Ein Widerspruch in der Bibel?
von Alexander Seibel

„Und er warf die Siberlinge in den Tempel, ging fort und erhängte sich.“
Matthäus 27, 5

Gibt es tatsächlich Widersprüche in der Bi­bel? Spricht man das Thema an, wird der Tod des Judas genannt. Einmal heißt es, dass er hinging und sich erhängte (Matthäus 27, 5). Dann erwähnt Petrus, wie er vorn­über fiel und zerriss und seine Eingeweide ausgegossen wurden (Apostelgeschichte 1, 18). Auch sich als evangelikal bezeichnende Bibellehrer zitieren immer wieder diese Begebenheit, um ein wörtliches Verständnis der Bibel als intellektuell unredlich zu klassifizieren.

 

Ein Harmonierungsversuch

Doch was ist nun tatsächlich geschehen? Riss der Strick, an dem sich Judas erhäng­te, und fiel er dann so unglücklich, dass er zerbarst? Dieser Harmonisierungsversuch wird milde belächelt. Die Sache ist anders zu erklären: Zur damaligen Zeit gab es eine Vorschrift, die besagte: Wenn jemand während der hohen Feste Israels in Jerusa­lem unter diesen Umständen zu Tode kam, müsse dessen Leichnam sofort entfernt

werden, indem man ihn über die Mauer warf. Nun hatte mit dem Passahfest eines der wichtigsten Feste überhaupt begonnen. Jerusalem, die heilige Stadt, durfte nichts Unreines dulden.

 

Alles Unreine entfernen

Es heißt in Johannes 11, 55: „Es war aber nahe das Passahfest der Juden; und viele aus der Gegend gingen hinauf nach Jerusalem vor dem Fest, dass sie sich rei­nigten." Da die Priester die Lämmer zere­moniell zu schlachten hatten, mussten sie kultisch rein sein. Alles Unreine war des­wegen so schnell wie möglich zu entfer­nen; besonders Leichname, da man durch Berührung eines Toten für sieben Tage unrein war (4. Mose 19, 11). Wer also durch solch einen Kontakt verunreinigt war, konnte am Passahfest nicht mehr teilnehmen. Die lange Reise nach Jerusa­lem war dann umsonst. Man warf also den Leichnam sogleich über die Stadt-

mauer. Allerdings war es nur gestattet, den Toten in Richtung Ben Hinnomtal, wo man den Unrat sammelte, zu entfer­nen. Apostelgeschichte 1, 18 sagt, jemanden „kopfüber machen", also herunterwerfen. Damals bedeutete dies einen Fall aus 40 m Höhe. Jerusalem war berühmt für seine hohen Mauern. Nach Abschluss der Feierlich­keiten wurden die sterblichen Überreste aufgelesen und nach jüdischer Tradition beerdigt. Nun hatte sich Judas zu Beginn dieses hohen Festes in Jerusalem erhängt. Sein Leichnam wurde sofort entfernt, in­dem man ihn in dieses Tal hinabstürzte. Dabei ist sein Leib zerrissen, wie Petrus es schildert.

 

Jedermann wusste es

Da damals jedermann wusste, wie solche Toten beseitigt wurden, gibt sich der Apo­stel keiner Mühe hin, für uns diesen Sach­verhalt zu erklären. Es gibt also hier keinen wirklichen Widerspruch in der Bibel.

 

Alexander Seibel


Erschienen am: 14.01.2009 (idea spektrum)