J Der Rebell L auf der Ritterburg 4 / mT l ' in ■ ('Äk «Lj | ^ < |k \Sa ) Ai L • .]11 8 msm Jj [f rM I i ßr i * Un A 4 BTifk 'Jt: '• "^vj a:i Iräj Der Rebell auf der Ritterburg : Martin Luther, der Mann, der die Bibel übersetzte / von Ben Alex. III. von Giuseppe Rava. [Aus dem Engl, von Albrecht Schmidt], -Bad Liebenzell : Verl, der Liebenzeller Mission, 1996 (TELOS-Bücher; Nr. 3973 : TELOS-Kinderbuch) Einheitssacht.: Martin Luther ISBN 3-88002-580-0 NE: Alex, Ben; Rava, Giuseppe; Schmidt, Albrecht [Übers.]; EST; GT Der Rebell auf der Ritterburg Martin Luther Der Mann, der die Bibel übersetzte © Copyright 1994 by Scandinavia Publishing House, Kopenhagen/Dänemark Originaltitel: Martin Luther-The German Monk Wo Changed the Church © Copyright 1994 am englischen Text by Ben Alex Illustrationen von Giuseppe Rava Graphikdesign, art direction and illustration/photos research by Ben Alex Fotos provided by Hans Peter Mogensen Aus dem Englischen von Albrecht Schmidt ISBN 3-88002-580-0 TELOS-Bücher TELOS-Kinderbuch 73973 Alle Rechte Vorbehalten, auch der fotomechanischen Wiedergabe © Copyright 1995 der deutschen Ausgabe by Edition VLM im Verlag der St.-Johannis-Druckerei Umschlaggestaltung: Grafisches Atelier Arnold, Dettingen/Erms Satz: St.-Johannis-Druckerei, 77922 Lahr (Schwarzwald) Inhalt: Seite 2 Ein verschüchterter Junge 29 Der Anschlag an der Kirchentür 4 Europa verändert sich 30 Nach Rom beordert 6 Fürst, Kaiser und Papst 31 8 Luther weigert sich Ein seltsamer Bettler zu widerrufen 8 Luthers Kindheit 34 Luthers Feinde 10 Glückliche Tage in 35 Der Triumphzug Eisenach Luthers 12 F4ohe Ziele für Martin 37 Vor dem Kaiser 12 13 Die Krone des Lernens 40 Drei wichtige Bücher von Luther Ein furchtbarer Gewittersturm 41 Entführt! 16 18 Martin wird Mönch 43 Gefangener auf der Wartburg Auf der Suche nach Gott in einer Mönchszelle 44 Eine feste Burg... 20 Martin wird Priester 44 Luthers späteren 22 Luthers erste Zweifel 46 Jahre 23 Luthers Ehefrau: Luther als Professor Katharina 24 Die dunkle Nacht der 48 Wichtigste Daten Seele in Luthers Leben 26 Tetzeis Kiste 48 Literaturverzeichnis 29 Luther geht an die 49 Deutschland zur Öffentlichkeit Zeit Luthers Martin Luther Der Mann, der die Bibel übersetzte 1483-1546 Große Männer und Fl auen haben es nicht nötig, von uns gelobt zu werden. Wir sind es, die es nötig haben, sie kennenzulernen. 'tratfonbr, r [ MuT ■* v o ■ i m 1 4%fL\ _ mvin Ein verschüchterter Junge Vor ungefähr 500 Jahren saß ein einfacher Landjunge zwischen seinen Eltern in der Kirche von Mansfeld. Der Junge war von gedrungener Statur mit lebendigen, dunklen Augen, die unter einem dichten Haarschopf hervorschauten. Wie seine Eltern und andere Pächter und Bergarbeiter, war er mit einfachen Kleidern angezogen. Martin beobachtete, wie sich der Priester am Hochaltar langsam zur Gemeinde umwandte, den silbernen Abendmahlskelch und den Teller mit den Hostien hochhaltend. Martin dachte, der Priester sähe wie ein fürchterlicher Engel des Herrn aus. Er war ganz froh, daß er auf der Kirchenbank sitzen bleiben konnte, als seine Eltern ne gingen, um die Heilige als Buße für ihre »Hoc est corpus Christi« - das ist der Leib Christi- sagte der Priester, als er die kleinen, runden Hostien an die Gemeinde austeilte, die vor dem Altar kniete. Aber Martin kam es vor, wie wenn er »Hokus Pokus« sagte. Das Ganze schien dem zwölfjährigen Martin mehr eine magische Handlung zu sein. Irgendwie hatte es der Priester doch tatsächlich geschafft, diese kleine Hostie in ein Stück von Jesu Körper zu verwandeln! Martin fragte sich, wie das Ding wohl aussieht und wie es wohl schmeckt, das der Priester da in den Mund seiner Mutter gesteckt hat. Was würde passieren, wenn sie es aus Versehen verschluckte? Martin schaute am Hochaltar hinauf und erschauderte. Über dem Hochaltar war ein goldenes Dreieck mit dem Auge Gottes in der Mitte zu sehen - das tadelnde Auge, dem er nie entrinnen würde. Was ist denn das eigentlich für ein Gott? Warum hat er eigentlich seinen eigenen Sohn geopfert und Stücke von ihm um die halbe Welt gesandt, so daß die Menschen Sonntag um Sonntag ein Stück davon verspeisen können? Wenn Gott seinen eigenen Sohn auf solch schreckliche Art und Weise quält, wie würde er dann jemanden wie Martin behandeln, der so viele böse Sachen macht, daß ihm seine Eltern und seine Lehrer mehrmals in der Woche den Hintern versohlen müssen? Martin fühlte Haß gegen Gott in sich hochsteigen. Er fürchtete sich auch vor ihm. Martin wußte gar nicht, was er von Gott halten sollte. Das einzige, was er mit Sicherheit wußte, war, daß er ein böser junge war. Er wußte, daß er jemand brauchte, der ihm half, der Hölle zu entfliehen und in den Himmel zu kommen. Gott war hart -und sehr weit weg. Er konnte nicht mit seiner Hilfe rechnen. Jesus, Gottes Sohn, war der gerechte Richter aller Menschen. Martin konnte sich nicht vorstellen, daß er mit Gnade von ihm rechnen konnte. Und dann war da noch Maria, die Mutter von Jesus. Sie kam ihm aber zu heilig und rechtschaffen vor, als daß er mit ihrer Hilfe rechnen konnte. Seine einzige Hoffnung schienen die Heiligen Das späte Mittelalter war eine Zeit der Entdeckungen und Abenteuer, aber die Seele der Menschen war beherrscht von Aberglaube und Furcht vor dem Bösen. zu sein, ganz besonders die Hl. Anna, die Mutter von Maria. Sie war auch die Schutzheilige aller Bergleute, und Martins Vater war Bergmann. Vielleicht würde die Hl. Anna bei Gott ein Wort für Martin einlegen. Martin schaute sich die anderen Gemälde an den Kirchenwän-den an und wurde noch entmutigter. Da gab es Mönche und sogar Bischöfe, die von Monstern und Vampiren im Fegfeuer gequält wurden. Teufel mit riesigen Krallen und Dreizacken schleppten die Menschen in die Hölle. Da sah man Heilige, wie sie mit riesigen Schwertern für ihren Glauben an Gott enthauptet wurden. An der Decke sah er ein Bild von Christus auf einem Regenbogen und um ihn herum Engel mit Trompeten. Aus dem rechten Ohr von Christus wuchs eine Lilie, aus seinem linken Ohr kam ein Schwert. Martin wußte, daß die Lilie Gnade und Erlösung bedeutet, das Schwert jedoch Gericht und Verdammnis. Wie könnte er nur die Lilie erhalten, das Schwert jedoch vermeiden? Darüber dachte er den ganzen Gottesdienst hindurch nach. Europa verändert sich Martin Luther wuchs in einer Periode großer Veränderungen während des Übergangs vom Mittelalter zur Renaissance auf. Für über tausend jahre war Europa nun schon von einer sehr reichen römisch-katholischen Kirche regiert worden. Jedermann, der etwas gegen die Politik der römisch-katholischen Kirche zu sagen wagte, riskierte es, auf dem Scheiterhaufen verbrannt zu werden. Die einzige Hoffnung, ein einigermaßen ruhiges und sicheres Leben zu führen, war für die Menschen damals, den Herren der Kirche zu gehorchen und geduldig daraufzu warten, in den Himmel zu kommen. Um die Zeit herum, als Luther geboren wurde (1483), hatte die Kirche besonders große Probleme. Sie war mehr oder weniger bankrott - ausgeraubt von ihren eigenen Führern. Außerdem ging ihre Macht zurück. Kaiser, Fürsten und Edelleute beherrschten das Land und drangen in den Einfluß- bereich der Kirche vor. Staatliche Universitäten brachen das kirchliche Bildungsmonopol. Künstler wie Leonardo da Vinci und Michelangelo. Gelehrte und Wissenschaftler wie Erasmus von Rotterdam beeinflußten die Denkweise der damaligen Welt ganz gewaltig mit ihren neuen, fast schon revolutionären Ideen. Abenteurer erforschten die Welt weit über die Grenzen hinaus, die die Kirche schon Jahrhunderte vorher als ihre Enden festgelegt hatte. Als Luther fünf Jahre alt war. umrundeten die Portugiesen zum ersten Mal den südlichen Zipfel von Südafrika, das Kap der Guten Hoffnung (1488). Damit wurde der Seeweg nach Asien eröffnet. Als Luther neun Jahre alt war. überquerte Christoph Columbus den Atlantik und entdeckte damit den amerikanischen Kontinent. Diese und viele andere Entdeckungen zeigten ganz klar, daß die damalige Kirche in vielen wissenschaftlichen Bereichen falsch lehrte. Die Erde war eben einfach keine Scheibe, wie die Kirche damals lehrte. Genausowenig war sie Zentrum des Universums, wie die Kirche den Menschen glauben machen wollte. Dieses neue Wissen verbreitete sich dank einer neuen Erfindung rasend schnell: Gutenbergs Buchpresse (1450). Aber den jungen Luther interessierten die neuesten wissenschaftlichen oder künstlerischen Errungenschaften nicht: Er war im einfachen Volk aufgewachsen und war vollauf damit beschäftigt zu überleben, gegen Krankheit und Armut anzukämpfen, wie alle anderen auch. Er hatte einen gewitzten Verstand und eine neugierige Natur, aber genauso glaubte er auch an die Traditionen und Lehren der römischen Kirche. Sein persönliches Studium im Wort Gottes jedoch änderte seine Ansichten über die Kirche mit der Zeit aber doch. Sein Glaube und seine Lehre wurden durch die Buchpresse dann schnell im ganzen Volk verbreitet und beeinflußten die Kultur und Politik zu seiner Zeit ganz gewaltig. Martin Luther beeinflußte den Lauf der Kirchengeschichte wie niemand zuvor. Fürst, Kaiser und Nachdem er erst aus der Kirche draußen war, fühlte Martin sich gleich besser. Die grünen Hügel Thüringens standen gerade in ihrer ganzen Pracht. Er konnte die feuchte, warme Erde riechen und die warme Sonne genießen. Oben, am klaren Himmel, besang eine Lerche freudig den Frühling und lobte ihren Schöpfer. Die Schwalben zogen nordwärts nach Skandinavien. Sie waren gerade von Afrika zurückgekommen, wo sie den Winter verbracht hatten. »Herr, sehen Sie nur!« rief Martin aufgeregt und zeigte auf das Schloß außerhalb von Mansfeld. Gerade in diesem Augenblick öffnete sich das schwere Eisentor und heraus ritt ein Edelmann, der Graf von Mansfeld, »Zieh deine Mütze, das ist der Graf von Mansfeld!« flüsterte ihm sein Vater Der Graf und sein Gefolge galoppierten an ihm vorbei und scheuchten dabei einen Hasen auf. »Guten Tag, Hans Luther!« rief ihnen der Graf zu, als er an ih- nen vorüberritt. »Herr, kennen Sie den Grafen?«, wollte Martin von seinem Vater wissen. »|a, da staunst du, ich kenne den Grafen. Und du wirst ihn auch noch kennenlernen, wenn du so wirst wie ich. Du wirst vielleicht sogar Aufseher über die Kupferminen des Grafen!« »Herr, wer ist noch wichtiger als der Graf?«, fragte Martin seinen Vater, »der Kaiser?« »Nun, das ist so: der Graf ist unter dem Kurfürsten Friedrich von Kursachsen, dann kommt Kaiser Maximilian, der Herrscher über das ganze Heilige Römische Reich.« »Und dann kommt der Papst, der ist über dem Kaiser, oder?« »Nein, der Papst ist der Herr der Kirche, und der Kaiser ist Herr über die Welt.« »Wir müssen beiden gehorchen, stimmt's?« bohrte Martin weiter. »ja«, nickte Hans, »wenn wir dem Papst nicht gehorchen, werden wir von der Kirche ausgeschlossen, und das bedeutet. daß wir die Ewigkeit in der Hölle zubringen müssen. Ungehorsam dem Kaiser gegenüber zieht aber auch schwere Strafe nach sich und oft sogar den Tod. Da. schau nur mal da rüber!« rief Martins Vater und zeigte auf die Galgen, die an der Seite des Marktplatzes standen. Martin erschauderte: An einem der Galgen hing immer noch der leblose Körper eines Bauern. Martin erinnerte sich auch an die Pfahle auf dem Marktplatz. an denen die Leute oftmals tagelang an Füßen und Händen angekettet wurden. »Siehst du«, sagte Hans, »deshalb müssen die Kinder lernen, ihren Eltern zu gehorchen, sonst könnte der Graf kommen und dich ins Verlies stecken!« Ein seltsamer Bettler Eines Tages, als Martin schon fast 14 Jahre alt war, kam sein Vater von der Arbeit am Schmelzofen heim und sagte zu Martin: »Sohn, du bist ein gewitzter Junge, ich glaube, du brauchst eine gute Schulausbildung, so daß du, anstatt ein Bergmann zu werden, ein Gelehrter wirst. Ich möchte, daß du Jurist wirst, dann kannst du deine Mutter und mich in unseren alten Tagen einmal unterstützen.« Martin strahlte, als sein Vater hinzufügte: »Es wird Zeit, daß wir dich auf eine bessere Schule schicken. Es ist bereits ausgemacht, daß du die nächsten Semester bei den Brüdern vom gemeinsamen Leben in Magdeburg verbringst!« Eine Woche später verabschiedete er sich schon von seinen Eltern und seinen jüngeren Geschwistern und begann die Reise nach Magdeburg, das etwa 70 km entfernt liegt. Mit ihm ging sein Freund Johannes. Martin gefiel es in seiner neuen Schule. Die Lehrer hier waren nicht ganz so hart wie die in Mansfeld, und schon bald machte er Fortschritte in seinen Studien. Die Lehrer waren hocherfreut von seinem Lerneifer. Eines Tages, als er und sein Freund Johannes nach der Schule um Lebensmittel bettelten (wie es so in dieser Schule üblich war weil es eine Franziskanerschule war und die Franziskaner Bettelmönche waren), bemerkten sie einen einsamen Bettler, der die Straße entlangschlurfte und um Lebensmittel bettelte. Der Bettler bestand nur aus Haut und Knochen - ein gebeugtes Skelett in einer Mönchskutte. Martin hielt erstaunt an: »Wer ist denn das?« »Oh, das ist Wilhelm von Anhalt«, antwortete ein Passant. »Wilhelm war Luthers Kindheit ch bin der Sohn eines Bauern«, sagte Luther immer wieder. Luthers Urgroßeltern und seine Großeltern waren alle Bauern gewesen. Weil aber Hans Luther nicht der Jüngste in seiner Familie gewesen war, hat nicht er den Hof bekommen, sondern der Jüngste. Deshalb ging Hans Luther in die Stadt, um dort sein Glück in den Kupferminen zu suchen. Er wurde zu einem hart arbeitenden Bergmann, der sich Luthers Geburtshaus in Eisleben schließlich selbst zwei Minen kaufen konnte. Zu dem Zeitpunkt, als sich sein Sohn entschloß, Mönch zu werden, gehörte Hans schon zu den Wohlhabenden. Hans und Margaretha Luther hatten mindestens fünf Kinder. Die Eltern waren sehr streng und straften ihre Kinder schon für das kleinste Vergehen. Einmal nahm Martin eine Nuß, ohne gefragt zu haben. Dafür bekam er dann von seiner Mut ter Stockhiebe, bis das Blut kam. »Obwohl sie es gut meinten, waren es Bestrafungen wie diese, die mich schließlich ins Kloster trieben«, sagte Luther später ein- ein wohlhabender Fürst, aber er gab les auf, um Mönch zu werden und Gott zu suchen. Er ist ein sehr heiliger Mann. Er fastet und betet, wenn er nicht gerade um Nahrung für seine Mitmönche bettelt.« Martin schaute dem Mönch lange nach, als der die Straße entlangschlurfte. Dann sagte er zu Johann: »Ich wünschte, ich wäre so heilig wie Wilhelm von Anhalt. Vielleicht würde mich Gott dann lieben, wenn ich so heilig wäre wie Fürst Wilhelm.« mal. Hier fand er das Gleichgewicht zwischen Härte und Gnade, das er so sehr suchte. Einige von Luthers Biographen vermuten, daß seine Argumente gegen die katholische Kirche wohl in Verbindung standen mit den harten Strafen. die er zu Hause erhielt. Auf jeden Fall können wir aber auch annehmen, daß Luther von seinen Eltern die Liebe erhielt, die ihm ein starkes Selbstbewußtsein gab und ihn befähigte, die Kirche zu reformieren. Luthers Eltern: Hans und Margaretha Luther. Gemalt von seinem Freund Lucas Cranach. Glückliche Tage in Eisenach Ein Jahr ist mittlerweile schon wieder vergangen. Martins Vater sandte ihn auf eine noch bessere Schule, aber auch noch weiter weg von zu Hause! Zuerst war Martin traurig, seine Freunde in Magdeburg verlassen zu müssen. Aber in Eisenach fand er schnell neue Freunde, und ... er mußte nicht mehr für sein Essen betteln gehen! Sein Vater konnte es sich mittlerweile leisten, ihm Schulgeld sowie ein kleines Taschengeld zu bezahlen. Außerdem hatte er mit Verwandten abgemacht, daß sie ab und zu nach Martin schauen würden. |WS Die Lateinschule an der St. Georgskirche war keine gewöhnliche Schule! Die Schüler hier lernten nicht aus Angst vor Strafe, sondern weil sie lernen wollten. Der altehrwürdige Rektor, Meister Trebonius, nahm im Klassenzimmer sogar sein Gelehrtenkäppi ab und sprach die Schüler mit »Herr« an. Von den anderen Lehrern verlangte er dasselbe. Immer wieder sagte er: »Die Schüler hier auf diesen Bänken sind unsere zukünftigen Beamten, Bürgermeister, Doktoren und Gelehrten.« Martin blühte in dieser neuen Umgebung auf. Mittlerweile hat er schon die lateinische Sprache gemeistert und macht auch schon im Literaturunterricht und in f - M ' -Äak T ' iS ±2 C 6h- den Sprachen Fortschritte. Bei einem Empfang zu Ehren eines sie besuchenden Professors durfte Martin die hochoffizielle Begrüßungsrede halten. »Behalte diesen Jungen da im Auge!« flüsterte der ehrwürdige Besucher dem Meister Trebonius ins Ohr, »bereite ihn gut auf die Universität vor. Der wird’s noch zu was bringen im Leben!« Frau von Cotta vergab an Martin kostenlos ein Zimmer inklusive drei Mahlzeiten, dafür, daß er ihrem kleinen Sohn Nachhilfeunterricht gab. Musiker, Künstler sowie ernste Priester waren regelmäßige Besucher im Flaus von Frau von Cotta. Martin lernte viel aus diesen Unterhaltungen, die die Besucher führten. Er lernte sogar die Flöte zu spielen. Nach drei Jahren marschierte er wieder nordwärts, um seine Eltern in Mansfeld zu besuchen. Nachdem er die Stadttore von Eisenach hinter sich gelassen hatte, drehte er sich noch einmal um und tat einen letzten Blick auf diese schöne Stadt mit dem glitzernden Elbfluß und der Wartburg hoch am Felsen darüber. Still dachte er bei sich, daß ihm diese Stadt hier wohl immer die liebste Stadt bleiben werde. Hohe Ziele für Martin begüterten Familie gesprochen . . .« Hans und Margaretha Luther waren überglücklich, als sie ihren ältesten Sohn wiederhatten. Wie groß war er doch geworden! Und seine Stimme klang jetzt so erwachsen! Wie er ihnen doch so gescheit vorkam! Hans hatte jetzt genauso Respekt vor Martin, wie er immer von Martin verlangt hatte. »Herr«, sagte er mit Stolz in seiner Stimme, »Sie kommen mir jetzt vor wie ein richtiger Gelehrter!« Dann gab er Martin ein ganz besonderes Geschenk: einen kompletten Satz Jurabücher, genannt Corpus Juris Civillis! Als er das erstaunte Gesicht seines Sohnes sah, fügte er hinzu: »Die wirst du brauchen können, wenn du auf die Universität in Erfurt gehst.« »Und noch was«, fügte seine Mutter hinzu, »du brauchst eine gute und begabte/rau. Wir haben schon mit einer Die Krone des Lernens Erfurt war eine schöne und wohlhabende Stadt etwa 85 km südlich von Mansfeld. Erfurt lag eingebettet in eine wunderbare Hügellandschaft, bedeckt von Obstwiesen und Weingärten, saftigen Wiesen und gelben und braunen Äckern mit Safran und Flachs. In der Mitte dieser wunderbaren deutschen Landschaft lag Erfurt mit seiner berühmten Universität. Als Student durch die Stadttore von Erfurt zu schreiten, hieß in das verheißene Land der Bildung einzutreten. Zu Martins Zeit erschienen andere Universitäten wie Grundschulen verglichen mit Erfurt. Nach vier weiteren Studienjahren in Erfurt erhielt Martin den »Magister Artium«. Martin, der als zweitbester abschloß, wurde von seinen Freunden »Philosoph« genannt. »Noch ein paar weitere Jahre harten Studiums, und die Welt wird mir zu Füßen liegen«, dachte Martin, »Vater und Mutter werden stolz auf mich sein können!« Aber dann passierte etwas, was Martins Karriere in eine von Grund auf andere Richtung lenken und die Träume seiner Eltern zerstören würde. Ein furchtbarer Gewittersturm An einem schwülen Julinachmittag im Jahre I 505. als Martin von einem zehntägigen Besuch von seinen Eltern zurück nach Erfurt ging, wurde er von seinen ganzen Kindheitsängsten vor einem furchtbaren Gott und dem Tod überwältigt. Es hatte bereits eine Serie von dunk len Ereignissen in seinem jetzt 21 jährigem Leben gegeben. Die Pest hatte in Erfurt zugeschlagen. Gerade vor kurzem waren ein guter Freund und viele andere Menschen an Fleckfieber gestorben, alle hinter Türen, an denen schwarze Kreuze aufgemalt waren. Martin selbst wäre beinahe an einem Unfall mit seinem Schwert gestorben. Er fühlte sich furchtbar, voller Angst vor einem ärgerlichen und strafenden Gott. Solche Ängste waren im Mittel-alter weit verbreitet, wohl am meisten verursacht durch die Lehren der römisch-katholischen Kirche, wo auch Martin seine ersten Unterweisungen im Glauben erhalten hatte. Um die einfachen Gläubigen in Abhängigkeit zu halten, verstand es die Priesterschaft, größte Ängste vor dem Leben nach dem Tod zu wecken. Die Sakramente und die Beichte waren das einzige, was den Menschen Hoffnung schenkte. Die Lehre vom Fegfeuer als einem Ort zwischen Himmel und Hölle für jene, die einerseits nicht schlecht genug für die Hölle waren, aber andererseits auch nicht gut genug für den Himmel, nährte die Furcht vor dem Tod noch mehr. Die Kirche lehrte, wenn man Ablaß zahlte und zu den Heiligen um Fürbitte betete, bräuchte man nicht so lange im Fegfeuer schmoren. Auf einmal kam ihm das Bild des fürstlichen Bettelmönchs in den Sinn. Wie könnte Martin es schaffen, daß er in den Himmel käme und nicht ins Fegfeuer, wenn er stürbe? Urplötzlich wurde Martin in seinen Gedanken unterbrochen! Der Himmel war ganz schwarz ge- worden. Der Regen strömte nur so, das Unwetter war mit aller Macht losgebrochen. Ein Blitz schlug in einem nahen Baum ein und spaltete ihn in der Mitte entzwei. Todesangst war in seinen Augen zu lesen, als Martin nach einem Unterschlupf suchte. Ein anderer Blitzschlag warf ihn zu Boden. Er dachte, der zornige Gott habe ihn zu Boden geschleudert. In panischer Angst schrie Martin aus: »Heilige Anna, steh mir bei! Wenn du mich rettest, verspreche ich dir, daß ich ein gottesfürchtiger Mönch werde!« i I Martin wird Mönch Martin hat diesen Sturm überlebt, und er hat seinen Schwur gehalten. Zwei Wochen nach diesem fürchterlichen Erlebnis verließ er die Universität, um ins Kloster zu gehen. Alle seine Freunde versuchten, ihn von diesem Vorhaben abzubringen, aber es war zwecklos. Martin gab auch gleich seine Corpus Juris-Bücher her und schrieb einen Brief an seinen Vater, um seinen Schritt zu erklären. Martin war sich seiner Sache gewiß. Er wollte Mönch werden und den dreifachen Eid der Keuschheit, Armut und des Gehorsams gegen Gott und die Kirche ablegen. Am Morgen des 17. Juli 1505 schlossen sich die Tore des Augustinerklosters hinter ihm! Am selben Tag wurde er schon als Novize ins Kloster aufgenommen. »Bist du dir bewußt, was diese Entscheidung für dich bedeutet?« fragte ihn der Prior. Dann fügte er schnell noch hinzu: »Hier einzutreten bedeutet Armut, rauhe Kleidung, kümmerliche Nahrung und Betteln ums tägliche Brot! Es bedeutet, sich selber zu sterben, sich jeglicher weltlicher Lüste zu enthalten, nachts im Gebet zu wachen und harte Arbeit am Tage, tägliche Beichte, andauerndes Gebet und die Einsamkeit des klösterlichen Lebens.« »Bist du gewillt, solche Lasten auf dich zu nehmen?« »Ja, mit Gottes Hilfe, so wie er mir Kraft dazu gibt!« antwortete Martin. Dann wurde Martin eine Tonsur rasiert. Darauf mußte er seine feine Kleidung ausziehen und das harte, kratzige Gewand eines Mönchs anziehen. Auf der Suche nach Gott in einer Mönchszelle Das Leben im Kloster war schwieriger, als Martinas sich vorgestellt hatte. Nicht nur, daß er die schwierigste Arbeit vom ganzen Kloster zugeteilt bekam, er mußte auch lernen, mit dem Mißtrauen und den Eifersüchteleien der Mönche zu leben, die weniger gebildet waren als er und die auch nicht so eifrig darauf bedacht waren, Gott zu dienen. Aber mit ganzem Herzen gab sich Bruder Martin dem Leben im Kloster hin. Er hungerte und verbrachte Stunden hingestreckt auf dem harten, kalten Steinboden mit ausgestreckten Armen in der Form eines Kreuzes. Nachts warf er die Bettdecken von sich und fror, bis er endlich einschlief. jeden Morgen stand er schon um 2 Uhr auf, um seine ersten Gebete zu verrichten. Tag und Nacht grübelte er seinen vergangenen Sünden nach, und er verbrachte Stunden damit, sie seinem Prior zu beichten. Aber obwohl er so dar- »Ich war ein guter Mönch, und ich befolgte die Ordensregeln dermaßen genau, daß ich behaupten kann, wenn jemals ein Mönch durch sein Mönchtum in den Hirn-..M mel gekommen wäre, dann wäre ^ ich das gewesen.« um kämpfte, Gott zufriedenzustellen, zog kein Frieden in sein Herz ein. Eines Tages, als der Rektor des Augustinerordens, Dr. Staupitz, das Kloster besuchte, nahm er Martin beiseite und ging mit ihm in den Garten. »Bruder Martin«, fing Dr. Staupitz an, »du machst es dir zu schwer. Du kannst Gott nicht zufriedenstellen, indem du versuchst, perfekt zu werden. Alles, was du tun mußt, ist Gott zu lieben.« »Ihn lieben?« rief Martin aus. »Wie kann ich einen Gott lieben, der wütend auf mich ist?« Der alte Rektor legte sanft einen Arm um Martin und tröstete ihn: »Gott ist nicht wütend auf dich. Im Gegenteil, es ist so, daß du auf ihn wütend bist. Du versuchst Sünde in dir zu finden, anstatt daß du ihm den ans Kreuz geschickt hat.« Dann fügte er hinzu: »Bruder Martin, ich habe eine neue Aufgabe für dich! Anstatt daß du dich selbst quälst, möchte ich, daß du an der Universität Erfurt lehrst . . . und ich möchte, daß du Priester wirst!« »Ein Priester?« stöhnte Martin. »Jawohl, du sollst Priester werden. Ein Priester, der anderen predigt und die Sakramente austeilt. »Nein«, protestierte Martin, »ich bin zu sündig, ich könnte das niemals tun! Ich glaube, ich würde dann sterben.« »Denkst du denn wirklich, Gott würde warten, bis sie im Himmel sind, um kluge Menschen wie dich einzusetzen? Er braucht dich jetzt!« —Li. Martin wird Priester Martin studierte härter denn je, um Priester zu werden. Er lernte die ganze Liturgie der Kirche auswendig. Er verbrachte viele Stunden damit, die alte Bibel zu lesen, die auf einem Pult im Speisesaal auslag, bis er endlich eine eigene bekam. Dieses Geschenk bedeutete ihm hundertmal mehr als der Satz Gesetzbücher, den er einmal von seinem Vater geschenkt bekommen hatte. Am 3. April 1507 wurde Martin zum Priester geweiht. Einen Monat darauf mußte er bereits seine erste Messe lesen. Aber er war sich immer noch nicht ganz sicher, was der Wille seines himmlischen Vaters für ihn wäre, genausowenig, wie er sich nicht über den Willen seines irdischen Vaters sicher war. Er hatte seinen Vater seit zwei jahren nicht mehr gesehen, seit er Mönch geworden war. Heute war Hans Luther im Gottesdienst. Martin zelebrierte die Messe, dann schaute er die versammelte Gemeinde von Honoratioren und Ehrengästen an, Kelch und Ho- stienteller in der Hand. Aber niemand konnte wissen, daß in seinem Kopf eine leise Stimme flüsterte: »Martin, du schaffst das nicht. Du bist es nicht wert, Priester zu sein. Was du da tust ist, Gotteslästerung! Wie willst du es schaffen, Brot und Wein in den Leib Christi zu verwandeln? Bestimmt wirst du es auf den Boden fallen lassen. Du wirst Gottes Geschenk mit bösen Gedanken veruneh-ren. Schau, dein Vater beobachtet dich.« Martin hob den Kopf und verdrängte die Zweifel, die in ihm nagten. Er bemerkte ein sanftes Lächeln auf dem Gesicht von Dr. Staupitz; dann verteilte er die Hostien an die um den Altar Versam- melten. Als sein Vater den Mund öffnete, um den Leib Christi zu empfangen, schaute Martin ihm in die Augen und lächelte. Er wußte, er tat etwas sehr Wichtiges, auch wenn es sein Vater nicht verstand. »Hoc est corpus Christi«, sagte er und legte die Hostie auf die Zunge seines Vaters. Später, beim Empfang im Speisesaal des Klosters, hoffte Martin auf ein Wort der Ermutigung von seinem Vater. Aber der alte Hans war ganz ernst und still. »Vater«, sagte Martin, »seit heute bin ich Priester. Was hast du nur dagegen?« Hans Luther hatte lange Zeit versucht, seine Enttäuschung über die Entscheidung seines Sohnes zu unterdrük-ken, aber Martins unschuldige Frage war jetzt doch zuviel für den alten Hans und der ganze Ärger darüber kam jetzt in ihm hoch. Vor all den Mönchen und den geladenen Gästen explodierte er: »Du Gelehrter, hast du nicht genug in der Bibel studiert, um zu wissen, daß du Vater und Mutter ehren sollst? Schau dir an, was du getan hast! jetzt müssen deine Eltern sich in ihrem Alter doch selbst versorgen.« »Aber Vater«, entgegnete Martin mit einer Sicherheit, die selbst ihn überraschte, »die Bibel lehrt uns auch, daß wir Vater und Mutter verlassen sollen, um Christus nachzufolgen. Du weißt, daß mich Gott in diesem Gewittersturm gerufen hat, ein Mönch zu werden.« »Wollte Gott, daß dies nicht der Teufel war. . .1« fauchte Hans zurück. Luthers erste Zweifel In der Zeit, als Martin Luther Priester war, sandte ihn sein Vorgesetzter nach Rom. Für Luther war es das größte, auserwählt worden zu sein, nach Rom zu gehen. Er konnte es kaum erwarten, die Orte zu sehen, die von der Kirche als heilig betrachtet wurden, besonders die Peters-Basilika und die Scala santa. Draußen vor den Toren Roms fiel Luther auf die Knie und rief völlig überwältigt aus: »Heil dir, o Rom, in dem das Blut der Märtyrer vergossen wurde.« Aber Rom war gar nicht so heilig, wie Luther es eigentlich erwartet hatte. In den vier Wochen, die er da verbrachte, ist er von der schlechten Moral, der Gassensprache und dem Benehmen der Kirchenoberen ganz schön schok-kiert worden. Er hörte Gerüchte über das luxuriöse Leben am Hofe des Papstes, alles bezahlt von dem Geld, das man den armen Gläubigen abgenommen hatte. Er hörte, wie Priester Witze über die heiligen Sakramente machten, Männer, die eigentlich Gott lieben und ihm Ehre erweisen sollten. Sogar die einfachen Mönche machten sich über die Heiligen lustig, die eigentlich doch angebetet werden sollten. Aber selbst hier in Rom verlor Martin Luther seinen Glauben an die Kirche nicht. Er betete in römischen Kapellen, wo Schreine mit Reliquien der Heiligen und Märtyrer ausgestellt waren. Er erklomm die Stufen der Scala santa und sagte dabei auf jeder einzelnen Stufe das Vaterunser auf, glaubend, dadurch könne er seine Seele aus dem Fegfeuer retten. Aber als er endlich oben anlangte, überkamen ihn auf einmal Zweifel. Er wandte sich an einen Freund: »Wer weiß, ob das auch wirklich wahr ist?« und durch gute Werke können wir uns kein Heil erwirken! Dieser Zweifel verließ ihn nicht, bis er wieder in Erfurt war. Jetzt studierte er die heilige Schrift noch eifriger als bisher, er mußte die Wahrheit herausfinden! Schließlich kam er zu dem Schluß, daß nur Gottes Gnade dem Menschen ewiges Leben schenken kann - aus eigener Anstrengung Luther der Professor Sechs jahre, nachdem Luther seine erste Messe las, wurde er zum Doktor ernannt. Sein Name lautete jetzt Dr. Martinus Luthe-rus, ein respektierter Doktor der Theologie, Stellvertretender Prior seines Klosters, Bezirksvikar des Ordens (gleich nach Dr. Staupitz ) und ein beliebter Professor an der neugegründeten Universität von Wittenberg. Verglichen mit dem wunderschönen Erfurt war Wittenberg ein unbedeutendes Städtchen mit 2 000 Einwohnern. So armselig an der Elbe gelegen, kam es einem vor, man hätte das Ende der Zivilisation erreicht, aber der Kurfürst von Sachsen, Friedrich der Weise, hatte große Pläne für seine Heimatstadt. Friedrich wollte aus der Universität von Wittenberg die renommierteste Uni von ganz Deutschland machen. Zu diesem Zweck suchte er brillante Professoren. Außerdem wollte er aus Wittenberg einen ganz besonderen Wallfahrtsort machen. Die außerordentliche Sammlung von Reliquien in seiner Schloßkapelle zog Pilger von nah und fern an; über 5000 Reliquien, unter anderem waren ein Zweig von Moses brennendem Busch, ein Dorn aus der Dornenkrone Christi und ein Zahn vom heiligen Kirchenvater St. Hieronymus vorhanden. Pilger, die diese Reliquien besuchten, konnten gegen Zahlung eines gewissen Betrages Ablaß erhalten. Das war eine vom Papst Unterzeichnete Urkunde, die dem Besitzer Vergebung von Sünden garantierte. Außerdem wurde den Angehörigen eines Pilgers, die sich bereits im Fegfeuer befanden, auch ein gewisses Quantum an Zeit, die sie im Fegfeuer abzusitzen hatten, erlassen. Eine Wallfahrt nach Wittenberg konnte die Zeit im Fegfeuer um 1443 jahre abkürzen. Martin Luther war ein häufiger Prediger in der Schloßkirche, aber er mochte es nicht, wie die Gläubigen die Reliquien verehrten und die Heiligen anbeteten, um dafür Vergebung für ihre Sünden zu erlangen. Ihm wäre es wohler gewesen, sie würden Gott anbeten und ihm ihre Sünden bekennen, anstatt nach Möglichkeiten zu suchen, das Heil zu erkaufen. Die Menschen von Wittenberg liebten Luther; endlich mal ein ehrlicher Priester! Sie fühlten, Luther war wirklich um sie besorgt, er predigte pragmatisch, nicht so theoretisch wie die anderen. Er versuchte nicht, die Gebildeten zu beeindrucken. Er kümmerte sich um die einfachen Menschen. Mutig sprach er sich ge gen den Mißbrauch des Glaubens durch die Kirche aus. Als Universitätsprofessor wurde Lu- ther für seine geradlinigen Unterrichtsweisen verehrt. Obwohl Latein die vorgeschriebene Unterrichtssprache war, be nutzte er häufig die deutsche Sprache, um die Bibel vor den Augen seiner Studenten lebendig werden zu lassen. Ein Kollege Luthers rief einmal aus: »Dieser Mann wird noch einmal die gesamten Lehren der Theologie revolutionieren!« gP Die dunkle Nacht der Seele (Luthers Ttirmerlebnis) Sogar noch als Universitätsprofessor hatte Luther mit dem furchterregenden Gott seiner Kindheit zu kämpfen. Nacht für Nacht saß er im Turm seines Klosters über seine Bibel gebeugt, vor ihm flackernd eine Kerze, die eine bereits zerlesene Bibel spärlich beleuchtete. »Gott, wie kann ich dich kennenlernen?« flüsterte er in die Dunkelheit, »wie kann ich dich lieben lernen?« »Was bildest du dir nur ein?« glaubte er eine Stimme zu hören, die ihn zu verhöhnen schien. »Warum betest du überhaupt? Hör doch mal, wie ruhig es um dich herum ist! Glaubst du tatsächlich, dir hört jemand zu? Glaubst du vielleicht, Gott lauscht den Gebeten eines so großen Sünders wie dir?« Luther las trotzdem weiter in der Schrift. Auf einmal fiel sein Blick auf einen Psalmvers (er hatte für den morgigen Tag einen Text aus den Psalmen vorzubereiten). Dieser Psalmvers schien ihn geradezu anzuschreien: »Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?« Das war doch der Ausruf Christi am Kreuz! Was hatte das nun zu bedeuten? Hieß das, daß sich Jesus am Kreuz auch einmal so von Gott verlassen gefühlt hatte? Hat der Herr etwa auch Qual und Verlassensein von Gott erlitten? War es wegen seiner Sünde? Das konnte nicht sein, denn Jesus war ohne Sünde! Warum dann, fragte sich Luther. Wie ein Blitz überkam Luther auf ein- jglpgh »Ich fühlte mich wie neugeboren, wie wenn ich durch e offene Tür ins dies eingetreten wäre.« mal die Erkenntnis: der Herr Jesus hat die Sünden der ganzen Menschheit auf sich genommen, und deshalb hat er diese Qualen erlitten und wurde von Gott verlassen! Am Kreuz trug er die Sünden der ganzen Menschheit. Eine schwere Last fiel von Luthers Schultern. In einem Nu verließ ihn die ganze Last von Schuld und Verdammnis. Ein Lächeln war jetzt auf seinem Gesicht zu erkennen, als er sich dem Brief von Paulus an die Römer zuwendete. Dieser Satz aus dem Römerbrief hat ihn so lange schon verwirrt: »Die Gerechten sollen durch Glauben leben.« In der Vergangenheit machte ihn dieser Satz zittern, weil er weit von jeder Gerechtigkeit entfernt war. jetzt, im Licht des Kreuzes, verstand er auf einmal, daß jesus schon für unsere Sünden gelitten hat und daß er uns diese Gerechtigkeit aus Glauben schenken möchte. Durch Jesus würde er frei werden, wenn er ihm nur vertraute. Gott Glauben zu schenken, das hieß aus seiner Gerechtigkeit leben. In dieser Nacht in den Gemäuern des Klosters fühlte Luther auf einmal Gottes Frieden in sein Herz einziehen, jetzt wußte er, daß ein Gott, der seinen eigenen Sohn für die Sünden der Menschen gab, die Menschen liebte. Das war kein wütender, zorniger Gott, sondern ein liebender! Endlich hatte Luther die Lilie der Gnade gefunden! Tetzeis Kiste Auf einmal kamen Gerüchte in der Stadt auf. Papst Leo X. hatte ein ganz besonderes Jubeljahr ausgerufen. Das bedeutete, wenn man in diesem Jahr der Kirche ein großzügiges Geldgeschenk konnte man Ablaß erhalten. Ablaß bedeutete die Vergebung aller vorher begangener Sünden für den Geldgeber sowie Verkürzung von Zeiten, die dieser im Fegfeuer zuzubringen hatte. Dieser Ablaß wurde dem armen Sünder durch eine Urkunde, die angeblich vom Papst unterzeichnet war, bestätigt! Eigentlich hätten die Menschen begeistert sein sollen. Aber diesmal war es anders, anstatt Begeisterung erntete der Papst Empörung. Die Gläubigen waren nämlich der Meinung, Leo sei nur wieder auf ihr Geld aus. Der litt nämlich wie der mal unter extremem Geldmangel. Außerdem wartete der Petersdom immer noch auf seine Fertigstellung. Die Boten des Papstes reisten durch ganz Europa und verkauften ihre Ablaßbriefe. Der am meisten bekannte Bote, Tetzel, kam in eine Stadt nicht weit von Wittenberg entfernt, ln einer pompösen Parade zog er in die Stadt ein. Ihm voraus wurde das Kreuz getragen, daran war das Wappen des Papstes befestigt. Hinter dem Kreuz wurde die Ablaßurkunde getragen, ausgestellt auf einem rubinroten Samtkissen. Dann wurde das Kreuz auf dem Marktplatz aufgestellt. Mittlerweile war eine solch große neugierige Menschenmenge zusammen geströmt, daß Tetzel sich um aufmerksame Zuhörer keine Sorgen mehr machen mußte. Seine den Leuten absichtlich angsteinflößende Predigt begann er folgendermaßen: »Hört ihr die Stimmen eurer toten Verwandten und Freunde? Sie flehen euch an: >Habt Mitleid mit uns! Habt leid mit uns! Wir leiden furchtbare Qualen! Nur ihr könnt uns rettenh Warum helft ihr ihnen nicht?« rief Tetzel. »Macht mal eure Ohren auf! Hört den Eltern zu, wie sie ihren Kindern zurufen: Wir haben euch das Leben geschenkt, wir ha- »Christus hat uns nicht befohlen, Ablaß zu predigen, sondern das Evangelium.« ben euch unsere Güter vererbt. Warum seid ihr so hart zu uns, daß ihr uns nicht helfen wollt? Wollt ihr uns hier für immer in den Flammen lassen? Wollt ihr, daß wir noch länger darauf warten müssen, in den Himmel zu kommen?« Nach seiner Predigt öffnete Tetzel seine Geldkiste mit folgendem kleinen Reim: »Wenn die Münze im Kasten klingt, eine Seel’ aus dem Fegfeuer springt!« Die Leute scharten sich um Tetzeis Kiste. Auch einige aus Luthers Kirchspiel waren zugegen und warfen Geld in die Kiste, um dafür dann eine Ablaßurkunde zu erhalten. i mriirillB 1 2 f luail ^ |Ä';\ £ »/ \ li Wpw [ TT , | ] , \ V\ Wb\\ [fl irr-’iiri 4 m ' \ V, \\\ %\ \ jj.’,{ \ \ Luther geht an die Öffentlichkeit Luther wurde sehr verärgert, als ihm einer dieser Briefe gezeigt wurde. »Dieser Hausierer meint doch tatsächlich, er könne mit Gottes Gnade Geschäfte machen!« Mit heiligem Zorn zerriß er den Brief. »Dieser Ablaßhandel geht zu weit. Man muß dem ein Ende machen!« Mit diesen Worten verschwand er dann in sein Studierzimmer. Am Abend von Allerheiligen, am 31. Oktober 1517, marschierte Luther, bewaffnet mit einer Plakatrolle, Hammer und Nägeln, zur Schloßkirche. Ein paar Studenten sahen ihn und folgten ihm dann gleich nach, um zu sehen, was Luther jetzt wohl vorhatte. Der Professor hielt vor der Schloßkirche, an der offiziellen Anschlag- und Verkündigungstafel. Dann nagelte er das Plakat an und verschwand wieder im Augustinerkloster. »Da schau her«, sagte einer der Studenten, die ihm gefolgt waren, »Dr. Luther protestiert gegen den Ablaßhandel!« »Meine Güte«, sagte der andere. »Luther hat 95 Thesen geschrieben, in Latein!« »Kurfürst Friedrich wird das nicht gefallen«, meinte dann der andere wieder. »Allerheiligen ist doch der eine Tag im jahr, für den er eine Lizenz hat, Ablaß in Wittenberg zu verkaufen. Und jetzt schreibt Luther auch noch dagegen. Und Friedrich braucht das Geld, um die Universität betreiben zu können. Das gibt Ärger!« »Aber unser Professor hat doch recht. Es ist einfach ein Skandal, daß man den Leuten weismacht, sie könnten durch Ablaßzahlungen gerettet werden.« »Da hast du auch wieder recht. Luther sagt, das sei ein Mißbrauch der Gnade Gottes!« Der Anschlag an der Kirchentür Mit diesen 95 Thesen protestierte Luther gegen den Ablaßhandel. Der Mann, der den Anschlag druckte, behielt einen Abzug für sich. Ohne Luthers Erlaubnis einzuholen, wurden seine Thesen vervielfältigt und innerhalb von zwei Wochen im gesamten damaligen Deutschland verbreitet. In weiteren zwei Wochen sind sie in die verschiedensten anderen Sprachen übersetzt worden und über ganz Europa verteilt worden. Sechs Monate später schrieb Luther an Papst Leo: »Es ist mir ein Rätsel, wie das passieren konnte. Mir ging es nur darum, diese Thesen an der Universität Wittenberg zu diskutieren.« Luther hatte damals noch keine Ahnung, daß damit der Startschuß für die Reformation gefallen war. Einige seiner Thesen lauteten: »Wenn unser Herr und Meister, Jesus Christus, sagt »tut Buße», dann meint er damit, das ganze Leben solle eine Buße sein. - Es ist einfach Unsinn, zu predigen, daß eine Seele aus dem Fegfeuer springt, sobald eine Münze im Kasten klingt. - Diejenigen, die glauben, daß sie durch den Ablaßbrief Sicherheit erhalten, in den Himmel zu kommen, werden sich einmal genauso in der ewigen Verdammnis wiederfinden wie diejenigen, die dasselbige lehren. - Es wäre besser, die Christen zu lehren, daß sie, anstatt Ablässe zu kaufen, hingehen und mit diesem Geld ihren leidenden Mitchristen helfen würden: denn der, der sich Ablässe kauft, erhält keine Gnade bei Gott, sondern verärgert Gott. - Die Christen sollten gelehrt werden, daß es besser für den Papst wäre, er würde seinen Besitz den Armen geben, auch wenn das bedeuten würde, daß er den Petersdom verkaufen mußte. - Es wäre besser, sich darauf zu verlassen, durch mancherlei Leid in den Himmel einzugehen, als sich in falscher Sicherheit und Frieden zu wiegen.« Die Schloßkirche zu Wittenberg Nach Rom beordert Papst Leo legte die Papiere zurück auf den Tisch und sagte nur noch: »Diese Schriften von Martin Luther sind die Schriften eines betrunkenen deutschen Mönchs!« Papst Leo gefiel es überhaupt nicht, was er da zu lesen bekam. Er mochte es einfach nicht, wenn die Autorität der Kirche in Frage gestellt wurde; denn damit wurde auch seine eigene Autorität als Chef der Kirche in Frage gestellt. Kaiser Maximilian, Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, mochte die Schriften Luthers auch nicht. Er befürchtete, Luthers Schriften wären womöglich der Startschuß für eine Revolte gegen die Regierung. Maximilian war auf die Unterstützung der Kirche angewiesen. »Diesem Mönch müssen wir sofort Einhalt gebieten«, schrieb er an Leo, »bevor ganz Deutschland ihm folgt.« Der Papst verfaßte sofort ein Schriftstück, in dem es zum absoluten Gesetz gemacht wurde, der Kirche unbedingten Gehorsam zu leisten. Dadurch wurde Luthers Anschlag zum Verbrechen. In der Verfügung des Papstes stand folgendes zu lesen: »Jedermann, der die Lehren der Kirche und des Papstes anzweifelt, ist ein Ketzer!« Als Luther von Leos Erlaß hörte, wurde er furchtbar wütend. Auf einmal verstand er, daß die kirchlichen Autoritäten nur daran interessiert waren, selbst unangreifbar dazustehen, daß sie aber nicht daran interessiert waren, die Wahrheit zu finden. Luther hatte auf eine öffentliche Debat te gehofft, die den Ablaßhandel schließlich unterbinden würde. Statt dessen wurde er in ein politisches Ränkespiel ver wickelt, und obendrein wurde er auch noch zum Ketzer erklärt! Ein Bote überbrachte ihm einen Brief des Papstes. Luther wurde nach Rom beordert, innerhalb von sechs Tagen sollte er dort sein. Er wurde in diesem Brief »Ich habe die große Hoffnung, daß so wie Christus von den Juden verworfen wurde und dann von den Heiden aufgenommen wurde, daß so auch diese wahre Theologie, die von den Würdenträgern mit Vorurteilen abgelehnt wurde, vom einfachen Volk angenommen wird. des Ungehorsams und der Ketzerei angeklagt. Sofort schrieb Luther einen Brief an seinen Landesherren, Kurfürst Friedrich. Friedrich verehrte und bevorzugte Luther, weil der Wittenberg solch eine Aufmerksamkeit bescherte. In seinem Brief bat Luther Friedrich, dafür zu sorgen, daß außerhalb Deutschlands keine Gerichtsverhandlung stattfinden würde. Dadurch wäre es zu leicht gewesen für Luthers Feind, ihn für immer verschwinden zu lassen. Und für eine Gerichtsverhandlung auf deutschem Boden wollte Luther eine Sicherheitsgarantie von Kaiser Maximilian. So wurde also eine Anhörung in Augsburg angesetzt. Luther machte sich mit einem flauen Gefühl im Magen auf ' den Weg dorthin. Was würde wohl passieren? Wie konnte er nur so sicher sein, daß er im Recht war und alle anderen im Unrecht? Der Papst, der Kaiser und der Erzbischof gegen ihn, das konnte nur bedeuten, daß er verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden würde. »letzt muß ich sterben, was für eine Schande für meine Eltern!« dachte Luther bei sich. Luther weigert sich zu widerrufen Kardinal Cajetan, der Stellvertreter des Papstes in Augsburg, erwartete eigentlich nur ein kurzes Interview mit Luther. Die Anordnung für den Kardinal lautete, sich nicht in Diskussionen mit diesem aufsässigen Mönch einzulassen. »Mein Sohn«, sagte der Kardinal mit einem väterlichem Tonfall in der Stimme, »alles, was ich gerne hätte, daß du tust, ist, zu widerrufen. Sag ganz einfach: revoco - ich widerrufe - und alles ist in Ordnung.« »Vater«, sagte Luther mit aller Demut, »ich bin nicht hier nach Augsburg gekommen, um einfach so zu widerrufen, das hätte ich auch in Wittenberg tun können. Bitte kläre mich darüber auf, wo ich mich getäuscht habe.« Cajetan dachte nach. Er bemerkte den unschuldigen Ausdruck auf Luthers Gesicht. Cajetan tat einen tiefen Atemzug ... Er wußte, jetzt würde er eigenmächtig entgegen seinen Anweisungen handeln. Die Diskussion, die darauf folgte, währte ganze drei Tage. Der Kardinal fing an: »Dein Hauptfehler ist es, daß du leugnest, daß ein Mensch dadurch Sündenvergebung erfahren kann, daß er Ablässe erwirbt. Das ist entgegen der Lehre der Kirche!« »Aber nicht entgegen den Lehren der Bibel!« antwortete Luther. »Das Wort Ablaß kommt in der Bibel nicht vor. In der Bibel steht, daß wir nur im Glauben an Jesus Christus unsere Sünden vergeben bekommen.« »Das ist dein zweiter Fehler.- Du leugnest, daß das Wort des Papstes über dem der Bibel steht«, entgegnete ihm darauf der Kardinal. »Ich wiederhole es noch einmal: Das Wort Gottes steht über dem des Papstes, und die Bibel ist das unumstößliche Wort Gottes!« rief Luther aus. »Mein Sohn, laß mich dich daran erinnern, daß die Bibel korrekt ausgelegt wird. Und nur seine Heiligkeit, der Papst, ist der von Gott eingesetzte Ausleger.« »Und ich sage dir, daß jeder einfache, demütige Christ ein besserer Ausleger ist als der Papst.« »Leugnest du etwa auch, daß der Papst Gottes Stellvertreter hier auf Erden ist?«, schrie jetzt der Kardinal auf. »Wenn der Papst die Heilige Schrift so mißbraucht, wie es hier beim Ablaß- handel geschieht, dann muß ich sagen: Ja!« Das Streitgespräch wurde immer lauter und immer erregter geführt. Mittlerweile schrie der Kardinal fast nur noch. Am nächsten Tag übergab Luther Kardinal Cajetan ein persönliches Schrei- Befehl habe, dich in Ketten zu legen und nach Rom bringen zu lassen?« donnerte er, »wenn du nicht widerrufst, bringe ich dich zur Gerichtsverhandlung nach Rom. Wage es nicht noch mal vor mir zu erscheinen, ohne zum Widerruf bereit zu sein!« Luther wußte, nach Rom zu gehen, wäre sein Todesurteil. Er verließ Augsburg, so schnell er konnte. Aber er verließ es nicht durch die Stadttore, sondern heimlich durch ein Loch in der Mauer. »Genausowenig wie ein Esel Harfe spielen kann, war der ben, in dem er bis ins Detail seine Gedanken erklärte. »Ich danke dir«, sagte der Kardinal gönnerhaft, »ich werde das weiterleiten. Und jetzt sag einfach: revoco - ich widerrufe. Das ist dann alles.« »Solange ihr mich nicht vom Gegenteil überzeugen könnt, weigere ich mich, zu widerrufen.« Das Gesicht des Kardinals schwoll zornesrot an: »ist es dir klar, daß ich den vs. Johannes Tetzel war ein kleiner, feuriger Dominikanerprediger, der extrem gut darin war, Ablässe zu verkaufen. Als der Papst und der deutsche Erzbischof 1517 besonders viel Geld brauchten, war Tetzel sogleich bereit, hilfreich einzuspringen. In vielen Städten und Dörfern predigte Tetzel dann sein »Ablaßevangelium«. Bei ihm war es nicht nötig, Buße zu tun: einfach das Geld in Tetzeis Kiste hineinklimpern lassen - und die Sache war geregelt! Selbst nachdem Tetzel von Luther als Gauner enttarnt worden war, wurde ihm dennoch der Doktortitel in Theologie verliehen, verbunden mit dem Recht, seine Bücher zu veröffentlichen. Sofort verfaßte er einhundert Gegenthesen gegen Luthers Thesen, aber er war kein guter Theologe und ein noch schlechterer Denker; bald darauf verlor er auch die Unterstützung des Papstes. Der »Hausierer« zog sich schließlich in sein Kloster nach Leipzig zurück, wo er bald darauf auch Probleme wegen seines luxuriösen Lebensstiles bekam. Als Ablaßhändler hatte er sich nämlich eine schöne Summe von den »Münzen, die im Kasten klingen«, auf die Seite legen können. Obwohl er nicht verheiratet war, hatte er zwei Kinder. Man sagte ihm nach, sein Einkommen sei zehnmal größer gewesen als das Gehalt des Bürgermeisters von Leipzig. Bald darauf starb Tetzel als ein gebrochener Mann, nur zwei Jahre nachdem seine lukrative Karriere begonnen hatte. Kurz vor seinem Tod versuchte Luther ihn zu trösten. Er schrieb ihm unter anderem: »Sei nicht entmutigt, du bist nicht derjenige, der an dieser Katastrophe schuld ist.« Papst Leo kam aus einer angesehenen italienischen Familie, die ihm den Kardinalstitel und das dazugehörige Amt kaufte, als er erst 13 Jahre alt war. Fünfundzwanzig Jahre darauf (1513) Der Triumphzug Luthers Obwohl Luther auf der Flucht war, wollte Papst Leo ihn unbedingt in die Hände bekommen. Als Luther öffentlich gegen die Lehren der Kirchen Stellung nahm, fühlte sich Papst Leo auch ganz persönlich angegriffen. Der Papst wußte, Luther hatte in Deutschland ein Feuer angezündet, das die Kirche und das ganze Reich spalten könnte. Von Rom aus beobachtete Papst Leo Luther mit Argusaugen und wartete nur auf eine Gelegenheit, ihm an den Kragen gehen zu können. Als Leo hörte, daß Luther einen Ketzer verteidigte, den die Kirche hundert ]ahre vorher zum Tode verurteilt hatte, sah er seine Chance gekommen, Luther selbst als Ketzer zu bezeichnen. Leo unterschrieb einen Brief an Luther, in dem er aufgefordert wurde, innerhalb von sechzig Tagen zu widerrufen, andernfalls werde er exkommuniziert! Luther antwortete, indem er die »In Worms wird mein eigentlicher Widerruf stattfinden: Ich erkläre, der Papst ist ein Feind Christi und ein Apostel des Teufels.« päpstliche Bulle, das offizielle kirchliche Dokument, das ihn als Ketzer bezeichne-te, und die dazugehörende Verfassung der Kirche einfach verbrannte! Luther ging dabei sogar so weit, den Papst als »Antichrist«, den Feind Christi, zu bezeichnen. Diese Aussage legte natürlich Kohlen auf das Feuer, das für Luther in Rom wurde er zum Oberhaupt der Kirche gewählt. Papst Leo war ein Mann, der gern Feste feierte, einen luxuriösen Lebensstil führte und es mit der Wahrheit ansonsten aber nicht so genau nahm. Allein zu den Festlichkeiten anläßlich seiner Krönung zum Papst verschwendete er 100 000 Dukaten. was ein Siebtel des päpstlichen Vermögens ausmachte! Sein Verlangen, den Petersdom in Rom zu vollenden, sollte einmal eine Million Dukaten geko- stet haben. Ein Zimmermann in Wittenberg verdiente zu dieser Zeit gerade mal zwei Dukaten im Monat! Nach einigen Jahren unter Leos Regentschaft war natürlich kein Geld mehr in der Kasse; jetzt hatte Leo ernsthafte Probleme! Zunächst einmal schuf er Tausende von neuen Kirchenämtern. die er dann an den Meistbietenden verhökerte. Eine andere wichtige Einkommensquelle war der Verkauf von Ablässen. Seit der Zeit der Kreuzfahrer, vor etwa dreihundert Jahren, wurde schon mit Ablässen gehandelt. Aber erst Leo machte daraus solch ein Millionengeschäft. Er hoffte auch, mit diesem Geld könne er dann einen neuen Kreuzzug gegen die Türken starten. Luthers Angriff gegen den Ablaßhandel schädigte auch Leos persönliches Geschäft. Leo verdammte Luthers Ansichten. weil sie seiner eigenen Bereicherung im Wege standen. Er mußte jedoch etwas tun. um die Massen zufriedenzustellen. Deshalb brachte er 1518 einen Erlaß heraus, Cum Postquam, in dem er die schlimmsten Mißbräuche verurteilte und etliche Korrekturen machte, aber im Grunde änderte sich nichts. Nachdem er 1521 einen Krieg gegen die Franzosen gewonnen hatte, zog er sich auf einer Siegesfeier eine Erkältung zu, und bald darauf starb er. Bei seinem Begräbnis wurden von einer anderen Beerdigung halbabgebrannte Kerzen benützt, da kein Geld mehr vorhanden war, um neue Kerzen zu kaufen. Während seiner siebenjährigen Amtszeit hat Leo fünf Millionen Dukaten verpraßt. Johannes Eck war ein mit Luther befreundeter Professor in Ingolstadt. Mit dem Anschlag der 95 Thesen fand diese Freundschaft aber ein jähes Ende. Ab diesem Zeitpunkt organisierte Eck die Opposition gegen Luther. Im Jahre 1519 arran- bereitet war. Aber mittlerweile war Luther zu dem Schluß gekommen, daß die ganze Nation hinter ihm stand. Es gab kein Zurück mehr. Wenn er jetzt widerrufen würde, entgegen seinem Gewissen und gegen die Schrift, nur das würde ihn zum Ketzer machen, allerdings in den Augen Gottes! Luther konnte nur weiterschreiben und weiterpredigen und sich weigern, nach Rom zu gehen, beten, auf ein gerechtes Verfahren unter dem Kaiser hoffen und die ganze Sache dem allmächtigen Gott überlassen! Der zwanzigjährige Karl, der Nachfolger von Kaiser Maximilian, war gerade von den sieben Kurfürsten zum neuen Kaiser gewählt worden. Der einflußreichste dieser Sieben war Kurfürst Friedrich, der irdische Beschützer von Martin Luther. Friedrich der Weise überzeugte Karl, daß Luther zumindest einen fairen Prozeß verdiente. Sollte der Kaiser Luther für schuldig erklären, wäre er, Friedrich, der erste, der Luther verdammen würde. Die Gelegenheit zu diesem Verfahren kam 1521 beim ersten Besuch des Kaisers in Deutschland, der in Worms stattfinden sollte. Für die lange Reise von Wittenberg nach Worms wurde Luther sicheres Geleit unter dem Schutz der kaiserlichen Wache zugesagt. Überall, wo sie durchkamen, drängten sich die Menschenmassen an den Straßen, um Luther zu sehen und um ihm alles Gute zu wünschen. In Leipzig wurde er sogar vom ehrwürdigen Stadtrat begrüßt und beschenkt. In Erfurt wurde er mit Musik begrüßt, und es wurden ihm zu Ehren Reden gehalten. Die Professoren und Studenten seiner alten Universität standen ihm zu Ehren sogar Spalier. Endlich, nach zwei Wochen triumphaler Empfänge, zog Luther in Worms ein. Seine Ankunft wurde von dem Stadtwächter mit einer Trompete verkündet. Luther sagte zu seinen Begleitern: »Das ist jetzt mein Palmsonntag. Als gierte Georg, der Landgraf von Sachsen, eine öffentliche Debatte zwischen Luther und Eck. Eck war ein professioneller Debattie-rer, der Luther unbedingt in eine Ecke drängen wollte. Die Debatte währte 18 Tage. Eck schaffte es tatsächlich, Luther als einen gefährlichen Ketzer hinzustellen und die Zuhörer davon zu überzeugen, daß man mit Luther genauso verfahren solle wie mit Johannes Hus, den man hundert Jahre früher als Ketzer angeklagt hatte und der dann auf dem Marktplatz zu Konstanz verbrannt worden war (obwohl ihm kaiserlicher Geleitschutz zugesagt worden war). Die päpstliche Bannandrohung von 1520 stammte wahrscheinlich aus Ecks Feder. Luther nannte diese Bulle »ein Werk dieses Mannes der Lügen, der Heuchelei und der Ketzerei, dieses Ungeheuers Johannes Eck«. Trotz aller Rede- und Schreibkunst hatte Eck jedoch keinen Erfolg im Kampf gegen Luther, denn Luther kämpfte im Auftrag Gottes. Kaiser Karl V. war 1519 auf den Thron gewählt worden. Sein Reich umfaßte den größten Teil Europas. Obwohl der Kaiser viele Feinde hatte, darunter auch Frankreich, die Türken und sogar den Papst, war sein größtes Problem der re-formatorische Prozeß in Deutschland, der sein Reich zu spalten drohte. Nach dem Reichstag zu Worms (1521) tat Kaiser Karl Luther mit folgenden Worten in den Bann: »Ein einzelner Mönch, der gegen eine Kirche aufbegehrt, die schon seit über eintausend Jahren besteht, muß einfach falsch sein!« Karl V. kam jedoch nie dazu, den Bann gegen Luther auszuführen. Er hatte noch wichtigere Probleme zu lösen: sein Reich begann sich langsam aufzulösen. Schließlich verlor er alle Gewalt über sein riesiges Staatsgebiet. Die prostestantischen Fürsten zwangen ihn dazu, ihnen das Recht auf freie Religionsausübung zu gewähren. 1556 dankte Kaiser Karl ab und zog sich in ein Kloster zurück, wo er auch starb. nächstes werde ich wohl mein Golgatha erleben!« Die Anhörung war für 16.CK) Uhr am nächsten Tag geplant. Vor dem Kaiser Mutig betrat Luther die Halle. in der der Kaiser mit seinen Begleitern saß - Fürsten, Edelleute. Bischöfe und wichtige Beamte aus vielen deutschen Städten. Der Gegensatz zwischen den reich gekleideten Würdenträgern aus Kirche und Staat und dem einfach, mit einem rohen Mönchsgewand bekleideten Luther war nicht zu übersehen. Dieser einfache Mensch wagte, diese reichen Würdenträger herauszufordern, das war einfach unvorstellbar für die Anwesenden! »Martin Luther«, begann ein hoher Beamter, »hast du diese Bücher geschrieben?« Luther antwortete nicht. Der Beamte begann die Buchtitel vorzulesen und wiederholte seine Frage: »Hast du diese Bücher geschrieben?« »ja«, antwortete Luther und fügte hinzu, »diese und andere!« »Enthalten diese Bücher irgend etwas, das du widerrufen willst?« Luther war irritiert, was war denn das nun auf einmal? Er dachte, man hätte ihn nach Worms eingeladen, um mit ihm über seine Ansichten zu diskutieren, und jetzt wurde ihm einfach wieder Caje-tans alte Frage vorgelegt. Hatte der Reichstag ihn etwa schon verurteilt? Er stammelte: »Das alles hat mit Gottes Wort zu tun - und mit der Errettung von Seelen. Bitte gebt mir Zeit, alles noch einmal zu überdenken.« Die folgende Nacht verbrachte Luther im Gebet. Am nächsten Morgen, noch bevor er in die große Halle geführt wurde, schrieb er: »Solange mir Christus gnädig bleibt, will ich nicht ein einziges I-Tüpfelchen widerrufen!« Endlich wurde Luther in die große Halle geführt. Der Beamte wiederholte die Frage vom Vortag. Ob Luther jetzt wohl widerrufen wolle? Der Kaiser und die anderen lehnten sich voller Spannung vor, um sich nichts entgehen zu lassen. Der Kurfürst war ganz blaß geworden. Der Abgesandte des Papstes hatte ein Gesicht aus Stein. Luther holte tief Luft und begann: »Großer, ehrwürdigster Kaiser, edle Herren, hier auf diesem Tisch liegen drei Arten von Büchern. Erstens haben wir hier Bücher, die ganz allgemein mit Glauben und Leben zu tun haben. Das sind so einfache Bücher, daß da niemand etwas dagegen haben kann, von denen kann ich keine zurücknehmen. Zweitens lie- gen da Bücher, die den Papst und seine Lehren angreifen. Diese Bücher kann ich auch nicht zurücknehmen, ich würde sonst nur den Papst und seine Tyrannei unterstützen. In der dritten Gruppe befinden sich Bücher, die mit anderen Dingen zu tun haben. Ich bin vielleicht manchmal ein bißchen hart in meinem Urteil gewesen, aber diese Bücher kann ich auch nicht widerrufen, sonst würde ich damit das gottlose Wesen dieser Männer unterstützen. Ich bitte euch, zeigt mir meine Fehler, ich bin dann der erste, der diese Bücher ins Feuer schmeißt.« »Martin«, begann der Beamte von neuem, »wie kannst du dir nur einbilden, daß du im Recht seist, während diese über tausend )ahre alte Kirche im Unrecht sein soll? Antworte ganz einfach auf meine Frage: widerrufst du oder widerrufst du nicht?« Luthers Antwort wurde weltberühmt: »Solange ich nicht durch die Heilige Schrift oder durch einleuchtende Gründe überzeugt werde, daß ich im Unrecht bin, werde ich nicht widerrufen. Mein Gewissen ist gefangen im Worte Gottes. Ich werde nicht widerrufen und ich kann nicht widerrufen. Es ist für niemanden gut, etwas gegen sein Gewis- sen zu tun.« Dann neigte er seinen Kopf und sagte mit leiser Stimme: »Hier stehe ich, ich kann nicht anders. Gott helfe mir. Amen.« Drei wichtige Bücher von Luther m Mehr Bücher wurden über Martin Luther geschrieben als über eine andere Person aus der Kirchengeschichte - außer natürlich über Jesus Christus. Luther selbst schrieb viele Bücher und andere Schriften, insgesamt über 60 000 Seiten! Seine Feinde taten, was sie nur konnten, um seine Bücher zu zerstören. Aber sie konnten noch so viele verbrennen, das Feuer der Reformation konnten sie nicht mehr löschen! Der Erfolg der Reformation war größtenteils seinen Büchern zu verdanken. Und trotzdem konnte Luther sagen: »Ich wünschte, alle meine Bücher könnten verschwinden, und es würde nur noch die Heilige Schrift gelesen. Drei der ersten Bücher des Refor- mators waren auch seine wichtigsten für die Reformation: den seien, genauso seien auch die Gläubigen durch den Papst und das päpstliche System weg von der Bibel in die Gefangenschaft geführt worden. Außerdem ließ er in dieser Schrift nur noch zwei Sakramente gelten: Taufe und Abendmahl. Er verneinte, daß während des Abendmahles der Wein und das Brot in das Blut und den Leib Christi verwandelt werden. Er verlangte, daß der Wein auch an die Gläubigen ausgeteilt werde, genau wie das Brot auch. VON DER FREIHEIT EINES CHRISTENMENSCHEN (1520) Diese Schrift stellte die mittelalterliche Sicht vom Menschen völlig auf den Kopf. Die zwei Hauptaussagen waren.- 1. Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. 2. Er ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan. AN DEN CHRISTLICHEN ADEL DEUTSCHER NATION (1520) Mit dieser Schrift versuchte Luther, den deutschen Adel dahingehend zu beeinflussen, daß sie die Reformation unterstützen und der katholischen Kirche absagen. DIE BABYLONISCHE GEFANGENSCHAFT DER KIRCHE (1520) Der Titel dieser Schrift erinnert an die Gefangenschaft der Juden in Babylon (ab 598 v. Chr.). Luther führte aus, genauso wie die Juden in die Gefangenschaft geführt wor- wh Es vergingen nun mehrere Tage. während der die Vertreter der Kirche versuchten, mit Luther zu verhandeln. Aber er blieb bei seinem einmal gefaßten Entschluß. Endlich ließ man ihn aber doch noch, bevor die Sicherheitsgarantien des Kaisers um waren. gehen. Der Kaiser verbot ihm zu predigen und weitere Bücher zu schreiben, bis der Reichstag zu einer endgültigen Entscheidung gekommen sei. Luther gehorchte - bis auf einige wenige Ausnahmen. Auf seinem Weg nordöstlich in Richtung Wittenberg nahm er dann doch eine Handvoll Einladungen zu predigen an! Eine davon war in Eisenach, wo er die glücklichsten ]ahre seiner |ugend verbracht hatte. Es war schon spät am Nachmittag. einsamen Straße durch den bereits dunklen Wald folgten. Auf einmal wurden sie aus dem Nichts von vermummten Reitern umringt, die Luthers Reisewagen anhielten und schrien: »Wer von euch ist Martin Luther?« Der Kutscher geriet in Panik und zeigte auf Luther. Die Männer zogen Luther aus der Kutsche und setzten ihn auf ein Pferd. Dann verschwanden sie mit ihm den selben Weg, den sie gekommen waren. Luthers Begleiter flohen zu Fuß. Bald schon ging die Nachricht von Luthers Entführung durch ganz Deutschland und Europa. Viele glaubten, er sei nach Rom gebracht worden, um dort auf dem Scheiterhaufen zu sterben. Andere meinten, er sei im Wald von den Männern des Kaisers umgebracht worden. Viele trauerten um ihn - Künstler wie m Jk'XJL Ift] WmI r-s. 1: kNpffi Gefangener auf der Wartburg Aber Luther war in völliger Sicherheit! Man hatte ihn vom Wald auf die Wartburg gebracht, eine von Kurfürst Friedrichs Burgen. Die Entführung war von Friedrich selbst arrangiert worden. Die nächsten zehn Monate hielt sich Luther als »Gefangener« auf der Wartburg auf. Er hatte ein wunderschönes Zimmer, es wurden ihm die besten Speisen gebracht und es wurden ihm Kleider gegeben, die eines Ritters würdig waren. Ritter Jörg, wie Luther jetzt genannt wurde, hatte viel Zeit zum Nachdenken. Jetzt, da er auf der Flucht vor Kaiser und Papst war, kam er sich wie ein fürchterlicher Versager vor. Wie sollte es jetzt weitergehen? Wie könnte er eine Reform der Kirche erreichen, ohne daß es zum Kampf käme? Er wollte eine Reformation der Kirche, keinen Krieg! Die deutschen Bauern waren jedoch sehr unzufrieden und könnten schon bald einen Bürgerkrieg beginnen. »Ich würde lieber auf heißen Kohlen schmoren, als hier zu sitzen und nichts tun zu können«, dachte er schwermütig. Er war völlig entmutigt. Dann fing er aber doch an zu schreiben. Die nächsten zwölf Monate sollte die produktivste Zeit in seinem Leben werden. Die zwölf Bücher, die er in dieser Zeit schrieb, enthalten seine gesamte Pastorallehre. Außerdem übersetzte er das gesamte griechische Neue Testament in nur elf Wochen. Übrigens verhalt diese Übersetzung dem deutschen Volk zu einer einheitlichen deutschen Sprache. Albrecht Dürer, Gelehrte, Wissenschaftler. Luthers Freunde waren schockiert. Albrecht Dürer schrieb: »O Gott, wenn er tot ist, wer wird uns dann noch das Evangelium erklären? Wenn wir diesen Mann verlieren, der uns das Evangelium am klarsten verkündigt hat, möge uns Gott dann doch einen anderen wie Martin Luther schenken.« Jedermann wußte, daß der Kaiser es mit dem Papst hielt und Luther in Acht und Bann getan hatte. Das bedeutete, jedermann konnte Luther töten,wenn er dazu Lust hatte, ja war sogar dazu vepflichtet und wurde nicht bestraft, sondern öffentlich belobigt! Die Aussichten, Luther noch einmal lebend wiederzusehen, waren also nicht gut. Es ist mein Wunsch, daß mein Name stillschweigend übergangen wird und die Menschen sich nicht Lutheraner nennen Eine feste Burg ist unser Gott Ein feste Burg ist unser Gott, ein gute Wehr und Waffen. Er hilft uns frei aus aller Not, die uns jetzt hat betroffen. Der altböse Feind, mit Ernst er's jetzt meint, groß Macht und viel List sein grausam Rüstung ist, auf Erd' ist nicht seinsgleichen, Und wenn die Welt voll Teufel war und wollt uns gar verschlingen, so fürchten wir uns nicht so sehr, es soll uns doch gelingen. Der Fürst dieser Welt, wie saur er sich stellt, tut er uns doch nichts; das macht, er ist gerichf. Ein Wörtlein kann ihn fällen. Im Jahre 1527, als die Pest in Wittenberg wütete, wurde auch Luther ernstlich krank. Niedergeschlagen schrieb er an seinen Freund, Philipp Melanchthon: »Ich befand mich länger als eine Woche im Tode und in der Hölle.« Ich fühlte mich von Christen völlig preisgegeben und kämpfte mit Depression und Lästerung gegenüber Gott. Aber die Gebete der Heiligen bewirkten, daß Gott anfing, mir gnädig zu sein, und er riß meine Seele aus der Hölle. Mitten in seiner Niedergeschlagenheit dichtete und komponierte Luther das gewaltige Lied über die Treue Gottes: Ein feste Burg. Die Verse 1 und 3 lauten: späteren Jahre Nach seiner »Gefangenschaft« lebte Luther noch weitere 25 Jahre, obwohl der Bann gegen ihn nie aufgehoben wurde. Unter seiner Führung wuchs die evangelische Kirche stets und ständig durch die »Pf Mithilfe vieler Fürsten bnd anderer Landesherren. Sie überlebte den Bauernkrieg, verschiedene andere »Religionskriege». den Dreißigjährigen Krieg und die Gegenreformation. Als er 1546 .starb, hatte die Bewegung das ganze ^nördliche Mitteleuropa erfaßt und legte den Grundstock zu einem starken Natio- nalismus in den einzelnen Ländern, der die katholische Kirche und den Kaiser bezwang. Der Grundstock der Lehre der evan gelischen Kirche lag im Glauben an die Unfehlbarkeit der Bibel und im Glauben an den Tod jesu Christi als einzige Möglichkeit zum Heil. Anstatt an eine hierar- Luthers Ehefrau: Katharina Ich glaube an die Ehe«, sagte Luther des öfteren. Die Mönche und Nonnen, die die Klöster auf Grund seiner Lehre verließen, ermutigte er zum Heiraten. Eines Tages tauchten Katharina von Bora und acht weitere Nonnen vor Luthers Haustüre auf. Versteckt auf einem Wagen mit einer Ladung Bier- und Heringsfässer, waren sie aus einem Zisterzienserkloster geflohen. Luther fühlte sich für sie verantwortlich und fand für sieben von ihnen Ehemänner. Als schließlich nur noch Katharina von Bora übrig war, weigerte sie sich, jemand anders zu heiraten als Luther oder jemand aus seinem nächsten Freundeskreis. Zwei Jahre später, 1525 heirateten Luther und Katharina in der Kirche zu Wittenberg; sie war 26, er war 42 Jahre alt. Der Kurfürst schenkte ihnen das Schwarze Kloster. Das war die Geburtsstunde des evangelischen Pfarrhauses. Das Haus war immer voller Menschen, die geistliche oder materielle Hilfe brauchten. Zum Mittag- oder Abendessen waren für gewöhnlich zwanzig bis dreißig Leute anwesend. Katharina war eine exzellente Hausfrau, ausgestattet mit einem gesunden Menschenverstand zum Lösen alltäglicher Probleme, während Luther nicht so praktisch veranlagt war. Luther war ihr sehr zugetan und nannte sie »mein Chef«. Sie hatten zusammen sechs Kinder und adoptierten vier weitere. chische Ordnung von Papst, Kardinalen, Bischöfen und Priestern zu glauben, glaubte die evangelische Kirche an das »allgemeine Priestertum der Gläubigen«, was nichts anderes bedeutet, als daß jeder Gläubige dem anderen als Priester mit dem Rat Gottes bestehen, die Bibel lesen und die Bibel auslegen darf. Die Kirche - oder zumindest ein Teil davon - hatte also zurückgefunden zu den Lehren der Apostel! Luther starb während einer Reise nach Eisleben, wo er geboren und auch getauft worden war. Am 17. Februar I 546, im Alter von 63 Jahren, ging er heim in die ewige Herrlichkeit zu seinem Herrn. Um ein Uhr morgens schrie er: »O, Herr Jesus, ich halte diese Schmerzen nicht mehr aus!« Als Freunde von ihm zu ihm in seine Kammer eilten, hörten sie, wie er die Worte aus dem Johannesevangelium wiederholte: »So sehr liebte Gott die Welt, daß er seinen eigenen Sohn gab...« »Ehrwürdiger Vater«, unterbrach ihn ein Freund, »stehen Sie fest in Christo und in den Lehren, die Sie predigten?« »Ja«, antwortete Luther mit schwacher Stimme und verschied. Heute, 450 Jahre nach seinem Tod, wird Martin Luther als einer der größten Kirchenmänner gleich nach den Aposteln angesehen. Ich möchte nicht, daß Menschen mit Gewalt und Töten für das Evangelium kämpfen. Die Welt muß durch das Wort Gottes gewonnen werden. Wichtige Daten in Luthers Leben 1483 10. Dez. geboren in Eisleben 1484 Juni die Familie zieht nach Mansfeld 1497 ab Ostern Besuch der Lateinschule in Magdeburg (bei den Brüdern vom einfachen Leben) 1498 Besuch der St. Georgsschule in Eisenach 1501 Mai Universität Erfurt 1502 29. Dez. Bakkalaureus 1503 16. April ernsthafte Verwundung durch sein Schwert 1505 7. Jan. Magister Artium 20. Mai Beginn des Jurastudiums 2. Juli Gewitter und Eid 17. Juli Eintritt in das Augustinerkloster in Erfurt 1507 3. April Weihe zum Priester 2. Mai erste Messe 1508 Winter lehrt Philosophie in Wittenberg 1510 Nov. Pilgerfahrt nach Rom 1511 April Rückkehr nach Erfurt 1512 19. Okt. beginnt in Wittenberg bekommt den Doktortitel verliehen 1513 -1516 hält Vorlesungen über die Psalmen, den Galaterbrief und den Römerbrief 1517 31. Okt. Anschlag der 95 Thesen in Wittenberg 1518 5. Aug. Kaiser Maximilian warnt den Papst 7. Aug. nach Rom befohlen 8. Aug. Luther wendet sich an Kurfürst Friedrich um Hilfe 12. Okt. Anhörung vor Cajetan in Augsburg 20. Okt. Flucht aus Augsburg 1519 Juli Leipziger Debatte mit Dr. Eck 1520 15. Juni der Papst droht Luther den Bann an, er hat sechzig Tage Zeit zu widerrufen 12. Nov. Luthers Bücher werden in Köln verbrannt 10. Dez. Luther verbrennt die mittlerweile in Kraft getretene Bannbulle des Papstes 1521 3. Jan. Luther wird exkommuniziert (von der Kirche ausgeschlossen) 1521 16. April Luther erscheint zum Reichstag in Worms 26. April Luther verläßt den Reichstag 4. Mai Luthers Ankunft auf der Wartburg Dez. Beginn mit der Übersetzung des Neuen Testaments 1522 6. März Rückkehr nach Wittenberg 1525 5. Mai Tod von Friedrich dem Weisen Juni Niederschlagung des Bauernaufstands 13. Juni Hochzeit mit Katharina von Bora 1527 August krank und niedergeschlagen, er dichtet »Ein feste Burg ist unser Gott« 1530 Juni Reichstag zu Augsburg, Augsburger Bekenntnis 1534 Luther beendet die Übersetzung der Bibel ins Deutsche 1546 18. Feb. Martin Luther stirbt in Eisleben Weitere Bücher über Martin Luther Martin Luther, Christliches Verlagshaus GmbH Stuttgart, 1955 Martin Luther, Gestalten des Protestantismus von gestern und heute. Editions du Si- gne Hellmut Diwald/Karl-Heinz Jürgens, Lebensbilder Martin Luther, Gustav-Lübbe Verlag Martin Luther, Von der Freiheit eines Christenmenschen. GTB, Gütersloh Matthias Gretzschel/Ehomas Baboviel/Ellert &. Richter Verlag, Auf Martin Luthers Spuren 1 Aultten^r^ ÜjisWbtH ^Erfurt