Alfred Burchartz
Gottes große Liebe
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Verkündiger: Alfred
Burchartz
Thema:
Gottes große Liebe
Redakteur: Markus Baum
Sendedaten: 03.03.1989
/ 21.30 Uhr
Der
Apostel Paulus schreibt im Römer 9, 1-5:
Ich sage die Wahrheit in Christus und lüge nicht, wie mir Zeugnis gibt mein
Gewissen in dem Heiligen Geist, dass ich große Traurigkeit und Schmerzen ohne Unterlass
in meinem Herzen habe.
Ich selber möchte verflucht und von Christus geschieden sein, meinen
Brüdern zu gut, die meine Stammverwandten sind nach dem Fleisch. Die da sind
von Israel, welchen die Sohnschaft gehört und die Herrlichkeit und die
Bündnisse und die Thora, das Gesetz, der Gottesdienst und die Verheißungen,
welcher sind auch die Väter.
Und aus welchen Christus herkommt nach dem Fleisch, der da ist Gott über
alles, gelobt in Ewigkeit, Amen.
In diesen fünf Versen fahren wir gleichermaßen wie mit einem Fahrstuhl in
die Tiefe des jüdischen Glaubens und erfahren etwas von seinem Reichtum. Hier
werden uns nämlich Heilsgüter aufgezeigt, die unablösbar zu Israel gehören,
aber diese werden umklammert von zwei Bekenntnissen des Paulus, die zu den
stärksten im neuen Testament überhaupt gehören. Sie sind eine Liebeserklärung
des Apostels, und sie sind es deshalb, weil er weiß, wie sehr Israel von Gott
geliebt wird. Und diese Liebe Gottes hat nie aufgehört, wurde nie beendet, gilt
weiter für Israel, auch, wenn in diesem Volk die irdische Geschichte Jesu am
Kreuz auf Golgatha endete.
Und sie sind eine Liebeserklärung auch zu Jesus Christus, denn seit
Damaskus gehört das Leben des Paulus ihm, für den er auch in den Tod zu gehen
bereit ist. Die Liebeserklärung des Apostels beginnt mit einer Aussage, die uns
den Atem verschlagen kann:
"Ich möchte verflucht und von Christus geschieden sein meinen
jüdischen Brüdern, meinem jüdischen Volk zu gut".
Wie muss Paulus sein jüdisches Volk geliebt haben, dass er solches sagen
und schreiben konnte! Und wie muss er den Glauben seines Volkes gekannt haben!
Für ihn ist Israel nicht ein Volk wie jedes andere. Dafür steht seine
Geschichte. Und es war immer die Geschichte Gottes mit Israel, die nie
aufgehört hat, schon gar nicht mit dem Opfer Jesu für Israel, also mit
Golgatha. In dieser Geschichte hat Israel Heilsgüter empfangen, die die
tragenden Elemente des jüdischen Glaubens sind. Wir werden sie in der Tiefe
ihrer Bedeutung nicht ausloten können.
Sieben Heilsgüter benennt Paulus, die Israel gegeben wurden, die zu Israel
gehören, die die Wertschätzung Israels ausmachen, vor allen Völkern! Und von
allen schreibt Paulus, dass sie Israel gehören, also Präsens, Gegenwart. Nicht
sie gehörten Israel einmal oder sie werden vielleicht einmal zu Israel gehören,
nein, sie gehören. Die ständige Gegenwart der Heilsgüter Gottes für Israel entspricht
der ständigen, bleibenden Gegenwart Gottes. Paulus zählt sie auf:
1. Die Sohnschaft
2. die Herrlichkeit Gottes, die Schechina
3. die Bündnisse
4. die Thora, das Gesetz
5. der Gottesdienst
6. die Verheißungen
7. die Väter.
Aus ihnen stammt, krönender Abschluss, der Messias.
Zu 1. Die Sohnschaft: Lesen Sie bitte Sohnschaft, nicht Kindschaft. Die
Wichtigkeit wird uns besser verständlich, wenn wir dieses Wort von der
Sohnschaft mit jüdischen Ohren hören. Dort, wie im Orient, ist der Sohn in der
Familie, der Garant dafür, dass das väterliche Erbe der Familie erhalten oder
bewahrt werden kann. Denn das, was der Vater erwarb, schuf und gestaltete, wird
nur über den Sohn als Segen für die Nachkommen weitergegeben und weiter getragen
werden können. Und hierbei spielt das Erstgeburtsrecht, der Erstgeborene, eine
ganz entscheidende Rolle, nicht die Töchter, denn die gehen mit jeder Heirat in
eine andere Familie hinein. Und da denken wir an die Erzvätergeschichten, und
an das dort genannte Erstgeburtsrecht. Aber: In der Souveränität bestimmt Gott
selbst, wer hier der Erstgeborene ist, nicht Ismael, sondern Israel, nicht
Esau, sondern Jakob. Die Sohnschaft Israels ist keine biologische Begebenheit.
Sie entstand aus dem Willen Gottes, nach seiner Idee, durch seinen Geist, nach
seiner Wahl. "Gott, der Israel" zeugte oder "zum Sohn Gottes
erwählte", 5. Mose 32, 18; "Gott, der dich gezeugt hat, der dich
gemacht hat". Oder 2. Mose 4, "Israel, mein erstgeborener Sohn".
Oder Hosea: "Israel hatte ich lieb und rief ihn meinen Sohn aus
Ägypten". Und auch der Talmud, die rabbinische Lehrtradition, weiß das zu
bezeugen: "Söhne des lebendigen Gottes seid ihr, Israel".
Und so heißt es in Jesaja 63: "Du, Herr, bist unser Vater. Von alters
her ist das Dein Name." Und in der apokryphen Weisheit Salomos Kapitel 14:
"Deine Fürsorge, o Vater, regiert das Meer und beweist, wie du an allen
Enden helfen kannst". Wenn Jesus das Bekenntnis Israels zu Gott als den
Vater dem Vater des jüdischen Volkes im Vaterunser aufnimmt, und damit seinen
jüdischen Jüngern das beten beibringt, dann war das für die Ohren dieser Jünger
gar nichts Neues, nichts Fremdes, auch nichts Außergewöhnliches. Im Gegenteil,
es war ihm vertraut, geläufig und sprach das Bewusstsein an, dass Israel im
Vaterhaus sein darf, und als Sohn Gottes bei ihm zu Hause sein will. Vater
unser, dieses unser meint Israel. Wir sprechen ein jüdisches Gebet, dass der
Jude Jesus formulierte, als Lehrer Israels. Wenn daraus mehr geworden ist,
nämlich die Erkenntnis, dass Gott mehr ist als nur Israels Vater, nämlich der
rechte Vater über alles, was da Kinder heißt auf Erden und im Himmel, Epheser
3, dann ist das eine Offenbarung, die uns das neue Testament anbietet. Was im
siebenten Heilsgut, von dem Paulus schreibt, zum Ausdruck kommen will:
"...mit dem, der da ist Gott über alles".
2. Die Herrlichkeit Gottes: An dieser Stelle steht für jüdische Augen und
Ohren das Wort "Schechina". Gemeint ist die Gegenwart Gottes im
jüdischen Volk, die Einwohnung Gottes. Wo sie ist, wo sie zu finden ist, wie
sie erfahren werden kann in Israel, darüber spricht man im Judentum heute etwas
anders als zur Zeit des alten Testamentes. Doch das steht jetzt auf einem
anderen Blatt. Schechina, das war zunächst einmal die Kraft oder die Macht
Gottes, mit der Israel aus Ägypten befreit und durch die Wüste geleitet wurde.
Die Schechina war es, die sich auch dem Berg Sinai niederließ, aus der heraus
Mose die Thora für Israel empfing, die zehn Gebote. Die Schechina war es, die
sich dann in dem Allerheiligsten, im dunklen Raum der Stiftshütte, niederließ
und später im Allerheiligsten des Tempels ihren Platz hatte, nämlich dort, wo
auch die Bundeslade mit den Tafeln der Thora, der Offenbarung des Willens
Gottes für Israel, stand.
Zum Wesen der Schechina gehört aber ihre Distanz zum Menschen. In der Wüste
geht sie dem Volk voraus. Am Berg Sinai wird zwischen ihr und dem Volk ein Zaun
gezogen. Sie ist wie ein verzehrende Feuer, Tobende Urgewalt, wie Erdbeben usw.
Das weiß Israel, und deshalb bedarf es eines Mittlers, wie Mose oder des Hohen
Priesters an Jom Kippur. Es gehört zur Barmherzigkeit Gottes, wenn er den
Menschen nicht zu sehr nahen lässt an seine Wirklichkeit. Deshalb die Heilige
Distanz zwischen Gott und Mensch.
Von diesem Sachverhalt weiß auch das neue Testament zu sagen, 1. Timotheus
6, 16: "Gott, der da wohnt in einem Licht, da niemand zukommen kann".
Und Israel weiß auch, dass der Grund der Zerstörung des Tempels und Jerusalems
im Jahre 70, und damit verbunden alle Heimatlosigkeit, alle Rechtlosigkeit in
dieser Welt, fast 2 000 Jahre lang, die Sünde des Volkes war. "Um unserer
Sünde willen", heißt es in einem Gebet, "wurden wir aus unserem Lande
vertrieben und von unserem Boden entfernt, dass wir nicht mehr imstande sind,
unsere Pflicht zu erfüllen in dem Hause, das du erwählt hast, in dem großen und
heiligen Hause, über dem dein Name genannt wird." Wo Sünde herrscht, also
beherrschend wird, da wird sie wie ein Vorhang, wie eine Decke, die den Glanz
der Gegenwart Gottes für den Menschen verdunkelt. Da geht Heil verloren, und
Heillosigkeit breitet sich aus. Da ist es mit den Aussagen der Schechina zwar
ein wenig paradox, aber dieses Paradox löst sich auf in dem, der den Vorhang
zerrissen hat.
3. Die Bündnisse: "Beritot" steht hier im Hebräischen, wenn wir
es ins Hebräische hineinsetzen wollen aus dem Griechischen. Für den jüdischen
Glauben sind das mindestens zwei Bündnisse. Der Abrahamsbund,
1. Mose 12, und der Mosebund, 2. Mose 19. Für den an
Jesus glaubenden Juden Paulus aber kommt noch ein anderer Bund hinzu. Nämlich
der in Jeremia 31 verheißene, mit dem Kommen Jesu Christi angebotene und bei
seiner Wiederkunft sich vollendende neue Bund. Das tragende Element der
Bündnisse für den jüdischen Glauben und damit für Israel möchte ich am Mosebund verdeutlichen. Mit dem Mosebund
im Sinai gehört für das Glaubensbewusstsein Israels die Befreiung Israels aus
Ägypten unabdingbar zusammen. Die Rettung aus dem Tod Ägyptens zum Leben mit
Gott. Aber Gott befreite Israel nicht aus Ägypten, aus der Knechtschaft, um es
dann in eine grenzenlose Freiheit mit hinein zu entlassen, sondern um es an
sich zu binden. Das ist der Sinn des Bundesschlusses. Israels Befreiung,
Israels Freiheit ist also Israels Bindung an Gott, und nur die bedeutet für
Israel Leben.
Die Bindung Israels aber geschieht durch Gottes Wort. Aber Gottes Wort ist
nicht wie Menschenwort oder menschliches Geschwätz, das heute viel und morgen
nichts gilt. Gottes Wort ist wie er selbst, ewig gültig, von bleibendem Wert,
unveränderlich und nicht widerrufbar. "Ihr seid mein Volk. Ich habe euch
zu mir gebracht, ihr gehört mir. Ihr seid mein Eigentum vor allen
Völkern". Ihr seid mein, dass heißt Erwählung! Israels Erwählung, eine
bleibende Erwählung, unkündbar, und auch nie gekündigt! Gottes Liebe steht zu
seinem Volk und bleibt bei ihm. Wie konnte die Christenheit das übersehen oder
gar vergessen? Im Abrahamsbund hieß es: "Ich
will dich". Im Sinaibund über Mose heißt es: "Ich bin dein!" Das
heißt, Gott und Israel sind eins. Man kann und darf sie nicht voneinander
trennen, wer Gott meint, muss Israel meinen, und wer Israel meint, der wird
Gott suchen müssen. Im neuen Bund aber heißt es: "Ich will vergeben. Ich
will vergeben!"
4. Die Thora. Im Talmud heißt es: Schimon der Gerechte war von den Letzten
der großen Synagoge. Er pflegte zu sagen: "Auf drei Pfeilern steht die
Welt. Auf der Thora, das heißt auf dem Willen Gottes, dem Gottesdienst oder
Opferdienst und auf der Liebestätigkeit". Thora heißt im hebräischen nicht
Gesetz, sondern Weisung Gottes zum Leben, denn 3. Mose 18, 5: "Wer die
Worte der Thora tut, der wird durch sie leben". Deshalb gehört die Thora
zur Mitte des jüdischen Glaubens und Gottesdienstes. Denn, wie wir gehört
haben, gehört sie zur Liebeserklärung Gottes für Israel. Sie gehört zur Bindung
Israels an Gott und zur Bindung Gottes an Israel. "Ich bin der Herr dein
Gott". Deshalb sollst du keine anderen Götter neben mir haben, deshalb
sollst du dir kein Bildnis machen usw. Denn die Thora ist wie der Ring, den
Brautleute oder Eheleute an ihren Händen tragen.
Die Thora entstammt der Schechina, die wie eine Wolke den Berg verhüllt,
auf dem Mose die Thora für Israel empfing. Deshalb trägt die Thora den Glanz
der göttlichen Heiligkeit, ist Heil der Einwohnung Gottes. Deshalb lagen die
Gesetzestafeln als Zeichen dafür in der Bundeslade, und diese im
Allerheiligsten der Stiftshütte und im Tempel, dem Ort der Einwohnung Gottes.
Deshalb die Ehrfurcht frommer Juden und die ernste Scheu, sich der Thora zu
nähern. Deshalb verhüllen die Männer im Gottesdienst ihr Haupt mit dem Tallit,
dem weißen Tuch, wenn sie zur Thoralesung aufgerufen werden. Deshalb benutzen
sie beim Lesen der Schrift einen Stab, einen Zeiger, um mit dem Fleisch der
Vergänglichkeit ihrer Finger nicht die Heilige Schrift zu berühren, denn in der
Thora mit den heiligen Buchstaben tritt ihnen, wie sie meinen, die Wirklichkeit
Gottes entgegen. Und wer kann vor ihr bestehen?
Liebe Freunde, wenn wir das nicht verstehen, darin verstehen wir den
Apostel Paulus nicht. Darin verstehen wir nicht die paulinische
Theologie und nicht die wesentlichen Aussagen des neuen Testamentes, der
christlichen Botschaft. Denn das Christsein des Paulus beruht auf der
Erkenntnis von der Heiligkeit der Thora, und von Gottes Gegenwart mit der
Thora. Und auch von der Unfähigkeit des Menschen, sich der Thora im Heil zu
nähern. Hierfür steht auch die Geschichte von der Berufung des Jesaja, der die
Wirklichkeit Gottes vor dem Tempel erlebt und ausrufen muss: "Wehe mir ich
vergehe, denn ich bin unreiner Lippen", usw. Ich habe den Herrn gesehen.
Die Thora deckt Sünde auf. Sie brandmarkt meine Sünde und meine Verlorenheit
vor Gott. Mit der Thora kann der Mensch überhaupt nicht leben. Durch die Thora
kann er nur sterben. Das ist nach Paulus die Heilsfunktion der Thora, dass
durch sie erkannt werden kann, wie sehr der Mensch das Erbarmen, die Gnade
Gottes braucht, ohne unser Verdienst und Würdigkeit.
Damit sind wir beim 5. Heilsgut angelangt: der Gottesdienst. Israel weiß
es: die Thora zu leben heißt im Heil leben. Den in der Thora offenbarten Willen
Gottes der Welt vorzuleben, ist Israels Bestimmung. Damit wird Israel transparent,
durchsichtig für die Wirklichkeit Gottes, ist sein Zeuge vor den Völkern in der
Welt. Denn Gottesdienst heißt ja zuerst Gottes Dienst an uns, Gottes Dienst an
Israel, Gottes Dienst durch Israel für die Welt, für die Völker. Dass Israel
Gottes Wirklichkeit der Welt bezeugt, durch sein Leben und Vorleben, auch durch
sein Leiden und Vorleiden, ist Gottes Dienst an der Welt. Auch durch seine
Sünde und das Erbarmens Gottes über diese Sünde. Aber das alles gehört zum
Heilsgut Gottesdienst. Gottesdienst an Israel. In ihm bekennt Gott seine Liebe
zu seinem Volk. Und die dafür entsprechende Antwort ist die Liebe Israels zu
Gott, im gehorsamen Tun.
6. Die Verheißungen: Weil Gott Gott ist, ewig
unwandelbar, sich selbst treu und auch gegenüber seinem Volk, gilt dasselbe
auch für seine Verheißungen, Israel gegeben. Es ist hier nicht der Ort sie alle
aufzuzeigen und anzusprechen, aber soviel: Gottes Verheißungen begleiten Israel
durch seine Geschichte. Wir erfahren sie schon mit der Berufung Abrahams. Sie
werden zum Geleit für das Volk auf seinem Wege. Es gab Zeiten, da leuchteten
sie auf in Israels Geschichte, wie einst die Feuersäule, die Schechina in der
Wüste. Und es gab Zeiten, da verdunkelten sie sich, wurden verdeckt von Wolken
des Leides und auch des Zornes und des Gerichtes Gottes. Es gab Zeiten, da
geschah Erfüllung vor den Augen Israels, die Bestätigung der Treue Gottes zu
seinem Wort. Und es gab Zeiten, da man in dunkler Ausweglosigkeit sich nur noch
an die Hoffnung klammerte: "Du hast gesagt, du wirst uns nicht verlassen.
In Ewigkeit wirst du uns nicht preisgeben". Denn alle Verheißungen Gottes
sind Garantieerklärungen Gottes für sein Volk. Sie gelten seiner Beständigkeit
und Treue, sie gelten seinem Erbarmen, auch über die Untreue seines Volkes. Sie
gelten der Überwindung von Sünde und Schuld, sie gelten seiner Liebe, auch bei
aller Lieblosigkeit, die ihm immer wieder von Israel gezeigt wurde. Sie gelten
deshalb der Existenz Israels, seinem Heimat- und Wohnrecht in dieser und der
zukünftigen Welt. Sie gelten seinem Segen, der auf Israel ruht, manchmal
deutlich sichtbar, oft auch verborgen und verdeckt. Und sie gelten der
Vollendung Israels, und durch Israel auch der Vollendung dieser Welt. Und diese
Vollendung heißt Heil und nicht Unheil, heißt Leben und nicht Tod, heißt
erneuerte Gemeinschaft Gottes mit der Menschheit in ungetrübter Vollkommenheit,
in der Sünde und Schuld des Menschen vor Gott nicht mehr existieren. Das ist
das Ziel der Geschichte Israels, und damit ist das letzte Heilsgut
angesprochen:
7. Die Väter. Abraham, Isaak und Jakob, sie gelten für Israel nicht nur der
Tatsache, dass mit Israels Geschichte begann, sondern dass es Gottes Geschichte
mit Israel ist und bleibt. An ihnen wird im jüdischen Volk vor Augen geführt,
was Berufung heißt, Führung und Treue Gottes, Segen und auch Erbarmung. An
ihnen wird aufgezeigt, was Glaube ist und sein soll, die totale Hingabe in die Wirklichkeit
Gottes hinein, im totalen Gehorsam und totalen Vertrauen. "Da zog Abraham
aus...", seitdem ist Israel unterwegs, seitdem ist Israel herausgerufen,
herausgelöst aus den Völkern. Man kann nicht mehr sein wie sie. Es hat unter
ihnen nicht mehr den Platz, den sie einnehmen. Es lebt in einer anderen
Wirklichkeit als sie, und einer anderen Wirklichkeit entgegen. Dass Ziel dieses
Unterwegsseins heißt aber nicht nur Kanaan, sondern gilt der zukünftigen Welt,
für die Kanaan nur ein vorläufiges Gleichnis ist. Wir Christen sind da mit den
Juden auf dem gleichen Wege. „Wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die
zukünftige suchen wir.“ Und für die zukünftige Welt, für das von Gott geplante,
gewollte und verheißene Heil steht der Messias als Vollender der Geschichte
Israels und der Welt. Alle Geschichte Israels, alle von Gott gegebenen, Israel
anvertrauten und garantierten Heilsgüter haben den Messias zum Ziel. Ohne den
Messias, der Israel in die Vollendung führen wird, hätte die Geschichte Israels
keinen Sinn. So auch die von Paulus angesprochenen Heilsgüter, deren Leitlinien
sich alle auf den Messias hin bündeln wie in einem Brennpunkt und dort
aufleuchten, zu einem Licht werden, von dem Paulus vor Damaskus überwältigt
wurde, und was bei ihm „Erkennen“ hieß. Dann aber konnte er nicht mehr anders,
als für diese Erkenntnis zu leben, auch gegenüber Israel, nicht nur den Heiden
gegenüber. "Es ist mein Herzenswunsch, dass sie gerettet werden".
So enden die Heilsgüter dort, wo die Geschichte Israels mit den Vätern
angesprochen wird, mit der Aussage, die für Paulus erfahrene Wirklichkeit ist;
jedoch für die Mehrheit seines Volkes Ärgernis bedeutet: "...aus denen
auch Christus her kommt nach dem Fleisch, der da ist Gott über alles, gelobt in
Ewigkeit, Amen". Ich weiß, dass man diese Stelle auch anders übersetzen
kann, so dass ihr das Ärgernis für jüdische Ohren genommen wird, (das ist ja
heute so schick geworden) aber wer Paulus und alles, was er geschrieben hat, kennt,
wer seine Theologie verstanden hat, der wird sich entscheiden für: "der da
ist Gott über alles".
Meine lieben Freunde, hier ist ein Punkt. Eigentlich gehört da ein
Doppelpunkt hin, denn jetzt müsste ich aufzeigen, wie sich diese Heilsgüter
alle bei Jesus bündeln, und wie das neue Testament davon voll ist von diesen
Aussagen. Wir können das neue Testament, das Evangelium- nicht verstehen, wenn
man nicht den jüdischen Glauben kennt. Und wir würden unser Christsein besser
verstehen, viel besser, auch in seiner Tiefe, wenn wir die Juden besser verstehen
würden in ihrem Glauben. Ich danke Ihnen. Punkt.