Nichts kann uns von Gottes Liebe trennen

Römer 8, 31-39

 

Predigt Andreas Symank

Freie Evangelische Gemeinde Zürich-Helvetiaplatz

31. 10 2004

 

 

31 Was können wir jetzt noch sagen, nachdem wir uns das alles vor Augen gehalten haben? Gott ist für uns; wer kann uns da noch etwas anhaben? 32 Er hat ja nicht einmal seinen eigenen Sohn verschont, sondern hat ihn für uns alle hergegeben. Wird uns dann zusammen mit seinem Sohn nicht auch alles andere geschenkt werden? 33 Wer wird es noch wagen, Anklage gegen die zu erheben, die Gott erwählt hat? Gott selbst erklärt sie ja für gerecht.
34 Ist da noch jemand, der sie verurteilen könnte? Jesus Christus ist doch für sie gestorben, mehr noch: Er ist auferweckt worden, und er sitzt an Gottes rechter Seite und tritt für uns ein. 35 Was kann uns da noch von Christus und seiner Liebe trennen? Not? Angst? Verfolgung? Hunger? Entbehrungen? Lebensgefahr? Das Schwert des Henkers? 36 Mit all dem müssen wir rechnen, denn es heißt in der Schrift:

„Deinetwegen sind wir ständig vom Tod bedroht;

man behandelt uns wie Schafe,

die zum Schlachten bestimmt sind.“ (Psalm 44,23)

37 Und doch: In all dem tragen wir einen überwältigenden Sieg davon durch den, der uns so sehr geliebt hat. 38 Ja, ich bin überzeugt, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch unsichtbare Mächte, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, noch gottfeindliche Kräfte, 39 weder Hohes noch Tiefes, noch sonst irgendetwas in der ganzen Schöpfung uns je von der Liebe Gottes trennen kann, die uns geschenkt ist in Jesus Christus, unserem Herrn.

 

Heute feiern wir ein Fest! Haben Sie’s gewusst? Halloween vielleicht? Was viel Besseres: Nicht Halloween, sondern Hallo Luther – wir feiern das Reformationsfest! Am 31. Oktober 1517 (also vor beinahe 500 Jahren) schlug der junge Augustinermönch Martin Luther ein Papier mit 95 revolutionäre Thesen zum Ablasshandel der damaligen Katholischen Kirche an die Tür der Schlosskirche von Wittenberg in Thüringen, und damit begann die Reformation, eine machtvolle Bewegung zurück zu den Wurzeln des Christseins und der christlichen Lehre.

-         sola scriptura: „allein die Schrift“; maßgebend in allen Fragen der christlichen Lehre und des christlichen Lebens ist ausschließlich die Bibel, und kein Kirchenfürst und kein Konzil kann ihr das Wasser reichen.

-         sola gratia: „allein aus Gnaden“; gerettet ausschließlich durch Gottes Gnade, nicht durch fromme Leistungen des Menschen.

-         sola fide: „allein aus Glauben“; gerettet ausschließlich durch den Glauben an Jesus Christus, nicht durch verdienstliche Werke.

(Wenn Sie mehr über die Reformationszeit wissen möchten: Letztes Jahr kam ein Luther-Film in die Kinos, der inzwischen auch als DVD im Handel ist. Sehen Sie ihn sich an; er bietet einen prima Einblick in jene dramatischen Anfänge einer großen christlichen Erneuerungsbewegung.)

Martin Luther hat sich für seine Lehre permanent auf die Bibel berufen: sola scriptura eben. Ein neutestamentliches Buch ragt dabei besonders heraus: der Römerbrief. Beim Nachdenken über einen Abschnitt aus dem Römerbrief machte Luther seine reformatorische Schlüsselerfahrung (das sog. Turmerlebnis). Römerbrief und Reformation – das ist wie ein unzertrennliches Geschwisterpaar. Und da habe ich gedacht, ich nutze die Gelegenheit und predige über einen Text aus dem Römerbrief: Kapitel 8,31-39. Am Eingang haben Sie ein Blatt mit diesen Versen erhalten, und außerdem haben wir sie eben vorgelesen bekommen.

 

Überflüssig? Überragend!

Eines mal gleich vorweg: Wenn man's genau nimmt, ist dieser Abschnitt überflüssig! Paulus sagt hier nichts wirklich Neues. Ich weiß nicht, wie gut Sie den Römerbrief kennen (immerhin ist es der längste Brief im Neuen Testament). Acht lange Kapitel lang hat Paulus das Evangelium dargestellt, Gottes Programm zur Be­freiung von uns Menschen; es ist alles gesagt, was gesagt werden mußte, wer's jetzt noch nicht begriffen hat, wird's nie begreifen. Paulus könnte daher unmittelbar zum nächsten großen Thema seines Briefes übergehen, zur Frage nach Israel (Kap. 9-11 und eigentlich bis zum Ende des Briefes). Aber das schafft er nicht. Es hat sich was in ihm angestaut, und das muß erst mal raus. Paulus hält es nicht mehr aus, er platzt beinahe. Er muß seinem Herzen Luft machen – seiner Begeisterung für Jesus, seiner Bewunde­rung für das Evangelium, seiner Freude an Gott, seinem Glück, bei Gott geborgen zu sein. Und was daraus entsteht, ist einer der großartigsten Lobgesänge der gesamten Bibel, der bekannte­ste Abschnitt im ganzen Römerbrief, so etwas wie das Triumphlied der Liebe Gottes. Paulus, der Denker und Gelehrte, wird zum Poeten. Das Überflüssige ist manchmal das Schönste und Wertvollste! Wenn innerhalb des Römerbriefes Kapitel 8 das Himalaya-Gebirge ist, dann sind diese alles überragenden Verse der Mt. Everest.

Im übrigen ist nicht nur Paulus zum Poeten geworden; er hat mit diesem Abschnitt eine Lawine losgetreten. Es gibt wohl kaum einen anderen Text im Neuen Testament, über den so viele Lieder gedichtet worden sind, darunter die schönsten und inhaltlich reichsten. Um nur einige Beispiele zu nennen:

-         Das Paul-Ger­hardt-Lied „Ist Gott für mich, so trete gleich alles wider mich“;

-         das Lied „In dir ist Freude in allem Leide“ von Johann Lindemann;

-         das von Bach vertonte „Jesu, meine Freude“ von Johann Franck.

 

Die entscheidende Wende

Textfeld: Gott ist gegen uns (Römer 1)

Gott ist für uns (Römer 8)
Was bringt denn Paulus so zum Jubeln? Er sagt es selbst: „Daß Gott für mich ist und nicht mehr gegen mich. Und daß Gott mich liebt und nichts mich jemals von seiner Liebe trennen kann.“ Wenn man das Evangelium mit einem Satz zusammenfassen will, dann ist es dies: Gott ist für uns. Wenn man mit einem Satz sagen will, was Christus uns gebracht hat, dann mit diesem: Gott hat uns lieb.

Wie hat Paulus seine lange Abhandlung über das Evan-gelium begonnen? In Römer 1, 18 heißt es: „Gott läßt seinen Zorn sichtbar werden. Vom Himmel her läßt er ihn über alle Gottlosig­keit und Ungerechtigkeit der Menschen hereinbrechen.“ Gott tritt den Menschen als Feind ent­gegen, wegen ihrem Gotteshaß und ihrer Eigenliebe. Die Menschen bekommen es mit Gottes Zorn zu tun, nicht mit seiner Liebe. – Und jetzt, in Kapitel 8? Jetzt schreibt Paulus: „Gott ist für uns!“ Größer könnte der Wechsel nicht sein, der zwischen Kapitel 1 und Kapitel 8 passiert ist. Am Anfang: Gott steht uns als Feind gegenüber. Am Ende: Gott steht als Freund auf unserer Seite. Am Anfang: Gott ist unser Richter. Am Ende: Gott ist unser Retter. Am Anfang: Gottes Zorn bricht über uns herein. Am Ende: Nichts kann uns von Gottes Liebe tren­nen. Gott ist für uns – was will man da noch sagen?

Da verschlägt es einem doch die Sprache! Paulus schreibt: „Was können wir jetzt noch sagen, nachdem wir uns das alles vor Augen gehalten haben?“ Ihm bleibt die Spucke weg. Gott ist für uns – damit ist alles gesagt. Schlimmer geht's immer, aber besser geht's nimmer.

 

Die entscheidende Frage

Von allen Fragen, die wir in unserem Leben klären müssen, ist das die entscheidende: Wie steht Gott zu uns? Ist er gegen uns, oder ist er für uns? Wenn du Gott gegen dich hast, ist alles ver­loren. Da kannst du den Jackpot im Lotto knacken, da kannst du Chef eines Großbetriebs sein, da kannst du dein Traumgirl zur Frau bekommen und die süßesten Kids der Welt haben, da kannst du im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen, von allen umworben und mit Ehrungen überhäuft – du bist doch verloren.

Da ist ein Großgrundbesitzer. Wohin er auch von seiner Hazienda aus blickt – alles gehört ihm, im Norden, im Osten, im Süden, im Westen. Aber wenn er nach oben schaut - hat er dort auch einen Besitz? Hat er ein Erbe im Himmel? Hat er Anteil am Reich Gottes? Wenn nicht, ist er mausearm. Sein irdisches Hab und Gut wird vermodern und verrot­ten, aber dort, wo die unvergänglichen Werte sind, hat er kein Konto eingerichtet. Seine Frau mag zu ihm halten – Gott ist gegen ihn. Seine Kirchgemeinde mag an ihm hochsehen – Gott ist gegen ihn. Der Richter mag ihn freisprechen, wenn ersich etwas zuschulden kommen lässt – Gott ist gegen ihn. Und wie Gott zu mir steht, das allein zählt letzten Endes. Mein Leben verdanke ich Gott, und Gott bin ich dafür verant­wortlich, was ich mit meinem Leben mache. Wenn ich einmal diese Welt verlassen muß, in dem Hemd, das keine Taschen hat, werde ich vor Gott treten – ich allein vor ihn allein, und wenn ich dann Gott gegen mich habe, ist alles verloren.

Textfeld: Wie steht Gott zu mir?
Wenn ich Gott gegen mich habe, ist alles verloren.
Wenn ich Gott für mich habe, 
ist alles gewonnen.
In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung lag viele Jahre lang jeden Freitag ein Magazin bei mit einem Fragebogen, den jedesmal irgendein Promi zu beantworten hatte. Eine der Fragen lautete: „Was wäre für Sie das größte Unglück?“ Einmal gab so ein Promi doch tatsächlich folgende Antwort: „Das größte Unglück für mich wäre, wenn es ein Leben nach dem Tod gäbe.“ So empfin­det einer, für den sich alles Gute in diesem Leben abspielen muß, einer, der darüber hinaus keine Hoffnung hat, einer, der Gott nicht kennt. Dieses Leben ist eines Tages gelebt, und dann? Wenn ich Gott gegen mich habe, ist alles verloren.

Aber wenn ich Gott für mich habe, dann ist alles gewonnen. Dann habe ich den auf meiner Seite, der diese ganze Welt geschaffen hat, der allem, was auf ihr lebt, Leben gibt, der alles Leben am Leben erhält. Dann habe ich den auf meiner Seite, der stärker ist als alle anderen Mächte. Dann habe ich den auf meiner Seite, der die Liebe und das Gute in Person ist, der mein Bestes will, meine Freude, meine Freiheit, meinen Frieden, der für mich denkt und plant und handelt, der mich an sich und sich an mich gebunden hat, bei dem ich etwas wert bin, der mir die Treue hält, mich niemals betrügt und mich nie aufgeben wird. Wer Christ ist, hat diesen Gott auf seiner Seite. Ist das nicht phantastisch? Führt uns das nicht ans Ziel aller Träume? Paulus kann gar nicht anders, als einen Supermegahit anzustimmen.

 

Einer gegen alle – und der Eine gewinnt!

Ja, es ist beinahe, als steige ihm das zu Kopf. Er wird übermütig; ihn sticht der Hafer: Tretet doch mal alle an, die ihr was gegen Gott habt und die ihr den Christen schaden wollt! Mal sehen, wie viele ihr seid und wir stark ihr seid! Paulus zittert nicht bei dem Gedanken, wer sich da alles drohend vor ihm auf­pflanzen könnte; er ruft die Feinde sozusagen selbst herbei.

Da stehen sie schließlich alle.

-         Den Anfang macht gleich der allerschlimmste Gegner, Satan, der Feind aller Menschen, der Ankläger, der die Christen Tag und Nacht vor Gott beschuldigt (Offenbarung 12, 10).

-         Dann sind da die vielen Menschen, denen unsere Botschaft ein Dorn im Auge ist und die uns deshalb bewußt das Leben schwer machen, uns zurücksetzen, ver­höhnen, verleumden und verdammen und uns am liebsten ganz zum Schweigen bringen wür­den.

-         Weiter ist da die Schuld, die sich in unserem Leben aufgetürmt hat und unser Gewissen immer wieder plagt, die Sünden, die uns immer wieder unterlaufen.

-         Außerdem die Angriffe auf unser Dasein und unser Christsein: die Nöte, die Ängste, die Verfolgung, der Hunger, die Ent­behrungen, die Lebensgefahr, das Schwert des Henkers.

-         Textfeld: Einer gegen alle
Gott gegen	- den Teufel
		- die Christusfeinde
		- unsere Schuld
		- die Gefahren des Lebens
		- die Gefahren des Christseins
       Der Eine gewinnt!
Und schließlich der Tod mit dem gro­ßen Fragezeichen, was danach kommt, das Leben mit dem ebenso großen Fragezeichen, was es uns noch alles bringt, Engel und unsichtbare Mächte, Gegenwärtiges und Zukünftiges, gott­feindliche Kräfte, Hohes und Tiefes – eine riesige, unheimliche, bedrohliche Schar, die sich da vor Paulus aufbaut, die ihm feindselig gegenüber steht.

Und wer ist auf seiner Seite? Nur einer: Gott. Einer gegen alle. Und wer gewinnt? Gott. Wer gegen Gott antritt, ist von vorneherein verloren. In Hebräer 13, 6 heißt es: „Der Herr ist mein Helfer, deshalb fürchte ich mich nicht. Was kann ein Mensch mir anhaben?“ Das ist ein Zitat aus dem Alten Testament (Psalm 118, 6); dort wird dasselbe gesagt. Aber nirgends in der Bibel steht das Gegenteil: „Die Menschen sind meine Helfer, des­halb fürchte ich mich nicht. Was kann Gott mir anhaben?“

Die entscheidende Frage lautet also: Wie steht Gott zu mir? Wer sein Leben Jesus anvertraut hat, kann mit Paulus sagen: Gott ist für mich, Gott liebt mich. Nichts kann mich von seiner Liebe trennen. Für Christen ist die Frage aller Fragen positiv beantwortet. Das läßt sie so fröhlich singen. Das macht sie so mutig. Das befreit sie von Menschenfurcht. Das hat sie da­mals als Missionare in alle Welt getrieben. Das motiviert sie heute noch, das Evangelium wei­terzusagen und andere für diese Botschaft zu gewinnen: Gott ist für uns. Gott liebt uns.

 


Gottes Liebe hat einen Namen

Textfeld: Gottes Liebe hat einen Namen:
Jesus Christus.
Die Wende hat einen Namen:
Golgata.
Wie kam es eigentlich zu dieser Wende? Wie kommt es, daß Gott, der doch gegen uns war (Römer 1), plötzlich für uns ist (Römer 8)? Woher wissen wir, daß er uns liebt? Hat es mit unserer aufgerüsteten Moral zu tun, mit unserer gesteigerten Intelligenz, unserer gewachsenen Erfahrung? Blödsinn. Ist es vielleicht einer der glücklichen Zufälle der Geschichte, etwa so, wie wenn man sich abends schlafen legt und alles sieht trist und grau aus, und mor­gens wacht man auf und die Landschaft ist tief verschneit, alles weiß verzaubert? Quatsch mit Soße! Paulus gibt sehr präzise an, woran es liegt. Vers 32: „Gott hat seinen Sohn für uns alle hergege­ben.“ Vers 34: „Jesus Christus ist für uns gestorben.“ Paulus verweist aufs Kreuz. Dort kam es zur Wende. In den vorausgehenden Kapiteln hat er ausführlich davon gesprochen; jetzt tippt er mit dem Finger einfach nochmals auf diese entscheidende Stelle, die Mitte der Weltgeschichte. Christus hat die Sünde der ganzen Welt getragen. Christus hat das Urteil über die Sünde der Welt auf sich genommen. Christus hat an unserer Stelle die Strafe getragen. Wer das im Ver­trauen auf ihn akzeptiert, ist frei. Wer dürfte es jetzt noch wagen, uns anzuklagen? Er würde damit ja Gott anklagen, von dem der Freispruch stammt. Wer will uns jetzt noch verurteilen? Gott selbst erklärt uns ja für gerecht. Sein Urteil ist maßgebend; er ist der Richter.

Gottes Liebe zu uns ist also nicht eine schöne Philosophie, eine Einbildung der Christen, eine bloße Behauptung. Gottes Liebe zu uns hat einen Namen: Jesus Christus. Gottes Liebe ist Ge­stalt geworden in der Gestalt des Mannes aus Nazaret. Gottes Liebe hat Hand und Fuß – die Hände und Füße Jesus Christi, die für uns ans Kreuz genagelt wurden. Deshalb benutzt Paulus die Vergangenheitsform: „... durch den, der uns so sehr geliebt hat.“ (Vers 37) Natürlich liebt Je­sus uns auch heute noch. Aber unter Beweis gestellt hat er seine Liebe nirgends so sehr wie damals, als er am Kreuz für uns verblutete. „Niemand liebt seine Freunde mehr als der, der sein Leben für sie hergibt.“ (Johannes 15, 13) Und genauso ist auch die Liebe Gottes, des Vaters, nir­gends so deutlich geworden wie damals, als er seinen Sohn stellvertretend für uns in den Tod schickte. Paulus sagt: „Er hat ja nicht einmal seinen eigenen Sohn verschont.“ (Vers 32) Zeigt das nicht seinen unbedingten Willen, uns zu verzeihen und sich mit uns zu verbinden? Was hat letztlich Jesus dem Tod ausgeliefert? War es die Geldgier des Judas? War es die Menschen­furcht des Pilatus? War es der Neid der jüdischen Anführer? Nein, es war die Liebe Gottes zu uns.

Textfeld: „Immanuel“:
Durch Jesus ist Gott bei uns.
Durch Jesus ist Gott für uns.
Und deshalb präzisiert Paulus die Liebe Gottes, er personalisiert sie, er engt sie ein auf die ent­scheidende Gestalt: „Nichts kann uns je von der Liebe Gottes trennen, die uns geschenkt ist in Jesus Christus, unserem Herrn.“ (Vers 39) Jesus in sei-ner Person ist „Gott für uns“. Sie kennen ja die Weih-nachtsgeschichte: Wie heißt es dort über das Jesusbaby? „Die Jungfrau wird schwanger werden und einen Sohn zur Welt bringen, und man wird ihm den Namen Immanuel geben. Immanuel bedeutet: Gott ist mit uns.“ (Matthäus 1, 23) Durch Jesus ist „Gott bei uns“, durch Jesus ist „Gott für uns“.

Das oberflächliche Reden vom lieben Gott ist dummes, diffuses Gerede. Und genauso dumm und diffus ist die große Menschheitsverbrüderung, die heutzutage beschworen wird. Und wer sich in der Hoffnung wiegt, Gott sei nicht so kleinlich und nehme nicht so schnell etwas krumm, und finden lasse er sich sicher auch in anderen Religionen oder in der Natur, im Wald und auf der Heide, der denkt töricht und lebt gefährlich. Es gibt nicht viele verschiedene Ausgaben von Gottes Liebe; es gibt nur eine einzige: die Christus-Ausgabe. Der liebe Gott ist nur über Jesus zu haben. Außer­halb von Jesus begegnen wir dem richtenden Gott.

 

Nöte trennen nicht, Nöte verbinden

Vielleicht denkt der eine oder der andere, wenn er Paulus so vollmundig daherreden hört: Gut gebrüllt, Löwe! Aber ist das nicht alles nur graue Theorie? Ist das nicht Wunschdenken? Sieht die Wirklichkeit nicht völlig anders aus? Du sagst, mit Gott verbunden kann euch Christen nichts und niemand mehr was anhaben. Du behauptest, ihr seid gegen alle Gefahren gewapp­net. Wenn man dich so jubeln hört, hat man das Gefühl, ihr Christen schwebt auf Wolke sieben, hoch über allen Problemen dieser Welt. Dabei geht es euch doch genauso schlecht wie allen anderen, ihr liegt mindestens so oft auf der Nase: Die Grippewelle macht keinen Bogen um euer Haus; bei der Entlassung von Arbeitskräften werdet ihr nicht übergangen; das Geld ist bei euch so knapp wie anderswo. Und manchmal erwischt es gerade euch Christen besonders hart: Ihr werdet – genau deshalb, weil ihr Christen seid – inhaftiert, gefoltert, erschlagen, verbrannt, zersägt. Und du behauptest: „Gott ist für uns, wer kann uns da noch etwas anhaben?“!

Meinst du, ich hätte das vor lauter Begeisterung vergessen? entgegnet Paulus. Soll ich dir mal sagen, warum ich diesen Abschnitt schreibe? Nicht etwa, weil es uns so gut geht, sondern ge­rade weil es uns so dreckig geht. Ich schreibe ihn, um uns zu ermutigen und unseren Blick neu auf Gott zu lenken.

Wenn irgendeiner den Aufmarsch der gegnerischen Mächte erlebte, dann war es Paulus. Da waren die Anklagen Satans: „Du hast die Gemeinde Gottes verfolgt, du hast Christen dem Henker ausgeliefert. Wie kannst du es wagen, den großen Apostel zu spielen!“ Aber Paulus hielt dagegen: Christus hat mir vergeben. Und er hat mich zum Apostel berufen. Deshalb konnte Paulus seinen Dienst hocherhobenen Hauptes ausführen. Da waren die tausend Nöte, durch die er durchmußte. Paulus hat einmal in einer langen Liste einiges davon aufgezählt - in 2. Korinther 11 und 12. Wenn man diese Aufzählung mit unserem Abschnitt vergleicht, entdeckt man etwas Überraschendes (so überraschend ist es eigentlich gar nicht): Sämtliche Nöte, die er in Römer 8 auflistet, kommen wörtlich genauso auch in seiner persönlichen Leidensliste vor! (Mit einer Ausnahme natürlich – „das Schwert des Henkers“. Aber das wird Paulus auch noch treffen. Alles andere hat er bereits durchgemacht; der 2. Korintherbrief ist – auch wenn er im Neuen Testament hinter dem Römerbrief steht – vor diesem entstanden, etwa 2 Jahre vorher.) Paulus denkt sich da also nicht irgendein gefährliches Abenteuer aus, während er am warmen Ofen sitzt. Er weiß, wovon er spricht! Paulus hat Enttäuschungen erlebt, Entmuti­gungen, Verzweiflung. Es gab Tage in seinem Leben, da gab er sein Leben verloren. In 2. Korinther 1 berichtet er von solch einem Erlebnis: „Wir haben in der Provinz Asien etwas so Schweres mitgemacht, daß wir keinen Ausweg mehr sahen. Es war eine Prüfung, die alle unsere Kräfte überstieg, so daß wir unser Leben verlorengaben. Uns war zumute wie jemand, über den man das Todesurteil gesprochen hatte.“ (Verse 8 und 9a)

Aber damit ist nicht die ganze Erfahrung beschrieben, die Paulus gemacht hat. Er hat zwar alle diese Nöte durchlitten, aber keine einzige Not konnte sich zwischen ihn und Jesus schieben. Nichts konnte ihn von Gottes Liebe trennen, nichts ihm das Vertrauen auf Gott wegnehmen. Im Gegenteil, sein Vertrauen auf Gottes Liebe wurde durch das alles immer noch größer. Dort in 2. Korinther 1 berichtet er weiter: „Dadurch lern­ten wir, nicht auf uns selbst zu vertrauen, sondern auf Gott, dessen Macht so groß ist, daß er sogar die Toten auferwecken kann. Und Gott hat unser Vertrauen nicht enttäuscht: Er hat uns tatsächlich vor dem sicheren Tod gerettet.“ (Verse 9b und 10) Paulus weiß also nicht nur, was er sagt, wenn er schreibt: „Wir sind ständig vom Tod bedroht; man behandelt uns wie Schafe, die zum Schlachten bestimmt sind“; er hat auch die Fortsetzung erlebt: „In dem allem tragen wir einen überwältigenden Sieg davon.“ Gott ist für ihn. Gott war in jeder Schwierigkeit bei ihm. Die Nöte haben ihn nicht mißtrauisch gemacht gegenüber Gott; sie haben ihn noch viel enger mit Gott verbunden. Er weiß es jetzt nicht nur vom Hörensagen, sondern aus eigenem Erleben: „Nichts kann mich von Gottes Liebe trennen.“

 

Der Blick über die Wolkendecke

Ich bin ja Mitarbeiter an einem Bibelübersetzungsprojekt, der sogenannten Neuen Genfer Übersetzung. Das Neue Testament als Ganzes ist leider noch nicht abgeschlossen, aber das letzte Buch des Neuen Testaments, die Offenbarung, haben wir bereits übersetzt. (Wir halten uns eben nicht immer an die vorgegebene Reihenfolge.) Und dabei ist mir etwas aufgegangen. Was ist eigentlich die Absicht dieses Buches? Viele lesen die Offenbarung wie einen SBB-Fahrplan. Sie blättern darin herum, sie vergleichen, sie zählen, sie rechnen, und jeder hofft, den Fahrplan der Endzeit zu entziffern. Ich glaube nicht, daß die Offenbarung dazu ge­schrieben wurde. Ihr Zweck ist ein anderer: Stärkung des Glaubens in Bedrängnis.

Die Christen damals lebten in größten Herausforderungen, ihr Glaube wurde von allen Seiten attackiert, die erste Welle der Verfolgung durch den römischen Kaiser war bereits über sie hinwegrollt. Die Christen sind ein verschwindend kleines Häuflein, und der Kaiser ist der Herr der Welt. Immer dunklere Wolken brauen sich über der Gemeinde zusammen. Einige wandern ins Ge­fängnis, andere direkt aufs Schaffott; der Apostel Johannes wird auf eine kleine Mittelmeerinsel verbannt – Patmos –, sozusagen in eine Sträflingskolonie. Und dort läßt Jesus ihn – stellvertretend für alle Christen und mit dem Auftrag, es allen weiterzusagen – einen langen Blick hinter die Kulissen werfen, genauer: über die Wolken. Jesus öffnet sozusagen die Wolkendecke an einer Stelle, und was Johannes da zu sehen bekommt, soll allen hier unten Mut machen, durchzuhalten und ihr Vertrauen auf Gott nicht aufzugeben.

Textfeld: Der Blick über die Wolken
-	rückt Proportionen zurecht
-	stellt Machtverhältnisse klar
Die Offenbarung zeigt Gott und das Lamm auf sei­nem Thron. Sie zeigt, wie Gott alle Fäden in der Hand hält. Sie zeigt, wie er alles – auch die gegnerischen Mächte – so lenkt, daß sich seine Pläne erfüllen. Sie zeigt, wie im Himmel jetzt schon ein Loblied nach dem anderen angestimmt wird zu Gottes Ehre. Hier unten kämpfen der Drache und das Tier und der falsche Prophet gegen die Gemeinde Jesu. Hier unten sitzt die große Hure, die mächtige Stadt Babylon, auf ihrem Thron, und alle Herrscher dieser Welt lie­gen ihr zu Füßen; die Geschäftsleute reißen sich um ihre Gunst, und den Christen geht es an den Kragen. Aber blättern Sie diese schlimmen Beschreibungen mal durch: Immer wieder wer­den sie plötzlich unterbrochen, und Johannes sieht den Thron Gottes, und ein Chor steht darum herum und stimmt einen Lobgesang an. „Gott, du hast gesiegt. Gott, dir gehört alle Macht. Gott, du bist der König über alle Völker.“ Und wohlgemerkt: Diese Triumphgesänge dort oben werden angestimmt, während hier unten noch gekämpft und gestorben wird. Aber Christus hat eben bereits gesiegt; durch seinen Tod am Kreuz und durch seine Auferstehung hat er den Grundstein für den Sieg gelegt. Immer wieder wird in der Offenbarung gleichsam ein Fenster zum Himmel aufgestoßen, und Johannes darf sehen, wer wirklich König ist. Die Proportionen werden zurechtgerückt, die Machtverhältnisse klargestellt. Solange wir nur die Mächte dieser irdischen Welt kennen, sieht es wirklich düster aus: Gewalt, Unrecht, Lüge, Selbstsucht, dazu ein kurzes und oftmals armseliges Leben, dazu (im Fall der Christen) Anfeindungen und To­desdrohungen. So viele Angriffe von allen Seiten! So viele Feinde! Da könnte man wirklich den Mut zum Leben verlieren! Aus der unteren, der irdischen Perspektive sind diese Mächte unüberwindbar, sie füllen alles aus. Aber im Glauben öffnet sich uns die obere, die himmlische Perspektive: Gott ist für uns. Gott liebt uns. Wer kann uns da noch etwas anhaben? Einer ge­gen alle, und der Eine ist stärker als alle; mit dem Einen sind wir die Gewinner, mit Gott auf unserer Seite tragen wir einen überwältigenden Sieg davon.

Textfeld: Unsere Schlechtwetterreaktion: Glauben und VertrauenIm Limmattal, wo wir wohnen, beginnt jetzt wieder die Nebelzeit, die Morgennebel-, Mittagsnebel- und Abendnebelzeit. Ganz so schlimm ist es natürlich nicht. Aber es gibt doch immer wieder längere Abschnitte, wo die Sonne einfach nicht durchbrechen will. Vor ein paar Jahren haben wir den gesamten Januar über (mit Ausnahme von 2 oder 3 Nachmittagen) unter einer Nebeldecke gehaust – nicht gerade stimulierend! Man kriegt mit der Zeit so seine Zweifel, ob es die Sonne und einen strahlend blauen Himmel überhaupt noch gibt. Aber zum Glück vernahmen wir jeden Morgen aus dem Radio die beruhigende Nachricht: Über dem Hochnebel sonnig und warm! Mit unserer Stellung als Christen ist es ganz ähnlich. Hier auf der Erde sind wir umringt von Mächten, die den Ton angeben – einen gottlosen Ton –, und die sich gebärden, als ginge wirklich nichts über ihre Meinung und ihre Leistungen. Und diese Mächte sind allesamt stärker als wir. Kein Christ dürfte es mit eigenen Kräften wagen, gegen sie vorzugehen. Aber dann vernehmen wir – nicht aus dem Radio, dafür aus der Bibel – , daß es über den Mächten dieser Welt noch eine andere Macht gibt: Gott, und das ist unsere gute Nachricht. Zu diesem Gott gehören wir, und er hält sich zu uns. Unsere Schlechtwetterreaktion ist der Glaube. Im Glauben öffnen wir das Fenster zum Himmel, zu Gottes besserer Welt. Weil wir Gott vertrauen, lassen wir uns vom Bösen nicht unterkriegen, sondern überwinden das Böse. Ja, die Bibel beschreibt es manchmal geradezu so, als wären wir schon über der Wolkendecke und könnten das ganze bedrängende Geschehen von oben be­trachten. Christen sind, sagt sie, durch Gott „versetzt in das Reich, in dem sein geliebter Sohn regiert.“ (Kolosser 1, 13)

 

Besser für Christus leiden als ohne Christus feiern

Im Zusammenhang mit den Nöten, von denen wir jetzt schon eine ganze Weile gesprochen ha­ben, stellt sich noch ein besonderes Problem. Paulus betont, daß es sich dabei nicht nur um die Dinge handelt, die jedermann treffen können, die Allerweltsleiden sozusagen – eine Krankheit, ein Unfall, der Verlust der Arbeitsstelle –, sondern ganz speziell auch um Leiden wegen Chri­stus. „Deinetwegen sind wir ständig vom Tod bedroht“, schreibt er. Ja, spielt denn Gott Katz und Maus mit seinen Kindern? Erst schickt er ihnen ein Leiden auf den Hals, und dann bietet er ihnen seine Hilfe an? Da wäre es ja wirklich gescheiter, sich von Christus fernzuhalten! Wenn man ihm die Gefolgschaft verweigert, spart man sich eine Menge Ärger.

Nun, das ist ein Trugschluß, aus zwei Gründen:

1. Nicht Christus verschafft uns die Leiden, sondern die Christus-lose Welt. Mit Christus in Beziehung treten heißt im gleichen Atemzug: die Beziehung zur Welt abbrechen. In Jakobus 4,4 heißt es: „Freundschaft mit dieser Welt bedeutet Feindschaft mit Gott.“ Mit anderen Wor­ten: Freund Gottes und Freund der Welt – das geht nicht. Wer Gottes Liebe erleben will, muß bereit sein, auf die Liebe der Welt zu verzichten. Und das will die Welt nicht akzeptieren. Wis­sen Sie, die Welt liebt uns auch – auf eine pervertierte Weise. Die Offenbarung stellt das unter dem Bild der großen Hure Textfeld: Christen müssen leiden, weil sie sich zu Jesus stellen. 
Wäre es dann besser, sich von Jesus fernzuhalten?
Nein, denn
(1)	das Leiden fügt uns nicht Christus zu, sondern die Christus-feindliche Welt;
(2)	wer sich von Christus trennt, hat Gott gegen sich, und das ist ein viel schlimmeres Leid.

Babylon dar, die alle Herrscher dieser Erde zu ihren Liebhabern hat. Wenn wir ihr den Rücken kehren, wird sie eifer-süchtig. Vielleicht verlegt sie sich zu­nächst aufs Locken (die Offenbarung spricht von ihrem verführerischen Zauber, mit dem sie alle Völker in die Irre leitet). Wenn das nicht hilft, greift sie uns frontal und brutal an und kratzt uns die Augen aus. Die Christen im Römischen Reich versuchte man erst zu locken: "“Nur 1 Körnchen Weihrauch in die Schale für den göttlichen Kaiser! Was macht das schon! Wer merkt das schon?“ Aber wenn alles gute Zureden nichts nutzte, kehrte die Staatsmacht die nackte Gewalt heraus und warf die uneinsichtigen Starrköpfe den wilden Tieren in der Arena vor oder machte lebende Fackeln aus ihnen. Wer ver-schafft also den Christen ihre Nöte? Ist es Christus? Es sind die Gegner Christi!

2. Es ist ein Trugschluß zu meinen, man könne sich durch das Fernhalten von Christus Schwierigkeiten ersparen. Man stellt sich damit ja gegen Gott – und was das bedeutet, darüber haben wir bereits gesprochen. Wenn die Welt dein Freund ist, ist Gott dein Feind. Wenn die Welt für dich ist, hast du Gott gegen dich. Und was hast du dann von allen deinen Freundschaf­ten? Wer Gott nicht bei sich hat, ist einsam, und wenn er von allen seinen Famili­enangehörigen und von seinen liebsten Freunden umgeben wäre. Wer Gott nicht bei sich hat, ist ratlos, und wenn er alle klugen Ratgeber um sich geschart hätte. Wer hilft ihm, mit seiner Schuld fer­tigzuwerden? Wer nimmt ihm die Sorge ab, was am nächsten Tag auf ihn zukommt? Und na­türlich gilt auch das Umgekehrte: Wer Gott auf seiner Seite hat, der ist nie mehr allein, auch nicht als Lediger oder Witwer, auch nicht im Alter, auch nicht in schwerer Krankheit, auch nicht, wenn kei­ner ihn versteht. Wer Gott auf seiner Seite hat, der ist nie mehr ohne Rat und Hilfe, nicht vor schwerwiegenden Entscheidungen, und vor allem nicht, wenn es darum geht, mit Schuld fer­tigzuwerden.

Zu Christus kommen ist ein bißchen wie eine Heirat. Man sagt ja etwas spöttisch: In der Ehe bekommt man Probleme, die man allein nie gehabt hätte. Stimmt, die neue Beziehung schafft neue Lebensumstände und damit neue Herausforderungen. Aber wer seine Frau liebt, wird diese Schwierigkeiten gern auf sich nehmen, und er käme nie auf die Idee, ihr dafür die Schuld zu geben. Schließlich hat er ja die Liebe dieser lieben Frau gewonnen, und eine tüchtige Frau, heißt es in den Sprüchen, ist „das kostbarste Juwel, das einer finden kann.“ (Sprüche 31,10) Ge­nauso ist es bei der Umkehr zu Jesus. Ich werde ein freier Mensch, und gleichzeitig trägt mir das Probleme ein, die ich vorher nicht hatte. Aber wer Jesus einmal kennengelernt hat, weiß, daß seine Liebe wertvoller ist als alles andere. Dafür lohnt es sich, alles in Kauf zu nehmen. Ich denke, etwas in dieser Richtung wollte Jesus mit den beiden  Geschichten vom Schatz im Ac­ker und vom Kaufmann mit der Perle sagen (Matthäus 13,44-46). Der Schatz im Acker und die kostbare Perle waren den beiden Männern so viel wert, daß sie dafür alles verkauften, was sie besaßen. Wie unklug! würde vielleicht ein Nachbar oder ein Geschäftskollege sagen, wie un­überlegt! Aber damit beweisen sie nur, daß sie den Wert der Perle noch gar nicht gecheckt haben. Von Jesus geliebt zu werden ist das Beste, was einem passieren kann. „Wenn ich nur dich habe, frage ich nichts nach Himmel und Erde“, heißt es in Psalm 73,25. Paulus kommt mir wie dieser Kaufmann vor; er hat begriffen, wie wichtig es für sein Leben ist, daß Gott ihn liebt. Daneben verblaßt alles andere. Gott liebt mich! Was will ich mehr? Was frage ich da noch nach anderen Schätzen? Was kümmern mich da noch Anfeindungen? Paulus ist trotz aller äußeren Belastungen und Bedrohungen in seinem tiefsten Inneren zur Ruhe gekommen, weil er weiß, daß Gott ihn liebt und daß nichts ihn je von Gottes Liebe trennen kann.

Textfeld: Vom ER zum DU:
Je konkreter die Not, desto konkreter die Erfahrung Gottes Liebe.
Je größer das Leid, desto enger die Verbindung mit Gott.
Im übrigen haben die Schwierigkeiten, die man sich in der Nachfolge Jesu einhandelt, einen ganz besonderen Effekt: Sie bringen uns noch näher zu ihm! Es scheint fast ein bißchen so, als könne man die Liebe Gottes nicht erfahren ohne die gleichzeitige Erfahrung von Verfolgung und Nöten wegen Gott. Oder vorsichtiger ausgedrückt: Je größer die Nöte, desto tiefer das Bewußtsein der Nähe und Liebe Gottes, desto enger die Verbindung mit ihm. Man denke nur an die vielen Berichte von Christen in Not: in Krankheit, im Krieg, in Gefangenschaft. Man denke an das, was der große israelitische König David in seinem Hirtenpsalm bezeugt, in Psalm 23: „Und wenn es auch durch ein dunkles Tal geht, fürchte ich mich nicht, denn du bist bei mir.“ (Vers 4) Bis dahin spricht David in diesem Psalm von Gott in der dritten Person: „Der Herr ist mein Hirte. Er weidet mich auf saftigen Wiesen und führt mich zu frischen Quellen.“ Aber dann, wie er zu den Schwierigkeiten kommt, wechselt er über zum Du: „Du bist bei mir.“ Ist das nicht erstaunlich? Umgekehrt wäre es viel nahe liegender, viel logischer. Solange es David gut geht, wird er sagen: Du, mein Herr, bist mein Hirte; du weidest mich auf saftigen Wiesen und führst mich zu frischen Quellen; bei dir habe ich es soo gut. Aber dann – so würde er fortfahren – begannen die Probleme, dann ließ Gott mich in ein dunkles Tal geraten, und da wurde er mir fremd. Ja, wenn man die Sache theoretisch betrachtet, könnte man auf die Idee kommen, Leiden wegen Jesus führen weg von Jesus. Praktisch jedoch ist das Ggteil der Fall: Leiden wegen Jesus binden uns noch enger an Jesus. Es ist beinahe so etwas wie ein mathematisches Gesetz: Je theoretischer die Nöte, desto theoretischer die Erfahrung der Liebe Gottes, und je konkreter die Nöte, desto konkreter die Erfahrung der Liebe Gottes.

 

„Alles zum Besten“? 4 Fragen und 4 Antworten

Paulus formuliert das in Kapitel 8, 28, also ein paar Verse vor unserem Abschnitt, so (nach Lu­ther): „Denen, die Gott lieben, müssen alle Dinge zum Besten dienen“ oder (nach der NGÜ): „Alles trägt zum Besten derer bei, die Gott lieben.“ Die Nöte schaden uns nicht nur nicht – sie tragen sogar zu unserem Besten bei. Lassen Sie mich zum Abschluß noch ein paar Gedanken zu diesem wohl berühmtesten und meistzitierten Satz des Paulus sagen. Vier Fragen wollen wir stellen, um diese Aussage besser zu verstehen.

Textfeld: Was ist das „Beste“?
-	nicht: irdische Güter bekommen,
-	sondern: werden wie Jesus
Frage Nr. 1: Was ist denn dieses „Beste“? Wenn man manche christlichen Prediger heutzutage so reden hört, könnte man meinen, das Beste, das sei ein Leben mit allem Schnickschnack hier auf dieser Erde: geldsorgenfrei, viren- und bakterienfrei, von allen angehimmelt, von allen auf Händen getragen. Da wird dir eine bildhübsche Frau versprochen, Kinder wie kleine Intelligenzbestien, ein schmucker Bungalow, ein Mercedes oder besser noch ein Ferrari: Gott will ja dein Bestes! Aber diese Dinge vergehen doch alle: Der Besitz vergeht, Schönheit vergeht, Klugheit vergeht, diese ganze Welt vergeht. Von einer Stunde auf die andere sind alle irdischen Wertanlagen und alle Sicherheiten dahin, heißt es in Offenbarung 18. Nein, Paulus denkt an etwas viel Besseres, etwas, was diese Welt überdauert. Er sagt (Verse 29b und 30): „Gott hat von Anfang an vorgesehen, daß ihr ganzes Wesen so umgestaltet wird, daß sie seinem Sohn gleich sind. Er ist das Bild, dem sie ähnlich werden sollen, denn er soll der Erstgeborene unter vielen Brüdern sein. Für dieses Ziel hat Gott sie bestimmt.“ Das ist also das Beste: Unsere Verbindung zu Gott, unsere Zugehörigkeit zu seiner Familie, unsere Charakter­ähnlichkeit mit ihm: Werden wie Jesus. Die Beziehungen dieser Welt ver­gehen, auch die Familienbeziehungen, aber die Beziehung zu Gott und zu seinen Kindern bleibt. Und alles, was Christen erleben, trägt dazu bei, daß sie Gottes Ziel erreichen: Werden wie Jesus. Alles: das Gute und Schöne, weil es uns dankbar macht, aber genauso auch das Schwere und Schmerzli­che, weil es uns demütiger und hoffnungsvoller macht.

Textfeld: Wie kann alles zu unserem Besten beitragen? 
-	Weil Gott einen Plan für uns hat
-	Weil Gott die Macht hat, 
seinen Plan zu verwirklichen
Frage Nr. 2: Wie ist es denn möglich, daß alles zu unserem Besten beiträgt? Es liegt daran, daß Gott hinter allem steht und für alles einen Plan hat. Paulus sagt: „Wir sind in Übereinstimmung mit seinem Plan berufen.“ Da haben wir ihn wieder, den Blick hinter die Kulissen und über die Wolkendecke. Hier auf der Erde sieht das meiste so zufällig aus, so zusammenhanglos und noch dazu so gegen Gott gerichtet. Hier regieren die Herren der Welt in ihrer Willkür. Aber über ihnen allen thront der Herr der Herren und der König der Könige. Sie sind auf der Erde, und Gott ist im Himmel, und Gott lacht über sie (Psalm 2, 4). Was er geplant hat, das führt er auch aus, und keine Feindschaft und kein Widerstand kann ihn daran hindern, ja er baut sie sogar noch in seine Pläne mit ein; im Kreuzesgeschehen wird das unüberbietbar deutlich. Gott hält die Zügel in der Hand. Er ist souverän. Er ist nicht nur ein Krisenmanager, ein Schadens­be-grenzer, ein Brandherdlöscher, ein Verbrechensbe-kämpfer. Er hechelt nicht verzweifelt den Pferden hinterher, die ihm durchgegangen sind; er sitzt auf dem Kutschbock und hält die Zügel in der Hand. Gott reagiert nicht, er agiert. Er muß sich nicht den krummen Windungen der Weltgeschichte anpassen, er macht Geschichte. Und deshalb ist es möglich, daß alles zum Be­sten derer beiträgt, die Gott lieben.

Textfeld: Gott lieben – wie schafft man das?
-	Liebe zu Gott entsteht durch Umkehr zu Gott
-	Liebe zu Gott wächst durch Hingabe an Gott
Frage Nr. 3: „Gott lieben“ - schaffen wir denn das? Schließlich ist das die Voraussetzung dafür, daß alles zu unserem Besten beiträgt. Nun, diese Voraussetzung ist nicht durch unsere Geburt erfüllt, sondern erst durch unsere Wiedergeburt. Das Baby liebt Gott nicht. Und der erwachsene Mensch, solange er keine Kehrtwende vollzogen hat, liebt Gott erst recht nicht. Erst wer Jesus begegnet ist und sich ihm anvertraut hat, liebt Gott. Das ist die Voraussetzung dafür, daß Gott unser Leben in seine Hand nimmt und wirklich das Beste daraus macht. Aber Achtung: Wir dürfen die Bedingung nicht schwerer machen, als sie gemeint ist. Bei jedem Christen kommt mal eine Phase, wo er ins Grübeln gerät: Liebe ich Gott wirklich? Liebe ich ihn so selbstlos, wie es sein sollte? Wäre ich bereit, für ihn in den Tod zu gehen? Ich glaube, je mehr wir uns prüfen, desto mehr Macken und Defizite stellen wir gerade an unserer Liebe zu Gott fest. Kein Wunder – die Liebe steht ja im Mittelpunkt des Bildes, in das wir erst nach und nach umgestaltet werden. Erst wenn wir am Ziel sind, wird unsere Liebe zu Gott so sein wie seine Liebe zu uns. „Die Gott lieben“ – ich meine, das heißt nichts anderes als: die in ihrem Herzen und mit ihrem Leben auf Gott ausgerichtet sind, bei allen Schwächen, bei allen Fehlern. Ihm gehört ihr Leben.

Frage Nr. 4: Paulus sagt: Wir wissen, daß alles zum Besten derer beiträgt, die Gott lieben. Woher wissen wir das denn? Wissen wir es aus unserer Erfahrung? Manchmal ja, aber wirklich nur manchmal. Manchmal sehen wir es im Rückblick. Als Josef in Ägypten zum Stellvertreter des Pharaos aufgestiegen war und zum Lebensretter seiner Familie wurde, da war ihm klar, daß all die Ir­rungen und Wirrungen seines Lebens ihm und anderen zum Besten gedient hatten. Aber war ihm das auch schon klar, als er noch mitten im Elend steckte? In der Zisterne, in die seine nei­dischen Brüder ihn geworfen hatten? Im Sklavendress bei dem Staatsbeamten Potifar? In den Klauen von dessen durchgeknallter Gattin, die sich in ihn verknallt hatte? Im Hochsicher­heitstrakt des königlichen Gefängnisses unter lauter Kriminellen? Wußte Josef es da schon, daß das alles zu seinem Besten beitrug? Er konnte es hoffen, er konnte Gott vertrauen, aber bewei­sen konnte er es nicht. Beweisen können es wir fast nie. Immer wieder fragen wir uns: Wäre es nicht auch ohne diese Umwege gegangen? Warum die zermürbende Krankeit? Warum der schreckliche Unfall? Warum die lange vergebliche Suche nach Arbeit? Warum der grauenvolle Krieg, der alle Hoffnungen zerstörte? Wir haben keine Antworten darauf. Wir können nichts Positives darin finden, manchmal bis zu unserem Sterben nicht. Wir können nicht nachweisen, daß das alles keine Fehlwege sind, sondern daß diese Wege geradlinig verlaufen und zielstrebig unser Bestes fördern. Gott läßt in unserem Leben Dinge zu, die wir nicht wollen, die uns weh tun, die uns bedrängen und an denen wir zerbrechen. Und doch halten wir daran fest, daß alles zu unserem Besten beiträgt. Wir machen es wie Mose; von ihm heißt es in Hebräer 11, 27: „Er ging entschlossen seinen Weg, weil er auf den sah, der unsichtbar ist.“

Textfeld: Woher wissen wir, dass alles zu un-
serem Besten beiträgt?
-	nicht weil wir es erleben,
-	sondern weil wir Gott vertrauen.

Woher wissen wir also, daß alles zu unserem Besten beiträgt? Wir wissen es, weil wir Gott vertrauen. Wir vertrauen dem, der auf dem Thron im Himmel regiert und alle Macht im Him­mel und auf der Erde in Händen hält. Wir vertrauen dem, der seinen Sohn nicht verschont hat. Wir vertrauen dem, der uns liebt und uns unsere Schuld vergeben hat. Er hat den Anfang ge­macht; er wird uns auch ans Ziel führen.

Noch ein letztes Beispiel als Abschluß: Apostelgeschichte 16. Paulus und Silas werden ins Gefängnis gewor­fen – wegen Jesus. Wie sinnlos: Da sind sie extra nach Philippi gereist, von Gott in einem Traum dorthin beordert, verkünden zum ersten­mal auf europäischem Boden das Evangelium, die ersten Erfolge stellen sich ein, die Geschäfts­frau Lydia wird Christin – und plötzlich ist der schöne Aufwärtstrend gestoppt: Paulus und Silas werden als Unruhestifter verklagt, man peitscht sie aus, steckt sie ins hinterste Ker­kerloch und schließt ihre Füße im Holzblock ein. Fangen die beiden jetzt an zu jammern? Sie hätten allen Grund dazu gehabt – Frust und Schmerzen, wohin man blickt. Nein, Paulus und Silas singen. Sie loben Gott lauthals, mitten in der Nacht. Wer weiß, vielleicht singen sie Rö­mer 8, 31-39? Sie loben Gott nicht, weil sie dem Gefangensein etwas Gutes abgewinnen kön­nen. Sie loben ihn, weil er auch im Gefängnis bei ihnen ist und weil sie ihm vertrauen – für ihr eigenes Leben, für ihre Mitchristen, für diese Stadt. Und das Triumphlied, das sie anstimmen, ändert ihre Lage. Es löst ein Erdbeben aus, es befreit alle Gefangenen, es rüttelt den Gefäng­niswärter durcheinander und rückt ihm Kopf und Herz zurecht. Wir können Gott auch loben und preisen, z. B. mit Römer 8,31-39, vielleicht unter Tränen und Schmerzen. Und vielleicht erleben wir dann auch eine Befreiung, vielleicht platzen dann auch bei uns Ketten auf und stür­zen Gefängnismauern ein, und wir begreifen neu: Gott ist für uns; wer kann uns da noch etwas anhaben? Was kann uns von Christus und seiner Liebe trennen?

 


Gebet:

 

Ist Gott für mich, so trete / gleich alles wider mich;

so oft ich ruf und bete, / weicht alles hinter sich.

Hab ich das Haupt zum Freunde / und bin geliebt bei Gott –

was kann mir tun der Feinde / und Widersacher Rott?

 

Nun weiß und glaub ich feste, / ich rühm’s auch ohne Scheu,

dass Gott, der Höchst und Beste, / mein Freund und Vater sei

und dass in allen Fällen / er mir zur Rechten steh

und dämpfe Sturm und Wellen / und was mir bringet Weh.

 

Der Grund, da ich mich gründe, / ist Christus und sein Blut;

das machet, dass ich finde / das ewge, wahre Gut.

An mir und meinem Leben / ist nichts auf dieser Erd;

was Christus mir gegeben, / das ist der Liebe wert.

 

Mein Jesus ist mein Ehre, / mein Glanz und schönes Licht.

Wenn der nicht in mir wäre, / so dürft und könnt ich nicht

vor Gottes Augen stehen / und vor dem Sternensitz;

ich müsste stracks vergehen / wie Wachs in Feuershitz.

 

Der, der hat ausgelöschet, / was mit sich bringt den Tod;

der ist’s, der mich rein wäschet, / macht schneeweiß, was ist rot.

In ihm kann ich mich freuen, / hab einen Heldenmut,

muss kein Gerichte scheuen, / wie sonst ein Sünder tut.

 

Nichts, nichts kann mich verdammen, / nichts nimmt mir meinen Mut;

die Höll und ihre Flammen / löscht meines Heilands Blut.

Kein Urteil mich erschrecket, / kein Unheil mich betrübt,

weil mich mit Flügeln decket / mein Heiland, der mich liebt.

 

Sein Geist wohnt mir im Herzen, / regiert mir meinen Sinn,

vertreibet Sorg und Schmerzen, / nimmt allen Kummer hin,

gibt Segen und Gedeihen / dem, was er in mir schafft,

hilft mir das Abba schreien / aus aller meiner Kraft.

 

Und wenn an meinem Orte / sich Furcht und Schrecken findt,

so seufzt und spricht er Worte, / die unaussprechlich sind

mir zwar und meinem Munde, / Gott aber wohl bewusst,

der an des Herzens Grunde / ersiehet seine Lust.

 

Sein Geist spricht meinem Geiste / manch süsses Trostwort zu:

wie Gott dem Hilfe leiste, / der bei ihm suchet Ruh,

und wie er hab erbauet / ein edle neue Stadt,

da Aug und Herze schauet, was es geglaubet hat.

 


Da ist mein Teil und Erbe / mir prächtig zugericht;

wenn ich gleich fall und sterbe, / fällt doch mein Himmel nicht.

Muss ich auch gleich hier feuchten / mit Tränen meine Zeit –

mein Jesus und sein Leuchten / durchsüsset alles Leid.

 

Die Welt, die mag zerbrechen, / du stehst mir ewiglich;

kein Brennen, Hauen, Stechen / soll trennen mich und dich;

kein Hunger und kein Dürsten, / kein Armut, keine Pein,

kein Zorn der großen Fürsten / soll mir ein Hindrung sein.

 

Kein Engel, keine Freuden, / kein Thron, kein Herrlichkeit,

kein Lieben und kein Leiden, / kein Angst und Fährlichkeit,

was man nur kann erdenken, / es sei klein oder groß:

der keines soll mich lenken / aus deinem Arm und Schoß.

 

Mein Herze geht in Sprüngen / und kann nicht traurig sein,

ist voller Freud und Singen, / sieht lauter Sonnenschein.

Die Sonne, die mir lachet, / ist mein Herr Jesus Christ;

das, was mich singen machet, / ist, was im Himmel ist.

 

Paul Gerhardt (1607 – 1676)