Petrus, der Felsenmann?!
Matthäus 16, 18-19
Predigt Andreas Symank
Freie Evangelische Gemeinde Zürich
Helvetiaplatz
Zürich, 16. Juni 2002
Welches ist wohl das meistgelesene Bibelwort? Schwer
zu sagen, aber ich habe eine Vermutung. Es gibt einen heißen Anwärter auf Platz
Nr. 1. Mein Kandidat ist die berühmte Ankündigung, die Jesus einem seiner
Jünger gemacht hat: „Du bist Petrus [Petrus heißt Fels], und auf diesen Felsen
werde ich meine Gemeinde bauen.“ (Matthäus 16,18) Wie komme ich gerade auf
diesen Vers?
[Abbildung der Innenseite der Kuppel vom Petersdom
in Rom]
Was Sie hier sehen, ist ein Blick in die Kuppel vom
Petersdom, der größten Kirche der Christenheit, erbaut u. a. von dem großen
Renaissance-Bildhauer Michelangelo. Millionen Besucher sind schon unter dieser
Kuppel hergegangen und haben die Worte gelesen, die im Innenumgang der Kuppel
in riesigen Goldlettern glänzen: Tu es Petrus, et super hanc petram aedificabo
ecclesiam meam … Et tibi dabo claves regni caelorum [nach der Vulgata, der
Übersetzung des großen Bibelgelehrten Hieronymus, die dieser Ende 4. / Anfang
5. Jahrhundert in einem Kloster in Betlehem anfertigte und die über tausend
Jahre später, auf dem Konzil von Trient, 1546, zur allein maßgeblichen Bibel
der Katholischen Kirche erklärt wurde].
An sich ist es ja begrüßenswert, wenn in einer
Kirche ein Bibelvers steht. Aber ein bisschen befremdet es schon, daß hier
ausgerechnet eine Aussage gewählt ist, die von einem Menschen spricht. Hätten
die Erbauer nicht besser ein Wort ausgesucht, das Jesus Christus in den Mittelpunkt
stellt? Zum Beispiel das Petrusbekenntnis aus Matthäus 16,16: „Du bist der
Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Was die Aussage über Petrus so
brisant macht, ist natürlich der Anspruch, der sich dahinter verbirgt: Die
Katholische Kirche setzt Petrus mit dem Papst gleich und die Gemeinde mit ihrer
eigenen Organisation. Der Vers ist also sehr bewusst ausgewählt: Er soll den
Machtanspruch der Katholischen Kirche begründen. Aber begründet er ihn
wirklich?
Wie auch immer: Wir haben es hier vielleicht mit der
bekanntesten Aussage der ganzen Bibel zu tun, auf jeden Fall mit einer Aussage,
die so weitreichende Konsequenzen hatte wie kaum eine andere.
[Deswegen gibt es auch so viele „Petrusse“ im
ehemals christlichen Abendland! Seit jenem ersten Petrus war „Petrus“ einer der
beliebtesten Namen, den christliche Eltern für ihre Sprösslinge wählten: Peter
(deutsch), Peter (englisch), Pierre (französisch), Pietro/Piero (italienisch), Pedro/Perez
(spanisch), Piet/Peet (niederländisch), Pär (schwedisch), Per/Peer
(norwegisch/dänisch), Pjotr (russisch), Boutros (arabisch). Einige solche
Petrusse haben wir auch hier unter uns sitzen.]
Das berühmte Wort steht in einem berühmten
Zusammenhang. Es ist sicher gut, einmal den ganzen Abschnitt zu lesen: Matthäus
16,13-20.
13Als Jesus in das Gebiet von Cäsarea Philippi kam, fragte er seine
Jünger: „Für wen halten die Leute den Menschensohn?“ – 14„Manche
halten dich für Johannes den Täufer“, antworteten sie, „manche für Elia und
manche für Jeremia oder einen der anderen Propheten.“ – 15„Und ihr“,
fragte er, „für wen haltet ihr mich?“ 16Simon Petrus antwortete: „Du
bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“
17Darauf sagte Jesus zu ihm: „Glücklich bist du zu preisen, Simon, Sohn
des Jona; denn nicht menschliche Klugheit hat dir das offenbart, sondern mein
Vater im Himmel. 18Deshalb sagte ich dir jetzt: Du bist Petrus, und
auf diesen Felsen werde ich meine Gemeinde bauen, und das Totenreich mit seiner
ganzen Macht wird nicht stärker sein als sie. 19Ich werde dir die
Schlüssel des Himmelreichs geben; was du auf der Erde bindest, das wird im
Himmel gebunden sein, und was du auf der Erde löst, das wird im Himmel gelöst
sein.“ 20Dann schärfte Jesus den Jüngern ein, niemand zu sagen, daß
er der Messias sei.
Die Sache mit dem Felsenmann Petrus ist nicht das
einzige, was an diesem Text auffällt. Eigentlich finden wir hier gleich 3
Besonderheiten, 3 einzigartige Dinge.
(a) Zum ersten Mal spricht ein Mensch aus, wer Jesus
ist: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“
(b) Zum ersten Mal spricht Jesus von der Gemeinde.
(c) Und eben: Petrus bekommt eine einzigartige
Aufgabe.
Es ist kein Zufall, daß diese 3 Besonderheiten hier
alle auf einmal auftauchen. Die 3 Dinge haben unmittelbar miteinander zu tun.
Zum ersten Mal spricht ein Mensch es aus: Jesus ist
der Sohn Gottes! „Für wen halten mich die Leute?“ fragt Jesus. – „Für Johannes
den Täufer, für Elia, für Jeremia.“ –
„Und ihr – für wen haltet ihr mich?“ Man spürt förmlich, wie Jesus den
Atem anhält. Was werden seine Jünger antworten? Sehen sie in ihm auch nur einen
Propheten, einen Wundertäter, einen Vorboten von noch größeren Ereignissen? Da
ergreift Petrus das Wort: „Du bist der Messias; du bist der Sohn des lebendigen
Gottes!“ – Was muß Jesus sich da gefreut haben! Sie haben es erkannt! Einer
wagt es offen auszusprechen!
Als Jesus die zwölf Jünger zu seinen Begleitern
machte, hat er ihnen ja nicht einfach gesagt, wer er ist. „Darf ich vorstellen
– ich bin der Sohn Gottes, der Messias!“ Er befahl den Zwölf lediglich, sich
ihm anzuschließen: „Folgt mir nach!“ Und in den 3 Jahren, die sie dann mit
Jesus unterwegs waren, hatten sie Gelegenheit, ihn kennenzulernen. Sie sahen
seine Wundertaten, sie hörten seine Worte, sie beobachteten seinen Umgang mit
anderen Menschen, sie erlebten, wie er mit Gott sprach. Und jetzt wagt es
Jesus, einen Rechenschaftsbericht zu fordern, sozusagen einen
Rechenschaftsbericht von sich selbst: Hat mein Dienst an den Zwölf und am
israelitischen Volk zu etwas geführt? Haben sie erkannt, wer ich wirklich bin?
Oder waren die Jahre des unermüdlichen Einsatzes umsonst? „Du bist der Messias,
der Sohn des lebendigen Gottes!“ Wie glücklich muß Jesus über dieses Bekenntnis
von Petrus gewesen sein! Der Anfang ist gemacht. Jetzt sind die Weichen
gestellt für den Beginn der neutestamentlichen Gemeinde. „Ich werde meine
Gemeinde bauen.“ Und weil Petrus der erste war, der sich so klar und so direkt
zu ihm bekannte, macht er ihm eine besondere Zusage: „Auf dich, Petrus, werde
ich meine Gemeinde bauen.“ So hängen also diese drei einzigartigen Dinge in
unserem Text zusammen. So kam es, daß Petrus zum Felsenmann wurde.
Petrus, der Felsenmann. Halt, Stopp! ruft jetzt
vielleicht jemand. Petrus ist ja gar nicht der Fels! Im griechischen Text steht
für „Fels“ gar nicht petroV (petros), sondern petra (petra). „Du bist PetroV, und auf diese petra werde ich meine Gemeinde
bauen.“ Und petra bedeutet „großer Fels, Felsmasse“, aber petroV bedeutet nur „Stein“ oder
„Felsbrocken“. Auf ein kleines Stück Fels kann man keine Gemeinde bauen. Jesus
muß etwas anderes gemeint haben. Sonst hätte er sagen müssen: „Du bist PetroV, und auf diesen petroV werde ich meine Gemeinde
bauen.“
Was
ist von diesem Einwand zu halten? Ich fürchte, hier macht man aus einer Maus
einen Elefanten. Wenn man in einem griechischen Lexikon nachschlägt und sich
dann auch noch die Belegstellen ansieht, stellt man rasch fest: Die Bedeutungen
von petroV und petra sind in der griechischen
Literatur keineswegs so klar gegeneinander abgegrenzt, wie man das vielleicht
gerne möchte. Die Hauptbedeutung von petra ist
Fels/Felsmasse; an nicht wenigen Stellen bedeutet es jedoch dasselbe wie petroV, nämlich Felsstück / größerer Stein. Umgekehrt
bedeutet petroV zunächst Felsstück/Stein, an manchen Stellen ist es
aber auch synonym mit petra = Fels (petra ist übrigens
das weitaus häufigere Wort). Der bedeutungsmäßig unterschiedliche Gebrauch der
beiden Ausdrücke beschränkt sich sowieso fast ganz auf poetische Texte. Schon
dieser fließende Übergang zwischen den beiden Bedeutungen sollte also
vorsichtig machen, die ganze Auslegung von Matthäus 16,18 auf den Wechsel von petroV zu petra zu stützen. Haben die
Zuhörer den Unterschied überhaupt als solchen empfunden? Ich vermute, sie haben
ihn nicht einmal bemerkt.
[Hätte
Jesus unmißverständlich klarmachen wollen, daß Petrus nur ein "Stein"
ist und kein Fels, dann hätte ihm ein sehr geläufiges griechisches Wort zur
Verfügung gestanden, das genau diese Bedeutung hat: liqoV (lithos).]
Dazu
kommt noch etwas: Wahrscheinlich sprach Jesus mit seinen Jüngern gar nicht griechisch,
sondern aramäisch. Seinen neuen Namen Petrus hat Petrus nicht erst hier in
Matthäus 16 bekommen, sondern bereits bei seiner ersten Begegnung mit Jesus. In
Johannes 1,42 wird uns das berichtet. „Jesus blickte ihn an und sagte: ‚Du bist
Simon, der Sohn des Johannes. Du sollst Kephas heißen.’ “ Und dann fügt der
Schreiber des Evangeliums hinzu: „Kephas ist das aramäische Wort für Petrus.“
Warum fügt er das hinzu? Weil seine nichtjüdischen Leser den Apostel Petrus nur
unter seinem griechischen Namen kennen. Wir sehen: Jesus gab Simon einen
aramäischen Namen. Und das Interessante daran ist: "Kephas" bedeutet
sowohl "Stein“ als auch „Fels"! Der Begriff deckt beides ab, eine
Variante wie petroV/petra gibt es im Aramäischen gar
nicht! Schon deshalb fällt eigentlich der ganze Einwand in sich zusammen.
Überhaupt
konzentriert man sich viel zu sehr auf den Endungswechsel. Etwas anderes
springt doch viel mehr ins Auge: Jesus verwendet bewußt zweimal denselben
Wortstamm (petr-)! Außerdem verknüpft er den Namen (Petrus) und das
Bild (Fels) durch das zurückweisende "diesen“ (das keinen anderen Bezug
haben kann; „diesen“ bezieht sich zwingend auf „Petrus“). Starke sprachliche
Signale weisen also darauf hin, daß Name und Bild dieselbe außersprachliche
Bezugsgröße haben, nämlich die Person des Apostels Petrus, und daß das Bild den
Namen erklärt. petra bildet nicht einen Gegensatz zu PetroV, sondern eine Erläuterung. Jesus nennt Simon PetroV und greift den neuen Namen direkt mit „diese petra“ auf. Nach allen syntaktischen und sprachlogischen Regeln kann daraus
nur eines folgen: daß petrosV und petra hier dasselben bedeuten:
Der PetroV, von dem Jesus spricht, ist eine petra.
Denken
wir nochmals an den Zusammenhang, in dem Vers 18 steht. Was geht voraus? Vers
16: „Du bist der Messias, der Sohn des lebendigen Gottes!“ Zum ersten Mal
spricht ein Mensch aus, daß Jesus der Sohn Gottes ist. Dafür preist Jesus in
glücklich (Vers 17) und nennt ihn bei seinem neuen Namen: Petrus. Jeder wartet
jetzt natürlich darauf, daß Jesus eine Erklärung für den Namenswechsel liefert.
Und genau das tut er: Er fügt ein Wortspiel mit diesem Namen an und erfüllt
damit unsere Erwartung: Simon heißt jetzt Petrus, weil Jesus ihn zu einer petra, einem Felsen, macht.
Wie
wäre es denn bei der anderen Auslegung? Da würde Jesus den begonnenen Gedankengang
abrupt abbrechen und die geweckte Erwartungshaltung enttäuschen: "Du
bist zwar Petrus, aber du bist, wohlgemerkt, nur ein Stein; der Fels, auf den
ich meine Gemeinde baue, ist etwas ganz anderes." Und für Petrus wäre das
wie eine kalte Dusche: Statt des erwarteten Lobes und Lohnes für sein
Bekenntnis (eingeleitet mit „Glücklich bist du zu preisen“) würde Jesus ihm
geradezu eine Abfuhr erteilen; er würde ihn öffentlich abkanzeln.
Mir
hat mal ein Befürworter dieser Auslegung plastisch vorgeführt, wie er sich das
Gespräch zwischen Jesus und Petrus vorstellte. Jesus zeigt mit dem Finger auf
Petrus und sagt: „Du bist Petrus“, und dann zeigt er mit dem Finger auf sich
selbst und fährt fort: „… und auf diesen Felsen werde ich meine Gemeinde
bauen.“ Natürlich wäre so was denkbar. Aber für die Leser, die den umgebogenen
Zeigefinger nicht sehen können, müßte Matthäus das dann irgendwie deutlich
machen, sehr deutlich sogar: „Du bist zwar Petrus, aber nicht du, sondern ich
bin der Fels, auf den ich meine Gemeinde baue.“
Nichts
im Text (sieht man einmal von dem Endungswechsel ab) weist auf eine solche
unvermittelte Verschiebung der Aussage hin, auf diese Kehrtwende um 180
Grad. Vers 16 stellt eine Erklärung von Petrus über Jesus dar, und genauso
stellen nun die Verse 17-19 eine Erklärung von Jesus über Petrus dar – und
nicht etwa eine weitere Erklärung über Jesus. Bei der genannten Auffassung wäre
in 17 und 18a von Petrus die Rede, in 18b von etwas anderem (wobei das
zurückweisende „diese“ völlig in der Luft hängen würde) und in 19 wieder von
Petrus. Ich meine, ein Hin- und Herspringen dieser Art lässt der Text nicht zu.
Das Wortspiel knüpft positiv an dem neuen Namen an, nicht kontrastiv.
Man
kann sich natürlich fragen, wieso Jesus (bzw. Matthäus) nicht zweimal
genau dasselbe griechische Wort verwendet, zweimal petroV. Nun, beim Namen kommt nur die männliche Form in
Frage, PetroV. Es handelt sich nun einmal um einen Mann! Simon ist
ein Petrus, keine Petra! [Petra war damals ein relativ häufiger Ortsname, nicht
ein Mädchenname.] Wenn Jesus dann bei der Erklärung zur weiblichen Form
übergeht, tut er das entweder sozusagen automatisch, weil es sich hierbei um
das gebräuchlichere Wort handelt, oder ganz bewußt, um deutlich zu machen, daß
er an einen großen Stein denkt, einen wirklichen Felsen.
(Wie
ist es, wenn man von "Kephas" ausgeht, also von einer aramäischen
Aussage? Hat dann Matthäus, der das Gespräch zwischen Jesus und Petrus
berichtet, den Wechsel von PetroV zu petra einfach erfunden? Das muß nicht sein. Eine Sprache hat ja verschiedene
Ausdrucksmittel. In diesem Fall könnte man sich vorstellen, daß Jesus den
gewünschten Effekt mit Hilfe eines verstärkenden Adjektivs erzielt hat: „Du
bist Kephas, und auf diesen großen/starken ‚kephas’ werde ich meine
Gemeinde bauen." Und Matthäus hätte das bei seiner Wiedergabe im
Griechischen durch den Übergang von PetroV zu petra ausgedrückt. Aber das ist, wie gesagt, reine Vermutung. Überliefert
ist uns der griechische Text, nicht irgendeine aramäische Vorform - wenn es sie
überhaupt gab.)
Ich
weiß, das war jetzt alles ein bisschen kompliziert, ein bisschen viel
Griechisch, ein bisschen viel Grammatik. Bevor wir von den sprachlichen
Überlegungen zu den inhaltlichen und praktischen übergehen, hier noch ein
Beispiel aus dem Deutschen, das nochmals verdeutlicht, was wir bis jetzt
herausgefunden haben.
Nehmen
wir an, ein gewisser Ernst Hauser, langjähriger Mitarbeiter in der
Forschungsabteilung einer Firma, feiert ein Dienstjubiläum. Da könnte sein Chef
z. B. folgenden Toast auf ihn ausbringen: "Mein lieber Ernst! Diese
Ernsthaftigkeit, die schon in Deinem Namen zum Ausdruck kommt, hat Deiner
gesamten Tätigkeit bei uns ihren Stempel aufgedrückt. Immer konnte man sich auf
Dich verlassen, mit größter Gewissenhaftigkeit hast du alle Deine Aufträge
ausgeführt, Nachlässigkeit und Verspätung waren Fremdwörter für Dich ..."
Hier
haben wir, genau wie in Matthaus 16,18, den Übergang von einem Männernamen zu
einer daran anknüpfenden Charakterisierung durch ein feminines Substantiv
(Ernst - Ernsthaftigkeit). Der formale Unterschied ist sogar wesentlich größer
als bei PetroV/petra. Und doch ist völlig klar,
daß zwischen "Ernst" und "Ernsthaftigkeit" hier nicht der
geringste Kontrast beabsichtigt ist. Im Gegenteil, das zurückweisende
"diese" greift ausdrücklich die im Namen enthaltene Bedeutung auf und
führt sie weiter aus. Wäre ein inhaltlicher Gegensatz intendiert, müßte das mit
sprachlichen Mitteln sehr klar formuliert werden, etwa so: "Du heißt zwar
Ernst; aber Deine Arbeit bei uns hast Du nicht mit Ernst durchgeführt, sondern
mit Ernsthaftigkeit." Und natürlich käme dann bei den Hörern sofort die
Frage auf: Was ist denn der Unterschied zwischen "Ernst" und
"Ernsthaftigkeit"? Denn die beiden Bedeutungsfelder überschneiden
sich so weitgehend, daß man nicht an möglicherweise vorhandene Unterschiede
denkt, sondern die beiden Begriffe als deckungsgleich empfindet.
Hätte
der "Chef" es sich und uns nicht leichter machen können, indem er
zweimal "Ernst" verwendete? "Mein lieber Ernst! Dieser Ernst,
der schon in Deinem Namen zum Ausdruck kommt ..." Sicher ginge das. Aber
der Chef nimmt (vielleicht ohne sich die Gründe dafür bewußt überlegt zu haben)
den Wechsel zu Recht vor. "Ernst" tendiert leicht zu einer eher negativen
Färbung ("streng","humorlos"); "Ernsthaftigkeit"
dagegen wird ausschließlich positiv empfunden ("zuverlässig",
"aufrichtig") und paßt daher noch besser, um den Jubilar und seine
Arbeit zu charakterisieren. Aber damit ist auch klar: Der Redner möchte mit dem
Wechsel keinesfalls auf ein vermeintliches Defizit bei "Ernst"
hinweisen, sondern im Gegenteil allen negativen Nebentönen oder Hintergedanken
einen Riegel vorschieben und ausschließlich das Positive hervorheben.
"Ernst" soll bei dem Toast als gleichbedeutend mit
"Ernsthaftigkeit" verstanden werden (und selbstverständlich verstehen
es die Zuhörer auch so).
Übrigens
wird daran auch eine sprachliche Gesetzmäßigkeit deutlich, die sogenannte Neutralisierung.
Es gibt viele Wörter, deren Bedeutungen zwar nicht völlig identisch sind, die
sich aber doch teilweise überschneiden. Isoliert betrachtet, haben z. B.
"Bauer" und "Farmer" durchaus unterschiedliche
Bedeutungsaspekte, und es lassen sich Kontexte denken, wo alles auf diese
Unterschiede ankommt ("Wohlgemerkt, ich spreche von einem Farmer, nicht
von einem Bauer; was ich berichten werde, ereignete sich also in
Amerika"). Viel häufiger ist jedoch das andere der Fall: daß es keine
Rolle spielt, ob ich von Bauer spreche oder von Farmer, Landwirt oder Agronom.
Gemeint ist dann jedesmal dasselbe; die verschiedenen Begriffe bringen
lediglich unterschiedliche stilistische Register ins Spiel. In der Regel trifft
das genau dann zu, wenn jemand solche teilweise kongruenten Begriffe im selben
Sachzusammenhang verwendet. Ein geübter Redner/Schreiber wechselt dann aus
stilistischen Gründen von einem Begriff zum anderen, will damit aber gerade
nicht Unterschiede hervorheben, sondern im Gegenteil immer dasselbe ausdrücken
(und so verstehen ihn seine Hörer/Leser auch!).
Zum
Beispiel kann ein Journalist die Rede eines Politikers folgendermaßen
zusammenfassen: "Herr A. wies auf die Bedeutung von ... hin.
Es sei unerläßlich, daß ..., erklärte er. Er sagte, man müsse ...
In solchen Fällen, so meinte er, gäbe es nur eine Lösung ...
Deshalb freue er sich über ..., hob er hervor. Er sei
überzeugt, daß es nichts Besseres gebe als ..." usw. Betrachtet man
die vom Berichterstatter gebrauchten Verben einzeln, dann stellt man rasch
fest, daß weite Teile ihres jeweiligen Bedeutungsfeldes sich stark voneinander
unterscheiden. "sagen" ist (je nach Zusammenhang!) etwas völlig
anderes als "hervorheben", "hinweisen" etwas anderes als
"erklären", "meinen" etwas anderes als "überzeugt
sein". Aber im angeführten Beispiel, wo alle diese Begriffe
nebeneinandergestellt sind, zählt nur noch der Teil ihres Bedeutungsspektrums,
den sie gemeinsam haben. Die Unterschiede heben sich gegenseitig auf; die
Begriffe "neutralisieren sich". Man könnte jeden durch jeden
ersetzen, ohne daß sich an der Gesamtaussage das Geringste ändern würde.
Probieren Sie es einmal aus!
Dieses
Gesetz der Neutralisierung ist beim Sprechen (und Zuhören) gewissermaßen allgegenwärtig.
Wir berücksichtigen es ganz automatisch, wenn wir säkulare Texte
interpretieren. Aber sobald es an biblische Texte geht, "vergessen"
viele Christen ihr natürliches Sprachempfinden und interpretieren Dinge hinein
bzw. lesen Dinge heraus, die sie, wenn sie den Text "normal" angehen
würde, niemals darin finden würden.
Natürlich
handelt es sich bei der Bibel um Offenbarung: Gott teilt uns Dinge mit, die wir
von uns aus nicht wissen. Insofern erwarten wir in der Bibel zu Recht neue,
unserem Denken fremde Inhalte. Aber damit wir diese Inhalte verstehen, hat Gott
sie uns in einer uns vertrauten Sprache mitgeteilt. Die Bibel ist in
natürlichen, irdischen Sprachen verfaßt; sie respektiert die Gesetzmäßigkeiten
der Sprache. Und gerade damit baut sie uns Menschen eine Brücke zu den Gedanken
Gottes.
So,
jetzt lassen wir die sprachlichen Überlegungen hinter uns und gehen über zu
praktischen Gesichtspunkten. Wie hat man sich das denn vorzustellen:
"Petrus, der Felsenmann, auf den Jesus seine Gemeinde baut"? Zunächst
möchte ich nochmals auf die Schlüssigkeit dieser Aussage hinweisen. Zum ersten
Mal stellt sich ein Jünger so offen auf Jesu Seite und bekennt sich zu ihm als
dem Messias und dem Sohn Gottes. In gewissem Sinn ist Petrus damit der erste
Christ. (Ich weiß, zum Christsein gehört der Glaube an den gekreuzigten und
auferstandenen Herrn und der Empfang des Heiligen Geistes. Aber zum damaligen
Zeitpunkt, vor Pfingsten und vor Kreuz und Auferstehung, war dieses Bekenntnis
der größte Schritt, den jemand tun konnte, um seine Zugehörigkeit zu Jesus zu
demonstrieren, und Petrus war der erste, der diesen Schritt machte. Hierin
liegt – wie ich schon sagte – sicher auch der Grund, wieso Jesus plötzlich und
zum allerersten Mal überhaupt auf die Gemeinde zu sprechen kommt (die es ja bis
dahin noch gar nicht gab). Er sieht in Petrus gewissermaßen das erste
Gemeindeglied; jetzt kann er offen vom künftigen Gemeindebau reden.
Und
weil Petrus sich vor allen zur Einzigartigkeit von Jesus bekennt, setzt Jesus
ihn in eine einzigartige Stellung ein. Weil Petrus der erste ist, der sich so
klar auf seine Seite stellt, macht Jesus ihn zum ersten Stein, zu einem
tragenden Stück Fels, auf dem er die Gemeinde dann weiterbaut.
Wohlgemerkt:
Nicht Simon bekommt das "Felsenamt", sondern Petrus. Nicht auf dem alten
Menschen kann Jesus aufbauen, sondern auf dem erneuerten, auf dem, der sich zu
Christus bekennt und sich an Christus hält. Petrus wird nur in dem Maß
"Felsenmann" sein, wie er sein eigenes Leben auf den wahren Fels,
Christus, stützt. Nicht eigene Verdienste haben Petrus dieses besondere Amt
eingebracht, sondern Gottes Gnade, die ihm den Sohn Gottes offenbart hat.
An
der Stelle haken wieder manche ein. Petrus als Fels, auf den die Gemeinde
aufgebaut wird? Da stimmt doch etwas nicht, das widerspricht doch klaren
biblischen Aussagen. In 1. Korinther 3,11 heißt es: „Das Fundament ist bereits
gelegt, und niemand kann je ein anderes legen. Dieses Fundament ist Jesus
Christus.“ Wer ist denn nun das Fundament der Gemeinde – Jesus oder Petrus?
Ich
meine, wir müssen acht geben, daß wir biblische Aussagen nicht gegeneinander
ausspielen. Natürlich ist Christus das Fundament, das durch kein anderes
ersetzt werden kann. Diese Aussage stammt von Paulus; sie steht im 1.
Korintherbrief. Aber derselbe Paulus schreibt in einem anderen Brief folgendes:
„Ihr seid in den Bau eingefügt, dessen Fundament die Apostel und Propheten
bilden, und der Eckstein in diesem Fundament ist Christus.“ (Epheser 2,20;
vergleiche Offenbarung 21,14: „Das Fundament der Stadtmauer bestand aus zwölf
Grundsteinen, auf denen zwölf Namen standen – die Namen der zwölf Apostel des
Lammes“). Im Griechischen steht für "Fundament" an beiden Stellen
dasselbe Wort (qemelioV, themelios). Was stimmt denn nun? Ist Christus das
Fundament, oder sind es die Apostel und Propheten? Beides stimmt. Schaut man
auf die übernatürliche Seite, dann ist Christus das Fundament. Einen
grundlegenderen Grund gibt es nicht. Schaut man aber auf die menschliche Seite
(und das Haus der Gemeinde Jesu baut sich nun mal aus Menschen auf, aus
"lebendigen Steinen" – 1. Petrus 2,5), dann waren die Jünger Jesu die
ersten Gemeindeglieder, eben das "Fundament der Apostel", und
innerhalb dieses menschlichen Fundaments war Petrus der allererste.
Also:
Das Fundament ist einmal Christus, und einmal sind es die Apostel und
Propheten. Man kann es auch noch aus einem anderen Blickwinkel ansehen:
Christus ist einmal das Fundament, und einmal ist er der Eckstein, der
wichtigste Stein innerhalb des Fundaments. Das führt zu einer weiteren
Beobachtung. Wir haben es bei all diesen Ausdrücken mit Bildern zu tun.
"Eckstein", "Fels" und "Fundament" sind
Vergleiche. Vergleiche betonen einen Aspekt, den sie mit der bezeichneten
Wirklichkeit gemeinsam haben, sie sind nicht die Wirklichkeit
selbst, auf die sie hinweisen. Jesus ist nicht buchstäblich ein Felsblock;
Petrus ist nicht wortwörtlich ein großer Stein. Das bedeutet aber auch,
daß dieselben Metaphern für verschiedene Dinge verwendet werden können.
Von
daher überrascht es nun auch keineswegs, wenn einmal Jesus und ein anderes Mal
die Apostel als Fundament der Gemeinde bezeichnet werden oder wenn einmal
Petrus "Fels" genannt wird und ein andermal Jesus.
Um
beide Aussagen miteinander in Einklang zu bringen, denke ich gern an 1.
Korinther 11,1, wo Paulus die Korinther auffordert, seinem Beispiel zu folgen.
Darf ein Mensch denn andere Menschen zu so etwas aufrufen? Müßte er sie nicht
bitten, dem Beispiel von Jesus zu folgen? Doch, und das tut Paulus auch,
denn er fährt fort: "...so wie ich dem Beispiel folge, das Christus uns
gegeben hat." Nur in dem Maß, in dem Paulus dem Beispiel Jesu folgt,
sollen die Korinther dem Beispiel des Apostels folgen.
Interessant,
nicht? Da möchte jemand, daß die Menschen in ihm ein Vorbild sehen, ihn nachahmen.
Was tut er? Ganz klar: Er stellt sich vor die anderen hin: Alle mal hersehen,
alle mal herhören. Ich zeig euch, wie’s gemacht wird. Und natürlich steht dieser
eine jetzt im Mittelpunkt; alles dreht sich um ihn. Und wenn er nicht ganz doll
aufpasst, fängt er an, sich etwas auf sein vorbildliches Leben einzubilden. –
Paulus geht anders vor. Er dreht sich nicht zu denen, die ihn nachahmen sollen;
er kehrt ihnen den Rücken zu! Er konzentriert sich ganz darauf, Jesus
nachzuahmen. Und während er das tut, kommen hinter seinem Rücken immer mehr
Menschen zusammen, schließen sich ihm an und ahmen ihn nach – oder vielmehr:
ahmen zusammen mit ihm Jesus nach. Ein wunderbares Rezept gegen
Selbstherrlichkeit und Größenwahn von Leuten, die im Rampenlicht stehen und
andere führen sollen.
„Folgt
meinem Beispiel, so wie ich dem Beispiel folge, das Christus uns gegeben hat.“
Der wahre Zielpunkt für unsere Orientierung ist Jesus. Aber auf dieser Erde
wird Jesus repräsentiert durch seine Boten. Es wäre fatal für die Gemeinde,
wenn ihre Verkündiger sagen müßten: Seht nicht auf uns, wir sind leider Lügner
und Diebe und Ehebrecher; seht von uns weg auf Jesus! Paulus jedenfalls ist
ganz anders vorgegangen. Seht auf mich, sagt er, so wie ich auf Jesus sehe.
In
1. Timotheus 3,15 steht etwas, was mich immer wieder erstaunt: „Ich schreibe
dir diesen Brief, damit du weißt, wie diejenigen sich verhalten sollen, die zum
Haus Gottes gehören, zur Gemeinde des lebendigen Gottes, die der Stützpfeiler
und das Bollwerk der Wahrheit ist.“ Wer ist das Bollwerk der Wahrheit? Das
Evangelium? Die apostolische Lehre? So würden wir es erwarten. Aber Paulus sagt
etwas anderes; er erklärt die Gemeinde zum Bollwerk der Wahrheit!
Solange nicht konkrete Menschen die biblische Wahrheit konkret verwirklichen,
bleibt alles Theorie. Was nützt das Reden von Wiedergeburt, wenn es keine
Wiedergeborenen gibt? Was nützt das Reden von Glaubensvorbildern, wenn alle es
ablehnen, Glaubensvorbilder zu sein? Was nützt das Reden von geistlicher
Leiterschaft, wenn keiner bereit ist, ein Fels für andere zu werden?
Noch
ganz kurz zu den praktischen Auswirkungen dieses einzigartigen Auftrags an
Petrus. Was bedeutete es konkret, Felsenmann zu sein? War Petrus den anderen
Aposteln charakterlich überlegen? Wohl kaum. Wie hat sich diese Ankündigung
erfüllt?
Ich
denke, die Vorrangstellung von Petrus ist vor allem geschichtlich zu verstehen.
Petrus war, historisch gesehen, der erste Stein im Bauwerk der Gemeinde, und
darum übertrug Jesus ihm als erstem die Leitung der Gemeinde.
[Abbildung
„Vier Apostel“ von Albrecht Dürer]
[Hier sehen Sie das berühmte Gemälde „Vier
Apostel“ von Albrecht Dürer, einem Zeitgenossen und Anhänger Martin Luthers.
Erraten Sie, welcher von den vieren Petrus ist? Dürer hat den Aposteln keine
Namensschildchen verpaßt, und trotzdem weiß man genau, wer wer ist. Petrus ist
auf dem linken Bildteil der rechte, der mit dem Schlüssel! Er hat das
"Schlüssel-amt". Er verwaltete die Schlüssel zum Himmelreich.]
Daneben
muß allerdings auch betont werden, was das Felsenamt des Petrus nicht
bedeutet.
Wir
sind von dem Einwand ausgegangen, daß mit dem Felsen, petra, gar nicht Petrus gemeint sei, sondern das Glaubensbekenntnis oder
sogar Jesus selbst. Es ist klar, wieso manche Christen diese Auslegung
attraktiv finden: Sie hoffen, auf diese Weise dem Papst definitiv das Wasser
abgraben zu können. Nun, der Versuch ist gut gemeint, aber das apologetische
Bemühen ist allzu durchsichtig und vor allem in keiner Weise überzeugend. Die
Intention des Textes spricht in jeder Hinsicht dagegen. Diese Art von
Argumentation wird den denkenden Katholiken um so mehr auf seinem Standpunkt
beharren lassen, und für den Evangelikalen wird sie zum Bumerang, der auf ihn
selbst zurückfällt und ihm selbst schadet.
Im
Grunde nimmt diese Auslegung den römisch-katholischen Anspruch viel zu
ernst.und gibt ihm (ohne es zu wollen) recht: als leite sich das Papsttum
tatsächlich von Petrus ab. Und dann muß man, um den päpstlichen Anspruch zu
schmälern, das Petrusamt schmälern. Und (wieder ohne es zu wollen) schmälert
man damit auch das Petrusbekenntnis. Denn das Petrusamt ist ja der Lohn für das
Petrusbekenntnis. Die Größe des Petrusamtes entspricht der Größe seines
Bekenntnisses zu Jesus als dem Sohn Gottes. Wir dürfen also die Zusage vom Fels
nicht auf etwas anderes als auf Petrus beziehen. Wir dürfen keine Zäsur
zwischen Matthäus 16,18a und 18b setzen. Der richtige Weg ist, zwischen
Petrusamt und Papstanspruch zu trennen; dort ist die Zäsur zu setzen, nicht im
Bibeltext.
Abschließend
noch zwei klitzekleine Gedanken. Irgendwie finde ich es beinahe so etwas wie
eine Ironie, daß dieser Vers in der Kuppel der Peterskirche steht. Er wurde
dort hingeschrieben, damit jeder lesen kann, worauf sich der Machtanspruch des
Papstes gründet. Aber jeder, der der Vers wirklich liest und darüber nachdenkt,
muß merken, daß damit etwas ganz anderes gemeint ist. Was als Beweis gedacht
war, entpuppt sich als Widerlegung. Die Erbauer der Peterskirche wollten ihr
ein unzerstörbares Fundament geben und haben ihr in Wirklichkeit das Fundament
entzogen. Sie steht auf tönernen Füßen!
Und
ein letzter Gedanke: Eigentlich ist das Petrusamt gar nicht soo
einzigartig. Natürlich, Petrus war der erste Stein im Gebäude der Gemeinde von
Jesus, der erste Stein in diesem neuen Tempel Gottes. Im Neuen Testament heißt
es einmal: „Laßt euch als lebendige Steine in das Haus einfügen, das von Gott
erbaut wird und von seinem Geist erfüllt ist.“ Wissen Sie, wer das geschrieben
hat? Petrus! Dahinter steckt, finde ich, beinahe auch wieder so etwas wie ein
göttlicher Humor, ein Lächeln Gottes über alle, die das Petrusamt so über alle
Maßen wichtig nahmen. Petrus, dieser erste Stein im Haus von Jesus, fordert
seine Mitmenschen auf, ebenfalls Steine in diesem Haus zu werden. Und das heißt
konkret: Jeder von uns soll an seinem Platz ein Petrus sein, ein Fels, ein
Stein, auf dem weitere Steine aufgebaut werden können. Es ist wie bei einer
Mauer, wo ein Stein auf den anderen gefügt wird: Jeder Christ wird von anderen
Christen getragen und ist seinerseits für andere verantwortlich, die sich auf
ihn stützen. Wer immer sich zu Jesus als dem Messias und dem Sohn Gottes
bekennt, bekommt Anteil an dem Auftrag des Petrus, ein Fels für andere zu sein
und mitzuhelfen beim Bau der Gemeinde.
***
[Beachte im Zusammenhang mit dem Amt des Bindens und
Lösens den Wechsel vom Singular zum Plural, von Petrus zu allen Aposteln bzw.
allen Christen – ein Hinweis darauf, daß dieses Amt keineswegs für alle Zeiten
das exklusive Vorrecht des Petrus war:
- Matth. 16,19: „Was du auf der Erde bindest, das
wird im Himmel gebunden sein, und was du auf der Erde löst, das wird im Himmel
gelöst sein.“
- Matth. 18,19: „Alles, was ihr auf der Erde binden
werdet, wird im Himmel gebunden sein, und alles, was ihr auf der Erde lösen
werdet, wird im Himmel gelöst sein.“]
[Der entscheidende, der neue Punkt im
Petrusbekenntnis ist wohl die Einsicht, daß Jesus der Sohn des lebendigen
Gottes ist. Einen Messias haben ihn schon andere vorher genannt, z. B. Andreas
(Johannes 1,41); vergleiche die Aussagen der Samaritaner in Johannes 4,29.42.
So gut wie alle Juden erwarteten eine messianische Gestalt, eine Retterfigur,
ohne aber klare Vorstellungen über deren Unsterblichkeit und Göttlichkeit zu
haben. – Einige nannten Christus allerdings auch schon vor Petrus „Sohn Gottes“
(Johannes der Täufer in Johannes 1,34; Natanel in Johannes 1,49; die Zwölf in
Matthäus 14,33 angesichts des Wunders, daß Jesus auf dem Wasser geht und den
Sturm stillt; hingegen fällt das Bekenntnis von Martha, Johannes 11,27, in die
Zeit nach Matthäus 16). Ich vermute, daß die Anhänger Jesu zunächst einfach
merkten, daß Jesus in einer besonders engen Beziehung zu Gott stand, und ihn
deshalb als „Sohn Gottes“ bezeichneten, quasi als Ehrentitel (vergleiche „Sohn
Gottes“ im Mund des Hauptmanns beim Kreuz, Matthäus 27,54 und Markus 15,39, was
Lukas 23,47 mit „ein Gerechter“ wiedergibt). Daß Jesus Gottes eigener und
einziger Sohn war, Gott in Person – das begriffen sie wohl erst nach und nach.
Für die monotheistisch denkenden Juden war der Gedanke an eine wirkliche
„leibliche“ Gottessohnschaft fremd und gotteslästerlich (vergleiche Johannes
10,36; Matthäus 26,63-65). Wie dem auch sei: Jesus macht in Matthäus 16,17 deutlich,
daß Petrus hier nicht etwas bereits Bekanntes sagte, nicht etwas, was ihm
andere mitgeteilt hatten, sondern etwas, was Gott höchstpersönlich ihn hat
erkennen lassen. Innerhalb des Zwölferkreises war Petrus auf jeden Fall der
erste, der die Gottessohnschaft Jesu aussprach. Und ich denke, daß er den
Begriff und die Zusammenhänge zu diesem Zeitpunkt tiefer erfaßt hat, als es bis
dahin bei ihm und anderen der Fall gewesen war. Hätte Petrus etwas ausgesprochen,
was im Kreis der Anhänger Jesu bereits bekannt war, wäre die geradezu
überschwengliche Reaktion von Jesus schwer zu begreifen.]