche Solidarität mit einem winzigen »Gewebeklümpchen» meist (noch) schwer. Aber das ändert nichts daran, daß bereits dieses «Gewebeklümpchen» ein heranwachsendes Menschenkind ist. Das sogenannte «Biogenetische Grundgesetz» (Haeckel), wonach die Embryonalentwicklung eine zeitgeraffte Wiederholung der Stammesentwicklung sein sollte, ist durch die DNS-Forschung widerlegt*, aber: «Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch» (Brecht). In einer Zeit, in der Evolution und Selbstorganisation in so gut wie allen Schulen gelehrt wird, ist Entrüstung über legalisierte massenhafte Tötung (ob in Gaskammern oder Kliniken) eine zwiespältige Sache. Wie will man die Ablehnung anders begründen als gefühlsmäßig, wenn man der Meinung ist, daß Selbstorganisation (Lebewesen als besonderer, aber zufällig-zwangsläufig * Das «Biogenetische Grundgesetz» hat deshalb als widerlegt zu gelten, weil die Phylogenese molekularbiologisch dadurch gekennzeichnet ist, daß das DNS-Ma-kromolekül in ihrem Verlauf von einer Kettenlänge von weniger als i mm bis zu einer Kettenlänge von i m gewachsen ist, während die Ontogenese dadurch gekennzeichnet ist, daß vom Beginn der Entwicklung an das DNS-Kettenmolekül in seiner vollen Länge vorliegt und bei jeder Zellteilung in Länge und Sequenz unverändert erhalten bleibt. sich einstellender Aggregatzustand der Materie) als wissenschaftlich bewiesen zu gelten hat? Überlebens- und Selektionskriterien können sich ändern. Waren jahrtausendelang Gesundheit, Körperkraft und Fruchtbarkeit die wichtigsten Überlebensgarantien, so ist in den letzten 3000 Jahren mehr und mehr die Intelligenz als entscheidender Faktor hinzugekommen (Odysseus gegen Polyphem). Fleute könnte man fast meinen, daß eine Nation von hochintelligenten rollstuhlfahrenden Organisationsgenies, Raumfahrtingenieuren und Nukleartechnikern selbst den gesündesten, aber wissenschaftlich-technisch weniger begabten Nachbarvölkern überlegen sei, so daß das Phänomen der Degeneration an Schrecken verloren habe. Überhaupt ist der Bestand einer Population keineswegs nur durch Degeneration (Ausschaltung der Selektion) gefährdet. Abgesehen von rasch eintretenden, zum Beispiel klimatischen Umweltveränderungen oder weltweiten Katastrophen (Atomkrieg, kosmische Kollisionsereignisse) sind Übervölkerung und Nachwuchsarmut Anzeichen für das Aussterben einer Art. Bei kumulierendem Nachwuchsmangel ist das unmittelbar einleuchtend. Bei Übervölkerung geht eine Art letztlich an Nahrungsmangel zugrunde, nicht an akutem Mangel, sondern daran, daß Nahrungsquellen durch wilde Ausbeutung irreversibel geschädigt werden, so daß sie für immer oder doch lange Zeit ausfallen. Daneben kommt es zu sogenannten Crowding-Effekten, von denen Verwahrlosung und Tötung des eigenen Nachwuchses die bekanntesten sind. Seit i960 hat die Weltbevölkerung von 3,04Milliarden auf 4,75 Milliarden zugenommen, obwohl die Zuwachsrate von 2,0 auf 1,7 Prozent zurückgegangen ist. Hochrechnungen sagen bis zum Jahr 2025 eine Zunahme der Weltbevölkerung auf rund 8,3 Milliarden voraus. Das Ergebnis von internationalen Weltbevölkerungskonferenzen war bisher mehr als dürftig: Die beste Methode, die Zuwachsrate zu verringern, sei steigender Wohlstand. Leider steigt der Wohlstand nicht da, wo es am dringendsten zu wünschen wäre, und außerdem ist es sehr fraglich, ob damit auch ein Absinken der Geburtenziffern verbunden wäre. Sicher sind mit einer Reduzierung der Geburtenziffer nicht alle Weltprobleme gelöst, losgelöst davon aber läßt sich keines mehr lösen. Die zukünftige Evolution In Europa wurde das Entwicklungskonzept Darwins von dem französischen Jesuitenpater Teilhard de Chardin aufgegriffen und zu einem das gesamte Universum vom Urknall bis in die fernste Zukunft des Kosmos umspannenden Evolutionsmodell ausgebaut, das in allen Ländern begeisterte Aufnahme gefunden hat, bei Theologen und Philosophen, aber auch - zu meiner nicht geringen Verwunderung - bei einigen Naturwissenschaftlern. Ich wundere mich deshalb, weil in den zahlreichen Büchern Teilhards eine erschreckende Oberflächlichkeit des Denkens durch eine pseudoreligiöse, pseudonaturwissenschaftliche pathetische Schwärmerei kaschiert wird, die nur selten mystische Tiefe erreicht. Nicht nur, weil hier nicht das Forum ist, auf Details einzugehen, sondern auch, weil Teilhard (von dem Freiburger Genetiker Carsten Bresch als «Thomas des 20. Jahrhunderts» gefeiert) bei vielen Menschen eine ans Religiöse grenzende Verehrung genießt und ich deren Gefühle nicht verletzen möchte, verzichte ich hier auf eine Kritik aus naturwissenschaftlicher Sicht, die recht herb ausfallen würde, und beschränke mich auf eine Interpretation seiner Lehre im Rahmen meines Themas. Was die kosmische und irdische Vergangenheit betrifft, so lehnt sich Teilhard weitgehend an das Standardmodell (Urknall, Spiralnebel, Galaxien, expandierendes Universum) und an die Hypothesen von der Entstehung des Lebens durch Selbstorganisation in Ursuppen an. Noch unbeschwert von Kenntnissen über die Synthesebedingungen makromolekularer Stoffe durch Polykondensation von kleinen bifunktionellen Monomermolekülen, wie zum Beispiel Aminosäuren, zu kettenförmigen Makromolekülen, wie Proteinen, übernimmt er die törichten, inzwischen widerlegten Behauptungen, die in der ersten euphorischen Phase des Selbstorganisationsrausches einem andächtig lauschenden, wissenschaftsgläubigen Publikum als letzte molekularbiologische Erkenntnisse serviert wurden. Teilhard schreibt in einem zusammenfassenden Aufsatz: «I. Ganz allgemein könnte man sagen, das Leben [so wie es durch seine wichtigsten Attribute der Assimilation, der Fortpflanzung, der Vererbung und des Bewußtseins definiert ist) erweist sich von nun an der Wissenschaft nicht mehr als eine phy-siko-chemische Anomalie, sondern als die extreme Form, die unter gewissen Bedingungen [günstige Temperatur, genügende Dauer der Transformation etc.] eine universelle, wenn auch im allgemeinen verborgene Eigenschaft des kosmischen Stoffes annimmt. Das läuft darauf hinaus, daß man mit Recht das Leben als seit immer und überall schon im Universum unter Druck stehend ansehen kann - es entsteht, sobald es kann, wo immer es kann - und dort, wo es aufgetreten ist, intensiviert es sich, so sehr es kann, in den Unermeßlichkeiten der Zeit und des Raumes. II. Genauer gesagt will das Leben uns wissenschaftlich immer mehr als ein spezifischer Effekt der korpuskularen Komplikation erscheinen, der an den Aufbau von sehr großen und sehr komplexen Partikeln gebunden ist. Trotz zahlreicher kritischer Schwellen führt nämlich die Kurve von den großen Molekülen ohne jeden Bruch zu den vielzelligen Wesen: diese Kurve ist nun gerade eben jene, entlang der [außerhalb des Spielraumes des Zufalls und der großen Zahlen] die «vitalen* Effekte der Indetermination, der Selbstanordnung und des Bewußtseins emergieren. III. Besteht nun, unter dieser Voraussetzung, zwischen dieser geheimnisvollen Trift der Welt in Richtung immer komplexerer und verinnerlichterer Zustände und der anderen [weit besser studierten und besser bekannten] Trift, die dieselbe Welt in Richtung immer einfacherer und immer mehr äußerlicher Zustände mitreißt - besteht nun zwischen diesen beiden Triften, so frage ich, eine Beziehung? Sollten die beiden Bewegungen [Leben und Entropie], die doch quantitativ [möchte man sagen] von so ungleicher Bedeutung sind, nicht in Wirklichkeit dieselbe Amplitude aufweisen, derselben Größenordnung angehören und in gewisser Weise einander komplementär sein?» Wenn man absieht von dem für Teilhard typischen Begriffswirrwarr, wie zum Beispiel Leben = «spezifischer Effekt der korpuskularen Komplikation» oder «Komplementarität von Leben und Entropie» als Bewegungen, die «in Wirklichkeit dieselbe Amplitude aufweisen», wird hier die reine neodarwinistische Selbstorganisationshypothese vertreten, freilich noch auf der unsinnig primitiven OPARiNschen Protobiontenstufe. Den vermuteten Konvergenzpunkt aller Evolution, auch der zukünftigen, nennt Teilhard in Anlehnung an die Offenbarung des Johannes den Punkt Omega. Er ist nicht ein konkretes Ziel, wie man auf den ersten Blick meinen könnte, sondern etwas noch Unbekanntes und nur insofern absolut Vollkommenes, weil es an einem hypothetischen Ende aller Entwicklung steht und daher keiner weiteren Vervollkommnung mehr fähig ist. Der Weg dorthin richtet sich - streng darwinistisch - nach Mutation und Selektion, was Teilhard mit den Worten umschreibt: Die zukünftigen Zustände emergieren aus den jeweils vorliegenden, und so führt die Kurve von den großen Molekülen ohne jeden Bruch zu den vielzelligen Wesen. Das ist noch unkritischer Primitiv-Dar-winismus, der vielen Biologen heute schon peinlich zu werden beginnt. Die künftigen Mutationen werden in dieser Sichtweise zu einer unvorstellbaren Steigerung der (jetzt noch menschlichen, dann supermenschlichen) Intelligenz führen, so daß die künftigen Supermenschen in ihren geistigen Fähigkeiten so hoch über den heutigen Menschen stehen, wie unsere Intelligenz heute über der von Affen, Wildschweinen oder Delphinen steht, eine Vorstellung, die schon im 19. Jahrhundert sehr beliebt und weit verbreitet war. Auch die moralischen Qualitäten werden - nach Teilhard - dann eine ungeahnte Steigerung erfahren haben, dem christlichen Ideal entsprechend, so daß unsere Erde mit ihrer Biosphäre in absehbarer Zukunft auch noch vom leuchtenden Kranz einer Geistsphäre, der TEiLHARDSchen Noosphäre, umgeben sein wird. Im Unterschied zur biblisch-christlichen Lehre sind jedoch nicht die einzelnen Lebewesen auf dem Weg zu Gott, sondern der Kosmos als Ganzes. Die einzelnen Lebewesen sind nur Durchgangsstationen, die - nach einem beliebten Modell - wie ausgebrannte Stufen einer Rakete als leere Hülsen abgeworfen werden, wenn sie als Entwicklungsträger und Evolutionsstufen ihren Lebenszweck erfüllt haben. Der Kosmos strebt seinem Ziel -Omega» entgegen, unbeirrbar, denn Mutation und Selektion führen (immer nach Darwin / Teilhard) zwangsläufig höher, weil angeblich das Höhere, nämlich Lebewesen mit einem höheren Grad von Komplexität, überlebensfähiger sind.* Un- * Man ist versucht, sich darüber zu wundem, wie unbekümmert Darwinisten darüber hinweggehen, daß Bakterien seit vier Milliarden Jahren in unverminderter Vitalität existieren. Sie sind ungemein anpassungsfähig, überdauern Weltraumkälte (—200°C) und leben auch noch in siedendem Wasser, sind also an Überlebenstüchtigkeit kaum noch zu übertreffen und besiedeln alle Lebensräume (die Luft als Aerosol). Wo also (könnte man fragen) ist der Selektionsvorteil mehrzelliger Organismen? Die Antwort heißt: “Allein die Tatsache, daß es sie gibt, beweist ihre Lebenstüchtigkeit.» beirrbar ist dieser Weg, obwohl er in keiner Weise vorgezeichnet ist. Auch das Ziel «Omega» ist nicht als solches konkret beschreibbar. Der Mechanismus von Mutation und Selektion trägt das Ziel in sich, es heißt einfach: höher, immer höher im Sinne von «überlegen», und das heißt: zum Überleben besser ausgerüstet als das Vorhergehende bis hin zur höchsten Einheit des gesamten Kosmos, bei Teilhard mit seltsamen Namen wie Christus Omega, Christus Evolutor, Super-Christus, Christus univer-salis bedacht. Teilhard wird von vielen Theologen als der große Versöhner von christlicher Theologie und moderner Naturwissenschaft gefeiert. Ich empfinde die Anbiederungsversuche der Kirchen bei den Naturwissenschaften als peinlich. Religion und Naturwissenschaften bedürfen keiner Versöhnung, weil sie im Grunde, solange nämlich beide sich an ihren Auftrag bzw. ihre Grenzen halten und ihre Kompetenz nicht überschreiten, keine kritischen Berührungspunkte haben. Die Demarkationslinien sind: offenbarte, durch Wunder bezeugte und durch beauftragte Zeugen überlieferte Botschaft von der Erlösung einerseits und Beobachtung und Experiment andererseits. Offenbarte Wahrheit und Wunder sind dem Experiment nicht zugänglich, und experimentell prüfbare Zustandsänderungen sind nicht Gegenstand des Glaubens. Der Konflikt mit Galilei war ein Mißverständnis, das man vergessen kann. Bestrebungen, diesen Prozeß wiederaufzurollen, verkennen die heutige Situation, in der Naturwissenschaftler nicht den mindesten Wert darauf legen, von kirchlichen Instanzen anerkannt zu werden. Im naturwissenschaftlichen Bereich ist die Meinung der Kirche einfach nicht mehr gefragt. Das Faszinierende des Evolutionskonzepts ist die automatische Zielsicherheit ohne Ziel, die absolute Gewähr des Nicht-irre-gehen-Könnens, unabhängig vom Verhalten oder Fehlverhai-ten einzelner Individuen. Es gibt kein persönliches Verschulden. Immer gibt es eine Mutantenverteilung mit einem mehr oder weniger vorteilhaften Eigenschaftsspektrum, darunter Mutanten, die weiterführen, und solche, die einfach der Statistik wegen da-sein müssen. Nach der Statistik wäre unter io40 bis ios° Individuen einer Population im Mittel eine fortschrittliche «Mutante» mit einigen neuen, eine vorteilhafte Eigenschaft garantierenden DNS-Abschnitten oder Genen zu erwarten. * Da sich Mutationen * Vgl. dazu Seite 129 f. nicht steuern lassen, müssen alle die vielen Individuen, auch die mit normaler und weniger vorteilhafter DNS, dasein, damit es überhaupt eine Höherentwicklung gibt. Niemand also braucht sich überflüssig vorzukommen, auch die weniger Lebenstüchtigen nicht. Sie gehören zur Mutantenverteilung. Diese aber ist -nach Darwin - die unentbehrliche Gebärmutter für das Bessere, Überlegene. So war es schon in der Ursuppe, so ist es heute, so wird es morgen sein, genauer: so wäre es, wenn die neodarwinisti-schen Thesen nicht inzwischen durch die Ergebnisse der Makromolekularen Chemie (DNS ist ein Makromolekül) widerlegt wären. Wir haben hier die merkwürdige Situation, daß Natur- und Geisteswissenschaftler gemeinsam eine zwar widerlegte und veraltete, aber zum Dogma erhobene Hypothese, die Entstehung des Lebens und der Arten durch Mutation - Selektion, mit aller Zähigkeit verteidigen. Besonders viele Biologen reagieren unwillig und gereizt, wenn es jemand wagt, das Evolutionsdogma in Frage zu stellen, wo doch - ihrer Meinung nach - kein vernünftig denkender Mensch das Faktum Evolution noch bezweifeln kann, das ebensowenig noch eines Beweises bedarf, wie die Tatsache, daß es auf der Erde Gebirge gibt.72 Gebirge gibt es, wie es Lebewesen gibt. Die Frage ist aber nicht, ob es sie gibt oder nicht, sondern, wie sie entstanden sind. Was die künftige Evolution, die Zukunft der Erde und ihrer Bewohner betrifft, so herrscht seit einiger Zeit weltweit die Sorge, durch einen Atomkrieg könnte die ganze Menschheit ausgelöscht werden. Der Glaube an die den gesamten Kosmos umfassende Evolution sollte eigentlich Gelassenheit verbreiten. Was ist im Rahmen einer kosmischen Evolution schon Schlimmes geschehen, wenn alles höhere Leben auf der Erde vernichtet wird? Das geschah wahrscheinlich schon öfter im Laufe der Erdgeschichte: Nach neueren Untersuchungen zeigt die Schichtenfolge der geologischen Ablagerungen der letzten ioo Millionen fahre zwei sogenannte Iridiumanomalien: In den auf ein Alter von 6 5 Millionen fahren und von 3 4 Millionen Jahren geschätzten Sedimentschichten findet sich eine ganz ungewöhnlich hohe Konzentration des Edelmetalls Iridium (zusammen mit Platin, Osmium und Gold), so hoch, wie sie in der Erdkruste sonst nicht vorkommt. Man kann sich das durch die Annahme erklären, daß die beiden Schichten durch Aufschlag eines Riesenmeteors von 3 bis 10 km Durchmesser und Ablagerung der beim Aufprall ent- standenen und über die ganze Erde verteilten Staubwolke aus Meteoriten- und Erdmaterie gebildet wurden. Die Aufprallenergie wird auf ein Äquivalent von ioo Billionen Tonnen TNT geschätzt; das entspricht einem Vielfachen der Explosionsenergie aller auf der Erde zur Zeit gelagerten Kernwaffen. Neben bedeutenden Klimaänderungen haben die Einschläge ein Massensterben zur Folge gehabt. Auffallenderweise starben zur Zeit der früheren Katastrophe fast alle größeren Landtierarten aus, darunter die Dinosaurier, aber auch viele Meeresbewohner. Die letzte Iridiumanomalie (vor 34 Millionen Jahren) fällt mit einem massenhaften Aussterben von Landsäugetieren und Änderungen im Meeresplankton zusammen. Wozu also die Angst? Das Leben kann auch nach weltweiten Katastrophen weitergehen. Mutation-Selektion sorgen ja zwangsläufig immer wieder für einen neuen Anfang und einen neuen Aufstieg. Das Menschenwesen ist ohnehin in einer biologischen Sackgasse gelandet. Ohne Isolation ist nämlich eine Höherentwicklung durch Selektion undenkbar; und wo sollte Isolation heute, auf einer hoffnungslos überbevölkerten Erde, noch möglich sein? Und selbst wenn unsere Erde so zerstört würde, daß auf ihr jegliches Leben vernichtet und ein Neubeginn unmöglich wäre: Im weiten Weltall gibt es vermutlich Planeten genug, auf denen möglicherweise Leben gedeiht. Leben entstünde, wenn Darwins Lehre richtig wäre, doch zwangsläufig, wo immer sich geeignete Bedingungen dafür fänden. Mutation-Selektion sorgten dann dafür, daß sich neue Arten entwickeln. Wer ist, der das totale Verlöschen des Lebens auf unserer Erde in einem Kosmos ohne Schöpfer zur Kenntnis nehmen könnte, wer, der den 4,7 Milliarden toten Menschen auch nur eine Träne nachweinte? Niemand hat es ja gesehen, niemand ist übriggeblieben. Die Vernichtung des belebten Planeten Erde wäre - auf die Gesamtheit des Universums bezogen - wie der Tod einer Fliege, die man an der Wand erschlägt, nur noch viel unbedeutender. Der Tod der Fliege wird wenigstens von einem anderen Lebewesen verursacht und zur Kenntnis genommen, wenn auch nur nebenbei und ohne Regung, während eine Vernichtung der Erde durch kosmische oder von Menschen ausgelöste Katastrophen völlig unbemerkt bliebe und in keine Chronik einginge, und dies selbst dann, wenn der nächste Fixstern einen von intelligenten Lebewesen bewohnten Planeten besäße. Selbst diese Entfernung wäre noch zu groß, als daß das Verschwinden oder die Zerstörung eines Sonnenplaneten beobachtet werden könnte. Wozu also - unter darwinistischen Aspekten -die Aufregung um die Vernichtung von ein bißchen Leben, wenn Leben doch nichts anderes ist als ein besonderer Aggregatzustand der Materie? Die Zerstörung eines Autos wäre viel schlimmer, denn hier wird ja eine Konstruktion zerstört, und ein Konstrukteur könnte es bedauern. Im Falle der Lebewesen - wenn sie das Ergebnis von Zufall und Notwendigkeit sind - gibt es keinen Konstrukteur, der die Vernichtung seines Werkes bedauern, und keinen Destrukteur, der sich darüber freuen könnte. Von Menschenhand gesteuert An die Träumereien von Supermenschen mit Supergehirnen und eine die Erde wie eine Aura umgebende «Noosphäre» glaubt heute kaum noch jemand im Ernst, auch kein Darwinist. Dafür sind nun einige Forscher von der Notwendigkeit überzeugt, daß der Mensch das Schicksal der Erde und ihrer Bewohner selbst in seine Fiände nehmen muß, daß auf die Bioevolution nun die geistige, die gelenkte Evolution folgen muß, von der schon Descar-tes geträumt hat, wenn er meinte, das Ziel aller Wissenschaft müsse es sein, daß der Mensch «Herr und Meister der Natur» werde, um, wie er an anderer Stelle sagt, die Früchte der Erde ohne jede Mühe genießen zu können. In dem hymnischen Text «Epilog - jenseits von Wissenschaft» des Freiburger Genetikers Carsten Bresch findet sich folgende Passage45: «Die Zukunft der so kindlich hilflosen Menschheit ist in unsere Hände gelegt. Wir müssen ihr helfen, sehen zu lernen.» So wie ich das sehe, ist die Menschheit alles andere als «kindlich hilflos», sie ist maßlos überheblich, jedenfalls soweit sie sich aufgeklärt und wissenschaftlich-fortschrittlich gebärdet. Die zitierte Äußerung von Bresch ist nur ein Beispiel unter vielen ähnlichen Bekundungen menschlicher Hybris. Wessen Hände sollen das wohl sein, in die nach Bresch die Zukunft der Menschheit gelegt ist? Die Hände der Wissenschaftler, vornehmlich die Genetiker? Gott behüte uns! Wieso eigentlich sollen uns - bei der offensichtlichen Ambivalenz allen bisherigen technischen Fortschritts - die wissenschaftlichen Erkenntnisse der Zukunft in eine bessere Welt führen? Seit Jahrtausenden ist im Grunde alles beim alten geblieben, und es gehört schon ein stark ausgeprägtes Selbstbewußtsein (um nicht zu sagen: maßlose Selbstüberschätzung) dazu, zu meinen, daß das, was allen Generationen vor uns nicht gelang, ausgerechnet uns gelingen sollte. Nüchtern betrachtet sind die Zukunftserwartungen eher düster: Steigende Bevölkerungsdichte und steigende Rüstung machen das mühsam erhaltene Gleichgewicht immer labiler. Viele starren wie hypnotisiert auf die vernichtende Gewalt der Atombomben. Für den Betroffenen kann es gleichgültig sein, ob er von einer Keule oder einer Atomexplosion getötet wurde. Es ist zwar eine Binsenweisheit, daß die Bierflasche erst dann als Keule und das Uran- oder Plutonium-Metall erst dann als Bombe gefährlich sind, wenn Menschen sie dazu mißbrauchen. Würden wir diese Selbstverständlichkeit bedenken, so würden wir mehr Aufmerksamkeit auf die Erziehung unserer Kinder richten. Nicht Atomraketen sind die eigentliche Gefahr, sondern die eigene Demoralisierung, der Verlust des Wertbewußtseins, der Verlust des Verantwortungsbewußtseins. Auf dem Boden der Evolutionslehre (Leben als Wechselspiel von Zufall und Notwendigkeit, Mutation-Selektion) ist die Aufstellung von allgemeingültigen Wertnormen nicht zu begründen. Eine Maxime etwa in der Art « Gut ist, was dem Fortschritt, der Aufwärtsentwicklung, der Evolution dient» wäre nichtssagend, denn kein Mensch kann wissen, was Fortschritt ist, der zum Wohle gereicht. Das stellt sich immer erst im nachhinein heraus. Aus dem gleichen Grunde muß alles Bemühen scheitern, das Böse, Schädliche, Verderbliche einfach auszumerzen. Aber selbst dann, wenn man sich einigen könnte, was das ist (in diktatorisch regierten Ländern ist das kein Problem, daher die blutigen Säuberungswellen), bleibt die Ausrottung des Bösen unmöglich, weil es die Bösen in der Welt ebensowenig gibt wie die Guten. Gut und Böse wohnen zu nahe beieinander. Für die Bioevolution gibt es kein Gut und Böse, weil es nur ein automatisches, durch Mutation und Selektion gesteuertes Höher gibt. Das Höhere aber ist schlicht und einfach das Lebenstüchtigere, das durchaus nicht immer das Stärkere, Größere im landläufigen Sinne sein muß. In Katastrophensituationen kann das winzige Leben, das sich rasch verkriechen kann, oder das strahlenbeständigere oder sonstwie resistente das sein, was Darwin «the rittest» nannte. Welche Tier- oder Pflanzenart das letzten Endes ist, kann man ihr vorher nicht ansehen, weil man nicht weiß, von welcher Art die künftigen Belastungen sein werden. Erst nachher, wenn die Katastrophe vorbei ist, zeigt sich, wer sie überstanden hat. Vielleicht die Ameisen? Vielleicht die Tiefseebewohner? Wer weiß? Die Dinosaurier waren es jedenfalls nicht (zu ihrer Zeit). Gut und böse, schädlich und nützlich (in der Bioevolution sind solche Begriffe völlig fehl am Platze) wird erst zum Problem, wenn der Mensch meint, er müsse «die Sache selbst in die Hand nehmen» und die Evolution selbst auf vermeintlich erstrebenswerte Ziele hinsteuern. Namen wie Omega, Monon und Eti dafür zu finden, dürfte da noch das geringste Problem sein. Ihre Mitmenschen davon zu überzeugen, daß sie gut beraten wären, wenn sie das, was ihnen, den Molekulargenetikem und Geningenieuren, als erstrebenswertes «Monon» oder dergleichen vorschwebt, auch für so erstrebenswert hielten wie sie selbst, dürfte den Genforschem schon schwerer fallen. Seit einigen Jahren ist es möglich, Gene, das heißt DNS-Ketten mit bestimmter Sequenz, synthetisch herzustellen. Berauscht von dieser Fähigkeit, haben Genforscher und Journalisten anfangs ihrer Phantasie freien Lauf gelassen und neue Möglichkeiten für genchirurgische Erbgutveränderungen beim Menschen gesehen. Arbeitssklaven und Herrenmenschen durch Genmanipulation! Das hätte Friedrich Nietzsche erleben sollen! «Gentechnologie» zählt auch heute noch zur sogenannten Spitzenforschung und wird dementsprechend in den Medien und von Geldgebern vorrangig behandelt. Inzwischen ist jedoch der erste Rausch verflogen und hat einer nüchternen Beurteilung der zu erwartenden Möglichkeiten Platz gemacht. In den gentechnologischen Forschungslaboratorien wird heute auf breiter Front an der Synthese von Proteinen gearbeitet, die für die Medizin, für die Landwirtschaft und für die chemische Industrie interessant sind. Humaninsulin wird bereits seit 1982 auf gentechnischem Wege kommerziell hergestellt. Verschiedene In-terferone, die sich bei schweren Virusinfektionen bewährt haben und in der Krebstherapie erprobt werden, sind gefolgt. Ferner gibt es schon einige gentechnisch hergestellte Enzymproteine, die zum Beispiel bei der Zuckerfabrikation und bei der Ledergerbung eingesetzt werden können. Interessante Zielprodukte sind Anti- gene wie das des Hepatitis B-Virus oder das des Cytomegalovirus, das Gehimschäden im Embryonalstadium hervorruft, ferner Impfstoffe sowie Proteine, die die Blutgerinnung fördern (wie der gegen eine bestimmte Form der Bluterkrankheit wirksame Faktor VIII, der zur Zeit noch aus Spenderblut gewonnen wird), oder aber Stoffe, die die Blutgerinnung hemmen wie der im menschlichen Blut natürlich vorhandene Plasminogen-Aktivator (meist TPA abgekürzt). Fernziele in der Landwirtschaft sind zum Beispiel gentechnisch modifizierte Kartoffeln, die gegen durch Viren hervorgerufene Krankheiten wie Kartoffelfäule oder Spindelknollensucht resistent sind, oder (vorerst noch ein Traum): gentechnisch manipulierte Kulturpflanzen, die in der Lage sind, wie die Knöllchenbakterien der Leguminosen, den Stickstoff der Luft in Nitratstickstoff umzuwandeln, so daß eine Stickstoffdüngung überflüssig wird. Wie die Beispiele zeigen, ist von einer vom Menschen gesteuerten Evolution zum Supermenschen auf gentechnischem Wege nicht mehr ernsthaft die Rede. Überhaupt sollte man den Supermenschen und die Träume von Teilhard und Bresch vergessen. Bei der derzeitigen Bevölkerungsdichte, die ja (wenn nicht alles täuscht) in den kommenden Jahrzehnten noch steigen wird, ist an eine evolutive Höherentwicklung des Menschen weder im Sinne Darwins durch Mutation-Selektion zu denken, noch im Sinne einer beispiellosen Entfaltung und Betätigung der geistigen Fähigkeiten des Menschen nach dem Muster der Zukunftsvisionen des Pierre Teilhard de Chardin in Richtung Noosphäre und Omega oder des Freiburger Genetikers Carsten Bresch mit seinen ganze Galaxien umfassenden Eti-Kollektiven. Kosmische Evolution Alles Leben, auf wie vielen Planeten und wo immer in den Weiten des Weltalls es erblüht sein mag, samt seiner besonderen Ausprägung in Form des menschlichen Gehirns, wird mit dem Kosmos wieder vergehen: Wenn die mittlere Massendichte des Universums größer ist als der kritische Wert von io-19 g/cm3, wird nach vielen Jahrmilliarden die Expansion des Universums zum Stillstand kommen und in eine Kontraktion übergehen, die schließlich nach einigen Billionen Jahren zu einem Zustand unvorstell- bar hoher Dichte und Temperatur führt, wie er unmittelbar nach dem Urknall vorlag. Möglicherweise geht dann die Materie in jenen unbekannten Zustand vor dem Urknall über und wartet, bis irgendwann, vielleicht sofort nach Erreichen dieses Zustandes, ein neuer Urknall geschieht (noch ein wenig gewaltiger als der letzte) und der ganze kosmische Tanz von neuem beginnt und irgendwann vielleicht auch wieder Dichter Hymnen zum Lobpreis eines Weltenschöpfers singen, den es im darwinistischen Weltbild gar nicht gibt. Diese grandiose Schau einer auch das Leben umfassenden kosmischen Evolution mit melodramatischer Grundstimmung, unter der selbst Physiker wie Steven Weinberg73 sich von einem »Hauch tragischer Würde» und Größe angeweht fühlen, wenn sie in einsamer Höhe über der weiten Landschaft der Vereinigten Staaten schweben - diese gewaltige kosmische Vision vom Er-sprießen des Lebens durch Selbstorganisation des Urknallstaubes nach Darwins Prinzip hat etwas so unmittelbar Einleuchtendes, daß man sich ihrer Faszination kaum entziehen kann oder könnte, wenn es nämlich nicht gewisse Schwierigkeiten mit der Entstehung jenes DNS-Makromoleküls gäbe, das die genetische Information trägt und ohne das Lebewesen der uns bekannten Art nicht denkbar sind. Wo dieses Makromolekül nicht von selbst entstehen kann, kann auch Leben nicht von selbst entstehen. Von der Entstehung oder Synthese von Makromolekülen weiß man indessen durch jahrzehntelange sorgfältige experimentelle Forschungsarbeit zu viel, als daß ein Polymerchemiker sich ein-reden könnte oder einreden ließe, in Ursuppen könnten zufällig von selbst Makromoleküle von der Art der DNS entstehen. Dasselbe gilt auch für das spätere Kettenwachstum des DNS-Makro-moleküls im Laufe der Erdgeschichte von einer Tierklasse zur nächsthöheren. Wie ich in den vorangegangenen Kapiteln dargelegt habe, ist der Kettenwachstumsprozeß eines Makromoleküls (wenn die Wachstumsschritte dem Zufall überlassen sind) eine statistische Copolykondensation, deren maximale Wahrscheinlichkeit sich auf der Basis experimentell gesicherter Befunde berechnen läßt. Sie ist im Falle der DNS-Kette unvorstellbar gering, nämlich circa i : ioIOO° für einen willkürlich angenommenen Evolutionsschritt mit 250 neuen Genen. Dabei muß man bedenken, daß (bei insgesamt rund 50000 neuentstandenen Genen auf dem langen Wege vom Bakterium zum Säugetier) 250 neue Gene nur einen recht kleinen Entwicklungsschritt darstellen, daß 10100 aber bereits eine Zahl ist, die alle kosmischen Dimensionen sprengt (1083 ist die Anzahl der Atome des gesamten Universums und 1018 ist die Anzahl der Sekunden, die seit der Entstehung von Raum und Zeit verflossen sind). 1: ioIOO° ist daher eine so kleine Wahrscheinlichkeit für das Eintreten von Ereignissen, daß ein Beweis für den Zufallscharakter grundsätzlich unmöglich ist. Darwinismus ist daher eine Weltanschauung, eine Ideologie, und nicht eine wissenschaftlich bewiesene Theorie. Mehr noch: Die Bildung einer genetische Information tragenden DNS-Kette ist so ungeheuer unwahrscheinlich, daß sie nach allen menschlichen Erfahrungen als unmöglich gelten muß. Lebewesen tragen alle Merkmale einer hochintelligenten Konstruktion. Ich halte daher den Darwinismus für einen verhängnisvollen Irrtum, der seinen beispiellosen Erfolg letztlich wieder einem anthropozentrischen Wunschdenken verdankt, darin vergleichbar dem falschen Weltmodell des Claudius Ptolemäus (ioo bis 180 n. Chr.), das sich über mehr als iooq Jahre gegen das rund 300 Jahre ältere, richtige Modell des Aristarch von Samos hat behaupten können, bis es endlich im 16. Jahrhundert dem Frauenburger Domherrn Nikolaus Kopernikus gelang, dieses wieder ins Gespräch zu bringen. Kopernikus war in der glücklichen Lage, an Stelle des Ptolemäischen Systems, als dieses mit immer mehr Beobachtungen in Widerspruch geriet, ein anderes, eben das heliozentrische des Aristarch, anbieten zu können, das den neueren Beobachtungen besser entsprach. Wenn heute das darwinistische Weltbild mit immer mehr Beobachtungen in Widerspruch gerät, so gibt es keine naturwissenschaftliche Alternative, die an seine Stelle treten könnte. Mit der Frage nach der Entstehung des Lebens ist es in dieser Hinsicht wie mit der Frage nach der Entstehung der Materie. Als Albert Einstein von einem Journalisten einmal danach gefragt wurde, soll er als Antwort nur mit dem Finger nach oben gedeutet haben. Diese bescheidene Geste des großen Physikers nehme ich auch als die unter naturwissenschaftlichen Aspekten einzig angemessene Antwort auf die Frage nach der Entstehung des Lebens, das mehr ist als selbstorganisierte Materie. Anhang Die Struktur der DNS Desoxyribonucleinsäure (DNS oder DNA) ist der Hauptbestandteil der Chromosomen. Als dem Träger der Erbinformation kommt ihr in der gesamten belebten Natur eine zentrale Bedeutung zu. Dieser Aufgabe entsprechend unterliegt DNS im lebenden Organismus nicht wie die meisten anderen Makromoleküle einem Stoffwechselzyklus, bei dem nebeneinander fortwährend Polymerketten ab- und aufgebaut werden (Kontrolle durch radioaktiv markierte Monomere). DNS ist ihrer Konstitution nach ein linearer Polyester mit Phosphorsäure als Dicarbonsäurekomponente (die dritte Funktion wird nicht für die Kettensynthese genutzt) und einer substituierten Desoxyribose (Pentose) als Diolkompo-nente. Sie ist molekular-einheitlich. Ihre Molekulargewichte sind außerordentlich hoch und liegen bei isolierten Präparaten in der Größenordnung von io6 bis io9. DNS ist nur hinsichtlich des Konstitutionsprinzips der Kette und der Art der Struktureinheiten (eine Säure und vier verschiedene Diole) eine Substanz, die man mit einem Namen bezeichnen kann, nicht aber hinsichtlich der Anordnung der Struktureinheiten in der Kette. Es gibt in der Natur so viele verschiedene DNS wie es verschiedene Arten von Organismen gibt. Jede Art hat ihre eigene, nach Kettenlänge und Nucleotidsequenz genau festgelegte DNS. Wenn man auch geringere Sequenzunterschiede noch berücksichtigen will, muß man sagen: Jedes Individuum (wenn man von eineiigen Zwillingen absieht) hat seine eigene DNS. Abb. S.192 zeigt das Strukturprinzip des DNS-Moleküls. Bei der Hydrolyse durch das Enzym Desoxyribonuclease wird die Kette in ihre Struktureinheiten, die vier Mononucleotide, gespalten (durch gestrichelte Linien angedeutet). Die Nucleotide: Adenosinphosphat, Guanosinphosphat, Thymidinphosphat und Cy-tidinphosphat werden durch das Enzym Nucleotidase weiter gespalten in Phosphorsäure und Nucleoside, das sind N-glykosidische Verbindungen von Ribose bzw. Desoxyribose mit einer der vier Basen Adenin, Guanin, Cytosin, Thymin (s. Tab. S. 193). Neben DNS gibt es noch eine weitere Nucleinsäure, die Ribonucleinsäure (RNS oder RNA), die in verschiedenen Arten in der Zelle vorkommt. Von DNS unterscheidet sie sich chemisch durch das Vorhandensein einer OH-Gruppe am C-2 der Ribose und dadurch, daß statt der Base Thymin die Base Uracil auftritt. Über Synthese und Funktion der verschiedenen RNS-Arten siehe unter '«Tran-scription-, S. 238. In Übereinstimmung mit röntgenographischen Untersuchungen von Franklin V / \ 0 OH H CH2 HC'0* 'C*N i CH-N • Adenin (A) HC — [>u ch2 c C-NH2 V"'" ^ y n h 0 OH M ]l\ jL Cy,°Sin ICI i SCH-N VC-NH2 HC '*CH2 ' .C-N i y. C=C O'--*» /P\ 0 OH CH2 II ‘^0V C-NH 'ch-N NC=0 HC Thymin (T) HC ■_ _• ch2 c-c °N /0"'- H CH3 x 0 OH I u / H HC'°\ An X 1 CH -N 1 p X ' ' -Jff-c'Hz Y\- °x *Ö-- p - \^H / \ 0 OH nh2 \ ch2 0 11 HC'°v XC-N X 1 CH- -N SC-f Cytosin (C) C = C X .,0 — H H /P\ 0 OH Einzelstrang Primärstruktur der DNS gemäß der CHARGAFFSchen Komplementaritätsregel50 .....Spaltung durch Desoxyribonucleinsäure und Wilkins51 bildet das DNS-Molekül eine plektonemische* Doppelspirale, die auch im gelösten Zustand erhalten bleibt. Die Stränge der Spirale werden von der Polyphosphorsäureesterkette gebildet, während die Basenreste. das Innere der Spirale ausfüllen (s. Abb. S. 193). Man kann sich als Modell eine Leiter aus Draht denken, die verdrillt wurde. Die endgültige Aufstellung dieses Strukturmodells und die Erklärung für die Stabilität ■ Plektonemische Doppelspiralen bestehen aus zwei miteinander verdrillten Einzelsträngen, im Gegensatz zu paranemischen Doppelspiralen, die durch seitliches Ineinanderschieben von zwei Einzelspiralen entstehen. Tabelle: Zur Nomenklatur der DNS- und RNS-Bausteine DNS-Nucleotid STRUKTURSCHEMA D = Desoxyribose B = Base ( T^A.G ) P = Phosphorsäure [pH RNS - Nucleotid STRUKTURSCHEMA R = Ribose B = Base IU,C,A,G) P = Phosphorsäure N u c le 01 i d e Abkürzung N ucleoside Basen Th y m idylsöure =Thymidin-5-monophosphat T Thymidin = Thyminribose Thymin Pyrimidin- basen nur in DNS C ytidylsäure = Cytidin-5-monophosphat C Cytidin = Cytosinribose Cytosin in DNS und RNS Adenylsäure = Adenosin-5-monophosphat A Adenosin = Adeninribose Adenin Purin -basen Guanylsäure = Guanosin-5-monophosphat G Guanosin = Guaninribose Guanin Uridylsäure = Uri din-5-mono phosphat u Uridin = Uracilribose Uracil nur in RNS Sekundärstruktur der DNS nach Watson-Crick links: Modell aus Styroporatomkalotten rechts: Modell aus Styroporscheiben, die den Basenpaaren (s. Abb. S. r94| entsprechen. Die Kordeln stellen die Poly-desoxyribose-phosphat-Ketten dar. Maßstab: i • io~6 mm i___________i THYMIN N*c"H . H ADENIN r—-*—2,8 A —*•/ LS”? j ,?."H-Nv _ / //C C\-«—3,0 A —*•//" C\\ fl,* H-C N-H-------N C^V. \ « / \ / H N —C C = N / * / HO H CYTOSIN H o GUANIN N-.—2,9A-*» H N-H.......0 N. H \ / ■*. / / CV«—3,0 Ä—*-/C C\\ I* H-C n——-H-N C —N. \ * / \ / XH N-C » C=N / \\«—2,9 A—*/ H 0-....-H-N \ H Basenpaanmg nach Watson und Crick 51 gemäß der CHARGAFFSchen Komplementaritätsregel s° A-T und C-G sind komplementäre Basenpaare N*: Uber dieses Stickstoffatom sind die Basen im DNS-Doppelstrang mit den Des-oxyriboseresten der Polyphosphorsäureesterketten verbunden. Wird bei Thymin die punktiert umrandete Methylgruppe durch H ersetzt, hat man Uracil, das in RNS an Stelle von Thymin (in DNS) steht. dieser Struktur, aus der sich auch die Möglichkeit zur Reduplikation ergibt, verdanken wir J. D. Watson und F. H. C. Crick51; die Doppelspirale des DNS-Mole-küls (doppelsträngige Helix) wird daher allgemein als WATSON-CRICK-Modell bezeichnet. Die Erklärung für die Stabilität liegt u. a. in der Tendenz zur Bildung von besonders stabilen Wasserstoffbrückenbindungen zwischen den Basenpaaren Adenin-Thymin einerseits und Guanin-Cytosin andererseits. Entsprechende Nebenvalenzbindungen Adenin-Cytosin und Guanin-Thymin würden auf Grund der sterischen Verhältnisse und der sich daraus ergebenden Abstände der die H-Brücken bildenden Atomgruppen weniger stabil sein (vgl. obige Abb.). In der Doppelspirale stehen sich daher stets die Basen gegenüber, die zusammen die stabileren H-Brücken bilden. Wegen der zentralen Bedeutung dieser als Basenpaarung bezeichneten molekularen Wechselwirkung für das Verständnis der kopierenden DNS-Synthese durch Aufbau komplementärer Tochterstränge will ich das Prinzip noch an einem Modell erläutern: Moleküle in einer Lösung verhalten sich wie Gasmoleküle: Sie bewegen sich ziemlich turbulent durcheinander, stoßen zusammen und prallen aneinander ab. Diese BROWNsche Bewegung oder Wärmebewegung der Moleküle ist ein Naturphänomen, das wir als solches zur Kenntnis nehmen müssen, wie etwa die Existenz des Sternenhimmels. Die Bewegungsenergie der Moleküle nimmt mit steigender Temperatur zu und mit sinkender Temperatur ab, bis schließlich bei -273 ° C keine Bewegungsenergie mehr da ist und folglich auch ein weiteres Absinken der Temperatur nicht möglich ist. Die Wärmebewegung äußert sich 1. in einer Bewegung der Moleküle von Ort zu Ort, von Zusammenstoß zu Zusammenstoß; 2. in einer Rotation der Moleküle und 3. in Schwingungen der Atome im Molekülverband oder im Kristallgitter. Es ist ein fundamentales Naturgesetz, daß Moleküle immer das Bestreben haben, den Umfang ihrer Beweglichkeit beizubehalten oder zu vergrößemjeine Konsequenz des 2. Hauptsatzes der ThermodynamikJ. DäFTieiSt'niclit, daß sich Stoffe nicht abkühlen, sondern daß sich Temperaturunterschiede stets von selbst aus-gleichen. Ein anderes nicht minder fundamentales Naturgesetz besagt, daß alle Materie und damit auch alle Moleküle die Tendenz haben, in den Zustand der kleinstmöglichen potentiellen Energie überzugehen oder in diesem zu verharren: Eine rollende Kugel, in eine Mulde geraten, wird schließlich im tiefsten Punkt zur Ruhe kommen, wenn ihre kinetische Energie nicht ausreicht, die Mulde wieder zu verlassen. So wie die rollende Kugel vom Schwerefeld der Erde eingefangen wird, können Moleküle sich gegenseitig unter der Wirkung der von ihnen ausgehenden Anziehungskräfte einfangen. Die Anziehungskräfte kD haben allerdings sehr kurze Reichweiten, weil sie mit der 6. Potenz der Entfernung r abnehmen: kD = K / r6. Man kennt dieses Phänomen von den magnetischen Kräften her recht gut, vom Garderobenschrank oder vom Kühlschrank mit den Magnetverschlußtüren: Macht man die Tür langsam zu, geschieht lange nichts. Erst wenn der Abstand der Magnete bei 1 mm liegt, schnappt die Tür zu. Und dies schon in einem Kraftfeld, in welchem die Anziehungskraft kM «nur» mit dem Quadrat der Entfernung r abnimmt (KM = K/rJ): Steigt die Entfernung auf das Doppelte, sinkt die Anziehungskraft bei den Magneten auf [ViY = 'A, bei Molekülen aber auf [Vi)6=Vm. Deshalb spielt bei der gegenseitigen Anziehung unter Molekülen die Entfernung, auf die sie sich nahe kommen können, eine so große Rolle. Diese aber wird maßgeblich durch die Oberflächengeometrie der wechselwirkenden Moleküle bestimmt. Es kommt hinzu, daß bei vielen Molekülen bestimmte Gruppen den Hauptanteil der Anziehungskräfte beisteuern, während andere Teile der Moleküle nur vergleichsweise wenig beizutragen vermögen. Daher bildet schon die Verteilung solcher Gruppen an einer geometrisch -glatten» Oberfläche Muster, die bewirken, daß nur der Kontakt mit Molekülen, die ein passendes Gegenmuster, d. h. eine komplementäre Verteilung der stark wechselwirkenden Gruppen besitzen, zu einer festen Haftung führt. Die gestrichelten Linien in Abb. S.194 zeigen an, welche Gruppen bzw. Atome bei den Purin- bzw. Pyrimidinbasen (Adenin-Thymin bzw. Guanin-Cytosin) den Hauptanteil der Anziehungskräfte liefern. Die Vielzahl der Zusammenstöße in den verschiedensten Positionen im Rahmen der Wärmebewegung sorgt dafür, daß sich die Moleküle ständig abtasten, bis zufällig eine Konstellation mit optimaler Anziehung eintritt, die von ihrer Bewegungsenergie nicht mehr überwunden wird: sie sind -eingerastet». So auch bei den Basenpaaren A-T und C-G. Abb. S. 196 zeigt die Bedeutung der Oberflächengeometrie an Modellen, die man sich aus Holz oder Plastikmaterial geformt denken kann. Am Grunde der Mulden sind Magnete angebracht, die so gepolt sind, daß sich die Moleküle anzie-hen und fest einrasten. Das aber nur, wenn sich die Magnete nahe genug kommen können. Das aber ist nur möglich, wenn sie in bestimmten durch die Geometrie der Oberflächen gegebenen Positionen zusammenpassen. Das Zusammenfügen besorgt in Wirklichkeit die Wärmebewegung der Moleküle. Die Anziehung wird im biologisch relevanten Bereich fast immer durch die Wasserstoffbrücken-Wech- Zum Einfluß der Oberflächengeometrie auf die zwischenmolekulare Anziehung: Nur komplementäre (sich ergänzende, passende) Oberflächen |A••■A', C -C' usw.) ergeben optimale Haftung. selwirkung bewirkt. Molekülanordnungen mit einem bestimmten Muster an Atomgruppen, die eine solche Wechselwirkung ermöglichen, zwingen die Molekülketten der Proteine in bestimmte Helixformen und die Helixketten in be- stimmte Tertiärstrukturen. Dieselben Kräfte mit anderer Oberflächengeometrie bewirken die Doppelhelixstruktur der DNS-Ketten, die Tertiärstruktur der Trans-fer-RNS und der Ribosomen (vgl. S. 236) und die komplizierten Überstrukturen der DNS-Ketten in den Chromosomen (s. Abb. S. 203). Selbst an den Oberflächen der Zellen befinden sich geometrische Muster mit einer bestimmten Verteilung von Atomgruppen, die die Ausbildung von Wasserstoffbrücken mit anderen Zellen, aber auch mit Antikörpern, Bakterien und Viren ermöglichen. Haftstellenmuster ermöglichen Selbstmontage im molekularen Bereich. Die Synthese der DNS in der Zelle Sequenzerhaltung durch Replikation Daß das möglich ist, daß es also zu jedem Einzelstrang eines DNS-Moleküls gerade immer einen komplementär gebauten Strang gibt, der mit dem anderen Strang eine Doppelspirale der beschriebenen Art bildet, in der einem Basenrest A immer gerade ein Basenrest T und entsprechend einem G ein C gegenübersteht, liegt an der Eigenart der enzymatischen Synthese, bei der ein Basenstrang durch den neu entstehenden kopiert wird, indem längs einer vorgegebenen DNS-Kette fortschreitend das jeweils komplementäre Nucleotid an die neu wachsende Kette addiert wird, wie in Abb. S. 198 schematisch dargestellt ist. Dieser als semikonservative Replikation bezeichnete Prozeß ist nur möglich, wenn sich die Doppelspirale am Ort der Synthese in ihre Einzelstränge trennt. Über den Mechanismus dieser Entspiralisierung gibt es wohl Hypothesen, aber keine experimentell gesicherten Aussagen. Lediglich die Tatsache der semikonservativen Replikation der DNS bei der enzymatischen Synthese kann als bewiesen gelten. A. Kornberg54 gelang es 1955, aus Coli-Bakterien ein Enzym (■•DNS-Polyme-rase-I») zu isolieren, das in der Lage ist, aus den vier Nucleotiden, und zwar den Desoxyribonucleosidtriphosphaten, DNS zu synthetisieren, wobei die beiden äußeren Phosphatgruppen als Pyrophosphat abgespalten werden. Die Untersuchung dieser Synthese bestätigte durch die folgenden bedeutsamen Ergebnisse das Schema der semikonservativen Replikation: 1. Die Synthese läuft nur dann ab, wenn alle vier Nucleosidtriphosphate gleichzeitig anwesend sind. Fehlt eines der Triphosphate, so geht die Synthese nicht. 2. Zum raschen Ablauf der Synthese ist stets die Anwesenheit von DNS erforderlich (Matrizen-DNS, template-DNA), wobei es gleichgültig ist, ob diese DNS pflanzlichen oder tierischen Ursprungs ist. Ohne die Anwesenheit von DNS bei der Synthese entstehen bei sehr langer Reaktionszeit Nucleinsäuren mit alternierender Basensequenz, -A-T-A-T-A-T-A-, sowie Nucleinsäuren aus homopolymeren Strängen, -C-C-C-C-C- bzw. -G-G-G-G-G-, beide in Form von komplementären Doppelspiralen.55* Die Matrizen-DNS (auch als -template» [= Schablone] bezeichnet] kann bei der Synthese mit dem Enzym Polymerase aus E. Coli in Form von Einzelsträngen mit Starter (■•Primer”) oder beschädigten Doppelsträngen vorliegen. Andere Polymerasen (z. B. aus Thymus) erfordern als Matrize Einzelstrang-DNS. • Nach Versuchen von Sumper und Luce entsteht mit Qß-Replicase, einem Enzym aus Coli-Bakterien, die mit Qß-Phagen infiziert waren, ohne Anwesenheit von Matrix-RNS-Mole-külen eine RNS mit nichtperiodischer Sequenz.75 Schema der DNS-Synthese als semikonservative Replikation nach J. D. Watson sj 3. Die Sequenz der bei der KoRNBERG-Synthese neu entstehenden DNS ist - unabhängig von den Mengenverhältnissen der vier vorgelegten Nucleosidtriphos-phate - stets identisch mit der Matrizen-DNS. Abbildung replizierender DNS Die DNS-Doppelhelix hat einen Durchmesser von ca. 20 Ä und kann daher elektronenmikroskopisch abgebildet werden. Abb. S.r99 zeigt die ringförmige DNS des X-Phagen während der Replikationsphase. Die Pfeile markieren die beiden Replikationsgabeln. Elektronenmikroskopische Aufnahme der ringförmigen DNS des k-Phagen während der Replikation. Die Pfeile markieren die Replikationsgabeln. Nach J. Tomizawa und X Ogawa57 Die Aufgabe der DNS in der Zelle Die DNS und ihr Gehäuse Der Ort des Geschehens, der natürlichen Synthese von DNS und Proteinen nämlich, ist die Zelle. In der primitivsten Form des Lebens führen die Zellen, z. B. als Bakterien, ein Einzeldasein, in wäßriger Lösung suspendiert oder in Kolonien auf feuchten Oberflächen, z.B. den Nährmedien im Forschungslabor. Auch in Kolonien sind die Bakterienzellen nicht miteinander verwachsen, sondern leben isoliert. In dieser primitiven Form hat das Leben auf der Erde ca. drei Milliarden Jahre existiert, ehe die Organisation von Zellen zu mehr- und vielzelligen Lebewesen einsetzte, die dann im Laufe von nur rund 500 Millionen Jahren zu der heutigen Pflanzen- und Tierwelt mit ihrer großen Formen Vielfalt führte. In den Bakterienzellen (Größenordnung: ‘/looomm Durchmesser) ist die DNS über das ganze Zellvolumen verteilt, in den Zellen der höheren Lebewesen dagegen ist sie ganz überwiegend auf das Volumen des Zellkerns (Durchmesser ca. ’/ioomm) beschränkt, in welchem sich Replikation und Transcription abspielen. Die ca. 200 Ä großen Ribosomen, die Zentren der enzymatischen Proteinsynthese, befinden sich - überwiegend an Membranoberflächen fixiert - im Zytoplasma, das die ganze Zelle als Gel ausfüllt. Die Körper vielzelliger Organismen von der Art der Säugetiere bestehen aus vielen Milliarden bis vielen Billionen Zellen (der menschliche Körper besitzt schätzungsweise 60 ■ io12 Zellen). Sie sind, je nach Art der Lebewesen und je nach ihrer Aufgabe, verschieden in Größe Zellmembran Endoplasmat Reticulum Mitochondrium Kernmembran Nucleolus Zentriol Golgi-Zone Zelloberfläche Lipoidtropfen Polysomen Endoplasmat. Reticulum Kernporen Mitochondrium Schematischer Schnitt durch eine Zelle. Der Zellkern, teilweise aus dem Schnitt herausragend, befindet sich in Interphase (Phase zwischen den Zellteilungen, während welcher die DNS diffus im Kemvolumen verteilt ist). Nach Wohlfahrt-Bottermann und Bresch-Hausmanns8 und Gestalt. In der Abbildung ist ein Würfel-Ausschnitt aus einer Zelle mit dem Zellkern und den verschiedenen Organellen schematisch dargestellt. Auch für den Kerndurchmesser kann man keinen generell gültigen Wert angeben. Der bei dem folgenden Größenvergleich angenommene Durchmesserwert von Vioomm ist daher nur als ein Mittelwert, als eine Größenordnung zu betrachten. Die im Zellkern befindliche DNS ist normalerweise diffus über das Kemvolumen verteilt, so daß man sie unter dem Lichtmikroskop nicht sieht. Erst im Teilungsstadium findet eine Verdichtung statt, so daß sie in Form der Chromosomen in Erscheinung tritt, die jedoch außer DNS auch noch basische Proteine (Histone) enthalten. Der DNS-Gehalt pro Zellkern läßt sich experimentell bestimmen.59 Er liegt bei vielen Säugetieren in der Größenordnung von m = 7 • ro"“g DNS pro Zellkern. Daraus errechnet sich - angenommen, die DNS bildet einen zusammenhängenden Strang - ein Molekulargewicht von M = m ■ NL = 7 ■ 10 11 ■ 6 ■ ro2’ - 4,2 ■ ro12 Die Doppelhelix besteht, wie das Modell der Abb. S. r93 erkennen läßt, aus schichtenweise wendeltreppenartig aufeinandergestapelten Struktureinheiten (Nucleotidpaaren). Deren Anzahl P (Polymerisationsgrad) ergibt sich aus dem Molekulargewicht M der Kette und dem Molekulargewicht Mmo„ der Struktureinheit. Mit M = 4,2 ■ io12 und Mmon = 600 (Mittelwert) ergibt sich für P: P = M / Mmon = 4,2 • io12 / 600 = 7 ■ ro9 Jede Nucleotideinheit hat eine Stapelhöhe von rund 3 Ä, so daß sich für die Gesamtlänge der DNS-Helix eine Länge von hDNS(Cesamtl = 7 ' IO9 ' 3 = 200 ■ IO8 A = 2 m' ergibt. Es bleibt zu berücksichtigen, daß die DNS nicht in einem Stück vorliegt, sondern in Form von mehr oder weniger zahlreichen, verschieden langen Chromosomen. Beim Menschen ist die Chromosomenzahl 46, so daß man für ein Chromosom eine mittlere Länge von LoNsichi = 200 • io8 / 46 = 4,37 ■ io8 Ä = 4,3 cm erhält. Um sich ein anschauliches Bild von den Verhältnissen in einem Zellkern machen zu können, kann man die naturgegebenen Maße für Kemdurchmesser und DNS mit dem Faktor 50000 multiplizieren. In der folgenden Tabelle sind diese Modellwerte den wirklichen Abmessungen gegenübergestellt: Tabelle: Größenverhältnisse im Zellkern Zellkern Volumen 1 Durch- messer DNS Masse DNS- Durch- messer DNS- Ges.- Länge mittlere DNS-Länge" " Kon zen- tration Natur: Modell: 0,52 • io-9 ml 65,451 10 |im 50 cm 7 ' io-,1g 875 g*“ 20 Ä 0, i mm 2 m 100 km 4,3 cm 2 km 1,2 % 1,2 % Man stelle sich also vor, wie es in einer Kugel, die nur wenig größer ist als ein Wasserball, aussieht, wenn man 40 bis 50 je zwei Kilometer lange und '/lomrn dicke Drähte in verknäulter Form hineingestopft hat. Es ist zunächst überraschend zu sehen, daß selbst dann, wenn alle Drähte (Gesamtlänge 100 km) in der Kugel verpackt sind, nur rund 1,2 Prozent ihres Volumens mit Masse ausgefüllt ist. Wegen der BROWNschen Bewegung befinden sich die Kettensegmente der Knäuel im Zustand lebhafter Schwingungen. Das ist das Bild des Keminnem im Zustand zwischen den Zellteilungen. In diesem als Interphase bezeichneten Zustand findet die Aufspaltung (Entdrillung) der DNS-Doppelstränge unter gleichzeitiger Verdoppelung jedes Einzelstranges statt, wobei die neu entstehenden Stränge jeweils Komplementärkopien der Matrixstränge darstellen (vgl. Abb. S. 198). ■ Diese Länge ist für makromolekulare Stoffe keineswegs ungewöhnlich: Für die gleiche Menge von 7 • 10“11 g eines gelösten synthetischen Polymeren, wie Plexiglas oder Polystyrol, errechnet sich eine Gesamtlänge der aneinandergereihten Fadenmoleküle von 10,5 m. Die größere Länge ergibt sich aus dem geringeren Durchmesser der Molekülfäden. Der Durchmesser des DNS-Doppelstranges beträgt ca. 20 A, die Flöhe einer vollen Windung ca. 30 Ä. Eine Windung enthält ungefähr 11 Nucleotidpaare. Der Durchmesser von Kunststoffmakromolekülen liegt bei 6 bis 8 Ä. *' Mittlere DNS-Länge pro Chromosom (Mensch). '" ’ Bei gleicher Dichte von DNS- und Modellfaden. Man sollte, wenn man von der enzymatischen DNS-Synthese (Replikation) in vivo spricht, das in Tab. S. 201 vorgestellte Bild von der Situation der DNS-Ketten im Zellkern stets vor Augen haben, um das Erstaunliche des Vorgangs zu erkennen: In all dem Gewirre der Fäden müssen sich die Enzyme, die den Kopiervorgang steuern, mit großer Sicherheit zurechtfinden, damit sie buchstäblich nicht den Faden verlieren. Dabei muß man bedenken, daß auch sie, die Enzyme selbst, kunstvoll spiralisierte und geknäuelte Fäden sind, so daß eine translatorische Bewegung sicher stark behindert ist. Das ganz und gar Unverständliche bei dieser Reaktion ist der Umstand, daß jeder DNS-Doppelstrang bei der Replikation nur einmal zur Reaktion gelangt, obwohl die DNS unverändert aus der Reaktion hervorgeht und weitere Monomere verfügbar wären. Daß sie unverändert ist, muß man daraus schließen, daß die Erbinformation bei der Replikation erfahrungsgemäß unverändert bleibt. Trotzdem muß sie nach der Reaktion in - wenn auch nur vorübergehend -verändertem Zustand vorliegen, sonst könnten die Enzyme nicht erkennen, welche Teile des Moleküls bereits kopiert sind und welche nicht. Worin diese vorübergehende Veränderung bestehen soll, kann man sich schwer vorstellen. Die Chromosomen liegen bei den höheren Organismen vor der Replikation schon in doppelter Ausfertigung vor (Diploidie), so daß nach der Replikation zwei homologe - d. h. einander in der Genfolge entsprechende, aber in der Nucleotid-sequenz nicht identische - Chromosomen mit je zwei sequenz-identischen DNS-Doppelsträngen (Schwesterchromatiden) im Kern sind. Wenn eine Zelle sich zur Teilung anschickt, finden sich in all dem Gewirre die homologen Chromosomen paarweise zusammen, wie wenn auf einem Kasemen-hof der Befehl zum Antreten gegeben wird. Sie müssen sich sehr präzise zusammenfinden, denn eine Längsverschiebung von 0,01 mm auf 2 km Länge - im Modell - würde bereits eine Störung bei der als Crossing-over (s. S.223) bezeichne-ten Überkreuzverknüpfung von einander entsprechenden Teilstücken von homologen Chromosomen verursachen, die für das Lebewesen verhängnisvolle Folgen haben müßte. In den verschiedenen Stadien vor der Zellteilung (Abb. S. 204) verdichten sich die Chromosomen, indem die DNS-Doppelstränge nochmals und nochmals zu Spiralen immer höherer Ordnung aufgewickelt werden, die sich als große Schleifen um eine zentrale Achse zu gruppieren scheinen (s. Abb. S. 203). Die Entflechtung und Verdichtung der Interphaseknäuel und ihre Paaranordnung ist ein Vorgang, dessen Mechanismus unverstanden ist. Er ist jedoch nur denkbar, wenn die großen DNS-Knäuel der Interphase sich nicht wahllos durchdringen und verschlingen können. Die in Abb. S. 203 dargestellte, spezielle Art der Assoziation von DNS und Hi-ston muß als ungewiß bezeichnet werden. Man hat in den letzten fahren DNS-Histon-Komplexe gefunden, bei denen - gerade umgekehrt - das Protein von DNS-Ketten umwickelt ist. Sicher ist nur, daß - in welcher Form auch immer -eine erhebliche Verdichtung der DNS während der Zellteilung erfolgen muß, da man sich anders das Auftreten der unter dem Lichtmikroskop sichtbaren Chromosomen nicht erklären kann. Die Art und Weise dieser Verdichtung ist unbekannt. In manchen elektronenmikroskopischen Abbildungen von Chromosomen sind deutlich Spiralen mit Spiraldurchmessem um 300 Ä zu erkennen, die eine Überspiralisierung nahelegen. Trotzdem stellt Abb. S. 203 nur eine der denkbaren Verdichtungsmöglichkeiten dar. Schematische Darstellung der hypothetischen Überstruktur der DNS-Histon-Helix, entsprechend der Chromosomenverdichtung beim Übergang des Zellkerns von der Interphase zur Metaphase I DNS-Doppelstrang, von Protein(Histon)-Spirale umwickelt II Doppelstrang I als ioo-Ä-Spirale (r. Uberspiralisierung) III Uberspirale II als Schleifenstrang jo,2 p Durchmesser) IV Strang III nochmals gewendelt (Chromosom, um r p Durchmesser) Man kann es noch so sehr bedauern, daß man das, was gleichzeitig geschieht, nicht gleichzeitig beschreiben kann, aber das liegt im Wesen der Wissensübermittlung durch Sprache und Schrift. Das Bild bietet zwar die Möglichkeit, Hek-tors Tod, Andromaches banges Warten und das Urteil des Paris in eins zu verweben, aber auch hier sind dem gleichzeitigen Aufnehmen verschiedener gleichzeitig und zu verschiedenen Zeiten geschehener Ereignisse Grenzen gesetzt. Der Schreibende darf auf das Gedächtnis des Lesenden vertrauen, und so hoffe ich, daß der Leser imstande ist, die nacheinander beschriebenen Vorgänge der semikonservativen Replikation (Abb. S. 198), der meiotischen Zellteilung (Abb. S. 204) und der Proteinsynthese (Translation, S. 238) nun allesamt an den Ort des Geschehens, die ‘/looomm kleine Bakterienzelle oder den Moomm kleinen Zellkern zu übertragen. Das ganz Besondere des in vivo-Geschehens liegt darin, daß hier ein einziges Molekül, das DNS-Molekül, reagiert: so reagiert, daß sich die Einzelstränge unter Addition ihrer Komplementärkomponenten (Nucleotidmonomeren) wieder zu Doppelsträngen mit gleicher Sequenz der Kettenbauteile ergänzen; so reagiert, daß da, wo ein Repressormolekül den Ort für den Beginn einer Transcription freigibt, die Stränge über eine Länge von 8000 bis 10000 Nucleotiden hin sich aus ihrer spiraligen Umschlingung lösen und an einem der Stränge (dem richtigen) eine komplementäre Addition von RNS-Kettenbauteilen ermöglichen, so daß Leptotän | Zygotän SY N A P S I S mit haploidem Chromosomensatz Schematische Darstellung der Chromosomenpaarung und -trennung während der meiotischen Zellteilung mit Crossing-over (Chiasma) ...... homologes Chromosomenpaar. Jedes Chromosom enthält hier, nämlich nach der DNS-Replikation und vor der Zellteilung, zwei DNS-Doppelstränge, was im Mikroskop erst im Stadium des Diplotäns sichtbar wird. (Die Replikation erfolgt bereits in der Interphase, d. h. in der Zeit zwischen den Zellteilungen.] Vom Diplotän an symbolisiert daher jede Linie (durchgezogen oder gestrichelt) nur einen DNS-Doppelstrang. Die Zellen der höheren Pflanzen und Tiere enthalten mehrere, verschieden lange Chromosomenpaare. Ubersichtlichkeitshalber wurde hier jedoch nur ein Chromosomenpaar eingezeichnet. eine Roh-Messenger-RNS entstehen kann, die (zumindest bei höheren Organismen) zunächst einmal in io bis 20 Stücke zerschnitten und nach Aussonderung des größeren Teils der Stücke neu zusammengesetzt wird47 und dann in dieser neuen Form an den Ribosomen als Vorlage für die Synthese einer Proteinkette mit bestimmter codegemäßer Reihenfolge der Aminosäuren dient. Je nach Zeit, Ort und Situation (embryonales Wachstum, Wachsen der Zähne, Wachsen der Fingernägel, Heilen einer Wunde, beim Eindringen von Viruspartikeln in die Nasen- Schleimhaut, bei der Entstehung neuer Blut- oder Spermazellen etc.], werden verschiedene DNS-Abschnitte zur m-RNS-Synthese (Transcription) freigegeben, so daß die jeweils richtigen (benötigten) Strukturproteine, Enzyme oder Antikörperproteine an den Ribosomen produziert werden; s. S. 230: «Operon-. Während an den verschiedensten Stellen der langen DNS-Kette (um 1 mm bei Bakterien, um 5 cm bei Säugetierchromosomen) Transcriptionsreaktionsreaktio-nen (Synthese der m-RNS, siehe Seite 238) stattfinden, läuft die Replikation, die kopierende DNS-Synthese, einmal pro Zellteilung die ganze Kette entlang. Damit sich die beiden Reaktionen nicht ins Gehege kommen, d.h. die eine die andere nicht einholt, müssen ihre Geschwindigkeiten gleich sein. Beide Reaktionen bedürfen der Startfreigabe. Das Schloß eines Gens (DNS-Abschnitts) wird immer dann geöffnet, wenn das diesem Gen entsprechende Enzym in der Zelle benötigt wird (Operon-Schema, siehe Seite 230). Der Start für die Replikation ist mit den Signalen für die Zellteilung gekoppelt, denn diese Synthese darf nur einmal in der Zeit zwischen zwei Zellteilungen ablaufen, weil sonst das totale Polyploidiechaos ausbrechen würde. Was das bedeuten kann, sieht man am Beispiel der Trisomie 21 beim Menschen: Wenn das Chromosom 21 dreifach (statt zweifach im Normalfall) vorliegt, treten die Symptome des Mongolismus auf. Ist die Zeit der Zellteilung gekommen (die rechte Zeit zeigt sich in der Zelle in Stoffkonzentrationsmustem an, die nacheinander entstehen und in stetiger Änderung begriffen sind), schicken sich die DNS-Ketten an, in merkwürdiger Paradeformation Aufstellung zu nehmen, bei der es zu den Crossing-over-Überkreuzun-gen kommt, durch die homologe, d.h. gleichartige Information (Haarfarbe, Augenfarbe etc.) enthaltende Gene (= DNS-Kettenstücke) ausgetauscht werden. Das alles geschieht mit den 3 bis 5 cm langen DNS-Molekülen der Chromosomen in den kleinen 0,01 mm großen Zellkemkügelchen (im Modell: 46 je 2 km lange o, 1 mm-Drahtstücke im 5 o cm großen Wasserball). Erstaunlich viele Details sind in den letzten Jahren entdeckt worden und werden noch fortwährend entdeckt, und immer rätselhafter werden die mit Zellteilung und Zelldifferenzierung zusammenhängenden Vorgänge unter chemischen Aspekten, d. h. in bezug auf die molekularen Zustandsänderungen: Je mehr wir über das Makromolekül DNS wissen, desto geheimnisvoller wird es, desto deutlicher erkennen wir, daß wir im Grunde nichts wissen, weil wir das Eigentliche, das Geheimnis des Lebens, nicht sehen können. Experimente, Gleichungen, Ableitungen Evolutionsexperimente Das Basisexperiment für alle Überlegungen zur Entstehung des Lebens durch Selbstorganisation ist (oder sollte sein) der MiLLER-Versuch17, der schon viel früher in ähnlicher Form von anderen beschrieben war16 und der inzwischen in zahlreichen Varianten hundertfach wiederholt wurde19 und immer zu dem gleichen Ergebnis führte: Elektrische Entladungen oder ionisierende Strahlung in einem CH4, H,0 und NH, enthaltenden Gasgemisch führen zur Bildung eines höchst komplizierten, meist kurz «Ursuppe- genannten Stoffgemisches aus zahlreichen mono-, bi- und trifunktionellen Verbindungen aus vielen Verbindungsklassen der organischen Chemie, wobei die kettenabbrechenden monofunktio- nellen Stoffe gegenüber den kettenaufbauenden bifunktionellen Stoffen stets in großem Überschuß vorliegen (s. Tab. S. 42). Dies ist das für die Frage der Entstehung des Lebens durch Selbstorganisation wichtigste Resultat der MiLLER-Versu-che, weil daraus unmittelbar und zwingend folgt, daß sich in Ursuppen langket-tige Makromoleküle nicht bilden können. Makromoleküle wie Proteine oder Nu-cleinsäuren wurden daher bei MiLLER-Versuchen nie gefunden. In der Literatur verbreitete gegenteilige Behauptungen treffen nicht zu. Neben den MiLLER-Versuchen, den einzigen, die sich an den geologischen Fakten (soweit verfügbar) orientieren, sind noch eine Reihe weiterer Versuche beschrieben worden, darunter auch solche, die sich mit der Synthese von protein-und nucleinsäureartigen Makromolekülen beschäftigen, so zum Beispiel von A. Katchalsky, Mella Paecht-Horowitz16 und L. E. Orgel.13 Alle diese Versuche tragen insofern nichts zur Frage der Entstehung des Lebens bei, als sie von reinsten, einheitlichen bifunktionellen Monomermolekülen ausgehen und nicht von Stoffgemischen nach Art der MiLLER-Ursuppen mit ihren überschüssigen monofunktionellen Komponenten. Wie sehr die vielen Laboratoriumsversuche zur Entstehung des Lebens an den Realitäten der frühen Erde Vorbeigehen und wie wenig sie der Forderung genügen, die präbiotischen Bedingungen wahrheitsgetreu nachzuahmen, erkennt man an den Details der Laboratoriumsvorschriften zur Herstellung der Ausgangsstoffe für die Polykondensation von Nucleosidphosphaten zu Oligonucleotiden. Dafür ein Beispiel aus den sorgfältig durchgeführten Experimenten von L. Orgel: Präbiotische Bedingungen nach «Journal of Molecular Evolution» (Übersetzung aus der englischen Originalarbeit13) «Ausgangsstoffe Nucleoside und Nucleotide wurden gekauft bei der Firma Terra Marine Bioresearch; ‘•'C-markierte Nucleotide bei Firma Schwarz/Mann; Dinucleosid-phosphate und 1,1' Carbonyldiimidazol bei Firma Sigma. Phenylborsäure wurde von der Firma K & K Laboratories, Inc. gekauft; Borasorb, ein spezifischer Austauscher für Borate, erhalten von Firma Calbiochem, wurde gebraucht, um Phenylborsäure aus den Reaktionsmischungen zu entfernen. Vor dem Gebrauch wurde der Austauscher ausgiebig mit einer Triaethylamin-Methanol-Dimethylform-amid-Mischung gewaschen. RPC-5 (Miles Laboratories), ein Reversphasen-Anio-nenaustauscher, wurde gebraucht zur Kolonnenchromatographie von Oligomer-Mischungen (Pearson et al.). Die Filtration der verschieden UV absorbierenden Eluate wurde durchgeführt mit UMO-5 Ultrafiltem der Firma Amicon. Darstellung der Nucleosid-s ’-phosphorimidazolide Die von Cramer beschriebene Darstellungsweise liefert 5'-phosphonmidazolide, die mit geringen Mengen von 2'- und 3'-Carbonylderivaten oder 2', 3'-cyclocarbo-naten verunreinigt sind. Da diese ein ernsthaftes Problem bei unseren Polymerisationsversuchen darstellen würden, haben wir die Vorschrift von Cramer leicht modifiziert. 5 g i,r'-Carbonyldiimidazol wurde zu einer wasserfreien Lösung von iommol Adenosin-5'-phosphorsäure, 1,8 g Phenylborsäure, 5 ml Tri-n-octylamin und r 5 ml Triaethylamin in roo ml Dimethylformamid gegeben. Nachdem die Lösung i Stunde gestanden hatte, zeigte ein aliquoter Teil, analysiert mit Hilfe von TLC in System I Imidazolylphosphorsäure-Adenosin als den einzigen UV-absorbieren- den Fleck. Nach Zugabe von 180 ml einer Mischung von Methanol/Triaethyl-amin im Volumenverhältnis r : 5 wurde die Mischung bei 4 °C über Nacht stehengelassen. Sie wurde dann mit 50g Borasorb gerührt. Nach zwei Stunden wurde das Harz abfiltriert und mit 200 ml Triaethylamin enthaltendem Methanol gewaschen. Die Waschlösung wurde mit dem Filtrat vereinigt und 2 ml Aethylenglykol wurden zugegeben. Die sich ergebende Lösung wurde im Vakuum rasch auf ca. 100 ml konzentriert. Das Konzentrat wurde tropfenweise zu einer kräftig gerührten wasserfreien Lösung von NaC104 (30 mmol) in einer Mischung von Aceton (21), Aether (11) und Triaethylamin (40 ml) zugegeben. Nachdem die Fällung sich abgesetzt hatte, wurde der größte Teil der überstehenden Lösung abgegossen und der Niederschlag durch Zentrifugieren unter Feuchtigkeitsausschluß gesammelt. Er wurde einigemal mit Aceton und zuletzt mit Aether gewaschen. Dann wurde er in einen Exsic-cator, in welchem sich P,Os und festes NaOH befand, gestellt und im Wasser-strahlpumpen-Vakuum vom Lösungsmittel befreit. Das so erhaltene Natriumsalz des Adenosin-5'-phosphoroimidazols wurde schließlich unter hohem Vakuum bei io-1 mm Hg bei Raumtemperatur getrocknet. Die Ausbeute war 3,4 g (80 Prozent). Das Präparat kann unter diesen Bedingungen monatelang ohne merkliche Zersetzung aufbewahrt werden. Die chromatographische Untersuchung eines kleinen Teils in System I zeigte, daß das Präparat eine Reinheit von besser als 98 Prozent besaß. Eine Spur von Adenosinphosphat war die einzige im UV-Spektrum erkennbare Verunreinigung. » Soweit das Zitat aus der Arbeit von Lohrmann und Orgel13 über die Darstellung der ••energiereichen monomeren Verbindung», die in 2,5prozentiger wäßriger Lösung in Gegenwart von Bleisalzen zu RNS-artigen Oligonucleotiden polykondensiert, in o,s prozentiger Lösung dagegen nur wenige Prozente des Dimeren liefert, weil - wie Orgel schreibt - die Hydrolyse bei dieser Konzentration 10- bis roomal schneller verläuft als die Kondensation.13* Die Arbeitsvorschrift läßt erkennen, daß von präbiotischen Bedingungen auch nicht andeutungsweise die Rede sein kann. Viermal wird darauf hingewiesen, daß Lösungsmittel und Geräte wasserfrei sein müssen. Das Präparat muß so rein sein, daß selbst Spuren von zyklischen Carbonaten, die nach der Heidelberger Vorschrift (Cramer et al.) noch entstehen, durch Verbesserung der Rezeptur vermieden werden müssen. Orgel bestätigt damit den von mir beschriebenen, das Kettenwachstum blockierenden Einfluß monofunktioneller Komponenten. In der gleichen Arbeit beschreibt Orgel Versuche zur Reaktion des wie oben beschrieben dargestellten Monomeren mit einem Nucleosid, das am Ribosering statt der OH-Gruppe am 2'-Kohlenstoff eine Aminogruppe besaß, und stellt fest, daß die Reaktion der Phosphorsäuregruppe mit der Aminogruppe 5 omal schneller verläuft, als mit der normalerweise dort befindlichen OH-Gruppe. Das bedeutet, daß in einer Ursuppe Nucleotidmonomere (Nucleosidphosphate) auch rascher mit der NHa-Gruppe der Aminosäuren reagieren als mit der OH-Gruppe am Riboserest der Nucleotidmoleküle. Selbst wenn dieser Unterschied durch die Anwesenheit von Bleisalzen wieder ausgeglichen wird, bleiben die Aminosäuren immer noch eine gleichwertige Konkurrenz. * Dies ist eine experimentelle Widerlegung von Eigens Behauptung1, das Massenwirkungsgesetz (Gleichgewichtsthermodynamik) spiele bei energiereichen Monomeren in offenen Systemen keine Rolle. Polykondensationsversuche mit reinen Substanzen sind keine Modellversuche zur Entstehung von Makromolekülen unter präbiotischen Bedingungen. Zu Unrecht bedauert K. Dose in seinem Buch -Chemische Evolution und der Ursprung lebender Systeme- das Festhalten am Ursuppenkonzept: -Leider ist die Konzeption von der eine jener Konzeptionen, die sich trotz thermodynamischer und organisch-chemischer Widersprüche seit bald einem halben Jahrhundert in der Fachliteratur hat halten können.» Es gibt aber kein anderes realitätsbezogenes Konzept. Feinreinigung von Monomeren und Kombination der «Richtigen» in den richtigen Verhältnissen ist ebensowenig ein Prozeß, der von selbst abläuft, wie die Aufreihung von Nucleotiden in nicht-beliebiger Sequenz zu langen DNS-Ketten. Wie sollten auf der wilden frühen Erde Prozesse ablaufen, wie sie L. E. Orgel in seinen Laboratoriumsversuchen mit Dimethylformamid als Lösungsmittel durchführt und beschreibt? Kettenlängenverteilung bei Oligomeren Selbst wenn bei einer Polykondensation die Entstehung von langen Ketten durch die Anwesenheit von monofunktionellen Stoffen verhindert wird, bedeutet das nicht, daß eine Kettenbildung in jedem Falle absolut unmöglich wäre. Korrekt muß es heißen: Die Bildung von längeren Ketten wird um so unwahrscheinlicher, je höher der Anteil der monofunktionellen Komponenten in der Ausgangsmischung ist. Dabei ist zu bedenken, daß das Ergebnis einer Polykondensation -unabhängig davon, ob die monomere Ausgangsmischung monofunktionelle Komponenten enthält oder nicht - stets eine Mischung verschieden langer Kettenmoleküle ist. Es ist aber nicht eine -wilde» Mischung, deren Zusammensetzung bei jeder Polykondensation (bei gleichen Bedingungen) verschieden ist, sondern die Zusammensetzung gehorcht einem sehr einfachen Verteilungsgesetz, das zuerst von G. V. Schulz und P. Flory entdeckt wurde und deren Ableitung man in den Lehrbüchern der Makromolekularen Chemie findet60: Wp=Np/N = pP“1- (1 - p ) ID In der Gleichung ist NP/N der Bmchteil der Ketten mit der Länge P= i, P = 2, P = 3 usw. oder (was dasselbe ist) die Bildungswahrscheinlichkeit WP einer Kette der Länge P = 1, P = 2 usw., p eine als Umsatz bezeichnete Größe und P ein Maß für die Kettenlänge, nämlich die Anzahl der Kettenglieder oder Struktureinheiten. Die Größe p ist durch die Hauptsätze der Thermodynamik, speziell durch das Massen Wirkungsgesetz gegeben, das für Polykondensationen — bei einer festgelegten Temperatur - folgendermaßen geschrieben werden kann (vgl. S. 212): Kp Gleichgewichtskonstante [HjO] Wasserkonzentratinn p Umsatz Die ScHULZ-FLORY-Verteilung gestattet, die Bildungswahrscheinlichkeit von Polymerketten in Abhängigkeit von ihrer Länge zu berechnen. Die Größe p ergibt sich normalerweise aus dem mittleren Polymerisationsgrad (oder der mittleren Kettenlänge) Pn nach der Beziehung Pn= 1/(1-p), die aber nur gilt, wenn keine monofunktionellen Komponenten zugegen sind. Im Falle einer Gleichgewichtspolykondensation kann man p auch mit Hilfe von Gl. (2) berechnen (Kp ist für Ester- und Amidbildung bekannt). Im Beispiel der Grenzflächenkondensation und analogen Reaktionen mit energiereichen Monomeren in wäßriger Lösung dagegen (angenommen, es gäbe eine Möglichkeit, daß diese sich entgegen allen bisherigen Erfahrungen in wäßrigem Milieu bilden können) nimmt man an, daß die Hydrolyse während der Polykondensation keine Rolle spielt (Reaktion weitab vom Gleichgewicht), so daß man auch Gl. (2) zur Berechnung von p nicht verwenden kann. Es bleibt nur die Möglichkeit, p für einfache Modelle (umgekehrt) aus der Wahrscheinlichkeit WP bzw. dem Bruchteil Np/N der Ketten mit P= 1, P = 2, P = 3 usw. mit Hilfe von Gl. (1) zu ermitteln. Einfache, mit einem Blick zu übersehende Modelle sind Polykondensationsbeispiele nach Art von Gl. (3). Numeriert man die funktionellen Gruppen mit 1 bis 4, sieht man sofort, daß hier die Wahrscheinlichkeit der Bildung eines Dimeren 1:4 ist, denn von den vier möglichen Zusammenstößen 1-2, 1-4, 2-3 und 3~4führt nur einer, nämlich 2-3 zum Dimeren: 1 2 3 4 ^ —x + O—x + o— --— mono/di = 2/1 Wp_2 = 1/4 ^ In gleicher Weise ergeben sich für größere Verhältnisse von mono/di folgende Wahrscheinlichkeitswerte WP=I für Dimere: 1 -x + mono /di = U /1 1 2 3 U 5 6 + 0—X + O— + O— un WP = 2 = = 1/9 3 U 5 6 7 8 : + —x - f O—X + O— + O— + O— ^ mono /di = 6/1 W P = 2 = 1/16 3 U 5 6 7 8 9 1 2 3 U 5 6 7 8 9 10 -X + —X + —X + —X + O— X + O— + O— + O— + O— mono/di =8/1 Diese Reihe läßt für WP„ folgenden allgemeinen Ausdruck erkennen (mit q* = mono/di): ,2 ____1___ lq*/2) + 1 W Bei P = 2 ist der Exponent P- i der ScHULZ-FLORY-Gleichung P - r = i, und je kleiner der Zahlenwert von p ist, desto mehr gilt i - p—> i, so daß gemäß Gl. (i) für P = 2 (bei kleinen p-Werten) p = WP=, ist. Wenn man auf dieser Basis die Bildungswahrscheinlichkeit für RNS- oder Proteinmoleküle in Ursuppen realitätskonform berechnen will, kann man sich nur an die Resultate von Urey-Miller-Versuchen halten (s. Tab. S. 42). Mitberücksichtigt sind Versuchsergebnisse von Dose und Risi19 (Aminosäuren und Amine durch Röntgenbestrahlung von Gasgemischen aus CH4, CO, NH3 und H20) und Ponnamperuma“, wonach durch Elektronenbestrahlung einer Gasmischung aus CH4, NH3 und H20 Adenin in o,oiprozentiger Ausbeute (bezogen auf CH4) entsteht. Das entspricht einer relativen molaren Konzentration von 0,003, wenn man - wie in Tab. S. 42 geschehen - alle Konzentrationen auf die von Glycin = 1 bezieht. Noch geringer anzusetzen sind die Konzentrationen der Nucleotide, da diese Zahlenbruchteil = Bildungswahrscheinlichkeiten von Nucleotidoligomeren mit Kettenlängen P = 5 bis P = ioo in Ursuppen in Abhängigkeit vom mono/di-Verhältnis mono- Zahlenbruchteile (Np/N = pp~') von Makromolekülen mit dem di- P Polymerisationsgrad P bei Polykondensation einer Mischung nach von mono- und difunktionellen Molekülen Gl. (4) p = 5 P = IO P = 20 P = 5° P = IOO 2/l Va 0,004 3,8- ro“6 4 ' io-11 3 • IO-30 2 • ro"60 4/l V» 1,5 IO-4 1,5 ' IO 9 7 ■ i o~19 2 • ro-47 3 • ro'95 6/l V16 1,5 I0“s 1,4 ' IO-11 r ■ ro"13 I • ro“39 6 ■ ro-'10 10/1 V36 6;o IO-7 1,0 • io-14 3 ■ io"30 6 ■ ro"77 I • IO-'55 100/, V2601 2,2 ro-'4 1,8 • ro-3' i ■ ro"64 5 ■ ro-'68 I • io'338 1000/j V251 000 1,5 IO“11 1,5 ■ IO-49 3 • IO- 103 I ■ I0"l6s I . IO“S35 Np/N = io~101 (mono/di = 100% und P = 20) bedeutet z. B., daß unter io'01 Oligonucleotid-molekülen eines Polykondensationsversuchs eines ist, das die Länge P = 20 besitzt. In einem Mol (6 ■ io25 Moleküle oder ca. 500 g) sind dann im Mittel rund 10-78 Moleküle mit P = 20, und dementsprechend 10 Wo Moleküle in 1 g, d. h. in 10“ g eines rohen Oligomerpräparates, das bei großem Uberschuß von monofunktionellen Ursuppenbestandteilen entsteht, ist im Mittel eine RNS-Kette mit der Länge P = 20 zu finden (10” g W Masse des Weltalls). nur durch Reaktion der Basen mit Ribose und Reaktion der so gebildeten Nucleo-side mit Phosphorsäurederivaten entstehen können. Berücksichtigt man demgegenüber die Konzentrationen der monofunktionellen Komponenten, so kommt man bei den Nucleotiden zu mono/di-Verhälmissen irgendwo zwischen 1000/i und 10000/i und bei den Aminosäuren um s/i. Obige Tabelle zeigt die für mono/di = M bis 1000/i berechneten Bildungswahr-scheinlichkeiten, die mit den auf anderem Wege, nämlich über Gl. (r) und Gl. (2) berechneten Werten11 - was die Größenordnung betrifft - gut übereinstimmen. Die Werte zeigen, daß nicht einmal für die Bildung der kurzkettigen Startoligo-meren (P = 10 bis 20) in Ursuppen eine reale Chance bestand, geschweige denn für die langkettigen RNS- oder DNS-Ketten, die sich auf dem Wege der Evolution zur ersten Zelle von selbst hätten bilden müssen, wenn man die Hypothesen zur Entstehung des Lebens durch Selbstorganisation ernst nehmen wollte. Stöchiometrie der Polykondensation Will man den Einfluß des Umsatzes p und des molaren Komponentenverhältnisses q mit Hilfe einer Gleichung quantitativ erfassen, kann man von der Definition des Polymerisationsgrades als Anzahl der Struktureinheiten pro Polymerkette ausgehen. Sind in einem Ansatz NM Monomerreste oder Struktureinheiten enthalten, die sich auf Np Polymerketten verteilen, so gilt folglich für den mittleren Polymerisationsgrad P„ (s. Abb. S. 21 r): Pn = Nm / NP (r) Bei Verschiedenartigkeit der bifunktionellen Monomeren kann das Monomeren-verhältnis von r verschieden sein, d. h. das eine Monomere kann im Überschuß vorliegen. Wenn nA die Anzahl der funktionellen Gruppen A (z. B. COOH) und nB die Anzahl der funktionellen Gruppen B (z. B. OH) zu Beginn der Polykondensa- c(T)o + x@x + cQo + xQx + cO O + xQx + cQ0 + xOx + O O+ O+ °0°+ Ox + o O+ O+ O+ Ox + °o 00000° ooooo 00000° ooooo Modellansatz zur Stöchiometrie der Polykondensation: Aus NM = 20 Monomeren (r2 A und 8 B) entstehen bei vollständigem Umsatz (p = 1) vier Polymerketten (Np = 4]. Der mittlere Polymerisationsgrad P„ ist in Übereinstimmung mit der Gleichung (r) Pn = 5. Bei 24 A-Gruppen (nA = 24) und 16 B-Gruppen (nB = 16) ist das Verhältnis q = 16/24 = 2/3 bei p = pB = i oder q = 24/16 = 3/2 bei p = pA = 0,666 [bei Anwendung von Gl. (5) zu beachten]. Monofunktionelle Moleküle zählen wie überschüssige bifunktionelle. tion sind, so gilt - da jedes Monomere zwei funktionelle Gruppen besitzt - für die Anzahl der im Ansatz vorhandenen Momomerreste bzw. Struktureinheiten NM: Nm = (i/2|nA + (i/2)nB = (i/z)nA + (i/2)nA (ng/nA) (2) Führt man für das Zahlen- oder Molverhältnis der Gruppen nA/nB zu Beginn der Polykondensation die Bezeichnung q ein, so ergibt sich: Nm = (l/2)nA[i + (i/q)] (3) Der Umsatz p ist der Anteil der nach einer gewissen Reaktionszeit umgesetzten funktionellen Gruppen. p = o,5 bedeutet also, daß 50 Prozent der insgesamt vorhandenen funktionellen Gruppen, beispielsweise OH- und COOH-Gruppen, zu -COO- und H20 umgesetzt wurden. Daher ist pA nA die Anzahl der zur Zeit t umgesetzten A-Gruppen. * Die Anzahl xt der nach dieser Zeit noch vorhandenen Gruppen, die sich als Endgruppen an den Kettenenden befinden, ist dann: xt = nA + nB - 2 pAnA = nA + nA (üb/iia) - 2 pAnA * Aus Gründen der Stöchiometrie ist die Anzahl der umgesetzten A-Gruppen stets gleich der Anzahl der umgesetzten B-Gruppen. Daher gilt: 2 Pa nA = Pa nA + pB nB = 2 pB nB Da aber pA =4 Pb ist, bezieht sich - wie man sich durch Anwendung von Gl. (5) auf einfache Beispiele leicht klarmacht - bei der obigen Ableitung der Umsatz p stets auf die bei der Bildung des Verhältnisses q im Zähler stehenden funktionellen Gruppen: Bei A-Uberschuß ist q = nA / nB > 1 und p = pA oder: q = nB / nA < 1 und p = pB Es empfiehlt sich, stets mit q < 1 zu arbeiten, weil nur dann alle p-Werte bis p = 1 erlaubt sind. Beispiel: q = nB / nA = 0,666, pB = 1, P = 5. Für denselben Ansatz gilt auch: q = nA / nB = 1,5, pA = 0,666, P = 5. p-Werte > 0,666 sind bei q = 1,5 nicht möglich, weil pB> 1 nicht möglich ist. Ersetzt man nA/nB wieder durch q; erhält man x, = nA[i + (i/q) - a pA] und, da jedes durch Polykondensation entstandene Makromolekül zwei funktionelle Endgruppen besitzt, ergibt sich für die Anzahl der Polymerketten Np = (i/2|nA[i+|i/q)-2p] p = pA bei q = nA/nB (4) p = pB bei q = ns/nA Setzt man Gl. (3) und Gl. (4) in Gl. (1) ein, erhält man für den Polymerisationsgrad als Funktion des Umsatzes p und des Monomerkomponenten-Verhältnisses q: _ _ nm _ i + li/q) _ i + q _ i + q js) ” Np i + (i/q)-ap i + q-2pq 2 q( 1 - p) + (1 - q) Einfluß der Gleichgewichtskonstante und des Wassers auf das Molekulargewicht Eine Polykondensation besteht, im Detail betrachtet, aus einer Vielzahl von Gleichgewichtsreaktionen: x®0 + ><5)0 x(m)s(m)o + h20 (a) x(m)x(m)o + x(m)o ;=^ x@g0g@O + h2o (b) x(m)s(m)o + X080O , xfJXEMH)8®0 + H2° (c) x@®@g(H)g(M)o + x@0 X@g(M)g(M)gl(M)g(M)o + H20 (d) x@8(m)S(mXm)0 + x@S(h)o x Pn* sein soll (Reihe 7-12 in Tab. S. 217). [H20] ist ein relativer Zahlenwert und gibt an, um wievielmal größer oder kleiner die bei einem bestimmten Reaktionsansatz im Gleichgewicht anwesende Wassermenge (im Sinne der Aufgliederung r bis 3) ist oder sein muß als die sich aus der Stöchiometrie der Reaktionsgleichung für diesen Reaktionsansatz ergebende maximal (d. h. bei p = 1) abspaltbare Wassermenge. Es ist daher auch gleichgültig, welche Maßeinheit (mol oder g) man für die Wassermenge in der Definitionsgleichung verwendet (selbstverständlich in Zähler und Nenner die gleiche), ebenso wie es gleichgültig ist, auf welche Größe des Ansatzes (Polykondensat + mHlo) man die Wassermenge mHlo und mHloimaxi bezieht, also etwa auf 1 g, 100 g, i mol, P„ mol oder 10 t. Der Anteil der umgesetzten funktionellen Gruppen nu/nG wird allgemein als Umsatz p bezeichnet: nu/nG = (»] = p (2) " Wenn man diesen Fall der Polykondensation im geschlossenen System - im Labor oder im Fabrikationsbetrieb - realisieren will, braucht man in der Regel einen Autoklaven, weil man höhere Temperaturen anwenden muß, damit sich das Gleichgewicht mit hinreichender Geschwindigkeit einstellt und dabei wegen der meist verschiedenen Dampfdrücke der Komponenten keine Verluste eintreten, die das Monomerverhältnis q ändern würden. Mit schnell reagierenden Monomeren ließe sich ein geschlossenes System bei niedriger Reaktionstemperatur natürlich auch in offenen Reaktionsgefäßen realisieren. Da es bei einer Polykondensation nur die beiden Arten von Gruppen (umgesetzte und freie] gibt (nu + nF = nG|, ist die Summe der Anteile gleich r: nu/nG + nF/nG = r (3) und folglich: [Ol = [x] = nF/nc = i - (nu/nc) = 1 - p (4) Man kann daher - durch Einsetzen von Gl. (2) und (4) in Gl. (r) - die Gleichgewichtskonstante auch mit Hilfe von p formulieren: Kp = p ■ [HjO) / (r — p)1 (5) oder, nach 1/(1 — p)1 aufgelöst: 1/(1-P)’= KP / p • [HjO] 1/(1 — p) = V K, / p ■ [HjO] (6) Der mittlere Polymerisationsgrad Pn ist definiert als Anzahl der Struktureinheiten pro Kette. Wie man sich leicht klarmachen kann, ist die Anzahl der Ketten bei q = i stets identisch mit der Anzahl der Endgruppen (einer Sorte) nF und die Anzahl der Struktureinheiten gleich der Anzahl der zu Beginn der Polykondensation insgesamt vorhandenen Gruppen (einer Sorte] nG. Daher ist die Anzahl der Struktureinheiten pro Kette: P„ = nc/np (7) Da gemäß Gl. (4) nF/nG = 1 - p ist, ist folglich: P„,= i/|i-P) (8) Vergleicht man Gl. (8) mit Gl. (6), sieht man, daß Gl. (6) bereits die gesuchte Funktion P„ = f (Kp) ist: Pn|q= ,| = Vkp/P • |HjO] (9) Es wirkt auf den ersten Blick befremdlich, den Umsatz p in Gl. (9) im Nenner zu sehen, da man doch weiß (s. Gl. 8), daß P„ mit steigendem Umsatz p zunimmt. Man muß jedoch berücksichtigen, daß p und [H2OJ keine unabhängig variable Größen sind: Je größer der Umsatz p wird, desto kleiner wird das Produkt p • (H20|. Tab. S. 217 gibt dafür ein Zahlenbeispiel, das den Gl. (9) zugrundeliegenden Sachverhalt veranschaulicht. Der Tabelle liegt die nach [H20] aufgelöste Gleichung (5) zugrunde, d. h. es ist gefragt: »Wie groß muß (oder darf) die Wasserkonzentration im Gleichgewicht sein, damit jeweils ein bestimmter Umsatz (und damit ein bestimmter Polymerisationsgrad) gewährleistet wird?» Man erkennt, daß ein Polykondensationssystem mit hoher Gleichgewichtskonstante bei niedrigen Umsätzen instabil ist. Die effektiv vorhandenen Wasserkonzentrationen von 6 bis 12 Prozent reichen bei weitem nicht aus, die Kondensation bei Umsätzen von 50 bis 95 Prozent festzuhalten. Um das in der Tabelle dargestellte System beispielsweise bei einem Umsatz von 90 Prozent im Gleichgewicht zu halten, müßte durch Einpressen von Wasser in den Autoklaven der Wassergehalt von 12 auf 41 Prozent erhöht werden. Das “natürliche», d. h. das sich ohne Wasserzugabe von außen von selbst einstellende Gleichgewicht (Zah- lenwerte eingerahmt), ist gekennzeichnet durch die Übereinstimmung der Zahlenwerte von p und [HjO]. Bei sehr niedrigen Wasserkonzentrationen geht p gegen i, und Gl. (9) geht daher für hohe Molekulargewichte über in Pn [p,-'.r Vkp/[Hi°1 |io) Die Abhängigkeit des Polymerisationsgrades von dem Verhältnis KP/[HjO] sagt aus, daß der verfahrenstechnische Aufwand, den man treiben muß, um einen bestimmten (hohen) Polymerisationsgrad zu erreichen, um so größer ist, je kleiner die Gleichgewichtskonstante KP ist, denn je kleiner KP ist, desto weiter muß die Wasserkonzentration erniedrigt werden, um den verlangten Wert von P„ zu garantieren. So führt die Reaktion von Dicarbonsäuren und Diaminen (KP = 400) relativ leicht zu Polyamiden mit hohem Molekulargewicht, während sich Polyester mit gleich hohem Molekulargewicht durch Reaktion von Dicarbonsäuren und Glykolen (KP~io) ungleich schwieriger herstellen lassen. Doch ist in der chemischen Industrie die Verfahrenstechnik der kontinuierlichen Polykondensation zu solcher Perfektion entwickelt worden, daß man bei beiden Verfahren den Polymerisationsgrad durch Zusatz von monofunktionellen Verbindungen auf die jeweiligen, von der Anwendungstechnik her gebotenen, optimalen Werte einstellt. Denn auch zu hohe P„-Werte sind wegen der damit verbundenen hohen Schmelzviskosität unerwünscht. Bildungswahrscheinlichkeit von Genen Bei der Berechnung oder Abschätzung der Wahrscheinlichkeit für die zufällige Entstehung von Genen und Genfolgen bin ich von einer mittleren Kettenlänge von rund 1600 Nucleotiden (genau 1661) pro Gen ausgegangen. Wegen des Triplettrasters (3 Nucleotide codieren für eine Aminosäure) entspricht diese Gen-Kettenlänge einer Proteinkette mit P = 5 54 Aminosäuren. In den Organismen finden sich Proteinmoleküle mit über 1000 Aminosäuren und solche mit nur 50 Aminosäuren, so daß ein Mittelwert um P = 500 der Wirklichkeit nahekommt. Fragt man nach der Anzahl maximal möglicher Proteinmoleküle dieser Länge mit verschiedener Reihenfolge der Aminosäuren (AS-Sequenz), so ist diese Anzahl (bei n = 20 verschiedenen an der Kettenbildung beteiligten Aminosäuren) Np„SS4 = np = 20SS4= io710. Zur Veranschaulichung dieses Sachverhalts denke man sich eine Kette der Länge P = 3 aus n = 2 verschiedenen Komponenten A und B. Für eine solche Kette gibt es, wie man sich an einem Schema klarmachen kann, maximal acht Möglichkeiten der Reihung (acht Sequenzen): A-A-A A-A-B A-B-B A-B-A B-B-B B-B-A B-A-A B-A-B Änderung der mittleren Kettenlänge Pn mit steigendem Umsatz und abnehmender Wasserkonzentration bei der Polykondensation von Aminocapronsäure zu Nylon 6 P |HjO] p ■ |H2o] CH,0 % Ch.O (eff.) % P„ 0,80 20 16 75,5 11,0 5 0,850 10,59 8,99 62,2 ii,7 6,66 0,875 7,14 6,36 52,7 12,0 8 0,90 4,44 4,0 41,0 12,36 IO 0,950 1,05 1,0 14,2 13,05 20 0,95238 0,95238 0,907 13,086 13,086 21 0,955 0,848 0,812 11,82 22,2 0,96 0,666 0,640 9,53 25 0,97 0,371 0,360 5,56 33,3 0,98 0,163 0,163 2,523 50 o,99 0,0404 0,0400 0,638 IOO 0,999 0,0004 0,0004 0,0064 IOOO [H,0[ = Kr • (i — p)J / p [gemäß Gl. (5) mit Pn = 1 / (1 - p|] H,N - (CH,)j - COOH : MMon =131 KP = 400 [angenommener Wert) Ch.o = Gleichgewichtswasser- _ [HjO] • P„ ■ 18 konzentration in % ~ P„ ■ Mm0„-(Pn -1) ■ 18 + [H,0]-Pn ■ 18 ' IO° ch,o (elf.) = Die bis zum Erreichen des Gleichgewichts im geschlossenen System bei steigenden Umsätzen (und steigendem Pn) effektiv durchlaufenen Wasserkonzentrationen t-HjO(eff.| = [(Pn — X) - l8 / Pn - Mmon[ • IOO % Da die Kettenmoleküle wegen der Anordnung der Atome eine Laufrichtung haben, ist A-A-B nicht identisch mit B-A-A und A-B-B nicht identisch mit B-B-A. In gleicher Weise kann man sich durch Kombinationsschemata überzeugen, daß für die maximal mögliche Anzahl N verschiedener Sequenzen einer Kette der Länge P bei n verschiedenen Monomerkomponenten stets gilt: N = np n p N = np 2 3 8 2 4 l6 2 5 32 3 3 27 3 4 81 4 3 64 4 4 256 4 15 ca. io9 20 S54 Man ist überrascht zu sehen, daß schon eine Kette aus 15 Gliedern bei vier Komponenten rund i Milliarde verschiedene Sequenzmöglichkeiten besitzt. Diese große Anzahl von Anordnungsmöglichkeiten verschiedener Monomerkomponenten in Copolymerketten ist die Ursache für die entsprechend geringen Wahrscheinlichkeiten für die zufällige Entstehung einer Kette mit bestimmter Sequenz. Diese für Proteine berechneten Zahlen für Moleküle mit verschiedener AS-Se-quenz stimmen nicht überein mit den Zahlen für maximal mögliche Nucleinsäu-ren entsprechender Länge mit verschiedener Nucleotidsequenz: Np, ,66i = np = 4,66‘ = ioIOO°und NP, „4 = np = 20554 = io72' n = 4 n = 20 Das liegt an der Degeneration des genetischen Code, der für die 20 am Proteinkettenaufbau beteiligten Aminosäuren 43 = 64 Tripletts bereithält. Von dem Überangebot macht die Natur in der Weise Gebrauch, daß für fast alle Aminosäuren drei bis vier verschiedene Tripletts verwendet werden (Ausnahme: Tryptophan mit UGG als einzigem Codon). Die Folge davon ist, daß auf eine Proteinkette der Länge P=S54 mit bestimmter AS-Sequenz jeweils 41661 / 20S54=ioIOO° / io72° = 10280 Nucleinsäureketten mit verschiedener Nucleotidsequenz entfallen. Oder anders ausgedrückt: io1000 Gene (Länge: 1661 Nucleotide) mit verschiedener Basensequenz würden, wenn sie in lebenden Zellen für Transkription und Translation verfügbar wären, nur die Produktion (Expression) von io7‘° Proteinen mit verschiedener AS-Sequenz ermöglichen. Die Wahrscheinlichkeit für die zufällige Entstehung eines Gens (DNS-Kette der Länge P=i66i mit bestimmter N-Se-quenz] ist daher zwar die Wahrscheinlichkeit aber, daß irgendeines von den 10’*° Genen von selbst entsteht, die für ein Protein mit einer bestimmten unter 10720 möglichen AS-Sequenzen codieren, ist 10280/ io1000 = !/io72°. Was man indessen nicht kennt, ist die Anzahl von Enzymen, die trotz verschiedener Sequenzen dieselbe katalytische Wirkung in der Zelle auszuüben in der Lage sind. Der Größenordnung nach bekannt ist lediglich die Anzahl verschiedener Proteine (Ketten mit verschiedener AS-Sequenz) in einem Säugetierorganismus, die auf 30000 bis 50000 geschätzt wird. Daher kann man (der Größenordnung nach) mit mindestens io4 bis io5 verschiedenen Genen rechnen, verschieden in bezug auf die enzymatische Wirkung (oder die sonstige Funktion) der Proteine, deren AS-Sequenz sie bestimmen. Und die Wahrscheinlichkeit W, daß in einer bestimmten Evolutionssituation ein ganz bestimmtes von diesen io4 oder ios Genen entsteht (das nämlich, welches in dieser Situation gerade benötigt wird), ist dann höchstens W = '/io4 bis W = !/ios. Hierbei ist angenommen, daß alle io710 Gene (Nucleotidsequenzen) für die Entstehung von Leben geeignet sind und daß jede io4te bis ioste Sequenz in bezug auf die Zellfunktion der entsprechenden Proteine gleichwertig ist. Das heißt: Die Gesamtmenge der io710 maximal möglichen sequenzverschiedenen Gene ist jetzt in io7*6 Bündel mit je io4 (bzw. io2“4)* Ketten aufgeteiit, von denen jedes Bündel geeignet ist, eine Evolution vom Einzeller zum Säugetier zu ermöglichen, d. h.: die Riesenzahl von io720 (io,00°)* maximal möglichen verschiedenen Genen ist jetzt auf die vergleichsweise winzige Zahl von 10000 bis 100000 wirkverschiedenen * Die Zahlen in Klammem bezeichnen die maximal möglichen verschiedenen Nucleotidsequenzen ohne Berücksichtigung der Code-Degenerierung. Genen zusammengeschrumpft. Man muß sich der Willkürlichkeit der zu dieser Schrumpfung führenden Annahme bewußt sein, der Annahme nämlich, daß von den ro710 (io1000) maximal möglichen Sequenzen erstens alle biologisch relevant, d. h. zur Informationsspeicherung im Rahmen eines Genoms befähigt sind, und daß zweitens jedes Enzym bzw. das zugehörige Gen durch io716 bis ro7,s (ro"6 bis io99s| verschiedene Nucleotidsequenzen realisierbar ist. Diese Annahmen sind Konzessionen an unser Nichtwissen: Selbst wenn es so wäre, daß alle io71° (ioIOO°) biologisch relevant wären und daß jede ro4te Sequenz die gleiche Enzymaktivität* hätte, wäre die Wahrscheinlichkeit der zufälligen Neuentstehung eines Gens durch statistische Copolykondensation nur ro-4 bis io-5. In Wirklichkeit sind keineswegs alle Sequenzen biologisch relevant und längst nicht jede ro4te Sequenz bewirkt die Expression eines katalytisch gleichwertigen Enzyms. Aber niemand weiß, wie viele katalytisch verschiedene Enzyme es insgesamt gibt. Sicher bekannt ist nur die Größenordnung der Anzahl verschiedener Proteine und damit DNS-Sequenzen im Säugetierorganismus, nämlich io4 bis io5. Darauf bemht die gesicherte Aussage, daß es mindestens ro4 bis ios wirkverschiedene Enzyme (Gene) geben muß und daß somit die Wahrscheinlichkeit des zufälligen Entstehens eines neuen Gens höchstens WG,„ = io“4 bis WG= ro_s sein kann, in Wirklichkeit aber irgendwo zwischen WGen = io-4 und W^ = ro“7JO liegt. ■ Einfachheitshalber spreche ich hier nur von Enzymaktivität. Zu bedenken ist, daß nicht alle Proteine eines.Lebewesens Enzyme sind. Zu den lebenswichtigen Proteinen zählen vor allem auch die vielen Strukturproteine, die die eigentliche Organ- und Körpersubstanz der Tiere bilden. Ä (Ängström) ist eine Längeneinheit: 1 A = 10~8cm= 0.000 000 01cm 104 A = 1 p. = 10'4cm Wenn von der DNS-Doppelhelix also gesagt wird, sie habe einen mittleren Durchmesser von 20 Ä, so heißt dies, daß der «Faden» des DNS-Makromole-küls 2 Millionstel Millimeter stark ist. * Ist der Durchmesser des Zellkerns mit 10 p angegeben, so entspricht dies einem Wert von '/loomm. Es gibt in der Natur größere und kleinere Zellkerne, io p ist ein Mittelwert, der ungefähr für tierische Zellen zutrifft. Adsorption - Desorption: Läßt man eine verschiedene Stoffe enthaltende Lösung langsam über poröse feste Stoffe wie Aluminiumoxid oder Silikate laufen, werden die gelösten Stoffe an der Feststoffoberfläche unterschiedlich stark festgehalten (adsorbiert). Spült man mit reinem Lösungsmittel nach, werden die festgehaltenen Stoffe nacheinander wieder ausgespült (desorbiert), so daß man sie getrennt auffangen kann. Dieses Verfahren bezeichnet man als Chromatographie. In kleinen Säulen oder an dünnen Oberflächen führt man sie zu analytischen Zwecken durch, an großen Säulen mit entsprechend größeren Flüssigkeitsmengen kann man die Substanzen getrennt isolieren und als Präparate gewinnen, daher präparative Chromatographie. Aktivierungsenergie: Eine Mischung von Wasserstoff und Sauerstoff bezeichnet man als Knallgas, weil es sich bei Zündung unter Explosion in Wasser umwandelt: 2 H + 0 —► h2o Nun liegen die Gase Wasserstoff und Sauerstoff aber normalerweise nicht im atomaren Zustand (als Einzelatome) vor, sondern als Moleküle aus je zwei Atomen: Hj und O,. In dieser Form explodiert die Mischung nicht, weil die Moleküle durch eine Energieschwelle - eben die Aktivierungsenergie - daran gehindert werden, miteinander zu reagieren. Erst wenn man z. B. durch Erwärmen (Zündung) die Bindungen der Atome in den Molekülen und O; lockert, kommt es unter Überschreitung der Aktivierungsenergie zur Reaktion. Will ■ Dies ist der «seidene Faden», an dem nicht nur das Leben der Spinnen, sondern jegliches Leben hängt. man sich das an einem mechanischen Modell erklären, so denke man an eine Kugel, die in einer Mulde M, liegt, benachbart mit einer zweiten, tiefer gelegenen Mulde M,: Wäre nicht die Schwelle zwischen beiden Mulden, so würde die Kugel sofort von M, nach M, rollen. Nun aber muß man sie erst durch Energiezufuhr (Anstoßen) auf die Höhe der Schwelle bringen, ehe sie nach M2 hinunterrollen kann. Diese Energie entspricht der Aktivierungsenergie bei chemischen Reaktionen. Katalysatoren bewirken eine mehr oder weniger starke Reduzierung der Energieschwelle, durch die ein System von Molekülen daran gehindert wird, durch chemische Umwandlung vom Zustand M, in den Zustand M2 überzugehen. Auch die Enzyme - als Biokatalysatoren - wirken im Prinzip so, ohne daß man über den Wirkungsmechanismus im einzelnen etwas zu sagen wüßte. Man darf annehmen, daß die Geometrie der komplizierten Tertiärstruktur der Enzyme dabei eine Rolle spielt, indem sich zunächst ein Enzym-Substrat-Komplex bildet. Das aber ist nur dann möglich, wenn die räumlichen Muster von Enzym und Substrat genau aufeinander abgestimmt sind (Schloß - Schlüssel). Aminosäuren: (AS) sind vor allem als die niedermolekularen Bauteile der Proteine (Einweißstoffe) von Bedeutung. Es ist auffallend, daß die Natur zum Aufbau der Proteinketten immer und überall nur das gleiche Sortiment von 20 Aminosäuren verwendet, unabhängig davon, wie hoch die Lebewesen entwickelt sind*. Dies hängt mit dem Genetischen Code (s. d.) zusammen, der ebenfalls für alle Lebewesen der gleiche ist. Durch die Reihenfolge der Aminosäuren in den Proteinketten ist deren Sekundär- und Tertiärstruktur (s. d.) und damit auch ihre Funktion als Enzym oder Hormon festgelegt. Neben den als Struktureinheiten der Proteine regelmäßig anzutreffenden Aminosäuren gibt es noch über 100 weitere, meist in Pflanzen und Mikroorganismen gefundene Aminosäuren, die zum Teil auch bei MiLLER-Versuchen gefunden wurden. Zum Aufbau der Proteine aus Aminosäuren siehe unter «Proteine». Im menschlichen und tierischen Organismus kann nur ein Teil, nämlich 12 der 20 AS, aus anderen Stoffen aufgebaut werden, die anderen («essentiellen») AS müssen als Proteine mit der Nahmng zugeführt werden. AMP = Adenosinmonophosphat: bildet sich aus Adenosintriphosphat (ATP) unter Abspaltung von Pyrophosphat. Artspezifität: Summe aller Eigenschaften, die für eine Art typisch sind (Größe, Gestalt, Lebensweise, Nucleotidsequenz der DNS-Kette) und durch die sich eine Art von anderen Arten unterscheidet. AS = Abkürzung für «Aminosäuren» (s. d.). Assoziation: Zusammenlagerung von Molekülen zu größeren Einheiten, die aus mehreren bis vielen Molekülen bestehen. * Die Frage nach dem Warum dieser Begrenzung ist eine der großen Rätselfragen des Lebens. Mit einem planlos zufälligen Evolutionsschema ist sie schlechterdings nicht zu vereinbaren. ATP = Adenosintriphosphat = Adenylribosetriphosphat: ATP ist einer von den vier Monomerbausteinen der RNS. Darüber hinaus hat ATP im gesamten Stoffwechsel eine überragende Bedeutung als chemischer Energiespeicher. Durch Vermittlungen von ATP können sich energiereiche Zwischenverbindungen bilden, die zum Aufbau von Polymerketten dienen. Basentriplett: Eine DNS-Kette besteht aus einer aperiodischen (nur scheinbar ungeordneten) Folge von io6 bis io9 Nucleotiden, von denen es vier verschiedene (A, T, C und G) gibt. Je drei Nucleotide (ACC, ATC, GCA und GGC usw.) sind zu einem Basentriplett oder Codon zusammengefaßt, das jeweils in Analogie zu den Buchstaben einer Schrift eine von den 20 Aminosäuren bezeichnet. Zu einer Kette hintereinandergehängt (DNS-Kette) gibt die Reihenfolge der Basentripletts (meist kurz «Basensequenz» genannt) die Anweisung für die Reihenfolge der Aminosäuren in den Proteinmakromolekülen (s.a. «Genetischer Code»). Boten-RNS siehe unter «Transcription». Brownsche Bewegung: Im gasförmigen Aggregatzustand führen Moleküle eine ungeordnete Bewegung aus, die als BROWNsche Bewegung bezeichnet wird und die dazu führt, daß die Moleküle fortwährend elastisch Zusammenstößen und an die Behälterwand prallen. Die Geschwindigkeit der Bewegung ist um so größer, je höher die Temperatur ist. Die BROWNsche Bewegung führt dazu, daß von den Gasmolekülen jeder verfügbare Raum gleichmäßig ausgefüllt wird. Konzentrationsdifferenzen (Druckdifferenzen) werden von selbst ausgeglichen. Ähnlich wie die Moleküle eines Gases verhalten sich die Moleküle eines gelösten Stoffes. In einer Flüssigkeit besteht die BROWNsche Bewegung in einem fortwährenden Platzwechsel der Moleküle. Bei Makromolekülen bewegen sich hauptsächlich Teilstücke der Ketten unter ständigem Wandel der Kettengestalt. Im festen Zustand, im Kristall, ist die räumliche Lage der Atome durch die Gitterplätze gegeben, die BROWNsche Bewegung beschränkt sich dabei auf Schwingungsbewegungen. Chemische Evolution (auch «präbiotische Evolution-): Flypothese, wonach eine Entwicklung von den ersten «Biomolekülen- wie Aminosäuren und Nucleosi-den in einer Ursuppe bis zu ersten lebenden Zellen nach dem DARWiNschen Schema von Mutation und Selektion stattgefunden haben soll. Chromatographie siehe unter «Adsorption - Desorption». Codon siehe unter «Basentriplett- und unter «Genetischer Code-. Coli-Bakterium: Darmbakterium, das sich besonders für Versuchszwecke im Laboratorium eignet. Seine DNS-Kette besteht aus ca. 3 • io5 Nucieotiden und ist ca. i mm lang. Copolymere sind Makromoleküle, deren Kette aus verschiedenartigen Struktureinheiten besteht. Am Aufbau der DNS- und RNS-Kette sind vier verschiedene Struktureinheiten (s. d.) beteiligt, Proteinketten besitzen 20 verschiedene Struktureinheiten. Man unterscheidet periodische und statistische Copolymere. Der einfachste OH ZH nch-oh oh oh oh \ / III O-CH-CHo-O-P-O-P-O-P-OH *■ II II II Fall eines periodischen Copolymeren ist das mit alternierender Folge von zwei Komponenten. Bei den statistischen Copolymeren richtet sich die Folge der Struktureinheiten nach dem für die Synthese eingesetzten Monomerenverhält-nis und nach der Geschwindigkeit der verschiedenen Additionsschritte, die keineswegs - auch nicht im Falle der technischen Copolymersynthesen - bei allen Monomerkomponenten gleich sein muß. Bestimmte Monomerfolgen können daher bei statistisch verlaufenden Copolymersynthesen bevorzugt sein. Proteine haben eine auf ihre Funktion hin orientierte Sequenz der AS-Struktur-einheiten, die durch die Sequenz der vier Nucleotideinheiten der DNS-Kette präzise gesteuert wird. Durch thermische Polykondensation von Aminosäuregemischen entstehen stets statistische Copolymere. Es ist daher völlig abwegig, in thermischen Polykondensaten, die unter präbiotischen Bedingungen auf der Erde entstanden sein mögen, Vorstufen der zum Aufbau lebender Zellen dienenden Proteine suchen zu wollen. Es gibt keinen Übergang von statistischen Copolymeren auf der einen Seite zu den Copolymeren mit streng gesteuerter Sequenz der lebenden Zelle auf der anderen Seite. Crackgase: Cracken ist das Aufspalten von Erdöl oder Erdölfraktionen in leichter flüchtige (niedriger siedende) Fraktionen durch kurzzeitiges Erhitzen auf 700 bis 8oo° C in Röhrenöfen, z. B. zur Gewinnung von Aethylen, Propylen, Butadien (Monomere für Kunststoffsynthesen). Crossing-over: Bei der meiotischen Zellteilung (s. d.) kommt es vor, daß im Stadium der paarweisen Parallelanordnung der gleichartigen Chromosomen DNS-Ketten an bestimmten Stellen zerschnitten werden und überkreuz wieder zusammenheilen: Solange dies an homologen (entsprechenden) Stellen geschieht, führt dieser Vorgang nur zum Austausch von Genen mütterlicher und väterlicher Herkunft. Es kommt aber auch vor, daß der Schnitt an nichthomologen Stellen erfolgt. Dann entsteht eine kürzere und eine längere Kette. Das ist ein Fall von illegitimem Crossing-over (einer unter mehreren möglichen). Cytoplasma siehe unter -Zytoplasma». Diffusionskoeffizient: Maß für die Geschwindigkeit, mit der sich ein flüssiger oder gelöster Stoff in einer anderen Flüssigkeit ohne Rühren verteilt. Dinucleotid: Verbindung von zwei Nucleosidmolekülen über eine Phosphorsäurebrücke. Oligonucleotide sind dementsprechend Verbindungen von wenigen Nucleosidmolekülen über Phosphorsäurebrücken. Dispersion ist ein stoffliches System im Zustand feiner Verteilung. Die dispergierten Partikelchen können fest, flüssig oder gasförmig sein. Die Partikelgröße von Dispersionen kann in weiten Grenzen variieren. Grobe Dispersionen setzen sich um so rascher ab, je größer die Partikel sind (Sandaufschlämmungen, Teilchengröße im Millimeterbereich), und sind um so stabiler, je kleiner die Teilchen sind. Besonders feine Dispersionen mit Teilchendurchmessem im p-Bereich und darunter (1 p= !/iooomm) werden als kolloide Dispersionen bezeichnet. Bei immer kleiner werdenden Dispersoidpartikelchen gehen die Dispersionen stufenlos in Lösungen über. Emulsionen sind ein Spezialfall von Dispersionen, bei denen die dispergierten Teilchen flüssig sind. Der bekannteste Fall einer Emulsion dürfte die Milch sein. Man kann Monomere in Emulsion polymerisieren und erhält so Kunststoffdispersionen (oder Latices), die z. B. eine Zwischenstufe bei der Produktion von Synthesekautschuk sind, die aber auch als Anstrichfarben weite Verbreitung gefunden haben. Entelechie: das griechische Wort frvtekEXELa bedeutet laut Wörterbuch so viel wie -ununterbrochene Tätigkeit oder Wirksamkeit». Es ist eine Substantivierung von ev TE/.Ei exeiv, «am Ende sein, am Ziele sein». Der Ausdruck bedeutete in Athen: «in Amt und Würden stehen». Aristoteles hat den Begriff der Entelechie verwendet, um das zielstrebige Wirken in der lebenden Natur und das Prinzip des zur vollendeten Form führenden Wirkens zu benennen. Die einem bestimmten Lebewesen zugehörige Entelechie ist nach Aristoteles die Seele dieses Lebewesens. Nach Auskunft von «Flerders Kleinem Philosophischen Wörterbuch» heißt es: «Seele ist das Wesens-, Wirk- und Gestaltungsprinzip (Energie oder Entelechie) eines organbegabten Körpers, also mit diesem wesenhaft verbunden in der substanzialen Einheit des Leibes.» Die philosophischen Begriffe «Entelechie» und «Seele» haben keine naturwissenschaftliche Relevanz, d. h. es läßt sich kein Bezug zu irgendwelchen naturwissenschaftlichen Größen hersteilen, wie z. B. bei der Kristallform über den Atomabstand im Kristallgitter zu den Interferenzmaxima der Röntgenbeugung. Wenn man also den Begriff «Seele» heranzieht, um den Vorgang der Formbildung von Lebewesen zu beschreiben, so tritt man damit aus dem Bereich der Naturwissenschaft heraus in der Erkenntnis, daß es eine Wirklichkeit (Wirksamkeit) gibt, die mit naturwissenschaftlich relevanten Begriffen nicht zu beschreiben ist. Man wird dabei zu bedenken haben, daß die naturwissenschaftliche Erkenntnis sich in den letzten Jahrhunderten ständig ausgeweitet hat, so daß immer weitere Bereiche des Unerklärlichen in den naturwissenschaftlich erhellten Bereich einbezogen wurden. Das hat vielfach zu der Meinung geführt, daß es für die naturwissenschaftliche Methode des Erkennens keine Grenzen gibt. Im Fall des Begriffes «Entelechie» - der von Hans Driesch zur Bezeichnung der Zielstrebigkeit in der lebenden Natur verwendet wurde - ist eine naturwissenschaftliche Erklärung bisher nicht möglich gewesen. Die heute bei Biologen fast allgemein vertretene Auffassung, daß die Kenntnis der DNS und ihrer Funktion in der Zelle den Begriff der Entelechie überflüssig gemacht habe, beruht auf einem Irrtum: Die Formbildung im Bereich der Lebewesen ist durch die bisherigen Kenntnisse über DNS nicht zu erklären. Man sollte freilich nicht meinen, durch Einführung des Begriffes «Entelechie» sei etwas zur naturwissenschaftlichen Klärung des Vorgangs beigetragen. Durch Verwendung der Begriffe «Entelechie» und «Seele» wird lediglich zum Ausdruck gebracht, daß es sich hier um einen Vorgang handelt, der (vorerst?) mit naturwissenschaftlichen Methoden nicht zu beschreiben ist. Enzyme: Biokatalysatoren (langkettige Eiweißmoleküle oder Proteine), die durch ihre katalytische Wirkung die Geschwindigkeit der in den Organismen ablaufenden chemischen Reaktionen bestimmen. Durch die hohe Selektivität ihrer Wirksamkeit können die vielen in den Zellen der Organismen ablaufenden chemischen Reaktionen gesteuert werden. Die Synthese der Enzyme findet in der Zelle an submikroskopisch kleinen Partikeln, den Ribosomen, statt und wird durch die Folge der Basentripletts in der DNS-Kette gesteuert. Die Triplettfolge (Basensequenz) legt die Aminosäurefolge in den Proteinketten der Enzyme fest. Jedes Enzym hat seine Aminosäuresequenz, durch die die hohe katalytische Spezifität (s. d.) bewirkt wird. Jede Synthesestufe hat ihr eigenes Enzym. Estergruppen: Durch Reaktion einer Säure mit einem Alkohol entsteht ein Ester: CH,—COOH + HO-CHl-CH,^CH,-Pc-Ö]-CHJ-CH, C = Kohlenstoffatom O = Sauerstoffatom JÖ___| H = Wasserstoffatom Essigsäure Alkohol Essigsäureäthylester Die gestrichelt umrahmte Gruppe von Atomen ist die Estergruppe. Die gleiche Reaktion, jedoch nicht mit monofunktionellen Molekülen wie Essigsäure und Alkohol, sondern mit bifunktionellen Molekülen ausgeführt, ergibt kettenförmige Polyestermoleküle (s. Abb. S. 47). Fettamine sind langkettige Kohlenwasserstoffmoleküle mit einer Aminogruppe am Kettenende, z. B. CHj-(CH2)I7-NH2. Funktionelle Gruppen: Atomgruppen wie -OH, -NH2 oder -COOH, die durch Reaktion untereinander die Moleküle, an denen sie sich befinden, fest miteinander verbinden können. Wenn zwei funktionelle Gruppen sich an einem Molekül befinden, z. B. HO-R-OH und HOOC-R'-COOH, entstehen unter geeigneten Bedingungen durch Reaktion der funktionellen Gruppen lange Ketten. Gene: Stofflich fixierte Erbanlagen, die bei der Vererbung auf die Nachkommen übertragen werden und die für die Ausbildung von erblich bedingten Eigenschaften verantwortlich sind. Definitionsgemäß ist ein Gen identisch mit einem DNS-Abschnitt, der die Information für die Aminosäuresequenz eines Enzyms (oder eines anderen Proteins) enthält. Genetischer Code: Zuordnung von DNS-Tripletts und Aminosäuren. Die DNS-Kette besteht aus einer Folge von vier verschiedenen Einheiten (Nucleotiden, s. S. 192). Jeweils drei Nucleotide sind zu einer Einheit, dem Triplett oder Co-don, zusammengefaßt, und jedes Triplett ist ein Signal für eine bestimmte von 20 verschiedenen Aminosäuren. So ist durch die Folge der DNS-Tripletts die Reihenfolge der Aminosäuren in den Proteinen festgelegt. Das Gesamtschema dieser Zuordnung wird als Genetischer Code bezeichnet. Die für die Evolution bedeutendste Eigenschaft des Code ist seine Universalität, d. h. das Faktum, daß der gleiche Code bei allen Lebewesen, den primitivsten und den höchstentwickelten, unverändert gilt. Damit sind auch Art und Anzahl der für den Aufbau von Proteinketten verwendeten Aminosäuren von Beginn des Lebens an unverändert geblieben. Für die Universalität des Code gibt es keine zur Zeit erkennbare Erklärung. Man muß sie als Vorgefundenen Sachverhalt zur Kenntnis nehmen. Wäre Leben mit einem reduzierten Code (Dupletts statt Tripletts - weniger Aminosäuren) möglich, sollten sich in der aufsteigenden Reihe von den primitiven kernlosen Einzellern bis zu den Säugern wenigstens Andeutungen einer Entwicklung zeigen. Der Genetische Code ermöglicht das Wechselspiel von Information (im Sinne von Anweisung für die AS-Sequenz) und Funktion der weisungsgemäß gebildeten Enzyme und Hormone. Die Funktion der Enzyme besteht in ihrer hochselektiven katalytischen Aktivität und der darauf beruhenden Steuerung aller in der Zelle ablaufenden Reaktionen. Genom ist die Gesamtheit der Erbanlagen als Summe aller Gene. Gesetz der konstanten Proportionen siehe unter ■•Stöchiometrie». Grenzflächenpolykondensation: Polykondensation, bei der die beiden Monomer- komponenten (Kettenbauteile) in zwei sich nicht mischenden Flüssigkeiten, z. B. Benzol - Wasser, gelöst sind, so daß sie nur an der Grenzfläche miteinander reagieren können. Hauptsatz der Thermodynamik, 2. siehe unter «Thermodynamik». Helix: Viele Makromoleküle - sie haben die Form von Fäden oder Perlenketten -haben die Tendenz, sich zu Spiralen aufzurollen, die man als Helix (Plural: Helices) bezeichnet. Die Helixbildung stellt eine geordnete Assoziation oder Aggregation der Kettenatome dar und ist insofern ein intramolekularer Kristallisationsvorgang. Die Helix ist ein Sonderfall von Sekundärstruktur. Der allgemeinste Typ der Sekundärstruktur ist das statistische Knäuel, das man als das Ergebnis einer unregelmäßigen, ungeordneten Kettenspiralisierung oder Kettenfaltung betrachten kann. Hochspezifische katalytische Aktivität: Katalysatoren sind Stoffe, die den Ablauf chemischer Reaktionen stark beschleunigen. Die in der Industrie verwendeten Katalysatoren sind meist für eine Vielzahl von verschiedenen Reaktionen wirksam, die Biokatalysatoren (Enzyme) dagegen fast immer nur für eine ganz bestimmte Reaktion. Diese Eigenschaft bezeichnet man als hochspezifische Aktivität (Schlüssel - Schloß - Vergleich). Illegitimes Crossing-over siehe unter «Crossing-over». Interphase ist der Lebensabschnitt einer Zelle zwischen zwei Zellteilungen. Der Zustand des Zellkerns in dieser Phase ist dadurch gekennzeichnet, daß die DNS in aufgelockerter Form als Doppelstrang-Molekül vorliegt und sich nach dem Schema der semikonservativen Replikation verdoppelt (s. S. 198). Die Interphase endet - bei der Meiosis - mit der Synapsis, dem Stadium der Paarung homologer Chromosomen, durch die die Zellteilung eingeleitet wird (s. Abb. S.204): Die DNS spiralisiert sich zu immer kompakteren Gebilden, den im Mikroskop sichtbaren Chromosomen (s. Abb. S. 203). Nach beendeter Zellteilung entspiralisieren sich die Chromosomen wieder, die DNS löst sich auf unter Verteilung auf das ganze Kemvolumen, und der Zellkern ist wieder in seinen Interphasezustand übergegangen. Katalysator: Die Geschwindigkeit einer chemischen Reaktion hängt wesentlich von der Aktivierungsenergie ab, d. h. der Energie, die verfügbar sein muß, damit die Moleküle der zur Reaktion gelangenden Stoffe in einen reaktionsbereiten Zustand «gehoben» werden (s. unter «Aktivierungsenergie“). Katalysatoren sind Stoffe, durch deren Anwesenheit die Aktivierungsenergie vermindert und so die Reaktionsgeschwindigkeit erhöht wird. In der lebenden Zelle wird die Rolle der Katalysatoren von Proteinen wahrgenommen, die als Enzyme (s. d.) bezeichnet werden. Sie zeichnen sich vor den technisch verwendeten Katalysatoren (Metallen, Metalloxiden, Metallkomplexen) durch eine extrem hohe Spezifität aus, d.h. sie katalysieren nur ganz bestimmte Reaktionen und andere nicht. So benutzt die Zelle den Einsatz von Enzymen zur Steuerung des physiologischen Geschehens (s. unter «Operon», S. 230). Kettenabbau: Durch chemische Reaktionen, z. B. durch Einwirkung von Säuren, können Makromolekülketten gespalten werden. Die Reaktion kann so verlaufen, daß vom Kettenende her eine Struktureinheit der Kette nach der anderen abgespalten wird, die Kettenspaltung kann aber auch statistisch erfolgen (irgendwo in der Kette). In der Natur kommt dem enzymatischen Kettenabbau die größte Bedeutung zu. Es gibt Enzyme, die nur vom Kettenende her abbauen, und solche, die nur statistisch abbauen. Koazervate sind Zusammenballungen von vielen Makromolekülen, insbesondere von Proteinmakromolekülen, zu größeren Partikelchen, die im Lichtmikroskop zu sehen sind. Wenn die Zusammenballung im flüssigen Zustand erfolgt, haben die Koazervate zwangsläufig Kugelgestalt. Das ist eine Folge der Oberflächenspannung, die stets die für ein gegebenes Volumen kleinste Oberfläche erzwingt, und das ist eben die Kugeloberfläche. Kolloidteilchen siehe unter -Dispersion-. Komplementäre Monomermoleküle: Zueinanderpassende, sich gegenseitig ergänzende Moleküle. Das -Passen- und -Ergänzen» kann sich auf die geometrische Form beziehen, aber auch auf polare Gruppen, die in den Partnermolekülen oder komplementären Molekülen in gleicher Zahl und gleichem Abstand vorliegen (vgl. Abb. S. 194 und 196). Konstitution (oder Primärstruktur] ist die Art und Weise, wie die Atome in den Molekülen angeordnet sind. Man beschreibt sie in der Regel durch eine chemische Formel (Strukturformel), die aber wegen der fehlenden dritten Dimension nur als nicht maßstabgetreue Projektion der wirklichen räumlichen Struktur anzusehen ist. Beispiel: CH3-COOH ch3-ch2-oh H2N-CH-C00H Essigsäure Alkohol CH3 lAethanol) Alanin (Aminosäure) Eine naturgetreue Darstellung der Struktur von Molekülen erhält man durch Kalottenmodelle (s. Abb. S. 193). Kunststoffsynthesen: Herstellung von Kunststoffen durch Reaktion von kleinen Kettenbauteilen (Monomeren) zu langen Ketten. Nur Monomere mit zwei reaktionsfähigen Gruppen führen zur Bildung von Kunststoff-Makromolekülen. Langkettige Essigester sind Ester aus langkettigen Alkoholen (Fettalkoholen) und Essigsäure, z. B. CH3-C-O —[CH2)17-CH3 ö Latexpartikel sind die kleinsten Teilchen einer Kunststoffdispersion, siehe unter -Dispersion- und -Emulsion-. Makromoleküle sind die Moleküle von zahlreichen Natur- und Kunststoffen (wie z.B. von Kautschuk, Cellulose, Proteinen, Polystyrol, Polyaethylen, Plexiglas, Nylon). Makromoleküle zeichnen sich durch die kettenförmige Anordnung ihrer Bestandteile (Kettenbauteile) und die große Länge der Ketten aus (Modell: 3 m langer Draht mit 0,1 mm Durchmesser). Makromoleküle liegen meist ge-knäuelt vor. Meiosis, Meiose, meiotische Zellteilung, Reifeteilung oder Reduktionsteilung: Bei der sexuellen Fortpflanzung beginnt die Entwicklung des Keims mit der Vereinigung von Samenzelle und Eizelle. Dabei verschmelzen auch die Zellkerne, so daß die in beiden Kernen befindlichen Chromosomen nunmehr einer Zelle angehören. Daher sind alle Körperzellen höherer Organismen diploid, d. h. sie besitzen alle Chromosomen in doppelter (homologer oder gleichartiger, aber nicht gleicher) Ausfertigung. Damit die Chromosomenzahl nicht von Generation zu Generation erneut verdoppelt wird, durchlaufen die Keimzellen vor der Befruchtung (bei einigen Lebewesen wie Sporozoen und niederen Pflanzen direkt nach der Befruchtung) eine Zellteilung besonderer Art, bei der die Chromosomenzahl auf die Hälfte reduziert wird, eben die meiotische Zellteilung. Die Meiosis läuft so, daß in zwei Teilungsschritten vier Keimzellen mit dem C = Kohlensioff atom 0 = Sauerstoffatom H = Wasserstoffatom haploiden Chromosomensatz (jedes Chromosom nur einmal vorhanden) entstehen. Beim ersten Teilungsschritt kommt es zu Überkreuzverknüpfungen von DNS-Ketten (s. unter «Crossing-over» und Abb. S. 204). Mendelsche Gesetze: Durch systematisch angelegte Kreuzungsexperimente mit Erbsen gefundene Vererbungsgesetze, die grundlegend waren für die klassische Genetik, d. h. für die auf Kreuzungsversuchen beruhende Vererbungslehre. Messenger-RNS siehe unter «Transcription». Miller-Versuche siehe unter «Ursuppe». Molekulargewicht: Die Größe eines Moleküls wird durch sein Molekulargewicht (korrekte Bezeichnung: Molmasse) angegeben, welches der Summe der Atomgewichte der am Aufbau eines Moleküls beteiligten Atome entspricht. Einer international angenommenen Konvention entsprechend kommt dem häufigsten Kohlenstoffisotop das Atomgewicht 12 zu, worauf sich alle anderen Atom-und Molekulargewichte beziehen. Das Atomgewicht des Wasserstoffs kommt der Molekulargewichtseinheit (1 Dalton) sehr nahe (1,008 Dalton oder g/mol). Makromolekulare Stoffe haben Molekulargewichte, die in der Regel zwischen 10000 und einigen Millionen liegen. Das Molekulargewicht der meisten Proteine liegt zwischen 50000 und 100000, DNS hat Molekulargewichte im Milliardenbereich (io9) und darüber (bis io11). Als mol bezeichnet man diejenige Menge eines Stoffes, die 6,02 ■ 1015 Moleküle enthält. Ein mol besitzt stets die Masse von M Gramm, wenn M das Molekulargewicht ist. Die Anzahl der Moleküle pro mol, 6,023' io13, wird als Loschmidt-sche Zahl NL bezeichnet. Man kann also auch das Molekulargewicht (Molmasse) in Gramm angeben statt in Dalton ( = Gramm pro mol). Die Masse m eines Moleküls ist stets: m = M/NL (= Molekulargewicht/Loschmidtsche Zahl) Die Masse eines einzelnen Sauerstoffmoleküls in Gramm ist daher m0> = 32 / 6,023 ' i°!3 = 5,3i3 ’ 10“23 [gl, da die Masse von einem mol Sauerstoff 32 [g] beträgt. Die Masse eines Proteinmoleküls mit dem Molekulargewicht 100000 ist entsprechend: Ul Protein (IOO ooo) = IOOOOO/ 6,02 • IO*3 = 1,66 • IO‘,9)g] Bei Makromolekülen mit ihrer Kettenstruktur ist oft die Länge der Kette interessanter als ihr Gewicht. Die Länge wird durch die Anzahl der Struktureinheiten pro Kette (= Polymerisationsgrad) angegeben: _ , . Molekulargewicht des Polymeren Polymensationsgrad =-----------------—----------------- Molekulargewicht der Struktureinheit Da man (bei bekannter Kettenstruktur) auch die Länge der Strukturemheit kennt, kann man die Länge der gestreckten Kette auch leicht in Zentimetern angeben. Die Ketten der Makromoleküle liegen jedoch meist in spiralisiertem oder geknäueltem Zustand vor. Monocarbonsäuren: Organische Säuren, deren Moleküle nur eine Säuregruppe (-COOH) besitzen, wie z.B. Essigsäure: CH,-COOH oder Ameisensäure: HCOOH. Monolayer-Verfahren: Polykondensation von Monomermolekülen, die in Form einer monomolekularen Schicht über eine Flüssigkeitsoberfläche ausgebreitet sind. Monomere: Makromolekulare Stoffe bilden sich durch eine hundert- bis vieltau-sendfache Folge von Additionen kleiner Moleküle, die - im Gegensatz zu den sich so bildenden Polymeren - als Monomere bezeichnet werden. Die Monomeren werden durch Anziehungskräfte aneinander gebunden, so daß sich lange Ketten bilden, wobei sich die innere Struktur der Monomermoleküle etwas verändert. Damit eine Aufreihung zur Kette möglich ist, müssen Monomermoleküle bifunktionell sein, d. h. sie müssen an zwei Stellen Haftgruppen haben, mit deren Hilfe sie sich festhalten. Mononen und Etis: Zellen können als Einzelindividuen leben: Bakterien, Algen, Pantoffeltierchen. Die einzelligen Lebewesen stehen am Anfang der Evolution. Erst in späteren Stadien - drei Milliarden Jahre nach Beginn des Lebens -treten Organismen auf, die aus vielen Zellen bestehen, die - in großer Zahl in jeweils besonderer Weise angeordnet - die einzelnen Organe des Individuums bilden und in diesen jeweils spezielle Funktionen übernehmen. In den vielzelligen Lebewesen haben die Zellen ihre Individualität aufgegeben und sind ganz im Verbund aufgegangen, so daß neue Individuen, die höheren Pflanzen und Tiere, resultieren. Man könnte sich in Fortsetzung dieser Entwicklung denken, daß auch die so gebildeten vielzelligen Individuen sich wieder zu Gemeinschaften aus vielen Einzelindividuen zusammenschließen, die irgendwann in der Zukunft so mächtig werden, daß die Einzelindividuen ihre Einzelexistenz aufgeben und ganz in ihrer Spezialfunktion der arbeitsteiligen Gesellschaft aufgehen, wodurch dann - und darin besteht das eigentlich Neue, bisher noch nicht Realisierte und auch nicht recht Vorstellbare - eine höhere Lebenseinheit mit überragenden Fähigkeiten entstehen soll, die von C. Bresch als “Monon- bezeichnet wurde: Übermenschen-Organismus, alle Menschen des Planeten Erde umfassend und intellektuell verbindend, «Resultat der abschließenden, alles-umfassenden Integration der Evolution eines Planeten!« Alle Mononen aller bewohnten Planeten des Weltalls werden in späteren Phasen der Gesamtentwicklung - so jedenfalls die BRESCHsche Zukunftsvision - in analoger Weise zu interstellaren Gemeinwesen, genannt «Etis», zusammenwachsen. Mononen und Etis sind konfuse Phantasiegebilde, deren Realisierung weder möglich noch wünschenswert erscheint. Von innerer, geistiger Harmonie getragene Lebensgemeinschaften von Menschen gibt es bereits seit langem. Es fehlt auch nicht an Versuchen, ganze Völker ideologisch zu verbrüdem und so die allgemeine Weltverbrüderung einzuleiten. Millionenfach umschlungen zu sein ist aber nun einmal nicht jedermanns Sache, und so sind alle Versuche überregionaler Kommunisierung bisher in brutale Gewaltakte ausgeartet. Nichts deutet darauf hin, daß es in Zukunft anders sein wird. Mononucleotid: Verbindung eines Nucleosids (s. d.) mit Phosphorsäure oder Essigsäure oder einer anderen Säure. Neodarwinismus: Darwinismus, ergänzt durch die Erkenntnisse der Molekularbiologie. Die von Darwin postulierten sprunghaften Änderungen der Erbfaktoren sind auf der molekularen Ebene nichts anderes als spontan auftretende Sequenzänderungen der Nucleotide in der DNS-Kette. Das Selektionsprinzip wird vom Neodarwinismus auch auf DNS- oder RNS-Moleküle vor der Existenz von Zellen übertragen. Nucleinsäuren: Sammelbezeichnung für Desoxyribonucleinsäure {DNS) und Ribonucleinsäure (RNS). Nucleoside sind die Kettenbauteile (als Monomere oder als Kettenbestandteile) der Nucleinsäuren, also von DNS und RNS {bei DNS müßte es eigentlich «Des-oxynucleoside» heißen), die abwechselnd mit Phosphorsäure die langen DNS-Kettenmoleküle oder -makromoleküle bilden. Die Nucleosidmoleküle bestehen aus einem 5-Ring-Zuckermolekül (Ribose bzw. Desoxyribose), das an dem dem Ringsauerstoff benachbarten C-Atom mit einer der vier heterozyklischen Basen A, T, C oder G (s. S. 194) verbunden ist. Zusammen mit Phosphorsäure zu einer Einheit zusammengefaßt, bezeichnet man die Nucleoside als Nucleotide. Wenn man die Nucleoside als Kettenbestandteile meint, spricht man oft von Nucleosid- bzw. Nucleotidresten. Nucleotide und Nucleotidreste siehe unter «Nucleoside». Nucleotidsequenz siehe unter «Nucleotid-Triplett» und «Sequenz». Nucleotid-Triplett: Nucleotide sind die vier verschiedenen Struktureinheiten der Nucleinsäuren, also von DNS und RNS. Sie sind in den Makromolekülen wie die Stufen einer Wendeltreppe in bestimmter Reihenfolge aneinandergefügt (s. Abb. S. 193). Je drei Nucleotide der Kette ergeben ein Triplett oder Codon, welches dem Genetischen Code gemäß einer bestimmten Aminosäure zugeordnet ist, wie die Zeichen des Morsealphabets einem Buchstaben zugeordnet sind. So ist die Triplettfolge in der DNS-Kette die Anweisung für die Aminosäuresequenz bei der Synthese von Proteinen in der Zelle. Oligomere und Oligomerketten: Kurze Kette, bestehend aus wenigen {2 bis 10) miteinander verbundenen Monomerresten, z. B. Nucleosiden oder Aminosäuren. Operon: Jede Zelle eines Organismus enthält die gleiche DNS-Kette (gleich in bezug auf Länge und Sequenz) und somit die gesamte genetische Information. Sie enthält die Anweisung für die Aminosäuresequenz von 3000 (bei Bakterien) bis zu 50000 (bei Säugetieren) verschiedenen Proteinmolekülen, die zu verschiedenen Zeiten an verschiedenen Orten benötigt werden, nie aber alle gleichzeitig. Daher sind alle Gene (DNS-Kettenabschnitte), deren Proteine nicht gebraucht werden, verriegelt. Erst wenn ein Stoff, z. B. eine Aminosäure oder ein Vitamin, in einer Zelle oder Zellregion benötigt wird, werden die zehn oder zwanzig Gene, die die Sequenzanweisung für die zehn oder zwanzig Enzyme enthalten, die für die zehn- oder zwanzigstufige Synthese der Aminosäure oder des Vitamins erforderlich sind, zum Ablesen für die Boten-RNS-Synthese (Transcription) freigegeben. Das kann auf eine recht einfach erscheinende Weise geschehen: Jedem Genblock der DNS (z. B. zehn Gene umfassend) ist ein Operator-Gen vorgelagert, das diesen Genblock verschließt, solange es von einem als Repressor bezeichneten Protein besetzt ist, oder freigibt, wenn der Repressor sich von dem Operator-Gen entfernt. Nun ist der Repressor ein typisches Paßformmolekül (vgl. Abb. S. 196), das - mit einem Induktormolekül verbunden - auf das Operator-Gen paßt und dieses blockiert. Ohne das Induktormolekül aber paßt das Repressorprotein nicht, und der Operator ist frei. Induktor ist das zu synthetisierende Molekül (z. B. eine Aminosäure oder ein Vitamin). Wenn es zur Neige geht, d. h., wenn seine Konzentration niedrig ist, sind die Repressormoleküle weitgehend ohne Induktor, das Operator-Gen ist frei und die Transcription (s. d.) und damit auch die Translation (s. d.) können beginnen. So werden die Enzyme für die Vitaminsynthese verfügbar und die Vitaminproduktion läuft an - so lange, bis dessen Konzentration so hoch geworden ist, daß die Vitaminmoleküle als Induktormoleküle sich mit den Repressormolekülen verbinden und dadurch deren Form so verändern, daß sie auf das Operator-Gen passen und so die ganze zugehörige Genfolge verriegeln, bis mit sinkender Induktorkonzentration wieder mehr und mehr Repressormoleküle ihre Paßform verlieren und so wieder eine entsprechende Anzahl Operator-Gene die Translation freigeben. Dieser Regelmechanismus wurde zuerst von Pardee, Jacob und Monod'6 beschrieben und ist als Operon bekannt. Neben dem hier beschriebenen anabolischen Operon gibt es das katabolische Operon, bei dem der Repressor ohne Verbindung mit dem Induktor auf das Operator-Gen paßt und dieses verschließt. Es regelt den Abbau von Molekülen, bei dem die Enzyme dann benötigt werden, wenn die Konzentration der abzubauenden Stoffe (Induktoren) zu hoch wird. Stoffkonzentrationen also sind es, die darüber befinden, ob eine Transcription mit nachfolgender Enzymsynthese (Translation) und die durch diese Enzyme ermöglichte Reaktionsfolge anlaufen kann oder nicht. Pauli-Prinzip: Es besagt, daß in einem Atom zwei Elektronen nicht in allen vier Quantenzahlen (Energiezuständen) übereinstimmen können. Das PAULi-Prin-zip führt zum schalenförmigen Aufbau der Atome, worauf das Periodische System der Elemente beruht. pH-Wert: Als pH-Wert wird der negative dekadische Logarithmus der Wasserstoffionenkonzentration bezeichnet. Er ist ein Maß dafür, ob eine Lösung - im allgemeinen eine wäßrige Lösung - sauer oder basisch ist: Bei pH 7 ist eine Lösung neutral, bei pH-Werten über 7 (bis pH 14) ist die Lösung zunehmend alkalisch (oder basisch) und bei pH-Werten unter 7 zunehmend sauer. In alkalischen Lösungen überwiegen die OFRTonen, in sauren Lösungen die H+ bzw. H30+-Ionen gemäß der Dissoziationsgleichung des Wassers: hoh h+ + 0H_ Polyamide sind makromolekulare Stoffe mit einer bestimmten kettenförmigen Anordnung der Atome Kohlenstoff (C), Wasserstoff (H), Sauerstoff (O) und Stickstoff (N), die durch folgende Strukturformel beschrieben wird: -C-NH-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2 -C-NH-CH2-CH2-CH2-CH2-CH2-C-NH-CH2-~~ 0 0 0 Das gewählte Beispiel ist die Formel des Nylon-&oder Perlon, das aus dem zyklischen Amid der Aminocapronsäure hergestellt wird: n |-HN-|CH2l5-CO-j Nylon - 6 Ebenfalls aus Aminosäuren entstehen die Proteine; auch diese sind daher ihrer Struktur nach Polyamide: ----NH-CH-C-NH-CH-C-NH-CH-C-NH-CH-C-NH-CH-C-NH-CH------ I II I II I II I II I II I R] 0 R2 0 R3 0 R| 0 R2 0 R3 Die Formeln lassen das gemeinsame Strukturprinzip erkennen. Die der Proteine unterscheidet sich von der des Nylon durch ihre Seitengruppen R„ R, usw., von denen es in den Proteinen 20 verschiedene gibt. Die Reihenfolge der Seitengruppen R„ R., P.4/ R7 etc. in der Kette ist in einem reinen Proteinpräparat bei allen Molekülen dieselbe. Nur durch die Reihenfolge (Sequenz) und die Länge der Kette unterscheiden sich die verschiedenen Proteine voneinander. Polydispersität: Alle synthetisch hergestellten makromolekularen Stoffe bestehen aus einem Gemisch ungleich langer Moleküle. Die Angabe der Kettenlänge, ausgedrückt durch die Anzahl der Struktureinheiten pro Kette, ist daher stets ein Mittelwert, der oft Einzelketten mit 10 bis 100000 Struktureinheiten umfaßt. Wie groß die Anteile der Ketten mit den verschiedenen Längen sind, wird durch die Verteilungskurve angegeben. Im Gegensatz dazu haben die Proteinmakromoleküle innerhalb einer Proteinart einheitliche Moleküllängen, sie sind monodispers. Polyester: Makromoleküle haben eine Struktur, die am ehesten mit der einer Perlenkette vergleichbar ist. Die Perlen sind die Struktureinheiten einer Perlenkette. Bei den Makromolekülen werden die Struktureinheiten auch als Monomer-Reste bezeichnet, weil die kleinen Moleküle, durch deren Addition oder Polymerisation die Makromoleküle entstehen, Monomere genannt werden. Die Polyester entstehen durch Reaktion der Monomeren, Dicarbonsäure und Diol: + Ho'-C-R-C-ioH + HO-R'-OH + Hoi-C-R-CHOH + HO-R'-OH + ---i II || .----1 L------J || M .-----J L-- 0 0 0 0 H2O- Abspaltung ------O-C-R-C-O-R’-O-C-R-C-O-R'-O-C-R-C-O-R-O-C-R“ 11 11 u 11 11 11 11 00 0 0 0 0 0 Die Estergruppe -COO- in der Kette ist für alle Polyester typisch. Die Reste R und R', d. h. die Art der Dicarbonsäuren und der Diole kann variieren. DNS und RNS sind Polyester mit Phosphorsäure als Dicarbonsäure und Des-oxyribose bzw. Ribose als Diol. Die Formeln finden sich auf Seite 192. Eigentlich ist Phosphorsäure eine Tricarbonsäure und Ribose ein Triol, aber die dritte Funktion (OH-Gruppe) tritt bei der Kettenbildung in vivo nicht in Aktion, sonst würden vernetzte Gebilde mit verzweigten Ketten entstehen, wie das von der Kunststoffchemie bekannt ist. Polykondensation: Bildung langer, kettenförmiger Moleküle durch Verbindung zahlreicher Monomermoleküle (Kettenbauteile j miteinander mit Hilfe funktioneller Gruppen. Polykondensationstatistik: Mathematische Behandlung der Polykondensation, bei der ein Spektrum von ungleich langen Kettenmolekülen entsteht, das sich theoretisch berechnen läßt (Schulz-Flory-Verteilung). Bei Polykondensation mit mehr als einem Kettenbauteil oder Monomer werden die verschiedenen Monomersorten in statistisch-unregelmäßiger Folge an die Kette angehängt. Auch die hierbei entstehende Verteilung der Monomerreste in der Kette läßt sich nach statistischen Methoden berechnen. Polykondensationsthermodynamik: Konsequenzen der Hauptsätze der Thermodynamik (s. d.) für die Polykondensation, d. h. für die chemische Reaktion, durch die die natürlichen (und viele synthetische) Makromoleküle gebildet werden. Polymeranaloge Reaktionen sind chemische Veränderungen von makromolekularen Stoffen, bei denen die Länge des Kettenmoleküls unverändert bleibt. Einige solcher Reaktionen werden in der chemischen Industrie durchgeführt, um aus der Cellulose des Holzes Fasern oder Folien herzustellen (Viskose, Rayon, Cellophan, Acetylcellulose). Bei DNS kann durch Chemikalieneinwirkung oder Bestrahlung die Reihenfolge der Nucleotide verändert werden (Mutation). Auch das ist eine polymeranaloge Reaktion. Polymere ist eine viel verwendete Bezeichnung für makromolekulare Stoffe. Beide Bezeichnungen sagen wenig aus über das wesentliche Strukturmerkmal der Makromoleküle, nämlich die lineare Anordnung zahlreicher kleiner Moleküle zu einer langen Kette. Daraus ergibt sich alles Weitere: die Sequenz, die Tertiärstruktur, die Assoziationsmöglichkeiten und die dadurch bedingten Eigenschaften und Funktionen in der lebenden Zelle. Polymereinheitlichkeit: Die Makromoleküle eines synthetisch hergestellten Polymeren (z. B. eines Kunststoffes) sind verschieden lang. Diese Stoffe sind Mischungen von Molekülen mit Polymerisationsgraden (s.d.) zwischen io und einigen iooooo in bestimmten Mischungsverhältnissen, die durch die Molekulargewichtsverteilungskurve beschrieben werden. Derartige Stoffe sind polydispers in bezug auf die Molekülgröße. Dagegen sind die Makromoleküle von Proteinpräparaten untereinander genau gleich lang, sie sind polymereinheitlich. Polymerisationsgrad (P) ist ein Maß für die Länge eines Makromoleküls. So wie man die Länge einer Perlenkette durch die Anzahl der Perlen beschreiben kann, aus der sie besteht, kann man die Länge der kettenförmigen Makromoleküle durch die Anzahl der sich in der Kette wiederholenden Struktureinheiten beschreiben. Wenn man also sagt, der Polymerisationsgrad eines Proteins sei rooo, so besagt dies, daß die Moleküle dieses Proteins aus 1000 aneinandergereihten Aminosäureresten bestehen. Die Aminosäurereste sind die Struktureinheiten des Proteinmoleküls: hhohho:hho:hhohhohhohho i i ii t i ii , i i ii . i i ii i i ii i i ii i i ii -----N-C—C-N-C-C^N-C-C-j-N-C—C-N-C-C-N-C-C—N-C-C-- R| R2 ; R3 : Rl Rt r3 r5 Struktur-; ! einheit : Proteine zeichnen sich dadurch aus, daß alle Makromoleküle eines Präparats untereinander gleich lang sind, sie sind polymereinheitlich, wie man sagt - im Gegensatz zu den synthetischen Polymeren, deren Molekülgröße sich auf einen großen Bereich verteilt. Bei synthetischen Polymeren (Kunststoffen) ist der Polymerisationsgrad daher ein Mittelwert. Aus dem Polymerisationsgrad ergibt sich das Molekulargewicht des Polymeren durch Multiplikation mit dem Molekulargewicht der Struktureinheit (MMon): Mp0, P ‘ JVlj^on Dem Polymerisationsgrad 1000 entspricht z. B. bei Proteinen ein Molekulargewicht von iooooo, wenn man für die Aminosäurereste einen Mittelwert von ioo einsetzt. Präparative Chromatographie siehe unter «Adsorption - Desorption«. Primärstruktur ist die Bezeichnung für Art und Anordnung von Atomen in Mo- lekülen von Naturstoffen, etwa synonym mit «Konstitution» (s. d.). Bei Makromolekülen bezeichnet Primärstruktur die Art und Anordnung der Struktureinheiten in der Kette. Beispiel: Proteine, s. d. Proteine (oder Eiweißstoffe) sind eine der großen Gruppen makromolekularer Naturstoffe: Polysaccharide (z. B. Cellulose, Stärke), Naturkautschuk, Proteine und Nucleinsäuren (DNS, RNS). Die Rolle, die Cellulose als Gerüstsubstanz (tragender Zellwandbestandteil) im Pflanzenreich spielt, kommt im Tierreich den Proteinen zu. Dabei hat - zumindest bei den höheren Tieren - jedes Individuum sein eigenes Protein, das von anderen Individuen als fremd erkannt und abgestoßen wird (Immunreaktion). Neben den eigentlichen Körperproteinen Muskeleiweiß, «Fleisch») ist das Milcheiweiß (Kasein) als Nahrungsmittel von besonderer Bedeutung. Weitere allgemein bekannte Proteine sind Seide und Wolle. Was den Proteinen ihre zentrale Bedeutung in der gesamten Natur, im Pflanzen-wie im Tierreich gibt, ist ihre Rolle, die sie als Enzyme spielen. Mit Hilfe der katalytischen Wirkung von Enzymen werden die für Wachstum und Stoffwechsel der Organismen notwendigen chemischen Reaktionen gesteuert. Ihrer Molekülstruktur nach gehören Proteine zu den Polyamiden (wie Nylon und Perlon). Im Gegensatz zu diesen besitzen die kettenförmigen Makromoleküle der Proteine jedoch nicht eine (wie Perlon) oder zwei (wie Nylon-6,6) Struktureinheiten, sondern 2.0 verschiedene: Perlon. NH-|CH2)5-C-NH-(CH2)5-C-NH-(CH2)5-C-NH-(CH2)5-C-NH 6 Ö Ö Ö 0 NH-CH-O ch2 ö 0 "NH-CH-C- ch3 0 NH—CH—C* ch2 6h 0 rNH-CH-CJ H 0 LNH-CH-C- ch2 SH O-s 0=0 Y OH Tyrosin- Alanin- Serin- Glycin- Cystein- Prolin-Rest Die großen Buchstaben sind Atomsymbole: C = Kohlenstoff, H = Wasserstoff, N = Stickstoff, O = Sauerstoff. Die gestrichelten Linien sind die Spaltstellen der Kette bei der Hydrolyse durch Säuren oder Enzyme. Die Reihenfolge der Aminosäurereste in der Kette (die Sequenz) und die Länge der Kette unterscheidet die verschiedenen Arten der Proteine. Bei einer Kette von roo miteinander verbundenen Aminosäureresten gibt es (bei 20 verschiedenen Aminosäuren) 2o‘°°=io,3° mögliche verschiedene Sequenzen (1 mit 130 Nullen) und damit verschiedene Proteine. Die Art der Bindung, durch die die Struktureinheiten (die Aminosäurereste) miteinander verbunden sind, ist bei allen Proteinen - wie überhaupt bei allen Polyamiden - dieselbe, nämlich eine Carbonsäureamidbindung. Die AS-Sequenz von Proteinen wird durch enzymatische Kettenspaltung mit Trypsin und Chymotrypsin aufgeklärt, die die Proteinketten jeweils an verschiedenen Stellen spalten: Eine Versuchsreihe wird mit Trypsin begonnen. Die Primär-Spaltprodukte werden isoliert und einzeln einer Chymotrypsinspaltung unterworfen. Bei einer zweiten Reihe beginnt man mit Chymotrypsin und gelangt durch anschließende Trypsinspaltung zu denselben Sekundärpeptiden. Aus der Überlappung der Primär-Spaltprodukte erhält man die Reihenfolge der kleineren Sekundärpeptide, deren Sequenz man durch schrittweisen AS-Abbau ermitteln kann. Die erste auf diese Weise durchgeführte Sequenzanalyse war die des Insulins (F. Sänger). Heute kennt man bereits die Sequenz von zahlreichen Proteinen. Proteinoide: Erhitzt man Mischungen verschiedener Aminosäuren, insbesondere in Gegenwart von Polyphosphaten, auf 80 bis 150° erhält man Polykondensate, welchen von den Experimentatoren proteinähnliche Eigenschaften zugeschrieben wurden, und welche man daher als Proteinoide bezeichnet hat - fälschlicherweise, denn von proteinähnlichem Verhalten solcher Polykondensate kann keine Rede sein. r. Die Aminosäurepolykondensate sind nicht polymereinheitlich, sondern polydispers, d. h. in solchen Präparaten liegen Polymerketten verschiedener Längen vor. Die Proteine - auch die, die man in den primitivsten Lebewesen antrifft - sind dagegen streng einheitlich. 2. Die Aminosäurepolykondensate sind statistische Copolymere, d. h. die Reihenfolge der Struktureinheiten folgt den Reaktionsgeschwindigkeitskonstanten der jeweiligen Monomeradditionen an die wachsende Kette. Folglich erhält man Ketten mit immer der gleichen, durch die RG-Konstanten festgelegten Segmentlängenverteilung. Daß die Sequenz nicht genau den eingesetzten Mengenverhältnissen folgt, ist für den Polymerchemiker selbstverständlich. Proteine dagegen haben eine strengdefinierte Aminosäuresequenz, die bei allen Molekülen eines Präparates genau gleich ist, und durch die die Tertiärstruktur des Proteins festgelegt ist, die ihrerseits wieder die enzymatische Aktivität bestimmt. 3. Die Aminosäurepolykondensate sind uneinheitlich auch in bezug auf die Kettenbindungen. In Proteinen liegen ausschließlich Peptidbindungen (-CO-NH-) in der Kette vor, in den thermischen Polykondensaten dagegen nur um 50 Prozent. Der Rest besteht aus andersartigen, nicht enzymatisch spaltbaren Bindungen, deren chemische Natur unbekannt ist. (Im Laborjargon nennt man so etwas “Schlunz».) Die Ketten sind außerdem intramolekular vernetzt oder verzweigt, worauf die Unfähigkeit zur Helixbildung hinweist. 4. Es ist viel über katalytische Aktivität von ■■Proteinoiden» geschrieben worden. Zum einen muß man diese katalytische Aktivität mit der Lupe suchen -der Nachweis war nur mit Hilfe der hochempfindlichen Methode der radioaktiven Markierung möglich -, und zum anderen ist nicht die katalytische Aktivität das für Enzyme typische Merkmal (hohe katalytische Wirksamkeit findet man auch bei vielen niedermolekularen Verbindungen, bei Metallen und Metallkomplexen), sondern die hohe Selektivität. Wenn die Untersuchung der thermischen Aminosäurepolykondensate eines gezeigt hat, dann dieses, daß sie so gut wie nichts Proteinartiges haben und daher als Vorstufen auf dem Wege zu lebenden Organismen nicht in Betracht kommen. Wie die ersten Proteine entstanden sind, ist bis heute so rätselhaft wie eh und je. Und außerdem: Selbst wenn sich durch thermische oder katalytische Polykondensation reine, einheitliche Proteine hersteilen ließen, wäre dadurch zur Klärung der Frage nach der Entstehung des Lebens so gut wie nichts beigesteuert. Die Polykondensationsversuche gehen vorbei an dem eigentlichen Problem: Wie kam es zur Entstehung lebender Zellen, und das heißt zur Bildung des Genetischen Code und der enzymatischen Proteinsyntheseanlage? Razemat: Alle zweidimensionalen Gebilde, die keine Symmetrieachse, und alle dreidimensionalen Gebilde, die keine Symmetrieebene haben, sind in zwei spiegelbildlichen Formen denkbar. So existieren auch organische Moleküle mit asymmetrischen Kohlenstoffatomen in einer D- und einer L-Form, die sich wie Bild und Spiegelbild gleichen, z. B. die Zuckermoleküle und die Aminosäuremoleküle, die - von wenigen Ausnahmen abgesehen - als L-Form in der Natur Vorkommen. Gemische, in denen Moleküle mit D- und L-Form gleich häufig vertreten sind, werden als Razemate bezeichnet. Bei nichtenzymatischen Synthesen entstehen stets Razemate, die sich nur durch besondere Verfahren in die D- und L-Komponenten trennen lassen. Die Spiegelbildisomeren lassen sich dadurch leicht unterscheiden, daß sie die Ebene des polarisierten Lichtes nach rechts bzw. nach links drehen und werden daher auch als «optische Antipoden» bezeichnet. Repressor siehe unter «Operon». Ribosomen sind submikroskopisch kleine Partikelchen, die sich in großer Zahl an der Plasmamembran der Zelle befinden. Sie bestehen aus 3 RNS-Molekülen und 5 5 Proteinmolekülen, die in bestimmter Weise angeordnet sind. Bei hohen Harnstoff- und Salzkonzentrationen zerfallen die Ribosomen in ihre 5 8 molekularen Bestandteile und bei Herstellung der physiologischen Konzentration findet eine Reintegration zum fertigen Ribosom statt — ein typisches Beispiel für Selbstmontage. Ribosomen werden als Proteinfabriken der Zelle bezeichnet, aber sie sind mehr als das, insofern als sie aktiv (als Enzym) an der Proteinsynthese beteiligt sind. Sie gleiten in kleinen Rucken (ca. V20 Sekunde Dauer) die Boten-RNS-Kette entlang und bieten den in der umgebenden Lösung herumtanzenden t-RNS-Molekülen mit ihren Anticodons und zugehörigen Aminosäuren geeignete Nischen zum Ertasten (BROWNsche Bewegung) ihres Co-dons und zum Befestigen ihrer Aminosäure an der in Bau befindlichen Proteinkette, um dann schleunigst der nächsten t-RNS Platz zu machen-ca. iooomal pro Minute. Röntgenstrukturanalyse: Regelmäßig angeordnete Striche auf einer Glasoberfläche oder einem Spiegel (Strichgitter) verursachen beim Durchtritt bzw. bei der Reflexion von Lichtstrahlen Beugungsmuster als Folge von Interferenz (periodische Schwächung und Verstärkung durch Überlagerung von Lichtwellen). Durch Vermessung der Beugungsmuster lassen sich mit Hilfe der Beugungsgesetze die Gitterabstände berechnen. Röntgenstrahlen verhalten sich beim Durchstrahlen von Kristallen (mit den regelmäßig angeordneten Atomen als Gitterpunkten) ähnlich wie sichtbares Licht an Strichgittem. Mit Hilfe der Beugungsmuster lassen sich die Atomabstände berechnen. Daraus kann man ein Strukturmodell erstellen. Diese Methode der Strukturaufklärung wird als Röntgenstrukturanalyse bezeichnet. Säugetiergenom: Summe aller Erbmerkmale (Gene) in einer Säugetierzelle. Die Gene sind mehr oder weniger große Stücke der als Chromosomen in den Zellen befindlichen DNS-Makromoleküle (Länge eines Gens ca. 1500 Nucleotide). Jedes Gen enthält die Anweisung für die Aminosäurereihenfolge eines Proteinmakromoleküls (z. B. eines Enzyms). Seele siehe unter «Entelechie». Sequenz ist in der Polymerchemie die Reihenfolge von Kettenbestandteilen (Kettenbauteilen, Struktureinheiten) eines Makromoleküls. Bei den Proteinen ist die Reihenfolge der 20 verschiedenen Aminosäurereste gemeint (AS-Sequenz), die sich durch Kettenspaltung und analytische Bestimmung der Spaltprodukte aufklären läßt (siehe unter • Flugzeug: 125 Kutsche—»Auto: 125 Enzyme: 20, 21, 36, 48, 65, 73, 224 Anzahl bei Säugetieren: 120 - und Gene: 45 Reparatur-: 51, 52, 53, 63, 66 Enzymketten: 122 Eobionten: 89, 91 Erbinformation: 18 —: s. a. u. «Genetische Inf.» Erdbeben:80 Erde: Biosphäre: 181 Die frühe Erde: 37, 39 Kollisionen: 183 Noosphäre: 181 Uratmosphäre: 39 Zerstörung der-: 183 Zukunft der-: 184 Erdgeschichte: 30, 137 Erforschliche, das: 28 Essigsäure, 42, 64, 73 - in MiLLER-Versuchen: 42 Essigsäureaethylester: 61, 225 Estergruppe: 47, 50, 225 Eti: 187, 188 Evolution: Alles umspannende -: 174 ^ -nachßRESCH: 184 Chemische -: 35, 68, 75, 84ff, 222 - und DNS-Synthese: 26, 108, 117 Gegenargumente: 28 Geschichte des Lebens: 137 - als Ideologie: 95 ff, 174ff Kosmische-: 188, 189 - und Kunststoffchemie: 26 Lenkender Einfluß auf die -: 13, 27, 137 Von Menschenhand gesteuert: 184 ff - auf Molekülebene: 75 - und Polymersynthese: 36 Präbiotische -: 35, 68, 84ff, 222 - und Selbstorganisation: 26, 38 - als Straße des Kampfes: 169 - nach Teilhard: 179, 180 Wahrscheinlichkeiten: I29ff Zukünftige—: 179 ff Evolutionäre Erkenntnistheorie: 14 Evolutionsexperimente: 75 ff, 205 ff Nylonsynthese als-: 58 RECHENBERG-Modell: 123 Evolutionsspiele: 110 Evolutionsstrategie: 123 Evolutionstheorie: 23, 100 - gegen Schöpfungslehre: 27, 96 ff - als Ideologie: 25, 95 ff - als Lehrmeinung: 32 - als Naturwissenschaft: 25 - als Wissenschaft: 31 Wissenschaftlicher Kem der-: 27 Exotherme Reaktionen: 65 Experiment: 29, 58, 75 ff, 205 ff Fettamine: 81, 225 Fische: 20, 28, 125 Fließgleichgewicht: 51, 53, 163, 164 Brunnenmodell: 51 Form: Komplementäre-: 194 ff Oberflächengeometrie: 196 Formaldehyd: 64 Formbildung: 13, 107, I4iff - durch dissipative Muster: 146 - durch Kristallisation: 151 - durch Selbstmontage: 151 ff -durchwachsen: 141 ff Form und Stoff: 15 4,15 5 ff Formgebung: -durch Bauen: 148 - durch Gießen: 149 - durch Montieren: 148, 149 - durch Wachsen: 141 ff, 148 ff Form-Information: 37 Formprinzip: 141 ff Fortschritt: Ambivalenz: 186 Was ist-?: 186 Fossilien: 30 Fressen und Gefressenwerden: 165 ff Frühe Erde: 39 Fundamentalist: 31 Funktionelle Gruppen: 46, 48 Galaxien: 37 Galilei-Konflikt: 182 Gebirge: 29, 30 Geburtenziffer: Reduzierung: 178 Gehirn: 71 Gemeinschaften: - von Pflanzen und Tieren: 171 Genabkoppelung: 134 Genaddition: Wahrscheinlichkeit einer passenden—: 119 ff Gene: 10, 17, 74, 105, 110, 22$ Anzahl brauchbarer-: 119 Anzahl möglicher -: 119 Bildungswahrsch. neuer-: 119, 129, 2l6ff Brauchbarkeit neuer -: 119 Entstehungsmechanismus neuer-: 132 ff -undEnzyme: 45 - als Erbmerkmale: 105 kooperative-: 117, 118 -als Monomere: 116 Narkotisierte-: 135 neue-, neue DNS-Stücke: iio, 119 Reduntante-: 119 Testbarkeit neuer-: 124 Toxische-: 117 Überschüssige-: 119 wirkungsverschiedene -: 118 Generationsdauer: -v. Bakterien: 118 Generatio spontanea: 70, 930 Genetik: 105 Genetischeinformation: 18, 19, 20, 22, 35, 45, 105, 112, 141, 158 Verlust der - durch Hydrolyse: 68 -undFormprinzip: i4iff Genetischer Code: 19, 108, I4I, 157/ 22$ Degeneration: 117 Genfolge: 126 Bildungswahrscheinlichkeit: 129 harmonische-: 126 kooperative-: 128 Genom: in, 225 Entstehung durch Genaddition: 116 ff Entstehungswahrscheinlichkeit: 119 Redundanz: in Gensequenzen: Anzahl: 116, 118 Gentechnik: 187, 188 gesteuerte Copolykon-densation: 132 Oligonucleotidsynthe-sen: 76, 132, 205 ff Genverdoppelung: 116, 124, 133 Geologische Selbstmontage: 79/ 95 Geschichte des Lebens: 137 Gesetz d. konst. Proportionen: 55, 225, 237 Gesteuerte Copolykonden-sation: 11 Gesunderhaltung d. Art: 96, 124, 136, 167 GlBBS-HELMHOLTZ-Glei-chung: 65 Glasperlenspiele: 71 Gleichgewicht, thermodyn.: - b. Polykondens.: 44, 50, 212 ff -inUrsuppen: 52 Gleichgewichtskettenlänge: 52, 53, 78, 212ff Gleichgewichtskonstante: 212 ff Gleichgewichtszustand: 65 Glycin: 42 Glykocholsäure: 120 Glykolsäure: 77 Göttlicher Plan: 27, 32, 71 Grenzflächenpolykondensation: 5 8 ff, 61 Großaufbereitungsanlagen: - Entst. d. Selbstmontage: 79 - für Ursuppen: 79, 95 Großer Übergang: Wahrscheinlichkeit für -: 130,131 Guanosintriphosphat: 48 Gut und böse: 170, 171,186, 187 Haber-Bosch-Verfahren: 38 Haftstellen: 46 Hauptsätze d. Thermodynamik: 65, 226, 237 Helium-Gasmassen: 37 Helix: 226 Helixanteile: - bei Proteinoiden: 75 Herrenmenschen: 187 Herrenmoral: 187 Heterotrophie: 169 Hexamethylendiamin: 58 Hierarchie: Astronomische-: 73 Kulturelle und biologische-: 169 Historische Ereignisse: 22, 108 Das historische Wie: 17, 137 Höherentwicklung: 175,188 Unvermeidlichkeit: 175 Homunkulustraum: 28, 37 Humanitäre Bestrebungen: Problematik: 168 Hydrolyse: 44, 50, 51, 65, 86 Enzymatische-: 133 -geschwindigkeit: 207 Hydrolysegeschwindigkeit: Einfl. d. Wasserkonz.: 207 Hydrolysestabilität: 86,115, 207 Hydrolytische Spaltung: 51, 67 Hyperzyklus: 69, 75 Idee: 142 Ideologie: 171 - und Wissenschaft: 25 Evolutionslehre als-: 33 Illegitimes Crossing-over: 116, 133 ff, 223, 226 Immobilisierung: 80 Indigo: 73 Induktor: 142,146,155,156, 157 Informationsgehalt: - als Rangabzeichen: 169 Informationsspeicher: 108 Intelligenz: Evolutive Steigerung der -: 181 Intelligenz contra Körperkraft: 178 Interplanetarer Raum: 73 Interstellarer Raum: 73 Interstellares Gas: 64 Iridiumanomalie: 183 Irreversible Thermodynamik: 51, 52 Isocyanate: 38 Isotropie: 156 ISSOL-Tagung: 43, 61 Jupiter: 39 Kampf ums Dasein: 96, 167 Phagenüberfall: 170 Katalysator: 39, 226 Katalysatorwirkung: 220, 226 Katalyse: 220, 226 Katastrophen: Weltweite-: 183, 184 Kausalität: 71 Keimzelle: 30 Kettenabbau: 226 - b. versch. Kettenlängen: 67, 86 - d. Hydrolyse: 67 Kettenabbrechende Moleküle: 42, 44 Kettenbeweglichkeit: 66 Kettenbildende Monomere: 44, 46, 47, 49 Kettenbildung: - mit Kugelmodellen: 54f - durch Polykondensation: 47, 49 Kettenlänge: Begrenzung d. - durch Hydrolyse: 65 ff Einfl. monofunkt. Moleküle: 54ff, 2ioff Einfl. d. Stöchiom. d. Mon. auf-: 54ff, 210ff Einfl. d. Wasserkonz.: Soff, 65 ff, 77, 212 ff Gleichgewichts-: 53, 212 ff -undSequenz: ii4ff - als Strukturparameter: 73 -Verteilung: 208ff Kettenlängenverteilung: 208 ff - bei Oligomeren: 209 Kettenmoleküle: 23, 28, 34 Hydrolyse von -: 51, 52 Synthese von-: 10, 22.23, 28 Kettenspaltung: 44, 51 - durch Hydrolyse: 65, 67, V 86 Kettenverlängerung der DNS: - durch illeg. Crossing-over: ii 6,133 Mechanismus der-: 116, 132 - und Mutation: 114 Ketten Wachstum: 20, 47, 49, 83ff, in - d. DNS durch Jahrmillionen: 8 3 ff, 106, in ff Evolutives-: 131 Geschwindigkeit des -: 5i Latentes-: 126 - und Mutation: 114 Keule: 186 Kinder des Lichts: 169 Koazervate: 90, 226, 227 Kohlendioxid: 39 Kollisionsereignisse: Kosmische-: 183 Kolloidpartikel: 73, 92, 227 Kolloidteilchen: 92,223,227 Kometen: 43, 73, 108 Kommunismus: - u. Darwinismus: 98 Komplementäre Form: 38, 196 Komplementarität: 192, 194, 196, 198, 227 Komplexität: 71, 180, 181, 182 Kondensation: 37, 151 Konstitution = Struktur: 227 Konstruktion: -oderZufall: 74 Kontrolle des Wachsens: 150 -durch Sonden: 150 Konzentrationsgradienten: Informationsübertragung durch-: 146 Konzentrationsmuster: 146, 156, 157, 205 Konzentrationsschwankun- gen: Zeitlich-räumliche-: 157 Kooperation: -von Genen: 117, 118 Kooperierende Gene: 117, 118, 130 Kopemikanisches Weltbild: 190 KoRNBERG-Enzym: 76 KoRNBERG-Synthese: 197 ff Kosmische Evolution: 174ff Kosmos: 11, n8, 130, 180, 181, 183 -ohne Schöpfer: 184 Kreatur: 98 Die leidende-: 96 Kreuzungsversuche: -Mendels: 105 Kristallwachstum: 151 Kunststoff-Chemie: 46, 227 Kunststoffe: 26, 34, 227 Kunststoff-Synthesen: 227 - als Modelle für DNS-Synth.: 46 ff Länge der DNS: -beiBakterien: in - bei Säugetieren: 111 -und Sequenz: 114 Zunahme während d. Evol.: in Längenzuwachs: - der DNS-Kette: in, 130 Wahrscheinl. f. - d. DNS: 129 ff Latexpartikel: 90, 92, 227 Leben: Chemie des-: 160ff, 173 -undDNS: 45, 106 - und DNS-Synthese: 10, 100 Ehrfurcht vordem-: 171 Entstehung des-: 9, 23, 108 Gegensätzlichkeitenim-: Gemeinsame Wurzel: 159 Neodarwinistische Sicht: 45,174 ff Das Phänomen -: 15 9 ff - und Sterben: 163 ff Vernichtung des irdischen-: 183 Lebende Form: 141 ff Lebensentstehung: histor. Ablauf d. -: 109 Lebewesen: 10 Entstehung: io; 107, 110 Entst. d. Mutation - Selektion: 129 ff - als Entwicklungsträger: 181 - und Makromoleküle: 107, ho Legoprinzip: 151 Makromolekulare Chemie: 10, 12, 24, 35, 36 -undEvolution: 36 Geschichte der-: 34 Makromolekulare Stoffe: 18 Makromoleküle: 23, 28, 34ff, 110, 227 Biologische-: 75 DNS -: 12, 110, 191 ff s. a. u. DNS) Entstehung in Ursuppen: 46 ff, 70 - und Evolution: 26, 36, HO Geknäuelte-: 65 Kettenlänge der-: 50 - und Lebewesen: 107 Struktur: 23, 35, 36 Synthese von-: 10,22,23, 28, HO Makromolekülstruktur: 35, 36 Massenwirkungsgesetz: 51, 52, 53, 212ff Einfl. auf d. Kettenlänge: 212ff, 65 ff Materialismus: 31, 32 -beifeuerbach: 31, 32 Materie: Herkunft: 12 Matrixstränge: 38 Matrize: 45, 76 Meiosis: 167, 204, 227 Membran: 71 Mendelsche Gesetze: 228 Mensch: 73 Abst. v. Affen: 98 Der - als autonomes Wesen: 175 Der-als Raubtier: 172 Sonderstellung: 171 -undTier: 99 Der - als Überfallener: 173 - als Verursacher: 100 Menschenwürde: 33,99,171 Menschheitsgeschichte: 32 Mesonen: 71 Meteoriten: 43, 64 Methan: 39 Methylamin: 42, 43, 44 Microspheres: 89, 91 Milchsäure: 77 Miller-Versuch: 39ff, 64, 205, 206, 240 Ergebnis: 42, 44 nach M. eigen: 39 nach R. riedl: 14 missing links: 104 Mißbildungen: 144 Molekularbewegung: 38,54 Molekularbiologie: Geschichte der-: 34, 106 Molekulare Evolution: 75 Molekulargewicht: 228 Moleküle: 17, 70, 74, 107 Bifunktionelle-: 37 -und Leben: 107 Monofunktionelle -: 42, 44/ 48 Mond: 73 Monocarbonsäuren: 42, 44, 228 Monofunktionelle Moleküle: 42, 44, 48, 54ff, 62, 73, 78, 2ioff Einfl. auf d. Kettenlänge: 54 ff Mischung mit bifunkt. Mol.: 62 - in Ursuppen: 42, 44, 240 Monomere: 37, 44,54, 229 «Die richtigen -»: 64, 78, 207 Hochreaktive-: 52, 53 Intelligente-: 151 Zwei Typen von -: 46 Monon: 187, 229 Montieren: 148 ff Montmorillonit: Peptidsynthesen an -: 76 Moral: Begründung: 176, 177 Morphogenese: 141 ff Mosaik: 150 Flächenhaftes-: 150 Murein: 93 Mutanten: 18, 22, 29, 132 -Varietäten: 105 Mutantenschwärme: 132 Mutantenverteilung: 132, 182, 183 Mutation: - und Polykondensation: 35,113,114H, 135 Mutationen: 18, 22, 36, 72, 100, 109 Art-Optimierung durch -: 123, 132 Lokal begrenzte-: 134 Mutation - Selektion: 18, 19, 20, 22, 30, 98, 100, 113/ 123 Arterhaltung durch-: 124 Das Einleuchtende von -: 174 ff Entstehung v. Lebewesen durch-: 129 ff - als Zufallsgeschehen: 32, 97, ioiff Nächstenliebe: 98, 168, 176 Naturgesetze: 30, 72 Naturkautschuk: 18, 34 Naturwissenschaft: An den Grenzen der -: 138 Neodarwinismus: 23,25,26, 229 - als historische Aussage: 109 Naturwiss. Kem d. -: 31 ff Neugenbildung: 134 Neukonstruktion: 124, 125 -u. Optimierung: 124,125 Neutronen: 70 Nichtgleichgewichtsthermodynamik: 51, 52 Nichtwissen: 31,36,69,137, 138 DARWINS-: 33 Noosphäre: 181, 184, 188 Nordische Rasse: 97 Nucleinsäuren: 43, 71, 230 Hydrolyseresistenz: 67 Nucleoside: 42, 43, 47, 230 Nucleosidphosphate: 48,66, 80 Nucleosid- 5 '-phosphorimi-dazolid: 206 Nucleotide: 43, 47 bei MiLLER-Versuchen: 43, 57 Nucleotidfolge: 30, 38, 68, 91, 92, io8, 114, 230 Nucleotidketten: 66 Nucleotidsequenz: 29, 30, 38, 68, 108, 114, 230 Anzahl d. 216 ff als Gen brauchbare 119 - als genetische Information: 108 - von Genen (Anzahl): n6, 118, 216 - und Proteinsynthesen: 108 Nylonsythese: 39, 48, 49, 58h -alsEvol.-Exp.: 58ff Oberflächengeometrie: 194 ff Odysseus gegen Polyphem: 178 Offene Systeme: 51, 2.13ff Oligomere: 230 Oligonucleotide: 66, 67 Synth. uijterpräbiot. Bed.: 76 ff, 205 ff Oligonucleotidsynthesen: 76ff, 205ff Statistische-: 76ff Gesteuerte-: 132 Omega: 180,181,182,187 Ontogenese: 28, 36, 14t ff Operator: 734 Operator-Gen: r 3 5 Operon: t46, 230 Optimierung der Arten: - durch Mutation: 123, 432 - u. Neukonstruktion: r24, T25 Organe: 71, r45 Organismus: 145 Oszillierende Reaktionen: 157, 241 ff Parasitäre Lebensweise: 166 Parasiten: 168ff Paßform: -von Molekülen: 194 ff Pauli-Prinzip: 137, 231 Pektin: 18 Peptidbindungen: 75 -bei Proteinoiden: 75 Perpetuum mobile: 69, 94, 137 Pfauenfeder: 27 Pflanzenarten: 159 Phänotypus: 114 Phagen-DNS: 199 Phagenüberfall: 169, 170 Phenylalanin: Biosynthese von-: 120 Phosphorit: 48 Phosphorsäure: - als DNS-Bauteil: 47 Phosphorsäureanhydride: 66 Phylogenese: 36, 141 Plan: Evolution und-: 13 Göttlicher-: 27, 32, 71 Planeten: 39, 43, 73 PLATOsche Idee: 142 Plektonemisch-Parane-misch: 192 Polyacrylesterdispersionen: 90, 91 Polyamide: 193, 231 Polyamidsynthese: 48, 49, 5 8 ff, 193 Polycarbonatsynthese: - als Modell für DNS-Synth.: 47 Polydispersität: 208 ff, 232 Polyester: 232 Polyesterfasern: 18 Polyesterstruktur: 12, 18, 47, 232 -der DNS: 192 Polyformaldehyd: 34 Polykondensation: 21, 23, 44, 46 ff, 232 - durch Genaddition: 116 ff Gleichgewicht: 44, 51, 53, 65, 66, 67, 86, 212ff - und Mutation: 3 5 Stöchiometrie der-: 54ff, 210 ff Verhinderung durch Wasser: 53, 6 5 ff, 206 Zwei Typen der -: 46, 47, 49 Polykondensationsstatistik: 208ff, 21off, 232 Polymeranaloge Umsetzungen: 136 Mutationen als-: 136 Polymerasel: 197 Polymerchemie: - und Evolution: 36 Polymerchemiker: 12, 36 Polymere: 233 Synthesen: 10, 73 Wahrsch. f. Bildung v. -: 106, 210 ff, 216 Polymereinheitlichkeit: 233 Polymerisationsgrad: 233 Polymerketten: 34 ff, 110 (s. a. u. Makromol.) Wahrsch. f. Entst. v. -: 106, 208ff, 2l6ff Polynucleotide: 14 s. a. u. DNS s. a. u. Nucleotide Polyphosphorsäure: 48, 66 Polyploidie: 106 Polysaccharide: 18, 93 Polystyrol: 34, 90, 91 Populationsdichte: 164 Kritische-: 164 Präbiotische Bedingungen: 76, 206 ff Präbiotische Evolution: 35, 68, 84ff Makromol. Basis: 35 Wahrscheinlichk. einer -: 9* Primärstruktur: 233 Propionsäure: 42 Proteine: 14, 18, 36, 48, 71, 90, 234 Proteinmolekül: 20, 49, 70 Proteinoide: 75,235 Proteinsynthese: 48, 49,193 - unter präbiot. Bed.: 74, 75ft in vivo: s. «Translation» Protobionten: 89, 91 Protonen: 70 Ptolemäisches Weltbild: 190 Quantität-Qualität: 73 Quarks: 71 Quipus: 17 Radiumatom: Zerfall d.-: 100 Rahmenbedingungen: 21, 30, 32, 70,113,120, 122 - der frühen Erde: 69 Raum: Interstellarer-: 43 Raumfahrt: 12, 28 Razemat: 236 Reaktionen: Chemische-: 38 RECHENBERG-Modell: 125 Redundanz: -desGenoms: in, 119 Regelkreise: 145 Reihenfolge: 21, 23, 71 Änderung d. - bei Repli-kat.: 102 s. a. Aminosäure s. a. Nucleotid s. a. Sequenz Reparaturenzyme: 51, 52, 53/ 63, 66, 78, 115 Replikation: 109,197 ff, 203, 204 Mindestkettenlänge für-: 87 Mutation bei-: 102 - in Ursuppen: 87 -in vivo: 197 ff Replikationsgabel: 198, 199 Abbildung: 199 Replikationsgeschwindigkeit: 87 - als Selektionsvorteil: 87 Repressor: 142, 203, 236 Reptilien: 20, 125, 131 Ribosomen: 36, 85, 170, 236 RNS: 35, 66, 70, 72, 76, 78, 79/ 191/ 193 Röntgenstrukturanalyse: 236 Rückkoppelung: 156 Rückmutationen: 128, 135 Säugetiergenom: 11 o, 117, 236 Säugetiere: 20, 125 DNS-Kettenlänge: 110, 117 Genom der-: 236 Sandstrand: 79 Saturn: 39 Saurier: 97 Sebacinsäuredichlorid: 59 Seele: 99, 143, 145, 224, 236 Macht und Ohnmacht: 144 Selbstmontage: 48,89,151 ff - von Automobilen: 70 Coli-PhageT4:152,153 Geologische-: 79 Grenzen der-: 70ff Selbstmontagereihe: 71 Abreißen der-: 72, 74 Selbstorganisation: 22, 37, 38ff, 45/ 48, 69, 70, 93/ 109, 145 - als DNS-Synthese: 45, 70 Voraussetzungen für -: 29, 30, 88 Selbstorganisationshypothese: 39, 41, 78, 88 Unhaltbarkeit der -: 70, 88 Selbstreproduktion: 45, 84 s. a. Replikation Selektion: 18, 19, 86, 100, 104 Arterhaltung durch -: 124, 136, 167 Keine - bei Polykondensation: 120, 122, 131 Kollision mit christl. Ethik: 176 Mißbrauch: 176 - auf Molekülebene: 84, 85 - als natürl. Zuchtwahl: 104 -als Sieb: 176 Selektionsdruck: 123 Selektionsmöglichkeit: -bei Mutation: 123 - bei Polykondensation: 123 Selektionsvorteile: 86 Semikonservative Replikation: 197 Sequenz: 19, 48, 197ff, 236 Richtige-: 119 - als Strukturparameter: 73 - Zerstörung d. Hydrolyse: 51 Sequenzänderung der DNS: - als Ursache von Varietäten: 106 Sequenzerhaltung: -durch Replikation: 197 ff Sequenzmöglichkeiten: 73, 216 ff Sequenzumwandlung: 134 Simulationsexperimente: 39 ff Singularität: 74 Sklavenkette: DNS als-: 145 Soll-Wert-Ist-Wert-Kon-trolle: 144, 146 Soziales Netz: 168 Spiegelbildisomerie: 75, 77 Spiele: 110, 175 SPiNOZA-Gott: 72 Spiralnebel: 73 Supermenschen: - nach teilhard: 181, 188 Supernova-Explosionen: 37 Symbiose: 171 Synthese: Biosynthese: 120 DNS-: 13, 47 - lebender Zellen: 28 - von Makromolekülen: 10, 28, 47, 49 - von Nucleinsäuren: 47, 69 - unter präbiot. Bed.: 75 ff - von Proteinen: 49, 69 Synthesegas: 39 Synthesewahrscheinlichkeit: - des DNS-Makromole-küls: 109, 208ff Schmelzpolykondensa- tion: - von Aminosäuren: 76 Schnittserienkonstruktion: 149 Schöpfergott: 71, 98 - als Begründer von Hierarchie: 169 - als Begründer von Wertnormen: 170 Schöpfung: 26, 27, 32, 95, 98 Das Jauchzen der —: 165 - als Mechanismus: 71 Das Seufzender-: 165 Schöpfungsraystizismus: 72, 96 Schöpfungsmythen: 171 scHULZ-FLORY-Verteilung: 208 ff Schwefelwasserstoff: 39 Stabilität, s. Hydrolyse -: - als Selektionsvorteil: 86 - durch Spiralisierung: 86 Stärke: 18 Stapelkräfte: 78 Statistik: -und Zufall: 101 - der Polykondensation: 107 Statistische Copolykonden-sationen: 11, 27, 37, 45, 48, 69, 107, 109, 131 -in Genschritten: 116 ff Statistische Kettenspaltung: 52 Steuerung: 150 - der Formgebung: 150 Stöchiometrie: 69, 237 Einfl. auf d. Kettenlänge: 56 - der Polykondensation: 210 ff Stöchiometriegleichung f. Polyk.: 57, 63, 2ioff - und atomare Struktur: 63 Ableitung der-: 210 ff Stöchiometrische Gesetze: 22, 44/ 55 Geltungsbereich: 63, 69 Ableit. f. Polykondens.: 210 ff Stoffe des Lebendigen: 37 Herkunft: 37 Stoffgemischtrennung: 79 Stoffinformation: 37 Stoffkreislauf des Lebens: 161 ff Stoff und Form: 15 4,15 5 ff Stoffwechsel: 160 ff Strömungsrohr-Reaktor: 160, 161 Struktureinheit: 237 Strukturparameter: - von Polymeren: 73 Strukturpolymere: 45 Technischer Fortschritt: Ambivalenz: 186 Teichonsäuren: 93 Teleologie: 95 Template: 38 Testmöglichkeit: r23 - von DNS-Wachstums-schritten: 123, 124, 126 - von Neugenen: 124, 126 Tertiärstruktur: 203, 238 s. a. Überspiralisierung Theologie: 31 - und Evolution: 31 Thermodynamik: 107, 237 Gleichgewichts-: 51 Hauptsätze der-: 65, 69 Irreversible-: 51, 52 - der Polykondensation: 107 Thymidintriphosphat: 48 Tierarten: 159 Tiere: Tötung von-: 96 Tierkörper als Reaktor: 160 ff Tochterstränge: 38 Tod: - und Weltuntergang: 164 - durch Gewalt: 165 ff Transcription: 89, 157, 159, 203ff, 237, 238 Abkopplung von der -: 135 Transfer-RNS: 35, 238 Translation: 89, 134, 159, 203ff, 237, 239 Abkopplung von der -: 134 Trennung: - v. Ursuppenkomponen-ten: 79 Triplett: 102, 222, 225 -raster: 159 Trisomie 21: 144 Übergang: «Großer-»: 130, 131 Übergangsformen: 28, 104, 125 Ultraschall-Abbau: 86 Umsequenzierung: 124 - von Doppelgenen: 124, 134 Universum: 9, 24 Atome im-: 11, 129, 130 Pulsierendes-: 188,189 Unschärfenrelation: 101 Unschuld der Pflanzen: 168, 169 Unstetigkeit: 74 Unwissen: 70 Uratmosphäre: 21, 37, 64, •239 -, hypothet. Zusammensetzung: 39 Urethane: 38 UREY-MiLLER-Versuch: 39 ff Apparatur: 41 nach eigen: 39 nach riedl: 14 Urknall: 37 Zeitdauer seit-: 118 Ursache: 100 Ursprung des Lebens: 20,21, 24, 31 Ursprung: s. u. Entstehung Ursuppe: 10, 20, 21, 30, 51, 61, 64, 67, 76, 83, 94, 107, 240 gereinigte-: 79 Kettenbildung in 44, 56ff, 63 Kettenspaltung in 51, 52,63 Oligonucleotide in-: 210 Oligopeptide in-: 210 nach R. Riedl: 14 Ein totes System: 52 -undZelle: 30 Ursuppenaufbereitungs-anlagen: 79 ff Ursuppenbedingungen: 42, 63 Ursuppenkonzept: 208 Urvogel: 131 Urzellen: 92 UV-Bestrahlung: 42 Varietäten: 18, 22, 29, 33, 104, 105 -Mutanten: 105 Ursachen für-: 105 Verbreitung: - der Zwischenstufen: 105 Vererbung: Gesetze der-: 33 Verhaltensforschung: 160 Vernichtung des Lebens: 183, 184 Verwesung: 52 Viren: -alsFeinde: 97 Virusinfektion: Evolution durch -: 237 Vitalismus: 143, 240 Von-selbst-Entstehung: 20 - von Automobilen: 70 - des Lebens: 20, 21, 27, 28, 46 - von Makromolekülen: 37 ff, 45 - von Würmern und Fröschen: 70 Wachsen: - Bauen, Montieren: 148 ff Dreidimensionales-: 145 Embryonales: 144 ff bei den «Ursuppen» beginnend die erdgeschichtliche DNS-Synthese als von selbst ablaufenden Prozeß nach dem Schema der statistischen Copolykondensation behandelt und, wie bei Polymersynthesen üblich, nach der Wahrscheinlichkeit der Additionsschritte fragt. Das Ergebnis dieser Untersuchung, bei der nur experimentell definitiv abgesicherte Erfahrungen ausgewertet wurden, ist eine Widerlegung der neodarwinistischen Hypothese: Von selbst konnten weder erste primitive Zellen in Ursuppen noch die im Laufe der Erdgeschichte aufgetretenen Arten von Lebewesen mit ihren von Stufe zu Stufe längeren DNS-Molekülen entstehen. Die Behandlung der Evolution auf der Ebene der Moleküle als Makromolekül-Synthese widerlegt nicht nur den Mutation-Selektions-Mechanismus der Entstehung neuer Arten, sondern zeigt darüber hinaus: Eine wie auch immer geartete rein naturwissenschaftliche Erklärung des Lebens kann es gar nicht geben, weil jede Selbstorganisations-Hypothese auf eine Entstehung der genetischen Information und ihres Trägers, des DNS-Makromoleküls, durch statistische Copolykondensation angewiesen ist. Die aber konnte, wie der Autor nachweist, nicht zur Entstehung einer Folge von Genen nach Art der DNS-Kette von Lebewesen führen; also ist die Entstehung des Lebens und der Arten kein im Rahmen der exakten Naturwissenschaften lösbares Problem - nicht das einzige, aber eines, mit dem wir ständig, wo auch immer wir genauer hinschauen, konfrontiert werden. Bruno Vollmerts lebendig und verständlich -unter Verzicht auf die Fachsprache des Chemikers - geschriebenes Buch wendet sich an jeden, der über Sinn und Zweck seines Lebens und des Lebens überhaupt nachdenkt. Konnte die erste lebende Zelle auf der frühen Erde von selbst entstehen? Konnte sich die Vielfalt der Lebewesen allein durch Mutation-Selektion automatisch herausbilden? Ohne das Makromolekül DNS - den Träger der Erbinformationen - kann es kein Leben geben und keine Evolution der Arten. Der international anerkannte Makromolekularchemiker Bruno Vollmert wertet in diesem Buch nur experimentell abgesicherte Erfahrungen aus und kommt zu dem Schluß: 1. Weil die makromolekularen Voraussetzungen nicht gegeben sind, ist der heute herrschende Neodarwinismus als naturwissenschaftliche Hypothese unhaltbar. 2. Die Entstehung des Lebens und der Arten ist ein im Rahmen der exakten Naturwissenschaften unlösbares Problem. Prof. Dr. Bruno Vollmert, geboren 1920, studierte Chemie in Bonn, Freiburg und Karlsruhe. 1950-1965 Forschungsarbeiten in der Industrie, u. a. über Synthesen makromolekularer Stoffe; zahlreiche Patente; 1963 Ruf als Leitender Direktor und Professor der Bundesanstalt für Materialprüfung; 1965 Ordinarius für Chemische Technik der makromolekularen Stoffe und Direktor des Polymer-Instituts der Universität Karlsruhe. International bekannt ist sein Lehrbuch «Grundriß der Makromolekularen Chemie», das in mehrere Sprachen übersetzt wurde - auch z. B. ins Chinesische.